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Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 30. Burg/Berlin, 1837.

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473 Conversations=Blatt. 474
[Beginn Spaltensatz] einer Leidenschaft, die durch vereiteltes Glück, ja fast
Hoffnungslosigkeit, an Stärke nur noch gewonnen hatte.

"Kate, Kate!" rief er laut, "wach' auf. Erschrick
nicht, 's ist nur der William. Stehe auf, und komm mit heim."

Er wollte ihr aufhelfen, allein sie winkte ihm ab -
blickte um sich und heftete dann ihr Auge forschend auf die See.

    (Fortsetzung folgt.)



Der Muth einer Dame.

Es war mitten in den Ardennen, dem rauhesten,
wildesten Departement von Frankreich, im Monat No-
vember des Jahres 1829. Nachdem die Reisenden drei
Stunden mühselig fortgefahren, waren sie genöthigt, hal-
ten zu lassen. Die Pferde waren so ermüdet, die Wege
so schlecht, und bei jedem Schritte drohte der Wagen
zu zerbrechen. Für den Augenblick war es nicht mög-
lich, weiter zu kommen. Wo aber sollte man in dieser
Wildniß eine Unterkunft finden? Die hereinbrechende
Nacht machte die Lage noch bedenklicher. Glücklicher-
weise entdeckte man in einiger Enfernung den Rauch ei-
ner menschlichen Wohnung; mit Hülfe der Peitsche ge-
lang es dem Kutscher, die Pferde zu vermögen, den
Wagen dorthin zu ziehen.

Das Haus, vor dem der Wagen jetzt hielt, sah
mehr einer ärmlichen Hütte, als einem Wirthshause gleich.
Eine Dame steigt aus, über die Jugend hinaus, doch
noch immer von hübschem Ansehen; nach ihr kommt ihre
Tochter, die sich noch in dem Alter der ersten Schüch-
ternheit befindet, und eine Kammerfrau; dieß war die
ganze Reisegesellschaft. Man tritt in eine niedrige, ver-
witterte und räucherige Stube.

- Habt ihr Hafer für meine Pferde? spricht die
Dame, eine Frau von Vaublanc, zu einem alten Weibe
von häßlichem Aussehen.

- Ja Madame, antwortete diese, und mehr als
sie fressen werden.

- So führt die Pferde in den Stall, sagte die
Dame, sich zum Kutscher wendend, dann zur Wirthin
gekehrt, und was haben Sie für uns, Frau Wirthin?

- Brodt, wie wir armen Leute es nun eben essen,
Käse und übrig gebliebenes Ragout.

- Das ist mehr, als wir zu hoffen wagten. Las-
sen Sie uns nun das Zimmer anweisen, wo wir über-
nachten können, und machen Sie uns vor allen Dingen
ein gutes Feuer, denn uns friert.

- Das eine Zimmer, das ich habe, steht Jhnen
zu Diensten; steigen Sie nur die kleine Treppe hinauf.

- Wollen Sie uns nicht ein Licht geben?

- Jch habe kein Licht.

- So werden Sie uns eine Lampe geben können!

- Die ist sehr schlecht.

- Gleichviel, geben Sie immerhin.

Hierauf ergriff Frau von Vaublanc mit ihren sau-
bern Fingern die schmutzige Lampe, zündete sie an und ließ sich,
ihre Tochter und die Kammerfrau in das Zimmer führen.

Es schien der Frau von Vaublanc klar, daß sie
in eine Diebesherberge gerathen sei, allein sie verbarg
ihre Vermuthungen, um ihre Tochter nicht noch mehr
in Angst zu setzen, die ohnedieß halb vor Kälte, halb
vor Angst mit den Zähnen klapperte.

[Spaltenumbruch]

Jndeß wurde Feuer gemacht, und der Mann der
alten Frau, der bei der Ankunft der Reisenden sich im
Walde befunden hatte, brachte das Essen herein. Seine
Wangen waren ausgehöhlt, und unter den dicken, zu-
sammengekniffenen Brauen schielten zwei grünliche Au-
gen hervor. So muß ein Spitzbube aussehen. Er ver-
stellt sich indessen und zeigt sich heiter, selbst höflich.
Er legt Scheite in das Feuer und entfernt sich dann,
nachdem er einige plumpe Scherze gemacht.

Die Reisenden setzen sich zum Essen; das Brodt
war sehr hart und das Ragout hatte eben nicht einen
sehr reizenden Geruch; allein wie man zu sagen pflegt,
"für den Hungrigen ist leicht gekocht." Nach beendig-
tem Essen fühlten sich das junge Fräulein und die Kam-
merfrau so vom Schlafe übermannt, daß sie sich in eine
an das Zimmer stoßende Kammer zurückziehen und sich
dort auf einen elenden Strohsack werfen mußten, um
alsbald in tiefen Schlaf zu verfallen.

Frau von Vaublanc allein wachte und mußte sich
mit Muth und Geistesgegenwart für alle drei zu waff-
nen suchen. Vor allen Dingen verschanzt sie die Thür
mit einigem großen Möbel, legt ein treffliches Jagdmes-
ser und ein Paar Pistolen, ohne die sie nie zu reisen
pflegte, vor sich auf den Tisch, schürt das Feuer, putzt
die Lampe und legt sich völlig angekleidet auf das Bett,
in Erwartung des nicht nur möglichen, sondern sogar
wahrscheinlichen Ueberfalls.

Nach einigen Stunden - die Nacht mußte bereits
weit vorgerückt sein - läßt sich ein leises Knarren ver-
nehmen. Frau von Vaublanc erhebt sich lauschend und
unterscheidet bald das Geräusch, welches Hände verur-
sachen, die an einer Wand herumstreifen, um etwas im
Finstern zu suchen. Sie besinnt sich keinen Augenblick,
sondern steht leise auf und folgt dem Geräusche, in der
einen Hand das Jagdmesser, in der andern die Pistole
haltend. Plötzlich wird eine verborgene Thüre geöffnet
und zwei bewaffnete Kerle, wovon der Eine eine Blend-
laterne trug, treten mit bloßen Füßen ein.

Unsere Heldin zaudert nicht; mit einem Hiebe schlägt
sie ihm die Hand ab, worin er die Laterne hält. Der
Bösewicht stößt einen Schrei aus und stürzt im Blut
gebadet nieder; sein Gefährte entflieht. Frau von Vau-
blanc bindet ihren besiegten Feind, der die Besinnung
verloren hat, an die Bettstelle. Mit Anbruch des Ta-
ges weckt sie ihre Gefährtinnen, läßt anspannen und
verläßt das Haus, dessen Bewohner schon längst entflo-
hen waren. Jn der nächsten Stadt, Mezieres, macht
sie die Anzeige, und die Gerichte verfügen sich an den
Ort, wo man den verwundeten Räuber festnimmt und
mit Hülfe seiner Aussage auch der andern habhaft wird.

Bei dem Verhöre gestehen sie eine Menge Untha-
ten, unter anderm Etwas, was ich kaum hier wieder
zu geben wage. Sie hatten nämlich den armen Rei-
senden aus dem Fleische der Ermordeten Speisen berei-
tet und ihnen vorgesetzt!...

Das, was ich hier erzählte, hat sich zugetragen
und ist ein abermaliger Beleg, welcher Muth die Frauen
im entscheidenden Augenblicke beseelt.



[Ende Spaltensatz]

473 Conversations=Blatt. 474
[Beginn Spaltensatz] einer Leidenschaft, die durch vereiteltes Glück, ja fast
Hoffnungslosigkeit, an Stärke nur noch gewonnen hatte.

„Kate, Kate!“ rief er laut, „wach' auf. Erschrick
nicht, 's ist nur der William. Stehe auf, und komm mit heim.“

Er wollte ihr aufhelfen, allein sie winkte ihm ab –
blickte um sich und heftete dann ihr Auge forschend auf die See.

    (Fortsetzung folgt.)



Der Muth einer Dame.

Es war mitten in den Ardennen, dem rauhesten,
wildesten Departement von Frankreich, im Monat No-
vember des Jahres 1829. Nachdem die Reisenden drei
Stunden mühselig fortgefahren, waren sie genöthigt, hal-
ten zu lassen. Die Pferde waren so ermüdet, die Wege
so schlecht, und bei jedem Schritte drohte der Wagen
zu zerbrechen. Für den Augenblick war es nicht mög-
lich, weiter zu kommen. Wo aber sollte man in dieser
Wildniß eine Unterkunft finden? Die hereinbrechende
Nacht machte die Lage noch bedenklicher. Glücklicher-
weise entdeckte man in einiger Enfernung den Rauch ei-
ner menschlichen Wohnung; mit Hülfe der Peitsche ge-
lang es dem Kutscher, die Pferde zu vermögen, den
Wagen dorthin zu ziehen.

Das Haus, vor dem der Wagen jetzt hielt, sah
mehr einer ärmlichen Hütte, als einem Wirthshause gleich.
Eine Dame steigt aus, über die Jugend hinaus, doch
noch immer von hübschem Ansehen; nach ihr kommt ihre
Tochter, die sich noch in dem Alter der ersten Schüch-
ternheit befindet, und eine Kammerfrau; dieß war die
ganze Reisegesellschaft. Man tritt in eine niedrige, ver-
witterte und räucherige Stube.

– Habt ihr Hafer für meine Pferde? spricht die
Dame, eine Frau von Vaublanc, zu einem alten Weibe
von häßlichem Aussehen.

– Ja Madame, antwortete diese, und mehr als
sie fressen werden.

– So führt die Pferde in den Stall, sagte die
Dame, sich zum Kutscher wendend, dann zur Wirthin
gekehrt, und was haben Sie für uns, Frau Wirthin?

– Brodt, wie wir armen Leute es nun eben essen,
Käse und übrig gebliebenes Ragout.

– Das ist mehr, als wir zu hoffen wagten. Las-
sen Sie uns nun das Zimmer anweisen, wo wir über-
nachten können, und machen Sie uns vor allen Dingen
ein gutes Feuer, denn uns friert.

– Das eine Zimmer, das ich habe, steht Jhnen
zu Diensten; steigen Sie nur die kleine Treppe hinauf.

– Wollen Sie uns nicht ein Licht geben?

– Jch habe kein Licht.

– So werden Sie uns eine Lampe geben können!

– Die ist sehr schlecht.

– Gleichviel, geben Sie immerhin.

Hierauf ergriff Frau von Vaublanc mit ihren sau-
bern Fingern die schmutzige Lampe, zündete sie an und ließ sich,
ihre Tochter und die Kammerfrau in das Zimmer führen.

Es schien der Frau von Vaublanc klar, daß sie
in eine Diebesherberge gerathen sei, allein sie verbarg
ihre Vermuthungen, um ihre Tochter nicht noch mehr
in Angst zu setzen, die ohnedieß halb vor Kälte, halb
vor Angst mit den Zähnen klapperte.

[Spaltenumbruch]

Jndeß wurde Feuer gemacht, und der Mann der
alten Frau, der bei der Ankunft der Reisenden sich im
Walde befunden hatte, brachte das Essen herein. Seine
Wangen waren ausgehöhlt, und unter den dicken, zu-
sammengekniffenen Brauen schielten zwei grünliche Au-
gen hervor. So muß ein Spitzbube aussehen. Er ver-
stellt sich indessen und zeigt sich heiter, selbst höflich.
Er legt Scheite in das Feuer und entfernt sich dann,
nachdem er einige plumpe Scherze gemacht.

Die Reisenden setzen sich zum Essen; das Brodt
war sehr hart und das Ragout hatte eben nicht einen
sehr reizenden Geruch; allein wie man zu sagen pflegt,
„für den Hungrigen ist leicht gekocht.“ Nach beendig-
tem Essen fühlten sich das junge Fräulein und die Kam-
merfrau so vom Schlafe übermannt, daß sie sich in eine
an das Zimmer stoßende Kammer zurückziehen und sich
dort auf einen elenden Strohsack werfen mußten, um
alsbald in tiefen Schlaf zu verfallen.

Frau von Vaublanc allein wachte und mußte sich
mit Muth und Geistesgegenwart für alle drei zu waff-
nen suchen. Vor allen Dingen verschanzt sie die Thür
mit einigem großen Möbel, legt ein treffliches Jagdmes-
ser und ein Paar Pistolen, ohne die sie nie zu reisen
pflegte, vor sich auf den Tisch, schürt das Feuer, putzt
die Lampe und legt sich völlig angekleidet auf das Bett,
in Erwartung des nicht nur möglichen, sondern sogar
wahrscheinlichen Ueberfalls.

Nach einigen Stunden – die Nacht mußte bereits
weit vorgerückt sein – läßt sich ein leises Knarren ver-
nehmen. Frau von Vaublanc erhebt sich lauschend und
unterscheidet bald das Geräusch, welches Hände verur-
sachen, die an einer Wand herumstreifen, um etwas im
Finstern zu suchen. Sie besinnt sich keinen Augenblick,
sondern steht leise auf und folgt dem Geräusche, in der
einen Hand das Jagdmesser, in der andern die Pistole
haltend. Plötzlich wird eine verborgene Thüre geöffnet
und zwei bewaffnete Kerle, wovon der Eine eine Blend-
laterne trug, treten mit bloßen Füßen ein.

Unsere Heldin zaudert nicht; mit einem Hiebe schlägt
sie ihm die Hand ab, worin er die Laterne hält. Der
Bösewicht stößt einen Schrei aus und stürzt im Blut
gebadet nieder; sein Gefährte entflieht. Frau von Vau-
blanc bindet ihren besiegten Feind, der die Besinnung
verloren hat, an die Bettstelle. Mit Anbruch des Ta-
ges weckt sie ihre Gefährtinnen, läßt anspannen und
verläßt das Haus, dessen Bewohner schon längst entflo-
hen waren. Jn der nächsten Stadt, Mezieres, macht
sie die Anzeige, und die Gerichte verfügen sich an den
Ort, wo man den verwundeten Räuber festnimmt und
mit Hülfe seiner Aussage auch der andern habhaft wird.

Bei dem Verhöre gestehen sie eine Menge Untha-
ten, unter anderm Etwas, was ich kaum hier wieder
zu geben wage. Sie hatten nämlich den armen Rei-
senden aus dem Fleische der Ermordeten Speisen berei-
tet und ihnen vorgesetzt!...

Das, was ich hier erzählte, hat sich zugetragen
und ist ein abermaliger Beleg, welcher Muth die Frauen
im entscheidenden Augenblicke beseelt.



[Ende Spaltensatz]
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Die Reisenden setzen sich zum Essen; das Brodt war sehr hart und das Ragout hatte eben nicht einen sehr reizenden Geruch; allein wie man zu sagen pflegt, „für den Hungrigen ist leicht gekocht.“ Nach beendig- tem Essen fühlten sich das junge Fräulein und die Kam- merfrau so vom Schlafe übermannt, daß sie sich in eine an das Zimmer stoßende Kammer zurückziehen und sich dort auf einen elenden Strohsack werfen mußten, um alsbald in tiefen Schlaf zu verfallen. Frau von Vaublanc allein wachte und mußte sich mit Muth und Geistesgegenwart für alle drei zu waff- nen suchen. Vor allen Dingen verschanzt sie die Thür mit einigem großen Möbel, legt ein treffliches Jagdmes- ser und ein Paar Pistolen, ohne die sie nie zu reisen pflegte, vor sich auf den Tisch, schürt das Feuer, putzt die Lampe und legt sich völlig angekleidet auf das Bett, in Erwartung des nicht nur möglichen, sondern sogar wahrscheinlichen Ueberfalls. 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Zitationshilfe: Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 30. Burg/Berlin, 1837, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt30_1837/7>, abgerufen am 24.11.2024.