Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 29. Burg/Berlin, 1837.447 Conversations=Blatt. 448 [Beginn Spaltensatz]
Die Nebenbuhler unsers Rheinfalls, die Catarak- Daß dieser Strom einst, bevor er durch den Bo- Denn was der Rhein von Schutt und Schlamm So mag der Rheinfall bei Schaffhausen ein Ge- Es ist in unsern Tagen nichts Seltnes, das Schöne Alhambra. (Fortsetzung.) Die Ordnung der Säulen ist nicht minder bizarr, Dies ist die Löwenquelle, die so berühmt in den Wie überall, so befriedigt auch hier die Poesie un- 447 Conversations=Blatt. 448 [Beginn Spaltensatz]
Die Nebenbuhler unsers Rheinfalls, die Catarak- Daß dieser Strom einst, bevor er durch den Bo- Denn was der Rhein von Schutt und Schlamm So mag der Rheinfall bei Schaffhausen ein Ge- Es ist in unsern Tagen nichts Seltnes, das Schöne Alhambra. (Fortsetzung.) Die Ordnung der Säulen ist nicht minder bizarr, Dies ist die Löwenquelle, die so berühmt in den Wie überall, so befriedigt auch hier die Poesie un- <TEI> <text> <body> <div type="jArticle" n="1"> <pb facs="#f0002"/> <fw type="header" place="top">447 <hi rendition="#c">Conversations=Blatt.</hi> <hi rendition="#right">448</hi></fw> <cb type="start" n="447"/> <p>Die Nebenbuhler unsers Rheinfalls, die Catarak-<lb/> ten des <hi rendition="#g">Niagarastroms</hi> an Kanada's Gränzen, des<lb/><hi rendition="#g">Bogota</hi> in Colombien, des <hi rendition="#g">Pyrl</hi> in den indischen<lb/> Rajemahalgebirgen, mögen ihn an Größe, nicht aber an<lb/> Ruhm übertreffen. Jndessen dieser Ruhm ist auch noch<lb/> nicht alt. Es scheint fast, die welterobernden Römer<lb/> kannten den Rheinfall gar nicht; denn keiner ihrer<lb/> Schriftsteller spricht von ihm. Und doch kundschafteten<lb/> die Römer auf ihren Feldzügen jedes Land mit Sorg-<lb/> falt aus; freilich nur in militärischer Hinsicht. Dazu<lb/> war der Rheinfall ihnen wahrscheinlich ohne Wichtigkeit.<lb/> Landschaftliche Naturschönheiten hatten überhaupt, scheint<lb/> es, keinen besondern Reiz für sie; wenigstens ließen sie<lb/> sich, selbst ihre Dichter, selten in Beschreibungen dersel-<lb/> ben ein. Vielleicht aber war auch <hi rendition="#g">der Rheinfall<lb/> noch nicht vorhanden.</hi> </p><lb/> <p>Daß dieser Strom einst, bevor er durch den Bo-<lb/> densee ging, den Weg durch den Wallen= und Zürichsee<lb/> in das Aarebett genommen habe, ist kaum zu bezweifeln.<lb/> Der venetische und akronische See des Alterthums (wie<lb/> sonst der Bodensee hieß) hatte damals also keinen an-<lb/> dern Abfluß von Gewässern, als von denen, welche ihm<lb/> durch einzelne Bäche der schwäbischen und schweizerischen<lb/> Seite zugeführt worden waren. Dieser Abfluß war unbedeu-<lb/> tend; ward mithin nicht beachtet, zumal wenn die jetzige<lb/> Felswand, über welche das Wasser niederstürzt, noch nicht<lb/> durch den Wogenfall hervorgewühlt war. Jn <hi rendition="#g">Schaff-<lb/> hausen</hi> unter der Brücke, also eine halbe Stunde vom<lb/> Rheinfall entfernt, ist die Oberfläche des Flusses um<lb/> achtzig Fuß höher, als die Fläche derselben unterhalb<lb/> dem Rheinfall; das Wasser konnte daher zwischen den<lb/> Felsenufern den Weg lange Zeit ohne Geräusch zurückle-<lb/> gen. Anders aber ward es, als der Rhein endlich sei-<lb/> nen Lauf gegen den Bodensee durchbrochen hatte, und<lb/> er die Fülle seines ganzen Wasserschatzes in denselben<lb/> ergoß, die er von 150 Gletschern und zahllosen Wald-<lb/> strömen und Gießbächen des rhätischen Gebirgs empfängt.<lb/> Dieß war freilich schon zur Zeit der Römer der Fall.<lb/> Allein vielleicht gehörte noch ein Jahrtausend dazu und<lb/> mehr, um die allmählige, schräge Verflächung des Flußes<lb/> so auszuwühlen, daß unter den Felsen von <hi rendition="#g">Laufen</hi> ein<lb/> senkrechter Wogensturz von 70 – 80 Fuß entstand.<lb/> Wahrscheinlich bohrt er sein Becken fort und fort tiefer.<lb/> Wenigstens füllt er dasselbe nicht mit Geschieben aus.</p><lb/> <p>Denn was der Rhein von Schutt und Schlamm<lb/> aus den Gebirgen und Thälern Gräubündens fortreißt,<lb/> setzt er im Bette des Bodensee's ab. Dafür ist in die-<lb/> sem noch Platz genug, weil er nicht nur einen Raum<lb/> von zehn Geviertmeilen einnimmt, sondern stellenweis,<lb/> wie z. B. zwischen Lindau und Bregenz eine Tiefe von<lb/> 2300 Fuß, also eine größere hat, als die Nordsee und<lb/> das baltische Meer. Wie würde der alte <hi rendition="#g">Ammian<lb/> Marcellin</hi> erstaunen, wenn er heut die Gestade des<lb/> Bodensees oder des Brigantinischen Sees, wie er ihn<lb/> nennt, mit Städten, Dörfern, Fruchtfeldern und Gärten<lb/> umkränzt erblicken könnte. Zu seiner Zeit, also im drit-<lb/> ten Jahrhundert, starrten diese Ufer noch von wüsten<lb/> dichten Waldungen, durch welche Rom blos eine Mili-<lb/> tärstraße gebahnt hatte.</p><lb/> <cb n="448"/> <p>So mag der Rheinfall bei Schaffhausen ein Ge-<lb/> bilde späterer Zeit sein, von welchem die Römerzeit nichts<lb/> kannte, wie hinwieder der <hi rendition="#g">Niagarafall</hi> in Nordame-<lb/> rika wahrscheinlich nach tausend Jahren auf einer ganz<lb/> andern Stelle gesucht werden muß, als heutigen Tages.<lb/> Denn nach neuen Beobachtungen rückt derselbe, durch<lb/> fortwachsende Anhäufungen des Schutts und Geschiebes,<lb/> immer mehr dem Ontario=See entgegen. Aus Strichen<lb/> und Zeichen, die man im Felsen dicht neben dem großen<lb/> Fall angebracht hat, ersieht man, daß der Wogensturz<lb/> in den letzten 25 Jahren um 19 Fuß 7 Zoll vorge-<lb/> rückt ist. Ursprünglich mag er in der Nähe des Erie-<lb/> Sees gewesen sein.</p><lb/> <p>Es ist in unsern Tagen nichts Seltnes, das Schöne<lb/> dem Nützlichen aufgeopfert zu sehen. Selbst die Pracht<lb/> des Rheinfalls zu zerstören, kam Jemand auf den Ein-<lb/> fall, vorzuschlagen, damit man stromabwärts schiffen<lb/> könne. Der Entwurf ging von einem Tausendkünstler<lb/> aus, der auch sogar Gletscher, mit darüber zu streuen-<lb/> dem Kohlenstaub, wegzuschaffen hoffte, wo sie den Nach-<lb/> barn lästig wären. – Zum Glück blieb das Kolossale<lb/> an diesen Gedanken ihr Bestes. 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Ueber diesen Vierecken,<lb/> Zierrathen und Jnschriften erhebt sich eine Einfassung<lb/> von Holz, überladen mit geschickt geschnittenen Ornamen-<lb/> ten. Ein ziemlich leichtes Dach von rothen Ziegeln<lb/> springt vor und deckt den grünen Dom, der die Quel-<lb/> len beschattet.</p><lb/> <p>Dies ist die Löwenquelle, die so berühmt in den<lb/> maurischen Romanzen ist. Wer hätte nicht gehört von<lb/> den sechzig Säulen, die sie umgeben; sechzig Säulen<lb/> von weißem Marmor, rein wie der Marmor von Car-<lb/> rara, glänzend wie der von Paros? Wer kannte nicht<lb/> diese Springbrunnen, die in ihrem Niederfall alle Far-<lb/> ben des Regenbogens wiederspiegeln? Jch muß jedoch<lb/> gestehen, daß meiner Begeisterung zum Trotze jene zwölf<lb/> Löwen, welche die Araber so hoch gerühmt haben, mir<lb/> nicht würdig schienen des schönen Beckens, welches sie<lb/> tragen. Vielleicht weil es die erste nachahmende arabi-<lb/> sche Skulptur war, die ich sah, vielleicht, weil die Quelle<lb/> damals nicht floß.</p><lb/> <p>Wie überall, so befriedigt auch hier die Poesie un-<lb/> sere Neugierde, und flößt uns Empfindungen ein, die<lb/> mit dem Orte, wo wir uns befinden, übereinstimmen.</p><lb/> <cb type="end"/> </div> </body> </text> </TEI> [0002]
447 Conversations=Blatt. 448
Die Nebenbuhler unsers Rheinfalls, die Catarak-
ten des Niagarastroms an Kanada's Gränzen, des
Bogota in Colombien, des Pyrl in den indischen
Rajemahalgebirgen, mögen ihn an Größe, nicht aber an
Ruhm übertreffen. Jndessen dieser Ruhm ist auch noch
nicht alt. Es scheint fast, die welterobernden Römer
kannten den Rheinfall gar nicht; denn keiner ihrer
Schriftsteller spricht von ihm. Und doch kundschafteten
die Römer auf ihren Feldzügen jedes Land mit Sorg-
falt aus; freilich nur in militärischer Hinsicht. Dazu
war der Rheinfall ihnen wahrscheinlich ohne Wichtigkeit.
Landschaftliche Naturschönheiten hatten überhaupt, scheint
es, keinen besondern Reiz für sie; wenigstens ließen sie
sich, selbst ihre Dichter, selten in Beschreibungen dersel-
ben ein. Vielleicht aber war auch der Rheinfall
noch nicht vorhanden.
Daß dieser Strom einst, bevor er durch den Bo-
densee ging, den Weg durch den Wallen= und Zürichsee
in das Aarebett genommen habe, ist kaum zu bezweifeln.
Der venetische und akronische See des Alterthums (wie
sonst der Bodensee hieß) hatte damals also keinen an-
dern Abfluß von Gewässern, als von denen, welche ihm
durch einzelne Bäche der schwäbischen und schweizerischen
Seite zugeführt worden waren. Dieser Abfluß war unbedeu-
tend; ward mithin nicht beachtet, zumal wenn die jetzige
Felswand, über welche das Wasser niederstürzt, noch nicht
durch den Wogenfall hervorgewühlt war. Jn Schaff-
hausen unter der Brücke, also eine halbe Stunde vom
Rheinfall entfernt, ist die Oberfläche des Flusses um
achtzig Fuß höher, als die Fläche derselben unterhalb
dem Rheinfall; das Wasser konnte daher zwischen den
Felsenufern den Weg lange Zeit ohne Geräusch zurückle-
gen. Anders aber ward es, als der Rhein endlich sei-
nen Lauf gegen den Bodensee durchbrochen hatte, und
er die Fülle seines ganzen Wasserschatzes in denselben
ergoß, die er von 150 Gletschern und zahllosen Wald-
strömen und Gießbächen des rhätischen Gebirgs empfängt.
Dieß war freilich schon zur Zeit der Römer der Fall.
Allein vielleicht gehörte noch ein Jahrtausend dazu und
mehr, um die allmählige, schräge Verflächung des Flußes
so auszuwühlen, daß unter den Felsen von Laufen ein
senkrechter Wogensturz von 70 – 80 Fuß entstand.
Wahrscheinlich bohrt er sein Becken fort und fort tiefer.
Wenigstens füllt er dasselbe nicht mit Geschieben aus.
Denn was der Rhein von Schutt und Schlamm
aus den Gebirgen und Thälern Gräubündens fortreißt,
setzt er im Bette des Bodensee's ab. Dafür ist in die-
sem noch Platz genug, weil er nicht nur einen Raum
von zehn Geviertmeilen einnimmt, sondern stellenweis,
wie z. B. zwischen Lindau und Bregenz eine Tiefe von
2300 Fuß, also eine größere hat, als die Nordsee und
das baltische Meer. Wie würde der alte Ammian
Marcellin erstaunen, wenn er heut die Gestade des
Bodensees oder des Brigantinischen Sees, wie er ihn
nennt, mit Städten, Dörfern, Fruchtfeldern und Gärten
umkränzt erblicken könnte. Zu seiner Zeit, also im drit-
ten Jahrhundert, starrten diese Ufer noch von wüsten
dichten Waldungen, durch welche Rom blos eine Mili-
tärstraße gebahnt hatte.
So mag der Rheinfall bei Schaffhausen ein Ge-
bilde späterer Zeit sein, von welchem die Römerzeit nichts
kannte, wie hinwieder der Niagarafall in Nordame-
rika wahrscheinlich nach tausend Jahren auf einer ganz
andern Stelle gesucht werden muß, als heutigen Tages.
Denn nach neuen Beobachtungen rückt derselbe, durch
fortwachsende Anhäufungen des Schutts und Geschiebes,
immer mehr dem Ontario=See entgegen. Aus Strichen
und Zeichen, die man im Felsen dicht neben dem großen
Fall angebracht hat, ersieht man, daß der Wogensturz
in den letzten 25 Jahren um 19 Fuß 7 Zoll vorge-
rückt ist. Ursprünglich mag er in der Nähe des Erie-
Sees gewesen sein.
Es ist in unsern Tagen nichts Seltnes, das Schöne
dem Nützlichen aufgeopfert zu sehen. Selbst die Pracht
des Rheinfalls zu zerstören, kam Jemand auf den Ein-
fall, vorzuschlagen, damit man stromabwärts schiffen
könne. Der Entwurf ging von einem Tausendkünstler
aus, der auch sogar Gletscher, mit darüber zu streuen-
dem Kohlenstaub, wegzuschaffen hoffte, wo sie den Nach-
barn lästig wären. – Zum Glück blieb das Kolossale
an diesen Gedanken ihr Bestes. Man ließ dem Rhein-
fall sein schönes Spiel, und den Gletschern ihre Ewigkeit.
Alhambra.
(Fortsetzung.)
Die Ordnung der Säulen ist nicht minder bizarr,
als der Effekt schön. Es ist ein Kiosk der Huris. Der
Plafond dieses Hofes ist eleganter, als der des Mirten-
hofes. Ueber jeder Arkade hat man ein Viereck von
Arabesken angebracht, das mit Versen und Sentenzen
des Korans umgeben ist. Ueber den Pfeilern ist wieder
ein anderes Viereck in durchbrochener Arbeit, dessen leichte
Züge sich aus dem Mittelpunkt mit Kühnheit entwickeln
und um die massiven Kapitäler der graziös schlanken
Pfeiler zu schweben scheinen. Ueber diesen Vierecken,
Zierrathen und Jnschriften erhebt sich eine Einfassung
von Holz, überladen mit geschickt geschnittenen Ornamen-
ten. Ein ziemlich leichtes Dach von rothen Ziegeln
springt vor und deckt den grünen Dom, der die Quel-
len beschattet.
Dies ist die Löwenquelle, die so berühmt in den
maurischen Romanzen ist. Wer hätte nicht gehört von
den sechzig Säulen, die sie umgeben; sechzig Säulen
von weißem Marmor, rein wie der Marmor von Car-
rara, glänzend wie der von Paros? Wer kannte nicht
diese Springbrunnen, die in ihrem Niederfall alle Far-
ben des Regenbogens wiederspiegeln? Jch muß jedoch
gestehen, daß meiner Begeisterung zum Trotze jene zwölf
Löwen, welche die Araber so hoch gerühmt haben, mir
nicht würdig schienen des schönen Beckens, welches sie
tragen. Vielleicht weil es die erste nachahmende arabi-
sche Skulptur war, die ich sah, vielleicht, weil die Quelle
damals nicht floß.
Wie überall, so befriedigt auch hier die Poesie un-
sere Neugierde, und flößt uns Empfindungen ein, die
mit dem Orte, wo wir uns befinden, übereinstimmen.
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