Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 22. Burg/Berlin, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite
349 Conversations=Blatt. 350
[Beginn Spaltensatz]

Um die Lage der Unglücklichen ganz verzweiflungsvoll
zu machen, erhob sich der bisher günstige Wind zu einer
stets größer werdenden Stärke, bis er endlich in vollen
Sturm ausbrach. Nur Flint, der junge Gelehrte, behielt
noch einigen Muth, und während die Andern sich dumpfer
Verzweiflung überließen, geängstigt von fürchterlichen
Schmerzen und von dem Schwanken des wild umherge-
worfenen Schiffes, von dem Krachen der Masten und dem
Klappern des Takelwerks, stieg er empor auf das Verdeck,
ging zum Hinterkastell, woselbst das große Rad steht, mit
dem das Steuerruder regiert wird, und suchte dem Schiffe
eine dem Winde angemessene Richtung zu geben, damit es
nicht bald rechts, bald links herumgeschleudert würde, band
alsbald das Steuerruder fest an und ließ das Schiff fort-
treiben, obwohl er mit Entsetzen sah, daß die zu große
Masse von Segeln, welche an den Masten hing, diese abzu-
brechen drohte.

Die Nacht kam heran, immer fort flog auf dem bahn-
losen Meere die Brigg, und nur Aechzen und Stöhnen
hörte man in derselben, denn mehre Matrosen, welche der
gesalzenen Speisen überdrüssig, übermäßig von den frischen
Seefischen gegessen hatten, lagen im Sterben. Da schien
ein Hoffnungsstern aufzutauchen: in großer Entfernung
vor sich erblickte Flint ein Licht, ohne Zweifel die Laterne
eines dahin segelnden Schiffes. Er gab dem seinigen, des-
sen alleiniger Führer er war, eine solche Richtung, daß er
hoffen konnte, mit dem andern zusammenzutreffen; der Zu-
fall hatte sie ihn nur zu gut nehmen lassen, bald erschüt-
terte ein furchtbarer Stoß die Brigg; beide Schiffe waren
an einander gerannt, der Bogsprit des andern hatte die
Flanke der Brigg durchbohrt und war gesplittert, zer-
schmettert. Der außerordentlich feste Bau der Brigg,
wodurch sie allein bis dahin dem Sturme hatten trotzen
können, hatte sie auch hier von dem Untergange gerettet,
so daß das andere Schiff weit gefährlicher verletzt schien,
als das, auf welchem die Vergifteten vom Sturme dahin
gerafft wurden, daher Flint nur wenige Augenblicke die
Stimme der schreienden und scheltenden Matrosen hörte,
und auch der Ruf des Sprachrohrs bald im Winde ver-
hallte, mit welchem man wahrscheinlich die ungeschickten
Seefahrer anrufen und zur Rechenschaft ziehen wollte.

So entschwand der größte Theil der Nacht, nur durch
ein Ereigniß unterbrochen: - der Sturmwind knickte
plötzlich den zweiten Mast und warf ihn mit Segeln und
Tauen weit über Bord, wodurch die Brigg in eine höchst
gefährliche schiefe Lage gerieth, welche der junge Gelehrte
dadurch glücklich abwandte, daß er trotz der mächtigen
Wellen, die Stoß auf Stoß über das Schiff hinrollten,
die Seile abhieb, an denen der Mast früher befestigt gewe-
sen und mit denen dieser jetzt das Schiff in den Abgrund
zu ziehen drohte. Da sie gekappt waren, richtete die Brigg
sich wieder auf und schoß in der dunklen Nacht dahin;
Niemand wußte, in welchem Augenblick sie an einem Fel-
sen scheitern oder im günstigen Falle an einer Jnsel stran-
den würde.

Der Morgen rückte herauf - vier Matrosen waren
gestorben, die übrigen aber, die wahrscheinlich nicht so viel
von der giftigen Speise gegessen hatten, so wie die Passa-
giere, befanden sich auf dem Wege der Besserung und schli-
[Spaltenumbruch] chen nach und nach mühselig hervor. Der Kapitän, von
dem traurigen Zustande des Schiffes unterrichtet, befahl,
die Anker fallen zu lassen, und jetzt kehrte sich das Schiff
dem Winde entgegen; die Segel wurden zusammengebun-
den, der nachlassende Sturm gönnte den armen, dem Ver-
derben Entronnenen einige Ruhe.

    (Fortsetzung folgt.)



Der sorglose Schiffskapitän.

Unsre Fregatte "der Halbmond" kreuzte in dem mit-
telländischen Meere. Unser Kapitän, Herr Gallway,
der liebenswürdigste, trefflichste Mann von der Welt, hatte
nur einen Fehler, er war höchst bequem und schlief regel-
mäßig vierzehn Stunden des Tages, mochte vorgehen, was
da wollte, versteht sich, wenn kein Feind in der Nähe war,
denn dann wachte er acht Tage, wenn es nöthig war.
Aber Kleinigkeiten, wie ein Sturm oder ein verzweifelter
Kaper, brachten ihn nicht aus seiner Ruhe.

Eines schönen Abends war er länger als gewöhnlich
auf dem Deck auf und nieder gegangen. Nach acht Uhr
schickte er sich an, die Treppe zu seiner Kajüte hinabzustei-
gen, und man sah, mit welcher Behaglichkeit er daran
dachte, nun einer ununterbrochenen Ruhe von zwölf Stun-
den zu genießen. Jch hatte die Wache.

"Herr," sagte er, indem er sich mit der einen Hand
auf das Geländer der Treppe, mit der andern auf meine
Schulter stützte, "Herr, der Wind gefällt mir nicht, der
Himmel hängt im Westen eine kleine Sturmflagge aus.
Aufgepaßt! Jhr werdet mich von jeder Veränderung des
Wetters augenblicklich unterrichten. Gute Nacht!"

Jst je ein bestimmterer Befehl gegeben worden? Die-
ser trockene Ernst in dem wetterzerschlagenen Gesichte!
Dieses Barsche, Eindringliche des Tons! Jch wußte, was
ich zu thun hatte.

Nach einer Stunde wurde es plötzlich leewärts (ich
meine, auf der Seite, wo der Wind herwehte) kohlschwarz,
der Kühlte folgte eine lange anhaltende Bö, und ich sah
mich gezwungen, die Bramsegel, die obern Stagsegel und
Klüver bergen zu lassen - die Marssegel wurden gerefft.
Jetzt benachrichtigte ich den Kapitän von der Veränderung
des Wetters und von den gemäß dessen niedergeholten
Segeln.

"Ach," sagte der Kapitän, "starker Wind?"

"Ja, Herr," versetzte ich, "und Alles deutet auf einen
nahen Sturm."

"Ganz gut," sagte der Kapitän, "laßt mich's wissen,
wenn der Wind stärker wird."

Jch ging hinauf. Der Wind wurde jede Minute
heftiger. Nach einer halben Stunde konnte ich nicht um-
hin, den Kapitän zum zweitenmal zu wecken.

"Was ist's, Herr?"

"Vollkommener Sturm, Herr!"

"Sonst nichts?"

"Jch wollte um Erlaubniß bitten, alle Leute auf's
Deck zu rufen."

"Thut das, mein Sohn."

[Ende Spaltensatz]
349 Conversations=Blatt. 350
[Beginn Spaltensatz]

Um die Lage der Unglücklichen ganz verzweiflungsvoll
zu machen, erhob sich der bisher günstige Wind zu einer
stets größer werdenden Stärke, bis er endlich in vollen
Sturm ausbrach. Nur Flint, der junge Gelehrte, behielt
noch einigen Muth, und während die Andern sich dumpfer
Verzweiflung überließen, geängstigt von fürchterlichen
Schmerzen und von dem Schwanken des wild umherge-
worfenen Schiffes, von dem Krachen der Masten und dem
Klappern des Takelwerks, stieg er empor auf das Verdeck,
ging zum Hinterkastell, woselbst das große Rad steht, mit
dem das Steuerruder regiert wird, und suchte dem Schiffe
eine dem Winde angemessene Richtung zu geben, damit es
nicht bald rechts, bald links herumgeschleudert würde, band
alsbald das Steuerruder fest an und ließ das Schiff fort-
treiben, obwohl er mit Entsetzen sah, daß die zu große
Masse von Segeln, welche an den Masten hing, diese abzu-
brechen drohte.

Die Nacht kam heran, immer fort flog auf dem bahn-
losen Meere die Brigg, und nur Aechzen und Stöhnen
hörte man in derselben, denn mehre Matrosen, welche der
gesalzenen Speisen überdrüssig, übermäßig von den frischen
Seefischen gegessen hatten, lagen im Sterben. Da schien
ein Hoffnungsstern aufzutauchen: in großer Entfernung
vor sich erblickte Flint ein Licht, ohne Zweifel die Laterne
eines dahin segelnden Schiffes. Er gab dem seinigen, des-
sen alleiniger Führer er war, eine solche Richtung, daß er
hoffen konnte, mit dem andern zusammenzutreffen; der Zu-
fall hatte sie ihn nur zu gut nehmen lassen, bald erschüt-
terte ein furchtbarer Stoß die Brigg; beide Schiffe waren
an einander gerannt, der Bogsprit des andern hatte die
Flanke der Brigg durchbohrt und war gesplittert, zer-
schmettert. Der außerordentlich feste Bau der Brigg,
wodurch sie allein bis dahin dem Sturme hatten trotzen
können, hatte sie auch hier von dem Untergange gerettet,
so daß das andere Schiff weit gefährlicher verletzt schien,
als das, auf welchem die Vergifteten vom Sturme dahin
gerafft wurden, daher Flint nur wenige Augenblicke die
Stimme der schreienden und scheltenden Matrosen hörte,
und auch der Ruf des Sprachrohrs bald im Winde ver-
hallte, mit welchem man wahrscheinlich die ungeschickten
Seefahrer anrufen und zur Rechenschaft ziehen wollte.

So entschwand der größte Theil der Nacht, nur durch
ein Ereigniß unterbrochen: – der Sturmwind knickte
plötzlich den zweiten Mast und warf ihn mit Segeln und
Tauen weit über Bord, wodurch die Brigg in eine höchst
gefährliche schiefe Lage gerieth, welche der junge Gelehrte
dadurch glücklich abwandte, daß er trotz der mächtigen
Wellen, die Stoß auf Stoß über das Schiff hinrollten,
die Seile abhieb, an denen der Mast früher befestigt gewe-
sen und mit denen dieser jetzt das Schiff in den Abgrund
zu ziehen drohte. Da sie gekappt waren, richtete die Brigg
sich wieder auf und schoß in der dunklen Nacht dahin;
Niemand wußte, in welchem Augenblick sie an einem Fel-
sen scheitern oder im günstigen Falle an einer Jnsel stran-
den würde.

Der Morgen rückte herauf – vier Matrosen waren
gestorben, die übrigen aber, die wahrscheinlich nicht so viel
von der giftigen Speise gegessen hatten, so wie die Passa-
giere, befanden sich auf dem Wege der Besserung und schli-
[Spaltenumbruch] chen nach und nach mühselig hervor. Der Kapitän, von
dem traurigen Zustande des Schiffes unterrichtet, befahl,
die Anker fallen zu lassen, und jetzt kehrte sich das Schiff
dem Winde entgegen; die Segel wurden zusammengebun-
den, der nachlassende Sturm gönnte den armen, dem Ver-
derben Entronnenen einige Ruhe.

    (Fortsetzung folgt.)



Der sorglose Schiffskapitän.

Unsre Fregatte „der Halbmond“ kreuzte in dem mit-
telländischen Meere. Unser Kapitän, Herr Gallway,
der liebenswürdigste, trefflichste Mann von der Welt, hatte
nur einen Fehler, er war höchst bequem und schlief regel-
mäßig vierzehn Stunden des Tages, mochte vorgehen, was
da wollte, versteht sich, wenn kein Feind in der Nähe war,
denn dann wachte er acht Tage, wenn es nöthig war.
Aber Kleinigkeiten, wie ein Sturm oder ein verzweifelter
Kaper, brachten ihn nicht aus seiner Ruhe.

Eines schönen Abends war er länger als gewöhnlich
auf dem Deck auf und nieder gegangen. Nach acht Uhr
schickte er sich an, die Treppe zu seiner Kajüte hinabzustei-
gen, und man sah, mit welcher Behaglichkeit er daran
dachte, nun einer ununterbrochenen Ruhe von zwölf Stun-
den zu genießen. Jch hatte die Wache.

„Herr,“ sagte er, indem er sich mit der einen Hand
auf das Geländer der Treppe, mit der andern auf meine
Schulter stützte, „Herr, der Wind gefällt mir nicht, der
Himmel hängt im Westen eine kleine Sturmflagge aus.
Aufgepaßt! Jhr werdet mich von jeder Veränderung des
Wetters augenblicklich unterrichten. Gute Nacht!“

Jst je ein bestimmterer Befehl gegeben worden? Die-
ser trockene Ernst in dem wetterzerschlagenen Gesichte!
Dieses Barsche, Eindringliche des Tons! Jch wußte, was
ich zu thun hatte.

Nach einer Stunde wurde es plötzlich leewärts (ich
meine, auf der Seite, wo der Wind herwehte) kohlschwarz,
der Kühlte folgte eine lange anhaltende Bö, und ich sah
mich gezwungen, die Bramsegel, die obern Stagsegel und
Klüver bergen zu lassen – die Marssegel wurden gerefft.
Jetzt benachrichtigte ich den Kapitän von der Veränderung
des Wetters und von den gemäß dessen niedergeholten
Segeln.

„Ach,“ sagte der Kapitän, „starker Wind?“

„Ja, Herr,“ versetzte ich, „und Alles deutet auf einen
nahen Sturm.“

„Ganz gut,“ sagte der Kapitän, „laßt mich's wissen,
wenn der Wind stärker wird.“

Jch ging hinauf. Der Wind wurde jede Minute
heftiger. Nach einer halben Stunde konnte ich nicht um-
hin, den Kapitän zum zweitenmal zu wecken.

„Was ist's, Herr?“

„Vollkommener Sturm, Herr!“

„Sonst nichts?“

„Jch wollte um Erlaubniß bitten, alle Leute auf's
Deck zu rufen.“

„Thut das, mein Sohn.“

[Ende Spaltensatz]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div xml:id="Sturm2" type="jArticle" n="1">
        <pb facs="#f0007"/>
        <fw type="header" place="top">349 <hi rendition="#c">Conversations=Blatt.</hi> <hi rendition="#right">350</hi></fw>
        <cb type="start" n="349"/>
        <p>Um die Lage der Unglücklichen ganz verzweiflungsvoll<lb/>
zu machen, erhob sich der bisher günstige Wind zu einer<lb/>
stets größer werdenden Stärke, bis er endlich in vollen<lb/>
Sturm ausbrach. Nur Flint, der junge Gelehrte, behielt<lb/>
noch einigen Muth, und während die Andern sich dumpfer<lb/>
Verzweiflung überließen, geängstigt von fürchterlichen<lb/>
Schmerzen und von dem Schwanken des wild umherge-<lb/>
worfenen Schiffes, von dem Krachen der Masten und dem<lb/>
Klappern des Takelwerks, stieg er empor auf das Verdeck,<lb/>
ging zum Hinterkastell, woselbst das große Rad steht, mit<lb/>
dem das Steuerruder regiert wird, und suchte dem Schiffe<lb/>
eine dem Winde angemessene Richtung zu geben, damit es<lb/>
nicht bald rechts, bald links herumgeschleudert würde, band<lb/>
alsbald das Steuerruder fest an und ließ das Schiff fort-<lb/>
treiben, obwohl er mit Entsetzen sah, daß die zu große<lb/>
Masse von Segeln, welche an den Masten hing, diese abzu-<lb/>
brechen drohte.</p><lb/>
        <p>Die Nacht kam heran, immer fort flog auf dem bahn-<lb/>
losen Meere die Brigg, und nur Aechzen und Stöhnen<lb/>
hörte man in derselben, denn mehre Matrosen, welche der<lb/>
gesalzenen Speisen überdrüssig, übermäßig von den frischen<lb/>
Seefischen gegessen hatten, lagen im Sterben. Da schien<lb/>
ein Hoffnungsstern aufzutauchen: in großer Entfernung<lb/>
vor sich erblickte Flint ein Licht, ohne Zweifel die Laterne<lb/>
eines dahin segelnden Schiffes. Er gab dem seinigen, des-<lb/>
sen alleiniger Führer er war, eine solche Richtung, daß er<lb/>
hoffen konnte, mit dem andern zusammenzutreffen; der Zu-<lb/>
fall hatte sie ihn nur zu gut nehmen lassen, bald erschüt-<lb/>
terte ein furchtbarer Stoß die Brigg; beide Schiffe waren<lb/>
an einander gerannt, der Bogsprit des andern hatte die<lb/>
Flanke der Brigg durchbohrt und war gesplittert, zer-<lb/>
schmettert. Der außerordentlich feste Bau der Brigg,<lb/>
wodurch sie allein bis dahin dem Sturme hatten trotzen<lb/>
können, hatte sie auch hier von dem Untergange gerettet,<lb/>
so daß das andere Schiff weit gefährlicher verletzt schien,<lb/>
als das, auf welchem die Vergifteten vom Sturme dahin<lb/>
gerafft wurden, daher Flint nur wenige Augenblicke die<lb/>
Stimme der schreienden und scheltenden Matrosen hörte,<lb/>
und auch der Ruf des Sprachrohrs bald im Winde ver-<lb/>
hallte, mit welchem man wahrscheinlich die ungeschickten<lb/>
Seefahrer anrufen und zur Rechenschaft ziehen wollte.</p><lb/>
        <p>So entschwand der größte Theil der Nacht, nur durch<lb/>
ein Ereigniß unterbrochen: &#x2013; der Sturmwind knickte<lb/>
plötzlich den zweiten Mast und warf ihn mit Segeln und<lb/>
Tauen weit über Bord, wodurch die Brigg in eine höchst<lb/>
gefährliche schiefe Lage gerieth, welche der junge Gelehrte<lb/>
dadurch glücklich abwandte, daß er trotz der mächtigen<lb/>
Wellen, die Stoß auf Stoß über das Schiff hinrollten,<lb/>
die Seile abhieb, an denen der Mast früher befestigt gewe-<lb/>
sen und mit denen dieser jetzt das Schiff in den Abgrund<lb/>
zu ziehen drohte. Da sie gekappt waren, richtete die Brigg<lb/>
sich wieder auf und schoß in der dunklen Nacht dahin;<lb/>
Niemand wußte, in welchem Augenblick sie an einem Fel-<lb/>
sen scheitern oder im günstigen Falle an einer Jnsel stran-<lb/>
den würde.</p><lb/>
        <p>Der Morgen rückte herauf &#x2013; vier Matrosen waren<lb/>
gestorben, die übrigen aber, die wahrscheinlich nicht so viel<lb/>
von der giftigen Speise gegessen hatten, so wie die Passa-<lb/>
giere, befanden sich auf dem Wege der Besserung und schli-<lb/><cb n="350"/>
chen nach und nach mühselig hervor. Der Kapitän, von<lb/>
dem traurigen Zustande des Schiffes unterrichtet, befahl,<lb/>
die Anker fallen zu lassen, und jetzt kehrte sich das Schiff<lb/>
dem Winde entgegen; die Segel wurden zusammengebun-<lb/>
den, der nachlassende Sturm gönnte den armen, dem Ver-<lb/>
derben Entronnenen einige Ruhe.</p><lb/>
        <p><space dim="horizontal"/>   (Fortsetzung folgt.) <note type="editorial">Folgende Ausgaben, die weitere Fortsetzungteile enthalten, fehlen.</note></p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div type="jArticle" n="1">
        <head> <hi rendition="#fr">Der sorglose Schiffskapitän.</hi> </head><lb/>
        <p>Unsre Fregatte &#x201E;der Halbmond&#x201C; kreuzte in dem mit-<lb/>
telländischen Meere. Unser Kapitän, Herr <hi rendition="#g">Gallway,</hi><lb/>
der liebenswürdigste, trefflichste Mann von der Welt, hatte<lb/>
nur einen Fehler, er war höchst bequem und schlief regel-<lb/>
mäßig vierzehn Stunden des Tages, mochte vorgehen, was<lb/>
da wollte, versteht sich, wenn kein Feind in der Nähe war,<lb/>
denn dann wachte er acht Tage, wenn es nöthig war.<lb/>
Aber Kleinigkeiten, wie ein Sturm oder ein verzweifelter<lb/>
Kaper, brachten ihn nicht aus seiner Ruhe.</p><lb/>
        <p>Eines schönen Abends war er länger als gewöhnlich<lb/>
auf dem Deck auf und nieder gegangen. Nach acht Uhr<lb/>
schickte er sich an, die Treppe zu seiner Kajüte hinabzustei-<lb/>
gen, und man sah, mit welcher Behaglichkeit er daran<lb/>
dachte, nun einer ununterbrochenen Ruhe von zwölf Stun-<lb/>
den zu genießen. Jch hatte die Wache.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Herr,&#x201C; sagte er, indem er sich mit der einen Hand<lb/>
auf das Geländer der Treppe, mit der andern auf meine<lb/>
Schulter stützte, &#x201E;Herr, der Wind gefällt mir nicht, der<lb/>
Himmel hängt im Westen eine kleine Sturmflagge aus.<lb/>
Aufgepaßt! Jhr werdet mich von jeder Veränderung des<lb/>
Wetters augenblicklich unterrichten. Gute Nacht!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Jst je ein bestimmterer Befehl gegeben worden? Die-<lb/>
ser trockene Ernst in dem wetterzerschlagenen Gesichte!<lb/>
Dieses Barsche, Eindringliche des Tons! Jch wußte, was<lb/>
ich zu thun hatte.</p><lb/>
        <p>Nach einer Stunde wurde es plötzlich leewärts (ich<lb/>
meine, auf der Seite, wo der Wind herwehte) kohlschwarz,<lb/>
der Kühlte folgte eine lange anhaltende Bö, und ich sah<lb/>
mich gezwungen, die Bramsegel, die obern Stagsegel und<lb/>
Klüver bergen zu lassen &#x2013; die Marssegel wurden gerefft.<lb/>
Jetzt benachrichtigte ich den Kapitän von der Veränderung<lb/>
des Wetters und von den gemäß dessen niedergeholten<lb/>
Segeln.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ach,&#x201C; sagte der Kapitän, &#x201E;starker Wind?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja, Herr,&#x201C; versetzte ich, &#x201E;und Alles deutet auf einen<lb/>
nahen Sturm.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ganz gut,&#x201C; sagte der Kapitän, &#x201E;laßt mich's wissen,<lb/>
wenn der Wind stärker wird.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Jch ging hinauf. Der Wind wurde jede Minute<lb/>
heftiger. Nach einer halben Stunde konnte ich nicht um-<lb/>
hin, den Kapitän zum zweitenmal zu wecken.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Was ist's, Herr?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Vollkommener Sturm, Herr!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sonst nichts?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Jch wollte um Erlaubniß bitten, alle Leute auf's<lb/>
Deck zu rufen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Thut das, mein Sohn.&#x201C;</p><lb/>
        <cb type="end"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0007] 349 Conversations=Blatt. 350 Um die Lage der Unglücklichen ganz verzweiflungsvoll zu machen, erhob sich der bisher günstige Wind zu einer stets größer werdenden Stärke, bis er endlich in vollen Sturm ausbrach. Nur Flint, der junge Gelehrte, behielt noch einigen Muth, und während die Andern sich dumpfer Verzweiflung überließen, geängstigt von fürchterlichen Schmerzen und von dem Schwanken des wild umherge- worfenen Schiffes, von dem Krachen der Masten und dem Klappern des Takelwerks, stieg er empor auf das Verdeck, ging zum Hinterkastell, woselbst das große Rad steht, mit dem das Steuerruder regiert wird, und suchte dem Schiffe eine dem Winde angemessene Richtung zu geben, damit es nicht bald rechts, bald links herumgeschleudert würde, band alsbald das Steuerruder fest an und ließ das Schiff fort- treiben, obwohl er mit Entsetzen sah, daß die zu große Masse von Segeln, welche an den Masten hing, diese abzu- brechen drohte. Die Nacht kam heran, immer fort flog auf dem bahn- losen Meere die Brigg, und nur Aechzen und Stöhnen hörte man in derselben, denn mehre Matrosen, welche der gesalzenen Speisen überdrüssig, übermäßig von den frischen Seefischen gegessen hatten, lagen im Sterben. Da schien ein Hoffnungsstern aufzutauchen: in großer Entfernung vor sich erblickte Flint ein Licht, ohne Zweifel die Laterne eines dahin segelnden Schiffes. Er gab dem seinigen, des- sen alleiniger Führer er war, eine solche Richtung, daß er hoffen konnte, mit dem andern zusammenzutreffen; der Zu- fall hatte sie ihn nur zu gut nehmen lassen, bald erschüt- terte ein furchtbarer Stoß die Brigg; beide Schiffe waren an einander gerannt, der Bogsprit des andern hatte die Flanke der Brigg durchbohrt und war gesplittert, zer- schmettert. Der außerordentlich feste Bau der Brigg, wodurch sie allein bis dahin dem Sturme hatten trotzen können, hatte sie auch hier von dem Untergange gerettet, so daß das andere Schiff weit gefährlicher verletzt schien, als das, auf welchem die Vergifteten vom Sturme dahin gerafft wurden, daher Flint nur wenige Augenblicke die Stimme der schreienden und scheltenden Matrosen hörte, und auch der Ruf des Sprachrohrs bald im Winde ver- hallte, mit welchem man wahrscheinlich die ungeschickten Seefahrer anrufen und zur Rechenschaft ziehen wollte. So entschwand der größte Theil der Nacht, nur durch ein Ereigniß unterbrochen: – der Sturmwind knickte plötzlich den zweiten Mast und warf ihn mit Segeln und Tauen weit über Bord, wodurch die Brigg in eine höchst gefährliche schiefe Lage gerieth, welche der junge Gelehrte dadurch glücklich abwandte, daß er trotz der mächtigen Wellen, die Stoß auf Stoß über das Schiff hinrollten, die Seile abhieb, an denen der Mast früher befestigt gewe- sen und mit denen dieser jetzt das Schiff in den Abgrund zu ziehen drohte. Da sie gekappt waren, richtete die Brigg sich wieder auf und schoß in der dunklen Nacht dahin; Niemand wußte, in welchem Augenblick sie an einem Fel- sen scheitern oder im günstigen Falle an einer Jnsel stran- den würde. Der Morgen rückte herauf – vier Matrosen waren gestorben, die übrigen aber, die wahrscheinlich nicht so viel von der giftigen Speise gegessen hatten, so wie die Passa- giere, befanden sich auf dem Wege der Besserung und schli- chen nach und nach mühselig hervor. Der Kapitän, von dem traurigen Zustande des Schiffes unterrichtet, befahl, die Anker fallen zu lassen, und jetzt kehrte sich das Schiff dem Winde entgegen; die Segel wurden zusammengebun- den, der nachlassende Sturm gönnte den armen, dem Ver- derben Entronnenen einige Ruhe. (Fortsetzung folgt.) Der sorglose Schiffskapitän. Unsre Fregatte „der Halbmond“ kreuzte in dem mit- telländischen Meere. Unser Kapitän, Herr Gallway, der liebenswürdigste, trefflichste Mann von der Welt, hatte nur einen Fehler, er war höchst bequem und schlief regel- mäßig vierzehn Stunden des Tages, mochte vorgehen, was da wollte, versteht sich, wenn kein Feind in der Nähe war, denn dann wachte er acht Tage, wenn es nöthig war. Aber Kleinigkeiten, wie ein Sturm oder ein verzweifelter Kaper, brachten ihn nicht aus seiner Ruhe. Eines schönen Abends war er länger als gewöhnlich auf dem Deck auf und nieder gegangen. Nach acht Uhr schickte er sich an, die Treppe zu seiner Kajüte hinabzustei- gen, und man sah, mit welcher Behaglichkeit er daran dachte, nun einer ununterbrochenen Ruhe von zwölf Stun- den zu genießen. Jch hatte die Wache. „Herr,“ sagte er, indem er sich mit der einen Hand auf das Geländer der Treppe, mit der andern auf meine Schulter stützte, „Herr, der Wind gefällt mir nicht, der Himmel hängt im Westen eine kleine Sturmflagge aus. Aufgepaßt! Jhr werdet mich von jeder Veränderung des Wetters augenblicklich unterrichten. Gute Nacht!“ Jst je ein bestimmterer Befehl gegeben worden? Die- ser trockene Ernst in dem wetterzerschlagenen Gesichte! Dieses Barsche, Eindringliche des Tons! Jch wußte, was ich zu thun hatte. Nach einer Stunde wurde es plötzlich leewärts (ich meine, auf der Seite, wo der Wind herwehte) kohlschwarz, der Kühlte folgte eine lange anhaltende Bö, und ich sah mich gezwungen, die Bramsegel, die obern Stagsegel und Klüver bergen zu lassen – die Marssegel wurden gerefft. Jetzt benachrichtigte ich den Kapitän von der Veränderung des Wetters und von den gemäß dessen niedergeholten Segeln. „Ach,“ sagte der Kapitän, „starker Wind?“ „Ja, Herr,“ versetzte ich, „und Alles deutet auf einen nahen Sturm.“ „Ganz gut,“ sagte der Kapitän, „laßt mich's wissen, wenn der Wind stärker wird.“ Jch ging hinauf. Der Wind wurde jede Minute heftiger. Nach einer halben Stunde konnte ich nicht um- hin, den Kapitän zum zweitenmal zu wecken. „Was ist's, Herr?“ „Vollkommener Sturm, Herr!“ „Sonst nichts?“ „Jch wollte um Erlaubniß bitten, alle Leute auf's Deck zu rufen.“ „Thut das, mein Sohn.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt22_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt22_1836/7
Zitationshilfe: Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 22. Burg/Berlin, 1836, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt22_1836/7>, abgerufen am 24.11.2024.