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Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 22. Burg/Berlin, 1836.

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347 Conversations=Blatt. 348
[Beginn Spaltensatz]

Als wir von der Zitadelle zurückkehrten, sahen wir
die Stelle, wo sich am 5. Februar 1831 Jan van Speyck
mit dem von ihm befehligten Kanonierbote in die Luft
sprengte. Es ist bekannt, daß dasselbe zu einem Geschwa-
der gehörte, welches zu jener Zeit zur Deckung der Zitadelle
bestimmt, und auf der Schelde unfern der ersteren stationirt
war, und daß die Gewalt des Sturms die Schaluppe von
ihren Ankern gerissen und unterhalb des Bassins bei der
alten Mauer, wo sich eine Schiffswerft befindet, an das
Land geworfen hatte. Jn dem Augenblicke versammelte sich
eine große Anzahl Gesindels an dem Ufer, erstieg das Schiff,
forderte van Speyck auf, sich zu ergeben, und trat die
bereits heruntergerissene holländische Flagge mit Füßen.
Dies gab die Veranlassung zu der hierauf sofort erfolgen-
den traurigen Katastrophe. Es klingt fast wie Jronie,
wenn man einige Tage später im antwerpener Journal las:
"Nur vom Gefühle der Menschlichkeit, von der edlen Be-
wegung großmüthiger und energischer Seelen wurden unsere
Landsleute geleitet: als sie den Schiffbrüchigen Hülfe leisten
wollten, gegen die sie kein Recht hatten. Jn der Ausübung
dieser Pflichten und der rührendsten Tugenden sind unsere
Landsleute, als bedauernswürdige Opfer einer ehrenwerthen
Hingebung, untergegangen."

Die beiden berühmten Bassins an der Schelde sind
sehr groß und prächtig angelegt: Napoleon hat durch
Erbauung derselben der nachfolgenden Zeit vorgearbeitet;
in jener Periode, wo Belgien noch mit Holland ver-
einigt war, bekam der Handel Antwerpens sehr bald
einen ungeheuren Schwung, und die Schiffe aller Nationen
fanden sich zahllos in den großen Granitbecken ein. Jetzt
sind sie verlassen, nur einzelne kleine Kähne schwammen in
denselben umher, Antwerpen bedarf ihrer ferner nicht
mehr. Ein großes Lagerhaus, dessen Ursprung die an dem-
selben befindliche Jnschrift: Domus Hansae teutonicae
angiebt, steht unmittelbar an den Bassins. Die belgische
Revolution hat auf alle Quellen des Handels und Gewer-
bes einen sehr nachtheiligen Einfluß gehabt: Viele, die wohl
Anfangs von ihren Meinungen irre geleitet sein mochten,
können doch jetzt nicht umhin, das Unheil und den vielleicht
unersetzlichen Schaden, der dem Lande zugefügt worden ist,
einzusehen und zu beklagen. Die Niedergeschlagenheit ist
noch jetzt, namentlich in Antwerpen, sehr groß, auch
hat es von allen Städten Belgiens wohl die empfindlichsten
Verluste erlitten. Die reichsten Kaufleute haben die Stadt
verlassen und sind nach Deutschland, Frankreich,
England
und Holland geflüchtet. Fast scheint es, als
sollten die von den Thürmen der Kirchen und aus einzelnen
Privathäusern herabwehenden Fahnen, schwarz, roth und
gelb, die Einwohner fortwährend daran erinnern, unter
welcher Herrschaft sie sich jetzt befinden, denn im Herzen ist
der größere und angesehenere Theil derselben doch immer
noch gut orangisch gesinnt, sie können die Segnungen nicht
vergessen, welche die vorige Regierung durch milde und wahr-
haft liberale Jnstitutionen über sie herabgeschüttet. Das
Bedauern über die Revolution zeigt sich nicht selten, nur
darf es sich vor den wenigen dreisten Schreiern nicht laut
äußern: die Rückkehr der niederländischen Regierung scheint
zwar wohl nicht gewünscht zu werden, da die Meisten sich
selbst dafür zu sehr kompromittirt glauben; für den Prin-
[Spaltenumbruch] zen von Oranien
sprechen sich aber noch viele Stimmen
aus und ganz insbesondere Antwerpen steht in dem Rufe,
daß bei einer etwanigen Krisis sich hier Alles für ihn erklärt
haben würde. Es war uns sehr auffallend, bei dem ersten
Eintritte in unser Zimmer das Porträt der jetzt regierenden
Königin von Holland zu bemerken, und ich konnte
mich nicht enthalten, den uns begleitenden Domestiken des
Hauses meine Verwunderung darüber auszudrücken. Das
Stubenmädchen, eine rasche muntere Französin, antwortete
mir sogleich: "Nein, das ist nicht das Bild der Königin,
die kennen wir hier nicht;" aber ein alter grauer Diener
setzte dem fast schüchtern hinzu: "doch, doch, das ist uns're
Königin."     (Fortsetzung folgt.)



Die Sturmvögel.

Ein Seeabentheuer.
(Fortsetzung.)

Die Fische wurden gekocht und Alle, außer dem Steuer-
mann und dem jungen Gelehrten, erkrankten höchst gefähr-
lich, ja ein Matrose starb wenige Stunden darauf unter
den Anzeichen einer starken Vergiftung. Der junge Ge-
lehrte konnte sich Glück wünschen, daß er durch ein leichtes
Unwohlsein an dem Genusse der Fische gehindert worden;
der Steuermann aber schien absichtlich nicht gegessen zu
haben, und als man ihn ernsthaft befragte, ob er gewußt,
daß die Fische giftig seien, sagte er, es bejahend, ein alter
Seemann könne nicht lügen, er fürchte sich vor dem Teufel
nicht, so werde er sich vor den Menschen noch weniger
fürchten; er habe es gewußt und nicht verhindert, damit
der Jrländer, welchen er ohnedies seiner Abstammung we-
gen nicht leiden könne, daran sterbe und so für seinen Mord
an den beiden Sturmvögeln gestraft werde.

Der Jrländer, welcher den stärksten Appetit und da-
her am mehrsten gegessen hatte, befand sich in dem schreck-
lichsten Zustande, und seine Schmerzen schienen dem Steuer-
mann Freude zu machen, wenigstens war auf seinem harten
kalten Gesichte keine Spur von Mitleid oder Reue über die
verruchte That zu sehen, ja er sagte, daß er selbst seine
Kameraden nicht gewarnt, damit nur der Uebelthäter nicht
mit gewarnt würde, und daß ihm der Tod des einen der-
selben gar nicht nahe gehe, weil er wisse, derselbe würde
als Sturmvogel einst seine guten Freunde beschützen, der
Jrländer aber werde zu seinem Sankt Patrik in die Hölle
fahren.

"Jch verspreche Euch, daß Jhr in Havannah gehängt
werden sollt," sagte der Kapitän, sich in Schmerzen krüm-
mend. "Nun, so will ich sehen," rief der Jrländer aus,
"ob das alte Sprichwort wahr ist: wer hängen soll, er-
säuft nicht." Mit diesen Worten sprang er auf, packte
mit Riesenkräften den Steuermann bei der Kehle, schnürte
sie ihm zusammen, daß derselbe ganz blau ward und nichts
bewegen konnte, als die in Kreisen umherrollenden Augen,
schleppte ihn aufs Verdeck und stürzte sich mit ihm über
Bord in die Tiefe des Meeres. Niemand hatte Besinnung
und Kraft genug, den Rasenden in seinem Beginnen zu
hindern, und bald verschlang der Ozean die doppelte Beute,
denn nur kurze Zeit vermochte das Sträuben des Steuer-
manns ihn über dem Meere zu erhalten.

[Ende Spaltensatz]
347 Conversations=Blatt. 348
[Beginn Spaltensatz]

Als wir von der Zitadelle zurückkehrten, sahen wir
die Stelle, wo sich am 5. Februar 1831 Jan van Speyck
mit dem von ihm befehligten Kanonierbote in die Luft
sprengte. Es ist bekannt, daß dasselbe zu einem Geschwa-
der gehörte, welches zu jener Zeit zur Deckung der Zitadelle
bestimmt, und auf der Schelde unfern der ersteren stationirt
war, und daß die Gewalt des Sturms die Schaluppe von
ihren Ankern gerissen und unterhalb des Bassins bei der
alten Mauer, wo sich eine Schiffswerft befindet, an das
Land geworfen hatte. Jn dem Augenblicke versammelte sich
eine große Anzahl Gesindels an dem Ufer, erstieg das Schiff,
forderte van Speyck auf, sich zu ergeben, und trat die
bereits heruntergerissene holländische Flagge mit Füßen.
Dies gab die Veranlassung zu der hierauf sofort erfolgen-
den traurigen Katastrophe. Es klingt fast wie Jronie,
wenn man einige Tage später im antwerpener Journal las:
„Nur vom Gefühle der Menschlichkeit, von der edlen Be-
wegung großmüthiger und energischer Seelen wurden unsere
Landsleute geleitet: als sie den Schiffbrüchigen Hülfe leisten
wollten, gegen die sie kein Recht hatten. Jn der Ausübung
dieser Pflichten und der rührendsten Tugenden sind unsere
Landsleute, als bedauernswürdige Opfer einer ehrenwerthen
Hingebung, untergegangen.“

Die beiden berühmten Bassins an der Schelde sind
sehr groß und prächtig angelegt: Napoleon hat durch
Erbauung derselben der nachfolgenden Zeit vorgearbeitet;
in jener Periode, wo Belgien noch mit Holland ver-
einigt war, bekam der Handel Antwerpens sehr bald
einen ungeheuren Schwung, und die Schiffe aller Nationen
fanden sich zahllos in den großen Granitbecken ein. Jetzt
sind sie verlassen, nur einzelne kleine Kähne schwammen in
denselben umher, Antwerpen bedarf ihrer ferner nicht
mehr. Ein großes Lagerhaus, dessen Ursprung die an dem-
selben befindliche Jnschrift: Domus Hansae teutonicae
angiebt, steht unmittelbar an den Bassins. Die belgische
Revolution hat auf alle Quellen des Handels und Gewer-
bes einen sehr nachtheiligen Einfluß gehabt: Viele, die wohl
Anfangs von ihren Meinungen irre geleitet sein mochten,
können doch jetzt nicht umhin, das Unheil und den vielleicht
unersetzlichen Schaden, der dem Lande zugefügt worden ist,
einzusehen und zu beklagen. Die Niedergeschlagenheit ist
noch jetzt, namentlich in Antwerpen, sehr groß, auch
hat es von allen Städten Belgiens wohl die empfindlichsten
Verluste erlitten. Die reichsten Kaufleute haben die Stadt
verlassen und sind nach Deutschland, Frankreich,
England
und Holland geflüchtet. Fast scheint es, als
sollten die von den Thürmen der Kirchen und aus einzelnen
Privathäusern herabwehenden Fahnen, schwarz, roth und
gelb, die Einwohner fortwährend daran erinnern, unter
welcher Herrschaft sie sich jetzt befinden, denn im Herzen ist
der größere und angesehenere Theil derselben doch immer
noch gut orangisch gesinnt, sie können die Segnungen nicht
vergessen, welche die vorige Regierung durch milde und wahr-
haft liberale Jnstitutionen über sie herabgeschüttet. Das
Bedauern über die Revolution zeigt sich nicht selten, nur
darf es sich vor den wenigen dreisten Schreiern nicht laut
äußern: die Rückkehr der niederländischen Regierung scheint
zwar wohl nicht gewünscht zu werden, da die Meisten sich
selbst dafür zu sehr kompromittirt glauben; für den Prin-
[Spaltenumbruch] zen von Oranien
sprechen sich aber noch viele Stimmen
aus und ganz insbesondere Antwerpen steht in dem Rufe,
daß bei einer etwanigen Krisis sich hier Alles für ihn erklärt
haben würde. Es war uns sehr auffallend, bei dem ersten
Eintritte in unser Zimmer das Porträt der jetzt regierenden
Königin von Holland zu bemerken, und ich konnte
mich nicht enthalten, den uns begleitenden Domestiken des
Hauses meine Verwunderung darüber auszudrücken. Das
Stubenmädchen, eine rasche muntere Französin, antwortete
mir sogleich: „Nein, das ist nicht das Bild der Königin,
die kennen wir hier nicht;“ aber ein alter grauer Diener
setzte dem fast schüchtern hinzu: „doch, doch, das ist uns're
Königin.“     (Fortsetzung folgt.)



Die Sturmvögel.

Ein Seeabentheuer.
(Fortsetzung.)

Die Fische wurden gekocht und Alle, außer dem Steuer-
mann und dem jungen Gelehrten, erkrankten höchst gefähr-
lich, ja ein Matrose starb wenige Stunden darauf unter
den Anzeichen einer starken Vergiftung. Der junge Ge-
lehrte konnte sich Glück wünschen, daß er durch ein leichtes
Unwohlsein an dem Genusse der Fische gehindert worden;
der Steuermann aber schien absichtlich nicht gegessen zu
haben, und als man ihn ernsthaft befragte, ob er gewußt,
daß die Fische giftig seien, sagte er, es bejahend, ein alter
Seemann könne nicht lügen, er fürchte sich vor dem Teufel
nicht, so werde er sich vor den Menschen noch weniger
fürchten; er habe es gewußt und nicht verhindert, damit
der Jrländer, welchen er ohnedies seiner Abstammung we-
gen nicht leiden könne, daran sterbe und so für seinen Mord
an den beiden Sturmvögeln gestraft werde.

Der Jrländer, welcher den stärksten Appetit und da-
her am mehrsten gegessen hatte, befand sich in dem schreck-
lichsten Zustande, und seine Schmerzen schienen dem Steuer-
mann Freude zu machen, wenigstens war auf seinem harten
kalten Gesichte keine Spur von Mitleid oder Reue über die
verruchte That zu sehen, ja er sagte, daß er selbst seine
Kameraden nicht gewarnt, damit nur der Uebelthäter nicht
mit gewarnt würde, und daß ihm der Tod des einen der-
selben gar nicht nahe gehe, weil er wisse, derselbe würde
als Sturmvogel einst seine guten Freunde beschützen, der
Jrländer aber werde zu seinem Sankt Patrik in die Hölle
fahren.

„Jch verspreche Euch, daß Jhr in Havannah gehängt
werden sollt,“ sagte der Kapitän, sich in Schmerzen krüm-
mend. „Nun, so will ich sehen,“ rief der Jrländer aus,
„ob das alte Sprichwort wahr ist: wer hängen soll, er-
säuft nicht.“ Mit diesen Worten sprang er auf, packte
mit Riesenkräften den Steuermann bei der Kehle, schnürte
sie ihm zusammen, daß derselbe ganz blau ward und nichts
bewegen konnte, als die in Kreisen umherrollenden Augen,
schleppte ihn aufs Verdeck und stürzte sich mit ihm über
Bord in die Tiefe des Meeres. Niemand hatte Besinnung
und Kraft genug, den Rasenden in seinem Beginnen zu
hindern, und bald verschlang der Ozean die doppelte Beute,
denn nur kurze Zeit vermochte das Sträuben des Steuer-
manns ihn über dem Meere zu erhalten.

[Ende Spaltensatz]
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Es klingt fast wie Jronie, wenn man einige Tage später im antwerpener Journal las: „Nur vom Gefühle der Menschlichkeit, von der edlen Be- wegung großmüthiger und energischer Seelen wurden unsere Landsleute geleitet: als sie den Schiffbrüchigen Hülfe leisten wollten, gegen die sie kein Recht hatten. Jn der Ausübung dieser Pflichten und der rührendsten Tugenden sind unsere Landsleute, als bedauernswürdige Opfer einer ehrenwerthen Hingebung, untergegangen.“ Die beiden berühmten Bassins an der Schelde sind sehr groß und prächtig angelegt: Napoleon hat durch Erbauung derselben der nachfolgenden Zeit vorgearbeitet; in jener Periode, wo Belgien noch mit Holland ver- einigt war, bekam der Handel Antwerpens sehr bald einen ungeheuren Schwung, und die Schiffe aller Nationen fanden sich zahllos in den großen Granitbecken ein. Jetzt sind sie verlassen, nur einzelne kleine Kähne schwammen in denselben umher, Antwerpen bedarf ihrer ferner nicht mehr. 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Es war uns sehr auffallend, bei dem ersten Eintritte in unser Zimmer das Porträt der jetzt regierenden Königin von Holland zu bemerken, und ich konnte mich nicht enthalten, den uns begleitenden Domestiken des Hauses meine Verwunderung darüber auszudrücken. Das Stubenmädchen, eine rasche muntere Französin, antwortete mir sogleich: „Nein, das ist nicht das Bild der Königin, die kennen wir hier nicht;“ aber ein alter grauer Diener setzte dem fast schüchtern hinzu: „doch, doch, das ist uns're Königin.“ (Fortsetzung folgt.) Die Sturmvögel. Ein Seeabentheuer. (Fortsetzung.) Die Fische wurden gekocht und Alle, außer dem Steuer- mann und dem jungen Gelehrten, erkrankten höchst gefähr- lich, ja ein Matrose starb wenige Stunden darauf unter den Anzeichen einer starken Vergiftung. Der junge Ge- lehrte konnte sich Glück wünschen, daß er durch ein leichtes Unwohlsein an dem Genusse der Fische gehindert worden; der Steuermann aber schien absichtlich nicht gegessen zu haben, und als man ihn ernsthaft befragte, ob er gewußt, daß die Fische giftig seien, sagte er, es bejahend, ein alter Seemann könne nicht lügen, er fürchte sich vor dem Teufel nicht, so werde er sich vor den Menschen noch weniger fürchten; er habe es gewußt und nicht verhindert, damit der Jrländer, welchen er ohnedies seiner Abstammung we- gen nicht leiden könne, daran sterbe und so für seinen Mord an den beiden Sturmvögeln gestraft werde. Der Jrländer, welcher den stärksten Appetit und da- her am mehrsten gegessen hatte, befand sich in dem schreck- lichsten Zustande, und seine Schmerzen schienen dem Steuer- mann Freude zu machen, wenigstens war auf seinem harten kalten Gesichte keine Spur von Mitleid oder Reue über die verruchte That zu sehen, ja er sagte, daß er selbst seine Kameraden nicht gewarnt, damit nur der Uebelthäter nicht mit gewarnt würde, und daß ihm der Tod des einen der- selben gar nicht nahe gehe, weil er wisse, derselbe würde als Sturmvogel einst seine guten Freunde beschützen, der Jrländer aber werde zu seinem Sankt Patrik in die Hölle fahren. „Jch verspreche Euch, daß Jhr in Havannah gehängt werden sollt,“ sagte der Kapitän, sich in Schmerzen krüm- mend. „Nun, so will ich sehen,“ rief der Jrländer aus, „ob das alte Sprichwort wahr ist: wer hängen soll, er- säuft nicht.“ Mit diesen Worten sprang er auf, packte mit Riesenkräften den Steuermann bei der Kehle, schnürte sie ihm zusammen, daß derselbe ganz blau ward und nichts bewegen konnte, als die in Kreisen umherrollenden Augen, schleppte ihn aufs Verdeck und stürzte sich mit ihm über Bord in die Tiefe des Meeres. Niemand hatte Besinnung und Kraft genug, den Rasenden in seinem Beginnen zu hindern, und bald verschlang der Ozean die doppelte Beute, denn nur kurze Zeit vermochte das Sträuben des Steuer- manns ihn über dem Meere zu erhalten.

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Zitationshilfe: Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 22. Burg/Berlin, 1836, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt22_1836/6>, abgerufen am 24.11.2024.