Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 8. Burg/Berlin, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite
121 Conversations=Blatt. 122
[Abbildung]
[Beginn Spaltensatz]
Das Rathhaus zu Breslau.

Die Zeit der Erbauung dieses alten gothischen Ge-
bäudes läßt sich nicht mit Gewißheit bestimmen; wahr-
scheinlich geschah dies im vierzehnten Jahrhundert unter
König Johann von Böhmen. Das reiche Bildwerk an
den Simsen des Gebäudes, die vielen wunderlichen Stein-
figuren, welche theils abgebrochen, theils noch vorhan-
den sind, die Anlage der Gewölbe und die kleinern Thür-
me verrathen ganz den Geschmack jener Zeit. Wann
der Hauptthurm erbaut worden, ist ebenfalls ungewiß;
wahrscheinlich ist er gleich mit einer Uhr versehen wor-
den, denn schon 1427 wird von der Stadtuhr gespro-
chen. Sie war zuerst in 24 Stunden eingetheilt, wurde
aber im Jahre 1580 auf 12 Stunden eingerichtet.
Die Uhr treibt auch den Seiger über dem östlichen Ein-
gange des Rathhauses mittelst eines Gestänges, das
über den Boden des Hauses fortläuft. Die daran be-
findliche Kugel giebt das Ab= und Zunehmen des Mon-
des an. Jm Jahre 1635 schoß ein Pole aus Muth-
willen nach jener Seigertafel; man verstand damals in
solchen Dingen keinen Spaß, und der Frevler wurde
enthauptet.

An der Abendseite des Thurms, wie über dem
Eingange des Hauses auf jener Seite, erblickt man das
gutgearbeitete steinerne Stadtwappen, mit dem Haupte
Johannis auf der Schüssel. An den beiden Treppen-
[Spaltenumbruch] pfeilern zum östlichen Eingange sieht man zwei alte Stein-
bilder. Das Bild links zeigt einen Mann mit einem
Hammer, eine Tasche um den Leib, mit der Umschrift:
"Jch bin ein Voitknecht; wer nicht Recht thut, fodere
ich vor Recht." Sie deutet auf das alte Amt des
Vogtknechts, die Prozeßparteien vor den Stadtvogt zu
laden; wenn er sie nicht daheim fand, schlug er einen
hölzernen Pflock in die Thür, weshalb er immer der-
gleichen Pflöcke in der Tasche trug. Der Mann zur
Rechten ist ein Gewappneter, ein sogenannter reisiger
Knecht des Raths, der bisweilen zur Nachtzeit beson-
ders die Nachbarschaft der Stadt als reitende Polizei-
wache in voller Rüstung durchstreifen mußte. Er hat
die Umschrift: "Jch bin des Raths geharnschter Mann;
wer mich anfaßt, muß ein Schwert han." Ueber bei-
den Treppenpfeilern stehen Laternen.

Einer der kleinen Thürme steht über dem Schweid-
nitzer Keller, welcher seinen Namen von dem Schweid-
nitzer Biere hat, das sonst hier verzapft wurde, indem
der Rath allein befugt war, fremdes Bier auszuschen-
ken. Später wurde dies Bier von dem berühmten
"breslauer Schöps" verdrängt. Hier bewahrte man
sonst und auch wohl noch jetzt eine Menge alterthümli-
cher Andenken auf. Da ist zuerst ein in der Mitte
der Decke hangendes großes Horn; dann ein zinnerner
Hut, welchen die Zinngießer 1636 zu Ehren des Schüz-
zenkönigs aus ihrer Zunft hierher geschenkt haben; fer-
[Ende Spaltensatz]

121 Conversations=Blatt. 122
[Abbildung]
[Beginn Spaltensatz]
Das Rathhaus zu Breslau.

Die Zeit der Erbauung dieses alten gothischen Ge-
bäudes läßt sich nicht mit Gewißheit bestimmen; wahr-
scheinlich geschah dies im vierzehnten Jahrhundert unter
König Johann von Böhmen. Das reiche Bildwerk an
den Simsen des Gebäudes, die vielen wunderlichen Stein-
figuren, welche theils abgebrochen, theils noch vorhan-
den sind, die Anlage der Gewölbe und die kleinern Thür-
me verrathen ganz den Geschmack jener Zeit. Wann
der Hauptthurm erbaut worden, ist ebenfalls ungewiß;
wahrscheinlich ist er gleich mit einer Uhr versehen wor-
den, denn schon 1427 wird von der Stadtuhr gespro-
chen. Sie war zuerst in 24 Stunden eingetheilt, wurde
aber im Jahre 1580 auf 12 Stunden eingerichtet.
Die Uhr treibt auch den Seiger über dem östlichen Ein-
gange des Rathhauses mittelst eines Gestänges, das
über den Boden des Hauses fortläuft. Die daran be-
findliche Kugel giebt das Ab= und Zunehmen des Mon-
des an. Jm Jahre 1635 schoß ein Pole aus Muth-
willen nach jener Seigertafel; man verstand damals in
solchen Dingen keinen Spaß, und der Frevler wurde
enthauptet.

An der Abendseite des Thurms, wie über dem
Eingange des Hauses auf jener Seite, erblickt man das
gutgearbeitete steinerne Stadtwappen, mit dem Haupte
Johannis auf der Schüssel. An den beiden Treppen-
[Spaltenumbruch] pfeilern zum östlichen Eingange sieht man zwei alte Stein-
bilder. Das Bild links zeigt einen Mann mit einem
Hammer, eine Tasche um den Leib, mit der Umschrift:
„Jch bin ein Voitknecht; wer nicht Recht thut, fodere
ich vor Recht.“ Sie deutet auf das alte Amt des
Vogtknechts, die Prozeßparteien vor den Stadtvogt zu
laden; wenn er sie nicht daheim fand, schlug er einen
hölzernen Pflock in die Thür, weshalb er immer der-
gleichen Pflöcke in der Tasche trug. Der Mann zur
Rechten ist ein Gewappneter, ein sogenannter reisiger
Knecht des Raths, der bisweilen zur Nachtzeit beson-
ders die Nachbarschaft der Stadt als reitende Polizei-
wache in voller Rüstung durchstreifen mußte. Er hat
die Umschrift: „Jch bin des Raths geharnschter Mann;
wer mich anfaßt, muß ein Schwert han.“ Ueber bei-
den Treppenpfeilern stehen Laternen.

Einer der kleinen Thürme steht über dem Schweid-
nitzer Keller, welcher seinen Namen von dem Schweid-
nitzer Biere hat, das sonst hier verzapft wurde, indem
der Rath allein befugt war, fremdes Bier auszuschen-
ken. Später wurde dies Bier von dem berühmten
„breslauer Schöps“ verdrängt. Hier bewahrte man
sonst und auch wohl noch jetzt eine Menge alterthümli-
cher Andenken auf. Da ist zuerst ein in der Mitte
der Decke hangendes großes Horn; dann ein zinnerner
Hut, welchen die Zinngießer 1636 zu Ehren des Schüz-
zenkönigs aus ihrer Zunft hierher geschenkt haben; fer-
[Ende Spaltensatz]

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0005"/>
      <fw type="header" place="top">121 <hi rendition="#c">Conversations=Blatt.</hi> <hi rendition="#right">122</hi></fw><lb/>
      <figure/><lb/>
      <cb type="start" n="121"/>
      <div type="jArticle" n="1">
        <head> <hi rendition="#fr">Das Rathhaus zu Breslau.</hi> </head><lb/>
        <p>Die Zeit der Erbauung dieses alten gothischen Ge-<lb/>
bäudes läßt sich nicht mit Gewißheit bestimmen; wahr-<lb/>
scheinlich geschah dies im vierzehnten Jahrhundert unter<lb/>
König Johann von Böhmen. Das reiche Bildwerk an<lb/>
den Simsen des Gebäudes, die vielen wunderlichen Stein-<lb/>
figuren, welche theils abgebrochen, theils noch vorhan-<lb/>
den sind, die Anlage der Gewölbe und die kleinern Thür-<lb/>
me verrathen ganz den Geschmack jener Zeit. Wann<lb/>
der Hauptthurm erbaut worden, ist ebenfalls ungewiß;<lb/>
wahrscheinlich ist er gleich mit einer Uhr versehen wor-<lb/>
den, denn schon 1427 wird von der Stadtuhr gespro-<lb/>
chen. Sie war zuerst in 24 Stunden eingetheilt, wurde<lb/>
aber im Jahre 1580 auf 12 Stunden eingerichtet.<lb/>
Die Uhr treibt auch den Seiger über dem östlichen Ein-<lb/>
gange des Rathhauses mittelst eines Gestänges, das<lb/>
über den Boden des Hauses fortläuft. Die daran be-<lb/>
findliche Kugel giebt das Ab= und Zunehmen des Mon-<lb/>
des an. Jm Jahre 1635 schoß ein Pole aus Muth-<lb/>
willen nach jener Seigertafel; man verstand damals in<lb/>
solchen Dingen keinen Spaß, und der Frevler wurde<lb/>
enthauptet.</p><lb/>
        <p>An der Abendseite des Thurms, wie über dem<lb/>
Eingange des Hauses auf jener Seite, erblickt man das<lb/>
gutgearbeitete steinerne Stadtwappen, mit dem Haupte<lb/>
Johannis auf der Schüssel. An den beiden Treppen-<lb/><cb n="122"/>
pfeilern zum östlichen Eingange sieht man zwei alte Stein-<lb/>
bilder. Das Bild links zeigt einen Mann mit einem<lb/>
Hammer, eine Tasche um den Leib, mit der Umschrift:<lb/>
&#x201E;Jch bin ein Voitknecht; wer nicht Recht thut, fodere<lb/>
ich vor Recht.&#x201C; Sie deutet auf das alte Amt des<lb/>
Vogtknechts, die Prozeßparteien vor den Stadtvogt zu<lb/>
laden; wenn er sie nicht daheim fand, schlug er einen<lb/>
hölzernen Pflock in die Thür, weshalb er immer der-<lb/>
gleichen Pflöcke in der Tasche trug. Der Mann zur<lb/>
Rechten ist ein Gewappneter, ein sogenannter reisiger<lb/>
Knecht des Raths, der bisweilen zur Nachtzeit beson-<lb/>
ders die Nachbarschaft der Stadt als reitende Polizei-<lb/>
wache in voller Rüstung durchstreifen mußte. Er hat<lb/>
die Umschrift: &#x201E;Jch bin des Raths geharnschter Mann;<lb/>
wer mich anfaßt, muß ein Schwert han.&#x201C; Ueber bei-<lb/>
den Treppenpfeilern stehen Laternen.</p><lb/>
        <p>Einer der kleinen Thürme steht über dem Schweid-<lb/>
nitzer Keller, welcher seinen Namen von dem Schweid-<lb/>
nitzer Biere hat, das sonst hier verzapft wurde, indem<lb/>
der Rath allein befugt war, fremdes Bier auszuschen-<lb/>
ken. Später wurde dies Bier von dem berühmten<lb/>
&#x201E;breslauer Schöps&#x201C; verdrängt. Hier bewahrte man<lb/>
sonst und auch wohl noch jetzt eine Menge alterthümli-<lb/>
cher Andenken auf. Da ist zuerst ein in der Mitte<lb/>
der Decke hangendes großes Horn; dann ein zinnerner<lb/>
Hut, welchen die Zinngießer 1636 zu Ehren des Schüz-<lb/>
zenkönigs aus ihrer Zunft hierher geschenkt haben; fer-<lb/><cb type="end"/>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0005] 121 Conversations=Blatt. 122 [Abbildung] Das Rathhaus zu Breslau. Die Zeit der Erbauung dieses alten gothischen Ge- bäudes läßt sich nicht mit Gewißheit bestimmen; wahr- scheinlich geschah dies im vierzehnten Jahrhundert unter König Johann von Böhmen. Das reiche Bildwerk an den Simsen des Gebäudes, die vielen wunderlichen Stein- figuren, welche theils abgebrochen, theils noch vorhan- den sind, die Anlage der Gewölbe und die kleinern Thür- me verrathen ganz den Geschmack jener Zeit. Wann der Hauptthurm erbaut worden, ist ebenfalls ungewiß; wahrscheinlich ist er gleich mit einer Uhr versehen wor- den, denn schon 1427 wird von der Stadtuhr gespro- chen. Sie war zuerst in 24 Stunden eingetheilt, wurde aber im Jahre 1580 auf 12 Stunden eingerichtet. Die Uhr treibt auch den Seiger über dem östlichen Ein- gange des Rathhauses mittelst eines Gestänges, das über den Boden des Hauses fortläuft. Die daran be- findliche Kugel giebt das Ab= und Zunehmen des Mon- des an. Jm Jahre 1635 schoß ein Pole aus Muth- willen nach jener Seigertafel; man verstand damals in solchen Dingen keinen Spaß, und der Frevler wurde enthauptet. An der Abendseite des Thurms, wie über dem Eingange des Hauses auf jener Seite, erblickt man das gutgearbeitete steinerne Stadtwappen, mit dem Haupte Johannis auf der Schüssel. An den beiden Treppen- pfeilern zum östlichen Eingange sieht man zwei alte Stein- bilder. Das Bild links zeigt einen Mann mit einem Hammer, eine Tasche um den Leib, mit der Umschrift: „Jch bin ein Voitknecht; wer nicht Recht thut, fodere ich vor Recht.“ Sie deutet auf das alte Amt des Vogtknechts, die Prozeßparteien vor den Stadtvogt zu laden; wenn er sie nicht daheim fand, schlug er einen hölzernen Pflock in die Thür, weshalb er immer der- gleichen Pflöcke in der Tasche trug. Der Mann zur Rechten ist ein Gewappneter, ein sogenannter reisiger Knecht des Raths, der bisweilen zur Nachtzeit beson- ders die Nachbarschaft der Stadt als reitende Polizei- wache in voller Rüstung durchstreifen mußte. Er hat die Umschrift: „Jch bin des Raths geharnschter Mann; wer mich anfaßt, muß ein Schwert han.“ Ueber bei- den Treppenpfeilern stehen Laternen. Einer der kleinen Thürme steht über dem Schweid- nitzer Keller, welcher seinen Namen von dem Schweid- nitzer Biere hat, das sonst hier verzapft wurde, indem der Rath allein befugt war, fremdes Bier auszuschen- ken. Später wurde dies Bier von dem berühmten „breslauer Schöps“ verdrängt. Hier bewahrte man sonst und auch wohl noch jetzt eine Menge alterthümli- cher Andenken auf. Da ist zuerst ein in der Mitte der Decke hangendes großes Horn; dann ein zinnerner Hut, welchen die Zinngießer 1636 zu Ehren des Schüz- zenkönigs aus ihrer Zunft hierher geschenkt haben; fer-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt08_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt08_1836/5
Zitationshilfe: Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 8. Burg/Berlin, 1836, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt08_1836/5>, abgerufen am 24.11.2024.