Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 5. Burg/Berlin, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

67 Conversations=Blatt. 68
[Beginn Spaltensatz] ten Heere; und während das übrige Deutschland in
harter Knechtschaft seufzte, boten sie allein, in ihren
Felsen, wie in einer Festung verschanzt, den Siegern
von Eckmühl und Wagram die Spitze und wichen nur
der Uebermacht. - Die Häupter dieser streitbaren
Männer, Bauern wie sie selbst, bieten uns ein seltsa-
mes Gemisch von Größe und Einfachheit, von Herois-
mus und roher Naturkraft dar; ihre Namen sind, den
einzigen Hofer abgerechnet, fast sämtlich der Vergessen-
heit übergeben; und dennoch ist es ein Mann, der nächst
dem Sandwirthe das theuerste und ruhmwürdigste An-
denken in Tyrol hinterlassen und gewiß gerechte An-
sprüche darauf hat, als ein Muster echten Heldensinnes
und aufrichtiger Anhänglichkeit gegen das angestammte
Herrscherhaus aufgestellt zu werden. Wir meinen den
beherzten Joseph Speckbacher, auch Feuerteufel ge-
nannt. Er war in Tyrol in einem kleinen Dorfe, in
der Nähe von Hall, im Jahre 1768 geboren. Sein
Vater, ein Holzlieferant, erfreute sich eines ziemlichen
Wohlstandes, starb aber, bevor er sich die Erziehung
seines Sohnes angelegen sein lassen konnte; bald folgte
ihm auch seine Frau in's Grab, und Joseph in einem
Alter von noch nicht zehn Jahren, der Stütze seiner El-
tern beraubt, ward der Pflege ferner Verwandten an-
vertraut. Diese vernachlässigten jedoch ihren Mündel
auf so auffallende Weise, daß sie ihn nicht einmal im
Schreiben und Lesen unterrichten ließen. Jndessen er-
setzte er diesen Mangel an Bildung durch die glücklich-
sten Anlagen, mit denen ihn die Natur ausgestattet.
Vielleicht machte ihn auch die ungemeine Lebhaftigkeit
und Regsamkeit seines Geistes, seine ungestüme und nach
Unabhänhigkeit strebende Gemüthsart zu Kopfanstren-
gungen und anhaltenden Fleiß unfähig, vielleicht lenkte
ihn auch das gefährliche Beispiel seiner größtentheils
älteren Genossen von ernsten, mehr eine sitzende Lebens-
art erheischenden Beschäftigungen ab. Der Jagd mit
Leib und Seele ergeben, unermüdliche Wilddiebe, brach-
ten die jungen Tyroler aus dieser Zeit, ganze Tage
mit der Verfolgung der Gemsen oder des Steinbocks
hin. Die Jagd war für sie eine Arbeit, ein Vergnü-
gen, ein Bedürfniß; auf sie waren alle ihre Gedanken,
alle ihre Fähigkeiten und Talente gerichtet. Sie hiel-
ten sich meist in Wäldern und mitten im Gebirgsschnee
auf, während ihre Enkel in unsern Tagen in den Dorf-
schulen sitzen. Gewöhnt an Verluste, in Strapazen ge-
übt, uneingedenk der Gefahr, wurden ihre Körper wie
ihre Seelen gekräftigt und gestählt. Jn dieser strengen
und harten Schule bildete sich der furchtbare Landsturm
welcher allein den Unterdrückern Europa's die Stirn
bot. Bald zeichnete sich Speckbacher durch seine früh
gereifte Kraft, seine Kühnheit, oder vielmehr durch eine
gewisse Unbesonnenheit und Verwegenheit, die ihn nicht
einmal die Nähe der Gefahr merken ließ, unter allen,
welche an den Abenteuern und Unternehmungen Theil
hatten, besonders aus. Der Blick seines Auges war
scharf und durchdringend, seine Hand sicher, seine Glie-
der unermüdet; sein Geist erfinderisch wie die aller sei-
ner Landsleute, erschöpfte sich niemals; er wußte, wenn
es die Umstände erforderten, List mit Kühnheit zu paa-
[Spaltenumbruch] ren: nur äußerst selten entwischte ein Wild seinen
Nachstellungen oder Angriffen. Sein Ruf verbreitete
sich bald in der Umgegend von Hall. Ja in Wol-
ders, Rinn und Dux hörte man nur von den Aben-
teuern und Thaten Josephs, und die Hirten des Patscher-
Kofel priesen mit Begeisterung die wunderbaren Unter-
nehmungen des jungen Schützen. Lange Zeit führte er
ein wildes, man möchte sagen räuberisches Leben, und
machte häufige Einfälle in das Baiersche Grenzgebiet,
als ihn endlich ein Vorfall seltsamer Art von diesem
schrecklichen und gefahrvollen Gewerbe abmahnte und
zu einem ruhigen und friedlichen Verhalten aufforderte.
Eines Tages nämlich wollte er in Gesellschaft einiger
berufsloser und überaus frecher Menschen, wieder ein-
mal die Tyroler Grenze überschreiten, als der kekste die-
ser Plünderer, den, welchen die andern als ihren Haupt-
mann betrachteten, getroffen von der Kugel eines Bai-
erschen Jägers, tod an seiner Seite niederfiel. Speck-
bacher sann anfangs darauf ihn zu rächen; bald aber
zur Vernunft zurückkehrend und dieses entsetzliche Bei-
spiel als die gerechte Züchtigung eines verbrecherischen
Lebenswandels ansehend, sagte er seinen erstaunten Ge-
nossen, die nicht wagten Zweifel in seinen Muth zu se-
tzen, ein Lebewohl, kehrte gelassen in sein Haus zurück
und legte sein Gewehr ab, welches er nie wieder zu
ähnlichen Zwecken zu benutzen schwor. Er hielt Wort.
Von nun an führte er in dem Thale, in welchem er
das Licht der Welt erblickte, ein zurückgezogenes, stilles
und musterhaftes Leben; auch wurde er nicht lange
nachher zum Aufseher über die Salzwerke von Hall
ernannt, welches Amt ehedem sein Vater verwaltet hatte. -
Speckbacher hatte gerade sein siebenundzwanzigstes Jahr
angetreten, als er Marie Schmieder heirathete und
durch diese Verbindung zu einem kleinen, ziemlich ein-
träglichen Besitzthume gelangte. Marie Schmieder war
eine Frau von Verstand, feinem Venehmen, und weit
gebildeter als ihr Gatte. Sie beabsichtigte ihn in den
ersten Elementen zu unterrichten, und fand in ihm ei-
nen sehr aufmerksamen und gelehrigen Schüler. Seine
Freunde ermangelten nicht ihn wegen seines veränderten
Geschmacks zu necken und aufzuziehen. "Seht einmal
den Speckbacher;" hieß es, "er, der niemals eine
Schule besuchte, will Schulmeister werden." Er selbst
lachte mit ihnen, ohne sich deshalb in seinen Bemü-
hungen stören zu lassen; denn er fürchtete die Vorwürfe
seiner Frau weit mehr, als ehemals die Strafen seiner
Erzieher. Mit der Zeit gelangte er an's Ziel seines
schwierigen Vorhabens und erntete nicht lange darauf
die Früchte seines Fleißes ein; denn im folgenden
Jahre ward er als Mitglied des Richtercollegiums sei-
nes Bezirks erwählt, eine Würde, welche ziemlich der
eines Friedensrichters gleicht. Die Metamorphose, man
sieht es, war bedeutend: der junge, allgemein gefürch-
tete Wilddieb war plötzlich in eine ernste, hohe obrig-
keitliche Person umgestempelt.

    (Fortsetzung folgt.)



[Ende Spaltensatz]

67 Conversations=Blatt. 68
[Beginn Spaltensatz] ten Heere; und während das übrige Deutschland in
harter Knechtschaft seufzte, boten sie allein, in ihren
Felsen, wie in einer Festung verschanzt, den Siegern
von Eckmühl und Wagram die Spitze und wichen nur
der Uebermacht. – Die Häupter dieser streitbaren
Männer, Bauern wie sie selbst, bieten uns ein seltsa-
mes Gemisch von Größe und Einfachheit, von Herois-
mus und roher Naturkraft dar; ihre Namen sind, den
einzigen Hofer abgerechnet, fast sämtlich der Vergessen-
heit übergeben; und dennoch ist es ein Mann, der nächst
dem Sandwirthe das theuerste und ruhmwürdigste An-
denken in Tyrol hinterlassen und gewiß gerechte An-
sprüche darauf hat, als ein Muster echten Heldensinnes
und aufrichtiger Anhänglichkeit gegen das angestammte
Herrscherhaus aufgestellt zu werden. Wir meinen den
beherzten Joseph Speckbacher, auch Feuerteufel ge-
nannt. Er war in Tyrol in einem kleinen Dorfe, in
der Nähe von Hall, im Jahre 1768 geboren. Sein
Vater, ein Holzlieferant, erfreute sich eines ziemlichen
Wohlstandes, starb aber, bevor er sich die Erziehung
seines Sohnes angelegen sein lassen konnte; bald folgte
ihm auch seine Frau in's Grab, und Joseph in einem
Alter von noch nicht zehn Jahren, der Stütze seiner El-
tern beraubt, ward der Pflege ferner Verwandten an-
vertraut. Diese vernachlässigten jedoch ihren Mündel
auf so auffallende Weise, daß sie ihn nicht einmal im
Schreiben und Lesen unterrichten ließen. Jndessen er-
setzte er diesen Mangel an Bildung durch die glücklich-
sten Anlagen, mit denen ihn die Natur ausgestattet.
Vielleicht machte ihn auch die ungemeine Lebhaftigkeit
und Regsamkeit seines Geistes, seine ungestüme und nach
Unabhänhigkeit strebende Gemüthsart zu Kopfanstren-
gungen und anhaltenden Fleiß unfähig, vielleicht lenkte
ihn auch das gefährliche Beispiel seiner größtentheils
älteren Genossen von ernsten, mehr eine sitzende Lebens-
art erheischenden Beschäftigungen ab. Der Jagd mit
Leib und Seele ergeben, unermüdliche Wilddiebe, brach-
ten die jungen Tyroler aus dieser Zeit, ganze Tage
mit der Verfolgung der Gemsen oder des Steinbocks
hin. Die Jagd war für sie eine Arbeit, ein Vergnü-
gen, ein Bedürfniß; auf sie waren alle ihre Gedanken,
alle ihre Fähigkeiten und Talente gerichtet. Sie hiel-
ten sich meist in Wäldern und mitten im Gebirgsschnee
auf, während ihre Enkel in unsern Tagen in den Dorf-
schulen sitzen. Gewöhnt an Verluste, in Strapazen ge-
übt, uneingedenk der Gefahr, wurden ihre Körper wie
ihre Seelen gekräftigt und gestählt. Jn dieser strengen
und harten Schule bildete sich der furchtbare Landsturm
welcher allein den Unterdrückern Europa's die Stirn
bot. Bald zeichnete sich Speckbacher durch seine früh
gereifte Kraft, seine Kühnheit, oder vielmehr durch eine
gewisse Unbesonnenheit und Verwegenheit, die ihn nicht
einmal die Nähe der Gefahr merken ließ, unter allen,
welche an den Abenteuern und Unternehmungen Theil
hatten, besonders aus. Der Blick seines Auges war
scharf und durchdringend, seine Hand sicher, seine Glie-
der unermüdet; sein Geist erfinderisch wie die aller sei-
ner Landsleute, erschöpfte sich niemals; er wußte, wenn
es die Umstände erforderten, List mit Kühnheit zu paa-
[Spaltenumbruch] ren: nur äußerst selten entwischte ein Wild seinen
Nachstellungen oder Angriffen. Sein Ruf verbreitete
sich bald in der Umgegend von Hall. Ja in Wol-
ders, Rinn und Dux hörte man nur von den Aben-
teuern und Thaten Josephs, und die Hirten des Patscher-
Kofel priesen mit Begeisterung die wunderbaren Unter-
nehmungen des jungen Schützen. Lange Zeit führte er
ein wildes, man möchte sagen räuberisches Leben, und
machte häufige Einfälle in das Baiersche Grenzgebiet,
als ihn endlich ein Vorfall seltsamer Art von diesem
schrecklichen und gefahrvollen Gewerbe abmahnte und
zu einem ruhigen und friedlichen Verhalten aufforderte.
Eines Tages nämlich wollte er in Gesellschaft einiger
berufsloser und überaus frecher Menschen, wieder ein-
mal die Tyroler Grenze überschreiten, als der kekste die-
ser Plünderer, den, welchen die andern als ihren Haupt-
mann betrachteten, getroffen von der Kugel eines Bai-
erschen Jägers, tod an seiner Seite niederfiel. Speck-
bacher sann anfangs darauf ihn zu rächen; bald aber
zur Vernunft zurückkehrend und dieses entsetzliche Bei-
spiel als die gerechte Züchtigung eines verbrecherischen
Lebenswandels ansehend, sagte er seinen erstaunten Ge-
nossen, die nicht wagten Zweifel in seinen Muth zu se-
tzen, ein Lebewohl, kehrte gelassen in sein Haus zurück
und legte sein Gewehr ab, welches er nie wieder zu
ähnlichen Zwecken zu benutzen schwor. Er hielt Wort.
Von nun an führte er in dem Thale, in welchem er
das Licht der Welt erblickte, ein zurückgezogenes, stilles
und musterhaftes Leben; auch wurde er nicht lange
nachher zum Aufseher über die Salzwerke von Hall
ernannt, welches Amt ehedem sein Vater verwaltet hatte. –
Speckbacher hatte gerade sein siebenundzwanzigstes Jahr
angetreten, als er Marie Schmieder heirathete und
durch diese Verbindung zu einem kleinen, ziemlich ein-
träglichen Besitzthume gelangte. Marie Schmieder war
eine Frau von Verstand, feinem Venehmen, und weit
gebildeter als ihr Gatte. Sie beabsichtigte ihn in den
ersten Elementen zu unterrichten, und fand in ihm ei-
nen sehr aufmerksamen und gelehrigen Schüler. Seine
Freunde ermangelten nicht ihn wegen seines veränderten
Geschmacks zu necken und aufzuziehen. „Seht einmal
den Speckbacher;“ hieß es, „er, der niemals eine
Schule besuchte, will Schulmeister werden.“ Er selbst
lachte mit ihnen, ohne sich deshalb in seinen Bemü-
hungen stören zu lassen; denn er fürchtete die Vorwürfe
seiner Frau weit mehr, als ehemals die Strafen seiner
Erzieher. Mit der Zeit gelangte er an's Ziel seines
schwierigen Vorhabens und erntete nicht lange darauf
die Früchte seines Fleißes ein; denn im folgenden
Jahre ward er als Mitglied des Richtercollegiums sei-
nes Bezirks erwählt, eine Würde, welche ziemlich der
eines Friedensrichters gleicht. Die Metamorphose, man
sieht es, war bedeutend: der junge, allgemein gefürch-
tete Wilddieb war plötzlich in eine ernste, hohe obrig-
keitliche Person umgestempelt.

    (Fortsetzung folgt.)



[Ende Spaltensatz]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jArticle" n="1">
        <p><pb facs="#f0002"/><fw type="header" place="top">67 <hi rendition="#c">Conversations=Blatt.</hi> <hi rendition="#right">68</hi></fw><cb type="start" n="67"/>
ten Heere; und während das übrige Deutschland in<lb/>
harter Knechtschaft seufzte, boten sie allein, in ihren<lb/>
Felsen, wie in einer Festung verschanzt, den Siegern<lb/>
von Eckmühl und Wagram die Spitze und wichen nur<lb/>
der Uebermacht. &#x2013; Die Häupter dieser streitbaren<lb/>
Männer, Bauern wie sie selbst, bieten uns ein seltsa-<lb/>
mes Gemisch von Größe und Einfachheit, von Herois-<lb/>
mus und roher Naturkraft dar; ihre Namen sind, den<lb/>
einzigen Hofer abgerechnet, fast sämtlich der Vergessen-<lb/>
heit übergeben; und dennoch ist es ein Mann, der nächst<lb/>
dem Sandwirthe das theuerste und ruhmwürdigste An-<lb/>
denken in Tyrol hinterlassen und gewiß gerechte An-<lb/>
sprüche darauf hat, als ein Muster echten Heldensinnes<lb/>
und aufrichtiger Anhänglichkeit gegen das angestammte<lb/>
Herrscherhaus aufgestellt zu werden. Wir meinen den<lb/>
beherzten <hi rendition="#g">Joseph Speckbacher,</hi> auch Feuerteufel ge-<lb/>
nannt. Er war in Tyrol in einem kleinen Dorfe, in<lb/>
der Nähe von Hall, im Jahre 1768 geboren. Sein<lb/>
Vater, ein Holzlieferant, erfreute sich eines ziemlichen<lb/>
Wohlstandes, starb aber, bevor er sich die Erziehung<lb/>
seines Sohnes angelegen sein lassen konnte; bald folgte<lb/>
ihm auch seine Frau in's Grab, und Joseph in einem<lb/>
Alter von noch nicht zehn Jahren, der Stütze seiner El-<lb/>
tern beraubt, ward der Pflege ferner Verwandten an-<lb/>
vertraut. Diese vernachlässigten jedoch ihren Mündel<lb/>
auf so auffallende Weise, daß sie ihn nicht einmal im<lb/>
Schreiben und Lesen unterrichten ließen. Jndessen er-<lb/>
setzte er diesen Mangel an Bildung durch die glücklich-<lb/>
sten Anlagen, mit denen ihn die Natur ausgestattet.<lb/>
Vielleicht machte ihn auch die ungemeine Lebhaftigkeit<lb/>
und Regsamkeit seines Geistes, seine ungestüme und nach<lb/>
Unabhänhigkeit strebende Gemüthsart zu Kopfanstren-<lb/>
gungen und anhaltenden Fleiß unfähig, vielleicht lenkte<lb/>
ihn auch das gefährliche Beispiel seiner größtentheils<lb/>
älteren Genossen von ernsten, mehr eine sitzende Lebens-<lb/>
art erheischenden Beschäftigungen ab. Der Jagd mit<lb/>
Leib und Seele ergeben, unermüdliche Wilddiebe, brach-<lb/>
ten die jungen Tyroler aus dieser Zeit, ganze Tage<lb/>
mit der Verfolgung der Gemsen oder des Steinbocks<lb/>
hin. Die Jagd war für sie eine Arbeit, ein Vergnü-<lb/>
gen, ein Bedürfniß; auf sie waren alle ihre Gedanken,<lb/>
alle ihre Fähigkeiten und Talente gerichtet. Sie hiel-<lb/>
ten sich meist in Wäldern und mitten im Gebirgsschnee<lb/>
auf, während ihre Enkel in unsern Tagen in den Dorf-<lb/>
schulen sitzen. Gewöhnt an Verluste, in Strapazen ge-<lb/>
übt, uneingedenk der Gefahr, wurden ihre Körper wie<lb/>
ihre Seelen gekräftigt und gestählt. Jn dieser strengen<lb/>
und harten Schule bildete sich der furchtbare Landsturm<lb/>
welcher allein den Unterdrückern Europa's die Stirn<lb/>
bot. Bald zeichnete sich Speckbacher durch seine früh<lb/>
gereifte Kraft, seine Kühnheit, oder vielmehr durch eine<lb/>
gewisse Unbesonnenheit und Verwegenheit, die ihn nicht<lb/>
einmal die Nähe der Gefahr merken ließ, unter allen,<lb/>
welche an den Abenteuern und Unternehmungen Theil<lb/>
hatten, besonders aus. Der Blick seines Auges war<lb/>
scharf und durchdringend, seine Hand sicher, seine Glie-<lb/>
der unermüdet; sein Geist erfinderisch wie die aller sei-<lb/>
ner Landsleute, erschöpfte sich niemals; er wußte, wenn<lb/>
es die Umstände erforderten, List mit Kühnheit zu paa-<lb/><cb n="68"/>
ren: nur äußerst selten entwischte ein Wild seinen<lb/>
Nachstellungen oder Angriffen. Sein Ruf verbreitete<lb/>
sich bald in der Umgegend von Hall. Ja in Wol-<lb/>
ders, Rinn und Dux hörte man nur von den Aben-<lb/>
teuern und Thaten Josephs, und die Hirten des Patscher-<lb/>
Kofel priesen mit Begeisterung die wunderbaren Unter-<lb/>
nehmungen des jungen Schützen. Lange Zeit führte er<lb/>
ein wildes, man möchte sagen räuberisches Leben, und<lb/>
machte häufige Einfälle in das Baiersche Grenzgebiet,<lb/>
als ihn endlich ein Vorfall seltsamer Art von diesem<lb/>
schrecklichen und gefahrvollen Gewerbe abmahnte und<lb/>
zu einem ruhigen und friedlichen Verhalten aufforderte.<lb/>
Eines Tages nämlich wollte er in Gesellschaft einiger<lb/>
berufsloser und überaus frecher Menschen, wieder ein-<lb/>
mal die Tyroler Grenze überschreiten, als der kekste die-<lb/>
ser Plünderer, den, welchen die andern als ihren Haupt-<lb/>
mann betrachteten, getroffen von der Kugel eines Bai-<lb/>
erschen Jägers, tod an seiner Seite niederfiel. Speck-<lb/>
bacher sann anfangs darauf ihn zu rächen; bald aber<lb/>
zur Vernunft zurückkehrend und dieses entsetzliche Bei-<lb/>
spiel als die gerechte Züchtigung eines verbrecherischen<lb/>
Lebenswandels ansehend, sagte er seinen erstaunten Ge-<lb/>
nossen, die nicht wagten Zweifel in seinen Muth zu se-<lb/>
tzen, ein Lebewohl, kehrte gelassen in sein Haus zurück<lb/>
und legte sein Gewehr ab, welches er nie wieder zu<lb/>
ähnlichen Zwecken zu benutzen schwor. Er hielt Wort.<lb/>
Von nun an führte er in dem Thale, in welchem er<lb/>
das Licht der Welt erblickte, ein zurückgezogenes, stilles<lb/>
und musterhaftes Leben; auch wurde er nicht lange<lb/>
nachher zum Aufseher über die Salzwerke von Hall<lb/>
ernannt, welches Amt ehedem sein Vater verwaltet hatte. &#x2013;<lb/>
Speckbacher hatte gerade sein siebenundzwanzigstes Jahr<lb/>
angetreten, als er Marie Schmieder heirathete und<lb/>
durch diese Verbindung zu einem kleinen, ziemlich ein-<lb/>
träglichen Besitzthume gelangte. Marie Schmieder war<lb/>
eine Frau von Verstand, feinem Venehmen, und weit<lb/>
gebildeter als ihr Gatte. Sie beabsichtigte ihn in den<lb/>
ersten Elementen zu unterrichten, und fand in ihm ei-<lb/>
nen sehr aufmerksamen und gelehrigen Schüler. Seine<lb/>
Freunde ermangelten nicht ihn wegen seines veränderten<lb/>
Geschmacks zu necken und aufzuziehen. &#x201E;Seht einmal<lb/>
den Speckbacher;&#x201C; hieß es, &#x201E;er, der niemals eine<lb/>
Schule besuchte, will Schulmeister werden.&#x201C; Er selbst<lb/>
lachte mit ihnen, ohne sich deshalb in seinen Bemü-<lb/>
hungen stören zu lassen; denn er fürchtete die Vorwürfe<lb/>
seiner Frau weit mehr, als ehemals die Strafen seiner<lb/>
Erzieher. Mit der Zeit gelangte er an's Ziel seines<lb/>
schwierigen Vorhabens und erntete nicht lange darauf<lb/>
die Früchte seines Fleißes ein; denn im folgenden<lb/>
Jahre ward er als Mitglied des Richtercollegiums sei-<lb/>
nes Bezirks erwählt, eine Würde, welche ziemlich der<lb/>
eines Friedensrichters gleicht. Die Metamorphose, man<lb/>
sieht es, war bedeutend: der junge, allgemein gefürch-<lb/>
tete Wilddieb war plötzlich in eine ernste, hohe obrig-<lb/>
keitliche Person umgestempelt.</p><lb/>
        <p><space dim="horizontal"/>   (Fortsetzung folgt.) </p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <cb type="end"/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0002] 67 Conversations=Blatt. 68 ten Heere; und während das übrige Deutschland in harter Knechtschaft seufzte, boten sie allein, in ihren Felsen, wie in einer Festung verschanzt, den Siegern von Eckmühl und Wagram die Spitze und wichen nur der Uebermacht. – Die Häupter dieser streitbaren Männer, Bauern wie sie selbst, bieten uns ein seltsa- mes Gemisch von Größe und Einfachheit, von Herois- mus und roher Naturkraft dar; ihre Namen sind, den einzigen Hofer abgerechnet, fast sämtlich der Vergessen- heit übergeben; und dennoch ist es ein Mann, der nächst dem Sandwirthe das theuerste und ruhmwürdigste An- denken in Tyrol hinterlassen und gewiß gerechte An- sprüche darauf hat, als ein Muster echten Heldensinnes und aufrichtiger Anhänglichkeit gegen das angestammte Herrscherhaus aufgestellt zu werden. Wir meinen den beherzten Joseph Speckbacher, auch Feuerteufel ge- nannt. Er war in Tyrol in einem kleinen Dorfe, in der Nähe von Hall, im Jahre 1768 geboren. Sein Vater, ein Holzlieferant, erfreute sich eines ziemlichen Wohlstandes, starb aber, bevor er sich die Erziehung seines Sohnes angelegen sein lassen konnte; bald folgte ihm auch seine Frau in's Grab, und Joseph in einem Alter von noch nicht zehn Jahren, der Stütze seiner El- tern beraubt, ward der Pflege ferner Verwandten an- vertraut. Diese vernachlässigten jedoch ihren Mündel auf so auffallende Weise, daß sie ihn nicht einmal im Schreiben und Lesen unterrichten ließen. Jndessen er- setzte er diesen Mangel an Bildung durch die glücklich- sten Anlagen, mit denen ihn die Natur ausgestattet. Vielleicht machte ihn auch die ungemeine Lebhaftigkeit und Regsamkeit seines Geistes, seine ungestüme und nach Unabhänhigkeit strebende Gemüthsart zu Kopfanstren- gungen und anhaltenden Fleiß unfähig, vielleicht lenkte ihn auch das gefährliche Beispiel seiner größtentheils älteren Genossen von ernsten, mehr eine sitzende Lebens- art erheischenden Beschäftigungen ab. Der Jagd mit Leib und Seele ergeben, unermüdliche Wilddiebe, brach- ten die jungen Tyroler aus dieser Zeit, ganze Tage mit der Verfolgung der Gemsen oder des Steinbocks hin. Die Jagd war für sie eine Arbeit, ein Vergnü- gen, ein Bedürfniß; auf sie waren alle ihre Gedanken, alle ihre Fähigkeiten und Talente gerichtet. Sie hiel- ten sich meist in Wäldern und mitten im Gebirgsschnee auf, während ihre Enkel in unsern Tagen in den Dorf- schulen sitzen. Gewöhnt an Verluste, in Strapazen ge- übt, uneingedenk der Gefahr, wurden ihre Körper wie ihre Seelen gekräftigt und gestählt. Jn dieser strengen und harten Schule bildete sich der furchtbare Landsturm welcher allein den Unterdrückern Europa's die Stirn bot. Bald zeichnete sich Speckbacher durch seine früh gereifte Kraft, seine Kühnheit, oder vielmehr durch eine gewisse Unbesonnenheit und Verwegenheit, die ihn nicht einmal die Nähe der Gefahr merken ließ, unter allen, welche an den Abenteuern und Unternehmungen Theil hatten, besonders aus. Der Blick seines Auges war scharf und durchdringend, seine Hand sicher, seine Glie- der unermüdet; sein Geist erfinderisch wie die aller sei- ner Landsleute, erschöpfte sich niemals; er wußte, wenn es die Umstände erforderten, List mit Kühnheit zu paa- ren: nur äußerst selten entwischte ein Wild seinen Nachstellungen oder Angriffen. Sein Ruf verbreitete sich bald in der Umgegend von Hall. Ja in Wol- ders, Rinn und Dux hörte man nur von den Aben- teuern und Thaten Josephs, und die Hirten des Patscher- Kofel priesen mit Begeisterung die wunderbaren Unter- nehmungen des jungen Schützen. Lange Zeit führte er ein wildes, man möchte sagen räuberisches Leben, und machte häufige Einfälle in das Baiersche Grenzgebiet, als ihn endlich ein Vorfall seltsamer Art von diesem schrecklichen und gefahrvollen Gewerbe abmahnte und zu einem ruhigen und friedlichen Verhalten aufforderte. Eines Tages nämlich wollte er in Gesellschaft einiger berufsloser und überaus frecher Menschen, wieder ein- mal die Tyroler Grenze überschreiten, als der kekste die- ser Plünderer, den, welchen die andern als ihren Haupt- mann betrachteten, getroffen von der Kugel eines Bai- erschen Jägers, tod an seiner Seite niederfiel. Speck- bacher sann anfangs darauf ihn zu rächen; bald aber zur Vernunft zurückkehrend und dieses entsetzliche Bei- spiel als die gerechte Züchtigung eines verbrecherischen Lebenswandels ansehend, sagte er seinen erstaunten Ge- nossen, die nicht wagten Zweifel in seinen Muth zu se- tzen, ein Lebewohl, kehrte gelassen in sein Haus zurück und legte sein Gewehr ab, welches er nie wieder zu ähnlichen Zwecken zu benutzen schwor. Er hielt Wort. Von nun an führte er in dem Thale, in welchem er das Licht der Welt erblickte, ein zurückgezogenes, stilles und musterhaftes Leben; auch wurde er nicht lange nachher zum Aufseher über die Salzwerke von Hall ernannt, welches Amt ehedem sein Vater verwaltet hatte. – Speckbacher hatte gerade sein siebenundzwanzigstes Jahr angetreten, als er Marie Schmieder heirathete und durch diese Verbindung zu einem kleinen, ziemlich ein- träglichen Besitzthume gelangte. Marie Schmieder war eine Frau von Verstand, feinem Venehmen, und weit gebildeter als ihr Gatte. Sie beabsichtigte ihn in den ersten Elementen zu unterrichten, und fand in ihm ei- nen sehr aufmerksamen und gelehrigen Schüler. Seine Freunde ermangelten nicht ihn wegen seines veränderten Geschmacks zu necken und aufzuziehen. „Seht einmal den Speckbacher;“ hieß es, „er, der niemals eine Schule besuchte, will Schulmeister werden.“ Er selbst lachte mit ihnen, ohne sich deshalb in seinen Bemü- hungen stören zu lassen; denn er fürchtete die Vorwürfe seiner Frau weit mehr, als ehemals die Strafen seiner Erzieher. Mit der Zeit gelangte er an's Ziel seines schwierigen Vorhabens und erntete nicht lange darauf die Früchte seines Fleißes ein; denn im folgenden Jahre ward er als Mitglied des Richtercollegiums sei- nes Bezirks erwählt, eine Würde, welche ziemlich der eines Friedensrichters gleicht. Die Metamorphose, man sieht es, war bedeutend: der junge, allgemein gefürch- tete Wilddieb war plötzlich in eine ernste, hohe obrig- keitliche Person umgestempelt. (Fortsetzung folgt.)

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt05_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt05_1838/2
Zitationshilfe: Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 5. Burg/Berlin, 1838, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt05_1838/2>, abgerufen am 24.11.2024.