Tübinger Chronik. Nr. 84. [Tübingen (Württemberg)], 14. Juli 1845.[Beginn Spaltensatz]
Wenn die Gegenwart Dich niederdrückt, hast Du Die junge Frau war schön und begeistert, in- "Ja, ja," antwortete er, und erhob sich bis zur Lange Zeit hielten sie sich umarmt und der Greis Bald darauf öffnete sich die Thür und ein Mann von Es war einer der besten Freunde Granvilles; Nur wenige Worte drangen bis zu Louisen, Schon sprach man öffentlich davon, schon kannte "Es ist nur zu wahr! - Jch bin verloren." Der Abend brachte keine Neuigkeiten. Louise ( Fortsetzung folgt. ) Die Giftmischerin Chr. Ruthardt und das hochnothpeinliche Halsgericht. Fortsetzung. Durch solche Behandlung verwandlte sich das Hier sehen wir nun ihre Natur sich sorglos, wie Von ihrer Confirmation an kam sie wieder in Schluß folgt. [Beginn Spaltensatz]
Wenn die Gegenwart Dich niederdrückt, hast Du Die junge Frau war schön und begeistert, in- „Ja, ja,“ antwortete er, und erhob sich bis zur Lange Zeit hielten sie sich umarmt und der Greis Bald darauf öffnete sich die Thür und ein Mann von Es war einer der besten Freunde Granvilles; Nur wenige Worte drangen bis zu Louisen, Schon sprach man öffentlich davon, schon kannte „Es ist nur zu wahr! – Jch bin verloren.“ Der Abend brachte keine Neuigkeiten. Louise ( Fortsetzung folgt. ) Die Giftmischerin Chr. Ruthardt und das hochnothpeinliche Halsgericht. Fortsetzung. Durch solche Behandlung verwandlte sich das Hier sehen wir nun ihre Natur sich sorglos, wie Von ihrer Confirmation an kam sie wieder in Schluß folgt. <TEI> <text> <body> <div xml:id="Louise2" type="jArticle" n="1"> <p><pb facs="#f0002" n="338"/><cb type="start"/> Wenn die Gegenwart Dich niederdrückt, hast Du<lb/> dann nicht etwa die Vergangenheit und die Zukunft,<lb/> um Dich zu erheben?“</p><lb/> <p>Die junge Frau war schön und begeistert, in-<lb/> dem sie diese Worte aussprach. Jhre Stimme hatte<lb/> etwas so Ueberzeugendes, daß sie wie Balsam das<lb/> Herz des armen Greises labte.</p><lb/> <p>„Ja, ja,“ antwortete er, und erhob sich bis zur<lb/> Hälfte, „Du hast Recht, es ist unmöglich, daß 60<lb/> Jahre durch einen Tag zu Schanden gemacht wer-<lb/> den. Bleibe Du nur bei mir, mein Kind, sprich zu<lb/> mir, wie Du eben sprachest, Du bist mein guter<lb/> Engel und wirst mich retten.“</p><lb/> <p>Lange Zeit hielten sie sich umarmt und der Greis<lb/> mischte seinen stummen Schmerz in die Thränen der<lb/> jungen Frau. Dann setzte er sich nieder und zog<lb/> eine ziemlich große Brieftasche heraus, um einige<lb/> Briefe noch einmal durchzulesen.</p><lb/> <p>Bald darauf öffnete sich die Thür und ein Mann von<lb/> fünfzig und etlichen Jahren trat ein.</p><lb/> <p>Es war einer der besten Freunde Granvilles;<lb/> er reichte Louise stillschweigend die Hand und zog<lb/> dann den Bankier in einen Winkel des Zimmers,<lb/> um mit ihm zu sprechen.</p><lb/> <p>Nur wenige Worte drangen bis zu Louisen,<lb/> die still und aufmerksam, fast ihren Athem zurück-<lb/> drängend, horchte, um mehr zu verstehen. – Dieser<lb/> Freund wußte nichts Neues, und seine Gegenwart<lb/> konnte die Lage Granvilles nicht verbessern. Er<lb/> hatte nur sagen hören, daß Granville bei dem<lb/> Bankerott eines bedeutenden Hauses in Marseille<lb/> mit einer ungeheueren Summe betheiligt sei und daß<lb/> man die Befürchtung habe, auch er werde seinen<lb/> Verbindlichkeiten nicht nachkommen können.</p><lb/> <p>Schon sprach man öffentlich davon, schon kannte<lb/> man seine traurige Lage an der Börse, – das war<lb/> zu viel für den armen Mann; er drückte seinem<lb/> Freunde betrübt die beiden Hände und sagte:</p><lb/> <p>„Es ist nur zu wahr! – Jch bin verloren.“</p><lb/> <p>Der Abend brachte keine Neuigkeiten. Louise<lb/> hatte dies mehr errathen als gehört; sie versuchte<lb/> auch nicht die Niedergeschlagenheit ihres Mannes zu<lb/> zerstreuen, denn sie sah ein, daß sie ihre Kräfte un-<lb/> nütz erschöpfen würde, daß sie wohl einen Hoffnungs-<lb/> strahl hervorlocken könnte, daß aber der geringste<lb/> Umstand mehr Macht auf dies brechende Herz ha-<lb/> ben würde, als alle ihre Worte.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p> <hi rendition="#c">( Fortsetzung folgt. )</hi> </p> <note type="editorial">Die nächste Ausgabe fehlt. <ref target="nn_chronik086_1845#Louise3">Die Artikelfortsetzung aus der übernächsten Ausgabe ist vorhanden.</ref></note> </div><lb/> <div xml:id="Gift2" type="jArticle" n="1"> <head>Die Giftmischerin Chr. Ruthardt und das<lb/> hochnothpeinliche Halsgericht.<lb/><ref target="#Gift1">Fortsetzung.</ref></head><lb/> <p>Durch solche Behandlung verwandlte sich das<lb/> ungestüme Wesen des Kindes allmälig zur Bos-<lb/> heit und zu Tücken, und die Tante beschloß, sie in<lb/> das Erziehungsinstitut nach Königsfeld zu schicken,<lb/> woselbst sie auch bis zu ihrer Confirmation gelassen<lb/> wurde.</p><lb/> <p>Hier sehen wir nun ihre Natur sich sorglos, wie<lb/> eine Pflanze ohne genügende Pflege unkrautartig her-<lb/> anschießt, entfalten, ihren Charakter sich entwickeln.<lb/><cb n="2"/> Keine Vaterarme waren da, sie zu umfangen, keine<lb/> Mutter, sie nnter seligem Lächeln an das liebende<lb/> Herz zu drücken: keine Eltern, die ihre Unarten<lb/> mit weiser Strenge strafen, oder sie für ihre Folg-<lb/> samkeit und Herzensausbildung aus dem weiten Um-<lb/> fang ihrer Liebe hätten belohnen können. So mußte<lb/> ihr Wesen verwildern. Flüchtigen Sinnes lernte sie<lb/> nur oberflächlich, woraus ihre spätere traurige Ver-<lb/> bildung entstand. Wild, ungebärdig, unverträglich,<lb/> hatte sie keine ihrer Gespielinnen zur Freundin.<lb/> Ein unbezwinglicher Trieb, der sich psychologisch<lb/> merkwürdig später als unbändige Sinnlichkeit äußerte<lb/> – Grausamkeit und Wollust sind ja stets Geschwi-<lb/> ster –, verleitete sie zu beständigem Spotten, bos-<lb/> haftem Necken, und wo sie nur immer ihre neidi-<lb/> schen Tücke auslassen konnte, da that sie es. Ja,<lb/> sie stahl selbst ihren Mitschülerinnen Geld, schob<lb/> dasselbe einer andern, die sie nicht leiden mochte,<lb/> unter, und hatte nun ihre höllische Freude daran,<lb/> wenn diese unschuldig bestraft wurde.</p><lb/> <p>Von ihrer Confirmation an kam sie wieder in<lb/> das Haus der Tante und lebte hier wie die Tochter<lb/> des Hauses, dessen Namen sie auch trug, herrlich<lb/> und in Freuden. Prächtige Kleider zierten sie, und<lb/> ihre Shönheit zog ihr viele Anbeter zu. So wurde<lb/> die Kokette 19 Jahre alt; sie hatte bereits das Le-<lb/> ben zu kosten begonnen, und die Sinnlichkeit in ihr<lb/> machte schrankenlos ihre Macht geltend. Nach Laune<lb/> gab sie sich diesem oder jenem ihrer sogenannten<lb/> Anbeter hin und wurde so von der Weltlust in den<lb/> gefährlichsten Strudel gezogen. Es war dieß, wie<lb/> sie selbst sagte, die Glanzperiode ihres Lebens, und<lb/> wenn sich nun auch die wilde Ungeberdigkeit ihres<lb/> Wesens in etwas gemildert hatte, so äußerte sie sich<lb/> um so mehr in dem ihr verwandten Trieb. Aber so<lb/> schön, so herzlos war sie, und zogen ihre lüsternen<lb/> Reize auch manches Männerherz an, so wurde die-<lb/> ses doch sogleich wieder durch ihre kalte Gemüthlo-<lb/> sigkeit abgestoßen; ebenso war es mit ihrer Bildung.<lb/> Geist besaß sie unverkennbar, aber ihre ganze Bil-<lb/> dung verlor sich in Phrasenmacherei. Sie sah hier<lb/> nun zwar öfter ihren Vater, der ihr als Onkel ge-<lb/> nannt wurde, allein seine Stellung, mehr aber noch<lb/> die Vorwürfe seiner Schwester hielten ihn stets zu-<lb/> rück, sich seiner Tochter zu erkennen zu geben. Die<lb/> Tante schien aber endlich doch dieß letztere zu be-<lb/> sorgen, und deren Lebenswandel, namentlich aber<lb/> ein ziemlich bekanntes Verhältniß mit einem Offi-<lb/> zier, gaben der allzubesorgten Dame den erwünschten<lb/> Vorwand, die an Pracht und Wohlleben gewöhnte<lb/> Person – zu entfernen. Sie veranlaßte sie zur<lb/> Abreise, spedirte sie zu einer Pfarreswittwe in Le-<lb/> onberg, und ließ ihr schreiben, sie sei ein gefundenes<lb/> Kind, sie ziehe ihre Hand von ihr ab, und sie möge<lb/> sich nun immerhin durch Dienen ihr Brod verdienen.<lb/> Auf solch entsetzliche Weise wurde das neunzehnjäh-<lb/> rige Mädchen plötzlich aus allen ihren Himmeln<lb/> und erträumten Seligkeiten herabgestürzt. Jn dem<lb/> jenem Uriasbriefe beigeschlossenen Taufscheine ist sie<lb/> eingetragen als Nanette Maier, welchen Namen sie<lb/> auch fortan führte.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p rendition="#c">Schluß folgt.<note type="editorial">Die folgende Ausgabe 85 fehlt. Vermutlich enthält sie den Schlussteil.</note><lb/></p> </div><lb/> <cb type="end"/> </body> </text> </TEI> [338/0002]
Wenn die Gegenwart Dich niederdrückt, hast Du
dann nicht etwa die Vergangenheit und die Zukunft,
um Dich zu erheben?“
Die junge Frau war schön und begeistert, in-
dem sie diese Worte aussprach. Jhre Stimme hatte
etwas so Ueberzeugendes, daß sie wie Balsam das
Herz des armen Greises labte.
„Ja, ja,“ antwortete er, und erhob sich bis zur
Hälfte, „Du hast Recht, es ist unmöglich, daß 60
Jahre durch einen Tag zu Schanden gemacht wer-
den. Bleibe Du nur bei mir, mein Kind, sprich zu
mir, wie Du eben sprachest, Du bist mein guter
Engel und wirst mich retten.“
Lange Zeit hielten sie sich umarmt und der Greis
mischte seinen stummen Schmerz in die Thränen der
jungen Frau. Dann setzte er sich nieder und zog
eine ziemlich große Brieftasche heraus, um einige
Briefe noch einmal durchzulesen.
Bald darauf öffnete sich die Thür und ein Mann von
fünfzig und etlichen Jahren trat ein.
Es war einer der besten Freunde Granvilles;
er reichte Louise stillschweigend die Hand und zog
dann den Bankier in einen Winkel des Zimmers,
um mit ihm zu sprechen.
Nur wenige Worte drangen bis zu Louisen,
die still und aufmerksam, fast ihren Athem zurück-
drängend, horchte, um mehr zu verstehen. – Dieser
Freund wußte nichts Neues, und seine Gegenwart
konnte die Lage Granvilles nicht verbessern. Er
hatte nur sagen hören, daß Granville bei dem
Bankerott eines bedeutenden Hauses in Marseille
mit einer ungeheueren Summe betheiligt sei und daß
man die Befürchtung habe, auch er werde seinen
Verbindlichkeiten nicht nachkommen können.
Schon sprach man öffentlich davon, schon kannte
man seine traurige Lage an der Börse, – das war
zu viel für den armen Mann; er drückte seinem
Freunde betrübt die beiden Hände und sagte:
„Es ist nur zu wahr! – Jch bin verloren.“
Der Abend brachte keine Neuigkeiten. Louise
hatte dies mehr errathen als gehört; sie versuchte
auch nicht die Niedergeschlagenheit ihres Mannes zu
zerstreuen, denn sie sah ein, daß sie ihre Kräfte un-
nütz erschöpfen würde, daß sie wohl einen Hoffnungs-
strahl hervorlocken könnte, daß aber der geringste
Umstand mehr Macht auf dies brechende Herz ha-
ben würde, als alle ihre Worte.
( Fortsetzung folgt. )
Die Giftmischerin Chr. Ruthardt und das
hochnothpeinliche Halsgericht.
Fortsetzung.
Durch solche Behandlung verwandlte sich das
ungestüme Wesen des Kindes allmälig zur Bos-
heit und zu Tücken, und die Tante beschloß, sie in
das Erziehungsinstitut nach Königsfeld zu schicken,
woselbst sie auch bis zu ihrer Confirmation gelassen
wurde.
Hier sehen wir nun ihre Natur sich sorglos, wie
eine Pflanze ohne genügende Pflege unkrautartig her-
anschießt, entfalten, ihren Charakter sich entwickeln.
Keine Vaterarme waren da, sie zu umfangen, keine
Mutter, sie nnter seligem Lächeln an das liebende
Herz zu drücken: keine Eltern, die ihre Unarten
mit weiser Strenge strafen, oder sie für ihre Folg-
samkeit und Herzensausbildung aus dem weiten Um-
fang ihrer Liebe hätten belohnen können. So mußte
ihr Wesen verwildern. Flüchtigen Sinnes lernte sie
nur oberflächlich, woraus ihre spätere traurige Ver-
bildung entstand. Wild, ungebärdig, unverträglich,
hatte sie keine ihrer Gespielinnen zur Freundin.
Ein unbezwinglicher Trieb, der sich psychologisch
merkwürdig später als unbändige Sinnlichkeit äußerte
– Grausamkeit und Wollust sind ja stets Geschwi-
ster –, verleitete sie zu beständigem Spotten, bos-
haftem Necken, und wo sie nur immer ihre neidi-
schen Tücke auslassen konnte, da that sie es. Ja,
sie stahl selbst ihren Mitschülerinnen Geld, schob
dasselbe einer andern, die sie nicht leiden mochte,
unter, und hatte nun ihre höllische Freude daran,
wenn diese unschuldig bestraft wurde.
Von ihrer Confirmation an kam sie wieder in
das Haus der Tante und lebte hier wie die Tochter
des Hauses, dessen Namen sie auch trug, herrlich
und in Freuden. Prächtige Kleider zierten sie, und
ihre Shönheit zog ihr viele Anbeter zu. So wurde
die Kokette 19 Jahre alt; sie hatte bereits das Le-
ben zu kosten begonnen, und die Sinnlichkeit in ihr
machte schrankenlos ihre Macht geltend. Nach Laune
gab sie sich diesem oder jenem ihrer sogenannten
Anbeter hin und wurde so von der Weltlust in den
gefährlichsten Strudel gezogen. Es war dieß, wie
sie selbst sagte, die Glanzperiode ihres Lebens, und
wenn sich nun auch die wilde Ungeberdigkeit ihres
Wesens in etwas gemildert hatte, so äußerte sie sich
um so mehr in dem ihr verwandten Trieb. Aber so
schön, so herzlos war sie, und zogen ihre lüsternen
Reize auch manches Männerherz an, so wurde die-
ses doch sogleich wieder durch ihre kalte Gemüthlo-
sigkeit abgestoßen; ebenso war es mit ihrer Bildung.
Geist besaß sie unverkennbar, aber ihre ganze Bil-
dung verlor sich in Phrasenmacherei. Sie sah hier
nun zwar öfter ihren Vater, der ihr als Onkel ge-
nannt wurde, allein seine Stellung, mehr aber noch
die Vorwürfe seiner Schwester hielten ihn stets zu-
rück, sich seiner Tochter zu erkennen zu geben. Die
Tante schien aber endlich doch dieß letztere zu be-
sorgen, und deren Lebenswandel, namentlich aber
ein ziemlich bekanntes Verhältniß mit einem Offi-
zier, gaben der allzubesorgten Dame den erwünschten
Vorwand, die an Pracht und Wohlleben gewöhnte
Person – zu entfernen. Sie veranlaßte sie zur
Abreise, spedirte sie zu einer Pfarreswittwe in Le-
onberg, und ließ ihr schreiben, sie sei ein gefundenes
Kind, sie ziehe ihre Hand von ihr ab, und sie möge
sich nun immerhin durch Dienen ihr Brod verdienen.
Auf solch entsetzliche Weise wurde das neunzehnjäh-
rige Mädchen plötzlich aus allen ihren Himmeln
und erträumten Seligkeiten herabgestürzt. Jn dem
jenem Uriasbriefe beigeschlossenen Taufscheine ist sie
eingetragen als Nanette Maier, welchen Namen sie
auch fortan führte.
Schluß folgt.
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