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N. N.: Öffentliche Charaktere II: Johann Jacoby. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 434-452.

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wisse Abspannung. Man sah mit Befremden, daß in die neue Regierung ein
Reactionär nach dem andern eingeführt wurde, sie gewann immer mehr eine pie¬
tistisch-doctrinäre Färbung. Indessen war doch der Fortschritt des politischen Le¬
bens gegen die alte Polizeistille unverkennbar. Die Censur wurde gemildert, die
Zeitungen fingen an, von Thiers und Guizot zu abstrahiren, und sich um die
vaterländischen Angelegenheiten zu kümmern. Dem König war es Ernst mit dem
neuen Leben; gern hätte er, was ihm am Herzen lag, in der freien Entschließung
aller seiner Unterthanen wiedergefunden; gern hätte er die "herzgewinnenden" Doc-
trinen, in denen er aufgewachsen war, in dem bewegten Leben des Staats ver¬
wirklicht gesehen. Schlimm genug, daß diese Doctrinen dem Bewußtsein der Zeit
widersprachen; die Romantik mußte doch früher oder später, da die Bewegung
nicht in ihrem Sinne ausfiel, sich in das Capitol des alten Polizeistaats zurück-
flüchten.

Eine der ersten Maßregeln, in denen sich diese Reaction aussprach, war die
versuchte Unterdrückung der "Vier Fragen". Diese kleine Broschüre hat ein
ähnliches Aufsehen gemacht, als Sieyes berühmte Erklärung über den Tiers-
Etat. Sie suchte nachzuweisen, daß die Forderung des Königsberger Landtags
nichts anderes wollte, als den Rechtszustand, der durch eine widerrechtliche Re¬
action hintertrieben sei, wiederherzustellen; daß es früher wirklich in der Absicht
der Regierung gelegen habe, denselben ins Werk zu setzen -- mit einer gewissen
Ironie wurden Aussprüche der früheren Minister und des Königs selbst citirt --;
daß die sogenannte organische Entwickelung des altständischen Wesens auf keine
Weise der ursprünglichen Anlage entspräche, daß sie vielmehr unmögliche Zustände
künstlich von neuem ins Leben zu rufen und durch eine Scheinvertretung die recht¬
liche Ausbildung des Staats unmöglich zu machen suchte. Die letzte Frage lau¬
tete: Was sollen die Stäude jetzt thun? -- Was sie früher als Gnade
erbeten, jetzt als Recht in Anspruch nehmen.

Das war eine Sentenz, keine positive Antwort, doch das alte Preußenthum
fuhr zusammen. Ein Recht dem königlichen Willen gegenüber! Man sah einfach
darin eine Aufforderung zur Rebellion. Jacoby interpretirte sie nachher als eine
Aufforderung zur "motivirten Wiederholung jenes ersten Antrags". Im Wortlaut
lag in der That nicht mehr, und vor Gericht mußte Jacoby freigesprochen werden.
Der Sinn war aber doch ein anderer.

"Wäre ein Obmann zwischen uns und Oestreich
So könnte Recht entscheiden und Gesetz.
Doch der uns unterdrückt, ist unser Kaiser."

Die Brochüre imponirte einestheils durch die Schärfe und Bestimmtheit, mit
der ausgesprochen war, was man sich gestand selber fühlen zu müssen; andrerseits
durch ihre große Ruhe und Gelassenheit. Der Verfasser wurde bald bekannt, und
die reactionäre Partei hatte wieder Gelegenheit, gegen den gottverfluchten Samen

wisse Abspannung. Man sah mit Befremden, daß in die neue Regierung ein
Reactionär nach dem andern eingeführt wurde, sie gewann immer mehr eine pie¬
tistisch-doctrinäre Färbung. Indessen war doch der Fortschritt des politischen Le¬
bens gegen die alte Polizeistille unverkennbar. Die Censur wurde gemildert, die
Zeitungen fingen an, von Thiers und Guizot zu abstrahiren, und sich um die
vaterländischen Angelegenheiten zu kümmern. Dem König war es Ernst mit dem
neuen Leben; gern hätte er, was ihm am Herzen lag, in der freien Entschließung
aller seiner Unterthanen wiedergefunden; gern hätte er die „herzgewinnenden“ Doc-
trinen, in denen er aufgewachsen war, in dem bewegten Leben des Staats ver¬
wirklicht gesehen. Schlimm genug, daß diese Doctrinen dem Bewußtsein der Zeit
widersprachen; die Romantik mußte doch früher oder später, da die Bewegung
nicht in ihrem Sinne ausfiel, sich in das Capitol des alten Polizeistaats zurück-
flüchten.

Eine der ersten Maßregeln, in denen sich diese Reaction aussprach, war die
versuchte Unterdrückung der „Vier Fragen“. Diese kleine Broschüre hat ein
ähnliches Aufsehen gemacht, als Sieyes berühmte Erklärung über den Tiers-
Etat. Sie suchte nachzuweisen, daß die Forderung des Königsberger Landtags
nichts anderes wollte, als den Rechtszustand, der durch eine widerrechtliche Re¬
action hintertrieben sei, wiederherzustellen; daß es früher wirklich in der Absicht
der Regierung gelegen habe, denselben ins Werk zu setzen — mit einer gewissen
Ironie wurden Aussprüche der früheren Minister und des Königs selbst citirt —;
daß die sogenannte organische Entwickelung des altständischen Wesens auf keine
Weise der ursprünglichen Anlage entspräche, daß sie vielmehr unmögliche Zustände
künstlich von neuem ins Leben zu rufen und durch eine Scheinvertretung die recht¬
liche Ausbildung des Staats unmöglich zu machen suchte. Die letzte Frage lau¬
tete: Was sollen die Stäude jetzt thun? — Was sie früher als Gnade
erbeten, jetzt als Recht in Anspruch nehmen.

Das war eine Sentenz, keine positive Antwort, doch das alte Preußenthum
fuhr zusammen. Ein Recht dem königlichen Willen gegenüber! Man sah einfach
darin eine Aufforderung zur Rebellion. Jacoby interpretirte sie nachher als eine
Aufforderung zur „motivirten Wiederholung jenes ersten Antrags“. Im Wortlaut
lag in der That nicht mehr, und vor Gericht mußte Jacoby freigesprochen werden.
Der Sinn war aber doch ein anderer.

Wäre ein Obmann zwischen uns und Oestreich
So könnte Recht entscheiden und Gesetz.
Doch der uns unterdrückt, ist unser Kaiser.“

Die Brochüre imponirte einestheils durch die Schärfe und Bestimmtheit, mit
der ausgesprochen war, was man sich gestand selber fühlen zu müssen; andrerseits
durch ihre große Ruhe und Gelassenheit. Der Verfasser wurde bald bekannt, und
die reactionäre Partei hatte wieder Gelegenheit, gegen den gottverfluchten Samen

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[442/0009] wisse Abspannung. Man sah mit Befremden, daß in die neue Regierung ein Reactionär nach dem andern eingeführt wurde, sie gewann immer mehr eine pie¬ tistisch-doctrinäre Färbung. Indessen war doch der Fortschritt des politischen Le¬ bens gegen die alte Polizeistille unverkennbar. Die Censur wurde gemildert, die Zeitungen fingen an, von Thiers und Guizot zu abstrahiren, und sich um die vaterländischen Angelegenheiten zu kümmern. Dem König war es Ernst mit dem neuen Leben; gern hätte er, was ihm am Herzen lag, in der freien Entschließung aller seiner Unterthanen wiedergefunden; gern hätte er die „herzgewinnenden“ Doc- trinen, in denen er aufgewachsen war, in dem bewegten Leben des Staats ver¬ wirklicht gesehen. Schlimm genug, daß diese Doctrinen dem Bewußtsein der Zeit widersprachen; die Romantik mußte doch früher oder später, da die Bewegung nicht in ihrem Sinne ausfiel, sich in das Capitol des alten Polizeistaats zurück- flüchten. Eine der ersten Maßregeln, in denen sich diese Reaction aussprach, war die versuchte Unterdrückung der „Vier Fragen“. Diese kleine Broschüre hat ein ähnliches Aufsehen gemacht, als Sieyes berühmte Erklärung über den Tiers- Etat. Sie suchte nachzuweisen, daß die Forderung des Königsberger Landtags nichts anderes wollte, als den Rechtszustand, der durch eine widerrechtliche Re¬ action hintertrieben sei, wiederherzustellen; daß es früher wirklich in der Absicht der Regierung gelegen habe, denselben ins Werk zu setzen — mit einer gewissen Ironie wurden Aussprüche der früheren Minister und des Königs selbst citirt —; daß die sogenannte organische Entwickelung des altständischen Wesens auf keine Weise der ursprünglichen Anlage entspräche, daß sie vielmehr unmögliche Zustände künstlich von neuem ins Leben zu rufen und durch eine Scheinvertretung die recht¬ liche Ausbildung des Staats unmöglich zu machen suchte. Die letzte Frage lau¬ tete: Was sollen die Stäude jetzt thun? — Was sie früher als Gnade erbeten, jetzt als Recht in Anspruch nehmen. Das war eine Sentenz, keine positive Antwort, doch das alte Preußenthum fuhr zusammen. Ein Recht dem königlichen Willen gegenüber! Man sah einfach darin eine Aufforderung zur Rebellion. Jacoby interpretirte sie nachher als eine Aufforderung zur „motivirten Wiederholung jenes ersten Antrags“. Im Wortlaut lag in der That nicht mehr, und vor Gericht mußte Jacoby freigesprochen werden. Der Sinn war aber doch ein anderer. „Wäre ein Obmann zwischen uns und Oestreich So könnte Recht entscheiden und Gesetz. Doch der uns unterdrückt, ist unser Kaiser.“ Die Brochüre imponirte einestheils durch die Schärfe und Bestimmtheit, mit der ausgesprochen war, was man sich gestand selber fühlen zu müssen; andrerseits durch ihre große Ruhe und Gelassenheit. Der Verfasser wurde bald bekannt, und die reactionäre Partei hatte wieder Gelegenheit, gegen den gottverfluchten Samen

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Zitationshilfe: N. N.: Öffentliche Charaktere II: Johann Jacoby. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 434-452, hier S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_charaktere02_1848/9>, abgerufen am 09.11.2024.