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N. N.: Öffentliche Charaktere II: Johann Jacoby. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 434-452.

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Spaß erlaubte. Die Freiheitskriege waren sehr lebhaft im Gedächtnisse. Zudem
fühlte man den Druck des Polizeistaates nicht besonders. Die Behörden waren
zum großen Theil liberal; so der Oberpräsident v. Schön, der Polizeipräsident
Abegg, von den Oberbürgermeistern und Rathsangehörigen gar nicht zu reden.
Die Censur merkte man nicht, denn in der Provinz selber wurde nichts geschrie¬
ben, das Bedürfniß der masurischen Pastorensöhne beschränkte sich in der Regel
auf die Compendien, und wer ein Gelüste nach verbotenen Früchten hatte, fand
den Börne, die Wally und Aehnliches bequem in jeder Leihbibliothek. Die Idee
der Judenemancipation war noch nicht herrschende Stimmung, wenn man auch
religiös sehr tolerant war; bei Juden dachte man zu sehr an die Branntwein¬
schenken in der Vorstadt und an die Hausirer; von den Corporationsbällen der
Kaufmannschaft waren die Juden ausgeschlossen und auf ihr eigenes Local, die
Harmonie, angewiesen. Die Orthodoxie blieb in dem engen Kreise kleiner Leute,
die sonntäglich den langen Weg in die haberberger und sackheimer Kirche zurück¬
legten, im Uebrigen gab sie kein Aergerniß, man scherzte über die alten steifen
Pastoren, wenn sie in ihren urväterlichen Kanonenstiefeln bedächtig über die
Straße schritten und die Huldigung von diesem oder jenem alten Mütterchen an¬
nahmen, das noch auf "frommer Väter Weise" den Herrn verehrte, aber man
fand keine Veranlassung in directe Opposition zu treten. In dem berüchtigten
Muckerprozeß, der freilich einem kleinen Theil der hohen Aristokratie einen harten
Stoß gab, hatte die Staatsgewalt und selbst die Orthodoxie gegen die Ausschwei¬
fung des Mysticismus Partei genommen; in der Kölner Frage ging ganz Königs¬
berg mit der Regierung gegen den Ultramontanismus Hand in Hand.

Doch waren auch oppositionelle Momente in Menge vorhanden. Einmal war
die Bürgerschaft durch die Schuldenlast aus den Freiheitskriegen her gedrückt,
eben so wie ein großer Theil des ostpreußischen Grundbesitzes. Man hatte da¬
mals viel geopfert und fühlte sich in tausendfachen Beziehungen zurückgesetzt. Dem
Handel war durch die russische Grenzsperre ein tödtlicher Schlag versetzt, Königs¬
berg verarmte und sah mit einem gerechten Ingrimm die fortdauernde Intimität
des preußischen Cabinets mit dem russischen Kaiser, während Rußland alle Lebens¬
adern des preußischen Wohlstandes aussog. Um so gehässiger war dieses Bünd-
niß, da die bestehende Cartelconvention fortwährend zu widerwärtigen Scenen --
der Auslieferung von Flüchtlingen -- Veranlassung gab und die Sage von der
russischen Barbarei bei der consequenten Abschließung dieses Reichs durch seine
größere Nähe keineswegs gemildert wurde. Zudem war man den adeligen Offi¬
zieren abgeneigt, die zwar bei jedem Ball von Reputation unentbehrliche Figuren
schienen, die aber hier so wenig wie in den andern Provinzen geeignet waren, das
natürliche Ehrgefühl des Bürgerstandes mit ihrer exceptionellen Stellung zu ver¬
söhnen. Der Offizierstand war in Königsberg viel abgeschlossener, viel mehr auf
seinen eigenen Kreis beschränkt -- die Artillerie immer ausgenommen -- als in

Spaß erlaubte. Die Freiheitskriege waren sehr lebhaft im Gedächtnisse. Zudem
fühlte man den Druck des Polizeistaates nicht besonders. Die Behörden waren
zum großen Theil liberal; so der Oberpräsident v. Schön, der Polizeipräsident
Abegg, von den Oberbürgermeistern und Rathsangehörigen gar nicht zu reden.
Die Censur merkte man nicht, denn in der Provinz selber wurde nichts geschrie¬
ben, das Bedürfniß der masurischen Pastorensöhne beschränkte sich in der Regel
auf die Compendien, und wer ein Gelüste nach verbotenen Früchten hatte, fand
den Börne, die Wally und Aehnliches bequem in jeder Leihbibliothek. Die Idee
der Judenemancipation war noch nicht herrschende Stimmung, wenn man auch
religiös sehr tolerant war; bei Juden dachte man zu sehr an die Branntwein¬
schenken in der Vorstadt und an die Hausirer; von den Corporationsbällen der
Kaufmannschaft waren die Juden ausgeschlossen und auf ihr eigenes Local, die
Harmonie, angewiesen. Die Orthodoxie blieb in dem engen Kreise kleiner Leute,
die sonntäglich den langen Weg in die haberberger und sackheimer Kirche zurück¬
legten, im Uebrigen gab sie kein Aergerniß, man scherzte über die alten steifen
Pastoren, wenn sie in ihren urväterlichen Kanonenstiefeln bedächtig über die
Straße schritten und die Huldigung von diesem oder jenem alten Mütterchen an¬
nahmen, das noch auf „frommer Väter Weise“ den Herrn verehrte, aber man
fand keine Veranlassung in directe Opposition zu treten. In dem berüchtigten
Muckerprozeß, der freilich einem kleinen Theil der hohen Aristokratie einen harten
Stoß gab, hatte die Staatsgewalt und selbst die Orthodoxie gegen die Ausschwei¬
fung des Mysticismus Partei genommen; in der Kölner Frage ging ganz Königs¬
berg mit der Regierung gegen den Ultramontanismus Hand in Hand.

Doch waren auch oppositionelle Momente in Menge vorhanden. Einmal war
die Bürgerschaft durch die Schuldenlast aus den Freiheitskriegen her gedrückt,
eben so wie ein großer Theil des ostpreußischen Grundbesitzes. Man hatte da¬
mals viel geopfert und fühlte sich in tausendfachen Beziehungen zurückgesetzt. Dem
Handel war durch die russische Grenzsperre ein tödtlicher Schlag versetzt, Königs¬
berg verarmte und sah mit einem gerechten Ingrimm die fortdauernde Intimität
des preußischen Cabinets mit dem russischen Kaiser, während Rußland alle Lebens¬
adern des preußischen Wohlstandes aussog. Um so gehässiger war dieses Bünd-
niß, da die bestehende Cartelconvention fortwährend zu widerwärtigen Scenen —
der Auslieferung von Flüchtlingen — Veranlassung gab und die Sage von der
russischen Barbarei bei der consequenten Abschließung dieses Reichs durch seine
größere Nähe keineswegs gemildert wurde. Zudem war man den adeligen Offi¬
zieren abgeneigt, die zwar bei jedem Ball von Reputation unentbehrliche Figuren
schienen, die aber hier so wenig wie in den andern Provinzen geeignet waren, das
natürliche Ehrgefühl des Bürgerstandes mit ihrer exceptionellen Stellung zu ver¬
söhnen. Der Offizierstand war in Königsberg viel abgeschlossener, viel mehr auf
seinen eigenen Kreis beschränkt — die Artillerie immer ausgenommen — als in

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[436/0003] Spaß erlaubte. Die Freiheitskriege waren sehr lebhaft im Gedächtnisse. Zudem fühlte man den Druck des Polizeistaates nicht besonders. Die Behörden waren zum großen Theil liberal; so der Oberpräsident v. Schön, der Polizeipräsident Abegg, von den Oberbürgermeistern und Rathsangehörigen gar nicht zu reden. Die Censur merkte man nicht, denn in der Provinz selber wurde nichts geschrie¬ ben, das Bedürfniß der masurischen Pastorensöhne beschränkte sich in der Regel auf die Compendien, und wer ein Gelüste nach verbotenen Früchten hatte, fand den Börne, die Wally und Aehnliches bequem in jeder Leihbibliothek. Die Idee der Judenemancipation war noch nicht herrschende Stimmung, wenn man auch religiös sehr tolerant war; bei Juden dachte man zu sehr an die Branntwein¬ schenken in der Vorstadt und an die Hausirer; von den Corporationsbällen der Kaufmannschaft waren die Juden ausgeschlossen und auf ihr eigenes Local, die Harmonie, angewiesen. Die Orthodoxie blieb in dem engen Kreise kleiner Leute, die sonntäglich den langen Weg in die haberberger und sackheimer Kirche zurück¬ legten, im Uebrigen gab sie kein Aergerniß, man scherzte über die alten steifen Pastoren, wenn sie in ihren urväterlichen Kanonenstiefeln bedächtig über die Straße schritten und die Huldigung von diesem oder jenem alten Mütterchen an¬ nahmen, das noch auf „frommer Väter Weise“ den Herrn verehrte, aber man fand keine Veranlassung in directe Opposition zu treten. In dem berüchtigten Muckerprozeß, der freilich einem kleinen Theil der hohen Aristokratie einen harten Stoß gab, hatte die Staatsgewalt und selbst die Orthodoxie gegen die Ausschwei¬ fung des Mysticismus Partei genommen; in der Kölner Frage ging ganz Königs¬ berg mit der Regierung gegen den Ultramontanismus Hand in Hand. Doch waren auch oppositionelle Momente in Menge vorhanden. Einmal war die Bürgerschaft durch die Schuldenlast aus den Freiheitskriegen her gedrückt, eben so wie ein großer Theil des ostpreußischen Grundbesitzes. Man hatte da¬ mals viel geopfert und fühlte sich in tausendfachen Beziehungen zurückgesetzt. Dem Handel war durch die russische Grenzsperre ein tödtlicher Schlag versetzt, Königs¬ berg verarmte und sah mit einem gerechten Ingrimm die fortdauernde Intimität des preußischen Cabinets mit dem russischen Kaiser, während Rußland alle Lebens¬ adern des preußischen Wohlstandes aussog. Um so gehässiger war dieses Bünd- niß, da die bestehende Cartelconvention fortwährend zu widerwärtigen Scenen — der Auslieferung von Flüchtlingen — Veranlassung gab und die Sage von der russischen Barbarei bei der consequenten Abschließung dieses Reichs durch seine größere Nähe keineswegs gemildert wurde. Zudem war man den adeligen Offi¬ zieren abgeneigt, die zwar bei jedem Ball von Reputation unentbehrliche Figuren schienen, die aber hier so wenig wie in den andern Provinzen geeignet waren, das natürliche Ehrgefühl des Bürgerstandes mit ihrer exceptionellen Stellung zu ver¬ söhnen. Der Offizierstand war in Königsberg viel abgeschlossener, viel mehr auf seinen eigenen Kreis beschränkt — die Artillerie immer ausgenommen — als in

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Zitationshilfe: N. N.: Öffentliche Charaktere II: Johann Jacoby. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 434-452, hier S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_charaktere02_1848/3>, abgerufen am 24.11.2024.