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N. N.: Öffentliche Charaktere I: Robert Blum. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 366-386.

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Bierbankpolitik; der Politik, welcher es weniger aus den Inhalt ankam, als auf
das Schlagende der Sentenzen und die Kraft, mit der man bei jedem Stichwort
die nervige Faust auf den Tisch schlug. Es lag ihnen nicht daran, voller Erfin¬
dung zu sein, wenn sie nur Feuer zeigten. Der Radicalismus spricht etwa so:
"Wir sehen gar nicht ein, warum wir uns cujoniren lassen sollen! Und wir sind
gar nicht die Leute danach! Und so ein Gelbschnabel braucht nicht mehr zu wissen,
als wir! Wir sind ansässige Bürger, und bezahlen unser Töpfchen, und fragen
den Henker nach so einem überstudirten Professor! Wir ziehen den Hut vor keinem
Polizeidirector, ich sage, wer hat uns etwas zu befehlen? Donnerwetter!" und
so mit Grazie in infinitum. Dazwischen noch eine Erklärung: "Hans geht in ein
anderes Bierhaus, er ist ein schmachvoller Verräther, ein erkaufter Söldling, ein
entarteter Sohn des Vaterlandes, ein Spitzbube u. s. w." aber: "Kunz geht in
unsere Kneipe, er ist ein Biedermann, dessen Herz warm für das Volk schlägt" u. s. w.

Durch Blum's Beitritt kam in diese Polemik etwas Methode; der biedere,
ungezwungene Ton des Bierbank-Radicalismus wurde beibehalten, dazwischen kam
aber etwas vom "Sterberöcheln der Freiheit", vom "blutenden Herzen der Mensch¬
heit", von der "Morgenröthe der Zukunft", und so wurde das Nützliche mit dem
Angenehmen vereinigt. Die Propheten des Radicalismus waren einfältige Leute,
schlecht und recht; sie kümmerten sich nicht um die Weisheit dieser Welt, sie nah¬
men höchstens einmal eine Redensart auf, die sich aus dem Rotteck'schen Staats-
lexicon in irgend ein Leipziger Journal verirrt hatte, und ersetzten das Uebrige
durch Grobheit. War nicht gerade ein Edelmann, ein verthierter Söldling oder
ein Jesuit, den man in majorem Dei gloriam herunter machen konnte, so mußte
die Censur herhalten. "Wenn dieser Wachsmuth oder Marbach nicht wäre, so
wollten wir der Welt Wunderdinge verkündigen!"

Ihre wahre Bestimmung erkannten die Vaterlandsblätter, als Ronge seinen
berühmten Brief an den Bischof Arnoldi schrieb, wegen des heiligen Rockes. Nun
war ein unerschöpflicher Stoff da: die Monstrosität des katholischen Aberglaubens,
gleich gerecht für die protestantischen Sympathien und das aufgeklärte Leipzig.
Gleich darauf erfolgte die Stiftung der deutschkatholischen Gemeinde. Es gelüstete
den Liberalismus, zu entstehen, und da er seinem Wesen nach bis dahin sich
ziemlich in der Negative gehalten, so war ihm die freie Gemeinde, zur Verehrung
des guten, braven Gottes, der rechtschaffnen Vorsehung und der freien Menschheit
eine unersetzliche Fundgrube. Blum erinnerte sich daran, daß er Katholik sei, und
gründete eine deutschkatholische Gemeinde in Leipzig. Bei der ersten Zusammenkunft
kamen auch die "Römischen" hin, und ein schlauer Anwalt derselben gestand zu,
die Mißbräuche in der Kirche seien unleugbar, aber man solle nicht durch einsei-
tigen Abfall, sondern durch gemeinsame Berathung, durch eine innerhalb der Kirche
zu vollziehende Reformation denselben abhelfen. Blum wußte nicht gleich, was er
darauf einwenden solle, aber ein gelehrter spiritus familiaris, der ihm schon

Grenzboten. III. 1848. 48

Bierbankpolitik; der Politik, welcher es weniger aus den Inhalt ankam, als auf
das Schlagende der Sentenzen und die Kraft, mit der man bei jedem Stichwort
die nervige Faust auf den Tisch schlug. Es lag ihnen nicht daran, voller Erfin¬
dung zu sein, wenn sie nur Feuer zeigten. Der Radicalismus spricht etwa so:
„Wir sehen gar nicht ein, warum wir uns cujoniren lassen sollen! Und wir sind
gar nicht die Leute danach! Und so ein Gelbschnabel braucht nicht mehr zu wissen,
als wir! Wir sind ansässige Bürger, und bezahlen unser Töpfchen, und fragen
den Henker nach so einem überstudirten Professor! Wir ziehen den Hut vor keinem
Polizeidirector, ich sage, wer hat uns etwas zu befehlen? Donnerwetter!“ und
so mit Grazie in infinitum. Dazwischen noch eine Erklärung: „Hans geht in ein
anderes Bierhaus, er ist ein schmachvoller Verräther, ein erkaufter Söldling, ein
entarteter Sohn des Vaterlandes, ein Spitzbube u. s. w.“ aber: „Kunz geht in
unsere Kneipe, er ist ein Biedermann, dessen Herz warm für das Volk schlägt“ u. s. w.

Durch Blum's Beitritt kam in diese Polemik etwas Methode; der biedere,
ungezwungene Ton des Bierbank-Radicalismus wurde beibehalten, dazwischen kam
aber etwas vom „Sterberöcheln der Freiheit“, vom „blutenden Herzen der Mensch¬
heit“, von der „Morgenröthe der Zukunft“, und so wurde das Nützliche mit dem
Angenehmen vereinigt. Die Propheten des Radicalismus waren einfältige Leute,
schlecht und recht; sie kümmerten sich nicht um die Weisheit dieser Welt, sie nah¬
men höchstens einmal eine Redensart auf, die sich aus dem Rotteck'schen Staats-
lexicon in irgend ein Leipziger Journal verirrt hatte, und ersetzten das Uebrige
durch Grobheit. War nicht gerade ein Edelmann, ein verthierter Söldling oder
ein Jesuit, den man in majorem Dei gloriam herunter machen konnte, so mußte
die Censur herhalten. „Wenn dieser Wachsmuth oder Marbach nicht wäre, so
wollten wir der Welt Wunderdinge verkündigen!“

Ihre wahre Bestimmung erkannten die Vaterlandsblätter, als Ronge seinen
berühmten Brief an den Bischof Arnoldi schrieb, wegen des heiligen Rockes. Nun
war ein unerschöpflicher Stoff da: die Monstrosität des katholischen Aberglaubens,
gleich gerecht für die protestantischen Sympathien und das aufgeklärte Leipzig.
Gleich darauf erfolgte die Stiftung der deutschkatholischen Gemeinde. Es gelüstete
den Liberalismus, zu entstehen, und da er seinem Wesen nach bis dahin sich
ziemlich in der Negative gehalten, so war ihm die freie Gemeinde, zur Verehrung
des guten, braven Gottes, der rechtschaffnen Vorsehung und der freien Menschheit
eine unersetzliche Fundgrube. Blum erinnerte sich daran, daß er Katholik sei, und
gründete eine deutschkatholische Gemeinde in Leipzig. Bei der ersten Zusammenkunft
kamen auch die „Römischen“ hin, und ein schlauer Anwalt derselben gestand zu,
die Mißbräuche in der Kirche seien unleugbar, aber man solle nicht durch einsei-
tigen Abfall, sondern durch gemeinsame Berathung, durch eine innerhalb der Kirche
zu vollziehende Reformation denselben abhelfen. Blum wußte nicht gleich, was er
darauf einwenden solle, aber ein gelehrter spiritus familiaris, der ihm schon

Grenzboten. III. 1848. 48
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[373/0008] Bierbankpolitik; der Politik, welcher es weniger aus den Inhalt ankam, als auf das Schlagende der Sentenzen und die Kraft, mit der man bei jedem Stichwort die nervige Faust auf den Tisch schlug. Es lag ihnen nicht daran, voller Erfin¬ dung zu sein, wenn sie nur Feuer zeigten. Der Radicalismus spricht etwa so: „Wir sehen gar nicht ein, warum wir uns cujoniren lassen sollen! Und wir sind gar nicht die Leute danach! Und so ein Gelbschnabel braucht nicht mehr zu wissen, als wir! Wir sind ansässige Bürger, und bezahlen unser Töpfchen, und fragen den Henker nach so einem überstudirten Professor! Wir ziehen den Hut vor keinem Polizeidirector, ich sage, wer hat uns etwas zu befehlen? Donnerwetter!“ und so mit Grazie in infinitum. Dazwischen noch eine Erklärung: „Hans geht in ein anderes Bierhaus, er ist ein schmachvoller Verräther, ein erkaufter Söldling, ein entarteter Sohn des Vaterlandes, ein Spitzbube u. s. w.“ aber: „Kunz geht in unsere Kneipe, er ist ein Biedermann, dessen Herz warm für das Volk schlägt“ u. s. w. Durch Blum's Beitritt kam in diese Polemik etwas Methode; der biedere, ungezwungene Ton des Bierbank-Radicalismus wurde beibehalten, dazwischen kam aber etwas vom „Sterberöcheln der Freiheit“, vom „blutenden Herzen der Mensch¬ heit“, von der „Morgenröthe der Zukunft“, und so wurde das Nützliche mit dem Angenehmen vereinigt. Die Propheten des Radicalismus waren einfältige Leute, schlecht und recht; sie kümmerten sich nicht um die Weisheit dieser Welt, sie nah¬ men höchstens einmal eine Redensart auf, die sich aus dem Rotteck'schen Staats- lexicon in irgend ein Leipziger Journal verirrt hatte, und ersetzten das Uebrige durch Grobheit. War nicht gerade ein Edelmann, ein verthierter Söldling oder ein Jesuit, den man in majorem Dei gloriam herunter machen konnte, so mußte die Censur herhalten. „Wenn dieser Wachsmuth oder Marbach nicht wäre, so wollten wir der Welt Wunderdinge verkündigen!“ Ihre wahre Bestimmung erkannten die Vaterlandsblätter, als Ronge seinen berühmten Brief an den Bischof Arnoldi schrieb, wegen des heiligen Rockes. Nun war ein unerschöpflicher Stoff da: die Monstrosität des katholischen Aberglaubens, gleich gerecht für die protestantischen Sympathien und das aufgeklärte Leipzig. Gleich darauf erfolgte die Stiftung der deutschkatholischen Gemeinde. Es gelüstete den Liberalismus, zu entstehen, und da er seinem Wesen nach bis dahin sich ziemlich in der Negative gehalten, so war ihm die freie Gemeinde, zur Verehrung des guten, braven Gottes, der rechtschaffnen Vorsehung und der freien Menschheit eine unersetzliche Fundgrube. Blum erinnerte sich daran, daß er Katholik sei, und gründete eine deutschkatholische Gemeinde in Leipzig. Bei der ersten Zusammenkunft kamen auch die „Römischen“ hin, und ein schlauer Anwalt derselben gestand zu, die Mißbräuche in der Kirche seien unleugbar, aber man solle nicht durch einsei- tigen Abfall, sondern durch gemeinsame Berathung, durch eine innerhalb der Kirche zu vollziehende Reformation denselben abhelfen. Blum wußte nicht gleich, was er darauf einwenden solle, aber ein gelehrter spiritus familiaris, der ihm schon Grenzboten. III. 1848. 48

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Zitationshilfe: N. N.: Öffentliche Charaktere I: Robert Blum. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 366-386, hier S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_charaktere01_1848/8>, abgerufen am 09.11.2024.