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N. N.: Öffentliche Charaktere I: Robert Blum. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 366-386.

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Nach langem Warten kam das radikale Comite endlich darauf, man solle in
einer "gewaltigen, aber ruhigen Demonstration" nach Dresden ziehen. Ein lei¬
denschaftlicher Radikaler -- kein Leipziger -- machte den Antrag, aber in einem
andern Sinne, als Blum es gewollt. Er schlug nämlich vor, Musketen mitzu¬
nehmen. Das ging über den Spaß. Schandshalber mußte sich der Vorstand der
Versammlung schon der Sache annehmen, aber er zog es wieder ins Friedliche
und schob den Zug von Tag zu Tag hinaus, "weil er den nöthigen Schmuck,
die Fahnen, Standarten und sonstigen Zeichen erst besorgen müsse." So wurde
man von allen Seiten lau, ja es kam schon wieder ein gewisser Katzenjammer über
Leipzig, bis sich endlich in Dresden durch die Veränderung des Ministeriums die
Sache von selbst erledigte. In Dresden muß die Leipziger Bewegung viel fürch¬
terlicher ausgesehen haben.

Das Talent, die Aufregung zu nähren, hat Blum bei dieser Gelegenheit in
hohem Grade gezeigt, aber nicht das höhere Talent des Revolutionärs, im rechten
Augenblick die Aufregung zur That zu entzünden. Dazu fehlt es ihm nicht gerade
an Muth, aber an Elasticität des Geistes. Er ist beständig Phraseur und repro-
ducirt die Politik von Gestern. Auch von einer verständigen kalten Berechnung
war nicht die Rede. Die ganze Partei wiegte sich in süßen Träumereien und
wurde jeden Augenblick von den Ereignissen bestimmt, anstatt sie zu beherrschen.

Das beste Zeugniß ist sein Betragen bei der Vorbereitung zu dem deutschen
Vorparlament. Die sächsischen Oppositionsmitglieder kamen in Leipzig zusammen
und wählten unter Andern auch ihn zum Deputirten. Er lehnte die Wahl ab,
weil er seine Geschäfte nicht verlassen könne. Bescheidenheit war es doch nicht,
es war offenbar Unschlüssigkeit. Später besann er sich freilich anders und ließ
sich nachträglich in Zwickau wählen.

Schon auf der Hinreise hatte Blum Gelegenheit, seine Popularität kennen
zu lernen. Als er in der Nähe von Frankfurt die Menge haranguirte, und mit
den Worten begann: Ich bin aus Leipzig und heiße Robert Blum, erhob sich
ein endloser Jubel. In der Paulskirche steigerte sich diese Autorität durch seine
"biedre," versöhnliche Haltung. Die Versammlung war, ihrem revolutionären
Charakter nach, etwas stürmisch und schwer zu zügeln; ihr Präsident Mittermaier
hatte nicht das Organ, sie zu dominiren. Hier war Blum an seinem Platz. Aus
seinem gewaltigen Brustkasten heraus rief er einmal über das andere der Versamm¬
lung zu: meine Herren, Sie morden den Präsidenten! und setzte durch momentane
Herstellung der Ruhe sowohl seine Humanität als sein Ansehn in's rechte Licht.
Was seine politische Haltung betrifft, so mußte sie ebenso dem "souverainen"
Volk, als den Gemäßigten zusagen. Er stürmte mit den Radicalen in der Per-
manenzfrage wie in dem Votum gegen den Bundestag, aber er unterließ es, mit
ihnen auszutreten.

Die radicale Partei faßte die Sache, wie sie ihrer Entstehung nach war:

Nach langem Warten kam das radikale Comité endlich darauf, man solle in
einer „gewaltigen, aber ruhigen Demonstration“ nach Dresden ziehen. Ein lei¬
denschaftlicher Radikaler — kein Leipziger — machte den Antrag, aber in einem
andern Sinne, als Blum es gewollt. Er schlug nämlich vor, Musketen mitzu¬
nehmen. Das ging über den Spaß. Schandshalber mußte sich der Vorstand der
Versammlung schon der Sache annehmen, aber er zog es wieder ins Friedliche
und schob den Zug von Tag zu Tag hinaus, „weil er den nöthigen Schmuck,
die Fahnen, Standarten und sonstigen Zeichen erst besorgen müsse.“ So wurde
man von allen Seiten lau, ja es kam schon wieder ein gewisser Katzenjammer über
Leipzig, bis sich endlich in Dresden durch die Veränderung des Ministeriums die
Sache von selbst erledigte. In Dresden muß die Leipziger Bewegung viel fürch¬
terlicher ausgesehen haben.

Das Talent, die Aufregung zu nähren, hat Blum bei dieser Gelegenheit in
hohem Grade gezeigt, aber nicht das höhere Talent des Revolutionärs, im rechten
Augenblick die Aufregung zur That zu entzünden. Dazu fehlt es ihm nicht gerade
an Muth, aber an Elasticität des Geistes. Er ist beständig Phraseur und repro-
ducirt die Politik von Gestern. Auch von einer verständigen kalten Berechnung
war nicht die Rede. Die ganze Partei wiegte sich in süßen Träumereien und
wurde jeden Augenblick von den Ereignissen bestimmt, anstatt sie zu beherrschen.

Das beste Zeugniß ist sein Betragen bei der Vorbereitung zu dem deutschen
Vorparlament. Die sächsischen Oppositionsmitglieder kamen in Leipzig zusammen
und wählten unter Andern auch ihn zum Deputirten. Er lehnte die Wahl ab,
weil er seine Geschäfte nicht verlassen könne. Bescheidenheit war es doch nicht,
es war offenbar Unschlüssigkeit. Später besann er sich freilich anders und ließ
sich nachträglich in Zwickau wählen.

Schon auf der Hinreise hatte Blum Gelegenheit, seine Popularität kennen
zu lernen. Als er in der Nähe von Frankfurt die Menge haranguirte, und mit
den Worten begann: Ich bin aus Leipzig und heiße Robert Blum, erhob sich
ein endloser Jubel. In der Paulskirche steigerte sich diese Autorität durch seine
„biedre,“ versöhnliche Haltung. Die Versammlung war, ihrem revolutionären
Charakter nach, etwas stürmisch und schwer zu zügeln; ihr Präsident Mittermaier
hatte nicht das Organ, sie zu dominiren. Hier war Blum an seinem Platz. Aus
seinem gewaltigen Brustkasten heraus rief er einmal über das andere der Versamm¬
lung zu: meine Herren, Sie morden den Präsidenten! und setzte durch momentane
Herstellung der Ruhe sowohl seine Humanität als sein Ansehn in's rechte Licht.
Was seine politische Haltung betrifft, so mußte sie ebenso dem „souverainen“
Volk, als den Gemäßigten zusagen. Er stürmte mit den Radicalen in der Per-
manenzfrage wie in dem Votum gegen den Bundestag, aber er unterließ es, mit
ihnen auszutreten.

Die radicale Partei faßte die Sache, wie sie ihrer Entstehung nach war:

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[379/0014] Nach langem Warten kam das radikale Comité endlich darauf, man solle in einer „gewaltigen, aber ruhigen Demonstration“ nach Dresden ziehen. Ein lei¬ denschaftlicher Radikaler — kein Leipziger — machte den Antrag, aber in einem andern Sinne, als Blum es gewollt. Er schlug nämlich vor, Musketen mitzu¬ nehmen. Das ging über den Spaß. Schandshalber mußte sich der Vorstand der Versammlung schon der Sache annehmen, aber er zog es wieder ins Friedliche und schob den Zug von Tag zu Tag hinaus, „weil er den nöthigen Schmuck, die Fahnen, Standarten und sonstigen Zeichen erst besorgen müsse.“ So wurde man von allen Seiten lau, ja es kam schon wieder ein gewisser Katzenjammer über Leipzig, bis sich endlich in Dresden durch die Veränderung des Ministeriums die Sache von selbst erledigte. In Dresden muß die Leipziger Bewegung viel fürch¬ terlicher ausgesehen haben. Das Talent, die Aufregung zu nähren, hat Blum bei dieser Gelegenheit in hohem Grade gezeigt, aber nicht das höhere Talent des Revolutionärs, im rechten Augenblick die Aufregung zur That zu entzünden. Dazu fehlt es ihm nicht gerade an Muth, aber an Elasticität des Geistes. Er ist beständig Phraseur und repro- ducirt die Politik von Gestern. Auch von einer verständigen kalten Berechnung war nicht die Rede. Die ganze Partei wiegte sich in süßen Träumereien und wurde jeden Augenblick von den Ereignissen bestimmt, anstatt sie zu beherrschen. Das beste Zeugniß ist sein Betragen bei der Vorbereitung zu dem deutschen Vorparlament. Die sächsischen Oppositionsmitglieder kamen in Leipzig zusammen und wählten unter Andern auch ihn zum Deputirten. Er lehnte die Wahl ab, weil er seine Geschäfte nicht verlassen könne. Bescheidenheit war es doch nicht, es war offenbar Unschlüssigkeit. Später besann er sich freilich anders und ließ sich nachträglich in Zwickau wählen. Schon auf der Hinreise hatte Blum Gelegenheit, seine Popularität kennen zu lernen. Als er in der Nähe von Frankfurt die Menge haranguirte, und mit den Worten begann: Ich bin aus Leipzig und heiße Robert Blum, erhob sich ein endloser Jubel. In der Paulskirche steigerte sich diese Autorität durch seine „biedre,“ versöhnliche Haltung. Die Versammlung war, ihrem revolutionären Charakter nach, etwas stürmisch und schwer zu zügeln; ihr Präsident Mittermaier hatte nicht das Organ, sie zu dominiren. Hier war Blum an seinem Platz. Aus seinem gewaltigen Brustkasten heraus rief er einmal über das andere der Versamm¬ lung zu: meine Herren, Sie morden den Präsidenten! und setzte durch momentane Herstellung der Ruhe sowohl seine Humanität als sein Ansehn in's rechte Licht. Was seine politische Haltung betrifft, so mußte sie ebenso dem „souverainen“ Volk, als den Gemäßigten zusagen. Er stürmte mit den Radicalen in der Per- manenzfrage wie in dem Votum gegen den Bundestag, aber er unterließ es, mit ihnen auszutreten. Die radicale Partei faßte die Sache, wie sie ihrer Entstehung nach war:

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Bremen : Staats- und Universitätsbibliothek: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-05-24T15:31:47Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: N. N.: Öffentliche Charaktere I: Robert Blum. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 366-386, hier S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_charaktere01_1848/14>, abgerufen am 23.11.2024.