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Die Bayerische Presse. Nr. 282. Würzburg, 25. November 1850.

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[Spaltenumbruch] Uniform berechtigt. Derselbe ist bereits in das
Hauptquartier des Fürsten von Thurn und Taxis
abgereist.

   

Karlsruhe, 19. Nov. Jn der heutigen Sitz-
ung der ersten Kammer macht das Sekretariat
die Anzeige, daß zur Prüfung und Berichterstat-
tung über die Motion des Geh. Raths v. Hir-
scher in Betreff der Regelung des Verhältnisses
zwischen Staat und katholischer Kirche in der letz-
ten Vorberathung eine Commission gewählt wor-
den sei, bestehend aus: Hofrath Zöpfl, Frhrn. v.
Andlaw, und Legationsrath v. Türckheim.

Mainz, 22. Nov. Um mit seinem Votum
in der letzten Sitznng der zweiten Ständekammer
in Uebereinstimmung zu bleiben, hat sich Dr. Mil-
ler=Melchiors geweigert, seiner Pflicht als hessi-
scher Staatsbürger Genüge zu leisten und die
schuldigen Steuern zu zahlen. Er hat sich lieber
"pfänden" lassen.

Wien, 18. Nov. Jakob Venedey, von dessen
Gefühlspolitik wir in der Paulskirche so viel zu
leiden hatten, richtete in der "Zeitung für Nord-
deutschland " einen Aufruf an die Oesterreicher
und verlangt, daß sie nicht gegen Schleswig=Hol-
stein ziehen möchten, damit sie nicht denselben Fre-
vel an den Herzogthümern begehen, welchen einst
Gagern in der Paulskirche begehen wollte --
Ausstoßung aus Deutschland! -- Der Wahnsinn
selbst könnte keine verkehrtere Zusammenstellung
machen, als diese Venedey'sche. Gagern wollte
das alte, ehrwürdige Verhältniß Oesterreichs zu
Deutschland vernichten, Oesterreich aber will das
alte ursprüngliche Verhältniß der nordischen Her-
zogthümer zu Deutschland erhalten, retten. Wo
ist da eine Aehnlichkeit des Gagern'schen und
österreichischen Verfahrens? -- Jndem Gagern
einen Einheitsstaat und eine preußische Kaiserwürde
ausrichten und mit Oesterreich einen völkerrechtli-
chen Bund schließen wollte, machte er einen Schnitt
durch das Herz des Vaterlandes, zerriß was die
Natur vereinigt hatte, und gewährte Oesterreich
was jeder Nachbarstaat dem Nachbar, dem Frem-
den, nicht aber was er dem Bruder gewährt, der
an derselben Mutterbrust großgezogen, mit dem
Bruder dieselben Schmerzen, dieselben Freuden
getheilt hatte seit vielen Jahrhunderten. Verfährt
Oesterreich so mit Holstein oder selbst mit Schles-
wig? Holstein bleibt, was es war, ein deutsches
Land, Schleswig aber, das nie ein deutsches Land
war, sondern das nur mit Holstein traulich zu-
sammenlebte, wird auch in der Zukunft nicht so
innig mit Dänemark zusammenwachsen, um nicht
noch in traulichem Verhältniß mit Holstein, also
mit Deutschland zu bleiben. Das alles aber hin-
dert die Jntegrität des dänischen Staates nicht,
welche die Großmächte garantirt haben, welche
Garantie nur gegen die einstige unbedingte Los-
reißung von Dänemark schützt, wie der deutsche
Bund die Herzogthümer gegen die unbedingte Los-
reißung von Deutschland schützt. -- So verstand
der Bundestagsbeschluß von 1846 die Sache, so
versteht sie das Londoner Protokoll, und so wird
sie so eben durch die Bundesexecutionstruppen in
Erfüllung gebracht werden, da die Statthalter-
schaft zu Kiel verblendet genug ist, auf einen Ver-
gleich im Sinne des Bundesbeschlusses von 1846
jetzt nicht eingehen zu wollen, während damals die
Herzogthümer vollkommen damit einverstanden wa-
ren. Freilich, es lag eine Revolution zwischen
jenem Beschluß von 1846 und dem heutigen Tage,
die Abgeordneten Schleswigs hatten unterdessen
in der Paulskirche getagt, die Revolution hatte
Schleswig als eine deutsche Provinz proklamirt
und Ströme von Blut sind seitdem in Folge die-
ses revolutionären Machtspruches geflossen. Allein
das alles zerreißt alte, bestehende, geheiligte Ver-
träge nicht, und an dem Tage, wo die Herrschaft
der Revolution gebrochen wurde, hatte der Traum
des schleswig'schen Deutschthums aufgehört und
das alte Recht und die alten Verträge stehen un-
versehrt und in vollster Geltung wieder vor uns.

   

Berlin, 16. Nov. Während über die Frage:
"ob Krieg, ob Frieden" noch immer die alte Un-
gewißheit fortdauert, häusen sich tagtäglich die
[Spaltenumbruch] Anzeichen, daß wir auch betreffs der innern Ver-
hältnisse Preußens uns in einer entscheidenden Kri-
sis befinden. Die Gothaer sind der Verzweiflung
näher als je: aber "um des Vaterlandes Willen"
mögen sie die Hoffnung noch immer nicht aufge-
ben. Bald erwarten sie die "Wiedergeburt"
Deutschlands vom Prinzen von Preußen, bald von
seiner Gemahlin; jetzt sind sie wieder voller Ent-
zücken, daß Hr. v. Vincke sich in Betracht der
schweren Zeit bewogen gefunden hat, seine Bereit-
willigkeit zur Annahme einer Wahl als Kammer-
mitglied zu erklären. "Solch ein Mann," meint
die "Const. Zeitung", "ohne ihn kein parlamenta-
rischer Sieg, mit ihm keine Niederlage!" Schon
hat Hr. v. Saucken=Tarputschen seine Gesinnungs-
genossen unter den Abgeordneten zu Partei=Ver-
sammlungen eingeladen -- und es wird also allem
Anschein nach nicht an harten parlamentarischen
Kämpfen, an herrlichen Reden und patriotischen
Stoßseufzern fehlen! Es ist aber auch in der
That den guten Leuten nicht zu verargen, wenn
sie jetzt ernstlich böse sind! Glaubten sie doch nach
dem Befehl zur Mobilisirung der Armee ihres
Sieges schon ganz gewiß zu sein, so daß sogar
Hr. v. Beckerrath aus Krefeld, Hr. Simson aus
Königsberg und Hr. Milde aus Breslau eiligst
sich in Berlin einfanden -- in der Erwartung,
mit der Bildung eines neuen Kabinets beauftragt
zu werden! Als sie vergeblich gewartet hatten,
zogen sie ganz in der Stille wieder ab -- nie
aber wäre ihnen jetzt noch zuzumuthen, noch län-
gere Geduld mit diesem Ministerium zu zeigen.
Ein "liberales" Kammermitglied hat sogar sei-
nem gepreßten Herzen nun durch ein an den Kö-
nig selbst gerichtetes Sendschreiben Luft machen
können, das durch seine Tiraden so sehr an den
Frühling 1848 erinnerte, daß kurz nach seinem
Erscheinen die Confiscation erfolgte. Selbst die
"Vossische Zeitung" tritt heute mit ungewohnter
Entschiedenheit gegen das Ministerium auf; es
kann also keinen Zweifel unterworfen sein -- eine
neue Wendung der Dinge steht bevor! Sind
aber diese Erscheinungen als die Vorboten eines
neuen Sturmes von unten her zu betrachten? Jch
glaube es nicht: ich sehe in ihnen nur ein Zeichen
des nahen, gänzlichen Falles der "Liberalen". Sie
könnten jetzt noch Hrn. v. Manteuffel in eine ziem-
lich "liberale" Bahn im Jnnern drängen, wenn sie
sich ihm anschlössen; durch ihre heftige Opposition
werden sie ihn wider Willen entweder direkt in
die Arme der Kreuzzeitungspartei drängen, oder
doch bewirken, daß er dieser die Wege bereitet.

   

Berlin, 18. Nov. Jnmitten der Gegenstände
des Staunens die sich seit einiger Zeit aus dem
Cabinette des Ministers v. Manteuffel vor den
Augen der Welt produciren, überraschte dieser
Lenker des preußischen Staats und der "Deutschen
Reform" die auf so vieles sonst gefaßten Zeitungs-
leser mit der Nachricht daß ein Hr. Seelig Cassel
zum Hauptredakteur des genannten, als das ein-
zige polemische Organ des Ministeriums sehr wich-
tigen Blattes erkoren ist. Für diejenigen denen
der Schlüssel zu dieser Erscheinung vorenthalten
ist, mag die Ueberraschung aus vielen Hinsichten
Grund gewinnen. Allerdings ist die Toleranz des
Hrn. v. Manteuffel, einem Juden, der noch dazu,
wie Kladderadatsch wissen will, so Stockjude ist,
daß er am Sabbat nicht schreibt, die Hauptre-
daktion seines amtlichen Evangeliums anzuver-
trauen etwas auffallend, wenn man sich einerseits
erinnert wie der Name Manteuffel auf der Liste
der Gegner der Judenemancipation beim verei-
nigten Landtage prangte, und wenn man sich an-
dererseits nicht erinnern kann, daß Hr. Cassel Rück-
blicke auf publicistische Leistungen mitzubringen im
Stande ist, die solche Toleranz in dem Herzen
eines Emancipationsgegners erzwingen mögen; und
allerdings ist es ferner auffallend, daß gerade am
Vorabend eines Kampfes mit dem deutschen Bunde,
sei es durch Waffen oder durch parlamentarische
Debatte, das mit der Logik und der Feder strei-
tende Blatt einem Lenker ohne anerkannten Na-
men übergeben wird. Allein das Geheimniß ist
leicht zu lösen wenn man ihm näher kommt: die
[Spaltenumbruch] Redaktion der Deutschen Reform ist faktisch in
den Händen des Ministers selbst, der sich durch
seinen Privatsekretär Reno Quehl vertreten läßt,
die leitenden Artikel werden von Räthen des Mi-
nisteriums, von besoldeten Publicisten und von
Freunden des Ministeriums geliefert, während das
technische und ökonomische Element in den Händen
des Dr. R. und des Hrn. von N. ist. Aber alle
die anonymen Herrschaften bedürfen, schon des
Preßgesetzes wegen, einen greifbaren Namen, ei-
nen Strohmann, einen Prügelknaben. Das ist
der Grund, warum noch vor acht Tugen keiner
gefunden war, der die wenig auf den Ruhm der
Selbständigkeit Anspruch machende Stelle anneh-
men mochte, und das ist wohl auch der Grund
warum man zu solcher Wahl griff, und das ist
wohl auch der Grund warum Hr. Cassel es wagt
die Verantwortlichkeit der Redaktion eines so ein-
flußreichen Blattes auf seine schwachen Schultern
zu nehmen. Der Hauptgrund ist, man braucht
einen Redakteur der nicht redigirt, einen Redac-
tor a non redigendo.
    ( A. Z. )

Berlin, 21. Nov. Aus Paris gehen uns von
verschiedenen wohlunterrichteten Seiten Mittheilun-
gen zu, nach welchen es nicht zweifelhaft ist, daß
für den Fall eines Conflictes zwischen den beiden
deutschen Größmächten die Kriegspartei in Frank-
reich die Uebermacht erlangen u. gegen den Rhein
operiren werde.

Berlin, 21. Nov. Zur Feier der Eröffnung
beider preuß. Kammern fand heute Vormittag in
der Domkirche für die Abgeordneten evangelischer,
und in der Hedwigskirche für die Abgeordneten
kath. Confession Gottesdienst statt. Aus den beiden
Kirchen begaben sich die Abgeordneten nach dem wei-
ßen Saal, der sich um 11 Uhr zu füllen begann.
Die Tribünen waren bereits um 10 Uhr geöffnet
worden, und hatten sich alsbald mit Publikum ge-
füllt, darunter die Correspondenten der einheimi-
schen und fremden Blätter. Unter den Abgeord-
neten fand eine sehr lebhafte gegenseitige Be-
grüßung statt. Um11 1 / 4 Uhr erschienen die
sämmtlichen Minister in Staatsuniform, zugleich
auf der reservirten Tribüne sehr vollzählig das
diplomatische Corps, unter dem namentlich die
Vertreter von Oesterreich und Rußland die Auf-
merksamkeit in Anspruch nahmen. Um 11 Uhr
20 Minuten traten unter Vorgang der Hof=Char-
gen Se. Maj. der König ein, gefolgt von Sr.
kgl. Hoheit dem Prinzen von Preußen und den
anwesenden Prinzen des kgl. Hauses. Se. Maj.
trugen die Uniform des ersten Garderegiments zu
Fuß. Von dem ehrfurchtsvollen Schweigen der
Versammlung begrüßt, nahmen Se. Majestät der
König auf dem Thron Platz, während die königl.
Prinzen zur rechten Seite des Thrones, hinter
Höchstdenselben die kgl. Hofchargen und zur linken
Seite des Thrones die Hrn. Minister standen.
Se. Majestät geruhten aus den Händen des Mi-
nisterpräsidenten v. Ladenberg Exc. das Manu-
skript in Empfang zu nehmen und lasen langsam
und deutlich die folgende

Thronrede.

Meine HH. Abgeordneten der ersten und zwei-
ten Kammer! Jnmitten einer schweren Zeit sehe
Jch Sie mit Vertrauen wieder um Meinen Thron
versammelt und heiße Sie von Herzen willkom-
men. Seit dem Schlusse Jhrer letzten Sitzung
ist Meine Regierung mit Eifer bemüht gewesen,
die mit Jhnen vereinbarten organischen Gesetze
ins Leben zu rufen. Jn allen Theilen des Lan-
des ist die Einführung der Gemeindeordnung be-
gonnen worden und nur die in dem Gesetze be-
gründete Berücksichtigung der manigfaltigen beste-
henden Verhältnisse hat ein gleichmäßiges Fort-
schreiten der Angelegenheit in den verschiedenen
Theilen der Monarchie verhindert. Obgleich das
Geschäft der vorläufigen Veranlagung der Grund-
steuer nach Maßgabe des Gesetzes vom 24. Febr.
d. J. noch nicht überall beendigt ist, so wird Meine
Regierung doch dafür Sorge tragen, daß Sie von den
Resultaten der Arbeit möglichst bald Einsicht erlangen.
Die großartigen Eisenbahnbauten, zu deren Aus-
führung Meine Regierung durch Jhre Zustimmung
in den Stand gesetzt ist, sind mit aller Kraft und

[Spaltenumbruch] Uniform berechtigt. Derselbe ist bereits in das
Hauptquartier des Fürsten von Thurn und Taxis
abgereist.

   

Karlsruhe, 19. Nov. Jn der heutigen Sitz-
ung der ersten Kammer macht das Sekretariat
die Anzeige, daß zur Prüfung und Berichterstat-
tung über die Motion des Geh. Raths v. Hir-
scher in Betreff der Regelung des Verhältnisses
zwischen Staat und katholischer Kirche in der letz-
ten Vorberathung eine Commission gewählt wor-
den sei, bestehend aus: Hofrath Zöpfl, Frhrn. v.
Andlaw, und Legationsrath v. Türckheim.

Mainz, 22. Nov. Um mit seinem Votum
in der letzten Sitznng der zweiten Ständekammer
in Uebereinstimmung zu bleiben, hat sich Dr. Mil-
ler=Melchiors geweigert, seiner Pflicht als hessi-
scher Staatsbürger Genüge zu leisten und die
schuldigen Steuern zu zahlen. Er hat sich lieber
„pfänden“ lassen.

Wien, 18. Nov. Jakob Venedey, von dessen
Gefühlspolitik wir in der Paulskirche so viel zu
leiden hatten, richtete in der „Zeitung für Nord-
deutschland “ einen Aufruf an die Oesterreicher
und verlangt, daß sie nicht gegen Schleswig=Hol-
stein ziehen möchten, damit sie nicht denselben Fre-
vel an den Herzogthümern begehen, welchen einst
Gagern in der Paulskirche begehen wollte --
Ausstoßung aus Deutschland! -- Der Wahnsinn
selbst könnte keine verkehrtere Zusammenstellung
machen, als diese Venedey'sche. Gagern wollte
das alte, ehrwürdige Verhältniß Oesterreichs zu
Deutschland vernichten, Oesterreich aber will das
alte ursprüngliche Verhältniß der nordischen Her-
zogthümer zu Deutschland erhalten, retten. Wo
ist da eine Aehnlichkeit des Gagern'schen und
österreichischen Verfahrens? -- Jndem Gagern
einen Einheitsstaat und eine preußische Kaiserwürde
ausrichten und mit Oesterreich einen völkerrechtli-
chen Bund schließen wollte, machte er einen Schnitt
durch das Herz des Vaterlandes, zerriß was die
Natur vereinigt hatte, und gewährte Oesterreich
was jeder Nachbarstaat dem Nachbar, dem Frem-
den, nicht aber was er dem Bruder gewährt, der
an derselben Mutterbrust großgezogen, mit dem
Bruder dieselben Schmerzen, dieselben Freuden
getheilt hatte seit vielen Jahrhunderten. Verfährt
Oesterreich so mit Holstein oder selbst mit Schles-
wig? Holstein bleibt, was es war, ein deutsches
Land, Schleswig aber, das nie ein deutsches Land
war, sondern das nur mit Holstein traulich zu-
sammenlebte, wird auch in der Zukunft nicht so
innig mit Dänemark zusammenwachsen, um nicht
noch in traulichem Verhältniß mit Holstein, also
mit Deutschland zu bleiben. Das alles aber hin-
dert die Jntegrität des dänischen Staates nicht,
welche die Großmächte garantirt haben, welche
Garantie nur gegen die einstige unbedingte Los-
reißung von Dänemark schützt, wie der deutsche
Bund die Herzogthümer gegen die unbedingte Los-
reißung von Deutschland schützt. -- So verstand
der Bundestagsbeschluß von 1846 die Sache, so
versteht sie das Londoner Protokoll, und so wird
sie so eben durch die Bundesexecutionstruppen in
Erfüllung gebracht werden, da die Statthalter-
schaft zu Kiel verblendet genug ist, auf einen Ver-
gleich im Sinne des Bundesbeschlusses von 1846
jetzt nicht eingehen zu wollen, während damals die
Herzogthümer vollkommen damit einverstanden wa-
ren. Freilich, es lag eine Revolution zwischen
jenem Beschluß von 1846 und dem heutigen Tage,
die Abgeordneten Schleswigs hatten unterdessen
in der Paulskirche getagt, die Revolution hatte
Schleswig als eine deutsche Provinz proklamirt
und Ströme von Blut sind seitdem in Folge die-
ses revolutionären Machtspruches geflossen. Allein
das alles zerreißt alte, bestehende, geheiligte Ver-
träge nicht, und an dem Tage, wo die Herrschaft
der Revolution gebrochen wurde, hatte der Traum
des schleswig'schen Deutschthums aufgehört und
das alte Recht und die alten Verträge stehen un-
versehrt und in vollster Geltung wieder vor uns.

   

Berlin, 16. Nov. Während über die Frage:
„ob Krieg, ob Frieden“ noch immer die alte Un-
gewißheit fortdauert, häusen sich tagtäglich die
[Spaltenumbruch] Anzeichen, daß wir auch betreffs der innern Ver-
hältnisse Preußens uns in einer entscheidenden Kri-
sis befinden. Die Gothaer sind der Verzweiflung
näher als je: aber „um des Vaterlandes Willen“
mögen sie die Hoffnung noch immer nicht aufge-
ben. Bald erwarten sie die „Wiedergeburt“
Deutschlands vom Prinzen von Preußen, bald von
seiner Gemahlin; jetzt sind sie wieder voller Ent-
zücken, daß Hr. v. Vincke sich in Betracht der
schweren Zeit bewogen gefunden hat, seine Bereit-
willigkeit zur Annahme einer Wahl als Kammer-
mitglied zu erklären. „Solch ein Mann,“ meint
die „Const. Zeitung“, „ohne ihn kein parlamenta-
rischer Sieg, mit ihm keine Niederlage!“ Schon
hat Hr. v. Saucken=Tarputschen seine Gesinnungs-
genossen unter den Abgeordneten zu Partei=Ver-
sammlungen eingeladen -- und es wird also allem
Anschein nach nicht an harten parlamentarischen
Kämpfen, an herrlichen Reden und patriotischen
Stoßseufzern fehlen! Es ist aber auch in der
That den guten Leuten nicht zu verargen, wenn
sie jetzt ernstlich böse sind! Glaubten sie doch nach
dem Befehl zur Mobilisirung der Armee ihres
Sieges schon ganz gewiß zu sein, so daß sogar
Hr. v. Beckerrath aus Krefeld, Hr. Simson aus
Königsberg und Hr. Milde aus Breslau eiligst
sich in Berlin einfanden -- in der Erwartung,
mit der Bildung eines neuen Kabinets beauftragt
zu werden! Als sie vergeblich gewartet hatten,
zogen sie ganz in der Stille wieder ab -- nie
aber wäre ihnen jetzt noch zuzumuthen, noch län-
gere Geduld mit diesem Ministerium zu zeigen.
Ein „liberales“ Kammermitglied hat sogar sei-
nem gepreßten Herzen nun durch ein an den Kö-
nig selbst gerichtetes Sendschreiben Luft machen
können, das durch seine Tiraden so sehr an den
Frühling 1848 erinnerte, daß kurz nach seinem
Erscheinen die Confiscation erfolgte. Selbst die
„Vossische Zeitung“ tritt heute mit ungewohnter
Entschiedenheit gegen das Ministerium auf; es
kann also keinen Zweifel unterworfen sein -- eine
neue Wendung der Dinge steht bevor! Sind
aber diese Erscheinungen als die Vorboten eines
neuen Sturmes von unten her zu betrachten? Jch
glaube es nicht: ich sehe in ihnen nur ein Zeichen
des nahen, gänzlichen Falles der „Liberalen“. Sie
könnten jetzt noch Hrn. v. Manteuffel in eine ziem-
lich „liberale“ Bahn im Jnnern drängen, wenn sie
sich ihm anschlössen; durch ihre heftige Opposition
werden sie ihn wider Willen entweder direkt in
die Arme der Kreuzzeitungspartei drängen, oder
doch bewirken, daß er dieser die Wege bereitet.

   

Berlin, 18. Nov. Jnmitten der Gegenstände
des Staunens die sich seit einiger Zeit aus dem
Cabinette des Ministers v. Manteuffel vor den
Augen der Welt produciren, überraschte dieser
Lenker des preußischen Staats und der „Deutschen
Reform“ die auf so vieles sonst gefaßten Zeitungs-
leser mit der Nachricht daß ein Hr. Seelig Cassel
zum Hauptredakteur des genannten, als das ein-
zige polemische Organ des Ministeriums sehr wich-
tigen Blattes erkoren ist. Für diejenigen denen
der Schlüssel zu dieser Erscheinung vorenthalten
ist, mag die Ueberraschung aus vielen Hinsichten
Grund gewinnen. Allerdings ist die Toleranz des
Hrn. v. Manteuffel, einem Juden, der noch dazu,
wie Kladderadatsch wissen will, so Stockjude ist,
daß er am Sabbat nicht schreibt, die Hauptre-
daktion seines amtlichen Evangeliums anzuver-
trauen etwas auffallend, wenn man sich einerseits
erinnert wie der Name Manteuffel auf der Liste
der Gegner der Judenemancipation beim verei-
nigten Landtage prangte, und wenn man sich an-
dererseits nicht erinnern kann, daß Hr. Cassel Rück-
blicke auf publicistische Leistungen mitzubringen im
Stande ist, die solche Toleranz in dem Herzen
eines Emancipationsgegners erzwingen mögen; und
allerdings ist es ferner auffallend, daß gerade am
Vorabend eines Kampfes mit dem deutschen Bunde,
sei es durch Waffen oder durch parlamentarische
Debatte, das mit der Logik und der Feder strei-
tende Blatt einem Lenker ohne anerkannten Na-
men übergeben wird. Allein das Geheimniß ist
leicht zu lösen wenn man ihm näher kommt: die
[Spaltenumbruch] Redaktion der Deutschen Reform ist faktisch in
den Händen des Ministers selbst, der sich durch
seinen Privatsekretär Reno Quehl vertreten läßt,
die leitenden Artikel werden von Räthen des Mi-
nisteriums, von besoldeten Publicisten und von
Freunden des Ministeriums geliefert, während das
technische und ökonomische Element in den Händen
des Dr. R. und des Hrn. von N. ist. Aber alle
die anonymen Herrschaften bedürfen, schon des
Preßgesetzes wegen, einen greifbaren Namen, ei-
nen Strohmann, einen Prügelknaben. Das ist
der Grund, warum noch vor acht Tugen keiner
gefunden war, der die wenig auf den Ruhm der
Selbständigkeit Anspruch machende Stelle anneh-
men mochte, und das ist wohl auch der Grund
warum man zu solcher Wahl griff, und das ist
wohl auch der Grund warum Hr. Cassel es wagt
die Verantwortlichkeit der Redaktion eines so ein-
flußreichen Blattes auf seine schwachen Schultern
zu nehmen. Der Hauptgrund ist, man braucht
einen Redakteur der nicht redigirt, einen Redac-
tor a non redigendo.
    ( A. Z. )

Berlin, 21. Nov. Aus Paris gehen uns von
verschiedenen wohlunterrichteten Seiten Mittheilun-
gen zu, nach welchen es nicht zweifelhaft ist, daß
für den Fall eines Conflictes zwischen den beiden
deutschen Größmächten die Kriegspartei in Frank-
reich die Uebermacht erlangen u. gegen den Rhein
operiren werde.

Berlin, 21. Nov. Zur Feier der Eröffnung
beider preuß. Kammern fand heute Vormittag in
der Domkirche für die Abgeordneten evangelischer,
und in der Hedwigskirche für die Abgeordneten
kath. Confession Gottesdienst statt. Aus den beiden
Kirchen begaben sich die Abgeordneten nach dem wei-
ßen Saal, der sich um 11 Uhr zu füllen begann.
Die Tribünen waren bereits um 10 Uhr geöffnet
worden, und hatten sich alsbald mit Publikum ge-
füllt, darunter die Correspondenten der einheimi-
schen und fremden Blätter. Unter den Abgeord-
neten fand eine sehr lebhafte gegenseitige Be-
grüßung statt. Um11 1 / 4 Uhr erschienen die
sämmtlichen Minister in Staatsuniform, zugleich
auf der reservirten Tribüne sehr vollzählig das
diplomatische Corps, unter dem namentlich die
Vertreter von Oesterreich und Rußland die Auf-
merksamkeit in Anspruch nahmen. Um 11 Uhr
20 Minuten traten unter Vorgang der Hof=Char-
gen Se. Maj. der König ein, gefolgt von Sr.
kgl. Hoheit dem Prinzen von Preußen und den
anwesenden Prinzen des kgl. Hauses. Se. Maj.
trugen die Uniform des ersten Garderegiments zu
Fuß. Von dem ehrfurchtsvollen Schweigen der
Versammlung begrüßt, nahmen Se. Majestät der
König auf dem Thron Platz, während die königl.
Prinzen zur rechten Seite des Thrones, hinter
Höchstdenselben die kgl. Hofchargen und zur linken
Seite des Thrones die Hrn. Minister standen.
Se. Majestät geruhten aus den Händen des Mi-
nisterpräsidenten v. Ladenberg Exc. das Manu-
skript in Empfang zu nehmen und lasen langsam
und deutlich die folgende

Thronrede.

Meine HH. Abgeordneten der ersten und zwei-
ten Kammer! Jnmitten einer schweren Zeit sehe
Jch Sie mit Vertrauen wieder um Meinen Thron
versammelt und heiße Sie von Herzen willkom-
men. Seit dem Schlusse Jhrer letzten Sitzung
ist Meine Regierung mit Eifer bemüht gewesen,
die mit Jhnen vereinbarten organischen Gesetze
ins Leben zu rufen. Jn allen Theilen des Lan-
des ist die Einführung der Gemeindeordnung be-
gonnen worden und nur die in dem Gesetze be-
gründete Berücksichtigung der manigfaltigen beste-
henden Verhältnisse hat ein gleichmäßiges Fort-
schreiten der Angelegenheit in den verschiedenen
Theilen der Monarchie verhindert. Obgleich das
Geschäft der vorläufigen Veranlagung der Grund-
steuer nach Maßgabe des Gesetzes vom 24. Febr.
d. J. noch nicht überall beendigt ist, so wird Meine
Regierung doch dafür Sorge tragen, daß Sie von den
Resultaten der Arbeit möglichst bald Einsicht erlangen.
Die großartigen Eisenbahnbauten, zu deren Aus-
führung Meine Regierung durch Jhre Zustimmung
in den Stand gesetzt ist, sind mit aller Kraft und

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[0002] Uniform berechtigt. Derselbe ist bereits in das Hauptquartier des Fürsten von Thurn und Taxis abgereist. ( A. Abz. ) Karlsruhe, 19. Nov. Jn der heutigen Sitz- ung der ersten Kammer macht das Sekretariat die Anzeige, daß zur Prüfung und Berichterstat- tung über die Motion des Geh. Raths v. Hir- scher in Betreff der Regelung des Verhältnisses zwischen Staat und katholischer Kirche in der letz- ten Vorberathung eine Commission gewählt wor- den sei, bestehend aus: Hofrath Zöpfl, Frhrn. v. Andlaw, und Legationsrath v. Türckheim. Mainz, 22. Nov. Um mit seinem Votum in der letzten Sitznng der zweiten Ständekammer in Uebereinstimmung zu bleiben, hat sich Dr. Mil- ler=Melchiors geweigert, seiner Pflicht als hessi- scher Staatsbürger Genüge zu leisten und die schuldigen Steuern zu zahlen. Er hat sich lieber „pfänden“ lassen. Wien, 18. Nov. Jakob Venedey, von dessen Gefühlspolitik wir in der Paulskirche so viel zu leiden hatten, richtete in der „Zeitung für Nord- deutschland “ einen Aufruf an die Oesterreicher und verlangt, daß sie nicht gegen Schleswig=Hol- stein ziehen möchten, damit sie nicht denselben Fre- vel an den Herzogthümern begehen, welchen einst Gagern in der Paulskirche begehen wollte -- Ausstoßung aus Deutschland! -- Der Wahnsinn selbst könnte keine verkehrtere Zusammenstellung machen, als diese Venedey'sche. Gagern wollte das alte, ehrwürdige Verhältniß Oesterreichs zu Deutschland vernichten, Oesterreich aber will das alte ursprüngliche Verhältniß der nordischen Her- zogthümer zu Deutschland erhalten, retten. Wo ist da eine Aehnlichkeit des Gagern'schen und österreichischen Verfahrens? -- Jndem Gagern einen Einheitsstaat und eine preußische Kaiserwürde ausrichten und mit Oesterreich einen völkerrechtli- chen Bund schließen wollte, machte er einen Schnitt durch das Herz des Vaterlandes, zerriß was die Natur vereinigt hatte, und gewährte Oesterreich was jeder Nachbarstaat dem Nachbar, dem Frem- den, nicht aber was er dem Bruder gewährt, der an derselben Mutterbrust großgezogen, mit dem Bruder dieselben Schmerzen, dieselben Freuden getheilt hatte seit vielen Jahrhunderten. Verfährt Oesterreich so mit Holstein oder selbst mit Schles- wig? Holstein bleibt, was es war, ein deutsches Land, Schleswig aber, das nie ein deutsches Land war, sondern das nur mit Holstein traulich zu- sammenlebte, wird auch in der Zukunft nicht so innig mit Dänemark zusammenwachsen, um nicht noch in traulichem Verhältniß mit Holstein, also mit Deutschland zu bleiben. Das alles aber hin- dert die Jntegrität des dänischen Staates nicht, welche die Großmächte garantirt haben, welche Garantie nur gegen die einstige unbedingte Los- reißung von Dänemark schützt, wie der deutsche Bund die Herzogthümer gegen die unbedingte Los- reißung von Deutschland schützt. -- So verstand der Bundestagsbeschluß von 1846 die Sache, so versteht sie das Londoner Protokoll, und so wird sie so eben durch die Bundesexecutionstruppen in Erfüllung gebracht werden, da die Statthalter- schaft zu Kiel verblendet genug ist, auf einen Ver- gleich im Sinne des Bundesbeschlusses von 1846 jetzt nicht eingehen zu wollen, während damals die Herzogthümer vollkommen damit einverstanden wa- ren. Freilich, es lag eine Revolution zwischen jenem Beschluß von 1846 und dem heutigen Tage, die Abgeordneten Schleswigs hatten unterdessen in der Paulskirche getagt, die Revolution hatte Schleswig als eine deutsche Provinz proklamirt und Ströme von Blut sind seitdem in Folge die- ses revolutionären Machtspruches geflossen. Allein das alles zerreißt alte, bestehende, geheiligte Ver- träge nicht, und an dem Tage, wo die Herrschaft der Revolution gebrochen wurde, hatte der Traum des schleswig'schen Deutschthums aufgehört und das alte Recht und die alten Verträge stehen un- versehrt und in vollster Geltung wieder vor uns. ( O. C. ) Berlin, 16. Nov. Während über die Frage: „ob Krieg, ob Frieden“ noch immer die alte Un- gewißheit fortdauert, häusen sich tagtäglich die Anzeichen, daß wir auch betreffs der innern Ver- hältnisse Preußens uns in einer entscheidenden Kri- sis befinden. Die Gothaer sind der Verzweiflung näher als je: aber „um des Vaterlandes Willen“ mögen sie die Hoffnung noch immer nicht aufge- ben. Bald erwarten sie die „Wiedergeburt“ Deutschlands vom Prinzen von Preußen, bald von seiner Gemahlin; jetzt sind sie wieder voller Ent- zücken, daß Hr. v. Vincke sich in Betracht der schweren Zeit bewogen gefunden hat, seine Bereit- willigkeit zur Annahme einer Wahl als Kammer- mitglied zu erklären. „Solch ein Mann,“ meint die „Const. Zeitung“, „ohne ihn kein parlamenta- rischer Sieg, mit ihm keine Niederlage!“ Schon hat Hr. v. Saucken=Tarputschen seine Gesinnungs- genossen unter den Abgeordneten zu Partei=Ver- sammlungen eingeladen -- und es wird also allem Anschein nach nicht an harten parlamentarischen Kämpfen, an herrlichen Reden und patriotischen Stoßseufzern fehlen! Es ist aber auch in der That den guten Leuten nicht zu verargen, wenn sie jetzt ernstlich böse sind! Glaubten sie doch nach dem Befehl zur Mobilisirung der Armee ihres Sieges schon ganz gewiß zu sein, so daß sogar Hr. v. Beckerrath aus Krefeld, Hr. Simson aus Königsberg und Hr. Milde aus Breslau eiligst sich in Berlin einfanden -- in der Erwartung, mit der Bildung eines neuen Kabinets beauftragt zu werden! Als sie vergeblich gewartet hatten, zogen sie ganz in der Stille wieder ab -- nie aber wäre ihnen jetzt noch zuzumuthen, noch län- gere Geduld mit diesem Ministerium zu zeigen. Ein „liberales“ Kammermitglied hat sogar sei- nem gepreßten Herzen nun durch ein an den Kö- nig selbst gerichtetes Sendschreiben Luft machen können, das durch seine Tiraden so sehr an den Frühling 1848 erinnerte, daß kurz nach seinem Erscheinen die Confiscation erfolgte. Selbst die „Vossische Zeitung“ tritt heute mit ungewohnter Entschiedenheit gegen das Ministerium auf; es kann also keinen Zweifel unterworfen sein -- eine neue Wendung der Dinge steht bevor! Sind aber diese Erscheinungen als die Vorboten eines neuen Sturmes von unten her zu betrachten? Jch glaube es nicht: ich sehe in ihnen nur ein Zeichen des nahen, gänzlichen Falles der „Liberalen“. Sie könnten jetzt noch Hrn. v. Manteuffel in eine ziem- lich „liberale“ Bahn im Jnnern drängen, wenn sie sich ihm anschlössen; durch ihre heftige Opposition werden sie ihn wider Willen entweder direkt in die Arme der Kreuzzeitungspartei drängen, oder doch bewirken, daß er dieser die Wege bereitet. ( Ll. ) Berlin, 18. Nov. Jnmitten der Gegenstände des Staunens die sich seit einiger Zeit aus dem Cabinette des Ministers v. Manteuffel vor den Augen der Welt produciren, überraschte dieser Lenker des preußischen Staats und der „Deutschen Reform“ die auf so vieles sonst gefaßten Zeitungs- leser mit der Nachricht daß ein Hr. Seelig Cassel zum Hauptredakteur des genannten, als das ein- zige polemische Organ des Ministeriums sehr wich- tigen Blattes erkoren ist. Für diejenigen denen der Schlüssel zu dieser Erscheinung vorenthalten ist, mag die Ueberraschung aus vielen Hinsichten Grund gewinnen. Allerdings ist die Toleranz des Hrn. v. Manteuffel, einem Juden, der noch dazu, wie Kladderadatsch wissen will, so Stockjude ist, daß er am Sabbat nicht schreibt, die Hauptre- daktion seines amtlichen Evangeliums anzuver- trauen etwas auffallend, wenn man sich einerseits erinnert wie der Name Manteuffel auf der Liste der Gegner der Judenemancipation beim verei- nigten Landtage prangte, und wenn man sich an- dererseits nicht erinnern kann, daß Hr. 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Zur Feier der Eröffnung beider preuß. Kammern fand heute Vormittag in der Domkirche für die Abgeordneten evangelischer, und in der Hedwigskirche für die Abgeordneten kath. Confession Gottesdienst statt. Aus den beiden Kirchen begaben sich die Abgeordneten nach dem wei- ßen Saal, der sich um 11 Uhr zu füllen begann. Die Tribünen waren bereits um 10 Uhr geöffnet worden, und hatten sich alsbald mit Publikum ge- füllt, darunter die Correspondenten der einheimi- schen und fremden Blätter. Unter den Abgeord- neten fand eine sehr lebhafte gegenseitige Be- grüßung statt. Um11 1 / 4 Uhr erschienen die sämmtlichen Minister in Staatsuniform, zugleich auf der reservirten Tribüne sehr vollzählig das diplomatische Corps, unter dem namentlich die Vertreter von Oesterreich und Rußland die Auf- merksamkeit in Anspruch nahmen. Um 11 Uhr 20 Minuten traten unter Vorgang der Hof=Char- gen Se. Maj. der König ein, gefolgt von Sr. kgl. Hoheit dem Prinzen von Preußen und den anwesenden Prinzen des kgl. Hauses. Se. Maj. trugen die Uniform des ersten Garderegiments zu Fuß. Von dem ehrfurchtsvollen Schweigen der Versammlung begrüßt, nahmen Se. Majestät der König auf dem Thron Platz, während die königl. Prinzen zur rechten Seite des Thrones, hinter Höchstdenselben die kgl. Hofchargen und zur linken Seite des Thrones die Hrn. Minister standen. Se. Majestät geruhten aus den Händen des Mi- nisterpräsidenten v. Ladenberg Exc. das Manu- skript in Empfang zu nehmen und lasen langsam und deutlich die folgende Thronrede. Meine HH. Abgeordneten der ersten und zwei- ten Kammer! Jnmitten einer schweren Zeit sehe Jch Sie mit Vertrauen wieder um Meinen Thron versammelt und heiße Sie von Herzen willkom- men. Seit dem Schlusse Jhrer letzten Sitzung ist Meine Regierung mit Eifer bemüht gewesen, die mit Jhnen vereinbarten organischen Gesetze ins Leben zu rufen. Jn allen Theilen des Lan- des ist die Einführung der Gemeindeordnung be- gonnen worden und nur die in dem Gesetze be- gründete Berücksichtigung der manigfaltigen beste- henden Verhältnisse hat ein gleichmäßiges Fort- schreiten der Angelegenheit in den verschiedenen Theilen der Monarchie verhindert. Obgleich das Geschäft der vorläufigen Veranlagung der Grund- steuer nach Maßgabe des Gesetzes vom 24. Febr. d. J. noch nicht überall beendigt ist, so wird Meine Regierung doch dafür Sorge tragen, daß Sie von den Resultaten der Arbeit möglichst bald Einsicht erlangen. Die großartigen Eisenbahnbauten, zu deren Aus- führung Meine Regierung durch Jhre Zustimmung in den Stand gesetzt ist, sind mit aller Kraft und

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Zitationshilfe: Die Bayerische Presse. Nr. 282. Würzburg, 25. November 1850, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_bayerische282_1850/2>, abgerufen am 22.12.2024.