Badener Zeitung. Nr. 13, Baden (Niederösterreich), 14.02.1900. Mittwoch Badener Zeitung 14. Februar 1900. Nr. 13. [Spaltenumbruch] thum ohnehin, wie in Ungarn, erfahren müssen, Politische Äbersicht Die Berathungen der Verständigungsconferenz Unterdessen hat die Regierung den Reichsrath In Frankreich ist man in neuerer Zeit scharf Auf dem südafrikanischen Kriegsschauplatze scheint [Spaltenumbruch] tragen, dass man Scherz mit ihm trieb, und er arg- Am nächsten Sonntag, kaum war das Amt ge- "Wer ist da?" fragte er mit scharfer und Der Mann mit dem Fagott, der seinen Kopf "Für Sie ist nichts da!" rief Herr Robertin. "Nichts?" wehklagte der Musikant. "Wirklich "Das weiß ich", knurrte der Beamte. "Es ist nichts da?" fragte der andere noch- "Hier ist zwar ein Brief aus Schwalbach", er- Der Musikant sah den Beamten sprachlos an, Robertin musste all' seine Willenskraft zusammen- "Sie wollen mir also diesen Brief nicht zeigen?" "Was hätten Sie denn davon, wenn ich's thäte?" "Ach, ich will mir ja nur die Adresse ansehen, "Sie sind wohl des T ..... s!" schrie der ... Plötzlich blieb er bestürzt stehen. Aus dem "Was ist denn mit Ihnen los? Was ist Ihnen Der Weinende trocknete seine Thränen und "Verzeihen Sie mir", stammelte er, "aber das Herr Robertin fuhr sich mit seinem Taschentuche "Zum Frankieren", schrie er den draußen Mittwoch Badener Zeitung 14. Februar 1900. Nr. 13. [Spaltenumbruch] thum ohnehin, wie in Ungarn, erfahren müſſen, Politiſche Äberſicht Die Berathungen der Verſtändigungsconferenz Unterdeſſen hat die Regierung den Reichsrath In Frankreich iſt man in neuerer Zeit ſcharf Auf dem ſüdafrikaniſchen Kriegsſchauplatze ſcheint [Spaltenumbruch] tragen, daſs man Scherz mit ihm trieb, und er arg- Am nächſten Sonntag, kaum war das Amt ge- „Wer iſt da?“ fragte er mit ſcharfer und Der Mann mit dem Fagott, der ſeinen Kopf „Für Sie iſt nichts da!“ rief Herr Robertin. „Nichts?“ wehklagte der Muſikant. „Wirklich „Das weiß ich“, knurrte der Beamte. „Es iſt nichts da?“ fragte der andere noch- „Hier iſt zwar ein Brief aus Schwalbach“, er- Der Muſikant ſah den Beamten ſprachlos an, Robertin muſste all’ ſeine Willenskraft zuſammen- „Sie wollen mir alſo dieſen Brief nicht zeigen?“ „Was hätten Sie denn davon, wenn ich’s thäte?“ „Ach, ich will mir ja nur die Adreſſe anſehen, „Sie ſind wohl des T ..... s!“ ſchrie der ... Plötzlich blieb er beſtürzt ſtehen. Aus dem „Was iſt denn mit Ihnen los? Was iſt Ihnen Der Weinende trocknete ſeine Thränen und „Verzeihen Sie mir“, ſtammelte er, „aber das Herr Robertin fuhr ſich mit ſeinem Taſchentuche „Zum Frankieren“, ſchrie er den draußen <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0002" n="2"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#aq">Mittwoch Badener Zeitung 14. Februar 1900. Nr. 13.</hi> </hi> </fw><lb/> <cb/> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div xml:id="abfertigung2" prev="#abfertigung1" type="jArticle" n="2"> <p>thum ohnehin, wie in Ungarn, erfahren müſſen,<lb/> was es heißt, vogelfrei erklärt zu werden und<lb/> keinen anderen Schutz zu genießen, als etwa den<lb/> einer öſterreichiſchen Regierung. Wie weit wurde<lb/> dem kaum aus dem Ei geſchlüpften Slovenen-<lb/> volke geſtattet, ſich auf die Drangſalierung des<lb/> Deutſchthumes zu verlegen und die Zuſtände in<lb/> Prag oder Pilſen laſſen die Übergriffsluſt des<lb/> Czechenthumes, und was geſchehen würde, wenn<lb/> die öſterreichiſche Regierung noch weiter fortführe,<lb/> den Feudalen und Clericalen zuliebe noch weiter<lb/> an der Verdrängung des Deutſchthumes mitzu-<lb/> wirken, hinlänglich erkennen. Gott ſei Dank, das<lb/> deutſche Volk, das ſich lange genug am Narren-<lb/> ſeile einer falſch ausgelegten Gleichberechtigung<lb/> und Gleichwertigkeit führen ließ, ſprach endlich<lb/> ſein: Bis hieher und nicht weiter. Und ſo iſt<lb/> denn mit einem Ruck die deutſchfeindliche Richtung<lb/> zum Stehen gekommen. Eine Folge dieſer ganz<lb/> entſchiedenen Ablehnung, ſich weiter Riemen aus<lb/> dem Leibe ſchneiden zu laſſen ſind die heutigen<lb/> Verſtändigungsconferenzen. Die Dentſchen haben<lb/> es nicht abgelehnt, daran theilzunehmen. Wenn<lb/> jedoch von anderer Seite dieſe Conferenzen für<lb/> nichts anderes als für einen Verſuch, den<lb/> Deutſchen nun mit ihrer Zuſtimmung die Cra-<lb/> vatte enger zu ſchnüren, gehalten werden ſollte,<lb/> dann werden die übrigen erfahren, daſs die Zeiten<lb/> der Nachgiebigkeit für die Deutſchen vorüber ſind.<lb/> Die Deutſchen wollen Frieden ſchließen; ſie ſind<lb/> aber nicht in die Conferenzen getreten, um zu<lb/> alldem, was man ihnen bisher mit Liſt und<lb/> Gewalt entzogen hat, ſich auch noch etwas ab-<lb/> handeln zu laſſen. Den Deutſchen handelt es ſich<lb/> auch nicht darum, bei dieſen Conferenzen Er-<lb/> oberungen zu machen, wie den Czechen, ſie wollen<lb/> nur nicht mehr fernerhin als Angriffsobjecte für<lb/> die Ausbreitungsluſt der Slaven dienen. 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Außerdem<lb/> ſoll die allgemeine Wählerclaſſe mit zehn Vertretern<lb/> dazukommen; die Zahl der Mandate würde ſich nach<lb/> der czechiſchen Forderung um 25, das iſt von 242<lb/> auf 267, erhöhen. Dieſe Projecte erfahren von<lb/> deutſcher Seite keinen Widerſpruch, jedoch will man<lb/> ihnen nur dann zuſtimmen, wenn gleichzeitig auch die<lb/> nationalen Curien, eine deutſche und eine czechiſche,<lb/> zuſtande kommen. Man ſteht ſonach in dieſen<lb/> wichtigen Fragen einem Zuſtande gegenüber, den<lb/> man ſeit dem Ausbruche der Streitigkeiten mit Ungarn<lb/> ein Junctim nennt, das heißt, die Wahlreformpläne<lb/> der Czechen werden nur dann von den Deutſchen<lb/> acceptiert werden, wenn gleichzeitig damit auch die<lb/> Vetocurien geſetzlich feſtgelegt werden. Hier liegt der<lb/> Angelpunkt, aber auch die Wahrſcheinlichkeit, daſs<lb/> die Verhandlungen ſchon über dieſe Forderungen<lb/> ins Stocken gerathen werden.</p><lb/> <p>Unterdeſſen hat die Regierung den Reichsrath<lb/> für den 22. d. M. zur Wiederaufnahme ſeiner<lb/> Thätigkeit einberufen. Da die Seſſion nicht geſchloſſen,<lb/> ſondern nur vertagt iſt, ſo entfallen alle bei der<lb/> Neueröffnung einer Seſſion nothwendigen Formali-<lb/> täten und es wird daher die erſte Sitzung vom<lb/> 22. Februar mit der Tagesordnung der letzten<lb/> Sitzung vom 20. December v. J. beginnen. Der<lb/> erſte Punkt dieſer Tagesordnung iſt aber die Be-<lb/> rathung über die Regierungsvorlage betreffend die<lb/> Bewilligung des Recrutencontingentes für das laufende<lb/> Jähr. Der wieder zuſammentretende Reichsrath wird<lb/> ſich ferner baldmöglichſt mit den ungariſchen Ange-<lb/> legenheiten zu befaſſen haben. Bekanntlich hat der<lb/> Kaiſer die Quote nur bis Ende Juni l. J. feſtge-<lb/> ſetzt und es wird daher Aufgabe des Reichsrathes<lb/> ſein, eine neue Quotendeputation zu wählen. Auch<lb/><cb/> die Wahl der Delegationen iſt dadurch dringlich ge-<lb/> worden, daſs die Regierung beabſichtigt, die Dele-<lb/> gationen noch im Laufe des Frühjahres zuſammen-<lb/> treten zu laſſen. In allen dieſen Angelegenheiten ent-<lb/> wickelt Ungarn eine lebhafte Thätigkeit und der un-<lb/> gariſche Miniſterpräſident hat in der letzten Zeit<lb/> wiederholt, zuletzt am Sonntag, in Wien geweilt,<lb/> um das Nöthige hiezu vorzukehren. Man ſieht, die<lb/> beiderſeitigen Regierungen entwickeln eine emſige<lb/> Thätigkeit, um ihr Haus bei Zeiten zu beſtellen und<lb/> ſo allen parlamentariſchen Fährlichkeiten aus dem<lb/> Wege zu gehen. Nach dem Recrutencontingente, der<lb/> Quote und den Delegationswahlen kommt für die<lb/> öſterreichiſche Regierung eine verhältnismäßig ruhige<lb/> Zeit; ſie kann dann leichter warten.</p><lb/> <p>In Frankreich iſt man in neuerer Zeit ſcharf<lb/> hinter den Clericalen her, denen man beſonders in<lb/> dem Proceſſe gegen die ſogenannten Aſſumptioniſten,<lb/> einem Orden, der in Frankreich erwieſenermaßen<lb/> ſtaatsfeindliche Zwecke verfolgt, auf recht ſchöne Dinge<lb/> gekommen iſt. Der Miniſterrath hat deshalb beſchloſſen,<lb/> der Deputiertenkammer ein Amendement zum Straf-<lb/> geſetze vorzulegen, wonach jeder Prieſter, welcher<lb/> gegen den Staat und ſeine Organe in irgend einer<lb/> Form agitiert, der Verbannung anheimfällt. Es<lb/> ſind beſonders franzöſiſche Biſchöfe, welche dieſe<lb/> Maßregel, ſollte ſie Geſetz werden, treffen würde.<lb/> Nachdem Frankreich bis heute noch unter dem Banne<lb/> des Concordates ſteht, ſo kann man ſich von der<lb/> Größe der Gefahr, die der Republik von Seite ſeines<lb/> revolutionären Clerus droht, eine ungefähre Vor-<lb/> ſtellung machen.</p><lb/> <p>Auf dem ſüdafrikaniſchen Kriegsſchauplatze ſcheint<lb/> ſich eine überraſchende Wendung zu vollziehen. Der<lb/> dritte Entſatzverſuch, den General Buller angeſtellt<lb/> hat, iſt abermals total miſsglückt und hat den Eng-<lb/> ländern wieder ganz bedeutende Verluſte zugezogen.<lb/> Die Boers wollen aber jetzt den Spieß umkehren<lb/> und gegen die Engländer die Offenſive ergreifen.<lb/> Bereits ſollen ſechstauſend Boers den Tugelafluſs<lb/> überſetzt haben und wollen verſuchen, der engliſchen<lb/> Armee in den Rücken zu fallen. In London ſelbſt<lb/> ſcheint man übrigens den Glauben an eine Rettung<lb/> Ladyſmiths aufgegeben zu haben; dagegen macht<lb/> dort eine weitere Alarmnachricht die Herzen höher<lb/> ſchlagen. Marſchall Roberts ſoll ſich entſchloſſen<lb/> haben, mit ſeiner ganzen verfügbaren Macht dem<lb/> belagerten Kimberley, das ſich bereits in der höchſten<lb/> Noth befindet, und deſſen Bewohner, wie jetzt bekannt<lb/> wird, ſchon ſeit anfangs Jänner nur mehr von<lb/> Pferdeflleiſch leben, zu Hilfe zu eilen. Die allgemeine<lb/> Aufmerkſamkeit wird ſich demnach von nun an von<lb/> Ladyſmith abkehren und den Operationen der Boers<lb/> gegen Buller, ſowie dem Marſchall Roberts zuwenden<lb/> müſſen. Über beide Ereigniſſe dürften aber ſchon die<lb/> nächſten Tage Nachrichten bringen. Das Losgehen<lb/> der Boers wird vielfach als gefährlich bezeichnet; ſie<lb/> haben ſich bisher in der Defenſive als unüberwindlich</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb/> <div type="jFeuilleton" n="1"> <div xml:id="adresse2" prev="#adresse1" type="jArticle" n="2"> <p>tragen, daſs man Scherz mit ihm trieb, und er arg-<lb/> wöhnte, daſs dieſer merkwürdige Kunde ihn nasführen<lb/> wollte. Er bildete ſich ein, daſs er die Zielſcheibe<lb/> des Spottes ſei. Deshalb fertigte er den Mann mit<lb/> dem Fagott barſch ab und der ſchlich davon wie ein<lb/> geprügelter Hund.</p><lb/> <p>Am nächſten Sonntag, kaum war das Amt ge-<lb/> öffnet worden, hatte Zimmermann im dunklen Vor-<lb/> raume Poſto gefaſst. Behutſam klopfte er an die<lb/> Thür, die zur Abtheilung Robertin’s führte. Dieſer<lb/> war ſchon auf dem Poſten, er hörte auch ſchon an<lb/> dem Klopfen, wer ſich eingeſtellt hatte.</p><lb/> <p>„Wer iſt da?“ fragte er mit ſcharfer und<lb/> feſter Stimme.</p><lb/> <p>Der Mann mit dem Fagott, der ſeinen Kopf<lb/> ſchüchtern durch den Schalter ſteckte, lächelte ſanft<lb/> und erwiderte beſcheiden: „Entſchuldigen Sie gütigſt,<lb/> Herr Vorſteher, ich bin es. Ich bin eben ge-<lb/> kommen ...“</p><lb/> <p>„Für Sie iſt nichts da!“ rief Herr Robertin.</p><lb/> <p>„Nichts?“ wehklagte der Muſikant. „Wirklich<lb/> nichts? Dann bitte ich ſehr um Verzeihung. Aber<lb/> vielleicht haben der gnädige Herr meinen Namen ver-<lb/> geſſen. Ich heiße Zimmermann ...“</p><lb/> <p>„Das weiß ich“, knurrte der Beamte.</p><lb/> <p>„Es iſt nichts da?“ fragte der andere noch-<lb/> mals. „Nein? Das iſt ja gar nicht möglich!“</p><lb/> <p>„Hier iſt zwar ein Brief aus Schwalbach“, er-<lb/> klärte Herr Robertin mit eiſiger Ruhe, „aber weil<lb/> Sie ſchon wiederholt die Annahme von Briefen unter<lb/> der Adreſſe Zimmermann verweigert haben, liegt für<lb/> mich keine Veranlaſſung vor, Ihnen dieſen neueſten<lb/> Brief zu zeigen.“</p><lb/> <p>Der Muſikant ſah den Beamten ſprachlos an,<lb/> Leichenbläſſe bedeckte ſein abgehärmtes Geſicht. Ein<lb/><cb/> ſchmerzlicher Krampf verzog ſeine Lippen, in ſeinen<lb/> tiefliegenden Augen ſchimmerte eine Thräne.</p><lb/> <p>Robertin muſste all’ ſeine Willenskraft zuſammen-<lb/> nehmen, um keine Spur von Mitleid mit dieſem<lb/> Menſchen zu zeigen, der ihm Verdacht einflößte.</p><lb/> <p>„Sie wollen mir alſo dieſen Brief nicht zeigen?“<lb/> ſtammelte Zimmermann mit flehentlicher Stimme.</p><lb/> <p>„Was hätten Sie denn davon, wenn ich’s thäte?“<lb/> forſchte der Beamte.</p><lb/> <p>„Ach, ich will mir ja nur die Adreſſe anſehen,<lb/> nur anſehen, liebſter, gnädigſter Herr“, bettelte<lb/> Zimmermann.</p><lb/> <p>„Sie ſind wohl des T ..... s!“ ſchrie der<lb/> Beamte. „Ich bin doch nicht dazu da, um Ihre<lb/> tollen Einfälle zu befriedigen. Da müſſen Sie ſich<lb/> ſchon einen Dümmern ausſuchen!“ Damit warf er<lb/> krachend das Schalterfenſter herunter.</p><lb/> <p>... Plötzlich blieb er beſtürzt ſtehen. Aus dem<lb/> Dunkel des Vorzimmers drang ein herzzereißendes<lb/> Schluchzen an ſein Ohr. Der arme Muſikant, der<lb/> ſeinen Kopf in beide Hände vergraben hatte, hatte<lb/> ſich in eine Ecke gedrückt und weinte bittere Thränen.</p><lb/> <p>„Was iſt denn mit Ihnen los? Was iſt Ihnen<lb/> denn geſchehen?“ rief Robertin ganz entſetzt, indem<lb/> er ſich dem Schluchzenden näherte.</p><lb/> <p>Der Weinende trocknete ſeine Thränen und<lb/> erhob langſam ſein Haupt. Er verſuchte, ein Lächeln<lb/> auf ſein Geſicht zu zaubern, aber dieſer Verſuch<lb/> miſslang gänzlich.</p><lb/> <p>„Verzeihen Sie mir“, ſtammelte er, „aber das<lb/> geht über meine Kräfte. Ich konnte es nicht länger<lb/> aushalten, und es iſt deshalb am beſten, wenn ich<lb/> Ihnen die volle Wahrheit ſage. Ich bin ein Schwal-<lb/> bacher Kind. Aber ich muſste mein Heimatdorf ver-<lb/> laſſen, weil ich dort nicht ſo viel zu verdienen ver-<lb/><cb/> mochte, um meine Familie ernähren zu können. Da<lb/> bin ich denn nach der Hauptſtadt gewandert. Hier<lb/> blaſe ich das Fagott ... wiſſen Sie, ... ſo auf<lb/> den Höfen. Da werden mir immer einige Sous zu-<lb/> geworfen und die ſchicke ich alle nach Hauſe. Zu<lb/> eſſen geben mir die Dienſtmädchen auch — die Nacht<lb/> verbringe ich in einem Pferdeſtalle — ſehen Sie, ich<lb/> lebe! Aber zu Hauſe — du lieber Himmel, meine<lb/> Frau hat kein Geld, um das Porto bezahlen zu<lb/> können. Da haben wir eine Verabredung getroffen.<lb/> Sie werden gewiſs ſchon bemerkt haben, daſs die<lb/> Adreſſe der an mich einlaufenden Briefe ſtets aus<lb/> ſechs Zeilen zuſammengeſetzt iſt, deren jede von einer<lb/> anderen Hand geſchrieben iſt. Die Adreſſe ſchreibt<lb/> meine ganze Familie: meine Frau beginnt und das<lb/> jüngſte Kind, dem noch die Hand geführt werden<lb/> muſs, kritzelt das letzte Wort. Ich brauche alſo nur<lb/> die Adreſſe zu leſen, da weiß ich, ob zu Hauſe Ge-<lb/> ſundheit oder ob Krankheit und Kummer herrſchen.<lb/> Das Couvert erzählt mir alles. Und nun, da Sie<lb/> alles erfahren haben, vernichten Sie nicht die Zukunft<lb/> eines armen Vaters, deſſen Leben, deſſen ganze Welt<lb/> Frau und Kinder bedeuten. Gnädigſter, beſter, lieber<lb/> Herr, verzeihen Sie mir!“</p><lb/> <p>Herr Robertin fuhr ſich mit ſeinem Taſchentuche<lb/> einigemale über das Geſicht, ... es war ihm wahr-<lb/> ſcheinlich trotz der Kälte warm geworden. Dann gab<lb/> er dem Fagottmuſikanten den Brief, entnahm ſeiner<lb/> Börſe drei Francs, warf ſie in ſeine Amtscaſſe und<lb/> legte dafür Freimarken auf das Schalterbrett.</p><lb/> <p>„Zum Frankieren“, ſchrie er den draußen<lb/> Stehenden an. „Sie dürfen den Staat nicht be-<lb/> trügen ...“ Damit zog er den Vorhang, nahm eine<lb/> Priſe und addierte weiter. — — —</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </body> </text> </TEI> [2/0002]
Mittwoch Badener Zeitung 14. Februar 1900. Nr. 13.
thum ohnehin, wie in Ungarn, erfahren müſſen,
was es heißt, vogelfrei erklärt zu werden und
keinen anderen Schutz zu genießen, als etwa den
einer öſterreichiſchen Regierung. Wie weit wurde
dem kaum aus dem Ei geſchlüpften Slovenen-
volke geſtattet, ſich auf die Drangſalierung des
Deutſchthumes zu verlegen und die Zuſtände in
Prag oder Pilſen laſſen die Übergriffsluſt des
Czechenthumes, und was geſchehen würde, wenn
die öſterreichiſche Regierung noch weiter fortführe,
den Feudalen und Clericalen zuliebe noch weiter
an der Verdrängung des Deutſchthumes mitzu-
wirken, hinlänglich erkennen. Gott ſei Dank, das
deutſche Volk, das ſich lange genug am Narren-
ſeile einer falſch ausgelegten Gleichberechtigung
und Gleichwertigkeit führen ließ, ſprach endlich
ſein: Bis hieher und nicht weiter. Und ſo iſt
denn mit einem Ruck die deutſchfeindliche Richtung
zum Stehen gekommen. Eine Folge dieſer ganz
entſchiedenen Ablehnung, ſich weiter Riemen aus
dem Leibe ſchneiden zu laſſen ſind die heutigen
Verſtändigungsconferenzen. Die Dentſchen haben
es nicht abgelehnt, daran theilzunehmen. Wenn
jedoch von anderer Seite dieſe Conferenzen für
nichts anderes als für einen Verſuch, den
Deutſchen nun mit ihrer Zuſtimmung die Cra-
vatte enger zu ſchnüren, gehalten werden ſollte,
dann werden die übrigen erfahren, daſs die Zeiten
der Nachgiebigkeit für die Deutſchen vorüber ſind.
Die Deutſchen wollen Frieden ſchließen; ſie ſind
aber nicht in die Conferenzen getreten, um zu
alldem, was man ihnen bisher mit Liſt und
Gewalt entzogen hat, ſich auch noch etwas ab-
handeln zu laſſen. Den Deutſchen handelt es ſich
auch nicht darum, bei dieſen Conferenzen Er-
oberungen zu machen, wie den Czechen, ſie wollen
nur nicht mehr fernerhin als Angriffsobjecte für
die Ausbreitungsluſt der Slaven dienen. Wer
die Conferenzen anders verſteht, wird durch die
Ereigniſſe eines Beſſeren belehrt werden.
Politiſche Äberſicht
Die Berathungen der Verſtändigungsconferenz
haben nach dreitägiger Pauſe Montag wieder be-
gonnen. Bekanntlich betreffen die vom Miniſter des
Innern der Conferenz für Böhmen vorgelegten Ge-
ſetzentwürfe vor allem die Schaffung einer neuen
Landesordnung und einer neuen Landtagswahlordnung,
worunter die Abänderung des Liſtenſcrutiniums für
den Großgrundbeſitz, die Vermehrung der Mandate
für die Städte, Landgemeinden und Handelskammern,
die Einführung der directen Wahlen in den Land-
gemeinden unter gleichzeitiger Herabſetzung des Wahl-
cenſus, die Einführung einer neuen Wählerclaſſe,
analog der allgemeinen Wählerclaſſe, für den Reichs-
rath, endlich die Errichtung von Wahlcurien und
Vetocurien verſtanden wird. Die meiſten dieſer
Fragen wurde dem von der Conferenz eingeſetzten
Subcomité zugewieſen und dort bildete beſonders das
Wahlrecht für den Großgrundbeſitz, ſowie die
Schaffung von Vetocurien den Gegenſtand lebhafteſter
Erörterungen. Mit der Schaffung einer neuen Wähl-
art im Großgrundbeſitze hat ſich dieſer bisher in
allen ſeinen diesbezüglichen Enunciationen einver-
ſtanden erklärt; nun, da es Ernſt werden ſoll, ver-
halten ſich die Herren auf einmal ablehnend. Von
czechiſcher Seite verlangt man die Verſchmelzung der
Großgrundbeſitzercurie mit einem Theile der Wähler
aus dem zweiten Wahlkörper zu einer Curie, welche
zuſammen 39 Abgeordnete zu wählen hätten. Der
hiedurch reducierte zweite Wahlkörper würde dann
um 12 Vertreter weniger zu wählen haben, ſo daſs
die Zahl der zu wählenden Abgeordneten in dieſen
beiden Wahlkörpern ſich thatſächlich nicht ändert. Für
die anderen Wahlcurien will man die Zahl der
Mandate erhöhen, da ſich die Nothwendigkeit längſt
herausgeſtellt hat, gewiſſe Landgemeinden, welche
eine große Anzahl von Wählern beſitzen, in die Curie
der Städte und Induſtrialorte einzureihen. Außerdem
ſoll die allgemeine Wählerclaſſe mit zehn Vertretern
dazukommen; die Zahl der Mandate würde ſich nach
der czechiſchen Forderung um 25, das iſt von 242
auf 267, erhöhen. Dieſe Projecte erfahren von
deutſcher Seite keinen Widerſpruch, jedoch will man
ihnen nur dann zuſtimmen, wenn gleichzeitig auch die
nationalen Curien, eine deutſche und eine czechiſche,
zuſtande kommen. Man ſteht ſonach in dieſen
wichtigen Fragen einem Zuſtande gegenüber, den
man ſeit dem Ausbruche der Streitigkeiten mit Ungarn
ein Junctim nennt, das heißt, die Wahlreformpläne
der Czechen werden nur dann von den Deutſchen
acceptiert werden, wenn gleichzeitig damit auch die
Vetocurien geſetzlich feſtgelegt werden. Hier liegt der
Angelpunkt, aber auch die Wahrſcheinlichkeit, daſs
die Verhandlungen ſchon über dieſe Forderungen
ins Stocken gerathen werden.
Unterdeſſen hat die Regierung den Reichsrath
für den 22. d. M. zur Wiederaufnahme ſeiner
Thätigkeit einberufen. Da die Seſſion nicht geſchloſſen,
ſondern nur vertagt iſt, ſo entfallen alle bei der
Neueröffnung einer Seſſion nothwendigen Formali-
täten und es wird daher die erſte Sitzung vom
22. Februar mit der Tagesordnung der letzten
Sitzung vom 20. December v. J. beginnen. Der
erſte Punkt dieſer Tagesordnung iſt aber die Be-
rathung über die Regierungsvorlage betreffend die
Bewilligung des Recrutencontingentes für das laufende
Jähr. Der wieder zuſammentretende Reichsrath wird
ſich ferner baldmöglichſt mit den ungariſchen Ange-
legenheiten zu befaſſen haben. Bekanntlich hat der
Kaiſer die Quote nur bis Ende Juni l. J. feſtge-
ſetzt und es wird daher Aufgabe des Reichsrathes
ſein, eine neue Quotendeputation zu wählen. Auch
die Wahl der Delegationen iſt dadurch dringlich ge-
worden, daſs die Regierung beabſichtigt, die Dele-
gationen noch im Laufe des Frühjahres zuſammen-
treten zu laſſen. In allen dieſen Angelegenheiten ent-
wickelt Ungarn eine lebhafte Thätigkeit und der un-
gariſche Miniſterpräſident hat in der letzten Zeit
wiederholt, zuletzt am Sonntag, in Wien geweilt,
um das Nöthige hiezu vorzukehren. Man ſieht, die
beiderſeitigen Regierungen entwickeln eine emſige
Thätigkeit, um ihr Haus bei Zeiten zu beſtellen und
ſo allen parlamentariſchen Fährlichkeiten aus dem
Wege zu gehen. Nach dem Recrutencontingente, der
Quote und den Delegationswahlen kommt für die
öſterreichiſche Regierung eine verhältnismäßig ruhige
Zeit; ſie kann dann leichter warten.
In Frankreich iſt man in neuerer Zeit ſcharf
hinter den Clericalen her, denen man beſonders in
dem Proceſſe gegen die ſogenannten Aſſumptioniſten,
einem Orden, der in Frankreich erwieſenermaßen
ſtaatsfeindliche Zwecke verfolgt, auf recht ſchöne Dinge
gekommen iſt. Der Miniſterrath hat deshalb beſchloſſen,
der Deputiertenkammer ein Amendement zum Straf-
geſetze vorzulegen, wonach jeder Prieſter, welcher
gegen den Staat und ſeine Organe in irgend einer
Form agitiert, der Verbannung anheimfällt. Es
ſind beſonders franzöſiſche Biſchöfe, welche dieſe
Maßregel, ſollte ſie Geſetz werden, treffen würde.
Nachdem Frankreich bis heute noch unter dem Banne
des Concordates ſteht, ſo kann man ſich von der
Größe der Gefahr, die der Republik von Seite ſeines
revolutionären Clerus droht, eine ungefähre Vor-
ſtellung machen.
Auf dem ſüdafrikaniſchen Kriegsſchauplatze ſcheint
ſich eine überraſchende Wendung zu vollziehen. Der
dritte Entſatzverſuch, den General Buller angeſtellt
hat, iſt abermals total miſsglückt und hat den Eng-
ländern wieder ganz bedeutende Verluſte zugezogen.
Die Boers wollen aber jetzt den Spieß umkehren
und gegen die Engländer die Offenſive ergreifen.
Bereits ſollen ſechstauſend Boers den Tugelafluſs
überſetzt haben und wollen verſuchen, der engliſchen
Armee in den Rücken zu fallen. In London ſelbſt
ſcheint man übrigens den Glauben an eine Rettung
Ladyſmiths aufgegeben zu haben; dagegen macht
dort eine weitere Alarmnachricht die Herzen höher
ſchlagen. Marſchall Roberts ſoll ſich entſchloſſen
haben, mit ſeiner ganzen verfügbaren Macht dem
belagerten Kimberley, das ſich bereits in der höchſten
Noth befindet, und deſſen Bewohner, wie jetzt bekannt
wird, ſchon ſeit anfangs Jänner nur mehr von
Pferdeflleiſch leben, zu Hilfe zu eilen. Die allgemeine
Aufmerkſamkeit wird ſich demnach von nun an von
Ladyſmith abkehren und den Operationen der Boers
gegen Buller, ſowie dem Marſchall Roberts zuwenden
müſſen. Über beide Ereigniſſe dürften aber ſchon die
nächſten Tage Nachrichten bringen. Das Losgehen
der Boers wird vielfach als gefährlich bezeichnet; ſie
haben ſich bisher in der Defenſive als unüberwindlich
tragen, daſs man Scherz mit ihm trieb, und er arg-
wöhnte, daſs dieſer merkwürdige Kunde ihn nasführen
wollte. Er bildete ſich ein, daſs er die Zielſcheibe
des Spottes ſei. Deshalb fertigte er den Mann mit
dem Fagott barſch ab und der ſchlich davon wie ein
geprügelter Hund.
Am nächſten Sonntag, kaum war das Amt ge-
öffnet worden, hatte Zimmermann im dunklen Vor-
raume Poſto gefaſst. Behutſam klopfte er an die
Thür, die zur Abtheilung Robertin’s führte. Dieſer
war ſchon auf dem Poſten, er hörte auch ſchon an
dem Klopfen, wer ſich eingeſtellt hatte.
„Wer iſt da?“ fragte er mit ſcharfer und
feſter Stimme.
Der Mann mit dem Fagott, der ſeinen Kopf
ſchüchtern durch den Schalter ſteckte, lächelte ſanft
und erwiderte beſcheiden: „Entſchuldigen Sie gütigſt,
Herr Vorſteher, ich bin es. Ich bin eben ge-
kommen ...“
„Für Sie iſt nichts da!“ rief Herr Robertin.
„Nichts?“ wehklagte der Muſikant. „Wirklich
nichts? Dann bitte ich ſehr um Verzeihung. Aber
vielleicht haben der gnädige Herr meinen Namen ver-
geſſen. Ich heiße Zimmermann ...“
„Das weiß ich“, knurrte der Beamte.
„Es iſt nichts da?“ fragte der andere noch-
mals. „Nein? Das iſt ja gar nicht möglich!“
„Hier iſt zwar ein Brief aus Schwalbach“, er-
klärte Herr Robertin mit eiſiger Ruhe, „aber weil
Sie ſchon wiederholt die Annahme von Briefen unter
der Adreſſe Zimmermann verweigert haben, liegt für
mich keine Veranlaſſung vor, Ihnen dieſen neueſten
Brief zu zeigen.“
Der Muſikant ſah den Beamten ſprachlos an,
Leichenbläſſe bedeckte ſein abgehärmtes Geſicht. Ein
ſchmerzlicher Krampf verzog ſeine Lippen, in ſeinen
tiefliegenden Augen ſchimmerte eine Thräne.
Robertin muſste all’ ſeine Willenskraft zuſammen-
nehmen, um keine Spur von Mitleid mit dieſem
Menſchen zu zeigen, der ihm Verdacht einflößte.
„Sie wollen mir alſo dieſen Brief nicht zeigen?“
ſtammelte Zimmermann mit flehentlicher Stimme.
„Was hätten Sie denn davon, wenn ich’s thäte?“
forſchte der Beamte.
„Ach, ich will mir ja nur die Adreſſe anſehen,
nur anſehen, liebſter, gnädigſter Herr“, bettelte
Zimmermann.
„Sie ſind wohl des T ..... s!“ ſchrie der
Beamte. „Ich bin doch nicht dazu da, um Ihre
tollen Einfälle zu befriedigen. Da müſſen Sie ſich
ſchon einen Dümmern ausſuchen!“ Damit warf er
krachend das Schalterfenſter herunter.
... Plötzlich blieb er beſtürzt ſtehen. Aus dem
Dunkel des Vorzimmers drang ein herzzereißendes
Schluchzen an ſein Ohr. Der arme Muſikant, der
ſeinen Kopf in beide Hände vergraben hatte, hatte
ſich in eine Ecke gedrückt und weinte bittere Thränen.
„Was iſt denn mit Ihnen los? Was iſt Ihnen
denn geſchehen?“ rief Robertin ganz entſetzt, indem
er ſich dem Schluchzenden näherte.
Der Weinende trocknete ſeine Thränen und
erhob langſam ſein Haupt. Er verſuchte, ein Lächeln
auf ſein Geſicht zu zaubern, aber dieſer Verſuch
miſslang gänzlich.
„Verzeihen Sie mir“, ſtammelte er, „aber das
geht über meine Kräfte. Ich konnte es nicht länger
aushalten, und es iſt deshalb am beſten, wenn ich
Ihnen die volle Wahrheit ſage. Ich bin ein Schwal-
bacher Kind. Aber ich muſste mein Heimatdorf ver-
laſſen, weil ich dort nicht ſo viel zu verdienen ver-
mochte, um meine Familie ernähren zu können. Da
bin ich denn nach der Hauptſtadt gewandert. Hier
blaſe ich das Fagott ... wiſſen Sie, ... ſo auf
den Höfen. Da werden mir immer einige Sous zu-
geworfen und die ſchicke ich alle nach Hauſe. Zu
eſſen geben mir die Dienſtmädchen auch — die Nacht
verbringe ich in einem Pferdeſtalle — ſehen Sie, ich
lebe! Aber zu Hauſe — du lieber Himmel, meine
Frau hat kein Geld, um das Porto bezahlen zu
können. Da haben wir eine Verabredung getroffen.
Sie werden gewiſs ſchon bemerkt haben, daſs die
Adreſſe der an mich einlaufenden Briefe ſtets aus
ſechs Zeilen zuſammengeſetzt iſt, deren jede von einer
anderen Hand geſchrieben iſt. Die Adreſſe ſchreibt
meine ganze Familie: meine Frau beginnt und das
jüngſte Kind, dem noch die Hand geführt werden
muſs, kritzelt das letzte Wort. Ich brauche alſo nur
die Adreſſe zu leſen, da weiß ich, ob zu Hauſe Ge-
ſundheit oder ob Krankheit und Kummer herrſchen.
Das Couvert erzählt mir alles. Und nun, da Sie
alles erfahren haben, vernichten Sie nicht die Zukunft
eines armen Vaters, deſſen Leben, deſſen ganze Welt
Frau und Kinder bedeuten. Gnädigſter, beſter, lieber
Herr, verzeihen Sie mir!“
Herr Robertin fuhr ſich mit ſeinem Taſchentuche
einigemale über das Geſicht, ... es war ihm wahr-
ſcheinlich trotz der Kälte warm geworden. Dann gab
er dem Fagottmuſikanten den Brief, entnahm ſeiner
Börſe drei Francs, warf ſie in ſeine Amtscaſſe und
legte dafür Freimarken auf das Schalterbrett.
„Zum Frankieren“, ſchrie er den draußen
Stehenden an. „Sie dürfen den Staat nicht be-
trügen ...“ Damit zog er den Vorhang, nahm eine
Priſe und addierte weiter. — — —
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grepect GmbH: Bereitstellung der Texttranskription und Textauszeichnung.
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