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Badener Zeitung. Nr. 13, Baden (Niederösterreich), 14.02.1900.

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Mittwoch Badener Zeitung 14. Februar 1900. Nr. 13.

[Spaltenumbruch]

thum ohnehin, wie in Ungarn, erfahren müssen,
was es heißt, vogelfrei erklärt zu werden und
keinen anderen Schutz zu genießen, als etwa den
einer österreichischen Regierung. Wie weit wurde
dem kaum aus dem Ei geschlüpften Slovenen-
volke gestattet, sich auf die Drangsalierung des
Deutschthumes zu verlegen und die Zustände in
Prag oder Pilsen lassen die Übergriffslust des
Czechenthumes, und was geschehen würde, wenn
die österreichische Regierung noch weiter fortführe,
den Feudalen und Clericalen zuliebe noch weiter
an der Verdrängung des Deutschthumes mitzu-
wirken, hinlänglich erkennen. Gott sei Dank, das
deutsche Volk, das sich lange genug am Narren-
seile einer falsch ausgelegten Gleichberechtigung
und Gleichwertigkeit führen ließ, sprach endlich
sein: Bis hieher und nicht weiter. Und so ist
denn mit einem Ruck die deutschfeindliche Richtung
zum Stehen gekommen. Eine Folge dieser ganz
entschiedenen Ablehnung, sich weiter Riemen aus
dem Leibe schneiden zu lassen sind die heutigen
Verständigungsconferenzen. Die Dentschen haben
es nicht abgelehnt, daran theilzunehmen. Wenn
jedoch von anderer Seite diese Conferenzen für
nichts anderes als für einen Versuch, den
Deutschen nun mit ihrer Zustimmung die Cra-
vatte enger zu schnüren, gehalten werden sollte,
dann werden die übrigen erfahren, dass die Zeiten
der Nachgiebigkeit für die Deutschen vorüber sind.
Die Deutschen wollen Frieden schließen; sie sind
aber nicht in die Conferenzen getreten, um zu
alldem, was man ihnen bisher mit List und
Gewalt entzogen hat, sich auch noch etwas ab-
handeln zu lassen. Den Deutschen handelt es sich
auch nicht darum, bei diesen Conferenzen Er-
oberungen zu machen, wie den Czechen, sie wollen
nur nicht mehr fernerhin als Angriffsobjecte für
die Ausbreitungslust der Slaven dienen. Wer
die Conferenzen anders versteht, wird durch die
Ereignisse eines Besseren belehrt werden.




Politische Äbersicht

Die Berathungen der Verständigungsconferenz
haben nach dreitägiger Pause Montag wieder be-
gonnen. Bekanntlich betreffen die vom Minister des
Innern der Conferenz für Böhmen vorgelegten Ge-
setzentwürfe vor allem die Schaffung einer neuen
Landesordnung und einer neuen Landtagswahlordnung,
worunter die Abänderung des Listenscrutiniums für
den Großgrundbesitz, die Vermehrung der Mandate
für die Städte, Landgemeinden und Handelskammern,
die Einführung der directen Wahlen in den Land-
gemeinden unter gleichzeitiger Herabsetzung des Wahl-
census, die Einführung einer neuen Wählerclasse,
analog der allgemeinen Wählerclasse, für den Reichs-
[Spaltenumbruch] rath, endlich die Errichtung von Wahlcurien und
Vetocurien verstanden wird. Die meisten dieser
Fragen wurde dem von der Conferenz eingesetzten
Subcomite zugewiesen und dort bildete besonders das
Wahlrecht für den Großgrundbesitz, sowie die
Schaffung von Vetocurien den Gegenstand lebhaftester
Erörterungen. Mit der Schaffung einer neuen Wähl-
art im Großgrundbesitze hat sich dieser bisher in
allen seinen diesbezüglichen Enunciationen einver-
standen erklärt; nun, da es Ernst werden soll, ver-
halten sich die Herren auf einmal ablehnend. Von
czechischer Seite verlangt man die Verschmelzung der
Großgrundbesitzercurie mit einem Theile der Wähler
aus dem zweiten Wahlkörper zu einer Curie, welche
zusammen 39 Abgeordnete zu wählen hätten. Der
hiedurch reducierte zweite Wahlkörper würde dann
um 12 Vertreter weniger zu wählen haben, so dass
die Zahl der zu wählenden Abgeordneten in diesen
beiden Wahlkörpern sich thatsächlich nicht ändert. Für
die anderen Wahlcurien will man die Zahl der
Mandate erhöhen, da sich die Nothwendigkeit längst
herausgestellt hat, gewisse Landgemeinden, welche
eine große Anzahl von Wählern besitzen, in die Curie
der Städte und Industrialorte einzureihen. Außerdem
soll die allgemeine Wählerclasse mit zehn Vertretern
dazukommen; die Zahl der Mandate würde sich nach
der czechischen Forderung um 25, das ist von 242
auf 267, erhöhen. Diese Projecte erfahren von
deutscher Seite keinen Widerspruch, jedoch will man
ihnen nur dann zustimmen, wenn gleichzeitig auch die
nationalen Curien, eine deutsche und eine czechische,
zustande kommen. Man steht sonach in diesen
wichtigen Fragen einem Zustande gegenüber, den
man seit dem Ausbruche der Streitigkeiten mit Ungarn
ein Junctim nennt, das heißt, die Wahlreformpläne
der Czechen werden nur dann von den Deutschen
acceptiert werden, wenn gleichzeitig damit auch die
Vetocurien gesetzlich festgelegt werden. Hier liegt der
Angelpunkt, aber auch die Wahrscheinlichkeit, dass
die Verhandlungen schon über diese Forderungen
ins Stocken gerathen werden.

Unterdessen hat die Regierung den Reichsrath
für den 22. d. M. zur Wiederaufnahme seiner
Thätigkeit einberufen. Da die Session nicht geschlossen,
sondern nur vertagt ist, so entfallen alle bei der
Neueröffnung einer Session nothwendigen Formali-
täten und es wird daher die erste Sitzung vom
22. Februar mit der Tagesordnung der letzten
Sitzung vom 20. December v. J. beginnen. Der
erste Punkt dieser Tagesordnung ist aber die Be-
rathung über die Regierungsvorlage betreffend die
Bewilligung des Recrutencontingentes für das laufende
Jähr. Der wieder zusammentretende Reichsrath wird
sich ferner baldmöglichst mit den ungarischen Ange-
legenheiten zu befassen haben. Bekanntlich hat der
Kaiser die Quote nur bis Ende Juni l. J. festge-
setzt und es wird daher Aufgabe des Reichsrathes
sein, eine neue Quotendeputation zu wählen. Auch
[Spaltenumbruch] die Wahl der Delegationen ist dadurch dringlich ge-
worden, dass die Regierung beabsichtigt, die Dele-
gationen noch im Laufe des Frühjahres zusammen-
treten zu lassen. In allen diesen Angelegenheiten ent-
wickelt Ungarn eine lebhafte Thätigkeit und der un-
garische Ministerpräsident hat in der letzten Zeit
wiederholt, zuletzt am Sonntag, in Wien geweilt,
um das Nöthige hiezu vorzukehren. Man sieht, die
beiderseitigen Regierungen entwickeln eine emsige
Thätigkeit, um ihr Haus bei Zeiten zu bestellen und
so allen parlamentarischen Fährlichkeiten aus dem
Wege zu gehen. Nach dem Recrutencontingente, der
Quote und den Delegationswahlen kommt für die
österreichische Regierung eine verhältnismäßig ruhige
Zeit; sie kann dann leichter warten.

In Frankreich ist man in neuerer Zeit scharf
hinter den Clericalen her, denen man besonders in
dem Processe gegen die sogenannten Assumptionisten,
einem Orden, der in Frankreich erwiesenermaßen
staatsfeindliche Zwecke verfolgt, auf recht schöne Dinge
gekommen ist. Der Ministerrath hat deshalb beschlossen,
der Deputiertenkammer ein Amendement zum Straf-
gesetze vorzulegen, wonach jeder Priester, welcher
gegen den Staat und seine Organe in irgend einer
Form agitiert, der Verbannung anheimfällt. Es
sind besonders französische Bischöfe, welche diese
Maßregel, sollte sie Gesetz werden, treffen würde.
Nachdem Frankreich bis heute noch unter dem Banne
des Concordates steht, so kann man sich von der
Größe der Gefahr, die der Republik von Seite seines
revolutionären Clerus droht, eine ungefähre Vor-
stellung machen.

Auf dem südafrikanischen Kriegsschauplatze scheint
sich eine überraschende Wendung zu vollziehen. Der
dritte Entsatzversuch, den General Buller angestellt
hat, ist abermals total missglückt und hat den Eng-
ländern wieder ganz bedeutende Verluste zugezogen.
Die Boers wollen aber jetzt den Spieß umkehren
und gegen die Engländer die Offensive ergreifen.
Bereits sollen sechstausend Boers den Tugelafluss
übersetzt haben und wollen versuchen, der englischen
Armee in den Rücken zu fallen. In London selbst
scheint man übrigens den Glauben an eine Rettung
Ladysmiths aufgegeben zu haben; dagegen macht
dort eine weitere Alarmnachricht die Herzen höher
schlagen. Marschall Roberts soll sich entschlossen
haben, mit seiner ganzen verfügbaren Macht dem
belagerten Kimberley, das sich bereits in der höchsten
Noth befindet, und dessen Bewohner, wie jetzt bekannt
wird, schon seit anfangs Jänner nur mehr von
Pferdeflleisch leben, zu Hilfe zu eilen. Die allgemeine
Aufmerksamkeit wird sich demnach von nun an von
Ladysmith abkehren und den Operationen der Boers
gegen Buller, sowie dem Marschall Roberts zuwenden
müssen. Über beide Ereignisse dürften aber schon die
nächsten Tage Nachrichten bringen. Das Losgehen
der Boers wird vielfach als gefährlich bezeichnet; sie
haben sich bisher in der Defensive als unüberwindlich




[Spaltenumbruch]

tragen, dass man Scherz mit ihm trieb, und er arg-
wöhnte, dass dieser merkwürdige Kunde ihn nasführen
wollte. Er bildete sich ein, dass er die Zielscheibe
des Spottes sei. Deshalb fertigte er den Mann mit
dem Fagott barsch ab und der schlich davon wie ein
geprügelter Hund.

Am nächsten Sonntag, kaum war das Amt ge-
öffnet worden, hatte Zimmermann im dunklen Vor-
raume Posto gefasst. Behutsam klopfte er an die
Thür, die zur Abtheilung Robertin's führte. Dieser
war schon auf dem Posten, er hörte auch schon an
dem Klopfen, wer sich eingestellt hatte.

"Wer ist da?" fragte er mit scharfer und
fester Stimme.

Der Mann mit dem Fagott, der seinen Kopf
schüchtern durch den Schalter steckte, lächelte sanft
und erwiderte bescheiden: "Entschuldigen Sie gütigst,
Herr Vorsteher, ich bin es. Ich bin eben ge-
kommen ..."

"Für Sie ist nichts da!" rief Herr Robertin.

"Nichts?" wehklagte der Musikant. "Wirklich
nichts? Dann bitte ich sehr um Verzeihung. Aber
vielleicht haben der gnädige Herr meinen Namen ver-
gessen. Ich heiße Zimmermann ..."

"Das weiß ich", knurrte der Beamte.

"Es ist nichts da?" fragte der andere noch-
mals. "Nein? Das ist ja gar nicht möglich!"

"Hier ist zwar ein Brief aus Schwalbach", er-
klärte Herr Robertin mit eisiger Ruhe, "aber weil
Sie schon wiederholt die Annahme von Briefen unter
der Adresse Zimmermann verweigert haben, liegt für
mich keine Veranlassung vor, Ihnen diesen neuesten
Brief zu zeigen."

Der Musikant sah den Beamten sprachlos an,
Leichenblässe bedeckte sein abgehärmtes Gesicht. Ein
[Spaltenumbruch] schmerzlicher Krampf verzog seine Lippen, in seinen
tiefliegenden Augen schimmerte eine Thräne.

Robertin musste all' seine Willenskraft zusammen-
nehmen, um keine Spur von Mitleid mit diesem
Menschen zu zeigen, der ihm Verdacht einflößte.

"Sie wollen mir also diesen Brief nicht zeigen?"
stammelte Zimmermann mit flehentlicher Stimme.

"Was hätten Sie denn davon, wenn ich's thäte?"
forschte der Beamte.

"Ach, ich will mir ja nur die Adresse ansehen,
nur ansehen, liebster, gnädigster Herr", bettelte
Zimmermann.

"Sie sind wohl des T ..... s!" schrie der
Beamte. "Ich bin doch nicht dazu da, um Ihre
tollen Einfälle zu befriedigen. Da müssen Sie sich
schon einen Dümmern aussuchen!" Damit warf er
krachend das Schalterfenster herunter.

... Plötzlich blieb er bestürzt stehen. Aus dem
Dunkel des Vorzimmers drang ein herzzereißendes
Schluchzen an sein Ohr. Der arme Musikant, der
seinen Kopf in beide Hände vergraben hatte, hatte
sich in eine Ecke gedrückt und weinte bittere Thränen.

"Was ist denn mit Ihnen los? Was ist Ihnen
denn geschehen?" rief Robertin ganz entsetzt, indem
er sich dem Schluchzenden näherte.

Der Weinende trocknete seine Thränen und
erhob langsam sein Haupt. Er versuchte, ein Lächeln
auf sein Gesicht zu zaubern, aber dieser Versuch
misslang gänzlich.

"Verzeihen Sie mir", stammelte er, "aber das
geht über meine Kräfte. Ich konnte es nicht länger
aushalten, und es ist deshalb am besten, wenn ich
Ihnen die volle Wahrheit sage. Ich bin ein Schwal-
bacher Kind. Aber ich musste mein Heimatdorf ver-
lassen, weil ich dort nicht so viel zu verdienen ver-
[Spaltenumbruch] mochte, um meine Familie ernähren zu können. Da
bin ich denn nach der Hauptstadt gewandert. Hier
blase ich das Fagott ... wissen Sie, ... so auf
den Höfen. Da werden mir immer einige Sous zu-
geworfen und die schicke ich alle nach Hause. Zu
essen geben mir die Dienstmädchen auch -- die Nacht
verbringe ich in einem Pferdestalle -- sehen Sie, ich
lebe! Aber zu Hause -- du lieber Himmel, meine
Frau hat kein Geld, um das Porto bezahlen zu
können. Da haben wir eine Verabredung getroffen.
Sie werden gewiss schon bemerkt haben, dass die
Adresse der an mich einlaufenden Briefe stets aus
sechs Zeilen zusammengesetzt ist, deren jede von einer
anderen Hand geschrieben ist. Die Adresse schreibt
meine ganze Familie: meine Frau beginnt und das
jüngste Kind, dem noch die Hand geführt werden
muss, kritzelt das letzte Wort. Ich brauche also nur
die Adresse zu lesen, da weiß ich, ob zu Hause Ge-
sundheit oder ob Krankheit und Kummer herrschen.
Das Couvert erzählt mir alles. Und nun, da Sie
alles erfahren haben, vernichten Sie nicht die Zukunft
eines armen Vaters, dessen Leben, dessen ganze Welt
Frau und Kinder bedeuten. Gnädigster, bester, lieber
Herr, verzeihen Sie mir!"

Herr Robertin fuhr sich mit seinem Taschentuche
einigemale über das Gesicht, ... es war ihm wahr-
scheinlich trotz der Kälte warm geworden. Dann gab
er dem Fagottmusikanten den Brief, entnahm seiner
Börse drei Francs, warf sie in seine Amtscasse und
legte dafür Freimarken auf das Schalterbrett.

"Zum Frankieren", schrie er den draußen
Stehenden an. "Sie dürfen den Staat nicht be-
trügen ..." Damit zog er den Vorhang, nahm eine
Prise und addierte weiter. -- -- --




Mittwoch Badener Zeitung 14. Februar 1900. Nr. 13.

[Spaltenumbruch]

thum ohnehin, wie in Ungarn, erfahren müſſen,
was es heißt, vogelfrei erklärt zu werden und
keinen anderen Schutz zu genießen, als etwa den
einer öſterreichiſchen Regierung. Wie weit wurde
dem kaum aus dem Ei geſchlüpften Slovenen-
volke geſtattet, ſich auf die Drangſalierung des
Deutſchthumes zu verlegen und die Zuſtände in
Prag oder Pilſen laſſen die Übergriffsluſt des
Czechenthumes, und was geſchehen würde, wenn
die öſterreichiſche Regierung noch weiter fortführe,
den Feudalen und Clericalen zuliebe noch weiter
an der Verdrängung des Deutſchthumes mitzu-
wirken, hinlänglich erkennen. Gott ſei Dank, das
deutſche Volk, das ſich lange genug am Narren-
ſeile einer falſch ausgelegten Gleichberechtigung
und Gleichwertigkeit führen ließ, ſprach endlich
ſein: Bis hieher und nicht weiter. Und ſo iſt
denn mit einem Ruck die deutſchfeindliche Richtung
zum Stehen gekommen. Eine Folge dieſer ganz
entſchiedenen Ablehnung, ſich weiter Riemen aus
dem Leibe ſchneiden zu laſſen ſind die heutigen
Verſtändigungsconferenzen. Die Dentſchen haben
es nicht abgelehnt, daran theilzunehmen. Wenn
jedoch von anderer Seite dieſe Conferenzen für
nichts anderes als für einen Verſuch, den
Deutſchen nun mit ihrer Zuſtimmung die Cra-
vatte enger zu ſchnüren, gehalten werden ſollte,
dann werden die übrigen erfahren, daſs die Zeiten
der Nachgiebigkeit für die Deutſchen vorüber ſind.
Die Deutſchen wollen Frieden ſchließen; ſie ſind
aber nicht in die Conferenzen getreten, um zu
alldem, was man ihnen bisher mit Liſt und
Gewalt entzogen hat, ſich auch noch etwas ab-
handeln zu laſſen. Den Deutſchen handelt es ſich
auch nicht darum, bei dieſen Conferenzen Er-
oberungen zu machen, wie den Czechen, ſie wollen
nur nicht mehr fernerhin als Angriffsobjecte für
die Ausbreitungsluſt der Slaven dienen. Wer
die Conferenzen anders verſteht, wird durch die
Ereigniſſe eines Beſſeren belehrt werden.




Politiſche Äberſicht

Die Berathungen der Verſtändigungsconferenz
haben nach dreitägiger Pauſe Montag wieder be-
gonnen. Bekanntlich betreffen die vom Miniſter des
Innern der Conferenz für Böhmen vorgelegten Ge-
ſetzentwürfe vor allem die Schaffung einer neuen
Landesordnung und einer neuen Landtagswahlordnung,
worunter die Abänderung des Liſtenſcrutiniums für
den Großgrundbeſitz, die Vermehrung der Mandate
für die Städte, Landgemeinden und Handelskammern,
die Einführung der directen Wahlen in den Land-
gemeinden unter gleichzeitiger Herabſetzung des Wahl-
cenſus, die Einführung einer neuen Wählerclaſſe,
analog der allgemeinen Wählerclaſſe, für den Reichs-
[Spaltenumbruch] rath, endlich die Errichtung von Wahlcurien und
Vetocurien verſtanden wird. Die meiſten dieſer
Fragen wurde dem von der Conferenz eingeſetzten
Subcomité zugewieſen und dort bildete beſonders das
Wahlrecht für den Großgrundbeſitz, ſowie die
Schaffung von Vetocurien den Gegenſtand lebhafteſter
Erörterungen. Mit der Schaffung einer neuen Wähl-
art im Großgrundbeſitze hat ſich dieſer bisher in
allen ſeinen diesbezüglichen Enunciationen einver-
ſtanden erklärt; nun, da es Ernſt werden ſoll, ver-
halten ſich die Herren auf einmal ablehnend. Von
czechiſcher Seite verlangt man die Verſchmelzung der
Großgrundbeſitzercurie mit einem Theile der Wähler
aus dem zweiten Wahlkörper zu einer Curie, welche
zuſammen 39 Abgeordnete zu wählen hätten. Der
hiedurch reducierte zweite Wahlkörper würde dann
um 12 Vertreter weniger zu wählen haben, ſo daſs
die Zahl der zu wählenden Abgeordneten in dieſen
beiden Wahlkörpern ſich thatſächlich nicht ändert. Für
die anderen Wahlcurien will man die Zahl der
Mandate erhöhen, da ſich die Nothwendigkeit längſt
herausgeſtellt hat, gewiſſe Landgemeinden, welche
eine große Anzahl von Wählern beſitzen, in die Curie
der Städte und Induſtrialorte einzureihen. Außerdem
ſoll die allgemeine Wählerclaſſe mit zehn Vertretern
dazukommen; die Zahl der Mandate würde ſich nach
der czechiſchen Forderung um 25, das iſt von 242
auf 267, erhöhen. Dieſe Projecte erfahren von
deutſcher Seite keinen Widerſpruch, jedoch will man
ihnen nur dann zuſtimmen, wenn gleichzeitig auch die
nationalen Curien, eine deutſche und eine czechiſche,
zuſtande kommen. Man ſteht ſonach in dieſen
wichtigen Fragen einem Zuſtande gegenüber, den
man ſeit dem Ausbruche der Streitigkeiten mit Ungarn
ein Junctim nennt, das heißt, die Wahlreformpläne
der Czechen werden nur dann von den Deutſchen
acceptiert werden, wenn gleichzeitig damit auch die
Vetocurien geſetzlich feſtgelegt werden. Hier liegt der
Angelpunkt, aber auch die Wahrſcheinlichkeit, daſs
die Verhandlungen ſchon über dieſe Forderungen
ins Stocken gerathen werden.

Unterdeſſen hat die Regierung den Reichsrath
für den 22. d. M. zur Wiederaufnahme ſeiner
Thätigkeit einberufen. Da die Seſſion nicht geſchloſſen,
ſondern nur vertagt iſt, ſo entfallen alle bei der
Neueröffnung einer Seſſion nothwendigen Formali-
täten und es wird daher die erſte Sitzung vom
22. Februar mit der Tagesordnung der letzten
Sitzung vom 20. December v. J. beginnen. Der
erſte Punkt dieſer Tagesordnung iſt aber die Be-
rathung über die Regierungsvorlage betreffend die
Bewilligung des Recrutencontingentes für das laufende
Jähr. Der wieder zuſammentretende Reichsrath wird
ſich ferner baldmöglichſt mit den ungariſchen Ange-
legenheiten zu befaſſen haben. Bekanntlich hat der
Kaiſer die Quote nur bis Ende Juni l. J. feſtge-
ſetzt und es wird daher Aufgabe des Reichsrathes
ſein, eine neue Quotendeputation zu wählen. Auch
[Spaltenumbruch] die Wahl der Delegationen iſt dadurch dringlich ge-
worden, daſs die Regierung beabſichtigt, die Dele-
gationen noch im Laufe des Frühjahres zuſammen-
treten zu laſſen. In allen dieſen Angelegenheiten ent-
wickelt Ungarn eine lebhafte Thätigkeit und der un-
gariſche Miniſterpräſident hat in der letzten Zeit
wiederholt, zuletzt am Sonntag, in Wien geweilt,
um das Nöthige hiezu vorzukehren. Man ſieht, die
beiderſeitigen Regierungen entwickeln eine emſige
Thätigkeit, um ihr Haus bei Zeiten zu beſtellen und
ſo allen parlamentariſchen Fährlichkeiten aus dem
Wege zu gehen. Nach dem Recrutencontingente, der
Quote und den Delegationswahlen kommt für die
öſterreichiſche Regierung eine verhältnismäßig ruhige
Zeit; ſie kann dann leichter warten.

In Frankreich iſt man in neuerer Zeit ſcharf
hinter den Clericalen her, denen man beſonders in
dem Proceſſe gegen die ſogenannten Aſſumptioniſten,
einem Orden, der in Frankreich erwieſenermaßen
ſtaatsfeindliche Zwecke verfolgt, auf recht ſchöne Dinge
gekommen iſt. Der Miniſterrath hat deshalb beſchloſſen,
der Deputiertenkammer ein Amendement zum Straf-
geſetze vorzulegen, wonach jeder Prieſter, welcher
gegen den Staat und ſeine Organe in irgend einer
Form agitiert, der Verbannung anheimfällt. Es
ſind beſonders franzöſiſche Biſchöfe, welche dieſe
Maßregel, ſollte ſie Geſetz werden, treffen würde.
Nachdem Frankreich bis heute noch unter dem Banne
des Concordates ſteht, ſo kann man ſich von der
Größe der Gefahr, die der Republik von Seite ſeines
revolutionären Clerus droht, eine ungefähre Vor-
ſtellung machen.

Auf dem ſüdafrikaniſchen Kriegsſchauplatze ſcheint
ſich eine überraſchende Wendung zu vollziehen. Der
dritte Entſatzverſuch, den General Buller angeſtellt
hat, iſt abermals total miſsglückt und hat den Eng-
ländern wieder ganz bedeutende Verluſte zugezogen.
Die Boers wollen aber jetzt den Spieß umkehren
und gegen die Engländer die Offenſive ergreifen.
Bereits ſollen ſechstauſend Boers den Tugelafluſs
überſetzt haben und wollen verſuchen, der engliſchen
Armee in den Rücken zu fallen. In London ſelbſt
ſcheint man übrigens den Glauben an eine Rettung
Ladyſmiths aufgegeben zu haben; dagegen macht
dort eine weitere Alarmnachricht die Herzen höher
ſchlagen. Marſchall Roberts ſoll ſich entſchloſſen
haben, mit ſeiner ganzen verfügbaren Macht dem
belagerten Kimberley, das ſich bereits in der höchſten
Noth befindet, und deſſen Bewohner, wie jetzt bekannt
wird, ſchon ſeit anfangs Jänner nur mehr von
Pferdeflleiſch leben, zu Hilfe zu eilen. Die allgemeine
Aufmerkſamkeit wird ſich demnach von nun an von
Ladyſmith abkehren und den Operationen der Boers
gegen Buller, ſowie dem Marſchall Roberts zuwenden
müſſen. Über beide Ereigniſſe dürften aber ſchon die
nächſten Tage Nachrichten bringen. Das Losgehen
der Boers wird vielfach als gefährlich bezeichnet; ſie
haben ſich bisher in der Defenſive als unüberwindlich




[Spaltenumbruch]

tragen, daſs man Scherz mit ihm trieb, und er arg-
wöhnte, daſs dieſer merkwürdige Kunde ihn nasführen
wollte. Er bildete ſich ein, daſs er die Zielſcheibe
des Spottes ſei. Deshalb fertigte er den Mann mit
dem Fagott barſch ab und der ſchlich davon wie ein
geprügelter Hund.

Am nächſten Sonntag, kaum war das Amt ge-
öffnet worden, hatte Zimmermann im dunklen Vor-
raume Poſto gefaſst. Behutſam klopfte er an die
Thür, die zur Abtheilung Robertin’s führte. Dieſer
war ſchon auf dem Poſten, er hörte auch ſchon an
dem Klopfen, wer ſich eingeſtellt hatte.

„Wer iſt da?“ fragte er mit ſcharfer und
feſter Stimme.

Der Mann mit dem Fagott, der ſeinen Kopf
ſchüchtern durch den Schalter ſteckte, lächelte ſanft
und erwiderte beſcheiden: „Entſchuldigen Sie gütigſt,
Herr Vorſteher, ich bin es. Ich bin eben ge-
kommen ...“

„Für Sie iſt nichts da!“ rief Herr Robertin.

„Nichts?“ wehklagte der Muſikant. „Wirklich
nichts? Dann bitte ich ſehr um Verzeihung. Aber
vielleicht haben der gnädige Herr meinen Namen ver-
geſſen. Ich heiße Zimmermann ...“

„Das weiß ich“, knurrte der Beamte.

„Es iſt nichts da?“ fragte der andere noch-
mals. „Nein? Das iſt ja gar nicht möglich!“

„Hier iſt zwar ein Brief aus Schwalbach“, er-
klärte Herr Robertin mit eiſiger Ruhe, „aber weil
Sie ſchon wiederholt die Annahme von Briefen unter
der Adreſſe Zimmermann verweigert haben, liegt für
mich keine Veranlaſſung vor, Ihnen dieſen neueſten
Brief zu zeigen.“

Der Muſikant ſah den Beamten ſprachlos an,
Leichenbläſſe bedeckte ſein abgehärmtes Geſicht. Ein
[Spaltenumbruch] ſchmerzlicher Krampf verzog ſeine Lippen, in ſeinen
tiefliegenden Augen ſchimmerte eine Thräne.

Robertin muſste all’ ſeine Willenskraft zuſammen-
nehmen, um keine Spur von Mitleid mit dieſem
Menſchen zu zeigen, der ihm Verdacht einflößte.

„Sie wollen mir alſo dieſen Brief nicht zeigen?“
ſtammelte Zimmermann mit flehentlicher Stimme.

„Was hätten Sie denn davon, wenn ich’s thäte?“
forſchte der Beamte.

„Ach, ich will mir ja nur die Adreſſe anſehen,
nur anſehen, liebſter, gnädigſter Herr“, bettelte
Zimmermann.

„Sie ſind wohl des T ..... s!“ ſchrie der
Beamte. „Ich bin doch nicht dazu da, um Ihre
tollen Einfälle zu befriedigen. Da müſſen Sie ſich
ſchon einen Dümmern ausſuchen!“ Damit warf er
krachend das Schalterfenſter herunter.

... Plötzlich blieb er beſtürzt ſtehen. Aus dem
Dunkel des Vorzimmers drang ein herzzereißendes
Schluchzen an ſein Ohr. Der arme Muſikant, der
ſeinen Kopf in beide Hände vergraben hatte, hatte
ſich in eine Ecke gedrückt und weinte bittere Thränen.

„Was iſt denn mit Ihnen los? Was iſt Ihnen
denn geſchehen?“ rief Robertin ganz entſetzt, indem
er ſich dem Schluchzenden näherte.

Der Weinende trocknete ſeine Thränen und
erhob langſam ſein Haupt. Er verſuchte, ein Lächeln
auf ſein Geſicht zu zaubern, aber dieſer Verſuch
miſslang gänzlich.

„Verzeihen Sie mir“, ſtammelte er, „aber das
geht über meine Kräfte. Ich konnte es nicht länger
aushalten, und es iſt deshalb am beſten, wenn ich
Ihnen die volle Wahrheit ſage. Ich bin ein Schwal-
bacher Kind. Aber ich muſste mein Heimatdorf ver-
laſſen, weil ich dort nicht ſo viel zu verdienen ver-
[Spaltenumbruch] mochte, um meine Familie ernähren zu können. Da
bin ich denn nach der Hauptſtadt gewandert. Hier
blaſe ich das Fagott ... wiſſen Sie, ... ſo auf
den Höfen. Da werden mir immer einige Sous zu-
geworfen und die ſchicke ich alle nach Hauſe. Zu
eſſen geben mir die Dienſtmädchen auch — die Nacht
verbringe ich in einem Pferdeſtalle — ſehen Sie, ich
lebe! Aber zu Hauſe — du lieber Himmel, meine
Frau hat kein Geld, um das Porto bezahlen zu
können. Da haben wir eine Verabredung getroffen.
Sie werden gewiſs ſchon bemerkt haben, daſs die
Adreſſe der an mich einlaufenden Briefe ſtets aus
ſechs Zeilen zuſammengeſetzt iſt, deren jede von einer
anderen Hand geſchrieben iſt. Die Adreſſe ſchreibt
meine ganze Familie: meine Frau beginnt und das
jüngſte Kind, dem noch die Hand geführt werden
muſs, kritzelt das letzte Wort. Ich brauche alſo nur
die Adreſſe zu leſen, da weiß ich, ob zu Hauſe Ge-
ſundheit oder ob Krankheit und Kummer herrſchen.
Das Couvert erzählt mir alles. Und nun, da Sie
alles erfahren haben, vernichten Sie nicht die Zukunft
eines armen Vaters, deſſen Leben, deſſen ganze Welt
Frau und Kinder bedeuten. Gnädigſter, beſter, lieber
Herr, verzeihen Sie mir!“

Herr Robertin fuhr ſich mit ſeinem Taſchentuche
einigemale über das Geſicht, ... es war ihm wahr-
ſcheinlich trotz der Kälte warm geworden. Dann gab
er dem Fagottmuſikanten den Brief, entnahm ſeiner
Börſe drei Francs, warf ſie in ſeine Amtscaſſe und
legte dafür Freimarken auf das Schalterbrett.

„Zum Frankieren“, ſchrie er den draußen
Stehenden an. „Sie dürfen den Staat nicht be-
trügen ...“ Damit zog er den Vorhang, nahm eine
Priſe und addierte weiter. — — —




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</TEI>
[2/0002] Mittwoch Badener Zeitung 14. Februar 1900. Nr. 13. thum ohnehin, wie in Ungarn, erfahren müſſen, was es heißt, vogelfrei erklärt zu werden und keinen anderen Schutz zu genießen, als etwa den einer öſterreichiſchen Regierung. Wie weit wurde dem kaum aus dem Ei geſchlüpften Slovenen- volke geſtattet, ſich auf die Drangſalierung des Deutſchthumes zu verlegen und die Zuſtände in Prag oder Pilſen laſſen die Übergriffsluſt des Czechenthumes, und was geſchehen würde, wenn die öſterreichiſche Regierung noch weiter fortführe, den Feudalen und Clericalen zuliebe noch weiter an der Verdrängung des Deutſchthumes mitzu- wirken, hinlänglich erkennen. Gott ſei Dank, das deutſche Volk, das ſich lange genug am Narren- ſeile einer falſch ausgelegten Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit führen ließ, ſprach endlich ſein: Bis hieher und nicht weiter. Und ſo iſt denn mit einem Ruck die deutſchfeindliche Richtung zum Stehen gekommen. Eine Folge dieſer ganz entſchiedenen Ablehnung, ſich weiter Riemen aus dem Leibe ſchneiden zu laſſen ſind die heutigen Verſtändigungsconferenzen. Die Dentſchen haben es nicht abgelehnt, daran theilzunehmen. Wenn jedoch von anderer Seite dieſe Conferenzen für nichts anderes als für einen Verſuch, den Deutſchen nun mit ihrer Zuſtimmung die Cra- vatte enger zu ſchnüren, gehalten werden ſollte, dann werden die übrigen erfahren, daſs die Zeiten der Nachgiebigkeit für die Deutſchen vorüber ſind. Die Deutſchen wollen Frieden ſchließen; ſie ſind aber nicht in die Conferenzen getreten, um zu alldem, was man ihnen bisher mit Liſt und Gewalt entzogen hat, ſich auch noch etwas ab- handeln zu laſſen. Den Deutſchen handelt es ſich auch nicht darum, bei dieſen Conferenzen Er- oberungen zu machen, wie den Czechen, ſie wollen nur nicht mehr fernerhin als Angriffsobjecte für die Ausbreitungsluſt der Slaven dienen. Wer die Conferenzen anders verſteht, wird durch die Ereigniſſe eines Beſſeren belehrt werden. Politiſche Äberſicht Die Berathungen der Verſtändigungsconferenz haben nach dreitägiger Pauſe Montag wieder be- gonnen. Bekanntlich betreffen die vom Miniſter des Innern der Conferenz für Böhmen vorgelegten Ge- ſetzentwürfe vor allem die Schaffung einer neuen Landesordnung und einer neuen Landtagswahlordnung, worunter die Abänderung des Liſtenſcrutiniums für den Großgrundbeſitz, die Vermehrung der Mandate für die Städte, Landgemeinden und Handelskammern, die Einführung der directen Wahlen in den Land- gemeinden unter gleichzeitiger Herabſetzung des Wahl- cenſus, die Einführung einer neuen Wählerclaſſe, analog der allgemeinen Wählerclaſſe, für den Reichs- rath, endlich die Errichtung von Wahlcurien und Vetocurien verſtanden wird. Die meiſten dieſer Fragen wurde dem von der Conferenz eingeſetzten Subcomité zugewieſen und dort bildete beſonders das Wahlrecht für den Großgrundbeſitz, ſowie die Schaffung von Vetocurien den Gegenſtand lebhafteſter Erörterungen. Mit der Schaffung einer neuen Wähl- art im Großgrundbeſitze hat ſich dieſer bisher in allen ſeinen diesbezüglichen Enunciationen einver- ſtanden erklärt; nun, da es Ernſt werden ſoll, ver- halten ſich die Herren auf einmal ablehnend. Von czechiſcher Seite verlangt man die Verſchmelzung der Großgrundbeſitzercurie mit einem Theile der Wähler aus dem zweiten Wahlkörper zu einer Curie, welche zuſammen 39 Abgeordnete zu wählen hätten. Der hiedurch reducierte zweite Wahlkörper würde dann um 12 Vertreter weniger zu wählen haben, ſo daſs die Zahl der zu wählenden Abgeordneten in dieſen beiden Wahlkörpern ſich thatſächlich nicht ändert. Für die anderen Wahlcurien will man die Zahl der Mandate erhöhen, da ſich die Nothwendigkeit längſt herausgeſtellt hat, gewiſſe Landgemeinden, welche eine große Anzahl von Wählern beſitzen, in die Curie der Städte und Induſtrialorte einzureihen. Außerdem ſoll die allgemeine Wählerclaſſe mit zehn Vertretern dazukommen; die Zahl der Mandate würde ſich nach der czechiſchen Forderung um 25, das iſt von 242 auf 267, erhöhen. Dieſe Projecte erfahren von deutſcher Seite keinen Widerſpruch, jedoch will man ihnen nur dann zuſtimmen, wenn gleichzeitig auch die nationalen Curien, eine deutſche und eine czechiſche, zuſtande kommen. Man ſteht ſonach in dieſen wichtigen Fragen einem Zuſtande gegenüber, den man ſeit dem Ausbruche der Streitigkeiten mit Ungarn ein Junctim nennt, das heißt, die Wahlreformpläne der Czechen werden nur dann von den Deutſchen acceptiert werden, wenn gleichzeitig damit auch die Vetocurien geſetzlich feſtgelegt werden. Hier liegt der Angelpunkt, aber auch die Wahrſcheinlichkeit, daſs die Verhandlungen ſchon über dieſe Forderungen ins Stocken gerathen werden. Unterdeſſen hat die Regierung den Reichsrath für den 22. d. M. zur Wiederaufnahme ſeiner Thätigkeit einberufen. Da die Seſſion nicht geſchloſſen, ſondern nur vertagt iſt, ſo entfallen alle bei der Neueröffnung einer Seſſion nothwendigen Formali- täten und es wird daher die erſte Sitzung vom 22. Februar mit der Tagesordnung der letzten Sitzung vom 20. December v. J. beginnen. Der erſte Punkt dieſer Tagesordnung iſt aber die Be- rathung über die Regierungsvorlage betreffend die Bewilligung des Recrutencontingentes für das laufende Jähr. Der wieder zuſammentretende Reichsrath wird ſich ferner baldmöglichſt mit den ungariſchen Ange- legenheiten zu befaſſen haben. Bekanntlich hat der Kaiſer die Quote nur bis Ende Juni l. J. feſtge- ſetzt und es wird daher Aufgabe des Reichsrathes ſein, eine neue Quotendeputation zu wählen. Auch die Wahl der Delegationen iſt dadurch dringlich ge- worden, daſs die Regierung beabſichtigt, die Dele- gationen noch im Laufe des Frühjahres zuſammen- treten zu laſſen. In allen dieſen Angelegenheiten ent- wickelt Ungarn eine lebhafte Thätigkeit und der un- gariſche Miniſterpräſident hat in der letzten Zeit wiederholt, zuletzt am Sonntag, in Wien geweilt, um das Nöthige hiezu vorzukehren. Man ſieht, die beiderſeitigen Regierungen entwickeln eine emſige Thätigkeit, um ihr Haus bei Zeiten zu beſtellen und ſo allen parlamentariſchen Fährlichkeiten aus dem Wege zu gehen. Nach dem Recrutencontingente, der Quote und den Delegationswahlen kommt für die öſterreichiſche Regierung eine verhältnismäßig ruhige Zeit; ſie kann dann leichter warten. In Frankreich iſt man in neuerer Zeit ſcharf hinter den Clericalen her, denen man beſonders in dem Proceſſe gegen die ſogenannten Aſſumptioniſten, einem Orden, der in Frankreich erwieſenermaßen ſtaatsfeindliche Zwecke verfolgt, auf recht ſchöne Dinge gekommen iſt. Der Miniſterrath hat deshalb beſchloſſen, der Deputiertenkammer ein Amendement zum Straf- geſetze vorzulegen, wonach jeder Prieſter, welcher gegen den Staat und ſeine Organe in irgend einer Form agitiert, der Verbannung anheimfällt. Es ſind beſonders franzöſiſche Biſchöfe, welche dieſe Maßregel, ſollte ſie Geſetz werden, treffen würde. Nachdem Frankreich bis heute noch unter dem Banne des Concordates ſteht, ſo kann man ſich von der Größe der Gefahr, die der Republik von Seite ſeines revolutionären Clerus droht, eine ungefähre Vor- ſtellung machen. Auf dem ſüdafrikaniſchen Kriegsſchauplatze ſcheint ſich eine überraſchende Wendung zu vollziehen. Der dritte Entſatzverſuch, den General Buller angeſtellt hat, iſt abermals total miſsglückt und hat den Eng- ländern wieder ganz bedeutende Verluſte zugezogen. Die Boers wollen aber jetzt den Spieß umkehren und gegen die Engländer die Offenſive ergreifen. Bereits ſollen ſechstauſend Boers den Tugelafluſs überſetzt haben und wollen verſuchen, der engliſchen Armee in den Rücken zu fallen. In London ſelbſt ſcheint man übrigens den Glauben an eine Rettung Ladyſmiths aufgegeben zu haben; dagegen macht dort eine weitere Alarmnachricht die Herzen höher ſchlagen. Marſchall Roberts ſoll ſich entſchloſſen haben, mit ſeiner ganzen verfügbaren Macht dem belagerten Kimberley, das ſich bereits in der höchſten Noth befindet, und deſſen Bewohner, wie jetzt bekannt wird, ſchon ſeit anfangs Jänner nur mehr von Pferdeflleiſch leben, zu Hilfe zu eilen. Die allgemeine Aufmerkſamkeit wird ſich demnach von nun an von Ladyſmith abkehren und den Operationen der Boers gegen Buller, ſowie dem Marſchall Roberts zuwenden müſſen. Über beide Ereigniſſe dürften aber ſchon die nächſten Tage Nachrichten bringen. Das Losgehen der Boers wird vielfach als gefährlich bezeichnet; ſie haben ſich bisher in der Defenſive als unüberwindlich tragen, daſs man Scherz mit ihm trieb, und er arg- wöhnte, daſs dieſer merkwürdige Kunde ihn nasführen wollte. Er bildete ſich ein, daſs er die Zielſcheibe des Spottes ſei. Deshalb fertigte er den Mann mit dem Fagott barſch ab und der ſchlich davon wie ein geprügelter Hund. Am nächſten Sonntag, kaum war das Amt ge- öffnet worden, hatte Zimmermann im dunklen Vor- raume Poſto gefaſst. Behutſam klopfte er an die Thür, die zur Abtheilung Robertin’s führte. Dieſer war ſchon auf dem Poſten, er hörte auch ſchon an dem Klopfen, wer ſich eingeſtellt hatte. „Wer iſt da?“ fragte er mit ſcharfer und feſter Stimme. Der Mann mit dem Fagott, der ſeinen Kopf ſchüchtern durch den Schalter ſteckte, lächelte ſanft und erwiderte beſcheiden: „Entſchuldigen Sie gütigſt, Herr Vorſteher, ich bin es. Ich bin eben ge- kommen ...“ „Für Sie iſt nichts da!“ rief Herr Robertin. „Nichts?“ wehklagte der Muſikant. „Wirklich nichts? Dann bitte ich ſehr um Verzeihung. Aber vielleicht haben der gnädige Herr meinen Namen ver- geſſen. Ich heiße Zimmermann ...“ „Das weiß ich“, knurrte der Beamte. „Es iſt nichts da?“ fragte der andere noch- mals. „Nein? Das iſt ja gar nicht möglich!“ „Hier iſt zwar ein Brief aus Schwalbach“, er- klärte Herr Robertin mit eiſiger Ruhe, „aber weil Sie ſchon wiederholt die Annahme von Briefen unter der Adreſſe Zimmermann verweigert haben, liegt für mich keine Veranlaſſung vor, Ihnen dieſen neueſten Brief zu zeigen.“ Der Muſikant ſah den Beamten ſprachlos an, Leichenbläſſe bedeckte ſein abgehärmtes Geſicht. Ein ſchmerzlicher Krampf verzog ſeine Lippen, in ſeinen tiefliegenden Augen ſchimmerte eine Thräne. Robertin muſste all’ ſeine Willenskraft zuſammen- nehmen, um keine Spur von Mitleid mit dieſem Menſchen zu zeigen, der ihm Verdacht einflößte. „Sie wollen mir alſo dieſen Brief nicht zeigen?“ ſtammelte Zimmermann mit flehentlicher Stimme. „Was hätten Sie denn davon, wenn ich’s thäte?“ forſchte der Beamte. „Ach, ich will mir ja nur die Adreſſe anſehen, nur anſehen, liebſter, gnädigſter Herr“, bettelte Zimmermann. „Sie ſind wohl des T ..... s!“ ſchrie der Beamte. „Ich bin doch nicht dazu da, um Ihre tollen Einfälle zu befriedigen. Da müſſen Sie ſich ſchon einen Dümmern ausſuchen!“ Damit warf er krachend das Schalterfenſter herunter. ... Plötzlich blieb er beſtürzt ſtehen. Aus dem Dunkel des Vorzimmers drang ein herzzereißendes Schluchzen an ſein Ohr. Der arme Muſikant, der ſeinen Kopf in beide Hände vergraben hatte, hatte ſich in eine Ecke gedrückt und weinte bittere Thränen. „Was iſt denn mit Ihnen los? Was iſt Ihnen denn geſchehen?“ rief Robertin ganz entſetzt, indem er ſich dem Schluchzenden näherte. Der Weinende trocknete ſeine Thränen und erhob langſam ſein Haupt. Er verſuchte, ein Lächeln auf ſein Geſicht zu zaubern, aber dieſer Verſuch miſslang gänzlich. „Verzeihen Sie mir“, ſtammelte er, „aber das geht über meine Kräfte. Ich konnte es nicht länger aushalten, und es iſt deshalb am beſten, wenn ich Ihnen die volle Wahrheit ſage. Ich bin ein Schwal- bacher Kind. Aber ich muſste mein Heimatdorf ver- laſſen, weil ich dort nicht ſo viel zu verdienen ver- mochte, um meine Familie ernähren zu können. Da bin ich denn nach der Hauptſtadt gewandert. Hier blaſe ich das Fagott ... wiſſen Sie, ... ſo auf den Höfen. Da werden mir immer einige Sous zu- geworfen und die ſchicke ich alle nach Hauſe. Zu eſſen geben mir die Dienſtmädchen auch — die Nacht verbringe ich in einem Pferdeſtalle — ſehen Sie, ich lebe! Aber zu Hauſe — du lieber Himmel, meine Frau hat kein Geld, um das Porto bezahlen zu können. Da haben wir eine Verabredung getroffen. Sie werden gewiſs ſchon bemerkt haben, daſs die Adreſſe der an mich einlaufenden Briefe ſtets aus ſechs Zeilen zuſammengeſetzt iſt, deren jede von einer anderen Hand geſchrieben iſt. Die Adreſſe ſchreibt meine ganze Familie: meine Frau beginnt und das jüngſte Kind, dem noch die Hand geführt werden muſs, kritzelt das letzte Wort. Ich brauche alſo nur die Adreſſe zu leſen, da weiß ich, ob zu Hauſe Ge- ſundheit oder ob Krankheit und Kummer herrſchen. Das Couvert erzählt mir alles. Und nun, da Sie alles erfahren haben, vernichten Sie nicht die Zukunft eines armen Vaters, deſſen Leben, deſſen ganze Welt Frau und Kinder bedeuten. Gnädigſter, beſter, lieber Herr, verzeihen Sie mir!“ Herr Robertin fuhr ſich mit ſeinem Taſchentuche einigemale über das Geſicht, ... es war ihm wahr- ſcheinlich trotz der Kälte warm geworden. Dann gab er dem Fagottmuſikanten den Brief, entnahm ſeiner Börſe drei Francs, warf ſie in ſeine Amtscaſſe und legte dafür Freimarken auf das Schalterbrett. „Zum Frankieren“, ſchrie er den draußen Stehenden an. „Sie dürfen den Staat nicht be- trügen ...“ Damit zog er den Vorhang, nahm eine Priſe und addierte weiter. — — —

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Zitationshilfe: Badener Zeitung. Nr. 13, Baden (Niederösterreich), 14.02.1900, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_badener013_1900/2>, abgerufen am 24.11.2024.