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Allgemeine Zeitung. Nr. 74. Augsburg (Bayern), 15. März 1871.

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Beilage zur Allgemeinen Zeitung.
Nr. 74.
Mittwoch, 15 März 1871.


Verlag der J. G. Cotta' schen Buchhandlung. Für die Redaction verantwortlich: Dr. J. v. Gosen.


Correspondenzen sind an die Redaction, Jnserate dagegen an die Expedition der Allgemeinen Zeitung zu adressiren.
ANZEIGEN werden von der Expedition aufgenommen und der Raum einer dreigespaltenen Colonelzeile berechnet:
im Hauptblatt mit 12 kr., in der Beilage, welcher das Montagsblatt gleich geachtet wird, mit 9 kr.;
ausserdem ist zu Ermöglichung der Seibstausrechnung des Insertionspreises durch den Tit. Auftraggeber und der Anhersendung des Betrags in Papiergeld und Briefmarken eine
wortweise Berechnung eingeführt, bei welcher eine Anzeige ( Aufschrift, Firma etc. durch fette Lettern ausgezeichnet ) um "baar und franco 4 kr. südd. ( auch 7 Nkr. ö. W.,
1 1 / 4 Ngr., 15 Cent. ) für jedes Wort oder Zahl" in der Beilage Aufnahme findet: bezüglich der Collectivanzeige vid. am Schluss der Beilage.



[Beginn Spaltensatz]
Uebersicht.

Faustina. Drama von Ada Christen. -- Moritz v. Schwind. ( III. Schluß. )

Neueste Posten. München: S. M. der König. Ordensverleihungen.
Gerichtsvollzieher sind keine Staatsbeamten. Bayerisches und deutsches
Heimathrecht. Geburtsfest des Königs von Jtalien. Militärisches.
Stuttgart: Dr. Niemeyer +. Wien: Zur Londoner Conferenz.
Bern: Die Dinge in Zürich. Paris: Zur Lage. Thiers'sche Republik.



Telegraphische Berichte.

* Wien, 14 März. Abgeordnetenhaus. Der Ministerpräsident
beantwortet die Jnterpellation betreffs des Verbotes der Siegesfeier.
Dasselbe sei vom Ministerpräsidenten im Einverständniß mit dem Ge-
sammtministerium ausgegangen, und sei begründet in der Verpflichtung
der Sicherheitsbehörden, für Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung
zu sorgen, und in den bestehenden Gesetzen. Die öffentliche Meinung
in der Presse sowie die Bevölkerung habe sich entschieden gegen die Feier
ausgesprochen. Gegendemonstrationen seien angesagt gewesen, und
es liegen genügende Erfahrungen vor wohin derlei nationale Demon-
strationen in unserm von so verschiedenen Volksstämmen bewohnten
Staate führen. Die Regierung erklärte es als ihre Hauptaufgabe
das österreichische Bewußtsein der Bevölkerung zu kräftigen und werde
jedem Versuch entgegentreten die öffentliche Meinung künstlich in ent-
gegengesetzter Richtung zu leiten. Die Deutung welche die Jnter-
pellanten der Depesche vom 26 Dec. 1870 geben, sei unrichtig. Der
Ministerpräsident habe sich mit dem Minister des Aeußern ins Einvernehmen
gesetzt; die erklärte Neutralität habe nur dann inneren Werth, wenn ihr
eine gewisse Thätigkeit über die Kriegsdauer hinaus verliehen werde.
Jn diesem Sinne gebe die Depesche vom 26 Dec. dem Gedanken Ausdruck,
daß das Selbstbestimmungsrecht Deutschlands bezüglich seiner Neugestal-
tung anzuerkennen sei und mit Deutschland die besten Beziehungen anzu-
bahnen und zu befestigen seien. Diese Beziehungen können die Wah-
rung der Pflichten der staatlichen Jndividualität nicht stören, sie for-
dern sogar die zarteste Auffassung des Neutralitätsprincips, die allein die
Einigung an Stelle des politischen Widerspruchs zu setzen vermöge. Die
Regierung habe sich nur von der Vorsorge für den innern Frieden leiten
lassen. Die Regierung sei überzeugt, die Regierung des deutschen Reichs
lege höhern Werth auf die Freundschaft des Staats der sich selbst zu achten
wisse, als auf die Sympathien der Regierung die dieser ersten Aufgabe
gegenüber sich zu schwach erweise.

* Wien, 14 März. Abgeordnetenhaus. Der Ministerpräsident
beantwortet weiters eine Jnterpellation wegen Ausweisung Zimmermanns
dahin daß das Gesetz in keiner Weise verletzt wurde. Die Ausweisung sei
gesetzlich begründet, die Gesetzgebung aller Staaten gestatte die Auswei-
sung Fremder aus öffentlichen Rücksichten. Was das Staatswohl erfordere,
sei überall dem Ermessen der Regierung anheimgestellt. Der Justizminister
beantwortet dieselbe Jnterpellation vom judiciellen Standpunkte.

* Nancy, 14 März. Der Kaiser ist gestern Abends um 7 Uhr in
Begleitung des Prinzen Karl hier angekommen, der Kronprinz wird heut
erwartet. Morgen früh erfolgt die Abreise nach Metz.

Weitere Telegramme siehe fünfte Seite.
Faustina.* )

K. v. T. Wien, im März. Wie ein schmerzliches Trauerlied klingt
die Oedipussage durch das griechische Alterthum. Der leidvolle Mann,
der, trotz aller Vorsicht mit welcher die Eltern den Schicksalsspruch der Göt-
ter abzuwehren trachten, sein furchtbares Verhängniß erfüllt, den Vater
tödtet, der Gatte der eigenen Mutter wird, und zuletzt als blinder Bettler,
auf die Schulter der treuen Tochter Antigone gestützt, durch Griechenland
irrt, bleibt für alle Zeiten ein Musterbild tragischer Größe und Schuld.
Jn wechselnden Gestalten, vielfach verändert und abgeschwächt, kehrt die
Sage in der Literatur immer wieder: an die Stelle der Mutter tritt
manchmal die Schwester, die großartige Härte der ursprünglichen Dich-
tung wird gemildert und abgeschliffen, aber sie erneuert sich noch bei moder-
nen Poeten. Nicht die Jahrtausende, nicht Platens geniale Parodie haben
[Spaltenumbruch] sie zu zerstören vermocht, und aus mehr als einem neueren Drama blicken
uns, wenn man nur schärfer hinsieht, die bekannten Züge des unglück-
lichen Thebanerfürsten entgegen!

Auch das interessante Werk welches wir hier anzeigen wollen, auch
"Faustina" wurzelt, der Verfasserin selbst unbewußt, in der Oedipus-
sage. Der Kern der Handlung ist das Liebesverhältniß zwischen
Mutter und Sohn, aus diesem heraus entwickelt sich die Tragik des
Stücks. Ada Christen hat jedoch den Stoff originell behandelt und
ihm eine neue Seite abgewonnen. Die Rache ist es welche Mutter und
Sohn dem Verderben entgegentreibt. Faustina will sich an dem Vater
rächen der sie einst verführt und betrogen, indem sie seine Kinder zu Grunde
richtet. Das gelingt ihr bei dem Sohne, und sie selbst ereilt die Strafe
durch die Entdeckung daß sie ihr eigenes Kind geopfert. Faustina hat die
Doppelrolle der Jokaste und der Sphinx, die Lösung des Räthsels
tödtet sie.

Erzählen wir in kurzen Worten die Handlung. Die berühmte Sän-
gerin Faustina kommt aus Amerika, wo sie große Triumphe gefeiert,
nach einer deutschen Residenz. Sie singt in den Salons des reichen Kauf-
herrn Warren, und dessen zwanzigjähriger Sohn Heinrich wird von einer
glühenden Leidenschaft für sie erfaßt. Sie spielt mit dem jungen Bur-
schen wie eine große schöne Katze mit einer armen kleinen Maus. Sie
weist ihn nicht lächelnd zurück, sondern sie facht seine Liebe durch wohl-
berechnete Coketterie an. Wir erfahren warum. Sie will Rache an
Warren nehmen, und während fie dem Sohn einredet er habe eine schöne
Stimme und müsse zur Bühne gehen, trachtet ihr Begleiter, Capitän
Norrent, ein ganz erbärmliches Subject, Warrens Tochter Marianne zu
verführen. Der Vater, ein stolzer und harter Mann, behandelt Heinrich
mit der äußersten Strenge. Er will ihn nach England schicken, um ihn
der gefährlichen Nähe der Sängerin zu entziehen, für welche der Alte
selbst ein ihm unerklärliches Gefühl empfindet. Als Heinrich Widerstand
leistet und dennoch zur Bühne geht, nennt ihn der Vater einen Bastard
und stößt ihn aus dem Hause. Am Abend desselben Tags singt Heinrich
den "Trovatore," wird schmählich ausgepfiffen, und verliert darüber den
Verstand. Nun faßt Faustina Reue, sie pflegt den Kranken, und weigert
sich ihn zu verlassen, trotz der Aufforderungen Norrents, der mit seinem
Anschlag auf Marianne verunglückt und durch den Hausfreund Major
Kulmer als gemeiner Spitzbube entlarvt worden ist. An Heinrichs Lager
treffen sich Warren und Faustina. Der Vater klagt sie als Urheberin
alles Unheils an. Sie antwortet, indem sie die Geschichte ihrer Jugend und
Warrens eigene erzählt, wie die arme schöne Lise von ihm betrogen wor-
den, wie die Mutter vor Gram und Schmerz gestorben, und das Mädchen,
nachdem es ein todtes Kind geboren, in die weite Welt gegangen. "Das
Kind lebte," erwiedert ihr Warren, "und um meine Schuld zu sühnen,
nahm ich es auf... ich wollte einen wackern Mann aus ihm machen, wenn
Sie mir nicht ins Handwerk gepfuscht hätten, Madame. Dort liegt Lise's
Sohn." Nun erkennt Faustina daß sie ihres Kindes Elend mit verschuldet
hat, und in der Verzweiflung vergiftet sie sich, ein Opfer der eigenen
Rache, die auf ihr Haupt zurückgefallen.

Aus dieser kleinen Skizze sieht man bereits daß das Drama im gan-
zen gut angelegt und wirkungsvoll durchgeführt ist. Man erkennt zugleich
daß der Verfasserin ursprünglich eine schärfere Fassung des Conflictes vor-
schwebte, daß sie aber davor zurückschreckte dieselbe festzuhalten. Daraus
erklärt es sich warum der Tod Faustina's dem Leser nicht unumgänglich
nothwendig erscheint. Denn eigentlich hat sie an dem Unglück Heinrichs
doch nur eine mittelbare Schuld, und die tiefe Reue die sie im fünften
Act entwickelt läßt ihr Vergehen schon halb gesühnt erscheinen. Das
gilt von dem Stück wie es vorliegt, nicht wie es sich in der Phantasie
der Dichterin gestaltete. Da sah die Handlung viel wilder, aber auch
viel großartiger aus. Da gelang der Racheplan nicht halb, sondern
ganz. Marianne ward von Norrent verführt, und das Liebesverhältniß
zwischen Mutter und Sohn gedieh bis zur innigsten Hingebung. Da war
es denn auch nothwendig und selbstverständlich daß sich Faustina den Tod
gibt nachdem sie die gräßliche Wahrheit entdeckt, und Heinrich brauchte
nicht über die Lappalie wahnsinnig zu werden daß sein Debüt mit einem
Mißerfolg endet, sondern er hatte einen triftigeren Grund. Noch im
ersten Druck war die Leidenschaft Heinrichs weit stärker betont und trug

* ) " Faustina," Drama in fünf Acten von Ada Christen. Wien 1871. Ver
lag von J. Dirnböcks Buchhandlung.
Beilage zur Allgemeinen Zeitung.
Nr. 74.
Mittwoch, 15 März 1871.


Verlag der J. G. Cotta' schen Buchhandlung. Für die Redaction verantwortlich: Dr. J. v. Gosen.


Correspondenzen sind an die Redaction, Jnserate dagegen an die Expedition der Allgemeinen Zeitung zu adressiren.
ANZEIGEN werden von der Expedition aufgenommen und der Raum einer dreigespaltenen Colonelzeile berechnet:
im Hauptblatt mit 12 kr., in der Beilage, welcher das Montagsblatt gleich geachtet wird, mit 9 kr.;
ausserdem ist zu Ermöglichung der Seibstausrechnung des Insertionspreises durch den Tit. Auftraggeber und der Anhersendung des Betrags in Papiergeld und Briefmarken eine
wortweise Berechnung eingeführt, bei welcher eine Anzeige ( Aufschrift, Firma etc. durch fette Lettern ausgezeichnet ) um „baar und franco 4 kr. südd. ( auch 7 Nkr. ö. W.,
1 1 / 4 Ngr., 15 Cent. ) für jedes Wort oder Zahl“ in der Beilage Aufnahme findet: bezüglich der Collectivanzeige vid. am Schluss der Beilage.



[Beginn Spaltensatz]
Uebersicht.

Faustina. Drama von Ada Christen. -- Moritz v. Schwind. ( III. Schluß. )

Neueste Posten. München: S. M. der König. Ordensverleihungen.
Gerichtsvollzieher sind keine Staatsbeamten. Bayerisches und deutsches
Heimathrecht. Geburtsfest des Königs von Jtalien. Militärisches.
Stuttgart: Dr. Niemeyer †. Wien: Zur Londoner Conferenz.
Bern: Die Dinge in Zürich. Paris: Zur Lage. Thiers'sche Republik.



Telegraphische Berichte.

* Wien, 14 März. Abgeordnetenhaus. Der Ministerpräsident
beantwortet die Jnterpellation betreffs des Verbotes der Siegesfeier.
Dasselbe sei vom Ministerpräsidenten im Einverständniß mit dem Ge-
sammtministerium ausgegangen, und sei begründet in der Verpflichtung
der Sicherheitsbehörden, für Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung
zu sorgen, und in den bestehenden Gesetzen. Die öffentliche Meinung
in der Presse sowie die Bevölkerung habe sich entschieden gegen die Feier
ausgesprochen. Gegendemonstrationen seien angesagt gewesen, und
es liegen genügende Erfahrungen vor wohin derlei nationale Demon-
strationen in unserm von so verschiedenen Volksstämmen bewohnten
Staate führen. Die Regierung erklärte es als ihre Hauptaufgabe
das österreichische Bewußtsein der Bevölkerung zu kräftigen und werde
jedem Versuch entgegentreten die öffentliche Meinung künstlich in ent-
gegengesetzter Richtung zu leiten. Die Deutung welche die Jnter-
pellanten der Depesche vom 26 Dec. 1870 geben, sei unrichtig. Der
Ministerpräsident habe sich mit dem Minister des Aeußern ins Einvernehmen
gesetzt; die erklärte Neutralität habe nur dann inneren Werth, wenn ihr
eine gewisse Thätigkeit über die Kriegsdauer hinaus verliehen werde.
Jn diesem Sinne gebe die Depesche vom 26 Dec. dem Gedanken Ausdruck,
daß das Selbstbestimmungsrecht Deutschlands bezüglich seiner Neugestal-
tung anzuerkennen sei und mit Deutschland die besten Beziehungen anzu-
bahnen und zu befestigen seien. Diese Beziehungen können die Wah-
rung der Pflichten der staatlichen Jndividualität nicht stören, sie for-
dern sogar die zarteste Auffassung des Neutralitätsprincips, die allein die
Einigung an Stelle des politischen Widerspruchs zu setzen vermöge. Die
Regierung habe sich nur von der Vorsorge für den innern Frieden leiten
lassen. Die Regierung sei überzeugt, die Regierung des deutschen Reichs
lege höhern Werth auf die Freundschaft des Staats der sich selbst zu achten
wisse, als auf die Sympathien der Regierung die dieser ersten Aufgabe
gegenüber sich zu schwach erweise.

* Wien, 14 März. Abgeordnetenhaus. Der Ministerpräsident
beantwortet weiters eine Jnterpellation wegen Ausweisung Zimmermanns
dahin daß das Gesetz in keiner Weise verletzt wurde. Die Ausweisung sei
gesetzlich begründet, die Gesetzgebung aller Staaten gestatte die Auswei-
sung Fremder aus öffentlichen Rücksichten. Was das Staatswohl erfordere,
sei überall dem Ermessen der Regierung anheimgestellt. Der Justizminister
beantwortet dieselbe Jnterpellation vom judiciellen Standpunkte.

* Nancy, 14 März. Der Kaiser ist gestern Abends um 7 Uhr in
Begleitung des Prinzen Karl hier angekommen, der Kronprinz wird heut
erwartet. Morgen früh erfolgt die Abreise nach Metz.

Weitere Telegramme siehe fünfte Seite.
Faustina.* )

K. v. T. Wien, im März. Wie ein schmerzliches Trauerlied klingt
die Oedipussage durch das griechische Alterthum. Der leidvolle Mann,
der, trotz aller Vorsicht mit welcher die Eltern den Schicksalsspruch der Göt-
ter abzuwehren trachten, sein furchtbares Verhängniß erfüllt, den Vater
tödtet, der Gatte der eigenen Mutter wird, und zuletzt als blinder Bettler,
auf die Schulter der treuen Tochter Antigone gestützt, durch Griechenland
irrt, bleibt für alle Zeiten ein Musterbild tragischer Größe und Schuld.
Jn wechselnden Gestalten, vielfach verändert und abgeschwächt, kehrt die
Sage in der Literatur immer wieder: an die Stelle der Mutter tritt
manchmal die Schwester, die großartige Härte der ursprünglichen Dich-
tung wird gemildert und abgeschliffen, aber sie erneuert sich noch bei moder-
nen Poeten. Nicht die Jahrtausende, nicht Platens geniale Parodie haben
[Spaltenumbruch] sie zu zerstören vermocht, und aus mehr als einem neueren Drama blicken
uns, wenn man nur schärfer hinsieht, die bekannten Züge des unglück-
lichen Thebanerfürsten entgegen!

Auch das interessante Werk welches wir hier anzeigen wollen, auch
„Faustina“ wurzelt, der Verfasserin selbst unbewußt, in der Oedipus-
sage. Der Kern der Handlung ist das Liebesverhältniß zwischen
Mutter und Sohn, aus diesem heraus entwickelt sich die Tragik des
Stücks. Ada Christen hat jedoch den Stoff originell behandelt und
ihm eine neue Seite abgewonnen. Die Rache ist es welche Mutter und
Sohn dem Verderben entgegentreibt. Faustina will sich an dem Vater
rächen der sie einst verführt und betrogen, indem sie seine Kinder zu Grunde
richtet. Das gelingt ihr bei dem Sohne, und sie selbst ereilt die Strafe
durch die Entdeckung daß sie ihr eigenes Kind geopfert. Faustina hat die
Doppelrolle der Jokaste und der Sphinx, die Lösung des Räthsels
tödtet sie.

Erzählen wir in kurzen Worten die Handlung. Die berühmte Sän-
gerin Faustina kommt aus Amerika, wo sie große Triumphe gefeiert,
nach einer deutschen Residenz. Sie singt in den Salons des reichen Kauf-
herrn Warren, und dessen zwanzigjähriger Sohn Heinrich wird von einer
glühenden Leidenschaft für sie erfaßt. Sie spielt mit dem jungen Bur-
schen wie eine große schöne Katze mit einer armen kleinen Maus. Sie
weist ihn nicht lächelnd zurück, sondern sie facht seine Liebe durch wohl-
berechnete Coketterie an. Wir erfahren warum. Sie will Rache an
Warren nehmen, und während fie dem Sohn einredet er habe eine schöne
Stimme und müsse zur Bühne gehen, trachtet ihr Begleiter, Capitän
Norrent, ein ganz erbärmliches Subject, Warrens Tochter Marianne zu
verführen. Der Vater, ein stolzer und harter Mann, behandelt Heinrich
mit der äußersten Strenge. Er will ihn nach England schicken, um ihn
der gefährlichen Nähe der Sängerin zu entziehen, für welche der Alte
selbst ein ihm unerklärliches Gefühl empfindet. Als Heinrich Widerstand
leistet und dennoch zur Bühne geht, nennt ihn der Vater einen Bastard
und stößt ihn aus dem Hause. Am Abend desselben Tags singt Heinrich
den „Trovatore,“ wird schmählich ausgepfiffen, und verliert darüber den
Verstand. Nun faßt Faustina Reue, sie pflegt den Kranken, und weigert
sich ihn zu verlassen, trotz der Aufforderungen Norrents, der mit seinem
Anschlag auf Marianne verunglückt und durch den Hausfreund Major
Kulmer als gemeiner Spitzbube entlarvt worden ist. An Heinrichs Lager
treffen sich Warren und Faustina. Der Vater klagt sie als Urheberin
alles Unheils an. Sie antwortet, indem sie die Geschichte ihrer Jugend und
Warrens eigene erzählt, wie die arme schöne Lise von ihm betrogen wor-
den, wie die Mutter vor Gram und Schmerz gestorben, und das Mädchen,
nachdem es ein todtes Kind geboren, in die weite Welt gegangen. „Das
Kind lebte,“ erwiedert ihr Warren, „und um meine Schuld zu sühnen,
nahm ich es auf... ich wollte einen wackern Mann aus ihm machen, wenn
Sie mir nicht ins Handwerk gepfuscht hätten, Madame. Dort liegt Lise's
Sohn.“ Nun erkennt Faustina daß sie ihres Kindes Elend mit verschuldet
hat, und in der Verzweiflung vergiftet sie sich, ein Opfer der eigenen
Rache, die auf ihr Haupt zurückgefallen.

Aus dieser kleinen Skizze sieht man bereits daß das Drama im gan-
zen gut angelegt und wirkungsvoll durchgeführt ist. Man erkennt zugleich
daß der Verfasserin ursprünglich eine schärfere Fassung des Conflictes vor-
schwebte, daß sie aber davor zurückschreckte dieselbe festzuhalten. Daraus
erklärt es sich warum der Tod Faustina's dem Leser nicht unumgänglich
nothwendig erscheint. Denn eigentlich hat sie an dem Unglück Heinrichs
doch nur eine mittelbare Schuld, und die tiefe Reue die sie im fünften
Act entwickelt läßt ihr Vergehen schon halb gesühnt erscheinen. Das
gilt von dem Stück wie es vorliegt, nicht wie es sich in der Phantasie
der Dichterin gestaltete. Da sah die Handlung viel wilder, aber auch
viel großartiger aus. Da gelang der Racheplan nicht halb, sondern
ganz. Marianne ward von Norrent verführt, und das Liebesverhältniß
zwischen Mutter und Sohn gedieh bis zur innigsten Hingebung. Da war
es denn auch nothwendig und selbstverständlich daß sich Faustina den Tod
gibt nachdem sie die gräßliche Wahrheit entdeckt, und Heinrich brauchte
nicht über die Lappalie wahnsinnig zu werden daß sein Debüt mit einem
Mißerfolg endet, sondern er hatte einen triftigeren Grund. Noch im
ersten Druck war die Leidenschaft Heinrichs weit stärker betont und trug

* ) „ Faustina,“ Drama in fünf Acten von Ada Christen. Wien 1871. Ver
lag von J. Dirnböcks Buchhandlung.
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[0009] Beilage zur Allgemeinen Zeitung. Nr. 74. Mittwoch, 15 März 1871. Verlag der J. G. Cotta' schen Buchhandlung. Für die Redaction verantwortlich: Dr. J. v. Gosen. Correspondenzen sind an die Redaction, Jnserate dagegen an die Expedition der Allgemeinen Zeitung zu adressiren. ANZEIGEN werden von der Expedition aufgenommen und der Raum einer dreigespaltenen Colonelzeile berechnet: im Hauptblatt mit 12 kr., in der Beilage, welcher das Montagsblatt gleich geachtet wird, mit 9 kr.; ausserdem ist zu Ermöglichung der Seibstausrechnung des Insertionspreises durch den Tit. Auftraggeber und der Anhersendung des Betrags in Papiergeld und Briefmarken eine wortweise Berechnung eingeführt, bei welcher eine Anzeige ( Aufschrift, Firma etc. durch fette Lettern ausgezeichnet ) um „baar und franco 4 kr. südd. ( auch 7 Nkr. ö. W., 1 1 / 4 Ngr., 15 Cent. ) für jedes Wort oder Zahl“ in der Beilage Aufnahme findet: bezüglich der Collectivanzeige vid. am Schluss der Beilage. Uebersicht. Faustina. Drama von Ada Christen. -- Moritz v. Schwind. ( III. Schluß. ) Neueste Posten. München: S. M. der König. Ordensverleihungen. Gerichtsvollzieher sind keine Staatsbeamten. Bayerisches und deutsches Heimathrecht. Geburtsfest des Königs von Jtalien. Militärisches. Stuttgart: Dr. Niemeyer †. Wien: Zur Londoner Conferenz. Bern: Die Dinge in Zürich. Paris: Zur Lage. Thiers'sche Republik. Telegraphische Berichte. * Wien, 14 März. Abgeordnetenhaus. Der Ministerpräsident beantwortet die Jnterpellation betreffs des Verbotes der Siegesfeier. Dasselbe sei vom Ministerpräsidenten im Einverständniß mit dem Ge- sammtministerium ausgegangen, und sei begründet in der Verpflichtung der Sicherheitsbehörden, für Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung zu sorgen, und in den bestehenden Gesetzen. Die öffentliche Meinung in der Presse sowie die Bevölkerung habe sich entschieden gegen die Feier ausgesprochen. Gegendemonstrationen seien angesagt gewesen, und es liegen genügende Erfahrungen vor wohin derlei nationale Demon- strationen in unserm von so verschiedenen Volksstämmen bewohnten Staate führen. Die Regierung erklärte es als ihre Hauptaufgabe das österreichische Bewußtsein der Bevölkerung zu kräftigen und werde jedem Versuch entgegentreten die öffentliche Meinung künstlich in ent- gegengesetzter Richtung zu leiten. Die Deutung welche die Jnter- pellanten der Depesche vom 26 Dec. 1870 geben, sei unrichtig. Der Ministerpräsident habe sich mit dem Minister des Aeußern ins Einvernehmen gesetzt; die erklärte Neutralität habe nur dann inneren Werth, wenn ihr eine gewisse Thätigkeit über die Kriegsdauer hinaus verliehen werde. Jn diesem Sinne gebe die Depesche vom 26 Dec. dem Gedanken Ausdruck, daß das Selbstbestimmungsrecht Deutschlands bezüglich seiner Neugestal- tung anzuerkennen sei und mit Deutschland die besten Beziehungen anzu- bahnen und zu befestigen seien. Diese Beziehungen können die Wah- rung der Pflichten der staatlichen Jndividualität nicht stören, sie for- dern sogar die zarteste Auffassung des Neutralitätsprincips, die allein die Einigung an Stelle des politischen Widerspruchs zu setzen vermöge. Die Regierung habe sich nur von der Vorsorge für den innern Frieden leiten lassen. Die Regierung sei überzeugt, die Regierung des deutschen Reichs lege höhern Werth auf die Freundschaft des Staats der sich selbst zu achten wisse, als auf die Sympathien der Regierung die dieser ersten Aufgabe gegenüber sich zu schwach erweise. * Wien, 14 März. Abgeordnetenhaus. Der Ministerpräsident beantwortet weiters eine Jnterpellation wegen Ausweisung Zimmermanns dahin daß das Gesetz in keiner Weise verletzt wurde. Die Ausweisung sei gesetzlich begründet, die Gesetzgebung aller Staaten gestatte die Auswei- sung Fremder aus öffentlichen Rücksichten. Was das Staatswohl erfordere, sei überall dem Ermessen der Regierung anheimgestellt. Der Justizminister beantwortet dieselbe Jnterpellation vom judiciellen Standpunkte. * Nancy, 14 März. Der Kaiser ist gestern Abends um 7 Uhr in Begleitung des Prinzen Karl hier angekommen, der Kronprinz wird heut erwartet. Morgen früh erfolgt die Abreise nach Metz. Weitere Telegramme siehe fünfte Seite. Faustina. * ) K. v. T. Wien, im März. Wie ein schmerzliches Trauerlied klingt die Oedipussage durch das griechische Alterthum. Der leidvolle Mann, der, trotz aller Vorsicht mit welcher die Eltern den Schicksalsspruch der Göt- ter abzuwehren trachten, sein furchtbares Verhängniß erfüllt, den Vater tödtet, der Gatte der eigenen Mutter wird, und zuletzt als blinder Bettler, auf die Schulter der treuen Tochter Antigone gestützt, durch Griechenland irrt, bleibt für alle Zeiten ein Musterbild tragischer Größe und Schuld. Jn wechselnden Gestalten, vielfach verändert und abgeschwächt, kehrt die Sage in der Literatur immer wieder: an die Stelle der Mutter tritt manchmal die Schwester, die großartige Härte der ursprünglichen Dich- tung wird gemildert und abgeschliffen, aber sie erneuert sich noch bei moder- nen Poeten. Nicht die Jahrtausende, nicht Platens geniale Parodie haben sie zu zerstören vermocht, und aus mehr als einem neueren Drama blicken uns, wenn man nur schärfer hinsieht, die bekannten Züge des unglück- lichen Thebanerfürsten entgegen! Auch das interessante Werk welches wir hier anzeigen wollen, auch „Faustina“ wurzelt, der Verfasserin selbst unbewußt, in der Oedipus- sage. Der Kern der Handlung ist das Liebesverhältniß zwischen Mutter und Sohn, aus diesem heraus entwickelt sich die Tragik des Stücks. Ada Christen hat jedoch den Stoff originell behandelt und ihm eine neue Seite abgewonnen. Die Rache ist es welche Mutter und Sohn dem Verderben entgegentreibt. Faustina will sich an dem Vater rächen der sie einst verführt und betrogen, indem sie seine Kinder zu Grunde richtet. Das gelingt ihr bei dem Sohne, und sie selbst ereilt die Strafe durch die Entdeckung daß sie ihr eigenes Kind geopfert. Faustina hat die Doppelrolle der Jokaste und der Sphinx, die Lösung des Räthsels tödtet sie. Erzählen wir in kurzen Worten die Handlung. Die berühmte Sän- gerin Faustina kommt aus Amerika, wo sie große Triumphe gefeiert, nach einer deutschen Residenz. Sie singt in den Salons des reichen Kauf- herrn Warren, und dessen zwanzigjähriger Sohn Heinrich wird von einer glühenden Leidenschaft für sie erfaßt. Sie spielt mit dem jungen Bur- schen wie eine große schöne Katze mit einer armen kleinen Maus. Sie weist ihn nicht lächelnd zurück, sondern sie facht seine Liebe durch wohl- berechnete Coketterie an. Wir erfahren warum. Sie will Rache an Warren nehmen, und während fie dem Sohn einredet er habe eine schöne Stimme und müsse zur Bühne gehen, trachtet ihr Begleiter, Capitän Norrent, ein ganz erbärmliches Subject, Warrens Tochter Marianne zu verführen. Der Vater, ein stolzer und harter Mann, behandelt Heinrich mit der äußersten Strenge. Er will ihn nach England schicken, um ihn der gefährlichen Nähe der Sängerin zu entziehen, für welche der Alte selbst ein ihm unerklärliches Gefühl empfindet. Als Heinrich Widerstand leistet und dennoch zur Bühne geht, nennt ihn der Vater einen Bastard und stößt ihn aus dem Hause. Am Abend desselben Tags singt Heinrich den „Trovatore,“ wird schmählich ausgepfiffen, und verliert darüber den Verstand. Nun faßt Faustina Reue, sie pflegt den Kranken, und weigert sich ihn zu verlassen, trotz der Aufforderungen Norrents, der mit seinem Anschlag auf Marianne verunglückt und durch den Hausfreund Major Kulmer als gemeiner Spitzbube entlarvt worden ist. An Heinrichs Lager treffen sich Warren und Faustina. Der Vater klagt sie als Urheberin alles Unheils an. Sie antwortet, indem sie die Geschichte ihrer Jugend und Warrens eigene erzählt, wie die arme schöne Lise von ihm betrogen wor- den, wie die Mutter vor Gram und Schmerz gestorben, und das Mädchen, nachdem es ein todtes Kind geboren, in die weite Welt gegangen. „Das Kind lebte,“ erwiedert ihr Warren, „und um meine Schuld zu sühnen, nahm ich es auf... ich wollte einen wackern Mann aus ihm machen, wenn Sie mir nicht ins Handwerk gepfuscht hätten, Madame. Dort liegt Lise's Sohn.“ Nun erkennt Faustina daß sie ihres Kindes Elend mit verschuldet hat, und in der Verzweiflung vergiftet sie sich, ein Opfer der eigenen Rache, die auf ihr Haupt zurückgefallen. Aus dieser kleinen Skizze sieht man bereits daß das Drama im gan- zen gut angelegt und wirkungsvoll durchgeführt ist. Man erkennt zugleich daß der Verfasserin ursprünglich eine schärfere Fassung des Conflictes vor- schwebte, daß sie aber davor zurückschreckte dieselbe festzuhalten. Daraus erklärt es sich warum der Tod Faustina's dem Leser nicht unumgänglich nothwendig erscheint. Denn eigentlich hat sie an dem Unglück Heinrichs doch nur eine mittelbare Schuld, und die tiefe Reue die sie im fünften Act entwickelt läßt ihr Vergehen schon halb gesühnt erscheinen. Das gilt von dem Stück wie es vorliegt, nicht wie es sich in der Phantasie der Dichterin gestaltete. Da sah die Handlung viel wilder, aber auch viel großartiger aus. Da gelang der Racheplan nicht halb, sondern ganz. Marianne ward von Norrent verführt, und das Liebesverhältniß zwischen Mutter und Sohn gedieh bis zur innigsten Hingebung. Da war es denn auch nothwendig und selbstverständlich daß sich Faustina den Tod gibt nachdem sie die gräßliche Wahrheit entdeckt, und Heinrich brauchte nicht über die Lappalie wahnsinnig zu werden daß sein Debüt mit einem Mißerfolg endet, sondern er hatte einen triftigeren Grund. Noch im ersten Druck war die Leidenschaft Heinrichs weit stärker betont und trug * ) „ Faustina,“ Drama in fünf Acten von Ada Christen. Wien 1871. Ver lag von J. Dirnböcks Buchhandlung.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 74. Augsburg (Bayern), 15. März 1871, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_augsburg74_1871/9>, abgerufen am 28.11.2024.