Allgemeine Zeitung. Nr. 72. Augsburg (Bayern), 13. März 1871.[Spaltenumbruch]
höhern Bildung, trotz Handel und Jndustrie, welche, seit 20 Jahren beson- Da nun Frankreich durch eine höhere Fügung von diesem seinem Werk Jm Anfang seiner Arbeit gesteht Hr. v. Löher gerne zu daß "das Her- An den beiden großen Kämpfen der neuern Zeit, an der Reformation Vieles haben deutsche Beobachter an uns schon herausgesehen; eines Diese gebührende und berechtigte Schonung scheint uns nun Hr. Ferner meint Hr. v. Löher: "Eine Herbeiziehung vieler deutschen Daß die obersten Stellen unseres ganzen staatlichen Organismus und [Spaltenumbruch]
höhern Bildung, trotz Handel und Jndustrie, welche, seit 20 Jahren beson- Da nun Frankreich durch eine höhere Fügung von diesem seinem Werk Jm Anfang seiner Arbeit gesteht Hr. v. Löher gerne zu daß „das Her- An den beiden großen Kämpfen der neuern Zeit, an der Reformation Vieles haben deutsche Beobachter an uns schon herausgesehen; eines Diese gebührende und berechtigte Schonung scheint uns nun Hr. Ferner meint Hr. v. Löher: „Eine Herbeiziehung vieler deutschen Daß die obersten Stellen unseres ganzen staatlichen Organismus und <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews"> <div type="jArticle"> <p><pb facs="#f0002" n="1218"/><cb/> höhern Bildung, trotz Handel und Jndustrie, welche, seit 20 Jahren beson-<lb/> ders, eine immer stetigere und tiefergehende Verbindung mit dem inneren<lb/> Frankreich bewerkstelligten -- trotz alldem sind die Elsäßer dennoch Elsäßer<lb/> geblieben, und bei Unzähligen unter ihnen ist noch ein, wenn auch schlum-<lb/> merndes oder etwas verschüttetes, elsäßisches Nationalbewußtsein vorhan-<lb/> den. Jedoch das immer zunehmende Aufdrängen des französischen Ele-<lb/> ments, die Beamten und die Jndustrie einerseits, die Volksschule andrer-<lb/> seits, drohten dasselbe mehr und mehr zu verwischen, und vielleicht wäre<lb/> es ihnen gelungen es innerhalb 50 oder 60 Jahren vollständig zu<lb/> vernichten.</p><lb/> <p>Da nun Frankreich durch eine höhere Fügung von diesem seinem Werk<lb/> der Umbildung des Elsaßes so unversehens vertrieben worden ist, sollte<lb/> man von deutscher Seite eben dasselbe Verfahren aufnehmen wollen um<lb/> ebenso schnell, oder schneller noch als die französische Administration ge-<lb/> than, uns nun ein deutsches Gepräge zu geben? Eine „moralische Rück-<lb/> eroberung “ nach französischem Schnitt und Muster hatten wir uns bisher<lb/> von Seiten Deutschlands nicht als möglich gedacht, wollen auch heute noch<lb/> nicht an eine derartige glauben, trotz mancher höchst romanisch ( aber gar<lb/> nicht romantisch ) aussehenden Reorganisationsplane, die bereits in der<lb/> deutschen Presse auftauchen. Da einige dieser Vorschläge von solchen aus-<lb/> gehen die sich, allem Anschein nach, das Studium unsers Volks zu ihrer<lb/> Aufgabe gesetzt haben, und als Resultat ihrer Arbeit nun diese Organisa-<lb/> tionsplane vorlegen, so achten wir es für unsere Pflicht im Jnteresse des<lb/> Elsaßes ebenso wie Deutschlands einen dieser Vorschläge, der wohl mit zu<lb/> den bedeutendsten gehört, etwas näher zu beleuchten. Die Leser der „Allg.<lb/> Ztg.“ haben ihn erst dieser Tage unter Augen gehabt: wir meinen näm-<lb/> lich die eben erschienenen Aufsätze „Die Uebergangszeit für Elsaß=Loth-<lb/> ringen. Von Franz v. Löher,“ dessen Urtheil uns in mancher Beziehung<lb/> recht erfreut hat, mit dessen Schlußfolgerungen wir aber nicht überein-<lb/> stimmen können.</p><lb/> <p>Jm Anfang seiner Arbeit gesteht Hr. v. Löher gerne zu daß „das Her-<lb/> ausreißen aus dem französischen Staatskörper schmerzhaft“ für uns El-<lb/> säßer sein müsse, da wir ja nicht erst seit Jahrzehnten, sondern seit Jahr-<lb/> hunderten an denselben herangewachsen sind. Welche Mittel empfiehlt er<lb/> nun, nicht bloß um dieses schmerzhafte Herausreißen zu bewerkstelligen,<lb/> sondern auch um uns -- worauf es natürlich eine verständige Regierung<lb/> vor allem absehen muß -- für Deutschland wieder zu gewinnen? Jm<lb/> großen und ganzen sind es eben die französischen ( wo nicht schlimmeren )<lb/> Maßregeln welche der geehrte Verfasser anräth: Verdrängung des localen<lb/> und nationalen Elementes und Geistes, um dieselben durch deutsche zu er-<lb/> setzen. Er bedenkt nicht hinreichend daß in der Tiefe dieses Volkes, das<lb/> er doch zu studieren sich bemüht hat, ein nationaler Charakter und Volks-<lb/> geist vorliegt, der nur geweckt, angefacht und neu belebt werden will um<lb/> wieder zu erstarken, der aber nicht durch Aufdrängung eines ihm noch zu<lb/> remden Geistes erdrückt werden darf. Oder meint man vielleicht es gebe<lb/> keinen elsäßischen Geist, keinen elsäßischen Volkscharakter mehr? Wären<lb/> wir solche Bastarde geworden die bereits alles Eigenthümliche, alles Selb-<lb/> ständige verloren haben? Daß dem nicht so sei, weiß Hr. v. Löher selbst<lb/> am besten, denn er sagt ganz richtig: „Die Deutschen im Elsaß haben<lb/> einst hochherzig im Reformationsringen, tapfer für die französische Revolu-<lb/> tion mitgestritten; sie werden auch tüchtige und gescheidte Kämpfer für die<lb/> neuen Aufgaben der deutschen Nation ins Feld stellen.“</p><lb/> <p>An den beiden großen Kämpfen der neuern Zeit, an der Reformation<lb/> und an der Revolution von 1789, haben die Elsäßer einen redlichen, ehren-<lb/> haften Antheil genommen, und das ist es gerade was ihnen ihr protestanti-<lb/> sches, ihr demokratisches Gepräge gegeben hat. Frankreich hat dieß wohl<lb/> gewußt, zu Zeiten auch hochgeschätzt, und Deutschland sollte es nie verges-<lb/> sen. Man sollte sich jenseit des Rheins wohl überzeugen daß wir unsern<lb/> Charakter, unsern eigenthümlichen Geist haben und behalten werden; daß<lb/> von jenen edlen Errungenschaften der Revolution von 1789 sehr vieles in<lb/> unser Denken und Leben übergegangen ist was uns nimmermehr kann<lb/> entrissen werden. Es will uns sogar bedünken Deutschland sollte sich<lb/> hierüber freuen, diese unsere Eigenthümlichkeit schützen und pflegen und<lb/> vielleicht sogar etwas daran lernen. Weiß doch jedermann daß ge-<lb/> rade dieses Bestehenlassen der Eigenthümlichkeiten, dieser unverwüst-<lb/> liche Particularismus, zum großen Theil bisher Deutschlands Kraft<lb/> und Vorzug gewesen ist; wir unsrerseits gestehen auch gerne daß die zu<lb/> hoffende Wahrung dieser unserer Eigenthümlichkeit uns die Rückkehr zur<lb/> ursprünglichen Heimath um so leichter und um so wünschenswerther ge-<lb/> macht hat. Konnte bisher ein westfälischer Preuße sagen: „Jch bin erst<lb/> Westfale, dann Preuße;“ warum sollten auch wir fortan nicht mit Recht<lb/> sagen können: „Jch bin erst Elsäßer, dann Deutscher?“</p><lb/> <p>Vieles haben deutsche Beobachter an uns schon herausgesehen; eines<lb/> aber scheinen sie immer zu übersehen oder doch gleich wieder zu vergessen<lb/> daß nämlich ein Volk welch es seit zweihundert oder doch seit hundert Jah<lb/><cb/> ren mit französischem Geist getränkt worden, nicht so leichtweg kann ger-<lb/> manisirt werden; daß man es nicht mit deutschem Wesen überschütten, noch<lb/> es, wie Hr. v. Löher anräth, gleichsam kopfüber in ein reinigendes und<lb/> stärkendes Bad stürzen darf. Daß im deutschen Geist und Leben für uns<lb/> viel reinigendes und stärkendes liege, ist unsere tiefste Ueberzeugung; aber<lb/> mit Sturzbad=Experimenten möge man uns gütigst verschonen. Wir waren<lb/> eben daran in einem solchen Bad, dem französischen, zu ertrinken -- sollen<lb/> wir nun zur Erholung im deutschen ersäuft werden? Kann man etwa<lb/> einen Volkscharakter umschaffen wie man Eisen umgießt? Nein, Elsaß<lb/> ist, wie gesagt, ein ursprünglich protestantisches und seinem Charakter nach<lb/> demokratisches Volk. Bei dieser seiner Eigenthümlichkeit möge man das-<lb/> selbe belassen, ihm nach Kräften wieder dazu verhelfen, und man wird da-<lb/> mit uns und Deutschland größere Dienste leisten als wenn man uns nun<lb/> o hoch den Glanz und die Macht des wiedererstandenen deutschen Reichs<lb/> anpreist. Von den Elsäßern darf man, wie uns scheint, nicht verlangen<lb/> daß sie gerade jetzt für ein Kaiserreich sich sehr begeistern. Wohl wissen<lb/> wir daß das deutsche Reich eine ganz andere, solidere Grundlage hat als<lb/> die Reiche die wir schon in diesem Jahrhundert haben zusammenbrechen<lb/> sehen, und wir wünschen demselben von Herzen viel Heil und Gedeihen<lb/> Deutschland wird aber wohl begreifen daß die Masse der Elsäßer zu dieser<lb/> Stunde noch nicht den dermaligen deutschen Reichsenthusiasmus zu thei-<lb/> len vermöge. Wissen wir doch daß auch das deutsche Reich zukünftig zwei<lb/> mächtige Feinde zu bekämpfen haben wird, nämlich die Socialrevolution<lb/> einerseits und andrerseits den Ultramontanismus, welche beide für den<lb/> Augenblick durch den Kriegslärm etwas niedergehalten sind, aber ihre Ar-<lb/> beit in der Stille fortsetzen, und bei gelegener Zeit ihr drohendes Haupt er-<lb/> heben werden. Daß also das deutsche Reich als solches die Elsäßer nicht<lb/> im voraus bezaubere oder blende, möge man ihnen für den Augenblick zu<lb/> gut halten. Will aber Deutschland die Elsäßer zu treuen Gliedern des<lb/> Reichs heranbilden, so möge es jetzt besonders sich schonend beweisen in<lb/> Betreff unserer Rechte, unserer Jnteressen, alles dessen überhaupt was<lb/> man unsere Eigenthümlichkeiten nennt.</p><lb/> <p>Diese gebührende und berechtigte Schonung scheint uns nun Hr.<lb/> v. Löher nicht zu beobachten wenn er z. B. folgendes schreibt: „Nicht bloß<lb/> für Normalschulen in welchen Schullehrer erst heranzubilden sondern<lb/> auch für die Besetzung zahlloser Volksschulen in den Städten und auf dem<lb/> Lande muß man tüchtige Lehrer aus Deutschland heranziehen, und dabei<lb/> keine Summen sparen. Ohne alle Schonung sind die Schulmeister abzusetzen<lb/> welche sich von der frühern Regierung brauchen ließen die Kinder um ihre<lb/> Muttersprache zu bringen.“ Hierauf antworten wir einfach: daß in solchem<lb/> Fall nicht bloß <hi rendition="#g">zahllose</hi> Lehrer, sondern <hi rendition="#g">alle ohne Ausnahme,</hi> von<lb/> Mülhausen bis Weißenburg, abzusetzen wären; ihnen allen wäre ihre<lb/> Entlassung zu geben, aus dem einfachen Grunde weil sie früher ihrer Re-<lb/> gierung unterthan und, sich unter die gegebenen Verhältnisse fügend, die-<lb/> jenige Sprache lehrten welche sie von Gott und Rechtswegen -- mit saurer<lb/> Arbeit und oft mit schwerem Herzen -- zu lehren verpflichtet waren. Und<lb/> das wäre nun ihr Lohn! Der geneigte Leser möge urtheilen.</p><lb/> <p>Ferner meint Hr. v. Löher: „Eine Herbeiziehung vieler deutschen<lb/> Professoren für Universität, Gymnasien, polytechnische und andere höhere<lb/> und mittlere Lehranstalten wird sich nicht vermeiden lassen.... Auch<lb/> mit der Anstellung deutscher Beamten sollte in keinem Zweige der Verwal-<lb/> tung gespart werden. Je mehr da sind, desto stärker ist ihr Zusammen-<lb/> halt.... Die Niederlassung von industriellen Guts = und Hofbesitzern,<lb/> großen und kleinen Gewerbsleuten, aller die aus Deutschland kommen<lb/> werden, finde möglichste Begünstigung.... Wissenschaftlich gebildete<lb/> Aerzte und Apotheker werden vieler Orten eine Wohlthat sein....“ Ent-<lb/> werfen wir uns demnach ein Bild des zukünftigen Standes der Dinge im<lb/> Elsaß. Das Beamtenpersonal wäre deutsch; die Professoren in hohen<lb/> und mittlern Schulen der Mehrzahl nach deutsch; die Schullehrer zahllos<lb/> -- wo nicht sämmtliche -- deutsch; Aerzte und Apotheker, Jndustrielle<lb/> und Gutsbesitzer möglichst viele eingewandert. Lasse man nun noch ge-<lb/> schehen was neulich von anderer Seite vorgeschlagen wurde, daß auch die<lb/> Notare, Anwälte u. s. w., deren Stellen bisher käuflich gewesen, zur Aus-<lb/> wanderung gedrängt würden, so wäre gewiß die Umgestaltung der Dinge<lb/> eine vollständige. Von eigentlichen Elsäßern aber blieben im Lande nur<lb/> noch die Bauern, und von einer „Uebergangszeit für Elsaß=Lothringen“<lb/> brauchte überhaupt nicht mehr geredet zu werden. Wir bitten haher in-<lb/> ständig: man gebe uns des Guten nicht zu viel. Allzu viel ist ungesund,<lb/> und könnte möglicherweise recht schlimme Folgen haben.</p><lb/> <p>Daß die obersten Stellen unseres ganzen staatlichen Organismus und<lb/> insbesondere der weit ausgedehnte Beamtendienst fast ausschließlich von<lb/> deutschen Kräften besetzt werden müssen, versteht sich ja von selbst; daß auch<lb/> im höhern, mittlern und niedern Unterricht deutsche Lehrer vorzügliche<lb/> Dienste zu leisten berufen sind, ist wiederum offenbar; auch in Handel<lb/> und Jndustrie werden die nicht ausbleibenden Lücken von Deutschland her<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1218/0002]
höhern Bildung, trotz Handel und Jndustrie, welche, seit 20 Jahren beson-
ders, eine immer stetigere und tiefergehende Verbindung mit dem inneren
Frankreich bewerkstelligten -- trotz alldem sind die Elsäßer dennoch Elsäßer
geblieben, und bei Unzähligen unter ihnen ist noch ein, wenn auch schlum-
merndes oder etwas verschüttetes, elsäßisches Nationalbewußtsein vorhan-
den. Jedoch das immer zunehmende Aufdrängen des französischen Ele-
ments, die Beamten und die Jndustrie einerseits, die Volksschule andrer-
seits, drohten dasselbe mehr und mehr zu verwischen, und vielleicht wäre
es ihnen gelungen es innerhalb 50 oder 60 Jahren vollständig zu
vernichten.
Da nun Frankreich durch eine höhere Fügung von diesem seinem Werk
der Umbildung des Elsaßes so unversehens vertrieben worden ist, sollte
man von deutscher Seite eben dasselbe Verfahren aufnehmen wollen um
ebenso schnell, oder schneller noch als die französische Administration ge-
than, uns nun ein deutsches Gepräge zu geben? Eine „moralische Rück-
eroberung “ nach französischem Schnitt und Muster hatten wir uns bisher
von Seiten Deutschlands nicht als möglich gedacht, wollen auch heute noch
nicht an eine derartige glauben, trotz mancher höchst romanisch ( aber gar
nicht romantisch ) aussehenden Reorganisationsplane, die bereits in der
deutschen Presse auftauchen. Da einige dieser Vorschläge von solchen aus-
gehen die sich, allem Anschein nach, das Studium unsers Volks zu ihrer
Aufgabe gesetzt haben, und als Resultat ihrer Arbeit nun diese Organisa-
tionsplane vorlegen, so achten wir es für unsere Pflicht im Jnteresse des
Elsaßes ebenso wie Deutschlands einen dieser Vorschläge, der wohl mit zu
den bedeutendsten gehört, etwas näher zu beleuchten. Die Leser der „Allg.
Ztg.“ haben ihn erst dieser Tage unter Augen gehabt: wir meinen näm-
lich die eben erschienenen Aufsätze „Die Uebergangszeit für Elsaß=Loth-
ringen. Von Franz v. Löher,“ dessen Urtheil uns in mancher Beziehung
recht erfreut hat, mit dessen Schlußfolgerungen wir aber nicht überein-
stimmen können.
Jm Anfang seiner Arbeit gesteht Hr. v. Löher gerne zu daß „das Her-
ausreißen aus dem französischen Staatskörper schmerzhaft“ für uns El-
säßer sein müsse, da wir ja nicht erst seit Jahrzehnten, sondern seit Jahr-
hunderten an denselben herangewachsen sind. Welche Mittel empfiehlt er
nun, nicht bloß um dieses schmerzhafte Herausreißen zu bewerkstelligen,
sondern auch um uns -- worauf es natürlich eine verständige Regierung
vor allem absehen muß -- für Deutschland wieder zu gewinnen? Jm
großen und ganzen sind es eben die französischen ( wo nicht schlimmeren )
Maßregeln welche der geehrte Verfasser anräth: Verdrängung des localen
und nationalen Elementes und Geistes, um dieselben durch deutsche zu er-
setzen. Er bedenkt nicht hinreichend daß in der Tiefe dieses Volkes, das
er doch zu studieren sich bemüht hat, ein nationaler Charakter und Volks-
geist vorliegt, der nur geweckt, angefacht und neu belebt werden will um
wieder zu erstarken, der aber nicht durch Aufdrängung eines ihm noch zu
remden Geistes erdrückt werden darf. Oder meint man vielleicht es gebe
keinen elsäßischen Geist, keinen elsäßischen Volkscharakter mehr? Wären
wir solche Bastarde geworden die bereits alles Eigenthümliche, alles Selb-
ständige verloren haben? Daß dem nicht so sei, weiß Hr. v. Löher selbst
am besten, denn er sagt ganz richtig: „Die Deutschen im Elsaß haben
einst hochherzig im Reformationsringen, tapfer für die französische Revolu-
tion mitgestritten; sie werden auch tüchtige und gescheidte Kämpfer für die
neuen Aufgaben der deutschen Nation ins Feld stellen.“
An den beiden großen Kämpfen der neuern Zeit, an der Reformation
und an der Revolution von 1789, haben die Elsäßer einen redlichen, ehren-
haften Antheil genommen, und das ist es gerade was ihnen ihr protestanti-
sches, ihr demokratisches Gepräge gegeben hat. Frankreich hat dieß wohl
gewußt, zu Zeiten auch hochgeschätzt, und Deutschland sollte es nie verges-
sen. Man sollte sich jenseit des Rheins wohl überzeugen daß wir unsern
Charakter, unsern eigenthümlichen Geist haben und behalten werden; daß
von jenen edlen Errungenschaften der Revolution von 1789 sehr vieles in
unser Denken und Leben übergegangen ist was uns nimmermehr kann
entrissen werden. Es will uns sogar bedünken Deutschland sollte sich
hierüber freuen, diese unsere Eigenthümlichkeit schützen und pflegen und
vielleicht sogar etwas daran lernen. Weiß doch jedermann daß ge-
rade dieses Bestehenlassen der Eigenthümlichkeiten, dieser unverwüst-
liche Particularismus, zum großen Theil bisher Deutschlands Kraft
und Vorzug gewesen ist; wir unsrerseits gestehen auch gerne daß die zu
hoffende Wahrung dieser unserer Eigenthümlichkeit uns die Rückkehr zur
ursprünglichen Heimath um so leichter und um so wünschenswerther ge-
macht hat. Konnte bisher ein westfälischer Preuße sagen: „Jch bin erst
Westfale, dann Preuße;“ warum sollten auch wir fortan nicht mit Recht
sagen können: „Jch bin erst Elsäßer, dann Deutscher?“
Vieles haben deutsche Beobachter an uns schon herausgesehen; eines
aber scheinen sie immer zu übersehen oder doch gleich wieder zu vergessen
daß nämlich ein Volk welch es seit zweihundert oder doch seit hundert Jah
ren mit französischem Geist getränkt worden, nicht so leichtweg kann ger-
manisirt werden; daß man es nicht mit deutschem Wesen überschütten, noch
es, wie Hr. v. Löher anräth, gleichsam kopfüber in ein reinigendes und
stärkendes Bad stürzen darf. Daß im deutschen Geist und Leben für uns
viel reinigendes und stärkendes liege, ist unsere tiefste Ueberzeugung; aber
mit Sturzbad=Experimenten möge man uns gütigst verschonen. Wir waren
eben daran in einem solchen Bad, dem französischen, zu ertrinken -- sollen
wir nun zur Erholung im deutschen ersäuft werden? Kann man etwa
einen Volkscharakter umschaffen wie man Eisen umgießt? Nein, Elsaß
ist, wie gesagt, ein ursprünglich protestantisches und seinem Charakter nach
demokratisches Volk. Bei dieser seiner Eigenthümlichkeit möge man das-
selbe belassen, ihm nach Kräften wieder dazu verhelfen, und man wird da-
mit uns und Deutschland größere Dienste leisten als wenn man uns nun
o hoch den Glanz und die Macht des wiedererstandenen deutschen Reichs
anpreist. Von den Elsäßern darf man, wie uns scheint, nicht verlangen
daß sie gerade jetzt für ein Kaiserreich sich sehr begeistern. Wohl wissen
wir daß das deutsche Reich eine ganz andere, solidere Grundlage hat als
die Reiche die wir schon in diesem Jahrhundert haben zusammenbrechen
sehen, und wir wünschen demselben von Herzen viel Heil und Gedeihen
Deutschland wird aber wohl begreifen daß die Masse der Elsäßer zu dieser
Stunde noch nicht den dermaligen deutschen Reichsenthusiasmus zu thei-
len vermöge. Wissen wir doch daß auch das deutsche Reich zukünftig zwei
mächtige Feinde zu bekämpfen haben wird, nämlich die Socialrevolution
einerseits und andrerseits den Ultramontanismus, welche beide für den
Augenblick durch den Kriegslärm etwas niedergehalten sind, aber ihre Ar-
beit in der Stille fortsetzen, und bei gelegener Zeit ihr drohendes Haupt er-
heben werden. Daß also das deutsche Reich als solches die Elsäßer nicht
im voraus bezaubere oder blende, möge man ihnen für den Augenblick zu
gut halten. Will aber Deutschland die Elsäßer zu treuen Gliedern des
Reichs heranbilden, so möge es jetzt besonders sich schonend beweisen in
Betreff unserer Rechte, unserer Jnteressen, alles dessen überhaupt was
man unsere Eigenthümlichkeiten nennt.
Diese gebührende und berechtigte Schonung scheint uns nun Hr.
v. Löher nicht zu beobachten wenn er z. B. folgendes schreibt: „Nicht bloß
für Normalschulen in welchen Schullehrer erst heranzubilden sondern
auch für die Besetzung zahlloser Volksschulen in den Städten und auf dem
Lande muß man tüchtige Lehrer aus Deutschland heranziehen, und dabei
keine Summen sparen. Ohne alle Schonung sind die Schulmeister abzusetzen
welche sich von der frühern Regierung brauchen ließen die Kinder um ihre
Muttersprache zu bringen.“ Hierauf antworten wir einfach: daß in solchem
Fall nicht bloß zahllose Lehrer, sondern alle ohne Ausnahme, von
Mülhausen bis Weißenburg, abzusetzen wären; ihnen allen wäre ihre
Entlassung zu geben, aus dem einfachen Grunde weil sie früher ihrer Re-
gierung unterthan und, sich unter die gegebenen Verhältnisse fügend, die-
jenige Sprache lehrten welche sie von Gott und Rechtswegen -- mit saurer
Arbeit und oft mit schwerem Herzen -- zu lehren verpflichtet waren. Und
das wäre nun ihr Lohn! Der geneigte Leser möge urtheilen.
Ferner meint Hr. v. Löher: „Eine Herbeiziehung vieler deutschen
Professoren für Universität, Gymnasien, polytechnische und andere höhere
und mittlere Lehranstalten wird sich nicht vermeiden lassen.... Auch
mit der Anstellung deutscher Beamten sollte in keinem Zweige der Verwal-
tung gespart werden. Je mehr da sind, desto stärker ist ihr Zusammen-
halt.... Die Niederlassung von industriellen Guts = und Hofbesitzern,
großen und kleinen Gewerbsleuten, aller die aus Deutschland kommen
werden, finde möglichste Begünstigung.... Wissenschaftlich gebildete
Aerzte und Apotheker werden vieler Orten eine Wohlthat sein....“ Ent-
werfen wir uns demnach ein Bild des zukünftigen Standes der Dinge im
Elsaß. Das Beamtenpersonal wäre deutsch; die Professoren in hohen
und mittlern Schulen der Mehrzahl nach deutsch; die Schullehrer zahllos
-- wo nicht sämmtliche -- deutsch; Aerzte und Apotheker, Jndustrielle
und Gutsbesitzer möglichst viele eingewandert. Lasse man nun noch ge-
schehen was neulich von anderer Seite vorgeschlagen wurde, daß auch die
Notare, Anwälte u. s. w., deren Stellen bisher käuflich gewesen, zur Aus-
wanderung gedrängt würden, so wäre gewiß die Umgestaltung der Dinge
eine vollständige. Von eigentlichen Elsäßern aber blieben im Lande nur
noch die Bauern, und von einer „Uebergangszeit für Elsaß=Lothringen“
brauchte überhaupt nicht mehr geredet zu werden. Wir bitten haher in-
ständig: man gebe uns des Guten nicht zu viel. Allzu viel ist ungesund,
und könnte möglicherweise recht schlimme Folgen haben.
Daß die obersten Stellen unseres ganzen staatlichen Organismus und
insbesondere der weit ausgedehnte Beamtendienst fast ausschließlich von
deutschen Kräften besetzt werden müssen, versteht sich ja von selbst; daß auch
im höhern, mittlern und niedern Unterricht deutsche Lehrer vorzügliche
Dienste zu leisten berufen sind, ist wiederum offenbar; auch in Handel
und Jndustrie werden die nicht ausbleibenden Lücken von Deutschland her
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