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Allgemeine Zeitung. Nr. 69. Augsburg (Bayern), 10. März 1871.

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[Spaltenumbruch] deihen einer so lange vernachlässigten und verkommenen, unter Großherzog
Leopold II zu neuem Leben wieder erwachten Provinz mächtig beiträgt, in
geringer Entfernung von Porto Talamone vorüber, bevor sie die Station
Orbetello erreicht, welches der Hauptort des südlichsten Theils des toscani-
schen Küstenstrichs ist und am wenigsten von der Fieberluft leidet.

Der Einzug der Deutschen in Paris.

sym3 Versailles, 2 März. * ) Die Nachricht daß der Einzug der deut-
schen Truppen definitiv auf Mittwoch den 1 März festgesetzt worden sei,
bewog mich am Abend des 27 Februars nach Paris zurückzukehren. Jch
wünschte den Eindruck dieser Nachricht auf die Bevölkerung der Hauptstadt
in nächster Nähe zu beobachten, und in der That fand ich die Physiognomie
von Paris seit meinem letzten Besuch auffallend genug verändert. Jch
hatte die Stadt am Morgen des 24 Febr., am Jahrestage der Revolution
von 1848, verlassen -- seitdem war die Aufregung von Tag zu Tag ge-
stiegen. Die Wallfahrten zu der Juli=Säule auf dem Bastille=Platz hat-
ten, durch den Umstand daß eine Menge von mehreren hunderttausend
Soldaten sich müßiggängerisch und fast ohne alle Disciplin auf den Gassen
umhertrieb, eine unerhörte Ausdehnung gewonnen; die ohnehin aufge-
regten Gemüther wurden durch die Jmprovisationen der Volksredner und
durch die maßlose Sprache der revolutionären Blätter noch mehr erhitzt,
und es war am Sonntag schon zu beklagenswerthen Ausschreitungen ge-
kommen, die das schlimmste von der entzügelten Wuth des Pöbels befürch-
ten ließen. Bei helllichtem Tage, am Sonntag Nachmittags gegen 2 Uhr,
als viele Tausende von Soldaten und Civilisten auf dem Bastille=Platz
versammelt waren, hatte man einen ehemaligen Polizei=Agenten Pietri's
mit unmenschlicher Bestialität auf ein Brett gebunden und in der Seine
ersäuft, ohne daß sich eine Hand geregt hätte diese scheußliche Unthat zu
verhindern. Am Abend desselben Tages verbreitete sich das Gerücht daß
die deutschen Soldaten nach Ablauf des Waffenstillstandes während der
Nacht in Paris einrücken würden. Ohne daß Befehl dazu ertheilt worden
wäre, wurde in mehreren Quartieren von Paris der Generalmarsch ge-
schlagen; Tausende von Soldaten bewaffneten sich und stürmten über die
Elyseischen Felder nach Neuilly hinaus, um mit der Wuth der Verzweiflung
den Eintritt der feindlichen Armee zu verhindern. Nur mit Mühe gelang
es dem vernünftigen Zureden einiger höheren Officiere die verblendeten
Thoren zur Rückkehr in ihre Quartiere zu bewegen, indem sie ihnen die
Proclamation der Regierung mittheilten, welche inzwischen an den Straßen-
ecken angeschlagen worden war, und welche den Einzug der Deutschen erst
auf Mittwoch Morgens ankündigte. Die Blätter thaten ihr mögliches,
unter Hinweisung auf die verhängnißvollen Folgen welche jeder Angriff
auf die siegreichen deutschen Truppen haben müßte, zur Ruhe und Mäßi-
gung zu ermahnen. Selbst der "Rappel," welcher die aufreizendste Sprache
führte, rieth doch von jedem weiteren Widerstand abzustehen, obschon seine
Ermahnungsworte nicht eben darauf berechnet waren eine beruhigende
Wirkung zu üben. Er schrieb: "Als man gestern plötzlich erfuhr daß die
Preußen einrücken würden, gab es Tausende von Bürgern die von einem
wilden Schmerzgefühl ergriffen wurden. Ohne Befehl stürzten sie aus
eigenem Antrieb mit unwiderstehlicher Gewalt zu ihren Gewehren und
Patronen, und rannten nach der Seite hin wo sie den Feind zu finden
glaubten. Der General Vinoy erklärt sie in seiner Proclamation für
"schuldig;" wir wünschten daß der General Vinoy und diejenigen welche
mit ihm während der Belagerung regiert haben eben so schuldig wie diese
Bürger gewesen wären. Sie hätten uns nicht zu dem herzverzehrenden
Frieden verurtheilt für welchen die royalistische Mehrheit heute stimmen
wird. Was uns betrifft, so beglückwünschen und ehren wir die edeln Bür-
ger, deren erste Regung es war lieber sterben als diese neue Schmach er-
dulden zu wollen. Aber sie werden bedenken daß sie nicht allein sterben,
daß sie schließlich nichts erreichen würden als Frauen und Kinder hin-
schlachten zu lassen, und daß es gegenüber diesem abscheulichen Mißbrauche
der Gewalt eine ebenso stolze Haltung wie einen nutzlosen Widerstand gibt:
die Verachtung. Nicht Preußen hat Paris besiegt, sondern der Hunger!
Die Preußen sehen darin die Gelegenheit zu einem triumphalen Einzuge
für sie -- die Geschichte weiß was sie von ihrem Triumphe sagen wird.
Wir befürchten nicht daß irgendjemand die verruchte Neugier haben könnte
sie in ihrer "Gloire" sehen zu wollen; wir sind gewiß daß alles leer und
öde um sie her sein, und daß man die Quartiere welche sie besetzen unter
Quarantaine stellen wird. Wir wünschten noch mehr. Wir möchten daß
die ganze Stadt Trauer anlegte, und daß alle Häuser ihre Thüren und
Läden schlössen, daß sich in keiner einzigen Straße ein Mensch blicken ließe,
daß alles Leben aufhörte, daß Paris ein Kirchhof wäre!"

Die meisten Blätter ertheilten ähnliche Rathschläge, welche am Diens-
tag noch einen eindringlichern Charakter annahmen. Am verständigsten
schrieb der "Temps;" er betonte nachdrücklich den Umstand daß man von
[Spaltenumbruch] vornherein Unrecht gehabt habe nach der Capitulation von Paris der Be-
völkerung den Glauben beizubringen daß der Sieger die überwundene
Stadt nicht betreten werde, und als eine neue, ganz besondere Schmach
darzustellen was die natürliche Folge der Ueberlieferung der Forts
und der Entwaffnung der kriegsgesangenen Truppen sei. Jn der That schien
sich am Dienstag die Aufregung der Pariser einigermaßen zu beschwichtigen.
Jch besuchte Vormittags den Bastille = Platz. Die Juli = Säule war nicht
bloß am Fuße, sondern auch überall an ihrem schlanken Schaft und auf
der Balustrade ihres Capitells mit gelben Jmmortellenkränzen, Tricolo-
ren und Trauerflören überdeckt; dem Genius der Freiheit, welcher droben
auf der höchsten Spitze schwebt, hatte man eine blutrothe Fahne in die Hand
gegeben. Fortwährend noch zogen neue Compagnien der Mobilgarde heran,
die unter Musikbegleitung ihren Umzug auf dem gitterumschlossenen Posta-
ment hielten und ihre Kränze an der Säule aufhängten. Die neue von
Thiers, Favre und Picard unterzeichnete Proclamation hatte eine beson-
ders günstige Wirkung geübt, und die Gruppen auf den Straßen waren
ungleich kleiner und ruhiger als am vergangenen Tage.

Am Mittwochmorgen verließ ich früh meine Wohnung, um den
einrückenden Truppen möglichst weit entgegenzugehen. Der Anblick der
Stadt an diesem denkwürdigen Tage war ein höchst seltsamer und bizar-
rer. Man denke sich zum ersten Paris, das neugierige, geschwätzige, ohne
Zeitungen! Alle Journale hatten ihr Erscheinen für die Zeit der Anwe-
senheit unserer Truppen sistirt -- "solange die deutschen Barbaren die hei-
lige Stadt der Civilisation durch ihre Gegenwart besudeln" -- lautete mit
geringer Variation die stelzenhafte Phrase in den meisten Blättern. So-
dann hatten in der That alle Häuser, nicht bloß in dem Quartier der Ely-
seischen Felder und den angränzenden Stadttheilen, sondern in sämmtlichen
zwanzig Arrondissements von Paris vom Keller bis zum Giebel ihre höl-
zernen Läden geschlossen. Kein Magazin, keine Schenkbude, keine Speise-
wirthschaft war geöffnet -- " ferme a cause de deuil public " -- war
auf den angehefteten Papierzetteln zu lesen. Die Omnibusse fuhren zwar,
aber nicht nach den von unsern Truppen besetzten Quartieren, die, so zu
sagen, hermetisch abgesperrt waren. Einzelne, aber nicht eben viele, Häu-
ser trugen schwarze Trauerfahnen. Die Straßen waren nicht viel men-
schenleerer als sonst; Nachmittags und Abends wogte sogar auf denselben
eine unzählbare Menge. Bewaffnete Nationalgarden patrouillirten in
kleinen Detaschements und geringen Zwischenräumen überall auf und ab
um die Ruhe aufrecht zu erhalten. An der Gränze des Concordienplatzes
und längs der ganzen Linie welche das Quartier der deutschen Truppen
umschloß, hielten bewaffnete Nationalgarden Wache, hie und da hinter
Barricaden, die aus zusammengeschobenen Laffetten und Munitionskarren
gebildet waren. Jn Belleville, dem entlegensten westlichen Viertel, hatte
man während der Nacht sogar reelle Barricaden gebaut. Auch hinter dem
Triumphbogen auf den Champs Elysees fanden sich auf der Seite nach
Neuilly zu noch einzelne halb weggeräumte Barricaden, die in der Sonn-
tagsnacht aufgethürmt worden waren. Die ehernen Säulen = Adler vor
dem neuen Opernhause, denen man nach dem 4 Sept. in vandalischer Zer-
trümmerungswuth die Köpfe abgeschlagen, waren mit Leinwandlappen um-
hüllt. Das Modell zum Uhrich = Denkmal, welches Tags zuvor noch vor
der fahnen = und kränzegeschmückten Statue Straßburgs auf dem Concor-
dienplatze stand, hatte man über Nacht entfernt, und das Gesicht dieses
und aller übrigen Standbilder französischer Städte mit schwarzen Tuch-
schleiern umwunden, so daß die Figuren den Anblick coketter Venetianerin-
nen gewährten, die sich zur Carnevalszeit mit Flormasken vermummen.
Unsere Soldaten lachten über diese Faschingskomödie und ließen die Tuch-
schleier ruhig sitzen. "Wenn die französischen Städte sich schämen und
uns nicht offen ins Antlitz zu blicken wagen, so ist das ihre eigene Sache,"
scherzten sie. Die Nationalgarden verwehrten zwar keinem Civilisten den
Durchgang durch ihre Linien, aber sie baten dieselben eindringlich nicht
das "preußische Quartier" zu betreten, und sie warfen mir ingrimmige
Blicke zu als ich ihnen antwortete daß dieß meine eigene Sache sei, und
geradenwegs auf den Triumphbogen zuschritt. Um diese Zeit, gegen 10 Uhr
Vormittags, waren erst vereinzelte preußische Soldaten auf den Elysei-
schen Feldern angelangt. Hie und da ritten vier Dragoner oder Husaren
bis an das verschlossene Gitter des Tuileriengartens hinab, und kleine De-
taschements von Jägern oder Liniensoldaten stellten sich in der Nähe des
Triumphbogens auf, dessen Sculpturen noch vom Bombardement her mit
dichtem Bretterwerk verkleidet waren. Jch sah an manchen Häusern dieses
Stadttheils englische, amerikanische, belgische, schweizerische und selbst tür-
kische Fahnen ausgehängt. Ein Haus in der Rotunde des Triumphbo-
gens trug eine schwarz=roth=goldene Fahne, welche die besondere Wuth der
Franzosen erregte, deren Zahl mit jeder Stunde zunahm. Wir müssen zur
Ehre der Pariser Bevölkerung bekennen daß der bessere, gebildetere Theil
derselben wirklich seine Schaulust bezwungen, und sich von dem deutschen
Quartier völlig fern gehalten hatte. Man erblickte nur ganz vereinzelte

* ) Verspätet eingetroffen. D. R.

[Spaltenumbruch] deihen einer so lange vernachlässigten und verkommenen, unter Großherzog
Leopold II zu neuem Leben wieder erwachten Provinz mächtig beiträgt, in
geringer Entfernung von Porto Talamone vorüber, bevor sie die Station
Orbetello erreicht, welches der Hauptort des südlichsten Theils des toscani-
schen Küstenstrichs ist und am wenigsten von der Fieberluft leidet.

Der Einzug der Deutschen in Paris.

sym3 Versailles, 2 März. * ) Die Nachricht daß der Einzug der deut-
schen Truppen definitiv auf Mittwoch den 1 März festgesetzt worden sei,
bewog mich am Abend des 27 Februars nach Paris zurückzukehren. Jch
wünschte den Eindruck dieser Nachricht auf die Bevölkerung der Hauptstadt
in nächster Nähe zu beobachten, und in der That fand ich die Physiognomie
von Paris seit meinem letzten Besuch auffallend genug verändert. Jch
hatte die Stadt am Morgen des 24 Febr., am Jahrestage der Revolution
von 1848, verlassen -- seitdem war die Aufregung von Tag zu Tag ge-
stiegen. Die Wallfahrten zu der Juli=Säule auf dem Bastille=Platz hat-
ten, durch den Umstand daß eine Menge von mehreren hunderttausend
Soldaten sich müßiggängerisch und fast ohne alle Disciplin auf den Gassen
umhertrieb, eine unerhörte Ausdehnung gewonnen; die ohnehin aufge-
regten Gemüther wurden durch die Jmprovisationen der Volksredner und
durch die maßlose Sprache der revolutionären Blätter noch mehr erhitzt,
und es war am Sonntag schon zu beklagenswerthen Ausschreitungen ge-
kommen, die das schlimmste von der entzügelten Wuth des Pöbels befürch-
ten ließen. Bei helllichtem Tage, am Sonntag Nachmittags gegen 2 Uhr,
als viele Tausende von Soldaten und Civilisten auf dem Bastille=Platz
versammelt waren, hatte man einen ehemaligen Polizei=Agenten Pietri's
mit unmenschlicher Bestialität auf ein Brett gebunden und in der Seine
ersäuft, ohne daß sich eine Hand geregt hätte diese scheußliche Unthat zu
verhindern. Am Abend desselben Tages verbreitete sich das Gerücht daß
die deutschen Soldaten nach Ablauf des Waffenstillstandes während der
Nacht in Paris einrücken würden. Ohne daß Befehl dazu ertheilt worden
wäre, wurde in mehreren Quartieren von Paris der Generalmarsch ge-
schlagen; Tausende von Soldaten bewaffneten sich und stürmten über die
Elyseischen Felder nach Neuilly hinaus, um mit der Wuth der Verzweiflung
den Eintritt der feindlichen Armee zu verhindern. Nur mit Mühe gelang
es dem vernünftigen Zureden einiger höheren Officiere die verblendeten
Thoren zur Rückkehr in ihre Quartiere zu bewegen, indem sie ihnen die
Proclamation der Regierung mittheilten, welche inzwischen an den Straßen-
ecken angeschlagen worden war, und welche den Einzug der Deutschen erst
auf Mittwoch Morgens ankündigte. Die Blätter thaten ihr mögliches,
unter Hinweisung auf die verhängnißvollen Folgen welche jeder Angriff
auf die siegreichen deutschen Truppen haben müßte, zur Ruhe und Mäßi-
gung zu ermahnen. Selbst der „Rappel,“ welcher die aufreizendste Sprache
führte, rieth doch von jedem weiteren Widerstand abzustehen, obschon seine
Ermahnungsworte nicht eben darauf berechnet waren eine beruhigende
Wirkung zu üben. Er schrieb: „Als man gestern plötzlich erfuhr daß die
Preußen einrücken würden, gab es Tausende von Bürgern die von einem
wilden Schmerzgefühl ergriffen wurden. Ohne Befehl stürzten sie aus
eigenem Antrieb mit unwiderstehlicher Gewalt zu ihren Gewehren und
Patronen, und rannten nach der Seite hin wo sie den Feind zu finden
glaubten. Der General Vinoy erklärt sie in seiner Proclamation für
„schuldig;“ wir wünschten daß der General Vinoy und diejenigen welche
mit ihm während der Belagerung regiert haben eben so schuldig wie diese
Bürger gewesen wären. Sie hätten uns nicht zu dem herzverzehrenden
Frieden verurtheilt für welchen die royalistische Mehrheit heute stimmen
wird. Was uns betrifft, so beglückwünschen und ehren wir die edeln Bür-
ger, deren erste Regung es war lieber sterben als diese neue Schmach er-
dulden zu wollen. Aber sie werden bedenken daß sie nicht allein sterben,
daß sie schließlich nichts erreichen würden als Frauen und Kinder hin-
schlachten zu lassen, und daß es gegenüber diesem abscheulichen Mißbrauche
der Gewalt eine ebenso stolze Haltung wie einen nutzlosen Widerstand gibt:
die Verachtung. Nicht Preußen hat Paris besiegt, sondern der Hunger!
Die Preußen sehen darin die Gelegenheit zu einem triumphalen Einzuge
für sie -- die Geschichte weiß was sie von ihrem Triumphe sagen wird.
Wir befürchten nicht daß irgendjemand die verruchte Neugier haben könnte
sie in ihrer „Gloire“ sehen zu wollen; wir sind gewiß daß alles leer und
öde um sie her sein, und daß man die Quartiere welche sie besetzen unter
Quarantaine stellen wird. Wir wünschten noch mehr. Wir möchten daß
die ganze Stadt Trauer anlegte, und daß alle Häuser ihre Thüren und
Läden schlössen, daß sich in keiner einzigen Straße ein Mensch blicken ließe,
daß alles Leben aufhörte, daß Paris ein Kirchhof wäre!“

Die meisten Blätter ertheilten ähnliche Rathschläge, welche am Diens-
tag noch einen eindringlichern Charakter annahmen. Am verständigsten
schrieb der „Temps;“ er betonte nachdrücklich den Umstand daß man von
[Spaltenumbruch] vornherein Unrecht gehabt habe nach der Capitulation von Paris der Be-
völkerung den Glauben beizubringen daß der Sieger die überwundene
Stadt nicht betreten werde, und als eine neue, ganz besondere Schmach
darzustellen was die natürliche Folge der Ueberlieferung der Forts
und der Entwaffnung der kriegsgesangenen Truppen sei. Jn der That schien
sich am Dienstag die Aufregung der Pariser einigermaßen zu beschwichtigen.
Jch besuchte Vormittags den Bastille = Platz. Die Juli = Säule war nicht
bloß am Fuße, sondern auch überall an ihrem schlanken Schaft und auf
der Balustrade ihres Capitells mit gelben Jmmortellenkränzen, Tricolo-
ren und Trauerflören überdeckt; dem Genius der Freiheit, welcher droben
auf der höchsten Spitze schwebt, hatte man eine blutrothe Fahne in die Hand
gegeben. Fortwährend noch zogen neue Compagnien der Mobilgarde heran,
die unter Musikbegleitung ihren Umzug auf dem gitterumschlossenen Posta-
ment hielten und ihre Kränze an der Säule aufhängten. Die neue von
Thiers, Favre und Picard unterzeichnete Proclamation hatte eine beson-
ders günstige Wirkung geübt, und die Gruppen auf den Straßen waren
ungleich kleiner und ruhiger als am vergangenen Tage.

Am Mittwochmorgen verließ ich früh meine Wohnung, um den
einrückenden Truppen möglichst weit entgegenzugehen. Der Anblick der
Stadt an diesem denkwürdigen Tage war ein höchst seltsamer und bizar-
rer. Man denke sich zum ersten Paris, das neugierige, geschwätzige, ohne
Zeitungen! Alle Journale hatten ihr Erscheinen für die Zeit der Anwe-
senheit unserer Truppen sistirt -- „solange die deutschen Barbaren die hei-
lige Stadt der Civilisation durch ihre Gegenwart besudeln“ -- lautete mit
geringer Variation die stelzenhafte Phrase in den meisten Blättern. So-
dann hatten in der That alle Häuser, nicht bloß in dem Quartier der Ely-
seischen Felder und den angränzenden Stadttheilen, sondern in sämmtlichen
zwanzig Arrondissements von Paris vom Keller bis zum Giebel ihre höl-
zernen Läden geschlossen. Kein Magazin, keine Schenkbude, keine Speise-
wirthschaft war geöffnet -- „ fermé à cause de deuil public “ -- war
auf den angehefteten Papierzetteln zu lesen. Die Omnibusse fuhren zwar,
aber nicht nach den von unsern Truppen besetzten Quartieren, die, so zu
sagen, hermetisch abgesperrt waren. Einzelne, aber nicht eben viele, Häu-
ser trugen schwarze Trauerfahnen. Die Straßen waren nicht viel men-
schenleerer als sonst; Nachmittags und Abends wogte sogar auf denselben
eine unzählbare Menge. Bewaffnete Nationalgarden patrouillirten in
kleinen Detaschements und geringen Zwischenräumen überall auf und ab
um die Ruhe aufrecht zu erhalten. An der Gränze des Concordienplatzes
und längs der ganzen Linie welche das Quartier der deutschen Truppen
umschloß, hielten bewaffnete Nationalgarden Wache, hie und da hinter
Barricaden, die aus zusammengeschobenen Laffetten und Munitionskarren
gebildet waren. Jn Belleville, dem entlegensten westlichen Viertel, hatte
man während der Nacht sogar reelle Barricaden gebaut. Auch hinter dem
Triumphbogen auf den Champs Elysées fanden sich auf der Seite nach
Neuilly zu noch einzelne halb weggeräumte Barricaden, die in der Sonn-
tagsnacht aufgethürmt worden waren. Die ehernen Säulen = Adler vor
dem neuen Opernhause, denen man nach dem 4 Sept. in vandalischer Zer-
trümmerungswuth die Köpfe abgeschlagen, waren mit Leinwandlappen um-
hüllt. Das Modell zum Uhrich = Denkmal, welches Tags zuvor noch vor
der fahnen = und kränzegeschmückten Statue Straßburgs auf dem Concor-
dienplatze stand, hatte man über Nacht entfernt, und das Gesicht dieses
und aller übrigen Standbilder französischer Städte mit schwarzen Tuch-
schleiern umwunden, so daß die Figuren den Anblick coketter Venetianerin-
nen gewährten, die sich zur Carnevalszeit mit Flormasken vermummen.
Unsere Soldaten lachten über diese Faschingskomödie und ließen die Tuch-
schleier ruhig sitzen. „Wenn die französischen Städte sich schämen und
uns nicht offen ins Antlitz zu blicken wagen, so ist das ihre eigene Sache,“
scherzten sie. Die Nationalgarden verwehrten zwar keinem Civilisten den
Durchgang durch ihre Linien, aber sie baten dieselben eindringlich nicht
das „preußische Quartier“ zu betreten, und sie warfen mir ingrimmige
Blicke zu als ich ihnen antwortete daß dieß meine eigene Sache sei, und
geradenwegs auf den Triumphbogen zuschritt. Um diese Zeit, gegen 10 Uhr
Vormittags, waren erst vereinzelte preußische Soldaten auf den Elysei-
schen Feldern angelangt. Hie und da ritten vier Dragoner oder Husaren
bis an das verschlossene Gitter des Tuileriengartens hinab, und kleine De-
taschements von Jägern oder Liniensoldaten stellten sich in der Nähe des
Triumphbogens auf, dessen Sculpturen noch vom Bombardement her mit
dichtem Bretterwerk verkleidet waren. Jch sah an manchen Häusern dieses
Stadttheils englische, amerikanische, belgische, schweizerische und selbst tür-
kische Fahnen ausgehängt. Ein Haus in der Rotunde des Triumphbo-
gens trug eine schwarz=roth=goldene Fahne, welche die besondere Wuth der
Franzosen erregte, deren Zahl mit jeder Stunde zunahm. Wir müssen zur
Ehre der Pariser Bevölkerung bekennen daß der bessere, gebildetere Theil
derselben wirklich seine Schaulust bezwungen, und sich von dem deutschen
Quartier völlig fern gehalten hatte. Man erblickte nur ganz vereinzelte

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[1166/0010] deihen einer so lange vernachlässigten und verkommenen, unter Großherzog Leopold II zu neuem Leben wieder erwachten Provinz mächtig beiträgt, in geringer Entfernung von Porto Talamone vorüber, bevor sie die Station Orbetello erreicht, welches der Hauptort des südlichsten Theils des toscani- schen Küstenstrichs ist und am wenigsten von der Fieberluft leidet. Der Einzug der Deutschen in Paris. sym3 Versailles, 2 März. * ) Die Nachricht daß der Einzug der deut- schen Truppen definitiv auf Mittwoch den 1 März festgesetzt worden sei, bewog mich am Abend des 27 Februars nach Paris zurückzukehren. Jch wünschte den Eindruck dieser Nachricht auf die Bevölkerung der Hauptstadt in nächster Nähe zu beobachten, und in der That fand ich die Physiognomie von Paris seit meinem letzten Besuch auffallend genug verändert. Jch hatte die Stadt am Morgen des 24 Febr., am Jahrestage der Revolution von 1848, verlassen -- seitdem war die Aufregung von Tag zu Tag ge- stiegen. Die Wallfahrten zu der Juli=Säule auf dem Bastille=Platz hat- ten, durch den Umstand daß eine Menge von mehreren hunderttausend Soldaten sich müßiggängerisch und fast ohne alle Disciplin auf den Gassen umhertrieb, eine unerhörte Ausdehnung gewonnen; die ohnehin aufge- regten Gemüther wurden durch die Jmprovisationen der Volksredner und durch die maßlose Sprache der revolutionären Blätter noch mehr erhitzt, und es war am Sonntag schon zu beklagenswerthen Ausschreitungen ge- kommen, die das schlimmste von der entzügelten Wuth des Pöbels befürch- ten ließen. Bei helllichtem Tage, am Sonntag Nachmittags gegen 2 Uhr, als viele Tausende von Soldaten und Civilisten auf dem Bastille=Platz versammelt waren, hatte man einen ehemaligen Polizei=Agenten Pietri's mit unmenschlicher Bestialität auf ein Brett gebunden und in der Seine ersäuft, ohne daß sich eine Hand geregt hätte diese scheußliche Unthat zu verhindern. Am Abend desselben Tages verbreitete sich das Gerücht daß die deutschen Soldaten nach Ablauf des Waffenstillstandes während der Nacht in Paris einrücken würden. Ohne daß Befehl dazu ertheilt worden wäre, wurde in mehreren Quartieren von Paris der Generalmarsch ge- schlagen; Tausende von Soldaten bewaffneten sich und stürmten über die Elyseischen Felder nach Neuilly hinaus, um mit der Wuth der Verzweiflung den Eintritt der feindlichen Armee zu verhindern. Nur mit Mühe gelang es dem vernünftigen Zureden einiger höheren Officiere die verblendeten Thoren zur Rückkehr in ihre Quartiere zu bewegen, indem sie ihnen die Proclamation der Regierung mittheilten, welche inzwischen an den Straßen- ecken angeschlagen worden war, und welche den Einzug der Deutschen erst auf Mittwoch Morgens ankündigte. Die Blätter thaten ihr mögliches, unter Hinweisung auf die verhängnißvollen Folgen welche jeder Angriff auf die siegreichen deutschen Truppen haben müßte, zur Ruhe und Mäßi- gung zu ermahnen. Selbst der „Rappel,“ welcher die aufreizendste Sprache führte, rieth doch von jedem weiteren Widerstand abzustehen, obschon seine Ermahnungsworte nicht eben darauf berechnet waren eine beruhigende Wirkung zu üben. Er schrieb: „Als man gestern plötzlich erfuhr daß die Preußen einrücken würden, gab es Tausende von Bürgern die von einem wilden Schmerzgefühl ergriffen wurden. Ohne Befehl stürzten sie aus eigenem Antrieb mit unwiderstehlicher Gewalt zu ihren Gewehren und Patronen, und rannten nach der Seite hin wo sie den Feind zu finden glaubten. Der General Vinoy erklärt sie in seiner Proclamation für „schuldig;“ wir wünschten daß der General Vinoy und diejenigen welche mit ihm während der Belagerung regiert haben eben so schuldig wie diese Bürger gewesen wären. Sie hätten uns nicht zu dem herzverzehrenden Frieden verurtheilt für welchen die royalistische Mehrheit heute stimmen wird. Was uns betrifft, so beglückwünschen und ehren wir die edeln Bür- ger, deren erste Regung es war lieber sterben als diese neue Schmach er- dulden zu wollen. Aber sie werden bedenken daß sie nicht allein sterben, daß sie schließlich nichts erreichen würden als Frauen und Kinder hin- schlachten zu lassen, und daß es gegenüber diesem abscheulichen Mißbrauche der Gewalt eine ebenso stolze Haltung wie einen nutzlosen Widerstand gibt: die Verachtung. Nicht Preußen hat Paris besiegt, sondern der Hunger! Die Preußen sehen darin die Gelegenheit zu einem triumphalen Einzuge für sie -- die Geschichte weiß was sie von ihrem Triumphe sagen wird. Wir befürchten nicht daß irgendjemand die verruchte Neugier haben könnte sie in ihrer „Gloire“ sehen zu wollen; wir sind gewiß daß alles leer und öde um sie her sein, und daß man die Quartiere welche sie besetzen unter Quarantaine stellen wird. Wir wünschten noch mehr. Wir möchten daß die ganze Stadt Trauer anlegte, und daß alle Häuser ihre Thüren und Läden schlössen, daß sich in keiner einzigen Straße ein Mensch blicken ließe, daß alles Leben aufhörte, daß Paris ein Kirchhof wäre!“ Die meisten Blätter ertheilten ähnliche Rathschläge, welche am Diens- tag noch einen eindringlichern Charakter annahmen. Am verständigsten schrieb der „Temps;“ er betonte nachdrücklich den Umstand daß man von vornherein Unrecht gehabt habe nach der Capitulation von Paris der Be- völkerung den Glauben beizubringen daß der Sieger die überwundene Stadt nicht betreten werde, und als eine neue, ganz besondere Schmach darzustellen was die natürliche Folge der Ueberlieferung der Forts und der Entwaffnung der kriegsgesangenen Truppen sei. Jn der That schien sich am Dienstag die Aufregung der Pariser einigermaßen zu beschwichtigen. Jch besuchte Vormittags den Bastille = Platz. Die Juli = Säule war nicht bloß am Fuße, sondern auch überall an ihrem schlanken Schaft und auf der Balustrade ihres Capitells mit gelben Jmmortellenkränzen, Tricolo- ren und Trauerflören überdeckt; dem Genius der Freiheit, welcher droben auf der höchsten Spitze schwebt, hatte man eine blutrothe Fahne in die Hand gegeben. Fortwährend noch zogen neue Compagnien der Mobilgarde heran, die unter Musikbegleitung ihren Umzug auf dem gitterumschlossenen Posta- ment hielten und ihre Kränze an der Säule aufhängten. Die neue von Thiers, Favre und Picard unterzeichnete Proclamation hatte eine beson- ders günstige Wirkung geübt, und die Gruppen auf den Straßen waren ungleich kleiner und ruhiger als am vergangenen Tage. Am Mittwochmorgen verließ ich früh meine Wohnung, um den einrückenden Truppen möglichst weit entgegenzugehen. Der Anblick der Stadt an diesem denkwürdigen Tage war ein höchst seltsamer und bizar- rer. Man denke sich zum ersten Paris, das neugierige, geschwätzige, ohne Zeitungen! Alle Journale hatten ihr Erscheinen für die Zeit der Anwe- senheit unserer Truppen sistirt -- „solange die deutschen Barbaren die hei- lige Stadt der Civilisation durch ihre Gegenwart besudeln“ -- lautete mit geringer Variation die stelzenhafte Phrase in den meisten Blättern. So- dann hatten in der That alle Häuser, nicht bloß in dem Quartier der Ely- seischen Felder und den angränzenden Stadttheilen, sondern in sämmtlichen zwanzig Arrondissements von Paris vom Keller bis zum Giebel ihre höl- zernen Läden geschlossen. Kein Magazin, keine Schenkbude, keine Speise- wirthschaft war geöffnet -- „ fermé à cause de deuil public “ -- war auf den angehefteten Papierzetteln zu lesen. Die Omnibusse fuhren zwar, aber nicht nach den von unsern Truppen besetzten Quartieren, die, so zu sagen, hermetisch abgesperrt waren. Einzelne, aber nicht eben viele, Häu- ser trugen schwarze Trauerfahnen. Die Straßen waren nicht viel men- schenleerer als sonst; Nachmittags und Abends wogte sogar auf denselben eine unzählbare Menge. Bewaffnete Nationalgarden patrouillirten in kleinen Detaschements und geringen Zwischenräumen überall auf und ab um die Ruhe aufrecht zu erhalten. An der Gränze des Concordienplatzes und längs der ganzen Linie welche das Quartier der deutschen Truppen umschloß, hielten bewaffnete Nationalgarden Wache, hie und da hinter Barricaden, die aus zusammengeschobenen Laffetten und Munitionskarren gebildet waren. Jn Belleville, dem entlegensten westlichen Viertel, hatte man während der Nacht sogar reelle Barricaden gebaut. Auch hinter dem Triumphbogen auf den Champs Elysées fanden sich auf der Seite nach Neuilly zu noch einzelne halb weggeräumte Barricaden, die in der Sonn- tagsnacht aufgethürmt worden waren. Die ehernen Säulen = Adler vor dem neuen Opernhause, denen man nach dem 4 Sept. in vandalischer Zer- trümmerungswuth die Köpfe abgeschlagen, waren mit Leinwandlappen um- hüllt. Das Modell zum Uhrich = Denkmal, welches Tags zuvor noch vor der fahnen = und kränzegeschmückten Statue Straßburgs auf dem Concor- dienplatze stand, hatte man über Nacht entfernt, und das Gesicht dieses und aller übrigen Standbilder französischer Städte mit schwarzen Tuch- schleiern umwunden, so daß die Figuren den Anblick coketter Venetianerin- nen gewährten, die sich zur Carnevalszeit mit Flormasken vermummen. Unsere Soldaten lachten über diese Faschingskomödie und ließen die Tuch- schleier ruhig sitzen. „Wenn die französischen Städte sich schämen und uns nicht offen ins Antlitz zu blicken wagen, so ist das ihre eigene Sache,“ scherzten sie. Die Nationalgarden verwehrten zwar keinem Civilisten den Durchgang durch ihre Linien, aber sie baten dieselben eindringlich nicht das „preußische Quartier“ zu betreten, und sie warfen mir ingrimmige Blicke zu als ich ihnen antwortete daß dieß meine eigene Sache sei, und geradenwegs auf den Triumphbogen zuschritt. Um diese Zeit, gegen 10 Uhr Vormittags, waren erst vereinzelte preußische Soldaten auf den Elysei- schen Feldern angelangt. Hie und da ritten vier Dragoner oder Husaren bis an das verschlossene Gitter des Tuileriengartens hinab, und kleine De- taschements von Jägern oder Liniensoldaten stellten sich in der Nähe des Triumphbogens auf, dessen Sculpturen noch vom Bombardement her mit dichtem Bretterwerk verkleidet waren. Jch sah an manchen Häusern dieses Stadttheils englische, amerikanische, belgische, schweizerische und selbst tür- kische Fahnen ausgehängt. Ein Haus in der Rotunde des Triumphbo- gens trug eine schwarz=roth=goldene Fahne, welche die besondere Wuth der Franzosen erregte, deren Zahl mit jeder Stunde zunahm. Wir müssen zur Ehre der Pariser Bevölkerung bekennen daß der bessere, gebildetere Theil derselben wirklich seine Schaulust bezwungen, und sich von dem deutschen Quartier völlig fern gehalten hatte. Man erblickte nur ganz vereinzelte * ) Verspätet eingetroffen. D. R.

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  • langes s (?): in Frakturschrift als s transkribiert, in Antiquaschrift beibehalten.
  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert.
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert.
  • Vollständigkeit: vollständig erfasst.
  • Zeichensetzung: DTABf-getreu.



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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 69. Augsburg (Bayern), 10. März 1871, S. 1166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_augsburg69_1871/10>, abgerufen am 27.11.2024.