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Der Arbeitgeber. Nr. 669. Frankfurt a. M., 25. Februar 1870.

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[Spaltenumbruch] muß ein allgemeines Unheil abwarten, das stark genug ist, um ein
allgemeines Bedürfniß nach dem Guten zu verursachen: denn Alles,
wodurch das Gute hervorgebracht wird, ist schrecklich oder erscheint
fratzenhaft, wenn man zu frühe beginnt. Also für's Erste eine
Diktatur, welche den Schrecken so weit verstärkt, daß die Nation sich
daraus gern in Mäßigkeit und Zucht ohne Familienleben, Wissen-
schaft und Wohlstand hineinretten läßt. Dort soll sie denn, unter
Einführung der Censur, im Wesentlichen die bisherigen Behörden
behalten. Jch verwerfe ebenso die einheitliche wie die vielköpfige
Herrschaft: für ein freies Staatswesen scheint mir ganz das Rechte
eine höchste Behörde von wenigen Mitgliedern zu sein, wie der
Wohlfahrtsausschuß eben ist."

* Arbeitseinstellungen und Kooperativgesellschaften in Ame-
rika.
Vergeblich, sagt die "New=Yorker Tribüne", hat man in
Amerika und Europa sich bemüht, den Arbeitslohn durch Arbeitsein-
stellungen zu reguliren. Der große Verlust, welcher den arbeitenden
Klassen aus dem gezwungenen Müßiggang bei Arbeitseinstellungen
entsteht, ist häufig ganz enorm; derselbe beträgt oft so viel, daß man
davon eine reiche Kooperativgesellschaft hätte gründen können. Die
Arbeitseinstellung der Backsteinmaurer im Jahr 1868 in New=York
kostete 30,000 Dollar, und nicht ein Cent davon kam in Gestalt
von mehr Lohn zurück. Die Arbeitseinstellung der Drucker kostete
16,000 Doll.; einige erzielten eine Lohnaufbesserung, andere dagegen
büßten an ihrem Lohn ein. Man hat berechnet, daß die amerika-
nischen Eisengießer durch Arbeitseinstellungen, die alle nichts nützten,
mehr wie1 1 / 2 Million Dollar verloren haben. Diese großen Ver-
luste haben die Arbeiter endlich zur Besinnung gebracht, und es hat
sich daher unter den Eisengießereiarbeitern in den Vereinigten Staaten
eine Gesellschaft unter dem Namen Iron moulders International
Union
gebildet, welche nicht weniger als 14 Eisengießereien
in New=York und Pensylvania im Betrieb habt. Die Organisation
der kooperativen Arbeit hat überall die Arbeitseinstellungen unmög-
lich gemacht; da die Arbeiter sich selbst zu bezahlen haben, so sind
sie vernünftig in ihren Anforderungen, und Lohnfluktnationen kommen
nicht vor. Ein interessantes Beispiel gaben in dieser Beziehung
letzten Sommer die Buchdrucker von Mailand. Dieselben vergeudeten
20,000 Francs durch eine Arbeitseinstellung, und gründeten schließ-
lich mit 1 / 4 der Summe eine kooperative Gesellschaft zur Errichtung
einer Druckerei, welche ihnen alle Arbeit gab, und den Preis des
Satzes auf einmal regelte. Trotzdem daß das Kooperativsystem als
das Beste für die arbeitenden Klassen empfohlen werden kann, sind
schon viele Versuche, dasselbe einzuführen, mißlungen. Hauptsächlich
scheiterten die Gesellschaften daran, daß dieselben am Ende des Jahres
den ganzen Gewinn vertheilten, anstatt denselben im Geschäft wieder
anzulegen. Die Läden, welche auf genossenschaftlichem Wege gegrün-
det wurden, haben sich in Amerika wie allerwärts gehalten; in
Massachussets bestehen allein mehr wie 50. Ein Uebergang zu
dem Kooperativ = System ist die neuerdings von mehreren Fabri-
kanten getroffene Einrichtung, wonach die Arbeiter am Gewinn
Antheil erhalten. Jn New=York wurde dieses vor einigen Mo-
naten in den Fabriken der Herren Brewster u. Co. und A. S. Ca-
meron ec. eingeführt. Jn letzterem Geschäft erhalten die Arbeiter
10 pCt. vom Gewinn. Die Folge davon dürfte sein, daß die
Moral in den Fabriken besser wird, und Arbeitseinstellungen nicht
mehr vorkommen.

* Gewerkvereine in Amerika. Der 88. Gewerkverein in
New=York zählt 72,500 Mitglieder und hat ein Vermögen von
60,000 Dollar.

* Genossenschaftswesen. Die östreichische Regierung hat dem
Abgeordnetenhaus einen Gesetzentwurf vorgelegt, wonach die Vorschuß-
kassen und überhaupt alle Erwerbs= und Wirthschaftsgenossenschaften
einer Besteuerung unterzogen werden sollen. Das Comit e der ver-
einigten Wiener Erwerbs= und Wirthschaftsgenossenschaften opponirt
dagegen in einer Broschüre, in welcher der Nachweis geliefert wird,
daß diese hier angezogenen Genossenschaften nichts anderes als Er-
sparungsanstalten seien. -- Jn Preußen hat man Aehnliches ver-
sucht, ohne durchzudringen, weil durch dieses Gesetz die Mitglieder
von Genossenschaften doppelt besteuert würden. Diese treiben nur
Geschäfte unter sich, d. h. mit dem eigenen Gelde, und nehmen
keinen Gewinn. Höchstens könnte man zugeben, daß solche Mit-
[Spaltenumbruch] glieder, welche kein Geschäft mit dem Verein machen, Steuer zahlen
müßten, für die empfangenen Dividenden.

* Sozialistisches. Dem interimistischen Redakteur der " Zu-
kunft " sind -- wie wir nachträglich erfahren -- unsere Aufsätze über
Jakoby's Rede stark in den Magen gefahren. Sachlich ist nichts
von dem widerlegt, was wir aufgestellt haben, wir dürfen also über
den volkswirthschaftlichen Jnhalt der Entgegnung weggehen, können
aber nicht umhin, den Ton zu bedauern, in den das früher so gut
geleitete Blatt verfällt. Mit Witzen, noch dazu wenn sie schwach
sind, ersetzt man nicht den Mangel an Gründen, noch weniger mit
Redensarten und Jnvectiven, wie die gebrauchten. -- "Grob darf
Zeus sein", aber nicht ordinair. Wenn der Verfasser des Artikels
nicht weiß, wie befreundete Blätter bei Meinungs=Verschiedenheit mit
einander verkehren, so hätte er sich beim Hauptredakteur leicht Raths
erholen können. Die Fragen übrigens, welche er ungeschickter Weise
einflicht, kann ihm, abgesehen von Karlchen Mießnick, jeder Ecken-
steher in Berlin beantworten. Herr von Schweizer z. B. dürfte
auch in Berlin zur Genüge bekannt sein. Die Angaben, welche wir
machten, beruhen meist auf statistischen Erhebungen, und wir können
noch mit einer ganzen Reihe solcher dienen. Wie man die Statistik
aber eine steife bockbeinige Doctrin nennen kann, ist uns nicht be-
greiflich. Bockbeinig ist sie allerdings, denn sie läßt sich zu soziali-
stischen Narrheiten nicht mißbrauchen, und hat wohl schon manchen
Wahn zerstört, in den jugendliche Politiker sich hineingearbeitet hatten,
allein doctrinär kann man sie wohl kaum nennen. Die übrigen
Bemerkungen über die unteren Klassen, die glänzende Stellung der-
selben u. s. w. sind zu schwach, als daß wir uns veranlaßt finden
könnten, darauf einzugehen. Auf sachliche Einwürfe dagegen werden
wir gerne antworten.

* Statistisches. Legoyt stellt in seiner Studie Londres, Paris,
Berlin & Vienne ( de la France et l'etranger, etudes de statis-
tique comparee. Paris
1870 ) einzelne Verhältnisse dieser 4 Städte
vergleichend wie folgt zusammen: Es fällt jährlich eine Geburt in
London ( 1861 ) auf 29 Einwohner, Paris ( 1866 ) auf 32,2 Einw.,
Berlin ( 1864 ) auf 27,7 Einw., Wien ( 1864 ) auf 23,66 Einw.;
ein Sterbfall in London auf 42,8 Einw., Paris auf 40 Einw.,
Berlin auf 38 Einw., Wien auf 30 Einw.; eine Heirath in London
auf 99,5 Einw., Paris auf 105,6 Einw., Berlin auf 94,5 Einw.,
Wien 117,63 Einw. Auf eine Ehe fallen im Durchschnitt Kinder
in London 3,25, Paris 2,38, Berlin 2,89, Wien 2,56. Auf 100
Geburten kommen uneheliche in London 41,31, Paris 27,96, Ber-
lin 2,89, Wien 48,54. Todtgeburten in Paris 7,63, Berlin 4,54,
Wien 3,89. Die Dichtigkeit der Bewohner beträgt pro Hektare in
London 36,34 Einw., Paris 233,95 Einw., Berlin 154,05 Einw.,
Wien 84,29 Einw. Die Bevölkerung verhält sich zur Gesammt-
bevölkerung des Landes in London wie 1: 10,4, Paris wie 1: 20,8,
Berlin wie 1: 30, Wien wie 1: 60,7. Der jährliche Fleischkonsum
belief sich in London per Kopf auf 109 Kilogr., Paris auf 75 Kilogr.,
Berlin 53 Kilogr., Wien 87 Kilogr.; der Weinverbrauch in Paris
auf 173 Liter, in Wien auf 31 Liter; der Bierverbrauch in Paris
auf 20 Liter, in Wien auf 81 Liter per Kopf der Einwohner. Die
Häuser wurden im Durchschnitt bewohnt in London von 7,7, in
Paris von 31,1, in Berlin von 28,8, in Wien von 56,7 Personen.

* Volkswirthschaftliche Professur. Die volkswirthschaftliche Pro-
fessur an der Berliner Universität, welche lange Zeit offen war,
soll jetzt wieder besetzt werden, und zwar nennt man Glaser, Dietzel
in Marburg, Nasse in Bonn und Wagner in Freiburg als Kandidaten.

* Freizügigkeit in der Schweiz. Die Freizügigkeit in der
Schweiz ist noch vielfach beschränkt; so kann sich ein Berner Arzt
nicht im Waadtlande niederlassen, ohne ein neues Examen zu machen;
auch die Apotheker, Thierärzte, Hebammen, Advokaten, Geometer ec.
können ihr Gewerbe nicht betreiben wo sie wollen, sondern nur nach
"Maßgabe der Kantongesetze."

* Rechtsschutzverein. Jn Paris beabsichtigt man einen deut-
schen Rechtsschutzverein zu gründen, und zwar nach dem Muster des
bekannten Londoner Vereins. Ein solcher Verein würde namentlich
den zahlreichen Arbeitern zu gute kommen, welche in Rechtsangelegen-
heiten häufig schon durch den Umstand, daß sie der französischen
Sprache nicht mächtig, im Nachtheil sind.

* Der Verein deutscher Lebensversicherungs=Gesellschaften hielt
am 13. d. M. in Berlin seine Jahresversammlung. Die Versamm-
lung beauftragte den Ausschuß an das Bundeskanzleramt des nord-
deutschen Bundes das Gesuch zu richten, vor Erlaß eines Versicherungs-

[Spaltenumbruch] muß ein allgemeines Unheil abwarten, das stark genug ist, um ein
allgemeines Bedürfniß nach dem Guten zu verursachen: denn Alles,
wodurch das Gute hervorgebracht wird, ist schrecklich oder erscheint
fratzenhaft, wenn man zu frühe beginnt. Also für's Erste eine
Diktatur, welche den Schrecken so weit verstärkt, daß die Nation sich
daraus gern in Mäßigkeit und Zucht ohne Familienleben, Wissen-
schaft und Wohlstand hineinretten läßt. Dort soll sie denn, unter
Einführung der Censur, im Wesentlichen die bisherigen Behörden
behalten. Jch verwerfe ebenso die einheitliche wie die vielköpfige
Herrschaft: für ein freies Staatswesen scheint mir ganz das Rechte
eine höchste Behörde von wenigen Mitgliedern zu sein, wie der
Wohlfahrtsausschuß eben ist.“

* Arbeitseinstellungen und Kooperativgesellschaften in Ame-
rika.
Vergeblich, sagt die „New=Yorker Tribüne“, hat man in
Amerika und Europa sich bemüht, den Arbeitslohn durch Arbeitsein-
stellungen zu reguliren. Der große Verlust, welcher den arbeitenden
Klassen aus dem gezwungenen Müßiggang bei Arbeitseinstellungen
entsteht, ist häufig ganz enorm; derselbe beträgt oft so viel, daß man
davon eine reiche Kooperativgesellschaft hätte gründen können. Die
Arbeitseinstellung der Backsteinmaurer im Jahr 1868 in New=York
kostete 30,000 Dollar, und nicht ein Cent davon kam in Gestalt
von mehr Lohn zurück. Die Arbeitseinstellung der Drucker kostete
16,000 Doll.; einige erzielten eine Lohnaufbesserung, andere dagegen
büßten an ihrem Lohn ein. Man hat berechnet, daß die amerika-
nischen Eisengießer durch Arbeitseinstellungen, die alle nichts nützten,
mehr wie1 1 / 2 Million Dollar verloren haben. Diese großen Ver-
luste haben die Arbeiter endlich zur Besinnung gebracht, und es hat
sich daher unter den Eisengießereiarbeitern in den Vereinigten Staaten
eine Gesellschaft unter dem Namen Iron moulders International
Union
gebildet, welche nicht weniger als 14 Eisengießereien
in New=York und Pensylvania im Betrieb habt. Die Organisation
der kooperativen Arbeit hat überall die Arbeitseinstellungen unmög-
lich gemacht; da die Arbeiter sich selbst zu bezahlen haben, so sind
sie vernünftig in ihren Anforderungen, und Lohnfluktnationen kommen
nicht vor. Ein interessantes Beispiel gaben in dieser Beziehung
letzten Sommer die Buchdrucker von Mailand. Dieselben vergeudeten
20,000 Francs durch eine Arbeitseinstellung, und gründeten schließ-
lich mit 1 / 4 der Summe eine kooperative Gesellschaft zur Errichtung
einer Druckerei, welche ihnen alle Arbeit gab, und den Preis des
Satzes auf einmal regelte. Trotzdem daß das Kooperativsystem als
das Beste für die arbeitenden Klassen empfohlen werden kann, sind
schon viele Versuche, dasselbe einzuführen, mißlungen. Hauptsächlich
scheiterten die Gesellschaften daran, daß dieselben am Ende des Jahres
den ganzen Gewinn vertheilten, anstatt denselben im Geschäft wieder
anzulegen. Die Läden, welche auf genossenschaftlichem Wege gegrün-
det wurden, haben sich in Amerika wie allerwärts gehalten; in
Massachussets bestehen allein mehr wie 50. Ein Uebergang zu
dem Kooperativ = System ist die neuerdings von mehreren Fabri-
kanten getroffene Einrichtung, wonach die Arbeiter am Gewinn
Antheil erhalten. Jn New=York wurde dieses vor einigen Mo-
naten in den Fabriken der Herren Brewster u. Co. und A. S. Ca-
meron ec. eingeführt. Jn letzterem Geschäft erhalten die Arbeiter
10 pCt. vom Gewinn. Die Folge davon dürfte sein, daß die
Moral in den Fabriken besser wird, und Arbeitseinstellungen nicht
mehr vorkommen.

* Gewerkvereine in Amerika. Der 88. Gewerkverein in
New=York zählt 72,500 Mitglieder und hat ein Vermögen von
60,000 Dollar.

* Genossenschaftswesen. Die östreichische Regierung hat dem
Abgeordnetenhaus einen Gesetzentwurf vorgelegt, wonach die Vorschuß-
kassen und überhaupt alle Erwerbs= und Wirthschaftsgenossenschaften
einer Besteuerung unterzogen werden sollen. Das Comit é der ver-
einigten Wiener Erwerbs= und Wirthschaftsgenossenschaften opponirt
dagegen in einer Broschüre, in welcher der Nachweis geliefert wird,
daß diese hier angezogenen Genossenschaften nichts anderes als Er-
sparungsanstalten seien. -- Jn Preußen hat man Aehnliches ver-
sucht, ohne durchzudringen, weil durch dieses Gesetz die Mitglieder
von Genossenschaften doppelt besteuert würden. Diese treiben nur
Geschäfte unter sich, d. h. mit dem eigenen Gelde, und nehmen
keinen Gewinn. Höchstens könnte man zugeben, daß solche Mit-
[Spaltenumbruch] glieder, welche kein Geschäft mit dem Verein machen, Steuer zahlen
müßten, für die empfangenen Dividenden.

* Sozialistisches. Dem interimistischen Redakteur der „ Zu-
kunft “ sind -- wie wir nachträglich erfahren -- unsere Aufsätze über
Jakoby's Rede stark in den Magen gefahren. Sachlich ist nichts
von dem widerlegt, was wir aufgestellt haben, wir dürfen also über
den volkswirthschaftlichen Jnhalt der Entgegnung weggehen, können
aber nicht umhin, den Ton zu bedauern, in den das früher so gut
geleitete Blatt verfällt. Mit Witzen, noch dazu wenn sie schwach
sind, ersetzt man nicht den Mangel an Gründen, noch weniger mit
Redensarten und Jnvectiven, wie die gebrauchten. -- „Grob darf
Zeus sein“, aber nicht ordinair. Wenn der Verfasser des Artikels
nicht weiß, wie befreundete Blätter bei Meinungs=Verschiedenheit mit
einander verkehren, so hätte er sich beim Hauptredakteur leicht Raths
erholen können. Die Fragen übrigens, welche er ungeschickter Weise
einflicht, kann ihm, abgesehen von Karlchen Mießnick, jeder Ecken-
steher in Berlin beantworten. Herr von Schweizer z. B. dürfte
auch in Berlin zur Genüge bekannt sein. Die Angaben, welche wir
machten, beruhen meist auf statistischen Erhebungen, und wir können
noch mit einer ganzen Reihe solcher dienen. Wie man die Statistik
aber eine steife bockbeinige Doctrin nennen kann, ist uns nicht be-
greiflich. Bockbeinig ist sie allerdings, denn sie läßt sich zu soziali-
stischen Narrheiten nicht mißbrauchen, und hat wohl schon manchen
Wahn zerstört, in den jugendliche Politiker sich hineingearbeitet hatten,
allein doctrinär kann man sie wohl kaum nennen. Die übrigen
Bemerkungen über die unteren Klassen, die glänzende Stellung der-
selben u. s. w. sind zu schwach, als daß wir uns veranlaßt finden
könnten, darauf einzugehen. Auf sachliche Einwürfe dagegen werden
wir gerne antworten.

* Statistisches. Legoyt stellt in seiner Studie Londres, Paris,
Berlin & Vienne ( de la France et l'étranger, études de statis-
tique comparée. Paris
1870 ) einzelne Verhältnisse dieser 4 Städte
vergleichend wie folgt zusammen: Es fällt jährlich eine Geburt in
London ( 1861 ) auf 29 Einwohner, Paris ( 1866 ) auf 32,2 Einw.,
Berlin ( 1864 ) auf 27,7 Einw., Wien ( 1864 ) auf 23,66 Einw.;
ein Sterbfall in London auf 42,8 Einw., Paris auf 40 Einw.,
Berlin auf 38 Einw., Wien auf 30 Einw.; eine Heirath in London
auf 99,5 Einw., Paris auf 105,6 Einw., Berlin auf 94,5 Einw.,
Wien 117,63 Einw. Auf eine Ehe fallen im Durchschnitt Kinder
in London 3,25, Paris 2,38, Berlin 2,89, Wien 2,56. Auf 100
Geburten kommen uneheliche in London 41,31, Paris 27,96, Ber-
lin 2,89, Wien 48,54. Todtgeburten in Paris 7,63, Berlin 4,54,
Wien 3,89. Die Dichtigkeit der Bewohner beträgt pro Hektare in
London 36,34 Einw., Paris 233,95 Einw., Berlin 154,05 Einw.,
Wien 84,29 Einw. Die Bevölkerung verhält sich zur Gesammt-
bevölkerung des Landes in London wie 1: 10,4, Paris wie 1: 20,8,
Berlin wie 1: 30, Wien wie 1: 60,7. Der jährliche Fleischkonsum
belief sich in London per Kopf auf 109 Kilogr., Paris auf 75 Kilogr.,
Berlin 53 Kilogr., Wien 87 Kilogr.; der Weinverbrauch in Paris
auf 173 Liter, in Wien auf 31 Liter; der Bierverbrauch in Paris
auf 20 Liter, in Wien auf 81 Liter per Kopf der Einwohner. Die
Häuser wurden im Durchschnitt bewohnt in London von 7,7, in
Paris von 31,1, in Berlin von 28,8, in Wien von 56,7 Personen.

* Volkswirthschaftliche Professur. Die volkswirthschaftliche Pro-
fessur an der Berliner Universität, welche lange Zeit offen war,
soll jetzt wieder besetzt werden, und zwar nennt man Glaser, Dietzel
in Marburg, Nasse in Bonn und Wagner in Freiburg als Kandidaten.

* Freizügigkeit in der Schweiz. Die Freizügigkeit in der
Schweiz ist noch vielfach beschränkt; so kann sich ein Berner Arzt
nicht im Waadtlande niederlassen, ohne ein neues Examen zu machen;
auch die Apotheker, Thierärzte, Hebammen, Advokaten, Geometer ec.
können ihr Gewerbe nicht betreiben wo sie wollen, sondern nur nach
„Maßgabe der Kantongesetze.“

* Rechtsschutzverein. Jn Paris beabsichtigt man einen deut-
schen Rechtsschutzverein zu gründen, und zwar nach dem Muster des
bekannten Londoner Vereins. Ein solcher Verein würde namentlich
den zahlreichen Arbeitern zu gute kommen, welche in Rechtsangelegen-
heiten häufig schon durch den Umstand, daß sie der französischen
Sprache nicht mächtig, im Nachtheil sind.

* Der Verein deutscher Lebensversicherungs=Gesellschaften hielt
am 13. d. M. in Berlin seine Jahresversammlung. Die Versamm-
lung beauftragte den Ausschuß an das Bundeskanzleramt des nord-
deutschen Bundes das Gesuch zu richten, vor Erlaß eines Versicherungs-

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[0003] muß ein allgemeines Unheil abwarten, das stark genug ist, um ein allgemeines Bedürfniß nach dem Guten zu verursachen: denn Alles, wodurch das Gute hervorgebracht wird, ist schrecklich oder erscheint fratzenhaft, wenn man zu frühe beginnt. Also für's Erste eine Diktatur, welche den Schrecken so weit verstärkt, daß die Nation sich daraus gern in Mäßigkeit und Zucht ohne Familienleben, Wissen- schaft und Wohlstand hineinretten läßt. Dort soll sie denn, unter Einführung der Censur, im Wesentlichen die bisherigen Behörden behalten. Jch verwerfe ebenso die einheitliche wie die vielköpfige Herrschaft: für ein freies Staatswesen scheint mir ganz das Rechte eine höchste Behörde von wenigen Mitgliedern zu sein, wie der Wohlfahrtsausschuß eben ist.“ * Arbeitseinstellungen und Kooperativgesellschaften in Ame- rika. Vergeblich, sagt die „New=Yorker Tribüne“, hat man in Amerika und Europa sich bemüht, den Arbeitslohn durch Arbeitsein- stellungen zu reguliren. Der große Verlust, welcher den arbeitenden Klassen aus dem gezwungenen Müßiggang bei Arbeitseinstellungen entsteht, ist häufig ganz enorm; derselbe beträgt oft so viel, daß man davon eine reiche Kooperativgesellschaft hätte gründen können. Die Arbeitseinstellung der Backsteinmaurer im Jahr 1868 in New=York kostete 30,000 Dollar, und nicht ein Cent davon kam in Gestalt von mehr Lohn zurück. Die Arbeitseinstellung der Drucker kostete 16,000 Doll.; einige erzielten eine Lohnaufbesserung, andere dagegen büßten an ihrem Lohn ein. Man hat berechnet, daß die amerika- nischen Eisengießer durch Arbeitseinstellungen, die alle nichts nützten, mehr wie1 1 / 2 Million Dollar verloren haben. Diese großen Ver- luste haben die Arbeiter endlich zur Besinnung gebracht, und es hat sich daher unter den Eisengießereiarbeitern in den Vereinigten Staaten eine Gesellschaft unter dem Namen Iron moulders International Union gebildet, welche nicht weniger als 14 Eisengießereien in New=York und Pensylvania im Betrieb habt. Die Organisation der kooperativen Arbeit hat überall die Arbeitseinstellungen unmög- lich gemacht; da die Arbeiter sich selbst zu bezahlen haben, so sind sie vernünftig in ihren Anforderungen, und Lohnfluktnationen kommen nicht vor. Ein interessantes Beispiel gaben in dieser Beziehung letzten Sommer die Buchdrucker von Mailand. Dieselben vergeudeten 20,000 Francs durch eine Arbeitseinstellung, und gründeten schließ- lich mit 1 / 4 der Summe eine kooperative Gesellschaft zur Errichtung einer Druckerei, welche ihnen alle Arbeit gab, und den Preis des Satzes auf einmal regelte. Trotzdem daß das Kooperativsystem als das Beste für die arbeitenden Klassen empfohlen werden kann, sind schon viele Versuche, dasselbe einzuführen, mißlungen. Hauptsächlich scheiterten die Gesellschaften daran, daß dieselben am Ende des Jahres den ganzen Gewinn vertheilten, anstatt denselben im Geschäft wieder anzulegen. Die Läden, welche auf genossenschaftlichem Wege gegrün- det wurden, haben sich in Amerika wie allerwärts gehalten; in Massachussets bestehen allein mehr wie 50. Ein Uebergang zu dem Kooperativ = System ist die neuerdings von mehreren Fabri- kanten getroffene Einrichtung, wonach die Arbeiter am Gewinn Antheil erhalten. Jn New=York wurde dieses vor einigen Mo- naten in den Fabriken der Herren Brewster u. Co. und A. S. Ca- meron ec. eingeführt. Jn letzterem Geschäft erhalten die Arbeiter 10 pCt. vom Gewinn. Die Folge davon dürfte sein, daß die Moral in den Fabriken besser wird, und Arbeitseinstellungen nicht mehr vorkommen. * Gewerkvereine in Amerika. Der 88. Gewerkverein in New=York zählt 72,500 Mitglieder und hat ein Vermögen von 60,000 Dollar. * Genossenschaftswesen. Die östreichische Regierung hat dem Abgeordnetenhaus einen Gesetzentwurf vorgelegt, wonach die Vorschuß- kassen und überhaupt alle Erwerbs= und Wirthschaftsgenossenschaften einer Besteuerung unterzogen werden sollen. Das Comit é der ver- einigten Wiener Erwerbs= und Wirthschaftsgenossenschaften opponirt dagegen in einer Broschüre, in welcher der Nachweis geliefert wird, daß diese hier angezogenen Genossenschaften nichts anderes als Er- sparungsanstalten seien. -- Jn Preußen hat man Aehnliches ver- sucht, ohne durchzudringen, weil durch dieses Gesetz die Mitglieder von Genossenschaften doppelt besteuert würden. Diese treiben nur Geschäfte unter sich, d. h. mit dem eigenen Gelde, und nehmen keinen Gewinn. Höchstens könnte man zugeben, daß solche Mit- glieder, welche kein Geschäft mit dem Verein machen, Steuer zahlen müßten, für die empfangenen Dividenden. * Sozialistisches. Dem interimistischen Redakteur der „ Zu- kunft “ sind -- wie wir nachträglich erfahren -- unsere Aufsätze über Jakoby's Rede stark in den Magen gefahren. Sachlich ist nichts von dem widerlegt, was wir aufgestellt haben, wir dürfen also über den volkswirthschaftlichen Jnhalt der Entgegnung weggehen, können aber nicht umhin, den Ton zu bedauern, in den das früher so gut geleitete Blatt verfällt. Mit Witzen, noch dazu wenn sie schwach sind, ersetzt man nicht den Mangel an Gründen, noch weniger mit Redensarten und Jnvectiven, wie die gebrauchten. -- „Grob darf Zeus sein“, aber nicht ordinair. Wenn der Verfasser des Artikels nicht weiß, wie befreundete Blätter bei Meinungs=Verschiedenheit mit einander verkehren, so hätte er sich beim Hauptredakteur leicht Raths erholen können. Die Fragen übrigens, welche er ungeschickter Weise einflicht, kann ihm, abgesehen von Karlchen Mießnick, jeder Ecken- steher in Berlin beantworten. Herr von Schweizer z. B. dürfte auch in Berlin zur Genüge bekannt sein. Die Angaben, welche wir machten, beruhen meist auf statistischen Erhebungen, und wir können noch mit einer ganzen Reihe solcher dienen. Wie man die Statistik aber eine steife bockbeinige Doctrin nennen kann, ist uns nicht be- greiflich. Bockbeinig ist sie allerdings, denn sie läßt sich zu soziali- stischen Narrheiten nicht mißbrauchen, und hat wohl schon manchen Wahn zerstört, in den jugendliche Politiker sich hineingearbeitet hatten, allein doctrinär kann man sie wohl kaum nennen. Die übrigen Bemerkungen über die unteren Klassen, die glänzende Stellung der- selben u. s. w. sind zu schwach, als daß wir uns veranlaßt finden könnten, darauf einzugehen. Auf sachliche Einwürfe dagegen werden wir gerne antworten. * Statistisches. Legoyt stellt in seiner Studie Londres, Paris, Berlin & Vienne ( de la France et l'étranger, études de statis- tique comparée. Paris 1870 ) einzelne Verhältnisse dieser 4 Städte vergleichend wie folgt zusammen: Es fällt jährlich eine Geburt in London ( 1861 ) auf 29 Einwohner, Paris ( 1866 ) auf 32,2 Einw., Berlin ( 1864 ) auf 27,7 Einw., Wien ( 1864 ) auf 23,66 Einw.; ein Sterbfall in London auf 42,8 Einw., Paris auf 40 Einw., Berlin auf 38 Einw., Wien auf 30 Einw.; eine Heirath in London auf 99,5 Einw., Paris auf 105,6 Einw., Berlin auf 94,5 Einw., Wien 117,63 Einw. Auf eine Ehe fallen im Durchschnitt Kinder in London 3,25, Paris 2,38, Berlin 2,89, Wien 2,56. Auf 100 Geburten kommen uneheliche in London 41,31, Paris 27,96, Ber- lin 2,89, Wien 48,54. Todtgeburten in Paris 7,63, Berlin 4,54, Wien 3,89. Die Dichtigkeit der Bewohner beträgt pro Hektare in London 36,34 Einw., Paris 233,95 Einw., Berlin 154,05 Einw., Wien 84,29 Einw. Die Bevölkerung verhält sich zur Gesammt- bevölkerung des Landes in London wie 1: 10,4, Paris wie 1: 20,8, Berlin wie 1: 30, Wien wie 1: 60,7. Der jährliche Fleischkonsum belief sich in London per Kopf auf 109 Kilogr., Paris auf 75 Kilogr., Berlin 53 Kilogr., Wien 87 Kilogr.; der Weinverbrauch in Paris auf 173 Liter, in Wien auf 31 Liter; der Bierverbrauch in Paris auf 20 Liter, in Wien auf 81 Liter per Kopf der Einwohner. Die Häuser wurden im Durchschnitt bewohnt in London von 7,7, in Paris von 31,1, in Berlin von 28,8, in Wien von 56,7 Personen. * Volkswirthschaftliche Professur. Die volkswirthschaftliche Pro- fessur an der Berliner Universität, welche lange Zeit offen war, soll jetzt wieder besetzt werden, und zwar nennt man Glaser, Dietzel in Marburg, Nasse in Bonn und Wagner in Freiburg als Kandidaten. * Freizügigkeit in der Schweiz. Die Freizügigkeit in der Schweiz ist noch vielfach beschränkt; so kann sich ein Berner Arzt nicht im Waadtlande niederlassen, ohne ein neues Examen zu machen; auch die Apotheker, Thierärzte, Hebammen, Advokaten, Geometer ec. können ihr Gewerbe nicht betreiben wo sie wollen, sondern nur nach „Maßgabe der Kantongesetze.“ * Rechtsschutzverein. Jn Paris beabsichtigt man einen deut- schen Rechtsschutzverein zu gründen, und zwar nach dem Muster des bekannten Londoner Vereins. Ein solcher Verein würde namentlich den zahlreichen Arbeitern zu gute kommen, welche in Rechtsangelegen- heiten häufig schon durch den Umstand, daß sie der französischen Sprache nicht mächtig, im Nachtheil sind. * Der Verein deutscher Lebensversicherungs=Gesellschaften hielt am 13. d. M. in Berlin seine Jahresversammlung. Die Versamm- lung beauftragte den Ausschuß an das Bundeskanzleramt des nord- deutschen Bundes das Gesuch zu richten, vor Erlaß eines Versicherungs-

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Zitationshilfe: Der Arbeitgeber. Nr. 669. Frankfurt a. M., 25. Februar 1870, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_arbeitgeber0669_1870/3>, abgerufen am 21.11.2024.