[N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852.Art der Auffassung dieses Bekenntnisses und die Vorstellungen, Art der Auffaſſung dieſes Bekenntniſſes und die Vorſtellungen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0086" n="80"/> Art der Auffaſſung dieſes Bekenntniſſes und die Vorſtellungen,<lb/> welche wir mit demſelben verbinden, gar nicht in unſere<lb/> Wahl gelegt ſind. Auch in Bezug auf den <hi rendition="#g">denkenden</hi> Geiſt<lb/> gilt, was in Bezug auf die <hi rendition="#g">ſittliche</hi> Kraft des Glaubens:<lb/> Man glaubt nicht, was man glauben <hi rendition="#g">will,</hi> ſondern was<lb/> man glauben <hi rendition="#g">kann.</hi> Und auch das iſt unbeſtritten, daß in<lb/> unſerem Glaubensbekenntniſſe und in unſerer Form des<lb/> Glaubens uns gar nichts gleichgültig, gar nichts unwichtig<lb/> ſein ſoll. Jhr ſollt die Form hochachten um des Jnhalts<lb/> willen, wie ihr den Körper hochachten ſollt um der Seele<lb/> willen. Und wo ihr berufen ſeid, euren Glauben zu be-<lb/> kennen und zu lehren, da ſollt ihr ihn ganz ſo lehren, wie<lb/> ihr ihn in euch traget, unverhüllt, mit ehrlichem Wort, im<lb/> Ganzen und in ſeinen Theilen. Aber das gleiche Recht ſollt<lb/> ihr auch Andern zugeſtehen, und <hi rendition="#g">Dieſen</hi> gegenüber ſollt ihr<lb/> euch erinnern, daß Chriſtus nicht ſagte: „An ihrem <hi rendition="#g">Glau-<lb/> bensbekenntniß</hi> ſollt ihr ſie erkennen,“ ſondern „an<lb/> ihren <hi rendition="#g">Früchten.</hi>“ Dieſen gegenüber ſollt ihr euch erinnern,<lb/> daß die <hi rendition="#g">Geſinnung</hi> nicht bedingt iſt durch die <hi rendition="#g">Formen<lb/> der Vorſtellungen.</hi> Und wie ihr im gewöhnlichen Leben<lb/> über den Charakter des Menſchen nicht nach der Farbe ſeiner<lb/> Haare, nicht nach der Form ſeines Körpers urtheilct, ebenſo<lb/> ſollt ihr auch bei eurem Urtheil über die religiöſe Geſinnung<lb/> verfahren. Jhr ſaget freilich: „Nur <hi rendition="#g">eine</hi> Form des Glau-<lb/> bens kann die richtige ſein“, und darüber wird zuletzt auch<lb/> Niemand mit euch ſtreiten. Aber wenn ihr daraus folgert,<lb/> daß Diejenigen, welche dieſe allein richtige Form ſich nicht an-<lb/> geeignet haben, Ketzer ſeien, ſo ſind wir eben Alle ſammt<lb/> und ſonders Ketzer, denn ſogar der Verſtand der Allerver-<lb/> ſtändigſten iſt nicht im Stande, die reine göttliche Wahrheit<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [80/0086]
Art der Auffaſſung dieſes Bekenntniſſes und die Vorſtellungen,
welche wir mit demſelben verbinden, gar nicht in unſere
Wahl gelegt ſind. Auch in Bezug auf den denkenden Geiſt
gilt, was in Bezug auf die ſittliche Kraft des Glaubens:
Man glaubt nicht, was man glauben will, ſondern was
man glauben kann. Und auch das iſt unbeſtritten, daß in
unſerem Glaubensbekenntniſſe und in unſerer Form des
Glaubens uns gar nichts gleichgültig, gar nichts unwichtig
ſein ſoll. Jhr ſollt die Form hochachten um des Jnhalts
willen, wie ihr den Körper hochachten ſollt um der Seele
willen. Und wo ihr berufen ſeid, euren Glauben zu be-
kennen und zu lehren, da ſollt ihr ihn ganz ſo lehren, wie
ihr ihn in euch traget, unverhüllt, mit ehrlichem Wort, im
Ganzen und in ſeinen Theilen. Aber das gleiche Recht ſollt
ihr auch Andern zugeſtehen, und Dieſen gegenüber ſollt ihr
euch erinnern, daß Chriſtus nicht ſagte: „An ihrem Glau-
bensbekenntniß ſollt ihr ſie erkennen,“ ſondern „an
ihren Früchten.“ Dieſen gegenüber ſollt ihr euch erinnern,
daß die Geſinnung nicht bedingt iſt durch die Formen
der Vorſtellungen. Und wie ihr im gewöhnlichen Leben
über den Charakter des Menſchen nicht nach der Farbe ſeiner
Haare, nicht nach der Form ſeines Körpers urtheilct, ebenſo
ſollt ihr auch bei eurem Urtheil über die religiöſe Geſinnung
verfahren. Jhr ſaget freilich: „Nur eine Form des Glau-
bens kann die richtige ſein“, und darüber wird zuletzt auch
Niemand mit euch ſtreiten. Aber wenn ihr daraus folgert,
daß Diejenigen, welche dieſe allein richtige Form ſich nicht an-
geeignet haben, Ketzer ſeien, ſo ſind wir eben Alle ſammt
und ſonders Ketzer, denn ſogar der Verſtand der Allerver-
ſtändigſten iſt nicht im Stande, die reine göttliche Wahrheit
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/nn_anarchie_1852 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/nn_anarchie_1852/86 |
Zitationshilfe: | [N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_anarchie_1852/86>, abgerufen am 16.02.2025. |