[N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852.in der freithätigen Wirksamkeit der Kraft des Begriffes in der freithätigen Wirkſamkeit der Kraft des Begriffes <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0067" n="61"/> in der freithätigen Wirkſamkeit der Kraft des Begriffes<lb/> beirren läßt und dem niedrigen Vorurtheil der Thatſachen<lb/> die untrügliche Macht des reinen Denkens entgegenſtellt.<lb/> Ernſtlich geſprochen, es iſt weit gekommen in Deutſchland.<lb/> Sonſt verlangte man von einem „<hi rendition="#g">wiſſenſchaftlichen</hi>“<lb/> Buche vor Allem ein gründliches und umfaſſendes Studium<lb/> der Thatſachen, ſodann eine der Natur dieſer Thatſachen<lb/> entſprechende klare Anordnung des Stoffes, und endlich ein<lb/> aus dieſen Thatſachen geſchöpftes beſtimmtes Urtheil. Jetzt<lb/> hat die Begriffsverwirrung auch dieſes von uns ſonſt ſo hoch<lb/> geachtete Wort erfaßt, denn jetzt verſteht man (<hi rendition="#g">man,</hi> d. h.<lb/> unſere reinen Denker und ihr bereits ſehr zahlreicher Anhang)<lb/> unter einem wiſſenſchaftlichen Buche ein ſolches, deſſen Ver-<lb/> faſſer das Talent beſitzt, aus einem halben Dutzend philo-<lb/> ſophiſch klingender Sätze und Gegenſätze, je nachdem man es<lb/> verlangt, entweder ein Lehrbuch der Geſchichte, oder eine Gram-<lb/> matik über eine beliebige Sprache, oder ein Handbuch der Na-<lb/> turgeſchichte, oder was ſonſt gerade die Aufgabe iſt, zu ent-<lb/> wickeln, und zwar nöthigenfalls ohne alles tiefere Studium<lb/> des Gegenſtandes, rein durch die Kraft des Begriffes und<lb/> mit ſouveräner Geringſchätzung der Thatſachen. Wenn Solches<lb/> in Deutſchland geſchehen kann, in einem Lande, welches ſonſt<lb/> ſo ſtolz war auf ſeinen wiſſenſchaftlichen Ruhm, daß es ſich<lb/> nicht ſelten gegenüber von anderen Nationen ſogar über den<lb/> Mangel an nationaler Einheit und Größe zu tröſten ſchien<lb/> in dem Gedanken an den wiſſenſchaftlichen Ernſt und an die<lb/> gründlichen Leiſtungen ſeiner Gelehrten, — wenn Solches<lb/> bei uns ungeſtraft geſchehen kann, dann ſollte man faſt<lb/> glauben, der Anfang vom Ende ſei gekommen. Was bleibt<lb/> uns denn da noch übrig, worauf wir ſtolz ſein könnten,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [61/0067]
in der freithätigen Wirkſamkeit der Kraft des Begriffes
beirren läßt und dem niedrigen Vorurtheil der Thatſachen
die untrügliche Macht des reinen Denkens entgegenſtellt.
Ernſtlich geſprochen, es iſt weit gekommen in Deutſchland.
Sonſt verlangte man von einem „wiſſenſchaftlichen“
Buche vor Allem ein gründliches und umfaſſendes Studium
der Thatſachen, ſodann eine der Natur dieſer Thatſachen
entſprechende klare Anordnung des Stoffes, und endlich ein
aus dieſen Thatſachen geſchöpftes beſtimmtes Urtheil. Jetzt
hat die Begriffsverwirrung auch dieſes von uns ſonſt ſo hoch
geachtete Wort erfaßt, denn jetzt verſteht man (man, d. h.
unſere reinen Denker und ihr bereits ſehr zahlreicher Anhang)
unter einem wiſſenſchaftlichen Buche ein ſolches, deſſen Ver-
faſſer das Talent beſitzt, aus einem halben Dutzend philo-
ſophiſch klingender Sätze und Gegenſätze, je nachdem man es
verlangt, entweder ein Lehrbuch der Geſchichte, oder eine Gram-
matik über eine beliebige Sprache, oder ein Handbuch der Na-
turgeſchichte, oder was ſonſt gerade die Aufgabe iſt, zu ent-
wickeln, und zwar nöthigenfalls ohne alles tiefere Studium
des Gegenſtandes, rein durch die Kraft des Begriffes und
mit ſouveräner Geringſchätzung der Thatſachen. Wenn Solches
in Deutſchland geſchehen kann, in einem Lande, welches ſonſt
ſo ſtolz war auf ſeinen wiſſenſchaftlichen Ruhm, daß es ſich
nicht ſelten gegenüber von anderen Nationen ſogar über den
Mangel an nationaler Einheit und Größe zu tröſten ſchien
in dem Gedanken an den wiſſenſchaftlichen Ernſt und an die
gründlichen Leiſtungen ſeiner Gelehrten, — wenn Solches
bei uns ungeſtraft geſchehen kann, dann ſollte man faſt
glauben, der Anfang vom Ende ſei gekommen. Was bleibt
uns denn da noch übrig, worauf wir ſtolz ſein könnten,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |