krankhaften Denkens sind, auch nach anderen Seiten hin nur Begriffsverwirrung verbreiten können. Diese Quelle aber ist nur abgeleiteter Art, sie ist eine Wirkung des Einflusses unserer Philosophie. Uebrigens ist die Methode, welche in diesen Lehrbüchern herrscht, allzu bezeichnend für die Art un- serer Verstandesbildung, als daß sie hier nicht erwähnt werden sollte. Die nämliche Ueberzeugung von der Allmacht des Verstandes, welche unsere Philosophen verleitet, eine neue Grundlage unserer staatlichen, gesellschaftlichen und Glau- benszustände blos durch die Kraft des Begriffes erzeugen zu wollen, äußert sich auch bei der Abfassung von Lehrbüchern über ganz positive Wissenschaften. Vom Begriff zu den That- sachen, nicht von den Thatsachen zum Begriff, so heißt die neue Methode. Da stellt dann so ein neuwissenschaftlicher Verfasser an die Spitze seines Lehrbuches irgend einen all- gemeinen inhaltleeren Satz über das Seiende und Nicht- seiende, oder etwas der Art, und kommt allmälig, vom All- gemeinen zum Besonderen herabsteigend, zu der Entdeckung, daß die Spinne nach den Gesetzen des Denkens noth- wendig acht Füße haben müsse. Und die ganze gelehrte Welt nickt wohlgefällig Beifall zu diesem Erfolge der Wissenschaft des reinen Denkens. Aber daneben finden sich auch Lehr- bücher, deren Verfasser, von den gleichen Vordersätzen aus- gehend und nach der gleichen Methode, zu dem Schluß kommen, daß die Spinne nach den Gesetzen des Denkens nothwendig neun Füße haben müsse und also auch wirklich habe, und darüber bricht dann die ganze philosophisch gebildete Gelehr- tenwelt in einen unerhörten Beifallssturm aus. Denn das ist ja gerade der höchste Triumph der neuen Wissenschaftlich- keit, daß sie sich durch keine ungerechtfertigte Herkömmlichkeit
krankhaften Denkens ſind, auch nach anderen Seiten hin nur Begriffsverwirrung verbreiten können. Dieſe Quelle aber iſt nur abgeleiteter Art, ſie iſt eine Wirkung des Einfluſſes unſerer Philoſophie. Uebrigens iſt die Methode, welche in dieſen Lehrbüchern herrſcht, allzu bezeichnend für die Art un- ſerer Verſtandesbildung, als daß ſie hier nicht erwähnt werden ſollte. Die nämliche Ueberzeugung von der Allmacht des Verſtandes, welche unſere Philoſophen verleitet, eine neue Grundlage unſerer ſtaatlichen, geſellſchaftlichen und Glau- benszuſtände blos durch die Kraft des Begriffes erzeugen zu wollen, äußert ſich auch bei der Abfaſſung von Lehrbüchern über ganz poſitive Wiſſenſchaften. Vom Begriff zu den That- ſachen, nicht von den Thatſachen zum Begriff, ſo heißt die neue Methode. Da ſtellt dann ſo ein neuwiſſenſchaftlicher Verfaſſer an die Spitze ſeines Lehrbuches irgend einen all- gemeinen inhaltleeren Satz über das Seiende und Nicht- ſeiende, oder etwas der Art, und kommt allmälig, vom All- gemeinen zum Beſonderen herabſteigend, zu der Entdeckung, daß die Spinne nach den Geſetzen des Denkens noth- wendig acht Füße haben müſſe. Und die ganze gelehrte Welt nickt wohlgefällig Beifall zu dieſem Erfolge der Wiſſenſchaft des reinen Denkens. Aber daneben finden ſich auch Lehr- bücher, deren Verfaſſer, von den gleichen Vorderſätzen aus- gehend und nach der gleichen Methode, zu dem Schluß kommen, daß die Spinne nach den Geſetzen des Denkens nothwendig neun Füße haben müſſe und alſo auch wirklich habe, und darüber bricht dann die ganze philoſophiſch gebildete Gelehr- tenwelt in einen unerhörten Beifallsſturm aus. Denn das iſt ja gerade der höchſte Triumph der neuen Wiſſenſchaftlich- keit, daß ſie ſich durch keine ungerechtfertigte Herkömmlichkeit
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0066"n="60"/>
krankhaften Denkens ſind, auch nach anderen Seiten hin nur<lb/>
Begriffsverwirrung verbreiten können. <hirendition="#g">Dieſe</hi> Quelle aber<lb/>
iſt nur abgeleiteter Art, ſie iſt eine Wirkung des Einfluſſes<lb/>
unſerer Philoſophie. Uebrigens iſt die Methode, welche in<lb/>
dieſen Lehrbüchern herrſcht, allzu bezeichnend für die Art un-<lb/>ſerer Verſtandesbildung, als daß ſie hier nicht erwähnt werden<lb/>ſollte. Die nämliche Ueberzeugung von der Allmacht des<lb/>
Verſtandes, welche unſere Philoſophen verleitet, eine neue<lb/>
Grundlage unſerer ſtaatlichen, geſellſchaftlichen und Glau-<lb/>
benszuſtände blos durch die Kraft des Begriffes erzeugen zu<lb/>
wollen, äußert ſich auch bei der Abfaſſung von Lehrbüchern<lb/>
über ganz poſitive Wiſſenſchaften. Vom Begriff zu den That-<lb/>ſachen, nicht von den Thatſachen zum Begriff, ſo heißt die<lb/>
neue Methode. Da ſtellt dann ſo ein neuwiſſenſchaftlicher<lb/>
Verfaſſer an die Spitze ſeines Lehrbuches irgend einen all-<lb/>
gemeinen inhaltleeren Satz über das Seiende und Nicht-<lb/>ſeiende, oder etwas der Art, und kommt allmälig, vom All-<lb/>
gemeinen zum Beſonderen herabſteigend, zu der Entdeckung,<lb/>
daß die Spinne <hirendition="#g">nach den Geſetzen des Denkens</hi> noth-<lb/>
wendig <hirendition="#g">acht</hi> Füße haben müſſe. Und die ganze gelehrte Welt<lb/>
nickt wohlgefällig Beifall zu dieſem Erfolge der Wiſſenſchaft<lb/>
des reinen Denkens. Aber daneben finden ſich auch Lehr-<lb/>
bücher, deren Verfaſſer, von den gleichen Vorderſätzen aus-<lb/>
gehend und nach der gleichen Methode, zu dem Schluß kommen,<lb/>
daß die Spinne nach den Geſetzen des Denkens nothwendig<lb/><hirendition="#g">neun</hi> Füße haben müſſe und alſo auch wirklich <hirendition="#g">habe,</hi> und<lb/>
darüber bricht dann die ganze philoſophiſch gebildete Gelehr-<lb/>
tenwelt in einen unerhörten Beifallsſturm aus. Denn das<lb/>
iſt ja gerade der höchſte Triumph der neuen Wiſſenſchaftlich-<lb/>
keit, daß ſie ſich durch keine ungerechtfertigte Herkömmlichkeit<lb/></p></div></body></text></TEI>
[60/0066]
krankhaften Denkens ſind, auch nach anderen Seiten hin nur
Begriffsverwirrung verbreiten können. Dieſe Quelle aber
iſt nur abgeleiteter Art, ſie iſt eine Wirkung des Einfluſſes
unſerer Philoſophie. Uebrigens iſt die Methode, welche in
dieſen Lehrbüchern herrſcht, allzu bezeichnend für die Art un-
ſerer Verſtandesbildung, als daß ſie hier nicht erwähnt werden
ſollte. Die nämliche Ueberzeugung von der Allmacht des
Verſtandes, welche unſere Philoſophen verleitet, eine neue
Grundlage unſerer ſtaatlichen, geſellſchaftlichen und Glau-
benszuſtände blos durch die Kraft des Begriffes erzeugen zu
wollen, äußert ſich auch bei der Abfaſſung von Lehrbüchern
über ganz poſitive Wiſſenſchaften. Vom Begriff zu den That-
ſachen, nicht von den Thatſachen zum Begriff, ſo heißt die
neue Methode. Da ſtellt dann ſo ein neuwiſſenſchaftlicher
Verfaſſer an die Spitze ſeines Lehrbuches irgend einen all-
gemeinen inhaltleeren Satz über das Seiende und Nicht-
ſeiende, oder etwas der Art, und kommt allmälig, vom All-
gemeinen zum Beſonderen herabſteigend, zu der Entdeckung,
daß die Spinne nach den Geſetzen des Denkens noth-
wendig acht Füße haben müſſe. Und die ganze gelehrte Welt
nickt wohlgefällig Beifall zu dieſem Erfolge der Wiſſenſchaft
des reinen Denkens. Aber daneben finden ſich auch Lehr-
bücher, deren Verfaſſer, von den gleichen Vorderſätzen aus-
gehend und nach der gleichen Methode, zu dem Schluß kommen,
daß die Spinne nach den Geſetzen des Denkens nothwendig
neun Füße haben müſſe und alſo auch wirklich habe, und
darüber bricht dann die ganze philoſophiſch gebildete Gelehr-
tenwelt in einen unerhörten Beifallsſturm aus. Denn das
iſt ja gerade der höchſte Triumph der neuen Wiſſenſchaftlich-
keit, daß ſie ſich durch keine ungerechtfertigte Herkömmlichkeit
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_anarchie_1852/66>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.