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[N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852.

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einbildet, daß, wenn erst die rechte Glaubensform in den
Köpfen stecke, der Glaube selbst schon nachkommen werde,
dann wird man in gemischten Gemeinden stets die Prose-
lytenmacherei fürchten, und es werden auch in ungemischten
Gemeinden eine Menge Eltern diese Art von Einfluß der
Geistlichen auf ihre Kinder nicht erweitert sehen wollen.
Und wenn anderer Seits die Schule Verstandesbildung
und menschliches Wissen als ihre einzige oder höchste Auf-
gabe betrachtet, weil sie sich einbildet, daß, wenn erst die
Verstandesbildung ihre ganze formale Entwickelung erlangt
habe, auch der rechte Glaube fix und fertig dastehen werde,
dann wird sie gegen jeden Einfluß der Kirche, selbst gegen
den heilsamsten und wünschenswerthesten, protestiren. Die
Extreme berühren sich hier nicht in ihren Folgerungen, aber
wohl in den Grundsätzen, von welchen sie ausgehen. Beide
hoffen, aus der Form heraus den Jnhalt zu produziren.
Hätten sie recht, so müßten wir jetzt überreich an Glauben
sein, denn wir ersticken bald in Formen.

Aber noch ein anderes, unsere Verkehrtheiten in das
grellste Licht stellendes Zeichen unserer Zeit verdient hier
erwähnt zu werden. Wer von den Einrichtungen, welche
in den für die männliche Schuljugend bestimmten Unter-
richtsanstalten bestehen, und von der Richtung, welche in
ihnen vorherrscht, nicht das Mindeste wüßte, der dürfte,
um sich zu überzeugen, in wie hohem Grade das sittlich
erziehende Prinzip bei uns in Vergessenheit und Mißachtung
gerathen sein müsse, nur unsere Mädchenschulen nach
ihrer vorherrschenden Richtung betrachten. Denn das wird
doch jeder vernünftige Mensch zugeben, daß für das weib-
liche
Geschlecht das Wissen, der Umfang der positiven

einbildet, daß, wenn erſt die rechte Glaubensform in den
Köpfen ſtecke, der Glaube ſelbſt ſchon nachkommen werde,
dann wird man in gemiſchten Gemeinden ſtets die Proſe-
lytenmacherei fürchten, und es werden auch in ungemiſchten
Gemeinden eine Menge Eltern dieſe Art von Einfluß der
Geiſtlichen auf ihre Kinder nicht erweitert ſehen wollen.
Und wenn anderer Seits die Schule Verſtandesbildung
und menſchliches Wiſſen als ihre einzige oder höchſte Auf-
gabe betrachtet, weil ſie ſich einbildet, daß, wenn erſt die
Verſtandesbildung ihre ganze formale Entwickelung erlangt
habe, auch der rechte Glaube fix und fertig daſtehen werde,
dann wird ſie gegen jeden Einfluß der Kirche, ſelbſt gegen
den heilſamſten und wünſchenswertheſten, proteſtiren. Die
Extreme berühren ſich hier nicht in ihren Folgerungen, aber
wohl in den Grundſätzen, von welchen ſie ausgehen. Beide
hoffen, aus der Form heraus den Jnhalt zu produziren.
Hätten ſie recht, ſo müßten wir jetzt überreich an Glauben
ſein, denn wir erſticken bald in Formen.

Aber noch ein anderes, unſere Verkehrtheiten in das
grellſte Licht ſtellendes Zeichen unſerer Zeit verdient hier
erwähnt zu werden. Wer von den Einrichtungen, welche
in den für die männliche Schuljugend beſtimmten Unter-
richtsanſtalten beſtehen, und von der Richtung, welche in
ihnen vorherrſcht, nicht das Mindeſte wüßte, der dürfte,
um ſich zu überzeugen, in wie hohem Grade das ſittlich
erziehende Prinzip bei uns in Vergeſſenheit und Mißachtung
gerathen ſein müſſe, nur unſere Mädchenſchulen nach
ihrer vorherrſchenden Richtung betrachten. Denn das wird
doch jeder vernünftige Menſch zugeben, daß für das weib-
liche
Geſchlecht das Wiſſen, der Umfang der poſitiven

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[103/0109] einbildet, daß, wenn erſt die rechte Glaubensform in den Köpfen ſtecke, der Glaube ſelbſt ſchon nachkommen werde, dann wird man in gemiſchten Gemeinden ſtets die Proſe- lytenmacherei fürchten, und es werden auch in ungemiſchten Gemeinden eine Menge Eltern dieſe Art von Einfluß der Geiſtlichen auf ihre Kinder nicht erweitert ſehen wollen. Und wenn anderer Seits die Schule Verſtandesbildung und menſchliches Wiſſen als ihre einzige oder höchſte Auf- gabe betrachtet, weil ſie ſich einbildet, daß, wenn erſt die Verſtandesbildung ihre ganze formale Entwickelung erlangt habe, auch der rechte Glaube fix und fertig daſtehen werde, dann wird ſie gegen jeden Einfluß der Kirche, ſelbſt gegen den heilſamſten und wünſchenswertheſten, proteſtiren. Die Extreme berühren ſich hier nicht in ihren Folgerungen, aber wohl in den Grundſätzen, von welchen ſie ausgehen. Beide hoffen, aus der Form heraus den Jnhalt zu produziren. Hätten ſie recht, ſo müßten wir jetzt überreich an Glauben ſein, denn wir erſticken bald in Formen. Aber noch ein anderes, unſere Verkehrtheiten in das grellſte Licht ſtellendes Zeichen unſerer Zeit verdient hier erwähnt zu werden. Wer von den Einrichtungen, welche in den für die männliche Schuljugend beſtimmten Unter- richtsanſtalten beſtehen, und von der Richtung, welche in ihnen vorherrſcht, nicht das Mindeſte wüßte, der dürfte, um ſich zu überzeugen, in wie hohem Grade das ſittlich erziehende Prinzip bei uns in Vergeſſenheit und Mißachtung gerathen ſein müſſe, nur unſere Mädchenſchulen nach ihrer vorherrſchenden Richtung betrachten. Denn das wird doch jeder vernünftige Menſch zugeben, daß für das weib- liche Geſchlecht das Wiſſen, der Umfang der poſitiven

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Zitationshilfe: [N. N.]: Unsere moderne Bildung im Bunde mit der Anarchie. Stuttgart, 1852, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_anarchie_1852/109>, abgerufen am 28.11.2024.