Allgemeine Zeitung, Nr. 99, 9. April 1849.Beilage zu Nr. 99 der Allgemeinen Zeitung vom 9 April 1849. [Spaltenumbruch] Die augenblickliche Lage der schleswig-holstein'schenAngelegenheit. lo Schleswig-Holstein, 30 März. (Beschluß.) Was nun Im März des vorigen Jahrs übernahm Preußen die Angelegenheit Von Oesterreich, das Dänemark ferner steht, nur das eine: daß es Fassen wir nun diese Verhältnisse zusammen, was ergibt ergibt sich Werfen wir jetzt einen Blick auf die Verhältnisse in den Herzogthü- Beilage zu Nr. 99 der Allgemeinen Zeitung vom 9 April 1849. [Spaltenumbruch] Die augenblickliche Lage der ſchleswig-holſtein’ſchenAngelegenheit. ᘣ Schleswig-Holſtein, 30 März. (Beſchluß.) Was nun Im März des vorigen Jahrs übernahm Preußen die Angelegenheit Von Oeſterreich, das Dänemark ferner ſteht, nur das eine: daß es Faſſen wir nun dieſe Verhältniſſe zuſammen, was ergibt ergibt ſich Werfen wir jetzt einen Blick auf die Verhältniſſe in den Herzogthü- <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0009"/> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <front> <titlePage type="heading"> <docTitle> <titlePart type="main"> <hi rendition="#b">Beilage zu Nr. 99 der Allgemeinen Zeitung vom 9 April 1849.</hi> </titlePart> </docTitle> </titlePage> </front><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb/> <body> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div n="3"> <head> <hi rendition="#b">Die augenblickliche Lage der ſchleswig-holſtein’ſchenAngelegenheit.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="4"><lb/> <dateline>ᘣ <hi rendition="#b">Schleswig-Holſtein,</hi> 30 März.</dateline><lb/> <p>(<hi rendition="#g">Beſchluß</hi>.) 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Gewiß iſt daß die Entſcheidung jetzt allein in Preu-<lb/> ßens Händen liegt; wenden wir uns ihm und ſeinem großen Rivalen —<lb/> dem alten Kaiſerreich — Oeſterreich zu.</p><lb/> <p>Im März des vorigen Jahrs übernahm Preußen die Angelegenheit<lb/> der Herzogthümer, nicht aus freiem und großem politiſchen Geſichtspunkte,<lb/> ſondern aus einer Reihe von kleineren die man in Berlin mehr oder weni-<lb/> ger richtig auffaßte. Es lag in der Natur der Sache daß man bei einem<lb/> ſolchen Anfange gar kein letztes Ziel hatte, und daher außer Stande war,<lb/> bei dem Mangel aller eigenen Politik, den politiſchen Einflüſſen von Ruß-<lb/> land, Oeſterreich und Dänemark zu widerſtehen. Noch in dieſem Augen-<lb/> blick weiß kein Menſch was Preußen eigentlich in Schleswig-Holſtein will;<lb/> die Rathloſtgkeit iſt die unausbleibliche Folge der Planloſigkeit mit der<lb/> man dieſe ſo hochwichtige Frage im vorigen Jahre erfaßte, und jetzt leidet<lb/> das Cabinet darunter daß es ſich nie ein Ende dieſes Streites, und nie ein<lb/> rechtes Ziel ſeiner Betheiligung dabei klar gedacht hat. Denn alle die Er-<lb/> wägungen die Preußen damals beſtimmten einzugreifen, waren bis auf<lb/> Eine höchſt untergeordneter Natur, und die einzig wahrhaft ſtaatsmänni-<lb/> ſche hätte, wenn man ſie recht verſtanden hätte, durchaus ein ganz anderes<lb/> Auftreten gefordert. Was in der That konnte es werth ſeyn die Garden<lb/> nach Schleswig zu ſchicken, aber keinem andern Fürſten die Execution über-<lb/> kommen zu laſſen, oder gar jene Angſt vor einer nordalbingiſchen Repu-<lb/> blick mit der das Berliner Cabinet dem Kopenhagener gegenüber debutirte?<lb/> War das alles der Mühe werth ſich mit ganz Europa zu brouilliren?<lb/> Aber nein; es gab etwas anderes das man als das Entſcheidende aner-<lb/> kannte. Das war die öffentliche Meinung Deutſchlands, die um jeden<lb/> Preis eine Unterſtützung der Herzogthümer forderte; und mit dieſer wollte<lb/> man damals nicht im Conflicte ſtehen. Es kam dazu daß Preußen, weit<lb/> vorausſehend, ſchon damals in den Herzogthümern zwei, wenn auch nicht<lb/> adminiſtrative, ſo doch politiſche Provinzen ſeines Staats gewinnen konnte;<lb/> es tauchte vor ihm ſchon damals die Hoffnung der Kaiſerkrone auf, und<lb/> dieß Schleswig-Holſtein war wie geſchaffen dazu ſich nach außen hin als<lb/> Vertreter des ganzen Deutſchlands Anerkennung zu verſchaffen. Das nun<lb/> hatte einen guten, einen großartigen Sinn; in dieſem Sinne nahm Preu-<lb/> ßen mit vollem Recht die volle Verantwortung der Leitung unſerer Ange-<lb/> legenheit in die Hände, und wir dürfen es verſichern daß der verſtändige<lb/> Theil der Bewohner der Herzogthümer — mochte nun ſeine politiſche<lb/> Ueberzeugung ſeyn wie ſie wollte — mit aller Kraft dieß Auftreten Preu-<lb/> ßens unterſtützte. Allein mitten in dieſem entſcheidenden Punkte, gleich-<lb/> ſam auf der erſten Stufe des factiſchen Kaiſerthrones, hielt Preußen plötz-<lb/> lich inne. Es ſchlug die Dänen bei Schleswig, aber es ließ ihre Armee ent-<lb/> kommen; es marſchirte nach Jütland, aber es kehrte ſchleunigſt zurück; es<lb/> ſiegte wie in ſeinen ſchönſten Zeiten, aber es flehte um einen Waffenſtillſtand<lb/> wie in ſeinen unglücklichſten. 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Jetzt war — es war am Ende Mais —<lb/> der Augenblick gekommen wo Preußen ſich zuſammennehmen mußte; es<lb/> mußte die Möglichkeit eines Krieges, die Wahrſcheinlichkeit und Unwahr-<lb/> ſcheinlichkeit eines franzöſtſchen und ruſſiſchen Angriffes gegen die hohe<lb/> Bedeutung ſeiner eigenen Stellung abwägen; es mußte wieder einmal be-<lb/> denken daß es doch ein- für allemal Deutſchland und die deutſchen Inter-<lb/> eſſen ganz fallen laſſen, das alte Preußen bleiben, oder ſich auf den euro-<lb/> päiſchen Krieg gefaßt machen mußte. Einmal mußte dieß doch geſchehen,<lb/> und dann je eher je lieber; hier war der Anlaß; es galt nur den Muth da-<lb/> zu, und Preußen hatte ihn <hi rendition="#g">nicht!</hi> Von da an iſt das Ganze eine klägliche<lb/> Geſchichte von der wir nicht weiter reden wollen. Allein dennoch müſſen<lb/> wir dabei beharren daß <hi rendition="#g">noch in dieſem Augenblick</hi> die Sachen ſtehen<lb/> wie vor einem Jahre; Preußen hat die politiſche, die deutſche Pflicht dem<lb/> übrigen Europa die entſchiedene Alternative hinzuſtellen: Krieg, oder Ein-<lb/> heit von Schleswig-Holſtein in Verbindung mit Deutſchland. Glaubt<lb/> man denn wirklich daß die Mächte von denen wir geredet um dieſer Frage<lb/> willen den Krieg vorziehen werden, einen Krieg deſſen Ausgang — ja<lb/> vielleicht deſſen Anfang ſchon <hi rendition="#g">das einheitliche Deutſchland conſti-<lb/> tuiren</hi> würde? Einen Krieg deſſen Gefahr Preußen doch entgegengeht<lb/> wenn es die Kaiſerkrone annimmt? Mit unglückſeliger Halbheit hat Preu-<lb/> ßen in der ſchleswig-holſteiniſchen Sache bisher gehandelt; es hat dafür<lb/> ſchon vieles leiden müſſen; noch einmal wirft ihm die freundliche Hand des<lb/> Geſchickes die entſcheidende Alternative zu; wird es jetzt die edlere Wahl<lb/> treffen?</p><lb/> <p>Von Oeſterreich, das Dänemark ferner ſteht, nur das eine: daß es<lb/> mit großer Mißgunſt ſah wie Preußen die Herzogthümer wirklich durch<lb/> alle ihm zu Gebot ſtehenden Mittel zu politiſchen Anhängſeln ſeines Sy-<lb/> ſtems machte, und jede Selbſtändigkeit derſelben tödtete. Es wußte kein<lb/> anderes Gegengewicht, als daß es ſich faſt direct mit Dänemark verbündete,<lb/> und in dem noch immer als legitim anerkannten Landesherrn <hi rendition="#g">ſeinen</hi><lb/> Bundesgenoſſen aufſtellte. Das wird das ganze Benehmen Oeſterreichs in<lb/> dieſer Frage hinreichend erklären; es bildet dieß auch noch gegenwärtig die<lb/> Grundlage ſeiner Politik in der ſchleswig-holſtein’ſchen Frage, und bedarf<lb/> keiner weiteren Erörterung.</p><lb/> <p>Faſſen wir nun dieſe Verhältniſſe zuſammen, was ergibt ergibt ſich<lb/> als allgemeinſtes Reſultat? Preußen hat nicht gewagt den Knoten zu<lb/> durchhauen, weil es den Krieg fürchtete; die andern Mächte kannten dieſe<lb/> Furcht und haben ſie trefflich benutzt; dennoch iſt es gewiß daß zwar keine<lb/> Macht die Herzogthümer dem deutſchen Reiche gönnt, daß aber keine von<lb/> ihnen — außer Rußland — auch nur Luſt haben würde einen Krieg um<lb/> ihretwillen zu beginnen; daß auch Rußland dieß jetzt nicht wollen kann;<lb/> daß ſie aber alle mit großen Drohungen und Intriguen das preußiſche<lb/> Cabinet umlagern, um dasſelbe mit der Furcht vor einem Kriege von der<lb/> Erwerbung der Herzogthümer für Deutſchland wegzuſcheuchen; daß nie-<lb/> mand von ihnen an den wirklichen Krieg denkt wenn Preußen Garantie<lb/> gibt daß es nicht erobern will — etwa eine Theilung des nördlichen Schles-<lb/> wig ſoweit es däniſch ſeyn will; daß aber Preußen nicht die rechte Energie<lb/> hat die Sache zu enden, weil es noch immer von allerlei Verhandlungen<lb/> hofft was es durch ein entſchiedenes Wort und durch hunderttauſend<lb/> Mann im vorigen Jahre ſchon lange ohne wirklichen Krieg erreicht hätte;<lb/> und daß endlich Rußland ſich unendlich freut dieß Preußen im Norden<lb/> fortwährend beſchäftigt zu ſehen mit einem europäiſchen Kriegsgeſpenſt,<lb/> während es ſelber an der Donau ganz ſtille ſeine kleinen Erwerbungen<lb/> macht. Die beklagenswerthen Folgen dieſes unglücklichen Verhältniſſes<lb/> werden ein trauriger Frieden ſeyn, deſſen Beſtimmungen höchſt wahr-<lb/> ſcheinlich Schleswig von Holſtein trennen, dem erſtern eine angebliche<lb/> Selbſtändigkeit zuſichern und ſomit den Lebenskeim der Herzogthümer<lb/> brechen und die Zukunft einer deutſchen Seemacht ſchon im Keime erſticken<lb/> werden! Solches geſchieht, wenn nicht ein klarer großartiger Geiſt die<lb/> Kräfte der deutſchen Staaten lenkt; die kommende Zeit wird ihr ernſtes<lb/> Urtheil darüber nicht zurückhalten, und wir fürchten ſchon die Gegenwart<lb/> wird die Folgen gewiß empfinden, ungewiß ob ſie ſie ertragen wird. Die<lb/> Fremden aber, und vor allen Rußland und Frankreich, werden ſich freuen.</p><lb/> <p>Werfen wir jetzt einen Blick auf die Verhältniſſe in den Herzogthü-<lb/> mern. Als im vorigen Jahre die Herzogthümer ſich erhoben, gab es in<lb/> der Maſſe des Volkes ſowie der Intelligenz zwei Parteien, die aber beide<lb/> keineswegs zur rechten Klarheit über ihr Endziel gekommen waren. Die<lb/> erſte war aus der ſogenannten altſchleswig-holſteiniſchen Schule und aus<lb/> der Ariſtokratie des Landes gebildet; ſie ging durchaus von dem hiſtori-<lb/> ſchen Rechte aus, kümmerte ſich wenig um das Verhältniß zu Deutſch-<lb/> lands Zukunft, und wollte nichts anderes als die Erhaltung des alten<lb/> Verhältniſſes zu Dänemark mit etwaiger gemeinſamer Verfaſſung und<lb/> adminiſtrativer Selbſtändigkeit Dänemark gegenüber. Die andere war<lb/> die eigentlich deutſche Partei oder Richtung. Sie wollte, in der feſten<lb/> Ueberzeugung daß jede Verbindung mit Dänemark nur zum Unſegen<lb/> führe, eine völlige Trennung von demſelben, eine abſolute Hingabe an<lb/> Deutſchland. Die Ereigniſſe gingen ſo raſch daß beide Parteien gar nicht<lb/> zur gegenſeitigen Erörterung gelangten. Die erſte Partei trug durch die<lb/> höchſt gewandte Befitzergreifung der Regierungsgewalt den entſchiedenen<lb/> Sieg davon. Sie begann mit der vollkommenſten und allerunterthänig-<lb/> ſten Anerkennung des Königs von Dänemark als des legitimen Landes-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [0009]
Beilage zu Nr. 99 der Allgemeinen Zeitung vom 9 April 1849.
Die augenblickliche Lage der ſchleswig-holſtein’ſchenAngelegenheit.
ᘣ Schleswig-Holſtein, 30 März.
(Beſchluß.) Was nun
Deutſchland und ſeine Centralgewalt betrifft, ſo werden wir kurz ſeyn.
Es iſt nicht erfreulich dieß Gebiet zu berühren. Niemals hatte man beſſern
Anlaß ein Reichsgebiet zu ſchaffen. Die Intereſſen Schleswig-Holſteins
ſind nur allgemein deutſche; der Kampf war ein allgemein deutſcher; der
Geiſt der Herzogthümer glühte für Deutſchland; aber man hat in Frank-
furt dieß Schleswig-Holſtein förmlich an Preußen mit gebundenen Hän-
den übergeben. Ob zum unmittelbaren Heile beider oder nicht, iſt jetzt
nutzlos zu unterſuchen. Gewiß iſt daß die Entſcheidung jetzt allein in Preu-
ßens Händen liegt; wenden wir uns ihm und ſeinem großen Rivalen —
dem alten Kaiſerreich — Oeſterreich zu.
Im März des vorigen Jahrs übernahm Preußen die Angelegenheit
der Herzogthümer, nicht aus freiem und großem politiſchen Geſichtspunkte,
ſondern aus einer Reihe von kleineren die man in Berlin mehr oder weni-
ger richtig auffaßte. Es lag in der Natur der Sache daß man bei einem
ſolchen Anfange gar kein letztes Ziel hatte, und daher außer Stande war,
bei dem Mangel aller eigenen Politik, den politiſchen Einflüſſen von Ruß-
land, Oeſterreich und Dänemark zu widerſtehen. Noch in dieſem Augen-
blick weiß kein Menſch was Preußen eigentlich in Schleswig-Holſtein will;
die Rathloſtgkeit iſt die unausbleibliche Folge der Planloſigkeit mit der
man dieſe ſo hochwichtige Frage im vorigen Jahre erfaßte, und jetzt leidet
das Cabinet darunter daß es ſich nie ein Ende dieſes Streites, und nie ein
rechtes Ziel ſeiner Betheiligung dabei klar gedacht hat. Denn alle die Er-
wägungen die Preußen damals beſtimmten einzugreifen, waren bis auf
Eine höchſt untergeordneter Natur, und die einzig wahrhaft ſtaatsmänni-
ſche hätte, wenn man ſie recht verſtanden hätte, durchaus ein ganz anderes
Auftreten gefordert. Was in der That konnte es werth ſeyn die Garden
nach Schleswig zu ſchicken, aber keinem andern Fürſten die Execution über-
kommen zu laſſen, oder gar jene Angſt vor einer nordalbingiſchen Repu-
blick mit der das Berliner Cabinet dem Kopenhagener gegenüber debutirte?
War das alles der Mühe werth ſich mit ganz Europa zu brouilliren?
Aber nein; es gab etwas anderes das man als das Entſcheidende aner-
kannte. Das war die öffentliche Meinung Deutſchlands, die um jeden
Preis eine Unterſtützung der Herzogthümer forderte; und mit dieſer wollte
man damals nicht im Conflicte ſtehen. Es kam dazu daß Preußen, weit
vorausſehend, ſchon damals in den Herzogthümern zwei, wenn auch nicht
adminiſtrative, ſo doch politiſche Provinzen ſeines Staats gewinnen konnte;
es tauchte vor ihm ſchon damals die Hoffnung der Kaiſerkrone auf, und
dieß Schleswig-Holſtein war wie geſchaffen dazu ſich nach außen hin als
Vertreter des ganzen Deutſchlands Anerkennung zu verſchaffen. Das nun
hatte einen guten, einen großartigen Sinn; in dieſem Sinne nahm Preu-
ßen mit vollem Recht die volle Verantwortung der Leitung unſerer Ange-
legenheit in die Hände, und wir dürfen es verſichern daß der verſtändige
Theil der Bewohner der Herzogthümer — mochte nun ſeine politiſche
Ueberzeugung ſeyn wie ſie wollte — mit aller Kraft dieß Auftreten Preu-
ßens unterſtützte. Allein mitten in dieſem entſcheidenden Punkte, gleich-
ſam auf der erſten Stufe des factiſchen Kaiſerthrones, hielt Preußen plötz-
lich inne. Es ſchlug die Dänen bei Schleswig, aber es ließ ihre Armee ent-
kommen; es marſchirte nach Jütland, aber es kehrte ſchleunigſt zurück; es
ſiegte wie in ſeinen ſchönſten Zeiten, aber es flehte um einen Waffenſtillſtand
wie in ſeinen unglücklichſten. Warum? Weil es nicht den Muth hatte zu
wollen, was es doch den Muth hatte zu wünſchen! Es iſt kaum
mehr zweifelhaft daß es erſt nach dem Siege bei Schleswig in das faſt in-
ſtinctartige Bewußtſeyn von der Nothwendigkeit der Vertretung Deutſch-
lands durch Preußen um Preußens willen den Berliner Staatsmännern
klar wurde, von welcher europäiſchen Bedeutung dieſe ſchleswig-holſteini-
ſche Frage ſey; da erſt begriff man daß alle andern Mächte ein mehr oder
minder großes und mehr oder minder directes Intereſſe daran hatten daß
Preußen nicht ſiege, Schleswig nicht von Dänemark getrennt werde, die
deutſche Einheit in dieſer ihrer erſten Lebensfrage nicht als eine Macht mit
der man rechnen dürfe auftrete. Jetzt war — es war am Ende Mais —
der Augenblick gekommen wo Preußen ſich zuſammennehmen mußte; es
mußte die Möglichkeit eines Krieges, die Wahrſcheinlichkeit und Unwahr-
ſcheinlichkeit eines franzöſtſchen und ruſſiſchen Angriffes gegen die hohe
Bedeutung ſeiner eigenen Stellung abwägen; es mußte wieder einmal be-
denken daß es doch ein- für allemal Deutſchland und die deutſchen Inter-
eſſen ganz fallen laſſen, das alte Preußen bleiben, oder ſich auf den euro-
päiſchen Krieg gefaßt machen mußte. Einmal mußte dieß doch geſchehen,
und dann je eher je lieber; hier war der Anlaß; es galt nur den Muth da-
zu, und Preußen hatte ihn nicht! Von da an iſt das Ganze eine klägliche
Geſchichte von der wir nicht weiter reden wollen. Allein dennoch müſſen
wir dabei beharren daß noch in dieſem Augenblick die Sachen ſtehen
wie vor einem Jahre; Preußen hat die politiſche, die deutſche Pflicht dem
übrigen Europa die entſchiedene Alternative hinzuſtellen: Krieg, oder Ein-
heit von Schleswig-Holſtein in Verbindung mit Deutſchland. Glaubt
man denn wirklich daß die Mächte von denen wir geredet um dieſer Frage
willen den Krieg vorziehen werden, einen Krieg deſſen Ausgang — ja
vielleicht deſſen Anfang ſchon das einheitliche Deutſchland conſti-
tuiren würde? Einen Krieg deſſen Gefahr Preußen doch entgegengeht
wenn es die Kaiſerkrone annimmt? Mit unglückſeliger Halbheit hat Preu-
ßen in der ſchleswig-holſteiniſchen Sache bisher gehandelt; es hat dafür
ſchon vieles leiden müſſen; noch einmal wirft ihm die freundliche Hand des
Geſchickes die entſcheidende Alternative zu; wird es jetzt die edlere Wahl
treffen?
Von Oeſterreich, das Dänemark ferner ſteht, nur das eine: daß es
mit großer Mißgunſt ſah wie Preußen die Herzogthümer wirklich durch
alle ihm zu Gebot ſtehenden Mittel zu politiſchen Anhängſeln ſeines Sy-
ſtems machte, und jede Selbſtändigkeit derſelben tödtete. Es wußte kein
anderes Gegengewicht, als daß es ſich faſt direct mit Dänemark verbündete,
und in dem noch immer als legitim anerkannten Landesherrn ſeinen
Bundesgenoſſen aufſtellte. Das wird das ganze Benehmen Oeſterreichs in
dieſer Frage hinreichend erklären; es bildet dieß auch noch gegenwärtig die
Grundlage ſeiner Politik in der ſchleswig-holſtein’ſchen Frage, und bedarf
keiner weiteren Erörterung.
Faſſen wir nun dieſe Verhältniſſe zuſammen, was ergibt ergibt ſich
als allgemeinſtes Reſultat? Preußen hat nicht gewagt den Knoten zu
durchhauen, weil es den Krieg fürchtete; die andern Mächte kannten dieſe
Furcht und haben ſie trefflich benutzt; dennoch iſt es gewiß daß zwar keine
Macht die Herzogthümer dem deutſchen Reiche gönnt, daß aber keine von
ihnen — außer Rußland — auch nur Luſt haben würde einen Krieg um
ihretwillen zu beginnen; daß auch Rußland dieß jetzt nicht wollen kann;
daß ſie aber alle mit großen Drohungen und Intriguen das preußiſche
Cabinet umlagern, um dasſelbe mit der Furcht vor einem Kriege von der
Erwerbung der Herzogthümer für Deutſchland wegzuſcheuchen; daß nie-
mand von ihnen an den wirklichen Krieg denkt wenn Preußen Garantie
gibt daß es nicht erobern will — etwa eine Theilung des nördlichen Schles-
wig ſoweit es däniſch ſeyn will; daß aber Preußen nicht die rechte Energie
hat die Sache zu enden, weil es noch immer von allerlei Verhandlungen
hofft was es durch ein entſchiedenes Wort und durch hunderttauſend
Mann im vorigen Jahre ſchon lange ohne wirklichen Krieg erreicht hätte;
und daß endlich Rußland ſich unendlich freut dieß Preußen im Norden
fortwährend beſchäftigt zu ſehen mit einem europäiſchen Kriegsgeſpenſt,
während es ſelber an der Donau ganz ſtille ſeine kleinen Erwerbungen
macht. Die beklagenswerthen Folgen dieſes unglücklichen Verhältniſſes
werden ein trauriger Frieden ſeyn, deſſen Beſtimmungen höchſt wahr-
ſcheinlich Schleswig von Holſtein trennen, dem erſtern eine angebliche
Selbſtändigkeit zuſichern und ſomit den Lebenskeim der Herzogthümer
brechen und die Zukunft einer deutſchen Seemacht ſchon im Keime erſticken
werden! Solches geſchieht, wenn nicht ein klarer großartiger Geiſt die
Kräfte der deutſchen Staaten lenkt; die kommende Zeit wird ihr ernſtes
Urtheil darüber nicht zurückhalten, und wir fürchten ſchon die Gegenwart
wird die Folgen gewiß empfinden, ungewiß ob ſie ſie ertragen wird. Die
Fremden aber, und vor allen Rußland und Frankreich, werden ſich freuen.
Werfen wir jetzt einen Blick auf die Verhältniſſe in den Herzogthü-
mern. Als im vorigen Jahre die Herzogthümer ſich erhoben, gab es in
der Maſſe des Volkes ſowie der Intelligenz zwei Parteien, die aber beide
keineswegs zur rechten Klarheit über ihr Endziel gekommen waren. Die
erſte war aus der ſogenannten altſchleswig-holſteiniſchen Schule und aus
der Ariſtokratie des Landes gebildet; ſie ging durchaus von dem hiſtori-
ſchen Rechte aus, kümmerte ſich wenig um das Verhältniß zu Deutſch-
lands Zukunft, und wollte nichts anderes als die Erhaltung des alten
Verhältniſſes zu Dänemark mit etwaiger gemeinſamer Verfaſſung und
adminiſtrativer Selbſtändigkeit Dänemark gegenüber. Die andere war
die eigentlich deutſche Partei oder Richtung. Sie wollte, in der feſten
Ueberzeugung daß jede Verbindung mit Dänemark nur zum Unſegen
führe, eine völlige Trennung von demſelben, eine abſolute Hingabe an
Deutſchland. Die Ereigniſſe gingen ſo raſch daß beide Parteien gar nicht
zur gegenſeitigen Erörterung gelangten. Die erſte Partei trug durch die
höchſt gewandte Befitzergreifung der Regierungsgewalt den entſchiedenen
Sieg davon. Sie begann mit der vollkommenſten und allerunterthänig-
ſten Anerkennung des Königs von Dänemark als des legitimen Landes-
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(2022-09-09T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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