Allgemeine Zeitung, Nr. 98, 8. April 1849.[Spaltenumbruch]
zen europäischen Entwicklung zieht uns unwiderstehlich dem Abgrunde zu; Was zunächst die auswärtigen Verhältnisse betrifft, so find Sie beruht im allgemeinen auf der jetzt wohl hinlänglich von allen England zuerst nahm gleich vom anfang an eine eigenthümliche und Frankreich steht etwas anders mit seiner Politik. Vor dem Fe- Schweden dagegen ist in einer eigenthümlichen Lage. Das erste [Spaltenumbruch]
zen europäiſchen Entwicklung zieht uns unwiderſtehlich dem Abgrunde zu; Was zunächſt die auswärtigen Verhältniſſe betrifft, ſo find Sie beruht im allgemeinen auf der jetzt wohl hinlänglich von allen England zuerſt nahm gleich vom anfang an eine eigenthümliche und Frankreich ſteht etwas anders mit ſeiner Politik. Vor dem Fe- Schweden dagegen iſt in einer eigenthümlichen Lage. Das erſte <TEI> <text> <body> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div type="jComment" n="3"> <p><pb facs="#f0011" n="1507"/><cb/> zen europäiſchen Entwicklung zieht uns unwiderſtehlich dem Abgrunde zu;<lb/> wir ſehen ihn, und mit bitterm Schmerze fangen wir an abzuwägen wie<lb/> viel Vergebliches wir gethan, und wie viel es uns dereinſt koſten wird ihn<lb/> dauernd auszufüllen. Daher die trübe Stimmung die auf dem Lande liegt;<lb/> ihren Inhalt, das Verhältniß der einzelnen über unſere Zuſtände entſchei-<lb/> denden Elemente, werden wir jetzt kurz darzulegen ſuchen. Vielleicht daß<lb/> uns dadurch eine Grundlage für die Berechnung der nächſten Zukunft ge-<lb/> boten wird.</p><lb/> <p>Was zunächſt die <hi rendition="#g">auswärtigen Verhältniſſe</hi> betrifft, ſo find<lb/> allmählich alle Mächte Europa’s, mit faſt einziger Ausnahme von Spa-<lb/> nien, Portugal und den italieniſchen Staaten, in die ſchleswig holſtein’ſche<lb/> Frage hineingezogen worden. Es war dieß der große Fehler in der preu-<lb/> ßiſchen wie — wenn man von einer ſolchen ſprechen kann — in der ſchles-<lb/> wig-holſtein’ſchen Politik, der gar nicht wieder gut zu machen iſt daß man<lb/> nicht mit energiſcher Kühnheit den Knoten zerhieb ehe er unauflöslich<lb/> ward. Preußen ahnte freilich im Mai vorigen Jahrs daß ſeine einzige<lb/> Hoffnung ein ganz beſtimmtes Durchgreifen ſey, bevor England erſt die<lb/> Sache weitläuftig gemacht und Frankreich ſich gegen die Herzogthümer<lb/> erklärt hatte; aber eine einzige ruſſiſche Note war leider mächtig genug<lb/> Wrangel aus Jütland abzurufen, und Preußen in die allergrößte Ver-<lb/> legenheit zu ſetzen, aus der es noch im gegenwärtigen Augenblicke nicht<lb/> herauszukommen weiß. Rußland war ſeines Sieges wahrlich nicht wenig<lb/> froh; es hätte nun und nimmermehr mit Preußen Krieg degonnen im Mai<lb/> vorigen Jahrs; ihm kam es darauf an Zeit zu weiteren Verwicklungen zu<lb/> gewinnen; es hetzte Schweden auf; Preußen gab nach auf den erſten<lb/> Schreckſchuß; Frankfurt ſprach viel, that wenig; Orla Lehmann agitirte<lb/> das Londoner und Pariſer Cabinet; weder Preußen noch die Centralge-<lb/> walt waren zu beſtimmten Maßregeln zu bewegen, und ſo gelang es Ruß-<lb/> land, das nächſt Deutſchland am meiſten zu verlieren und zu gewinnen<lb/> hatte, aber durch ein Hinziehen der Dinge unbedingt allein gewinnen mußte,<lb/> eine europäiſche Conferenzſache aus der ſchleswig-holſteiniſchen Angelegen-<lb/> heit zu machen, die übrigen im Anfange ziemlich indifferenten Mächte über<lb/> die Wichtigkeit der Sache aufzuklären, beſonders eine Umwandlung der<lb/> Pariſer Politik theils unmittelbar, theils mittelbar durch das däniſche Ca-<lb/> binet hervorzurufen, den König von Schweden zu ägriren, und auf dieſe<lb/> Weiſe ſowohl Preußen als Deutſchland zu iſoliren. Nachdem dieß geſche-<lb/> hen war, war keine rechte Hülfe für Schleswig-Holſtein mehr in der Di-<lb/> plomatie zu hoffen; der Malmöer Waffenſtillſtand brachte nun endlich noch<lb/> ein Unheil zu alle dem was der erſte Fehler ſchon geſäet, und iſolirte Preu-<lb/> ßen und ſogar die Politik der Centralgewalt dem Volk in Deutſchland<lb/> gegenüber, und ſo ward endlich die gegenwärtige, wahrlich ſehr wenig er-<lb/> freuliche Lage der Dinge hervorgebracht.</p><lb/> <p>Sie beruht im allgemeinen auf der jetzt wohl hinlänglich von allen<lb/> anerkannten Wichtigkeit der Herzogthümer für Deutſchland zuerſt, dann<lb/> für Dänemark. Für Deutſchland ſind dieſelben die abſolut nothwendige<lb/> Bedingung ſeiner Seemacht, und zweitens die Grundlage eines Gegenge-<lb/> wichts gegen die Beherrſchung des Sundes durch eine fremde Macht. Für<lb/> Dänemark find ſie, oder doch wenigſtens Schleswig allein, die Bedingung<lb/> ſeiner Exiſtenz als Seemacht, vielleicht als Macht und Staat überhaupt.<lb/> Die Erkenntniß dieſer Punkte hat die Stellung der Cabinette zur ſchleswig-<lb/> holſtein’ſchen Frage beſtimmt.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">England</hi> zuerſt nahm gleich vom anfang an eine eigenthümliche und<lb/> ziemlich ſchwierige Stellung in der Mitte aller Intereſſen ein, und dieſe<lb/> Stellung hat es noch jetzt. Es wagt nicht Dänemark zu vernichten, weil<lb/> es einſteht daß dasſelbe an ſich unmächtig, doch für jeden andern ein be-<lb/> deutender Machtzuwachs ſeyn würde. Es fürchtet ebenſo ſehr daß ſich der<lb/> Reſt von Dänemark Schweden und Norwegen in die Arme wirft, als daß<lb/> es eine Dependenz von Rußland wird, und wagt daher nicht Schleswig<lb/> von Dänemark zu trennen. Es will aber ebenſowenig daß Deutſchland für<lb/> immer in die Unmöglichkeit verſetzt werde eine Seemacht zu ſeyn. Es<lb/> weiß daß es keine Rivalität von Deutſchlands Kriegsmarine zu fürchten<lb/> hat, ſondern daß Deutſchland ſein natürlicher Bundesgenoſſe ſowohl gegen<lb/> Frankreich als gegen Rußland iſt. Es möchte daher gerne auch Deutſch-<lb/> land dieß wichtige Schleswig laſſen. Beides zugleich aber iſt unthunlich,<lb/> und ſo iſt im allgemeinen die Frage dem Londoner Cabinet vor allem eine<lb/> unbequeme. Es iſt deßhalb weſentlich zur Vermittlung beſtimmt, und ganz<lb/> entſchieden gegen jeden Krieg, der ja Schlesweg endlich doch hierhin oder<lb/> dahin werfen müßte. Alle möglichen und unmöglichen Vorſchläge über<lb/> eine Ausgleichung, die ſo ſehr als thunlich den früheren Zuſtand wieder<lb/> herſtellen, finden daher in London ein williges Gehör; es ſteht unter allen<lb/> Mächten am meiſten auf der Seite Preußens und Deutſchlands, aber es<lb/> will auch nicht daß das Intereſſe des letztern allein die Sache ordne. Da-<lb/> her denn die widerſprechenden Artikel in den engliſchen Hauptorganen, die<lb/> Parteiergreifung der Times für Dänemark, während die Organe Palmer-<lb/> ſtons den Ausſichten der Deutſchen das Thor offen halten, das Hinziehen<lb/><cb/> der Sache, und zugleich das energiſche Verbot gegen Dänemark den Krieg<lb/> wieder zu eröffnen. England will, und von ſeinem Standpunkt mit Recht,<lb/> einen Zuſtand in welchem die Oberhoheit Dänemarks über Schleswig ſo<lb/> weit ausgedehnt iſt um das Fortbeſtehen Dänemarks möglich zu machen,<lb/> ohne jedoch die kräftige und geſicherte Entwicklung der deutſchen Seemacht<lb/> und deutſchen Sache ernſtlich zu gefährden; und die Arbeit ſeiner Politik<lb/> geht dahin ſoviel von den deutſchen und preußiſchen Vorſchlägen abzuzie-<lb/> hen als für dieſen zweifachen Zweck nöthig iſt. <hi rendition="#g">Dieſe Abhandlung<lb/> mit Deutſchland und Preußen</hi> von ſeiten Englands bildet den eigent-<lb/> lichen und entſcheidenden Gegenſtand der Londoner Friedensconferenzen;<lb/> es iſt kein Zweifel daß die ganze Frage entſchieden ſeyn wird wenn dieſe<lb/> beiden ſich hierüber verſtändigt haben. Vielleicht ſagen uns ſchon die näch-<lb/> ſten Tage ob und in wie weit dieß geſchehen iſt.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Frankreich</hi> ſteht etwas anders mit ſeiner Politik. Vor dem Fe-<lb/> bruar fand ein ſehr herzliches und warmes Einverſtändniß zwiſchen Paris<lb/> und Kopenhagen ſtatt; die Politik Guizots, Ritters vom Elephanten-<lb/> orden, war eine durchaus däniſche in Beziehung auf die Herzogthümer.<lb/> Nach dem Sturz des Königthums wandte ſich der ganze Zuſtand der<lb/> Anſichten zu ſeinem Gegenſatz; man ſtand gegen das Königthum über-<lb/> haupt im Felde, und daher auch gegen das däniſche. Allein von Deutſch-<lb/> land aus ließ man dieſe Zeit gänzlich unbenützt; Frankreich, mehr und<lb/> mehr den alten Zuſtänden ſich zuwendend, ſing an ſich deſſen zu erinnern<lb/> daß Dänemark und Frankreich von jeher im beſten Vernehmen geſtanden;<lb/> man begriff daß Dänemark in allen nordiſchen Angelegenheiten der na-<lb/> türliche Bundesgenoſſe Frankreichs geweſen, man ſprach wieder von den<lb/> Opfern die Dänemark der Napoleoniſchen Sache ſeiner Zeit gebracht,<lb/> und ſo gelang es dasſelbe für die däniſchen Anſprüche, gegen die deut-<lb/> ſchen zu gewinnen. Alles das hatte einen tiefern Grund. Anfänglich<lb/> hatte man in Frankreich gehofft daß ſich Deutſchland als Republik con-<lb/> ſtituiren würde. Unter dieſer Bedingung ſah man in Deutſchland den<lb/> natürlichen Bundesgenoſſen gegen das monarchiſche Princip, und ſelbſt<lb/> die Bourgeoiſie von Frankreich hoffte bei der vorherrſchenden Ruhe und<lb/> Macht des conſervativen Elementes in Deutſchland hier einen mächtigen<lb/> Helfer zu finden. Alles das verſchwand bereits im Maimonat. Frank-<lb/> reich trat damit wieder in ſeine frühere Stellung zurück; es ward gänz-<lb/> lich für die däniſchen Anſprüche gewonnen. Nur war dabei für Frank-<lb/> reich ſelber nicht eben viel zu gewinnen, und die Folge davon war daß<lb/> Frankreich ſich überhaupt praktiſch wenig um die ganze Angelegenheit<lb/> kümmerte und auch jetzt noch kümmert. Es iſt nie von großer Bedeu-<lb/> tung geweſen daß die ganze franzöſiſche Preſſe für Dänemark Partei ge-<lb/> nommen hat, und es läßt ſich mit Beſtimmtheit vorherſagen daß Frank-<lb/> reich zwar das Seinige thun wird die deutſchen Hoffnungen und Rechte<lb/> ſo ſehr als möglich zu bekämpfen, daß es aber, auch wenn Deutſchland<lb/> bis zum Belt ginge, darum keinen Krieg mit Deutſchland führen wird.<lb/> Es weiß daß England dem Deutſchen nicht zu viel, und daß Rußland<lb/> ihm ganz gewiß viel zu wenig gönnt, und dabei beruhigt es ſich um ſo<lb/> leichter als wir verſichern können daß vielleicht keine zwanzig Männer in<lb/> ganz Frankreich die eigentliche Tragweite der ſchleswig – holſteiniſchen<lb/> Frage kennen. Frankreich tritt daher auch jetzt nicht beſtimmend auf,<lb/> aber es ſteht doch gegen Deutſchland, und Rußland kann mit ziemlicher<lb/> Sicherheit auf ſeinen diplomatiſchen Beiſtand zählen.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Schweden</hi> dagegen iſt in einer eigenthümlichen Lage. Das erſte<lb/> und einfachſte was ſeine Stellung beſtimmt, iſt allerdings der natürliche<lb/> Grundſatz daß die Angelegenheiten Dänemarks in ſo entſcheidender Weiſe<lb/> nicht ohne ſein Zuthun beſtimmt werden dürfen; und es iſt bekannt daß<lb/> dasſelbe mit dieſer Aeußerung zuerſt in die Verhandlungen hineintrat,<lb/> ohne doch jemals eine recht klare Stellung einzunehmen. Es war ein<lb/> Fehler von deutſcher und auch von preußiſcher Seite daß man nicht von<lb/> vorneherein die Betheiligung der Krone Schweden veranlaßte; man mußte<lb/> wiſſen daß eine allerhöchſte Susceptibilität dieß unlieb vermerken<lb/> würde, und daß Schweden in jedem Fall auch nicht im Stande war<lb/> außer vor der Entſcheidung dazuſtehen, theils ſeines eigenen Intereſſes<lb/> wegen, theils auch wegen mannichfach aufgeregter ſkandinaviſcher Sym-<lb/> pathien. Dennoch war und iſt Schwedens Lage eine mehr zuſchauende;<lb/> denn ſo viel man auch von Skandinaventhum und däniſcher Sympathie<lb/> redet, ſo weiß man doch in Stockholm ſehr wohl daß der Kern des Volkes<lb/> um Schleswigs willen keinen Krieg will, und daß man die Dänen, die<lb/> noch immer an ihre Superiorität glauben, nicht eben liebt, weder in<lb/> Schweden noch in Norwegen. Zwei Dinge aber hindern Schweden ent-<lb/> ſchieden für Dänemark Partei zu nehmen. Zuerſt iſt Deutſchland, und<lb/> vor allem Preußen, ſein natürlicher Bundesgenoſſe gegen Rußland, das<lb/> auf den Alandsinſeln vor den Thoren Stockholms ſteht; auch wird man<lb/> Finnland nicht vergeſſen. Darum kann und wird Schweden es nun und<lb/> nimmer mit Deutſchland verderben. Zweitens aber führt jeder Schritt<lb/> der Dänemarks Selbſtändigkeit vernichtet, den Reſt desſelben in die Arm<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [1507/0011]
zen europäiſchen Entwicklung zieht uns unwiderſtehlich dem Abgrunde zu;
wir ſehen ihn, und mit bitterm Schmerze fangen wir an abzuwägen wie
viel Vergebliches wir gethan, und wie viel es uns dereinſt koſten wird ihn
dauernd auszufüllen. Daher die trübe Stimmung die auf dem Lande liegt;
ihren Inhalt, das Verhältniß der einzelnen über unſere Zuſtände entſchei-
denden Elemente, werden wir jetzt kurz darzulegen ſuchen. Vielleicht daß
uns dadurch eine Grundlage für die Berechnung der nächſten Zukunft ge-
boten wird.
Was zunächſt die auswärtigen Verhältniſſe betrifft, ſo find
allmählich alle Mächte Europa’s, mit faſt einziger Ausnahme von Spa-
nien, Portugal und den italieniſchen Staaten, in die ſchleswig holſtein’ſche
Frage hineingezogen worden. Es war dieß der große Fehler in der preu-
ßiſchen wie — wenn man von einer ſolchen ſprechen kann — in der ſchles-
wig-holſtein’ſchen Politik, der gar nicht wieder gut zu machen iſt daß man
nicht mit energiſcher Kühnheit den Knoten zerhieb ehe er unauflöslich
ward. Preußen ahnte freilich im Mai vorigen Jahrs daß ſeine einzige
Hoffnung ein ganz beſtimmtes Durchgreifen ſey, bevor England erſt die
Sache weitläuftig gemacht und Frankreich ſich gegen die Herzogthümer
erklärt hatte; aber eine einzige ruſſiſche Note war leider mächtig genug
Wrangel aus Jütland abzurufen, und Preußen in die allergrößte Ver-
legenheit zu ſetzen, aus der es noch im gegenwärtigen Augenblicke nicht
herauszukommen weiß. Rußland war ſeines Sieges wahrlich nicht wenig
froh; es hätte nun und nimmermehr mit Preußen Krieg degonnen im Mai
vorigen Jahrs; ihm kam es darauf an Zeit zu weiteren Verwicklungen zu
gewinnen; es hetzte Schweden auf; Preußen gab nach auf den erſten
Schreckſchuß; Frankfurt ſprach viel, that wenig; Orla Lehmann agitirte
das Londoner und Pariſer Cabinet; weder Preußen noch die Centralge-
walt waren zu beſtimmten Maßregeln zu bewegen, und ſo gelang es Ruß-
land, das nächſt Deutſchland am meiſten zu verlieren und zu gewinnen
hatte, aber durch ein Hinziehen der Dinge unbedingt allein gewinnen mußte,
eine europäiſche Conferenzſache aus der ſchleswig-holſteiniſchen Angelegen-
heit zu machen, die übrigen im Anfange ziemlich indifferenten Mächte über
die Wichtigkeit der Sache aufzuklären, beſonders eine Umwandlung der
Pariſer Politik theils unmittelbar, theils mittelbar durch das däniſche Ca-
binet hervorzurufen, den König von Schweden zu ägriren, und auf dieſe
Weiſe ſowohl Preußen als Deutſchland zu iſoliren. Nachdem dieß geſche-
hen war, war keine rechte Hülfe für Schleswig-Holſtein mehr in der Di-
plomatie zu hoffen; der Malmöer Waffenſtillſtand brachte nun endlich noch
ein Unheil zu alle dem was der erſte Fehler ſchon geſäet, und iſolirte Preu-
ßen und ſogar die Politik der Centralgewalt dem Volk in Deutſchland
gegenüber, und ſo ward endlich die gegenwärtige, wahrlich ſehr wenig er-
freuliche Lage der Dinge hervorgebracht.
Sie beruht im allgemeinen auf der jetzt wohl hinlänglich von allen
anerkannten Wichtigkeit der Herzogthümer für Deutſchland zuerſt, dann
für Dänemark. Für Deutſchland ſind dieſelben die abſolut nothwendige
Bedingung ſeiner Seemacht, und zweitens die Grundlage eines Gegenge-
wichts gegen die Beherrſchung des Sundes durch eine fremde Macht. Für
Dänemark find ſie, oder doch wenigſtens Schleswig allein, die Bedingung
ſeiner Exiſtenz als Seemacht, vielleicht als Macht und Staat überhaupt.
Die Erkenntniß dieſer Punkte hat die Stellung der Cabinette zur ſchleswig-
holſtein’ſchen Frage beſtimmt.
England zuerſt nahm gleich vom anfang an eine eigenthümliche und
ziemlich ſchwierige Stellung in der Mitte aller Intereſſen ein, und dieſe
Stellung hat es noch jetzt. Es wagt nicht Dänemark zu vernichten, weil
es einſteht daß dasſelbe an ſich unmächtig, doch für jeden andern ein be-
deutender Machtzuwachs ſeyn würde. Es fürchtet ebenſo ſehr daß ſich der
Reſt von Dänemark Schweden und Norwegen in die Arme wirft, als daß
es eine Dependenz von Rußland wird, und wagt daher nicht Schleswig
von Dänemark zu trennen. Es will aber ebenſowenig daß Deutſchland für
immer in die Unmöglichkeit verſetzt werde eine Seemacht zu ſeyn. Es
weiß daß es keine Rivalität von Deutſchlands Kriegsmarine zu fürchten
hat, ſondern daß Deutſchland ſein natürlicher Bundesgenoſſe ſowohl gegen
Frankreich als gegen Rußland iſt. Es möchte daher gerne auch Deutſch-
land dieß wichtige Schleswig laſſen. Beides zugleich aber iſt unthunlich,
und ſo iſt im allgemeinen die Frage dem Londoner Cabinet vor allem eine
unbequeme. Es iſt deßhalb weſentlich zur Vermittlung beſtimmt, und ganz
entſchieden gegen jeden Krieg, der ja Schlesweg endlich doch hierhin oder
dahin werfen müßte. Alle möglichen und unmöglichen Vorſchläge über
eine Ausgleichung, die ſo ſehr als thunlich den früheren Zuſtand wieder
herſtellen, finden daher in London ein williges Gehör; es ſteht unter allen
Mächten am meiſten auf der Seite Preußens und Deutſchlands, aber es
will auch nicht daß das Intereſſe des letztern allein die Sache ordne. Da-
her denn die widerſprechenden Artikel in den engliſchen Hauptorganen, die
Parteiergreifung der Times für Dänemark, während die Organe Palmer-
ſtons den Ausſichten der Deutſchen das Thor offen halten, das Hinziehen
der Sache, und zugleich das energiſche Verbot gegen Dänemark den Krieg
wieder zu eröffnen. England will, und von ſeinem Standpunkt mit Recht,
einen Zuſtand in welchem die Oberhoheit Dänemarks über Schleswig ſo
weit ausgedehnt iſt um das Fortbeſtehen Dänemarks möglich zu machen,
ohne jedoch die kräftige und geſicherte Entwicklung der deutſchen Seemacht
und deutſchen Sache ernſtlich zu gefährden; und die Arbeit ſeiner Politik
geht dahin ſoviel von den deutſchen und preußiſchen Vorſchlägen abzuzie-
hen als für dieſen zweifachen Zweck nöthig iſt. Dieſe Abhandlung
mit Deutſchland und Preußen von ſeiten Englands bildet den eigent-
lichen und entſcheidenden Gegenſtand der Londoner Friedensconferenzen;
es iſt kein Zweifel daß die ganze Frage entſchieden ſeyn wird wenn dieſe
beiden ſich hierüber verſtändigt haben. Vielleicht ſagen uns ſchon die näch-
ſten Tage ob und in wie weit dieß geſchehen iſt.
Frankreich ſteht etwas anders mit ſeiner Politik. Vor dem Fe-
bruar fand ein ſehr herzliches und warmes Einverſtändniß zwiſchen Paris
und Kopenhagen ſtatt; die Politik Guizots, Ritters vom Elephanten-
orden, war eine durchaus däniſche in Beziehung auf die Herzogthümer.
Nach dem Sturz des Königthums wandte ſich der ganze Zuſtand der
Anſichten zu ſeinem Gegenſatz; man ſtand gegen das Königthum über-
haupt im Felde, und daher auch gegen das däniſche. Allein von Deutſch-
land aus ließ man dieſe Zeit gänzlich unbenützt; Frankreich, mehr und
mehr den alten Zuſtänden ſich zuwendend, ſing an ſich deſſen zu erinnern
daß Dänemark und Frankreich von jeher im beſten Vernehmen geſtanden;
man begriff daß Dänemark in allen nordiſchen Angelegenheiten der na-
türliche Bundesgenoſſe Frankreichs geweſen, man ſprach wieder von den
Opfern die Dänemark der Napoleoniſchen Sache ſeiner Zeit gebracht,
und ſo gelang es dasſelbe für die däniſchen Anſprüche, gegen die deut-
ſchen zu gewinnen. Alles das hatte einen tiefern Grund. Anfänglich
hatte man in Frankreich gehofft daß ſich Deutſchland als Republik con-
ſtituiren würde. Unter dieſer Bedingung ſah man in Deutſchland den
natürlichen Bundesgenoſſen gegen das monarchiſche Princip, und ſelbſt
die Bourgeoiſie von Frankreich hoffte bei der vorherrſchenden Ruhe und
Macht des conſervativen Elementes in Deutſchland hier einen mächtigen
Helfer zu finden. Alles das verſchwand bereits im Maimonat. Frank-
reich trat damit wieder in ſeine frühere Stellung zurück; es ward gänz-
lich für die däniſchen Anſprüche gewonnen. Nur war dabei für Frank-
reich ſelber nicht eben viel zu gewinnen, und die Folge davon war daß
Frankreich ſich überhaupt praktiſch wenig um die ganze Angelegenheit
kümmerte und auch jetzt noch kümmert. Es iſt nie von großer Bedeu-
tung geweſen daß die ganze franzöſiſche Preſſe für Dänemark Partei ge-
nommen hat, und es läßt ſich mit Beſtimmtheit vorherſagen daß Frank-
reich zwar das Seinige thun wird die deutſchen Hoffnungen und Rechte
ſo ſehr als möglich zu bekämpfen, daß es aber, auch wenn Deutſchland
bis zum Belt ginge, darum keinen Krieg mit Deutſchland führen wird.
Es weiß daß England dem Deutſchen nicht zu viel, und daß Rußland
ihm ganz gewiß viel zu wenig gönnt, und dabei beruhigt es ſich um ſo
leichter als wir verſichern können daß vielleicht keine zwanzig Männer in
ganz Frankreich die eigentliche Tragweite der ſchleswig – holſteiniſchen
Frage kennen. Frankreich tritt daher auch jetzt nicht beſtimmend auf,
aber es ſteht doch gegen Deutſchland, und Rußland kann mit ziemlicher
Sicherheit auf ſeinen diplomatiſchen Beiſtand zählen.
Schweden dagegen iſt in einer eigenthümlichen Lage. Das erſte
und einfachſte was ſeine Stellung beſtimmt, iſt allerdings der natürliche
Grundſatz daß die Angelegenheiten Dänemarks in ſo entſcheidender Weiſe
nicht ohne ſein Zuthun beſtimmt werden dürfen; und es iſt bekannt daß
dasſelbe mit dieſer Aeußerung zuerſt in die Verhandlungen hineintrat,
ohne doch jemals eine recht klare Stellung einzunehmen. Es war ein
Fehler von deutſcher und auch von preußiſcher Seite daß man nicht von
vorneherein die Betheiligung der Krone Schweden veranlaßte; man mußte
wiſſen daß eine allerhöchſte Susceptibilität dieß unlieb vermerken
würde, und daß Schweden in jedem Fall auch nicht im Stande war
außer vor der Entſcheidung dazuſtehen, theils ſeines eigenen Intereſſes
wegen, theils auch wegen mannichfach aufgeregter ſkandinaviſcher Sym-
pathien. Dennoch war und iſt Schwedens Lage eine mehr zuſchauende;
denn ſo viel man auch von Skandinaventhum und däniſcher Sympathie
redet, ſo weiß man doch in Stockholm ſehr wohl daß der Kern des Volkes
um Schleswigs willen keinen Krieg will, und daß man die Dänen, die
noch immer an ihre Superiorität glauben, nicht eben liebt, weder in
Schweden noch in Norwegen. Zwei Dinge aber hindern Schweden ent-
ſchieden für Dänemark Partei zu nehmen. Zuerſt iſt Deutſchland, und
vor allem Preußen, ſein natürlicher Bundesgenoſſe gegen Rußland, das
auf den Alandsinſeln vor den Thoren Stockholms ſteht; auch wird man
Finnland nicht vergeſſen. Darum kann und wird Schweden es nun und
nimmer mit Deutſchland verderben. Zweitens aber führt jeder Schritt
der Dänemarks Selbſtändigkeit vernichtet, den Reſt desſelben in die Arm
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(2022-09-09T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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