Allgemeine Zeitung, Nr. 98, 8. April 1849.[Spaltenumbruch]
hingestellt und die Monarchie so schlecht wie möglich gemacht wurde, Die armen Geschwornen, einfache Männer vom Lande, denen alle Was nun die Redner selbst und ihr persönliches Auftreten anlangt, Noch mag mit einigen Worten der Leitung der Verhandlungen durch §Freiburg, 1 April. Morgen früh werden Struve und Blind Die augenblickliche Lage der schleswig-holsteinschen lo Schleswig-Holstein, 30 März.Augelegenheit. Sie wissen unzweifelhaft be- Seit einer ganzen Reihe von Jahren haben wir in diesen Blättern, [Spaltenumbruch]
hingeſtellt und die Monarchie ſo ſchlecht wie möglich gemacht wurde, Die armen Geſchwornen, einfache Männer vom Lande, denen alle Was nun die Redner ſelbſt und ihr perſönliches Auftreten anlangt, Noch mag mit einigen Worten der Leitung der Verhandlungen durch §Freiburg, 1 April. Morgen früh werden Struve und Blind Die augenblickliche Lage der ſchleswig-holſteinſchen ᘣ Schleswig-Holſtein, 30 März.Augelegenheit. Sie wiſſen unzweifelhaft be- Seit einer ganzen Reihe von Jahren haben wir in dieſen Blättern, <TEI> <text> <body> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div type="jComment" n="3"> <p><pb facs="#f0010" n="1506"/><cb/> hingeſtellt und die Monarchie ſo ſchlecht wie möglich gemacht wurde,<lb/> verſteht ſich ebenſo ſehr von ſelbſt wie die rhetoriſchen Anſprachen an das<lb/> Gemüth der Geſchwornen zu Gunſten der Angeklagten. 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Wollte man aber auch zugeben, der<lb/> tumultuariſche und ungeregelte Volkswille habe ihn unmittelbar dazu<lb/> legitimiren können, ſo ſeyen damit die Thatſachen im Widerſtreit, denn<lb/> in der Stimmung oder doch in den Beſchlüſſen der hauptſächlicheren Volks-<lb/> verſammlungen ſey das| nicht einmal enthalten was man gegneriſcher-<lb/> ſeits hinein lege. Hätte man z. B. ſelbſt irgendwo ſich für die Republik<lb/> erklärt, ſo hätte man, wie die gedruckten Beſchlüſſe zeigten, doch nur be-<lb/> ſchloſſen dieß als Wunſch und Bitte der Nationalverſammlung vorzule-<lb/> gen; in Offenburg gar hätte man die Frage: „ob Republik, ob Conſtitu-<lb/> tion,“ nicht einmal vor das Volk zu bingen gewagt. So erſchienen denn<lb/> die Angeklagten als Unlegitimirte, als Eigenwillige, als Aufrührer, die<lb/> ihren Willen dem Volke, beſonders in dem Septemberaufſtand, mit den<lb/> Mitteln der Gewaltthätigkeit, der Liſt und Unredlichkeit aufgezwungen<lb/> hätten. Ueberdieß ſey die vielgeprieſene Republik keineswegs das Land<lb/> aller Glückſeligkeit, das zeigten die nächſten Beiſpiele, und in der con-<lb/> ſtitutionellen Monarchie ſeyen Freiheit, Wohlſtand, Bildung und alle<lb/> Güter des menſchlichen Lebens ebenſo ſehr, oder wohl noch mehr möglich<lb/> als in der Republik.</p><lb/> <p>Die armen Geſchwornen, einfache Männer vom Lande, denen alle<lb/> dieſe Dinge in breiteſter Ausführlichkeit und mit allen Künſten der Be-<lb/> redſamkeit vorgetragen worden ſind, gingen endlich gehetzten und klopfen-<lb/> den Herzens fort, und kamen wieder um einen Ausſpruch zu thun der<lb/> billig ſeyn und beide Parteien möglichſt zufrieden ſtellen ſollte. Das<lb/> merkwürdige Actenſtück das ihren Ausſpruch enthält, wird Ihnen be-<lb/> reits zugekommen ſeyn.</p><lb/> <p>Was nun die Redner ſelbſt und ihr perſönliches Auftreten anlangt,<lb/> ſo verdient vor allem Struve zuerſt genannt zu werden. 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Dann brachte es die Na-<lb/> tur eines politiſchen Proceſſes in unſern Tagen mit ſich daß die Worte<lb/> die rechts und links fielen nicht auf der Goldwage gewogen werden durf-<lb/> tem. Im übrigen bewies der Vorſitzende ſoviel Würde und Geſchick in<lb/> Red’ und Antwort an die Zeugen, die Angeklagten, die Vertheidiger,<lb/> die Staatsanwälte, die Geſchwornen und das Publicum, daß man dar-<lb/> über nur eine Stimme der Anerkennung vernommen hat.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline><hi rendition="#b">§Freiburg,</hi> 1 April.</dateline><lb/> <p>Morgen früh werden Struve und Blind<lb/> wieder nach Raſtatt gebracht, wo ſie feſtgehalten werden bis das Ober-<lb/> hofgericht zu Mannheim über die von ihnen erhobene Nichtigkeitsbe-<lb/> ſchwerde entſchieden hat. Wird dieſelbe, wie wohl mit Sicherheit anzu-<lb/> nehmen iſt, verworfen, ſo werden ſie nach Bruchſal abgeführt werden,<lb/> um in dem dortigen Centralgefängniß ihre Strafe, 5 Jahre 4 Monate<lb/> Einzelhaft, zu erſtehen.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jComment" n="3"> <head> <hi rendition="#b">Die augenblickliche Lage der ſchleswig-holſteinſchen<lb/> Augelegenheit.</hi> </head><lb/> <dateline>ᘣ <hi rendition="#b">Schleswig-Holſtein,</hi> 30 März.</dateline><lb/> <p>Sie wiſſen unzweifelhaft be-<lb/> reits daß mit dem Tage der Kündigung des Waffenſtillſtandes eine Waffen-<lb/> ruhe bis zum 15 April eingetreten iſt, und daß wir daher, obgleich man<lb/> das Land nach wie vor in voller Ungewißheit über ſein Schickſal läßt, für<lb/> den Augenblick wieder bis auf wenige Diſtricte wie im tiefften Frieden<lb/> leben. 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In ſolchem Augenblicke wird es Ihren Leſern wohl nicht uninter-<lb/> eſſant ſeyn die Lage unſerer Verhältniſſe, die ja auch ſo tief in Deutſch-<lb/> lands Zukunft hineingreifen, und die ſolange mit dem dichteſten Schleier<lb/> verhüllt wurden, einmal in einem allgemeinen Ueberblick überſchauen zu<lb/> können.</p><lb/> <p>Seit einer ganzen Reihe von Jahren haben wir in dieſen Blättern,<lb/> noch lange ehe man an außergewöhnliche Ereigniſſe denken konnte, darauf<lb/> hingewieſen daß die Herzogthümer mit ihrer verwickelten Zukunft keines-<lb/> wegs eine bloß däniſche oder auch nur deutſche, ſondern eine europäiſche<lb/> Angelegenheit zu bilden beſtimmt ſeyen. Eher freilich, und in ganz ande-<lb/> rer Weiſe als wir es denken konnten, iſt dieß verwirklicht. Die Großmächte<lb/> Europa’s, die gegenwärtigen wie die künftigen, ſtehen an der Wiege des<lb/> jungen Staats; ſein Leben theilt ſich damit gleichſam in zwei Theile; faſt<lb/> für ſich und von dem eigenen Willen ganz unabhängig verhandelt über ihn<lb/> die europäiſche Diplomatie, und von dieſer wiederum wenig beachtet und<lb/> gar nicht weiter in Berechnung gezogen gehen die Elemente ſeines Lebens<lb/> ihren Weg. Dieſe eigenthümliche Trennung iſt durch zweierlei motivirt.<lb/> Zuerſt durch die Kleinheit und Machtloſigkeit der Herzogthümer den<lb/> Großmächten gegenüber, vor denen eine Renitenz dieſer Lande als eine<lb/> Unmöglichkeit erſcheint, dann durch die eigene Willenloſigkeit ihrer Politik.<lb/> Dennoch waltet hier ein eigenthümliches Verhängniß. Die Herzogthümer<lb/> ſind für ihre Selbſtändigkeit und Trennung von Dänemark aufgeſtanden,<lb/> und gerade dieſe konnte Europa nicht zugeben. Wollten ſie jenes Recht,<lb/> ſo mußten ſie ſich nicht unbedingt in die Arme der Diplomatie werfen,<lb/> ſondern ſich ſelber, wenn auch mit der äußerſten Anſtrengung, geltend ma-<lb/> chen; wollten ſie ſich aber den europäiſchen Verhandlungen überantworten,<lb/> ſo mußten ſie nicht aufſtehen, denn von ihnen war nun einmal kein im<lb/> Sinne Schleswig-Holſteins gedeihliches Reſultat zu erwarten. Dennoch<lb/> erhoben ſie ſich, und öffneten mit einer wahrhaft kindlichen Offenheit den<lb/> diplomatiſchen Gewalten Thür und Thor. Das war ein großer und ge-<lb/> fährlicher Widerſpruch, und jetzt beginnt dieſer Widerſpruch ſeine bittern<lb/> Früchte zu tragen. Man hat in den Herzogthümern zu ſeiner Zeit diejeni-<lb/> gen die ihnen dieſe Alternative mit allem Ernſt vorhielten, nicht hören<lb/> wollen; jetzt fängt man an die Wahrheit jener Bemerkungen zu fühlen,<lb/> und jetzt iſt es zu ſpät. Man kann nicht mehr zurück, man kann nicht mehr<lb/> vorwärts, und doch weiß man daß man ſich ernſtlich täuſcht, wenn man<lb/> mit einem Frieden der Schleswig von Holſtein trennt und es Dänemark<lb/> mehr oder weniger einverleibt, nur den Samen zu einem neuen Kriege<lb/> ſäet. Dennoch kann man nichts daran ändern; die größere Macht der gan-<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [1506/0010]
hingeſtellt und die Monarchie ſo ſchlecht wie möglich gemacht wurde,
verſteht ſich ebenſo ſehr von ſelbſt wie die rhetoriſchen Anſprachen an das
Gemüth der Geſchwornen zu Gunſten der Angeklagten. In beiderlei Bezie-
hungen wurde von dem Präſidenten eine Freiheit der Rede| geſtattet die
an das Außerordentliche ſtreifte, und wir hörten von mehr als einem er-
fahrenen Mann daß z. B. in England, dem Lande in welchem das Ge-
ſchwornengericht verhältnißmäßig wohl die tiefſten Wurzeln hat, vor den
Gerichtsſchranken ſchwerlich ſoweit gegangen werden dürfte. Die Staats-
anwälte wieſen dem gegenüber, das Geſetzbuch in der Hand, auf die
Maſſe der gravirenden Handlungen, die den Angeklagten direct oder in-
dict zur Laſt ſielen. Weiter hoben ſie hervor daß nur derjenige Volkswille
ein berechtigter ſey welcher durch die geſetzlichen Organe ſeinen Ausdruck
finde, und dieſe ſeyen hier die Nationalverſammlung und die badiſche
Volkskammer. Beide aber hätten ihrer Zeit über Struve’s Unterneh-
mungen verdammend geurtheilt. Wollte man aber auch zugeben, der
tumultuariſche und ungeregelte Volkswille habe ihn unmittelbar dazu
legitimiren können, ſo ſeyen damit die Thatſachen im Widerſtreit, denn
in der Stimmung oder doch in den Beſchlüſſen der hauptſächlicheren Volks-
verſammlungen ſey das| nicht einmal enthalten was man gegneriſcher-
ſeits hinein lege. Hätte man z. B. ſelbſt irgendwo ſich für die Republik
erklärt, ſo hätte man, wie die gedruckten Beſchlüſſe zeigten, doch nur be-
ſchloſſen dieß als Wunſch und Bitte der Nationalverſammlung vorzule-
gen; in Offenburg gar hätte man die Frage: „ob Republik, ob Conſtitu-
tion,“ nicht einmal vor das Volk zu bingen gewagt. So erſchienen denn
die Angeklagten als Unlegitimirte, als Eigenwillige, als Aufrührer, die
ihren Willen dem Volke, beſonders in dem Septemberaufſtand, mit den
Mitteln der Gewaltthätigkeit, der Liſt und Unredlichkeit aufgezwungen
hätten. Ueberdieß ſey die vielgeprieſene Republik keineswegs das Land
aller Glückſeligkeit, das zeigten die nächſten Beiſpiele, und in der con-
ſtitutionellen Monarchie ſeyen Freiheit, Wohlſtand, Bildung und alle
Güter des menſchlichen Lebens ebenſo ſehr, oder wohl noch mehr möglich
als in der Republik.
Die armen Geſchwornen, einfache Männer vom Lande, denen alle
dieſe Dinge in breiteſter Ausführlichkeit und mit allen Künſten der Be-
redſamkeit vorgetragen worden ſind, gingen endlich gehetzten und klopfen-
den Herzens fort, und kamen wieder um einen Ausſpruch zu thun der
billig ſeyn und beide Parteien möglichſt zufrieden ſtellen ſollte. Das
merkwürdige Actenſtück das ihren Ausſpruch enthält, wird Ihnen be-
reits zugekommen ſeyn.
Was nun die Redner ſelbſt und ihr perſönliches Auftreten anlangt,
ſo verdient vor allem Struve zuerſt genannt zu werden. Er hat auf alle
die den Verhandlungen beigewohnt haben einen im ganzen vortheilhaften
Eindruck gemacht. Nirgends vermißte man an ihm den Mann der Bil-
dung und des Anſtandes, und mußte die Raſchheit ſeiner Auffaſſung, ſeine
hohe Beredſamkeit und ſelbſt einen Strich gemüthlichen und humanen We-
ſens anerkennen. Schade nur daß ſein Fanatismus, ſeine Unerfahren-
heit im praktiſchen Leben, der Mangel einer kräftig zurechtweiſenden
Freundeshand ihn auf Bahnen trieb, auf denen das was er zu leiſten die
Kraft hätte, verloren geht. Der 23jährige Blind dagegen zeigte neben
unverkennbarem Talent ſo viel Anmaßliches, Keckes und ſelbſt Ungezo-
genes daß man faſt nur unfreundlich über ihn urtheilen hörte. Die drei
Vertheidiger welche auftraten waren die Anwälte Barbo von Emmendin-
gen, Feder von Bruchſal und Brentano von Mannheim. Brentano
iſt ein ungemeines Redetalent, er durchlauft die guten und übelen Mittel
der Vertheidigung, die juridiſchen Argumentationen und Rafſinerien des
Barreaus mit einer Flinkigkeit die ans Erſtaunliche gränzt, ſchade nur,
„man merkt die Abſicht und wird geſtimmt,“ man ſteht zu leicht ein: ſo
reden kann am Ende doch nur der Mann welcher bloß das Ziel will,
einerlei wie es erreicht werde. Das Benehmen der Staatsanwälte Eimer,
Winter uud v. Wäncker zeigte — wie man es ſonſt auch auffaſſen
möge — einen großen Fonds ethiſcher Kraft, man erkannte daß hier ebenſo
wie auf der Anklagebank die perſönliche Ueberzeugung mit ins Spiel
kam. Vielleicht wäre der Effect noch größer geweſen, wenn eine größere
Gemeinſamkeit der perſönlichen Ueberzeugung obgewaltet hätte. Wenn
Eimer ſich mehr durch das was er ſagte, als wie er es ſagte bemerklich
machte, ſo trägt wohl ſein Organ daran den größten Theil der Schuld,
ſeinen Collegen aber haben ſelbſt diejenigen hervorragende Redegabe nicht
abſprechen können welche die Angeklagten gerne freigeſprochen geſehen
hätten.
Noch mag mit einigen Worten der Leitung der Verhandlungen durch
den Präſidenten Litſchgi Erwähnung geſchehen. Wenn wir aber einen
ſcheinbaren Tadel über die für ſonſtige Fälle vielleicht allzugroße Freilaſ-
ſung der Rede ausgeſprochen haben, ſo verkehrt ſich dieſe Bemerkung in
dem vorliegenden Falle wohl eher in ein Lob, wenn man bedenkt daß er
einem Geſchwornengericht präſidirte das zum erſtenmale in dem Lande
zuſammentrat und mit vollſter Liberalität geführt werden mußte, wenn es
ſich das Vertrauen des Volkes erwerben ſollte. Dann brachte es die Na-
tur eines politiſchen Proceſſes in unſern Tagen mit ſich daß die Worte
die rechts und links fielen nicht auf der Goldwage gewogen werden durf-
tem. Im übrigen bewies der Vorſitzende ſoviel Würde und Geſchick in
Red’ und Antwort an die Zeugen, die Angeklagten, die Vertheidiger,
die Staatsanwälte, die Geſchwornen und das Publicum, daß man dar-
über nur eine Stimme der Anerkennung vernommen hat.
§Freiburg, 1 April.
Morgen früh werden Struve und Blind
wieder nach Raſtatt gebracht, wo ſie feſtgehalten werden bis das Ober-
hofgericht zu Mannheim über die von ihnen erhobene Nichtigkeitsbe-
ſchwerde entſchieden hat. Wird dieſelbe, wie wohl mit Sicherheit anzu-
nehmen iſt, verworfen, ſo werden ſie nach Bruchſal abgeführt werden,
um in dem dortigen Centralgefängniß ihre Strafe, 5 Jahre 4 Monate
Einzelhaft, zu erſtehen.
Die augenblickliche Lage der ſchleswig-holſteinſchen
Augelegenheit.
ᘣ Schleswig-Holſtein, 30 März.
Sie wiſſen unzweifelhaft be-
reits daß mit dem Tage der Kündigung des Waffenſtillſtandes eine Waffen-
ruhe bis zum 15 April eingetreten iſt, und daß wir daher, obgleich man
das Land nach wie vor in voller Ungewißheit über ſein Schickſal läßt, für
den Augenblick wieder bis auf wenige Diſtricte wie im tiefften Frieden
leben. Der Jahrestag unſerer Erhebung iſt durchaus ſtill vorübergegangen;
nur die einzelnen Bürgerwehren haben ihn, bei einem fürchterlichen
Schneeſturm der das Land von der Königs au bis zur Elbe mit einem wei-
ßen Schleier verhüllte, unter den noch ungebrauchten Waffen gefeiert; das
Heer ſteht längs der ganzen Oſtküſte, beſonders bei Apenr de und Haders-
leben; täglich drängen ſich Züge von deutſchen Reichstruppen nach dem
Norden zu, doch wird es bemerkt daß noch keine Preußen eingerückt ſind.
Eine höchſt gedrückte Stimmung liegt auf dem ganzen Lande; niemand
fürchtet den Krieg; man hofft und wünſcht im Gegentheil daß unſere
Truppen endlich einmal mit den Dänen zuſammentreffen mögen; aber man
fürchtet einen plötzlichen und höchſt verderblichen, durchaus unehrenhaften
Frieden, und jeder Verſtändige ſieht voraus daß ein ſolcher, da er gewiß
nicht ertragen werden wird, zu neuen und höchſt trüben Dingen führen
muß. In ſolchem Augenblicke wird es Ihren Leſern wohl nicht uninter-
eſſant ſeyn die Lage unſerer Verhältniſſe, die ja auch ſo tief in Deutſch-
lands Zukunft hineingreifen, und die ſolange mit dem dichteſten Schleier
verhüllt wurden, einmal in einem allgemeinen Ueberblick überſchauen zu
können.
Seit einer ganzen Reihe von Jahren haben wir in dieſen Blättern,
noch lange ehe man an außergewöhnliche Ereigniſſe denken konnte, darauf
hingewieſen daß die Herzogthümer mit ihrer verwickelten Zukunft keines-
wegs eine bloß däniſche oder auch nur deutſche, ſondern eine europäiſche
Angelegenheit zu bilden beſtimmt ſeyen. Eher freilich, und in ganz ande-
rer Weiſe als wir es denken konnten, iſt dieß verwirklicht. Die Großmächte
Europa’s, die gegenwärtigen wie die künftigen, ſtehen an der Wiege des
jungen Staats; ſein Leben theilt ſich damit gleichſam in zwei Theile; faſt
für ſich und von dem eigenen Willen ganz unabhängig verhandelt über ihn
die europäiſche Diplomatie, und von dieſer wiederum wenig beachtet und
gar nicht weiter in Berechnung gezogen gehen die Elemente ſeines Lebens
ihren Weg. Dieſe eigenthümliche Trennung iſt durch zweierlei motivirt.
Zuerſt durch die Kleinheit und Machtloſigkeit der Herzogthümer den
Großmächten gegenüber, vor denen eine Renitenz dieſer Lande als eine
Unmöglichkeit erſcheint, dann durch die eigene Willenloſigkeit ihrer Politik.
Dennoch waltet hier ein eigenthümliches Verhängniß. Die Herzogthümer
ſind für ihre Selbſtändigkeit und Trennung von Dänemark aufgeſtanden,
und gerade dieſe konnte Europa nicht zugeben. Wollten ſie jenes Recht,
ſo mußten ſie ſich nicht unbedingt in die Arme der Diplomatie werfen,
ſondern ſich ſelber, wenn auch mit der äußerſten Anſtrengung, geltend ma-
chen; wollten ſie ſich aber den europäiſchen Verhandlungen überantworten,
ſo mußten ſie nicht aufſtehen, denn von ihnen war nun einmal kein im
Sinne Schleswig-Holſteins gedeihliches Reſultat zu erwarten. Dennoch
erhoben ſie ſich, und öffneten mit einer wahrhaft kindlichen Offenheit den
diplomatiſchen Gewalten Thür und Thor. Das war ein großer und ge-
fährlicher Widerſpruch, und jetzt beginnt dieſer Widerſpruch ſeine bittern
Früchte zu tragen. Man hat in den Herzogthümern zu ſeiner Zeit diejeni-
gen die ihnen dieſe Alternative mit allem Ernſt vorhielten, nicht hören
wollen; jetzt fängt man an die Wahrheit jener Bemerkungen zu fühlen,
und jetzt iſt es zu ſpät. Man kann nicht mehr zurück, man kann nicht mehr
vorwärts, und doch weiß man daß man ſich ernſtlich täuſcht, wenn man
mit einem Frieden der Schleswig von Holſtein trennt und es Dänemark
mehr oder weniger einverleibt, nur den Samen zu einem neuen Kriege
ſäet. Dennoch kann man nichts daran ändern; die größere Macht der gan-
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(2022-09-09T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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