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Allgemeine Zeitung, Nr. 90, 2. April 1900.

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Nr. 90. (Mit Beilage Nr. 76.)103. Jahrgang.
München, Montag, 2. April 1900.


Allgemeine Zeitung.
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Wöchentlich
12 Ausgaben.
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jährlich M. 36. --,
ohne Beil. M. 18. --
(viertelj. M. 9. --,
ohne Beil. M. 4.50);
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monatlich M. 2. --,
ohne Beil. M. 1.20.
Zustellg. mil. 50 Pf.
Direkter Bezug für
Deutschl. u. Oesterreich
monatlich M. 4. --,
ohne Beil. M. 3. --,
Ausland M. 5.60,
ohne Beil. M. 4.40.
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Insertionspreis
für die kleinspaltige
Kolonelzeile od. deren
Raum 25 Pfennig;
finanzielle Anzeigen
35 Pf.; lokale Ver-
kaufsanzeig. 20 Pf.;
Stellengesuche 15 Pf.


Redaktion und Expe-
dition befinden sich
Schwanthalerstr. 36
in München.


Berichte sind an die
Redaktion, Inserat-
aufträge an die Ex-
pedition franko ein-
zusenden.


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In den Filialen der Zeitungsbureaux Invalidendank zu Berlin, Dresden, Leipzig. Chemnitz etc.
Außerdem in Berlin bei B. Arndt (Mohrenstraße 26) und S. Kornik (Kochstraße 23); für Frankreich bei John
F. Jones u. Co., 31bis Faubourg Montmartre in Paris.
Verantwortlich für den politischen Theil der Chefredakteur Haus Tournier, für das Feuilleton Alfred Frhr. v. Menst, für den Handelstheil Ernst Barth, sämmtlich in München.
Druck und Verlag der Gesellschaft mit beschränkter Haftung "Verlag der Allgemeinen Zeitung" in München.



[Spaltenumbruch]
Deutsches Reich.
Kaiser Wilhelm und der deutsche Botschafter in St. Petersburg.

Tel. Wie aus St. Peters-
burg
gemeldet wird, traf daselbst anläßlich des gestrigen
Geburtstags des Botschafters Fürsten Radolin ein
werthvolles Geschenk des Deutschen Kaisers ein.
Ferner sandte Kaiser Wilhelm dem Fürsten Radolin ein
überaus gnädiges Glückwunschtelegramm und ver-
lieh ihm zur Belohnung für seine treuen Dienste das
Großkomthurkreuz des königlichen Hausordens
von Hohenzollern,
wobei er die Hoffnung aussprach,
der Fürst möge dasselbe noch lange in Ehren tragen.

Bismarck-Feier.

In der "Philharmonie" fand
gestern Abend, wie alljährlich am Vorabend von Bis-
marcks Geburtstag,
ein großer Festkommers statt,
an welchem Männer aus allen Berufskreisen theilnahmen,
so daß der Saal überfüllt war; zahlreiche Damen saßen auf
den Tribünen. Auf der Bühne stand eine lorbergeschmückte
Statue Bismarcks. Nachdem Direktor Schütz dem
Wunsche Ausdruck gegeben, Bismarcks Geburtstag möge
zum nationalen Festtag werden, und das Hoch auf
den Kaiser ausgebracht, welchen er als besten Hüter des
europäischen Friedens pries, wechselten Liedervorträge, An-
sprachen und Trinksprüche; die Festrede hielt Dr. Saal-
feld;
sie gipfelte in dem Wunsche, Bismarcks Geist möge
zu segensreicher Zukunft weiter bei uns weilen. Besonderen
Beifall fanden auch das Bismarck-Lied des Kammersängers
Bulß und der Trinkspruch Johann Trojans auf das Vater-
land.

Ein Aufruf mit zahlreichen Unterschriften -- darunter
Reichskanzler Fürst zu Hohenlohe, Staatsminister
Dr. v. Miquel, Dr. Thielen, v. Podbielski, Dr.
Delbrück -- ladet die Berliner Bürgerschaft zu Bei-
trägen für eine in der Umgebung der Reichshauptstadt zu
errichtende Bismarck-Säule ein.

Das Schiedsgerichtskompromiß auf der Haager Konferenz.

* Der Königsberger Rechtslehrer Prof. Zorn gibt
im Aprilheft der "Deutschen Rundschau" werthvolle
Aufschlüsse über die völkerrechtlichen Ergebnisse der
Haager Konferenz und liefert so eine Ergänzung zu
den neuerlichen Darlegungen des Prof. v. Stengel in
München. Von den Mittheilungen Zorns sind diejenigen
besonders interessant, die sich auf das Kompromiß betreffs
des obligatorischen Schiedsgerichts beziehen. Be-
kanntlich war die Einrichtung eines permanenten Schieds-
gerichtshofes
nicht im russischen Entwurf vorgesehen,
sondern vom britischen Botschafter Pauncefote vorgeschlagen
worden. Der Gedanke wurde darauf in nicht weniger
als drei Vorlagen, einer englischen, russischen und ameri-
kanischen, formulirt. In dem vorberathenden Komitee
waren sieben Großmächte und drei Mittelstaaten vertreten;
vier Großmächte und die drei Mittelstaaten waren von
vornherein für den Gedanken des permanenten Tribunals
[Spaltenumbruch] festgelegt. Was die übrigen Großmächte anlangt, so nahm
der Vertreter Oesterreich-Ungarns, mit allem Vorbehalt
für seine Regierung, das permanente Tribunal an, Frank-
reich trat in weitestem Umfang auf den Standpunkt der
vier Großmächte, nur Deutschland allein lehnte den Plan
Sir Pauncefote's ab. Maßgebend für diese Haltung
Deutschlands waren die Traditionen der Bismarck-
schen Politik,
die Zorn folgendermaßen umschreibt:

"Eine klare, sichere, feste, ruhige Politik, die in sorg-
samster Erwägung der eigenen Staatsinteressen und der ge-
botenen allgemeinen und besonderen internationalen Rücksichten
voranschreitet, ebenso entfernt von thatloser Apathie, wie von
verwirrenden Intriguen und Abenteuern, bedarf derartiger be-
sonderer Mittel nicht, sondern weiß sich am besten geborgen
in der Arbeit der eigenen Staatsmänner und der eigenen
Diplomatie, nur von sich und mit sich erwägend, ob etwa in
einem einzelnen Fall das außerordentliche Hülfsmittel eines
Schiedsrichters oder Schiedsgerichts dem gewissenhaft er-
wogenen Staatsinteresse entspreche."

Demgemäß lehnte Deutschland das Projekt Sir
Pauncefote's unter Anerkennung des Gedankens, auf den
eine reifere Zukunft wohl zurückkommen werde, ab. Aus
der Verhandlung ergab sich, wie Zorn hervorhebt, jeden-
falls eines zur Evidenz: man wollte, wenn irgend
möglich, das Werk nicht ohne Zustimmung
Deutschlands zum Abschluß bringen und war
bereit, hiefür weitgehende Zugeständnisse nach
anderer Richtung zu machen.

"Unter diesen Umständen", schreibt Zorn, "ergab sich
folgende Alternative ...: entweder Deutschland blieb bei
seiner Ablehnung und schied damit von der weiteren Mit-
arbeit an dieser Frage aus, oder Deutschland schloß sich dem
Gedanken an und stellte dafür seine Gegenforderungen. Nach
langen ernsten Erwägungen wurde der zweite Weg beschritten
und damit deutscherseits ein Abschluß der Arbeiten der dritten
Kommission wohl überhaupt ermöglicht. Dankbar wurde
allerseits dieses Entgegenkommen Deutschlands
gewürdigt und damit war die eine Zeitlang ernst-
lich drohende Gefahr eines völligen Scheiterns
der Konferenz überwunden.
Die beiden wichtigsten
Gegenforderungen Deutschlands, die weiterhin einstimmig be-
willigt wurden, waren: 1. daß das sogenannte permanente
Tribunal nicht als ein wirklicher dauernder Gerichtshof ein-
gerichtet werden, sondern im wesentlichen nur eine dauernde
Liste von Schiedsrichtern sein dürfe, aus denen ein-
tretendenfalls das Schiedsgericht gebildet werden könne;
2. daß jeder obligatorische Charakter des Schieds-
gerichts aus der Konvention beseitigt werde. Auf dieser
Grundlage erfolgte sodann friedlich und schiedlich in vollstem
Einverständniß der Abschluß der ganzen Arbeit in Komitee,
Kommission und Konferenz."
Der Bund der Landwirthe und das Fleischbeschaugesetz.

* Der "Ausschuß des Bundes der Landwirthe"
hat zum Schlachtvieh- und Fleischbeschaugesetz in einer außer-
ordentlichen Sitzung Stellung genommen und sich dahin aus-
[Spaltenumbruch] gesprochen, daß es für die deutsche Landwirthschaft
unmöglich
sei, über die Beschlüsse zweiter Lesung hinaus-
gehende Konzessionen zu machen. "Fast einstimmig" fügen
die Bundesorgane hinzu, ohne indeß nähere Auskunft zu
geben, wie stark die Ausschußsitzung besucht war, und was
mit denjenigen Mitgliedern des Ausschusses geschehen wird,
die durch ihre dissentirende Meinung -- nach dem Wortlaut
des oben erwähnten Beschlusses zu urtheilen -- gegen die
Grundsätze des Bundes verstoßen und sich in einen ausge-
sprochenen Gegensatz zu dem gesetzt, was der engere Vorstand
des Bundes überdies für unerläßlich hat bezeichnen lassen.

Koloniales.

* Die jungen deutschen Mädchen und Frauen,
welche zu Anfang November vorigen Jahres mit Unterstützung
der Deutschen Kolonialgesellschaft die Reise nach Deutsch-
Südwestafrika
angetreten haben, sind am 10. Dezember
glücklich in Swakopmund gelandet und dort von dem Finanz-
kommissär Pahl im Auftrage des Gouverneurs in Empfang
genommen worden. Derselbe hat für die Weiterbeförderung nach
den verschiedenen Bestimmungsorten Sorge getragen. Von den
jungen Mädchen, die in deutschen Familien des Schutzgebiets
in dienender Stellung Aufnahme gefunden haben, sind drei
in Swakopmund verblieben, während fünf in Windhoek und
zwei in Ojimbingwe Unterkunft gefunden haben. Drei haben
sich bereits verlobt, eine davon schon unterwegs mit einem
Offizier des betreffenden Woermann-Dampfers. Besonders
freudig ist im Schutzgebiet die Uebersiedelung einer Frau be-
grüßt worden, welche mit fünf Töchtern und vier Söhnen
ihrem ältesten Sohne, der mit einer seiner Schwestern bereits
1898 sich in Südwestafrika als Ansiedler niedergelassen hat,
gefolgt ist. Auch mit dem Dampfer, der am 25. März d. J.
von Hamburg abgefahren ist, hat ein Ansiedler nebst Frau
und vier Kindern die Ausreise nach Südwestafrika angetreten.
Ihnen werden im April ein junger Ehemann nebst Frau und
Schwiegermutter sowie mehrere Bräute folgen.

Hof- und Personalnachrichten.

* Nach einer Mittheilung der "Köln. Ztg.", welche die
"Nordd. Allg. Ztg." abdruckt, ist die von den "Braunschweiger
Neuesten Nachrichten" und auch von uns gebrachte Meldung,
daß nach der Verlobung des Prinzen Max von Baden mit
der Prinzessin Marie Luise von Cumberland zwischen dem
Kaiser und dem Herzog von Cumberland Glückwunsch-
telegramme ausgetauscht worden seien, unzutreffend. Ein
solcher Depeschenwechsel habe nicht stattgefunden. -- Die
Reise des Prinzen Georg von Sachsen nach Berlin hängt
mit seinem Rücktritt vom Kommando des XII. Armeekorps zu-
sammen. Der Prinz, der sich beim Kaiser abmelden wird, ist
im königlichen Schloß abgestiegen und war für Sonntag zur
kaiserlichen Frühstückstafel geladen. Am Abend gedachte er,
nach Dresden zurückzukehren. -- Assistenzarzt Dr. Dittmer,
welcher der Expedition des Hauptmanns v. Besser in Kamerun
angehörte, ist nach dem amtlichen "Deutschen Kolonialblatt"
seinen im Kampf erhaltenen Wunden erlegen. -- Zu den
ältesten und begütertsten westfälischen Adelsgeschlechtern katholischer Konfession gehören die Freiherren v. Boeselager. Wie




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.


msi. Kgl. Hostheater.

Keine sonntägliche Wagner-
Aufführung oder keine Wagnerische Sonntags-Aufführung
ohne Absagezettel! Der erste Blick hat beim Betreten des
Theaters jenen kleinen Anschlagzetteln zu gelten, welche die
angenehmen Ueberraschungen bringen. Man versäume dies
nie -- man wird die kleine Mühe immer belohnt finden.
Gestern gab man "Die Meistersinger von Nürnberg".
Wegen "Unpäßlichkeit" des Hrn. Knote hatte Hr. Mikorey
den David übernommen, und Hr. Klöpfer sang den Pogner
trotz starker Indisposition, "um die Vorstellung zu ermöglichen".
Herz, was willst du mehr? Gleich zwei Ueberraschungen
auf einmal. Hr. Mikorey wird den David nun wohl öfter
singen, wie er ihn schon vor Jahren wiederholt gesungen hat.
Er ist uns in der letzten Zeit wiederholt ein Retter in der Noth
gewesen und stets mit Glück. Wenn dieser David auch
einen sehr stattlichen Schnurrbart hat, er sieht doch
noch jünger aus, als er ist. Mit Hrn. Klöpfers Heiserkeit
war es, wie gewöhnlich, nicht weit her. Klöpfer der
Aengstliche hat ein besonderes Faible für Ab- und Ansagen.
Was uns aber den Besuch der "Meistersinger" auferlegte, war
das Gastspiel des Hrn. Gerhäuser, der als dritte Rolle
gestern den Walther von Stoltzing sang. Inzwischen hat das
Gerücht, daß der Karlsruher Gast hier engagirt sei oder doch
wenigstens engagirt werden wolle, den Weg in die Blätter
gefunden. Bisher durfte man sein Auftreten als eine Art
Ehren- oder Aushülfsgastspiel betrachten. Will Hr. Gerhäuser
aber bleiben, so wird man ihn darauf hin sich näher ansehen
müssen. Es ist keine Frage, daß Hr. Gerhäuser den bisherigen
Bewerber, Hrn. Carleen, in jeder Beziehung weit übertrifft,
andrerseits ist es immer etwas prekäres, einen Sänger, der
von hier ausgegangen ist und den man einfach hätte behalten
können, viele Jahre älter theuer zurückkaufen zu sollen. Hr.
Gerhäuser hat allerdings in sieben Jahren in Karlsruhe in
der Schule Mottls mehr gelernt, als er in dieser Zeit hier
unter weit minder einheitlicher Leitung hätte lernen können
-- er hat alles gelernt, was er nur lernen konnte. In der Er-
scheinung ein wahrhafter Heldentenor, der nur gestern ohne Bart
älter und ungünstiger aussah als im Bart, ist er ein routinirter
[Spaltenumbruch] Sänger und Darsteller geworden. Aber auch Mottl kann
keine Wunder wirken, und was die Natur versagt, kann selbst
eine so feine künstlerische Oper wie die Karlsruher nicht zum
Reifen bringen -- eben weil es nicht da ist. Das ist Schmelz
der Stimme und Wärme des Gefühls. Hr. Gerhäuser posirt
außerordentlich schön, aber was er auch thut -- er bleibt bis
ans Herz hinan kühl. Das fühlt man. Und die Stimme ist
stark, selbst für unser Haus stark genug, aber es fehlt ihr
der eigentliche Glanz und sie ist in der Höhe einigermaßen
begrenzt, wie sich bei der "Geburt" des Preisliedes im dritten
Akt gezeigt hat. Das Ansingen der Höhe im Piano wird leicht
brüchig, eben weil das Material ziemlich spröde ist. Trotz all
diesen "Abers" hatte der Gast einen schönen Erfolg und -- die
Heldentenöre sind so selten! Die übrige Besetzung brachte nichts
neues. Der Hans Sachs des Hrn. Feinhals ist leider noch recht
uninteressant und ohne ein Fünkchen von Humor; daß sein
schöner weicher Baryton so selten durchdrang, legen wir ihm
weniger zur Last als dem Orchester, das gestern wieder auffallend
roh spielte. Nur ein Brüller wie Brucks kann da durchdringen.
Höchste Stimmlosigkeiten wie die des Hrn. Klein werden
rettungslos verschlungen; sein Beckmesser suchte sich durch Ueber-
treibung des Spiels durchzusetzen. Auch das so deutlich dekla-
mirende Frln. Blank (Magdalene) blieb uns meist unverständ-
lich. Die Eva sang nach längerer Zeit wieder Frln. Schloß,
technisch sehr sauber, aber ohne jene Eindringlichkeit und
Ueberzeugung, die ihrem Evchen vielleicht unter günstigeren
Verhältnissen eigen gewesen wären. Die Aufführung, die so-
mit ziemlich Ungleichartiges bot, war sehr gut besucht.

𝜘. Das VII. Volks-Symphoniekonzert lockte gestern
Nachmittag eine gewaltige, den verschiedensten Ständen an-
gehörige Zuhörermenge in die Räume des Kaim-Saals. Zur
Aufführung gelangten die Ouvertüre zur "Zauberflöte", Beet-
hovens achte Symphonie in F-dur und der "Kaisermarsch"
von Richard Wagner. Gegen das Programm wäre einzu-
wenden, daß es auf den erst zu erziehenden Geschmack eines
Sonntagspublikums, in dem die arbeitende Klasse entschieden
überwiegt, nicht genügend Rücksicht nahm. Wir meinen, die
sublime, mit feinen Kontrapunkten gewürzte Ouvertüre kann
wohl der Kenner erfassen nicht aber der Werkelmann, dessen
Ohr an niedere Tanz- und Marschmusik gewöhnt ist. Syste-
matisches Aufsteigen vom Tieferen zum Höheren ist der
Witz aller Erziehung. Man durfte also zunächst jenes
[Spaltenumbruch] Element in der Kunstmusik, das gewissermaßen die Brücke
zur Volksmusik bildet, den veredelten Tanz nicht außer
acht lassen und hätte daher die Reihe der Darbietungen
vielleicht besser mit einer modernen Tanzsuite eröffnet.
Da war der effektvolle Kaisermarsch schon eher am Platz.
Dr. Dohrn dirigirte die beiden Sätze mit künstlerischem Ver-
ständniß. Die Symphonie aber, welche ob ihres Reichthums
an tanzmäßigen Rhythmen und ob ihrer Faßlichkeit gut ge-
wählt war, verlangt doch mehr Vertiefung und Verfeinerung.
Namentlich die Wiedergabe der Ecksätze entbehrte der stoff-
lichen Klärung. Zwischen den Instrumentalvorträgen sang
Frau Eugenie Zeiz Lieder von Schumann, Brahms ("Meine
Liebe ist grün") und Rubinstein. Sie verfügt über einen
kleinen, aber gebildeten Sopran. Allerdings geht die Höhe
etwas streng. In der Auffassung bekundete die Dame Ge-
schmack und Reife. Im übrigen versteht sie bei deutlicher Text-
aussprache meisterlich zu phrasiren. Auf den Jubel, den sie
mit Rubinsteins "Neue Liebe" entfesselte, spendete sie ein
französisches Lied in Fis als Zugabe.

Im großherzogl. Hoftheater ge-
langte gestern ein fünfaktiges "Wartburg-Drama" von
Maria Witilo (Gräfin v. Wedel, geb. Gräfin Beust) zur
Erstaufführung und hatte sowohl durch die überaus inter-
essante Handlung wie durch die sehr geschickte Bühnenaus-
führung des Stoffes sich eines lebhaften Beifalls zu erfreuen.
Motivirung wie Steigerung verriethen in keiner Weise die
Hand einer Dilettantin und so darf man den ferneren Bühnen-
schöpfungen der auf dem Gebiet der lyrischen Dichtung bereits
bekannten Verfasserin wohl mit hoffnungsvollster Spannung
entgegen sehen. Das bestimmt Geschichtliche des Stoffes be-
steht hauptsächlich in dem beglaubigten Zusammenhang, in
welchem "Die letzte Hohenstaufin" (dies ist der eigent-
liche Titel des Schauspiels) die Landgräfin Margarethe von
Thüringen mit Wissen und Zustimmung ihres Gatten, des
Landgrafen Albrecht, als Tochter des Kaisers Friedrich II.
von Hohenstaufen mit den Ghibellinen in Italien stand, die
ihr nach dem Tode Konradius auf dem Blutgerüst (1268)
dessen Erbe: die Königskrone beider Sizilien anboten. That-
sächlich hat Margarethe an die hohenstaufische Partei in
Italien einen Aufruf erlassen, in dem sie sich bereit erklärte,
für sich oder einen ihrer beiden Söhne jene Krone anzu-nehmen. Diese in den Büchern der Geschichte beglaubigte

Nr. 90. (Mit Beilage Nr. 76.)103. Jahrgang.
München, Montag, 2. April 1900.


Allgemeine Zeitung.
[Spaltenumbruch]
Wöchentlich
12 Ausgaben.
Bezugspreiſe:
Durch die Poſtämter:
jährlich M. 36. —,
ohne Beil. M. 18. —
(viertelj. M. 9. —,
ohne Beil. M. 4.50);
in München b. d Ex-
pedition od. d. Depots
monatlich M. 2. —,
ohne Beil. M. 1.20.
Zuſtellg. mil. 50 Pf.
Direkter Bezug für
Deutſchl. u. Oeſterreich
monatlich M. 4. —,
ohne Beil. M. 3. —,
Ausland M. 5.60,
ohne Beil. M. 4.40.
[Spaltenumbruch]
Inſertionspreis
für die kleinſpaltige
Kolonelzeile od. deren
Raum 25 Pfennig;
finanzielle Anzeigen
35 Pf.; lokale Ver-
kaufsanzeig. 20 Pf.;
Stellengeſuche 15 Pf.


Redaktion und Expe-
dition befinden ſich
Schwanthalerſtr. 36
in München.


Berichte ſind an die
Redaktion, Inſerat-
aufträge an die Ex-
pedition franko ein-
zuſenden.


[Spaltenumbruch]
Abonnements für Berlin nimmt unſere dortige Filiale in der Leipzigerſtraße 11 entgegen.
Abonnements für das Ausland
nehmen an: für England A. Siegle, 30 Lime Str., London; für Frankreich,
Portugal und Spanien A. Ammel und C. Klinckſieck in Paris; für Belgien, Bulgarien, Dänemark, Italien,
Niederlande, Rumänien, Rußland, Schweden und Norwegen, Schweiz, Serbien die dortigen Poſtämter; für den Orient
das k. k. Poſtamt in Wien oder Trieſt; für Nordamerika F. W. Chriſtern, E. Steiger u. Co., Guſt.
E. Stechert, Weſtermann u. Co., International News Comp., 83 und 85 Duane Str. in New-York.
[Spaltenumbruch] [Abbildung] [Spaltenumbruch]
Inſeratenannahme in München bei der Expedition, Schwanthalerſtraße 36, in Berlin in unſerer Filiale,
Leipzigerſtraße 11,
ferner in Berlin, Hamburg, Breslau, Köln, Leipzig. Frankfurt a. M., Stuttgart, Nürnberg,
Wien, Peſt, London, Zürich, Baſel ꝛc. bei den Annoncenbureaux R. Moſſe, Haaſenſte in u. Bogler. G. L.
Daube u. Co.
In den Filialen der Zeitungsbureaux Invalidendank zu Berlin, Dresden, Leipzig. Chemnitz ꝛc.
Außerdem in Berlin bei B. Arndt (Mohrenſtraße 26) und S. Kornik (Kochſtraße 23); für Frankreich bei John
F. Jones u. Co., 31bis Faubourg Montmartre in Paris.
Verantwortlich für den politiſchen Theil der Chefredakteur Haus Tournier, für das Feuilleton Alfred Frhr. v. Menſt, für den Handelstheil Ernſt Barth, ſämmtlich in München.
Druck und Verlag der Geſellſchaft mit beſchränkter Haftung „Verlag der Allgemeinen Zeitung“ in München.



[Spaltenumbruch]
Deutſches Reich.
Kaiſer Wilhelm und der deutſche Botſchafter in St. Petersburg.

Tel. Wie aus St. Peters-
burg
gemeldet wird, traf daſelbſt anläßlich des geſtrigen
Geburtstags des Botſchafters Fürſten Radolin ein
werthvolles Geſchenk des Deutſchen Kaiſers ein.
Ferner ſandte Kaiſer Wilhelm dem Fürſten Radolin ein
überaus gnädiges Glückwunſchtelegramm und ver-
lieh ihm zur Belohnung für ſeine treuen Dienſte das
Großkomthurkreuz des königlichen Hausordens
von Hohenzollern,
wobei er die Hoffnung ausſprach,
der Fürſt möge dasſelbe noch lange in Ehren tragen.

Bismarck-Feier.

In der „Philharmonie“ fand
geſtern Abend, wie alljährlich am Vorabend von Bis-
marcks Geburtstag,
ein großer Feſtkommers ſtatt,
an welchem Männer aus allen Berufskreiſen theilnahmen,
ſo daß der Saal überfüllt war; zahlreiche Damen ſaßen auf
den Tribünen. Auf der Bühne ſtand eine lorbergeſchmückte
Statue Bismarcks. Nachdem Direktor Schütz dem
Wunſche Ausdruck gegeben, Bismarcks Geburtstag möge
zum nationalen Feſttag werden, und das Hoch auf
den Kaiſer ausgebracht, welchen er als beſten Hüter des
europäiſchen Friedens pries, wechſelten Liedervorträge, An-
ſprachen und Trinkſprüche; die Feſtrede hielt Dr. Saal-
feld;
ſie gipfelte in dem Wunſche, Bismarcks Geiſt möge
zu ſegensreicher Zukunft weiter bei uns weilen. Beſonderen
Beifall fanden auch das Bismarck-Lied des Kammerſängers
Bulß und der Trinkſpruch Johann Trojans auf das Vater-
land.

Ein Aufruf mit zahlreichen Unterſchriften — darunter
Reichskanzler Fürſt zu Hohenlohe, Staatsminiſter
Dr. v. Miquel, Dr. Thielen, v. Podbielski, Dr.
Delbrück — ladet die Berliner Bürgerſchaft zu Bei-
trägen für eine in der Umgebung der Reichshauptſtadt zu
errichtende Bismarck-Säule ein.

Das Schiedsgerichtskompromiß auf der Haager Konferenz.

* Der Königsberger Rechtslehrer Prof. Zorn gibt
im Aprilheft der „Deutſchen Rundſchau“ werthvolle
Aufſchlüſſe über die völkerrechtlichen Ergebniſſe der
Haager Konferenz und liefert ſo eine Ergänzung zu
den neuerlichen Darlegungen des Prof. v. Stengel in
München. Von den Mittheilungen Zorns ſind diejenigen
beſonders intereſſant, die ſich auf das Kompromiß betreffs
des obligatoriſchen Schiedsgerichts beziehen. Be-
kanntlich war die Einrichtung eines permanenten Schieds-
gerichtshofes
nicht im ruſſiſchen Entwurf vorgeſehen,
ſondern vom britiſchen Botſchafter Pauncefote vorgeſchlagen
worden. Der Gedanke wurde darauf in nicht weniger
als drei Vorlagen, einer engliſchen, ruſſiſchen und ameri-
kaniſchen, formulirt. In dem vorberathenden Komitee
waren ſieben Großmächte und drei Mittelſtaaten vertreten;
vier Großmächte und die drei Mittelſtaaten waren von
vornherein für den Gedanken des permanenten Tribunals
[Spaltenumbruch] feſtgelegt. Was die übrigen Großmächte anlangt, ſo nahm
der Vertreter Oeſterreich-Ungarns, mit allem Vorbehalt
für ſeine Regierung, das permanente Tribunal an, Frank-
reich trat in weiteſtem Umfang auf den Standpunkt der
vier Großmächte, nur Deutſchland allein lehnte den Plan
Sir Pauncefote’s ab. Maßgebend für dieſe Haltung
Deutſchlands waren die Traditionen der Bismarck-
ſchen Politik,
die Zorn folgendermaßen umſchreibt:

„Eine klare, ſichere, feſte, ruhige Politik, die in ſorg-
ſamſter Erwägung der eigenen Staatsintereſſen und der ge-
botenen allgemeinen und beſonderen internationalen Rückſichten
voranſchreitet, ebenſo entfernt von thatloſer Apathie, wie von
verwirrenden Intriguen und Abenteuern, bedarf derartiger be-
ſonderer Mittel nicht, ſondern weiß ſich am beſten geborgen
in der Arbeit der eigenen Staatsmänner und der eigenen
Diplomatie, nur von ſich und mit ſich erwägend, ob etwa in
einem einzelnen Fall das außerordentliche Hülfsmittel eines
Schiedsrichters oder Schiedsgerichts dem gewiſſenhaft er-
wogenen Staatsintereſſe entſpreche.“

Demgemäß lehnte Deutſchland das Projekt Sir
Pauncefote’s unter Anerkennung des Gedankens, auf den
eine reifere Zukunft wohl zurückkommen werde, ab. Aus
der Verhandlung ergab ſich, wie Zorn hervorhebt, jeden-
falls eines zur Evidenz: man wollte, wenn irgend
möglich, das Werk nicht ohne Zuſtimmung
Deutſchlands zum Abſchluß bringen und war
bereit, hiefür weitgehende Zugeſtändniſſe nach
anderer Richtung zu machen.

„Unter dieſen Umſtänden“, ſchreibt Zorn, „ergab ſich
folgende Alternative …: entweder Deutſchland blieb bei
ſeiner Ablehnung und ſchied damit von der weiteren Mit-
arbeit an dieſer Frage aus, oder Deutſchland ſchloß ſich dem
Gedanken an und ſtellte dafür ſeine Gegenforderungen. Nach
langen ernſten Erwägungen wurde der zweite Weg beſchritten
und damit deutſcherſeits ein Abſchluß der Arbeiten der dritten
Kommiſſion wohl überhaupt ermöglicht. Dankbar wurde
allerſeits dieſes Entgegenkommen Deutſchlands
gewürdigt und damit war die eine Zeitlang ernſt-
lich drohende Gefahr eines völligen Scheiterns
der Konferenz überwunden.
Die beiden wichtigſten
Gegenforderungen Deutſchlands, die weiterhin einſtimmig be-
willigt wurden, waren: 1. daß das ſogenannte permanente
Tribunal nicht als ein wirklicher dauernder Gerichtshof ein-
gerichtet werden, ſondern im weſentlichen nur eine dauernde
Liſte von Schiedsrichtern ſein dürfe, aus denen ein-
tretendenfalls das Schiedsgericht gebildet werden könne;
2. daß jeder obligatoriſche Charakter des Schieds-
gerichts aus der Konvention beſeitigt werde. Auf dieſer
Grundlage erfolgte ſodann friedlich und ſchiedlich in vollſtem
Einverſtändniß der Abſchluß der ganzen Arbeit in Komitee,
Kommiſſion und Konferenz.“
Der Bund der Landwirthe und das Fleiſchbeſchaugeſetz.

* Der „Ausſchuß des Bundes der Landwirthe“
hat zum Schlachtvieh- und Fleiſchbeſchaugeſetz in einer außer-
ordentlichen Sitzung Stellung genommen und ſich dahin aus-
[Spaltenumbruch] geſprochen, daß es für die deutſche Landwirthſchaft
unmöglich
ſei, über die Beſchlüſſe zweiter Leſung hinaus-
gehende Konzeſſionen zu machen. „Faſt einſtimmig“ fügen
die Bundesorgane hinzu, ohne indeß nähere Auskunft zu
geben, wie ſtark die Ausſchußſitzung beſucht war, und was
mit denjenigen Mitgliedern des Ausſchuſſes geſchehen wird,
die durch ihre diſſentirende Meinung — nach dem Wortlaut
des oben erwähnten Beſchluſſes zu urtheilen — gegen die
Grundſätze des Bundes verſtoßen und ſich in einen ausge-
ſprochenen Gegenſatz zu dem geſetzt, was der engere Vorſtand
des Bundes überdies für unerläßlich hat bezeichnen laſſen.

Koloniales.

* Die jungen deutſchen Mädchen und Frauen,
welche zu Anfang November vorigen Jahres mit Unterſtützung
der Deutſchen Kolonialgeſellſchaft die Reiſe nach Deutſch-
Südweſtafrika
angetreten haben, ſind am 10. Dezember
glücklich in Swakopmund gelandet und dort von dem Finanz-
kommiſſär Pahl im Auftrage des Gouverneurs in Empfang
genommen worden. Derſelbe hat für die Weiterbeförderung nach
den verſchiedenen Beſtimmungsorten Sorge getragen. Von den
jungen Mädchen, die in deutſchen Familien des Schutzgebiets
in dienender Stellung Aufnahme gefunden haben, ſind drei
in Swakopmund verblieben, während fünf in Windhoek und
zwei in Ojimbingwe Unterkunft gefunden haben. Drei haben
ſich bereits verlobt, eine davon ſchon unterwegs mit einem
Offizier des betreffenden Woermann-Dampfers. Beſonders
freudig iſt im Schutzgebiet die Ueberſiedelung einer Frau be-
grüßt worden, welche mit fünf Töchtern und vier Söhnen
ihrem älteſten Sohne, der mit einer ſeiner Schweſtern bereits
1898 ſich in Südweſtafrika als Anſiedler niedergelaſſen hat,
gefolgt iſt. Auch mit dem Dampfer, der am 25. März d. J.
von Hamburg abgefahren iſt, hat ein Anſiedler nebſt Frau
und vier Kindern die Ausreiſe nach Südweſtafrika angetreten.
Ihnen werden im April ein junger Ehemann nebſt Frau und
Schwiegermutter ſowie mehrere Bräute folgen.

Hof- und Perſonalnachrichten.

* Nach einer Mittheilung der „Köln. Ztg.“, welche die
„Nordd. Allg. Ztg.“ abdruckt, iſt die von den „Braunſchweiger
Neueſten Nachrichten“ und auch von uns gebrachte Meldung,
daß nach der Verlobung des Prinzen Max von Baden mit
der Prinzeſſin Marie Luiſe von Cumberland zwiſchen dem
Kaiſer und dem Herzog von Cumberland Glückwunſch-
telegramme ausgetauſcht worden ſeien, unzutreffend. Ein
ſolcher Depeſchenwechſel habe nicht ſtattgefunden. — Die
Reiſe des Prinzen Georg von Sachſen nach Berlin hängt
mit ſeinem Rücktritt vom Kommando des XII. Armeekorps zu-
ſammen. Der Prinz, der ſich beim Kaiſer abmelden wird, iſt
im königlichen Schloß abgeſtiegen und war für Sonntag zur
kaiſerlichen Frühſtückstafel geladen. Am Abend gedachte er,
nach Dresden zurückzukehren. — Aſſiſtenzarzt Dr. Dittmer,
welcher der Expedition des Hauptmanns v. Beſſer in Kamerun
angehörte, iſt nach dem amtlichen „Deutſchen Kolonialblatt“
ſeinen im Kampf erhaltenen Wunden erlegen. — Zu den
älteſten und begütertſten weſtfäliſchen Adelsgeſchlechtern katholiſcher Konfeſſion gehören die Freiherren v. Boeſelager. Wie




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.


μσι. Kgl. Hoſtheater.

Keine ſonntägliche Wagner-
Aufführung oder keine Wagneriſche Sonntags-Aufführung
ohne Abſagezettel! Der erſte Blick hat beim Betreten des
Theaters jenen kleinen Anſchlagzetteln zu gelten, welche die
angenehmen Ueberraſchungen bringen. Man verſäume dies
nie — man wird die kleine Mühe immer belohnt finden.
Geſtern gab man „Die Meiſterſinger von Nürnberg“.
Wegen „Unpäßlichkeit“ des Hrn. Knote hatte Hr. Mikorey
den David übernommen, und Hr. Klöpfer ſang den Pogner
trotz ſtarker Indispoſition, „um die Vorſtellung zu ermöglichen“.
Herz, was willſt du mehr? Gleich zwei Ueberraſchungen
auf einmal. Hr. Mikorey wird den David nun wohl öfter
ſingen, wie er ihn ſchon vor Jahren wiederholt geſungen hat.
Er iſt uns in der letzten Zeit wiederholt ein Retter in der Noth
geweſen und ſtets mit Glück. Wenn dieſer David auch
einen ſehr ſtattlichen Schnurrbart hat, er ſieht doch
noch jünger aus, als er iſt. Mit Hrn. Klöpfers Heiſerkeit
war es, wie gewöhnlich, nicht weit her. Klöpfer der
Aengſtliche hat ein beſonderes Faible für Ab- und Anſagen.
Was uns aber den Beſuch der „Meiſterſinger“ auferlegte, war
das Gaſtſpiel des Hrn. Gerhäuſer, der als dritte Rolle
geſtern den Walther von Stoltzing ſang. Inzwiſchen hat das
Gerücht, daß der Karlsruher Gaſt hier engagirt ſei oder doch
wenigſtens engagirt werden wolle, den Weg in die Blätter
gefunden. Bisher durfte man ſein Auftreten als eine Art
Ehren- oder Aushülfsgaſtſpiel betrachten. Will Hr. Gerhäuſer
aber bleiben, ſo wird man ihn darauf hin ſich näher anſehen
müſſen. Es iſt keine Frage, daß Hr. Gerhäuſer den bisherigen
Bewerber, Hrn. Carléén, in jeder Beziehung weit übertrifft,
andrerſeits iſt es immer etwas prekäres, einen Sänger, der
von hier ausgegangen iſt und den man einfach hätte behalten
können, viele Jahre älter theuer zurückkaufen zu ſollen. Hr.
Gerhäuſer hat allerdings in ſieben Jahren in Karlsruhe in
der Schule Mottls mehr gelernt, als er in dieſer Zeit hier
unter weit minder einheitlicher Leitung hätte lernen können
— er hat alles gelernt, was er nur lernen konnte. In der Er-
ſcheinung ein wahrhafter Heldentenor, der nur geſtern ohne Bart
älter und ungünſtiger ausſah als im Bart, iſt er ein routinirter
[Spaltenumbruch] Sänger und Darſteller geworden. Aber auch Mottl kann
keine Wunder wirken, und was die Natur verſagt, kann ſelbſt
eine ſo feine künſtleriſche Oper wie die Karlsruher nicht zum
Reifen bringen — eben weil es nicht da iſt. Das iſt Schmelz
der Stimme und Wärme des Gefühls. Hr. Gerhäuſer poſirt
außerordentlich ſchön, aber was er auch thut — er bleibt bis
ans Herz hinan kühl. Das fühlt man. Und die Stimme iſt
ſtark, ſelbſt für unſer Haus ſtark genug, aber es fehlt ihr
der eigentliche Glanz und ſie iſt in der Höhe einigermaßen
begrenzt, wie ſich bei der „Geburt“ des Preisliedes im dritten
Akt gezeigt hat. Das Anſingen der Höhe im Piano wird leicht
brüchig, eben weil das Material ziemlich ſpröde iſt. Trotz all
dieſen „Abers“ hatte der Gaſt einen ſchönen Erfolg und — die
Heldentenöre ſind ſo ſelten! Die übrige Beſetzung brachte nichts
neues. Der Hans Sachs des Hrn. Feinhals iſt leider noch recht
unintereſſant und ohne ein Fünkchen von Humor; daß ſein
ſchöner weicher Baryton ſo ſelten durchdrang, legen wir ihm
weniger zur Laſt als dem Orcheſter, das geſtern wieder auffallend
roh ſpielte. Nur ein Brüller wie Brucks kann da durchdringen.
Höchſte Stimmloſigkeiten wie die des Hrn. Klein werden
rettungslos verſchlungen; ſein Beckmeſſer ſuchte ſich durch Ueber-
treibung des Spiels durchzuſetzen. Auch das ſo deutlich dekla-
mirende Frln. Blank (Magdalene) blieb uns meiſt unverſtänd-
lich. Die Eva ſang nach längerer Zeit wieder Frln. Schloß,
techniſch ſehr ſauber, aber ohne jene Eindringlichkeit und
Ueberzeugung, die ihrem Evchen vielleicht unter günſtigeren
Verhältniſſen eigen geweſen wären. Die Aufführung, die ſo-
mit ziemlich Ungleichartiges bot, war ſehr gut beſucht.

𝜘. Das VII. Volks-Symphoniekonzert lockte geſtern
Nachmittag eine gewaltige, den verſchiedenſten Ständen an-
gehörige Zuhörermenge in die Räume des Kaim-Saals. Zur
Aufführung gelangten die Ouvertüre zur „Zauberflöte“, Beet-
hovens achte Symphonie in F-dur und der „Kaiſermarſch“
von Richard Wagner. Gegen das Programm wäre einzu-
wenden, daß es auf den erſt zu erziehenden Geſchmack eines
Sonntagspublikums, in dem die arbeitende Klaſſe entſchieden
überwiegt, nicht genügend Rückſicht nahm. Wir meinen, die
ſublime, mit feinen Kontrapunkten gewürzte Ouvertüre kann
wohl der Kenner erfaſſen nicht aber der Werkelmann, deſſen
Ohr an niedere Tanz- und Marſchmuſik gewöhnt iſt. Syſte-
matiſches Aufſteigen vom Tieferen zum Höheren iſt der
Witz aller Erziehung. Man durfte alſo zunächſt jenes
[Spaltenumbruch] Element in der Kunſtmuſik, das gewiſſermaßen die Brücke
zur Volksmuſik bildet, den veredelten Tanz nicht außer
acht laſſen und hätte daher die Reihe der Darbietungen
vielleicht beſſer mit einer modernen Tanzſuite eröffnet.
Da war der effektvolle Kaiſermarſch ſchon eher am Platz.
Dr. Dohrn dirigirte die beiden Sätze mit künſtleriſchem Ver-
ſtändniß. Die Symphonie aber, welche ob ihres Reichthums
an tanzmäßigen Rhythmen und ob ihrer Faßlichkeit gut ge-
wählt war, verlangt doch mehr Vertiefung und Verfeinerung.
Namentlich die Wiedergabe der Eckſätze entbehrte der ſtoff-
lichen Klärung. Zwiſchen den Inſtrumentalvorträgen ſang
Frau Eugenie Zeiz Lieder von Schumann, Brahms („Meine
Liebe iſt grün“) und Rubinſtein. Sie verfügt über einen
kleinen, aber gebildeten Sopran. Allerdings geht die Höhe
etwas ſtreng. In der Auffaſſung bekundete die Dame Ge-
ſchmack und Reife. Im übrigen verſteht ſie bei deutlicher Text-
ausſprache meiſterlich zu phraſiren. Auf den Jubel, den ſie
mit Rubinſteins „Neue Liebe“ entfeſſelte, ſpendete ſie ein
franzöſiſches Lied in Fis als Zugabe.

Im großherzogl. Hoftheater ge-
langte geſtern ein fünfaktiges „Wartburg-Drama“ von
Maria Witilo (Gräfin v. Wedel, geb. Gräfin Beuſt) zur
Erſtaufführung und hatte ſowohl durch die überaus inter-
eſſante Handlung wie durch die ſehr geſchickte Bühnenaus-
führung des Stoffes ſich eines lebhaften Beifalls zu erfreuen.
Motivirung wie Steigerung verriethen in keiner Weiſe die
Hand einer Dilettantin und ſo darf man den ferneren Bühnen-
ſchöpfungen der auf dem Gebiet der lyriſchen Dichtung bereits
bekannten Verfaſſerin wohl mit hoffnungsvollſter Spannung
entgegen ſehen. Das beſtimmt Geſchichtliche des Stoffes be-
ſteht hauptſächlich in dem beglaubigten Zuſammenhang, in
welchem „Die letzte Hohenſtaufin“ (dies iſt der eigent-
liche Titel des Schauſpiels) die Landgräfin Margarethe von
Thüringen mit Wiſſen und Zuſtimmung ihres Gatten, des
Landgrafen Albrecht, als Tochter des Kaiſers Friedrich II.
von Hohenſtaufen mit den Ghibellinen in Italien ſtand, die
ihr nach dem Tode Konradius auf dem Blutgerüſt (1268)
deſſen Erbe: die Königskrone beider Sizilien anboten. That-
ſächlich hat Margarethe an die hohenſtaufiſche Partei in
Italien einen Aufruf erlaſſen, in dem ſie ſich bereit erklärte,
für ſich oder einen ihrer beiden Söhne jene Krone anzu-nehmen. Dieſe in den Büchern der Geſchichte beglaubigte

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&#x017F;prochenen Gegen&#x017F;atz zu dem ge&#x017F;etzt, was der engere Vor&#x017F;tand<lb/>
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Südwe&#x017F;tafrika</hi> angetreten haben, &#x017F;ind am 10. Dezember<lb/>
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&#x017F;ich bereits verlobt, eine davon &#x017F;chon unterwegs mit einem<lb/>
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Schwiegermutter &#x017F;owie mehrere Bräute folgen.</p>
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          <p>Keine &#x017F;onntägliche Wagner-<lb/>
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Theaters jenen kleinen An&#x017F;chlagzetteln zu gelten, welche die<lb/>
angenehmen Ueberra&#x017F;chungen bringen. Man ver&#x017F;äume dies<lb/>
nie &#x2014; man wird die kleine Mühe immer belohnt finden.<lb/>
Ge&#x017F;tern gab man <hi rendition="#g">&#x201E;Die Mei&#x017F;ter&#x017F;inger von Nürnberg&#x201C;.</hi><lb/>
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Herz, was will&#x017F;t du mehr? Gleich zwei Ueberra&#x017F;chungen<lb/>
auf einmal. Hr. Mikorey wird den David nun wohl öfter<lb/>
&#x017F;ingen, wie er ihn &#x017F;chon vor Jahren wiederholt ge&#x017F;ungen hat.<lb/>
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gewe&#x017F;en und &#x017F;tets mit Glück. Wenn die&#x017F;er David auch<lb/>
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Gerücht, daß der Karlsruher Ga&#x017F;t hier engagirt &#x017F;ei oder doch<lb/>
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Gerhäu&#x017F;er hat allerdings in &#x017F;ieben Jahren in Karlsruhe in<lb/>
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&#x017F;cheinung ein wahrhafter Heldentenor, der nur ge&#x017F;tern ohne Bart<lb/>
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keine Wunder wirken, und was die Natur ver&#x017F;agt, kann &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
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Reifen bringen &#x2014; eben weil es nicht da i&#x017F;t. Das i&#x017F;t Schmelz<lb/>
der Stimme und Wärme des Gefühls. Hr. Gerhäu&#x017F;er po&#x017F;irt<lb/>
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Akt gezeigt hat. Das An&#x017F;ingen der Höhe im Piano wird leicht<lb/>
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Heldentenöre &#x017F;ind &#x017F;o &#x017F;elten! Die übrige Be&#x017F;etzung brachte nichts<lb/>
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[0001] Nr. 90. (Mit Beilage Nr. 76.)103. Jahrgang. München, Montag, 2. April 1900. Allgemeine Zeitung. Wöchentlich 12 Ausgaben. Bezugspreiſe: Durch die Poſtämter: jährlich M. 36. —, ohne Beil. M. 18. — (viertelj. M. 9. —, ohne Beil. M. 4.50); in München b. d Ex- pedition od. d. Depots monatlich M. 2. —, ohne Beil. M. 1.20. Zuſtellg. mil. 50 Pf. Direkter Bezug für Deutſchl. u. Oeſterreich monatlich M. 4. —, ohne Beil. M. 3. —, Ausland M. 5.60, ohne Beil. M. 4.40. Inſertionspreis für die kleinſpaltige Kolonelzeile od. deren Raum 25 Pfennig; finanzielle Anzeigen 35 Pf.; lokale Ver- kaufsanzeig. 20 Pf.; Stellengeſuche 15 Pf. Redaktion und Expe- dition befinden ſich Schwanthalerſtr. 36 in München. Berichte ſind an die Redaktion, Inſerat- aufträge an die Ex- pedition franko ein- zuſenden. Abonnements für Berlin nimmt unſere dortige Filiale in der Leipzigerſtraße 11 entgegen. Abonnements für das Ausland nehmen an: für England A. 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Co., 31bis Faubourg Montmartre in Paris. Verantwortlich für den politiſchen Theil der Chefredakteur Haus Tournier, für das Feuilleton Alfred Frhr. v. Menſt, für den Handelstheil Ernſt Barth, ſämmtlich in München. Druck und Verlag der Geſellſchaft mit beſchränkter Haftung „Verlag der Allgemeinen Zeitung“ in München. Deutſches Reich. Kaiſer Wilhelm und der deutſche Botſchafter in St. Petersburg. * Berlin, 2. April.Tel. Wie aus St. Peters- burg gemeldet wird, traf daſelbſt anläßlich des geſtrigen Geburtstags des Botſchafters Fürſten Radolin ein werthvolles Geſchenk des Deutſchen Kaiſers ein. Ferner ſandte Kaiſer Wilhelm dem Fürſten Radolin ein überaus gnädiges Glückwunſchtelegramm und ver- lieh ihm zur Belohnung für ſeine treuen Dienſte das Großkomthurkreuz des königlichen Hausordens von Hohenzollern, wobei er die Hoffnung ausſprach, der Fürſt möge dasſelbe noch lange in Ehren tragen. Bismarck-Feier. * Berlin, 1. April.In der „Philharmonie“ fand geſtern Abend, wie alljährlich am Vorabend von Bis- marcks Geburtstag, ein großer Feſtkommers ſtatt, an welchem Männer aus allen Berufskreiſen theilnahmen, ſo daß der Saal überfüllt war; zahlreiche Damen ſaßen auf den Tribünen. Auf der Bühne ſtand eine lorbergeſchmückte Statue Bismarcks. Nachdem Direktor Schütz dem Wunſche Ausdruck gegeben, Bismarcks Geburtstag möge zum nationalen Feſttag werden, und das Hoch auf den Kaiſer ausgebracht, welchen er als beſten Hüter des europäiſchen Friedens pries, wechſelten Liedervorträge, An- ſprachen und Trinkſprüche; die Feſtrede hielt Dr. Saal- feld; ſie gipfelte in dem Wunſche, Bismarcks Geiſt möge zu ſegensreicher Zukunft weiter bei uns weilen. Beſonderen Beifall fanden auch das Bismarck-Lied des Kammerſängers Bulß und der Trinkſpruch Johann Trojans auf das Vater- land. Ein Aufruf mit zahlreichen Unterſchriften — darunter Reichskanzler Fürſt zu Hohenlohe, Staatsminiſter Dr. v. Miquel, Dr. Thielen, v. Podbielski, Dr. Delbrück — ladet die Berliner Bürgerſchaft zu Bei- trägen für eine in der Umgebung der Reichshauptſtadt zu errichtende Bismarck-Säule ein. Das Schiedsgerichtskompromiß auf der Haager Konferenz. * Der Königsberger Rechtslehrer Prof. Zorn gibt im Aprilheft der „Deutſchen Rundſchau“ werthvolle Aufſchlüſſe über die völkerrechtlichen Ergebniſſe der Haager Konferenz und liefert ſo eine Ergänzung zu den neuerlichen Darlegungen des Prof. v. Stengel in München. Von den Mittheilungen Zorns ſind diejenigen beſonders intereſſant, die ſich auf das Kompromiß betreffs des obligatoriſchen Schiedsgerichts beziehen. Be- kanntlich war die Einrichtung eines permanenten Schieds- gerichtshofes nicht im ruſſiſchen Entwurf vorgeſehen, ſondern vom britiſchen Botſchafter Pauncefote vorgeſchlagen worden. Der Gedanke wurde darauf in nicht weniger als drei Vorlagen, einer engliſchen, ruſſiſchen und ameri- kaniſchen, formulirt. In dem vorberathenden Komitee waren ſieben Großmächte und drei Mittelſtaaten vertreten; vier Großmächte und die drei Mittelſtaaten waren von vornherein für den Gedanken des permanenten Tribunals feſtgelegt. Was die übrigen Großmächte anlangt, ſo nahm der Vertreter Oeſterreich-Ungarns, mit allem Vorbehalt für ſeine Regierung, das permanente Tribunal an, Frank- reich trat in weiteſtem Umfang auf den Standpunkt der vier Großmächte, nur Deutſchland allein lehnte den Plan Sir Pauncefote’s ab. Maßgebend für dieſe Haltung Deutſchlands waren die Traditionen der Bismarck- ſchen Politik, die Zorn folgendermaßen umſchreibt: „Eine klare, ſichere, feſte, ruhige Politik, die in ſorg- ſamſter Erwägung der eigenen Staatsintereſſen und der ge- botenen allgemeinen und beſonderen internationalen Rückſichten voranſchreitet, ebenſo entfernt von thatloſer Apathie, wie von verwirrenden Intriguen und Abenteuern, bedarf derartiger be- ſonderer Mittel nicht, ſondern weiß ſich am beſten geborgen in der Arbeit der eigenen Staatsmänner und der eigenen Diplomatie, nur von ſich und mit ſich erwägend, ob etwa in einem einzelnen Fall das außerordentliche Hülfsmittel eines Schiedsrichters oder Schiedsgerichts dem gewiſſenhaft er- wogenen Staatsintereſſe entſpreche.“ Demgemäß lehnte Deutſchland das Projekt Sir Pauncefote’s unter Anerkennung des Gedankens, auf den eine reifere Zukunft wohl zurückkommen werde, ab. Aus der Verhandlung ergab ſich, wie Zorn hervorhebt, jeden- falls eines zur Evidenz: man wollte, wenn irgend möglich, das Werk nicht ohne Zuſtimmung Deutſchlands zum Abſchluß bringen und war bereit, hiefür weitgehende Zugeſtändniſſe nach anderer Richtung zu machen. „Unter dieſen Umſtänden“, ſchreibt Zorn, „ergab ſich folgende Alternative …: entweder Deutſchland blieb bei ſeiner Ablehnung und ſchied damit von der weiteren Mit- arbeit an dieſer Frage aus, oder Deutſchland ſchloß ſich dem Gedanken an und ſtellte dafür ſeine Gegenforderungen. Nach langen ernſten Erwägungen wurde der zweite Weg beſchritten und damit deutſcherſeits ein Abſchluß der Arbeiten der dritten Kommiſſion wohl überhaupt ermöglicht. Dankbar wurde allerſeits dieſes Entgegenkommen Deutſchlands gewürdigt und damit war die eine Zeitlang ernſt- lich drohende Gefahr eines völligen Scheiterns der Konferenz überwunden. Die beiden wichtigſten Gegenforderungen Deutſchlands, die weiterhin einſtimmig be- willigt wurden, waren: 1. daß das ſogenannte permanente Tribunal nicht als ein wirklicher dauernder Gerichtshof ein- gerichtet werden, ſondern im weſentlichen nur eine dauernde Liſte von Schiedsrichtern ſein dürfe, aus denen ein- tretendenfalls das Schiedsgericht gebildet werden könne; 2. daß jeder obligatoriſche Charakter des Schieds- gerichts aus der Konvention beſeitigt werde. Auf dieſer Grundlage erfolgte ſodann friedlich und ſchiedlich in vollſtem Einverſtändniß der Abſchluß der ganzen Arbeit in Komitee, Kommiſſion und Konferenz.“ Der Bund der Landwirthe und das Fleiſchbeſchaugeſetz. * Der „Ausſchuß des Bundes der Landwirthe“ hat zum Schlachtvieh- und Fleiſchbeſchaugeſetz in einer außer- ordentlichen Sitzung Stellung genommen und ſich dahin aus- geſprochen, daß es für die deutſche Landwirthſchaft unmöglich ſei, über die Beſchlüſſe zweiter Leſung hinaus- gehende Konzeſſionen zu machen. „Faſt einſtimmig“ fügen die Bundesorgane hinzu, ohne indeß nähere Auskunft zu geben, wie ſtark die Ausſchußſitzung beſucht war, und was mit denjenigen Mitgliedern des Ausſchuſſes geſchehen wird, die durch ihre diſſentirende Meinung — nach dem Wortlaut des oben erwähnten Beſchluſſes zu urtheilen — gegen die Grundſätze des Bundes verſtoßen und ſich in einen ausge- ſprochenen Gegenſatz zu dem geſetzt, was der engere Vorſtand des Bundes überdies für unerläßlich hat bezeichnen laſſen. Koloniales. * Die jungen deutſchen Mädchen und Frauen, welche zu Anfang November vorigen Jahres mit Unterſtützung der Deutſchen Kolonialgeſellſchaft die Reiſe nach Deutſch- Südweſtafrika angetreten haben, ſind am 10. Dezember glücklich in Swakopmund gelandet und dort von dem Finanz- kommiſſär Pahl im Auftrage des Gouverneurs in Empfang genommen worden. Derſelbe hat für die Weiterbeförderung nach den verſchiedenen Beſtimmungsorten Sorge getragen. Von den jungen Mädchen, die in deutſchen Familien des Schutzgebiets in dienender Stellung Aufnahme gefunden haben, ſind drei in Swakopmund verblieben, während fünf in Windhoek und zwei in Ojimbingwe Unterkunft gefunden haben. Drei haben ſich bereits verlobt, eine davon ſchon unterwegs mit einem Offizier des betreffenden Woermann-Dampfers. Beſonders freudig iſt im Schutzgebiet die Ueberſiedelung einer Frau be- grüßt worden, welche mit fünf Töchtern und vier Söhnen ihrem älteſten Sohne, der mit einer ſeiner Schweſtern bereits 1898 ſich in Südweſtafrika als Anſiedler niedergelaſſen hat, gefolgt iſt. Auch mit dem Dampfer, der am 25. März d. J. von Hamburg abgefahren iſt, hat ein Anſiedler nebſt Frau und vier Kindern die Ausreiſe nach Südweſtafrika angetreten. Ihnen werden im April ein junger Ehemann nebſt Frau und Schwiegermutter ſowie mehrere Bräute folgen. Hof- und Perſonalnachrichten. * Nach einer Mittheilung der „Köln. Ztg.“, welche die „Nordd. Allg. Ztg.“ abdruckt, iſt die von den „Braunſchweiger Neueſten Nachrichten“ und auch von uns gebrachte Meldung, daß nach der Verlobung des Prinzen Max von Baden mit der Prinzeſſin Marie Luiſe von Cumberland zwiſchen dem Kaiſer und dem Herzog von Cumberland Glückwunſch- telegramme ausgetauſcht worden ſeien, unzutreffend. Ein ſolcher Depeſchenwechſel habe nicht ſtattgefunden. — Die Reiſe des Prinzen Georg von Sachſen nach Berlin hängt mit ſeinem Rücktritt vom Kommando des XII. Armeekorps zu- ſammen. Der Prinz, der ſich beim Kaiſer abmelden wird, iſt im königlichen Schloß abgeſtiegen und war für Sonntag zur kaiſerlichen Frühſtückstafel geladen. Am Abend gedachte er, nach Dresden zurückzukehren. — Aſſiſtenzarzt Dr. Dittmer, welcher der Expedition des Hauptmanns v. Beſſer in Kamerun angehörte, iſt nach dem amtlichen „Deutſchen Kolonialblatt“ ſeinen im Kampf erhaltenen Wunden erlegen. — Zu den älteſten und begütertſten weſtfäliſchen Adelsgeſchlechtern katholiſcher Konfeſſion gehören die Freiherren v. Boeſelager. Wie Feuilleton. μσι. Kgl. Hoſtheater.Keine ſonntägliche Wagner- Aufführung oder keine Wagneriſche Sonntags-Aufführung ohne Abſagezettel! Der erſte Blick hat beim Betreten des Theaters jenen kleinen Anſchlagzetteln zu gelten, welche die angenehmen Ueberraſchungen bringen. Man verſäume dies nie — man wird die kleine Mühe immer belohnt finden. Geſtern gab man „Die Meiſterſinger von Nürnberg“. Wegen „Unpäßlichkeit“ des Hrn. Knote hatte Hr. Mikorey den David übernommen, und Hr. Klöpfer ſang den Pogner trotz ſtarker Indispoſition, „um die Vorſtellung zu ermöglichen“. Herz, was willſt du mehr? Gleich zwei Ueberraſchungen auf einmal. Hr. Mikorey wird den David nun wohl öfter ſingen, wie er ihn ſchon vor Jahren wiederholt geſungen hat. Er iſt uns in der letzten Zeit wiederholt ein Retter in der Noth geweſen und ſtets mit Glück. Wenn dieſer David auch einen ſehr ſtattlichen Schnurrbart hat, er ſieht doch noch jünger aus, als er iſt. Mit Hrn. Klöpfers Heiſerkeit war es, wie gewöhnlich, nicht weit her. Klöpfer der Aengſtliche hat ein beſonderes Faible für Ab- und Anſagen. Was uns aber den Beſuch der „Meiſterſinger“ auferlegte, war das Gaſtſpiel des Hrn. Gerhäuſer, der als dritte Rolle geſtern den Walther von Stoltzing ſang. Inzwiſchen hat das Gerücht, daß der Karlsruher Gaſt hier engagirt ſei oder doch wenigſtens engagirt werden wolle, den Weg in die Blätter gefunden. Bisher durfte man ſein Auftreten als eine Art Ehren- oder Aushülfsgaſtſpiel betrachten. Will Hr. Gerhäuſer aber bleiben, ſo wird man ihn darauf hin ſich näher anſehen müſſen. Es iſt keine Frage, daß Hr. Gerhäuſer den bisherigen Bewerber, Hrn. Carléén, in jeder Beziehung weit übertrifft, andrerſeits iſt es immer etwas prekäres, einen Sänger, der von hier ausgegangen iſt und den man einfach hätte behalten können, viele Jahre älter theuer zurückkaufen zu ſollen. Hr. Gerhäuſer hat allerdings in ſieben Jahren in Karlsruhe in der Schule Mottls mehr gelernt, als er in dieſer Zeit hier unter weit minder einheitlicher Leitung hätte lernen können — er hat alles gelernt, was er nur lernen konnte. In der Er- ſcheinung ein wahrhafter Heldentenor, der nur geſtern ohne Bart älter und ungünſtiger ausſah als im Bart, iſt er ein routinirter Sänger und Darſteller geworden. Aber auch Mottl kann keine Wunder wirken, und was die Natur verſagt, kann ſelbſt eine ſo feine künſtleriſche Oper wie die Karlsruher nicht zum Reifen bringen — eben weil es nicht da iſt. Das iſt Schmelz der Stimme und Wärme des Gefühls. Hr. Gerhäuſer poſirt außerordentlich ſchön, aber was er auch thut — er bleibt bis ans Herz hinan kühl. Das fühlt man. Und die Stimme iſt ſtark, ſelbſt für unſer Haus ſtark genug, aber es fehlt ihr der eigentliche Glanz und ſie iſt in der Höhe einigermaßen begrenzt, wie ſich bei der „Geburt“ des Preisliedes im dritten Akt gezeigt hat. Das Anſingen der Höhe im Piano wird leicht brüchig, eben weil das Material ziemlich ſpröde iſt. Trotz all dieſen „Abers“ hatte der Gaſt einen ſchönen Erfolg und — die Heldentenöre ſind ſo ſelten! Die übrige Beſetzung brachte nichts neues. Der Hans Sachs des Hrn. Feinhals iſt leider noch recht unintereſſant und ohne ein Fünkchen von Humor; daß ſein ſchöner weicher Baryton ſo ſelten durchdrang, legen wir ihm weniger zur Laſt als dem Orcheſter, das geſtern wieder auffallend roh ſpielte. Nur ein Brüller wie Brucks kann da durchdringen. Höchſte Stimmloſigkeiten wie die des Hrn. Klein werden rettungslos verſchlungen; ſein Beckmeſſer ſuchte ſich durch Ueber- treibung des Spiels durchzuſetzen. Auch das ſo deutlich dekla- mirende Frln. Blank (Magdalene) blieb uns meiſt unverſtänd- lich. Die Eva ſang nach längerer Zeit wieder Frln. Schloß, techniſch ſehr ſauber, aber ohne jene Eindringlichkeit und Ueberzeugung, die ihrem Evchen vielleicht unter günſtigeren Verhältniſſen eigen geweſen wären. Die Aufführung, die ſo- mit ziemlich Ungleichartiges bot, war ſehr gut beſucht. &#x1D718;. Das VII. Volks-Symphoniekonzert lockte geſtern Nachmittag eine gewaltige, den verſchiedenſten Ständen an- gehörige Zuhörermenge in die Räume des Kaim-Saals. Zur Aufführung gelangten die Ouvertüre zur „Zauberflöte“, Beet- hovens achte Symphonie in F-dur und der „Kaiſermarſch“ von Richard Wagner. Gegen das Programm wäre einzu- wenden, daß es auf den erſt zu erziehenden Geſchmack eines Sonntagspublikums, in dem die arbeitende Klaſſe entſchieden überwiegt, nicht genügend Rückſicht nahm. Wir meinen, die ſublime, mit feinen Kontrapunkten gewürzte Ouvertüre kann wohl der Kenner erfaſſen nicht aber der Werkelmann, deſſen Ohr an niedere Tanz- und Marſchmuſik gewöhnt iſt. Syſte- matiſches Aufſteigen vom Tieferen zum Höheren iſt der Witz aller Erziehung. Man durfte alſo zunächſt jenes Element in der Kunſtmuſik, das gewiſſermaßen die Brücke zur Volksmuſik bildet, den veredelten Tanz nicht außer acht laſſen und hätte daher die Reihe der Darbietungen vielleicht beſſer mit einer modernen Tanzſuite eröffnet. Da war der effektvolle Kaiſermarſch ſchon eher am Platz. Dr. Dohrn dirigirte die beiden Sätze mit künſtleriſchem Ver- ſtändniß. Die Symphonie aber, welche ob ihres Reichthums an tanzmäßigen Rhythmen und ob ihrer Faßlichkeit gut ge- wählt war, verlangt doch mehr Vertiefung und Verfeinerung. Namentlich die Wiedergabe der Eckſätze entbehrte der ſtoff- lichen Klärung. Zwiſchen den Inſtrumentalvorträgen ſang Frau Eugenie Zeiz Lieder von Schumann, Brahms („Meine Liebe iſt grün“) und Rubinſtein. Sie verfügt über einen kleinen, aber gebildeten Sopran. Allerdings geht die Höhe etwas ſtreng. In der Auffaſſung bekundete die Dame Ge- ſchmack und Reife. Im übrigen verſteht ſie bei deutlicher Text- ausſprache meiſterlich zu phraſiren. Auf den Jubel, den ſie mit Rubinſteins „Neue Liebe“ entfeſſelte, ſpendete ſie ein franzöſiſches Lied in Fis als Zugabe. tz. Weimar, 1. AprilIm großherzogl. Hoftheater ge- langte geſtern ein fünfaktiges „Wartburg-Drama“ von Maria Witilo (Gräfin v. Wedel, geb. Gräfin Beuſt) zur Erſtaufführung und hatte ſowohl durch die überaus inter- eſſante Handlung wie durch die ſehr geſchickte Bühnenaus- führung des Stoffes ſich eines lebhaften Beifalls zu erfreuen. Motivirung wie Steigerung verriethen in keiner Weiſe die Hand einer Dilettantin und ſo darf man den ferneren Bühnen- ſchöpfungen der auf dem Gebiet der lyriſchen Dichtung bereits bekannten Verfaſſerin wohl mit hoffnungsvollſter Spannung entgegen ſehen. Das beſtimmt Geſchichtliche des Stoffes be- ſteht hauptſächlich in dem beglaubigten Zuſammenhang, in welchem „Die letzte Hohenſtaufin“ (dies iſt der eigent- liche Titel des Schauſpiels) die Landgräfin Margarethe von Thüringen mit Wiſſen und Zuſtimmung ihres Gatten, des Landgrafen Albrecht, als Tochter des Kaiſers Friedrich II. von Hohenſtaufen mit den Ghibellinen in Italien ſtand, die ihr nach dem Tode Konradius auf dem Blutgerüſt (1268) deſſen Erbe: die Königskrone beider Sizilien anboten. That- ſächlich hat Margarethe an die hohenſtaufiſche Partei in Italien einen Aufruf erlaſſen, in dem ſie ſich bereit erklärte, für ſich oder einen ihrer beiden Söhne jene Krone anzu-nehmen. Dieſe in den Büchern der Geſchichte beglaubigte

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2020-10-02T09:49:36Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 90, 2. April 1900, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine90_1900/1>, abgerufen am 23.11.2024.