Allgemeine Zeitung, Nr. 87, 27. März 1848.Nr. 87. [Spaltenumbruch]
Beilage zur Allgemeinen Zeitung. [Spaltenumbruch]
27 März 1848.[Spaltenumbruch]
Noch ein Wort über Harleß' Heerpredigt. ** Aus Franken.Eines der stärksten Zeichen wie durchgrei- Nationalität. * Vom Rhein.Gemeinplätze werden mit Recht von beschei- Die Begriffe Nationalität und Vaterland haben eine naturwüchsige, Durch die Schwächung des fränkischen Elementes bei den Theilun- *) D. h. eine gewisse Sorte Theosophen, die eine enge und dünkelhafte
Rechthaberei gern hinter der Bibel maskirt, sprach bei jeder Gelegen- heit von ihrer eigenen stupenden "Geistestiefe". Trübe Wasser sehen tief aus, sind es aber nicht immer. Red. d. Allg. Ztg. Nr. 87. [Spaltenumbruch]
Beilage zur Allgemeinen Zeitung. [Spaltenumbruch]
27 März 1848.[Spaltenumbruch]
Noch ein Wort über Harleß’ Heerpredigt. ** Aus Franken.Eines der ſtärkſten Zeichen wie durchgrei- Nationalität. * Vom Rhein.Gemeinplätze werden mit Recht von beſchei- Die Begriffe Nationalität und Vaterland haben eine naturwüchſige, Durch die Schwächung des fränkiſchen Elementes bei den Theilun- *) D. h. eine gewiſſe Sorte Theoſophen, die eine enge und dünkelhafte
Rechthaberei gern hinter der Bibel maskirt, ſprach bei jeder Gelegen- heit von ihrer eigenen ſtupenden „Geiſtestiefe“. Trübe Waſſer ſehen tief aus, ſind es aber nicht immer. Red. d. Allg. 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Es<lb/> ſchien als ob ein liberaler, unabhängiger Mann nichts anderes als ein<lb/> Revolutionär und jeder Liebhaber kirchlichen Friedens nichts als ein<lb/> Lichtfreund ſeyn könne. Nun hat eine von Gott verhängte, aller Welt<lb/> unerwartete Bewegung den Ernſt, die Wahrheit, die Beſonnenheit jener<lb/> politiſchen Forderungen von den Schwindeleien und unreinen Treibereien<lb/> des litterariſchen und andern Haufens geſondert, und der Glanz der<lb/> Idee eines freien in kräftiger Organiſation ſtarken Deutſchlands unter<lb/> den Segnungen bürgerlicher Freiheit hat auch jene Augen getroffen, und<lb/> ſie haben das Göttliche auch in dieſen Bewegungen erkannt, ſicherlich<lb/> mehr im Geiſt auch der lutheriſchen Kirche, deren Vormänner im ſech-<lb/> zehnten Jahrhundert ebenſo Starkes gegen Deſpotie und gouvernemen-<lb/> tale Mißbräuche ſagten, als je auf einer deutſchen Tribüne vorgekom-<lb/> men, als im Geiſt eines excluſiven, herrſchſüchtigen, höhniſchen und ver-<lb/> dammenden Credo, das ſie früher geltend gemacht. 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Allbe-<lb/> kannte Dinge, wie die Macht der Nationalität eines großes Volkes und<lb/> die aufopfernde Vaterlandsliebe gebildeter Staatsbürger, ſind billig<lb/> im 19ten Jahrhundert ſo ſehr über allen Zweifel erhaben daß aus der<lb/> Geſammtheit ein jeder mit vollem Vertrauen darauf hinweist als auf<lb/> ein wohlgefülltes Zeughaus und auf einen fort und fort ſich häufenden<lb/> Schatz. Mögen auch die Beiſpiele nicht ſogleich zur Hand ſeyn: daß<lb/> es alſo ſey, iſt ein natürliches und vernünftiges Erforderniß, ein all-<lb/> gemeiner Vorſatz. Und was noch nicht Wahrheit iſt, kann Wahrheit<lb/> werden. Auch Fictionen und Vorſtellungen werden zu Wirklichkeiten<lb/> ſobald die Menſchen daran glauben. Siegreiche Thatſachen bringen<lb/><cb/> ihnen das Anſehen von Geſetz und Recht. Haben nicht die Schweizer<lb/> trotz dreier Nationalitäten nur eine Nation, trotz 22 Souveränetäten<lb/> nur ein Vaterland vorſtellen wollen? Und die Tagſatzung hat die<lb/> Theorie durchgeführt. Da aber andrer Orten die Sache unter ähn-<lb/> lichen Umſtänden doch anders ſtehen dürfte, iſt es für alle Fälle da<lb/> nicht weiſe jene Waffen im Zeughauſe zu muſtern, jene Schätze zu<lb/> wägen? Es iſt ja Friede und alle Zeit dazu, ja in Deutſchland iſt es<lb/> umſomehr eine Ehrenſache uns ſelbſt darüber klar zu werden, als die<lb/> Fremden davon eine weit geringere oder gar keine Meinung haben.</p><lb/> <p>Die Begriffe Nationalität und Vaterland haben eine naturwüchſige,<lb/> hiſtoriſche und eine theoretiſche, abſtracte Seite. An welcher von beiden<lb/> hängt das Herz der Menſchen? An dem reinen Blut gemeinſamer Al-<lb/> ſtammung, oder an der gemeinſamen geiſtigen und politiſchen Errun-<lb/> genſchaft? Und wo iſt das Vaterland der Vaterlandsliebe? In der<lb/> Heimath, dem Stammland, innerhalb der Sprachgränze, oder in dem<lb/> Staat, dem Ideal des geiſtigen Geſammtlebens? Die Zeiten wechſeln<lb/> und mit ihnen ändern ſich die Antworten auf ſolche Fragen. Auffal-<lb/> lend iſt auf den erſten Blick wie in unſerm Jahrhundert, deſſen nivel-<lb/> lirende Cultur für die höhern Stände alle Entfernungen und Unter-<lb/> ſchiede aufzuheben ſcheint, dennoch der Begriff der Nationalitäten ſich<lb/> zu Gegenſätzen geſteigert hat, wie ſie die frühere chriſtliche Zeitrechnung<lb/> nicht kannte. Freilich umfaßt das Band einer einzigen Kirche jetzt nicht<lb/> mehr alle Völker Europa’s, und die höhere chriſtliche Bruderſchaft gilt<lb/> unter ihnen nicht länger. Allein dieſer Grund wirkt ſchon 300 Jahre.<lb/> Näher noch liegt die Erklärung daß eben in Europa überhaupt nur<lb/> vier große Nationen ſich in die Weltherrſchaft theilen und um den er-<lb/> ſten Rang ſtreiten — eine jede mit eignen Vorzügen. Daher die ins<lb/> Auge fallende Eiferſucht der Bewerber. Bei der deutſchen Nation iſt<lb/> der Eifer dadurch ſchon zu erklären daß ihr ſozuſagen die moraliſche<lb/> Perſönlichkeit abgeht, die Beweiskraft der äußeren Erſcheinung. Denn<lb/> die Form und Einkleidung des Bundes entſpricht dem National-Ideal<lb/> weder nach rationaliſtiſcher noch hiſtoriſcher Auffaſſung vollkommen.<lb/> Ziehen wir als Nation das Gedächtniß unſrer Vorzeit, unſrer eigenen<lb/> Jugendanlagen zu Rathe, ſo werden wir uns nicht ohne Nutzen orientiren.<lb/> Das Bewußtſeyn der Angehörigkeit durch die Geburt galt bei den Völkern<lb/> deutſchen Blutes urſprünglich dem Stamm- und Stammesnamen. In<lb/> dem Spiegel der Geſchichte erkennen wir uns ſo zuerſt ohne Einheit der<lb/> Herrſchaft und des nationalen Namens. Beide übertrugen zuerſt die<lb/> Franken gewaltſam auf die übrigen Hauptſtämme — der Schwaben,<lb/> Bayern und Sachſen. Der große Karl brach recht abfichtlich das Weſen<lb/> der Stämme, und gab eine andere Ordnung durch Reich und Kirche.<lb/> Mit der Ehre und dem Segen der römiſchen Kaiſerkrone wächst das<lb/> gemeinſame Bewußtſeyn erſt langſam heran zum Nationalſtolz, zum<lb/> vernünftigen Willen des Zuſammenhaltens und zu einem bleibenden<lb/> Ideal.</p><lb/> <p>Durch die Schwächung des fränkiſchen Elementes bei den Theilun-<lb/> gen ein Jahrhundert nach Karl ſchlug auf deutſchem Boden zwar die<lb/> Macht der Natur und die Eigenthümlichkeit der übrigen Stämme wie-<lb/> der durch, und behauptete über 300 Jahre in den Nationalherzogthü-<lb/> mern und deren Marken ihr Recht. Dieß ſind die Jahrhunderte der<lb/> Ottonen, Salier und Hohenſtaufen. Durchſchnitten aber und unter-<lb/> bunden wurden die Hauptadern der Stämme allmählich durch die Erb-<lb/> lichkeit der Herzogthümer, die Trennung der Marken, die Exemtionen<lb/> der geiſtlichen Stifter, die Städtebünde, dann durch den Erbgang der<lb/> fürſtlichen Häuſer und ihre Theilungen; ſpäter durch die Religions-<lb/> ſpaltung; auch durch Verſchiebung der alten Stammnamen, und end-<lb/> lich durch Kriege, Friedensſchlüſſe und Congreßverfügungen. So bleibt<lb/> denn in unſern Tagen, außer den Gränzen welche die Landeshoheit und<lb/> Souveränetät gezogen, und denjenigen welche die Sprachforſcher müh-<lb/> ſam ſuchen, zwiſchen den alten deutſchen Stämmen kaum ein anderer<lb/> Gegenſatz übrig als die unzutreffende charakterloſe Unterſcheidung von<lb/> Nord- und Süddeutſchen. Die naturwüchſige Stammliebe ſcheint die<lb/> Entfaltung der Nationalität nicht länger zu behindern. Wir müſſen<lb/> alſo nach andern Unterſcheidungen fragen, und zunächſt nach dem Ein-<lb/> fluß welchen die Eintheilung in verſchiedene Staaten derſelben Natio-<lb/> nalität auf die Geſammtnation übt. Verſchiedene Staaten derſelben<lb/> Nationalität hatte wohl auch die antike Welt der Griechen mit und ohne<lb/> Bund. Allein dieſe Griechen in ihrer guten Zeit waren von Nachbarn<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [0009]
Nr. 87.
Beilage zur Allgemeinen Zeitung.
27 März 1848.
Noch ein Wort über Harleß’ Heerpredigt.
** Aus Franken.
Eines der ſtärkſten Zeichen wie durchgrei-
fend die Bewegung iſt welche Deutſchland ergriffen hat, tritt uns in der
Heerpredigt des Dr. Harleß entgegen, die Ihr Blatt vom 21 März be-
ſprochen hat. Wir begrüßen die Aeußerungen dieſer Predigt mit herz-
licher Freude, mit um ſo herzlicherer, als noch vor kurzem von der Seite
welche in dem gefeierten Redner eines ihrer vorleuchtendſten Häupter
verehrt, in Beziehung auf freie Verfaſſung und auf das Verhältniß der
ab ſoluten Monarchie zu den Völkern Grundſätze vertreten worden ſind
welche über jede geſchriebene Verfaſſung den Stab brachen, und den
Widerſtand des Abſolutismus gegen die Forderungen der Völker ſtärk-
ten. Alles Talent und alle Energie des Charakters, die auf jener Seite
in bedeutender Stärke ſtehen, wird ſich nun, nachdem der Führer ge-
ſprochen, der Sache der bürgerlichen Freiheit und der Nationalehre zu-
wenden. Zu lange haben jene tüchtigen Männer den Mißverſtand der
Regierungen getheilt und unterſtützt daß alle und jede Forderungen der
Völker, daß jede freimüthige und dringende Aeußerung auf öffentlicher
Tribüne welche dieſe Forderung vertrat, nur aus oberflächlichem *) Frei-
heitsſchwindel, aus Haß gegen die beſtehende Ordnung hervorgegangen
und eine Auflehnung gegen die von Gott gegebenen Thronrechte ſey.
So oft man es ihnen, und nicht am ſeltenſten, auch in dieſen Blättern,
geſagt hat: daß die freieſte Entwicklung der Verfaſſung die Regierungen
ſtärke, daß das Verderben der Fürſten aus den Rathſchlägen ihrer
kirchlich-zelotiſchen Camarillas hervorginge, die nun in Preußen z. B. den
übelberathenen König in endloſe Verlegenheiten gebracht haben, daß es
darauf allein in religiöſer Beziehung ankomme am Weſen des Chriſten-
thums feſtzuhalten und, frei in den Formen, in dieſem Weſen einig zu
ſeyn — ſie hörten nicht, oder wenn ſie hörten, ſo waren ſie ſchnell mit
dem Vorwurf des Indifferentismus und Synkretismus zur Hand. Es
ſchien als ob ein liberaler, unabhängiger Mann nichts anderes als ein
Revolutionär und jeder Liebhaber kirchlichen Friedens nichts als ein
Lichtfreund ſeyn könne. Nun hat eine von Gott verhängte, aller Welt
unerwartete Bewegung den Ernſt, die Wahrheit, die Beſonnenheit jener
politiſchen Forderungen von den Schwindeleien und unreinen Treibereien
des litterariſchen und andern Haufens geſondert, und der Glanz der
Idee eines freien in kräftiger Organiſation ſtarken Deutſchlands unter
den Segnungen bürgerlicher Freiheit hat auch jene Augen getroffen, und
ſie haben das Göttliche auch in dieſen Bewegungen erkannt, ſicherlich
mehr im Geiſt auch der lutheriſchen Kirche, deren Vormänner im ſech-
zehnten Jahrhundert ebenſo Starkes gegen Deſpotie und gouvernemen-
tale Mißbräuche ſagten, als je auf einer deutſchen Tribüne vorgekom-
men, als im Geiſt eines excluſiven, herrſchſüchtigen, höhniſchen und ver-
dammenden Credo, das ſie früher geltend gemacht. Das Evangelium
predigt Freiheit auf der Baſts der Sitte und des Geſetzes; nicht in dem
Lande des politiſchen und kirchlichen Formelnzwanges, ſondern in den
Ländern der Freiheit ſpringt die Quelle jenes Glaubens am ſtärkſten,
der zu allem Guten ſtärkt und gegen alles Böſe waffnet.
Nationalität.
* Vom Rhein.
Gemeinplätze werden mit Recht von beſchei-
denen Schriftſtellern wie von verſtändigen Leſern gemieden gleich ſtau-
bigen Feldern. Wer mag ſie umpflügen, wer darauf ernten? Allbe-
kannte Dinge, wie die Macht der Nationalität eines großes Volkes und
die aufopfernde Vaterlandsliebe gebildeter Staatsbürger, ſind billig
im 19ten Jahrhundert ſo ſehr über allen Zweifel erhaben daß aus der
Geſammtheit ein jeder mit vollem Vertrauen darauf hinweist als auf
ein wohlgefülltes Zeughaus und auf einen fort und fort ſich häufenden
Schatz. Mögen auch die Beiſpiele nicht ſogleich zur Hand ſeyn: daß
es alſo ſey, iſt ein natürliches und vernünftiges Erforderniß, ein all-
gemeiner Vorſatz. Und was noch nicht Wahrheit iſt, kann Wahrheit
werden. Auch Fictionen und Vorſtellungen werden zu Wirklichkeiten
ſobald die Menſchen daran glauben. Siegreiche Thatſachen bringen
ihnen das Anſehen von Geſetz und Recht. Haben nicht die Schweizer
trotz dreier Nationalitäten nur eine Nation, trotz 22 Souveränetäten
nur ein Vaterland vorſtellen wollen? Und die Tagſatzung hat die
Theorie durchgeführt. Da aber andrer Orten die Sache unter ähn-
lichen Umſtänden doch anders ſtehen dürfte, iſt es für alle Fälle da
nicht weiſe jene Waffen im Zeughauſe zu muſtern, jene Schätze zu
wägen? Es iſt ja Friede und alle Zeit dazu, ja in Deutſchland iſt es
umſomehr eine Ehrenſache uns ſelbſt darüber klar zu werden, als die
Fremden davon eine weit geringere oder gar keine Meinung haben.
Die Begriffe Nationalität und Vaterland haben eine naturwüchſige,
hiſtoriſche und eine theoretiſche, abſtracte Seite. An welcher von beiden
hängt das Herz der Menſchen? An dem reinen Blut gemeinſamer Al-
ſtammung, oder an der gemeinſamen geiſtigen und politiſchen Errun-
genſchaft? Und wo iſt das Vaterland der Vaterlandsliebe? In der
Heimath, dem Stammland, innerhalb der Sprachgränze, oder in dem
Staat, dem Ideal des geiſtigen Geſammtlebens? Die Zeiten wechſeln
und mit ihnen ändern ſich die Antworten auf ſolche Fragen. Auffal-
lend iſt auf den erſten Blick wie in unſerm Jahrhundert, deſſen nivel-
lirende Cultur für die höhern Stände alle Entfernungen und Unter-
ſchiede aufzuheben ſcheint, dennoch der Begriff der Nationalitäten ſich
zu Gegenſätzen geſteigert hat, wie ſie die frühere chriſtliche Zeitrechnung
nicht kannte. Freilich umfaßt das Band einer einzigen Kirche jetzt nicht
mehr alle Völker Europa’s, und die höhere chriſtliche Bruderſchaft gilt
unter ihnen nicht länger. Allein dieſer Grund wirkt ſchon 300 Jahre.
Näher noch liegt die Erklärung daß eben in Europa überhaupt nur
vier große Nationen ſich in die Weltherrſchaft theilen und um den er-
ſten Rang ſtreiten — eine jede mit eignen Vorzügen. Daher die ins
Auge fallende Eiferſucht der Bewerber. Bei der deutſchen Nation iſt
der Eifer dadurch ſchon zu erklären daß ihr ſozuſagen die moraliſche
Perſönlichkeit abgeht, die Beweiskraft der äußeren Erſcheinung. Denn
die Form und Einkleidung des Bundes entſpricht dem National-Ideal
weder nach rationaliſtiſcher noch hiſtoriſcher Auffaſſung vollkommen.
Ziehen wir als Nation das Gedächtniß unſrer Vorzeit, unſrer eigenen
Jugendanlagen zu Rathe, ſo werden wir uns nicht ohne Nutzen orientiren.
Das Bewußtſeyn der Angehörigkeit durch die Geburt galt bei den Völkern
deutſchen Blutes urſprünglich dem Stamm- und Stammesnamen. In
dem Spiegel der Geſchichte erkennen wir uns ſo zuerſt ohne Einheit der
Herrſchaft und des nationalen Namens. Beide übertrugen zuerſt die
Franken gewaltſam auf die übrigen Hauptſtämme — der Schwaben,
Bayern und Sachſen. Der große Karl brach recht abfichtlich das Weſen
der Stämme, und gab eine andere Ordnung durch Reich und Kirche.
Mit der Ehre und dem Segen der römiſchen Kaiſerkrone wächst das
gemeinſame Bewußtſeyn erſt langſam heran zum Nationalſtolz, zum
vernünftigen Willen des Zuſammenhaltens und zu einem bleibenden
Ideal.
Durch die Schwächung des fränkiſchen Elementes bei den Theilun-
gen ein Jahrhundert nach Karl ſchlug auf deutſchem Boden zwar die
Macht der Natur und die Eigenthümlichkeit der übrigen Stämme wie-
der durch, und behauptete über 300 Jahre in den Nationalherzogthü-
mern und deren Marken ihr Recht. Dieß ſind die Jahrhunderte der
Ottonen, Salier und Hohenſtaufen. Durchſchnitten aber und unter-
bunden wurden die Hauptadern der Stämme allmählich durch die Erb-
lichkeit der Herzogthümer, die Trennung der Marken, die Exemtionen
der geiſtlichen Stifter, die Städtebünde, dann durch den Erbgang der
fürſtlichen Häuſer und ihre Theilungen; ſpäter durch die Religions-
ſpaltung; auch durch Verſchiebung der alten Stammnamen, und end-
lich durch Kriege, Friedensſchlüſſe und Congreßverfügungen. So bleibt
denn in unſern Tagen, außer den Gränzen welche die Landeshoheit und
Souveränetät gezogen, und denjenigen welche die Sprachforſcher müh-
ſam ſuchen, zwiſchen den alten deutſchen Stämmen kaum ein anderer
Gegenſatz übrig als die unzutreffende charakterloſe Unterſcheidung von
Nord- und Süddeutſchen. Die naturwüchſige Stammliebe ſcheint die
Entfaltung der Nationalität nicht länger zu behindern. Wir müſſen
alſo nach andern Unterſcheidungen fragen, und zunächſt nach dem Ein-
fluß welchen die Eintheilung in verſchiedene Staaten derſelben Natio-
nalität auf die Geſammtnation übt. Verſchiedene Staaten derſelben
Nationalität hatte wohl auch die antike Welt der Griechen mit und ohne
Bund. Allein dieſe Griechen in ihrer guten Zeit waren von Nachbarn
*) D. h. eine gewiſſe Sorte Theoſophen, die eine enge und dünkelhafte
Rechthaberei gern hinter der Bibel maskirt, ſprach bei jeder Gelegen-
heit von ihrer eigenen ſtupenden „Geiſtestiefe“. Trübe Waſſer ſehen
tief aus, ſind es aber nicht immer. Red. d. Allg. Ztg.
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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