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Allgemeine Zeitung, Nr. 87, 27. März 1848.

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[Spaltenumbruch] tung der organischen Gesetze versammeln werde. In einer gemischten
Sitzung (beider Tafeln der Reichsstände) desselben Tags wurde die Re-
präsentation an Se. Maj. wegen Aufhebung der Urbarialasten und der
geistlichen Zehnten unterzeichnet und abgeschickt. Darauf stattete Se.
k. k. Hoh. den Reichsständen Bericht ab über den Erfolg der unter seiner
Führung an Se. Maj. abgeschickten Deputation, welcher mit dem begei-
stertsten Beifall aufgenommen wurde. Die Reichsstände verfügten sich
darauf zu einem feierlichen Dankgottesdienst für die erhaltenen Zuge-
ständnisse hinsichtlich der Constitution und der Freiheit. Leider ist die
erhebende und freiheitsbegeisterte Stimmung der hiesigen Bevölkerung
heute entweiht worden durch brutale Ausbrüche wilden Hasses und blin-
der Leidenschaften einzelner Pöbelhausen gegen die hiesigen Juden, wo-
von viele ausgeplündert und arg mißhandelt wurden, bis Militärmacht
und der bessere Theil der Einwohner die Plünderer zerstreute. Viele
jüdische Familien haben sich nach Wien geflüchtet.



Aus Paris.

Wir gehen nicht, wir fliegen; wir flie-
gen nicht, wir werden von Stürmen gefaßt, aus allen Fugen ge-
hoben, fortgeschleudert. Es müßte ein Mann seyn von Erz und Eisen
welcher wieder Fuß fassen könnte auf diesem wankenden Boden. Die
Bürgerclasse hat einen Stich ins Wasser gethan um als
Nationalgarde sich zu behaupten, und diesen Stich geführt mit dem al-
len französtschen Parteien insbesondere anklebenden augenblicklichen
Leichtsinn. Keiner hat hier jemals den morgenden Tag ins Auge
gefaßt; aber heute ist nichts, morgen ist alles; heute ist ein Lücken-
büßer, morgen eine Zukunft. Hr. Ledru-Rollin, welcher nicht der
Mann der Bürgerclasse ist, wurde von ihr beschuldigt die alte Natio-
nalgarde gewaltsam durch Einkeilung neuer Volkselemente spren-
gen zu wollen. Die Opposition der gestürzten Regierung, die Le-
gitimisten, sich diesem Unmuthe der Bürgerclasse eifrig anschließend,
sind als Nationalgardisten mit den andern zusammengeströmt. Aber
die Volksclubs waren benachrichtigt; die vielleicht dreißigtausend Mann
starke (einige sagen weit mehr, andere sagen weit weniger) Deputa-
tion der Nationalgarde in Uniform wurde am Vordringen gegen das
Hotel de Ville durch Volkshaufen verhindert, das Defiliren ward ih-
nen untersagt, die Grenadiere der Nationalgarde wurden gezwungen
ihre Bärenmützen abzunehnen, mit einer moralischen Niederlage zogen
sie heim, erbittert, beschämt, doch drang eine Deputation vor das
Stadthaus, wo Marrast und Arago sie des unverzeihlichen Fehlers
den sie begangen hatten überwiesen, ihnen prophezeiend daß ihr Schritt
als unmittelbare Folge nach sich ziehen würde die ungeheuere Er-
regung aller Volkshaufen am folgenden Tage. Und so geschah's. Die
ganze Nacht war das Volk in Bewegung gesetzt worden, durch die
Häupter der Clubs, haranguirt in allen Straßen, in Massen nach Ge-
werben und Handthierungen geordnet, Eilboten gesendet bis auf sechs
Stunden in alle Umgebungen von Paris. Am folgenden Tage kam
der Einmarsch. Wenigstens Zweimalhunderttausend defilirten in ei-
ner gewissen geschlossenen Ordnung; man schrie: Vive la Republi-
que! Vive Ledru-Rollin! a bas les Carlistes! a bas la Regence!

Jeder Trupp schwenkte die nationale Fahne. Nur ein Trupp er-
schien mit einer furchtbaren Fahne, auf welcher ein blutiges
Haupt abconterfeit war, erregte aber (heißt es) an vielen Orten
den heftigsten Unwillen. Die Geistlichkeit des irländischen Semi-
nars, Lehrer und Seminaristen, welche im Namen Irlands die pro-
visorische Regierung ihrerseits hatten haranguiren wollen, geriethen
in die Massen hinein und wurden von einem Theile derselben jauch-
zend aufgenommen. Diese Priester und Zöglinge, rufend Vive la
Republique,
hin und wieder segnend, machten einen höchst eigen-
thümlichen Eindruck auf die Massen. Der eigentliche Leiter, das mo-
ralische Haupt des ganzen Zuges, war Hr. Sobrier, der Busenfreund
des Chefs der Polizei Caussidiere, und welcher mit Caussidiere in
frühern Jahren vor der Pairskammer als Angeklagter gestanden hatte.
Hr. Ledru-Rollin, welchen man zu erschüttern gedacht hatte, wurde po-
litisch befestigt, und wenn Lamartine in den Augen der Nation viel-
leicht jetzt das größte Ansehen behauptet, so ist Ledru-Rollin in Paris
das eigentliche Haupt der Massen. Paris als das Centrum der Na-
tion ist heute gesetzgebend und allmächtig. In Paris hat die Bürger-
classe politisch aufgehört zu seyn, herrscht das Volk. Die Leiter des
Volks bezwecken den Aufschub der Wahlen für die Nationalversamm-
[Spaltenumbruch] lung, nach den Berichten welche aus den Provinzen zuströmen. In
einem sehr großen Theile Frankreichs scheint, unter allen Classen des
Volkes, eine ganz andere Stimmung zu seyn als in Paris; deßhalb
sucht man die Wahlen aufzuschieben um die Bauern auf dem Lande,
die Handwerker in den Städten im revolutionären Sinne aufzuregen.
Würden die Departements eine gewisse Zohl der frühern Conservati-
ven, ja sogar eine zu große Zahl der frühern Opposition zurücksenden,
so würden die eifrigsten Legitimisten, und an deren Spitze die Exredac-
teure der ehemaligen Quotidienne, in zu starker Zahl in der künftigen
Kammer erscheinen, bei dem zu Paris herrschenden Geiste wäre das
ein großer politischer Fehler. Was der National hierüber ausspricht
ist alles aus der Wahrheit, Furcht und gesunder Menschenverstand be-
lehren auch das Journal des Debats eines Bessern. Siecle und be-
sonders Constitutionnel, wie auch La Presse sind von einer dreisteren
Zuversicht; erste beide Blätter predigen aufs stärkste für die Candida-
turen der ehemaligen Opposition welche die Partie nicht aufgeben will.
Ihrerseits sind die Clubs der Socialisten auf das eifrigste bemüht die
socialistischen Candidaturen in allen Volkswahlen auf das entschiedenste
durchzusetzen. Die drei Häupter der vornehmsten socialistischen Clubs,
Sobrier, Cabet, Blanqui, heißt es, haben schon für ihre Candidaten
eine große Masse Unterschriften im Volke; sie sind weit geschlossener
in Reih und Glied, weit kräftiger organisirt als ihre Gegner,
welche an einer Ueberschwemung leiden von Candidaten und in einem
Chaos der widersprechendsten Meinungen sich befinden. Das kommt
daher weil erstens in den Massen der persönliche Ehrgeiz noch nicht auf-
gekommen ist und sie eisrig an ihren Häuptern und Lenkern hangen, zwei-
tens weil seit den achtzehn Jahren der orleanistischen Regierung sie ge-
lernt haben in geheimen Verbindungen sich zu ordnen und zu classi-
ficiren. Was aber das Resultat der Wahlen in den Provinzen, mit
oder ohne Aufschub,
seyn kann im großen und allgemeinen, das
weiß eigentlich keiner. Hr. Ledru-Rollin und seine Freunde einer-
seits, Louis Blanc und die Socialisten andererseits sind der Meinung
durch Aufschub sich auf die früher gemeldete Weise zu verstärken, näm-
lich durch Aufregung der Bauern und Handwerker. Das besor-
gen alle ihre Gegner. Der National auch dringt auf alsbaldige
Wahlen. Doch gibt es andere ebenfalls gewichtige Stimmen welche
behaupten Hr. Ledru-Rollin und seine Freunde, Hr. Louis-Blanc und
die Socialisten möchten sich durch Aufschub verrechnen, die jetzige
Stockung des Handels und des Gewerbes, die jetzige Lage der Staats-
finanzen möchte in den Provinzen die Gemüther immer mehr und mehr
aufreizen gegen die zu Paris herrschende Stimmung der Gemüther.
Gewiß ist daß Frankreich kein anderes Heil mehr hat als in der Re-
publik
, oder Paris müßte aufhören die Hauptstadt Frankreichs zu
seyn, und das ist unmöglich. Alles kommt darauf an diese Republik
auf wahrhaft freie Weise, im Sinn und Geist des öffentlichen Frie-
dens zu constituiren. Geschieht dieß, so kann man dreist sagen es sey
das größte Menschenwerk aller Jahrhunderte, aber es darf nicht ver-
hehlt werden daß die Aufgabe auch die allerschwerste der Menschen-
werke aller Jahrhunderte ist. Ein Geist verständiger gesitteter gewalti-
ger Volksfreiheit unter 36 Millionen Menschen; wir wollen Hoch
rufen wenn dieser Adler in langsamer Majestät bis an die Himmels-
scheibe sich emporschwingen sollte!





Kaum in London angekommen, nach-
dem ich gestern früh mit der Nordbahn Paris um 81/2 Uhr verlassen
hatte, eile ich Ihnen kurzen Bericht zu erstatten über das was ich in
den letzten Augenblicken meines Aufenthaltes zu Paris noch erlebt,
und an den Orten Frankreichs welche ich berührte, über die in den
Provinzen herrschende Stimmung erfahren und selbst beobachtet habe.
Ich bin Ihnen nicht bloß, ich bin meinem Vaterlande die volle
Wahrheit schuldig über die französischen Zustände, und ich will, ich
kann jetzt sie sagen: ich erfülle dadurch eine heilige Pflicht. Deutsch-
land muß wissen welchen Charakter die Pariser Zustände angenom-
men haben, damit es nicht in der verderblichen Täuschung erhalten
werde, es handle sich dort noch um wirkliche Freiheit; Deutschland,
das wahre Freiheit mit Recht will, und begreift daß sie nur mit der
Ordnung zusammen errungen werden und bestehen kann, Deutschland
muß im Interesse seiner Freiheit, seiner Größe, seiner Einigung und
der dadurch bedingten Unabhängigkeit vor der Bahn bewahrt bleiben,
auf welcher Frankreich jetzt mit Riesenschritten dem Bürgerkriege, da-
mit dem Ruin seines Handels, seiner Industrie, des Staats - wie des

[Spaltenumbruch] tung der organiſchen Geſetze verſammeln werde. In einer gemiſchten
Sitzung (beider Tafeln der Reichsſtände) desſelben Tags wurde die Re-
präſentation an Se. Maj. wegen Aufhebung der Urbarialaſten und der
geiſtlichen Zehnten unterzeichnet und abgeſchickt. Darauf ſtattete Se.
k. k. Hoh. den Reichsſtänden Bericht ab über den Erfolg der unter ſeiner
Führung an Se. Maj. abgeſchickten Deputation, welcher mit dem begei-
ſtertſten Beifall aufgenommen wurde. Die Reichsſtände verfügten ſich
darauf zu einem feierlichen Dankgottesdienſt für die erhaltenen Zuge-
ſtändniſſe hinſichtlich der Conſtitution und der Freiheit. Leider iſt die
erhebende und freiheitsbegeiſterte Stimmung der hieſigen Bevölkerung
heute entweiht worden durch brutale Ausbrüche wilden Haſſes und blin-
der Leidenſchaften einzelner Pöbelhauſen gegen die hieſigen Juden, wo-
von viele ausgeplündert und arg mißhandelt wurden, bis Militärmacht
und der beſſere Theil der Einwohner die Plünderer zerſtreute. Viele
jüdiſche Familien haben ſich nach Wien geflüchtet.



Aus Paris.

Wir gehen nicht, wir fliegen; wir flie-
gen nicht, wir werden von Stürmen gefaßt, aus allen Fugen ge-
hoben, fortgeſchleudert. Es müßte ein Mann ſeyn von Erz und Eiſen
welcher wieder Fuß faſſen könnte auf dieſem wankenden Boden. Die
Bürgerclaſſe hat einen Stich ins Waſſer gethan um als
Nationalgarde ſich zu behaupten, und dieſen Stich geführt mit dem al-
len franzöſtſchen Parteien insbeſondere anklebenden augenblicklichen
Leichtſinn. Keiner hat hier jemals den morgenden Tag ins Auge
gefaßt; aber heute iſt nichts, morgen iſt alles; heute iſt ein Lücken-
büßer, morgen eine Zukunft. Hr. Ledru-Rollin, welcher nicht der
Mann der Bürgerclaſſe iſt, wurde von ihr beſchuldigt die alte Natio-
nalgarde gewaltſam durch Einkeilung neuer Volkselemente ſpren-
gen zu wollen. Die Oppoſition der geſtürzten Regierung, die Le-
gitimiſten, ſich dieſem Unmuthe der Bürgerclaſſe eifrig anſchließend,
ſind als Nationalgardiſten mit den andern zuſammengeſtrömt. Aber
die Volksclubs waren benachrichtigt; die vielleicht dreißigtauſend Mann
ſtarke (einige ſagen weit mehr, andere ſagen weit weniger) Deputa-
tion der Nationalgarde in Uniform wurde am Vordringen gegen das
Hotel de Ville durch Volkshaufen verhindert, das Defiliren ward ih-
nen unterſagt, die Grenadiere der Nationalgarde wurden gezwungen
ihre Bärenmützen abzunehnen, mit einer moraliſchen Niederlage zogen
ſie heim, erbittert, beſchämt, doch drang eine Deputation vor das
Stadthaus, wo Marraſt und Arago ſie des unverzeihlichen Fehlers
den ſie begangen hatten überwieſen, ihnen prophezeiend daß ihr Schritt
als unmittelbare Folge nach ſich ziehen würde die ungeheuere Er-
regung aller Volkshaufen am folgenden Tage. Und ſo geſchah’s. Die
ganze Nacht war das Volk in Bewegung geſetzt worden, durch die
Häupter der Clubs, haranguirt in allen Straßen, in Maſſen nach Ge-
werben und Handthierungen geordnet, Eilboten geſendet bis auf ſechs
Stunden in alle Umgebungen von Paris. Am folgenden Tage kam
der Einmarſch. Wenigſtens Zweimalhunderttauſend defilirten in ei-
ner gewiſſen geſchloſſenen Ordnung; man ſchrie: Vive la Républi-
que! Vive Ledru-Rollin! à bas les Carlistes! à bas la Régence!

Jeder Trupp ſchwenkte die nationale Fahne. Nur ein Trupp er-
ſchien mit einer furchtbaren Fahne, auf welcher ein blutiges
Haupt abconterfeit war, erregte aber (heißt es) an vielen Orten
den heftigſten Unwillen. Die Geiſtlichkeit des irländiſchen Semi-
nars, Lehrer und Seminariſten, welche im Namen Irlands die pro-
viſoriſche Regierung ihrerſeits hatten haranguiren wollen, geriethen
in die Maſſen hinein und wurden von einem Theile derſelben jauch-
zend aufgenommen. Dieſe Prieſter und Zöglinge, rufend Vive la
République,
hin und wieder ſegnend, machten einen höchſt eigen-
thümlichen Eindruck auf die Maſſen. Der eigentliche Leiter, das mo-
raliſche Haupt des ganzen Zuges, war Hr. Sobrier, der Buſenfreund
des Chefs der Polizei Cauſſidière, und welcher mit Cauſſidière in
frühern Jahren vor der Pairskammer als Angeklagter geſtanden hatte.
Hr. Ledru-Rollin, welchen man zu erſchüttern gedacht hatte, wurde po-
litiſch befeſtigt, und wenn Lamartine in den Augen der Nation viel-
leicht jetzt das größte Anſehen behauptet, ſo iſt Ledru-Rollin in Paris
das eigentliche Haupt der Maſſen. Paris als das Centrum der Na-
tion iſt heute geſetzgebend und allmächtig. In Paris hat die Bürger-
claſſe politiſch aufgehört zu ſeyn, herrſcht das Volk. Die Leiter des
Volks bezwecken den Aufſchub der Wahlen für die Nationalverſamm-
[Spaltenumbruch] lung, nach den Berichten welche aus den Provinzen zuſtrömen. In
einem ſehr großen Theile Frankreichs ſcheint, unter allen Claſſen des
Volkes, eine ganz andere Stimmung zu ſeyn als in Paris; deßhalb
ſucht man die Wahlen aufzuſchieben um die Bauern auf dem Lande,
die Handwerker in den Städten im revolutionären Sinne aufzuregen.
Würden die Departements eine gewiſſe Zohl der frühern Conſervati-
ven, ja ſogar eine zu große Zahl der frühern Oppoſition zurückſenden,
ſo würden die eifrigſten Legitimiſten, und an deren Spitze die Exredac-
teure der ehemaligen Quotidienne, in zu ſtarker Zahl in der künftigen
Kammer erſcheinen, bei dem zu Paris herrſchenden Geiſte wäre das
ein großer politiſcher Fehler. Was der National hierüber ausſpricht
iſt alles aus der Wahrheit, Furcht und geſunder Menſchenverſtand be-
lehren auch das Journal des Débats eines Beſſern. Siècle und be-
ſonders Conſtitutionnel, wie auch La Preſſe ſind von einer dreiſteren
Zuverſicht; erſte beide Blätter predigen aufs ſtärkſte für die Candida-
turen der ehemaligen Oppoſition welche die Partie nicht aufgeben will.
Ihrerſeits ſind die Clubs der Socialiſten auf das eifrigſte bemüht die
ſocialiſtiſchen Candidaturen in allen Volkswahlen auf das entſchiedenſte
durchzuſetzen. Die drei Häupter der vornehmſten ſocialiſtiſchen Clubs,
Sobrier, Cabet, Blanqui, heißt es, haben ſchon für ihre Candidaten
eine große Maſſe Unterſchriften im Volke; ſie ſind weit geſchloſſener
in Reih und Glied, weit kräftiger organiſirt als ihre Gegner,
welche an einer Ueberſchwemung leiden von Candidaten und in einem
Chaos der widerſprechendſten Meinungen ſich befinden. Das kommt
daher weil erſtens in den Maſſen der perſönliche Ehrgeiz noch nicht auf-
gekommen iſt und ſie eiſrig an ihren Häuptern und Lenkern hangen, zwei-
tens weil ſeit den achtzehn Jahren der orleaniſtiſchen Regierung ſie ge-
lernt haben in geheimen Verbindungen ſich zu ordnen und zu claſſi-
ficiren. Was aber das Reſultat der Wahlen in den Provinzen, mit
oder ohne Aufſchub,
ſeyn kann im großen und allgemeinen, das
weiß eigentlich keiner. Hr. Ledru-Rollin und ſeine Freunde einer-
ſeits, Louis Blanc und die Socialiſten andererſeits ſind der Meinung
durch Aufſchub ſich auf die früher gemeldete Weiſe zu verſtärken, näm-
lich durch Aufregung der Bauern und Handwerker. Das beſor-
gen alle ihre Gegner. Der National auch dringt auf alsbaldige
Wahlen. Doch gibt es andere ebenfalls gewichtige Stimmen welche
behaupten Hr. Ledru-Rollin und ſeine Freunde, Hr. Louis-Blanc und
die Socialiſten möchten ſich durch Aufſchub verrechnen, die jetzige
Stockung des Handels und des Gewerbes, die jetzige Lage der Staats-
finanzen möchte in den Provinzen die Gemüther immer mehr und mehr
aufreizen gegen die zu Paris herrſchende Stimmung der Gemüther.
Gewiß iſt daß Frankreich kein anderes Heil mehr hat als in der Re-
publik
, oder Paris müßte aufhören die Hauptſtadt Frankreichs zu
ſeyn, und das iſt unmöglich. Alles kommt darauf an dieſe Republik
auf wahrhaft freie Weiſe, im Sinn und Geiſt des öffentlichen Frie-
dens zu conſtituiren. Geſchieht dieß, ſo kann man dreiſt ſagen es ſey
das größte Menſchenwerk aller Jahrhunderte, aber es darf nicht ver-
hehlt werden daß die Aufgabe auch die allerſchwerſte der Menſchen-
werke aller Jahrhunderte iſt. Ein Geiſt verſtändiger geſitteter gewalti-
ger Volksfreiheit unter 36 Millionen Menſchen; wir wollen Hoch
rufen wenn dieſer Adler in langſamer Majeſtät bis an die Himmels-
ſcheibe ſich emporſchwingen ſollte!





Kaum in London angekommen, nach-
dem ich geſtern früh mit der Nordbahn Paris um 8½ Uhr verlaſſen
hatte, eile ich Ihnen kurzen Bericht zu erſtatten über das was ich in
den letzten Augenblicken meines Aufenthaltes zu Paris noch erlebt,
und an den Orten Frankreichs welche ich berührte, über die in den
Provinzen herrſchende Stimmung erfahren und ſelbſt beobachtet habe.
Ich bin Ihnen nicht bloß, ich bin meinem Vaterlande die volle
Wahrheit ſchuldig über die franzöſiſchen Zuſtände, und ich will, ich
kann jetzt ſie ſagen: ich erfülle dadurch eine heilige Pflicht. Deutſch-
land muß wiſſen welchen Charakter die Pariſer Zuſtände angenom-
men haben, damit es nicht in der verderblichen Täuſchung erhalten
werde, es handle ſich dort noch um wirkliche Freiheit; Deutſchland,
das wahre Freiheit mit Recht will, und begreift daß ſie nur mit der
Ordnung zuſammen errungen werden und beſtehen kann, Deutſchland
muß im Intereſſe ſeiner Freiheit, ſeiner Größe, ſeiner Einigung und
der dadurch bedingten Unabhängigkeit vor der Bahn bewahrt bleiben,
auf welcher Frankreich jetzt mit Rieſenſchritten dem Bürgerkriege, da-
mit dem Ruin ſeines Handels, ſeiner Induſtrie, des Staats – wie des

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[1388/0012] tung der organiſchen Geſetze verſammeln werde. In einer gemiſchten Sitzung (beider Tafeln der Reichsſtände) desſelben Tags wurde die Re- präſentation an Se. Maj. wegen Aufhebung der Urbarialaſten und der geiſtlichen Zehnten unterzeichnet und abgeſchickt. Darauf ſtattete Se. k. k. Hoh. den Reichsſtänden Bericht ab über den Erfolg der unter ſeiner Führung an Se. Maj. abgeſchickten Deputation, welcher mit dem begei- ſtertſten Beifall aufgenommen wurde. Die Reichsſtände verfügten ſich darauf zu einem feierlichen Dankgottesdienſt für die erhaltenen Zuge- ſtändniſſe hinſichtlich der Conſtitution und der Freiheit. Leider iſt die erhebende und freiheitsbegeiſterte Stimmung der hieſigen Bevölkerung heute entweiht worden durch brutale Ausbrüche wilden Haſſes und blin- der Leidenſchaften einzelner Pöbelhauſen gegen die hieſigen Juden, wo- von viele ausgeplündert und arg mißhandelt wurden, bis Militärmacht und der beſſere Theil der Einwohner die Plünderer zerſtreute. Viele jüdiſche Familien haben ſich nach Wien geflüchtet. Aus Paris. ♀ Paris, 21 März. Wir gehen nicht, wir fliegen; wir flie- gen nicht, wir werden von Stürmen gefaßt, aus allen Fugen ge- hoben, fortgeſchleudert. Es müßte ein Mann ſeyn von Erz und Eiſen welcher wieder Fuß faſſen könnte auf dieſem wankenden Boden. Die Bürgerclaſſe hat einen Stich ins Waſſer gethan um als Nationalgarde ſich zu behaupten, und dieſen Stich geführt mit dem al- len franzöſtſchen Parteien insbeſondere anklebenden augenblicklichen Leichtſinn. Keiner hat hier jemals den morgenden Tag ins Auge gefaßt; aber heute iſt nichts, morgen iſt alles; heute iſt ein Lücken- büßer, morgen eine Zukunft. Hr. Ledru-Rollin, welcher nicht der Mann der Bürgerclaſſe iſt, wurde von ihr beſchuldigt die alte Natio- nalgarde gewaltſam durch Einkeilung neuer Volkselemente ſpren- gen zu wollen. Die Oppoſition der geſtürzten Regierung, die Le- gitimiſten, ſich dieſem Unmuthe der Bürgerclaſſe eifrig anſchließend, ſind als Nationalgardiſten mit den andern zuſammengeſtrömt. Aber die Volksclubs waren benachrichtigt; die vielleicht dreißigtauſend Mann ſtarke (einige ſagen weit mehr, andere ſagen weit weniger) Deputa- tion der Nationalgarde in Uniform wurde am Vordringen gegen das Hotel de Ville durch Volkshaufen verhindert, das Defiliren ward ih- nen unterſagt, die Grenadiere der Nationalgarde wurden gezwungen ihre Bärenmützen abzunehnen, mit einer moraliſchen Niederlage zogen ſie heim, erbittert, beſchämt, doch drang eine Deputation vor das Stadthaus, wo Marraſt und Arago ſie des unverzeihlichen Fehlers den ſie begangen hatten überwieſen, ihnen prophezeiend daß ihr Schritt als unmittelbare Folge nach ſich ziehen würde die ungeheuere Er- regung aller Volkshaufen am folgenden Tage. Und ſo geſchah’s. Die ganze Nacht war das Volk in Bewegung geſetzt worden, durch die Häupter der Clubs, haranguirt in allen Straßen, in Maſſen nach Ge- werben und Handthierungen geordnet, Eilboten geſendet bis auf ſechs Stunden in alle Umgebungen von Paris. Am folgenden Tage kam der Einmarſch. Wenigſtens Zweimalhunderttauſend defilirten in ei- ner gewiſſen geſchloſſenen Ordnung; man ſchrie: Vive la Républi- que! Vive Ledru-Rollin! à bas les Carlistes! à bas la Régence! Jeder Trupp ſchwenkte die nationale Fahne. Nur ein Trupp er- ſchien mit einer furchtbaren Fahne, auf welcher ein blutiges Haupt abconterfeit war, erregte aber (heißt es) an vielen Orten den heftigſten Unwillen. Die Geiſtlichkeit des irländiſchen Semi- nars, Lehrer und Seminariſten, welche im Namen Irlands die pro- viſoriſche Regierung ihrerſeits hatten haranguiren wollen, geriethen in die Maſſen hinein und wurden von einem Theile derſelben jauch- zend aufgenommen. Dieſe Prieſter und Zöglinge, rufend Vive la République, hin und wieder ſegnend, machten einen höchſt eigen- thümlichen Eindruck auf die Maſſen. Der eigentliche Leiter, das mo- raliſche Haupt des ganzen Zuges, war Hr. Sobrier, der Buſenfreund des Chefs der Polizei Cauſſidière, und welcher mit Cauſſidière in frühern Jahren vor der Pairskammer als Angeklagter geſtanden hatte. Hr. Ledru-Rollin, welchen man zu erſchüttern gedacht hatte, wurde po- litiſch befeſtigt, und wenn Lamartine in den Augen der Nation viel- leicht jetzt das größte Anſehen behauptet, ſo iſt Ledru-Rollin in Paris das eigentliche Haupt der Maſſen. Paris als das Centrum der Na- tion iſt heute geſetzgebend und allmächtig. In Paris hat die Bürger- claſſe politiſch aufgehört zu ſeyn, herrſcht das Volk. Die Leiter des Volks bezwecken den Aufſchub der Wahlen für die Nationalverſamm- lung, nach den Berichten welche aus den Provinzen zuſtrömen. In einem ſehr großen Theile Frankreichs ſcheint, unter allen Claſſen des Volkes, eine ganz andere Stimmung zu ſeyn als in Paris; deßhalb ſucht man die Wahlen aufzuſchieben um die Bauern auf dem Lande, die Handwerker in den Städten im revolutionären Sinne aufzuregen. Würden die Departements eine gewiſſe Zohl der frühern Conſervati- ven, ja ſogar eine zu große Zahl der frühern Oppoſition zurückſenden, ſo würden die eifrigſten Legitimiſten, und an deren Spitze die Exredac- teure der ehemaligen Quotidienne, in zu ſtarker Zahl in der künftigen Kammer erſcheinen, bei dem zu Paris herrſchenden Geiſte wäre das ein großer politiſcher Fehler. Was der National hierüber ausſpricht iſt alles aus der Wahrheit, Furcht und geſunder Menſchenverſtand be- lehren auch das Journal des Débats eines Beſſern. Siècle und be- ſonders Conſtitutionnel, wie auch La Preſſe ſind von einer dreiſteren Zuverſicht; erſte beide Blätter predigen aufs ſtärkſte für die Candida- turen der ehemaligen Oppoſition welche die Partie nicht aufgeben will. Ihrerſeits ſind die Clubs der Socialiſten auf das eifrigſte bemüht die ſocialiſtiſchen Candidaturen in allen Volkswahlen auf das entſchiedenſte durchzuſetzen. Die drei Häupter der vornehmſten ſocialiſtiſchen Clubs, Sobrier, Cabet, Blanqui, heißt es, haben ſchon für ihre Candidaten eine große Maſſe Unterſchriften im Volke; ſie ſind weit geſchloſſener in Reih und Glied, weit kräftiger organiſirt als ihre Gegner, welche an einer Ueberſchwemung leiden von Candidaten und in einem Chaos der widerſprechendſten Meinungen ſich befinden. Das kommt daher weil erſtens in den Maſſen der perſönliche Ehrgeiz noch nicht auf- gekommen iſt und ſie eiſrig an ihren Häuptern und Lenkern hangen, zwei- tens weil ſeit den achtzehn Jahren der orleaniſtiſchen Regierung ſie ge- lernt haben in geheimen Verbindungen ſich zu ordnen und zu claſſi- ficiren. Was aber das Reſultat der Wahlen in den Provinzen, mit oder ohne Aufſchub, ſeyn kann im großen und allgemeinen, das weiß eigentlich keiner. Hr. Ledru-Rollin und ſeine Freunde einer- ſeits, Louis Blanc und die Socialiſten andererſeits ſind der Meinung durch Aufſchub ſich auf die früher gemeldete Weiſe zu verſtärken, näm- lich durch Aufregung der Bauern und Handwerker. Das beſor- gen alle ihre Gegner. Der National auch dringt auf alsbaldige Wahlen. Doch gibt es andere ebenfalls gewichtige Stimmen welche behaupten Hr. Ledru-Rollin und ſeine Freunde, Hr. Louis-Blanc und die Socialiſten möchten ſich durch Aufſchub verrechnen, die jetzige Stockung des Handels und des Gewerbes, die jetzige Lage der Staats- finanzen möchte in den Provinzen die Gemüther immer mehr und mehr aufreizen gegen die zu Paris herrſchende Stimmung der Gemüther. Gewiß iſt daß Frankreich kein anderes Heil mehr hat als in der Re- publik, oder Paris müßte aufhören die Hauptſtadt Frankreichs zu ſeyn, und das iſt unmöglich. Alles kommt darauf an dieſe Republik auf wahrhaft freie Weiſe, im Sinn und Geiſt des öffentlichen Frie- dens zu conſtituiren. Geſchieht dieß, ſo kann man dreiſt ſagen es ſey das größte Menſchenwerk aller Jahrhunderte, aber es darf nicht ver- hehlt werden daß die Aufgabe auch die allerſchwerſte der Menſchen- werke aller Jahrhunderte iſt. Ein Geiſt verſtändiger geſitteter gewalti- ger Volksfreiheit unter 36 Millionen Menſchen; wir wollen Hoch rufen wenn dieſer Adler in langſamer Majeſtät bis an die Himmels- ſcheibe ſich emporſchwingen ſollte! # London, 20 März. Kaum in London angekommen, nach- dem ich geſtern früh mit der Nordbahn Paris um 8½ Uhr verlaſſen hatte, eile ich Ihnen kurzen Bericht zu erſtatten über das was ich in den letzten Augenblicken meines Aufenthaltes zu Paris noch erlebt, und an den Orten Frankreichs welche ich berührte, über die in den Provinzen herrſchende Stimmung erfahren und ſelbſt beobachtet habe. Ich bin Ihnen nicht bloß, ich bin meinem Vaterlande die volle Wahrheit ſchuldig über die franzöſiſchen Zuſtände, und ich will, ich kann jetzt ſie ſagen: ich erfülle dadurch eine heilige Pflicht. Deutſch- land muß wiſſen welchen Charakter die Pariſer Zuſtände angenom- men haben, damit es nicht in der verderblichen Täuſchung erhalten werde, es handle ſich dort noch um wirkliche Freiheit; Deutſchland, das wahre Freiheit mit Recht will, und begreift daß ſie nur mit der Ordnung zuſammen errungen werden und beſtehen kann, Deutſchland muß im Intereſſe ſeiner Freiheit, ſeiner Größe, ſeiner Einigung und der dadurch bedingten Unabhängigkeit vor der Bahn bewahrt bleiben, auf welcher Frankreich jetzt mit Rieſenſchritten dem Bürgerkriege, da- mit dem Ruin ſeines Handels, ſeiner Induſtrie, des Staats – wie des

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 87, 27. März 1848, S. 1388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine87_1848/12>, abgerufen am 21.11.2024.