Allgemeine Zeitung, Nr. 87, 27. März 1848.[Spaltenumbruch]
tung der organischen Gesetze versammeln werde. In einer gemischten Aus Paris. Paris, 21 März. Wir gehen nicht, wir fliegen; wir flie- # London, 20 März. Kaum in London angekommen, nach- [Spaltenumbruch]
tung der organiſchen Geſetze verſammeln werde. In einer gemiſchten Aus Paris. ♀ Paris, 21 März. Wir gehen nicht, wir fliegen; wir flie- # London, 20 März. Kaum in London angekommen, nach- <TEI> <text> <body> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div n="3"> <div type="jArticle" n="4"> <p><pb facs="#f0012" n="1388"/><cb/> tung der organiſchen Geſetze verſammeln werde. In einer gemiſchten<lb/> Sitzung (beider Tafeln der Reichsſtände) desſelben Tags wurde die Re-<lb/> präſentation an Se. Maj. wegen Aufhebung der Urbarialaſten und der<lb/> geiſtlichen Zehnten unterzeichnet und abgeſchickt. Darauf ſtattete Se.<lb/> k. k. Hoh. den Reichsſtänden Bericht ab über den Erfolg der unter ſeiner<lb/> Führung an Se. Maj. abgeſchickten Deputation, welcher mit dem begei-<lb/> ſtertſten Beifall aufgenommen wurde. Die Reichsſtände verfügten ſich<lb/> darauf zu einem feierlichen Dankgottesdienſt für die erhaltenen Zuge-<lb/> ſtändniſſe hinſichtlich der Conſtitution und der Freiheit. Leider iſt die<lb/> erhebende und freiheitsbegeiſterte Stimmung der hieſigen Bevölkerung<lb/> heute entweiht worden durch brutale Ausbrüche wilden Haſſes und blin-<lb/> der Leidenſchaften einzelner Pöbelhauſen gegen die hieſigen Juden, wo-<lb/> von viele ausgeplündert und arg mißhandelt wurden, bis Militärmacht<lb/> und der beſſere Theil der Einwohner die Plünderer zerſtreute. Viele<lb/> jüdiſche Familien haben ſich nach Wien geflüchtet.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#b">Aus Paris.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline>♀ <hi rendition="#b">Paris</hi>, 21 März.</dateline><lb/> <p>Wir gehen nicht, wir fliegen; wir flie-<lb/> gen nicht, wir werden von Stürmen gefaßt, aus allen Fugen ge-<lb/> hoben, fortgeſchleudert. 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Aber<lb/> die Volksclubs waren benachrichtigt; die vielleicht dreißigtauſend Mann<lb/> ſtarke (einige ſagen weit mehr, andere ſagen weit weniger) Deputa-<lb/> tion der Nationalgarde in Uniform wurde am Vordringen gegen das<lb/> Hotel de Ville durch Volkshaufen verhindert, das Defiliren ward ih-<lb/> nen unterſagt, die Grenadiere der Nationalgarde wurden gezwungen<lb/> ihre Bärenmützen abzunehnen, mit einer moraliſchen Niederlage zogen<lb/> ſie heim, erbittert, beſchämt, doch drang eine Deputation vor das<lb/> Stadthaus, wo Marraſt und Arago ſie des unverzeihlichen Fehlers<lb/> den ſie begangen hatten überwieſen, ihnen prophezeiend daß ihr Schritt<lb/> als unmittelbare Folge nach ſich ziehen würde die ungeheuere Er-<lb/> regung aller Volkshaufen am folgenden Tage. Und ſo geſchah’s. Die<lb/> ganze Nacht war das Volk in Bewegung geſetzt worden, durch die<lb/> Häupter der Clubs, haranguirt in allen Straßen, in Maſſen nach Ge-<lb/> werben und Handthierungen geordnet, Eilboten geſendet bis auf ſechs<lb/> Stunden in alle Umgebungen von Paris. Am folgenden Tage kam<lb/> der Einmarſch. Wenigſtens Zweimalhunderttauſend defilirten in ei-<lb/> ner gewiſſen geſchloſſenen Ordnung; man ſchrie: <hi rendition="#aq">Vive la Républi-<lb/> que! Vive Ledru-Rollin! à bas les Carlistes! à bas la Régence!</hi><lb/> Jeder Trupp ſchwenkte die nationale Fahne. Nur ein Trupp er-<lb/> ſchien mit einer furchtbaren Fahne, auf welcher ein blutiges<lb/> Haupt abconterfeit war, erregte aber (heißt es) an vielen Orten<lb/> den heftigſten Unwillen. Die Geiſtlichkeit des irländiſchen Semi-<lb/> nars, Lehrer und Seminariſten, welche im Namen Irlands die pro-<lb/> viſoriſche Regierung ihrerſeits hatten haranguiren wollen, geriethen<lb/> in die Maſſen hinein und wurden von einem Theile derſelben jauch-<lb/> zend aufgenommen. Dieſe Prieſter und Zöglinge, rufend <hi rendition="#aq">Vive la<lb/> République,</hi> hin und wieder ſegnend, machten einen höchſt eigen-<lb/> thümlichen Eindruck auf die Maſſen. Der eigentliche Leiter, das mo-<lb/> raliſche Haupt des ganzen Zuges, war Hr. Sobrier, der Buſenfreund<lb/> des Chefs der Polizei Cauſſidi<hi rendition="#aq">è</hi>re, und welcher mit Cauſſidi<hi rendition="#aq">è</hi>re in<lb/> frühern Jahren vor der Pairskammer als Angeklagter geſtanden hatte.<lb/> Hr. Ledru-Rollin, welchen man zu erſchüttern gedacht hatte, wurde po-<lb/> litiſch befeſtigt, und wenn Lamartine in den Augen der Nation viel-<lb/> leicht jetzt das größte Anſehen behauptet, ſo iſt Ledru-Rollin in Paris<lb/> das eigentliche Haupt der Maſſen. Paris als das Centrum der Na-<lb/> tion iſt heute geſetzgebend und allmächtig. In Paris hat die Bürger-<lb/> claſſe politiſch aufgehört zu ſeyn, herrſcht das Volk. Die Leiter des<lb/> Volks bezwecken den Aufſchub der Wahlen für die Nationalverſamm-<lb/><cb/> lung, nach den Berichten welche aus den Provinzen zuſtrömen. 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Das kommt<lb/> daher weil erſtens in den Maſſen der perſönliche Ehrgeiz noch nicht auf-<lb/> gekommen iſt und ſie eiſrig an ihren Häuptern und Lenkern hangen, zwei-<lb/> tens weil ſeit den achtzehn Jahren der orleaniſtiſchen Regierung ſie ge-<lb/> lernt haben in geheimen Verbindungen ſich zu ordnen und zu claſſi-<lb/> ficiren. Was aber das Reſultat der Wahlen in den Provinzen, <hi rendition="#g">mit<lb/> oder ohne Aufſchub,</hi> ſeyn kann im großen und allgemeinen, das<lb/> weiß eigentlich <hi rendition="#g">keiner</hi>. Hr. Ledru-Rollin und ſeine Freunde einer-<lb/> ſeits, Louis Blanc und die Socialiſten andererſeits ſind der Meinung<lb/> durch Aufſchub ſich auf die früher gemeldete Weiſe zu verſtärken, näm-<lb/> lich durch Aufregung der Bauern und Handwerker. Das beſor-<lb/> gen alle ihre Gegner. Der National auch dringt auf alsbaldige<lb/> Wahlen. Doch gibt es andere ebenfalls gewichtige Stimmen welche<lb/> behaupten Hr. Ledru-Rollin und ſeine Freunde, Hr. 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Ein Geiſt verſtändiger geſitteter gewalti-<lb/> ger Volksfreiheit unter 36 Millionen Menſchen; wir wollen Hoch<lb/> rufen wenn dieſer Adler in langſamer Majeſtät bis an die Himmels-<lb/> ſcheibe ſich emporſchwingen ſollte!</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jComment" n="4"><lb/> <dateline># <hi rendition="#b">London,</hi> 20 März.</dateline><lb/> <p>Kaum in London angekommen, nach-<lb/> dem ich geſtern früh mit der Nordbahn Paris um 8½ Uhr verlaſſen<lb/> hatte, eile ich Ihnen kurzen Bericht zu erſtatten über das was ich in<lb/> den letzten Augenblicken meines Aufenthaltes zu Paris noch erlebt,<lb/> und an den Orten Frankreichs welche ich berührte, über die in den<lb/> Provinzen herrſchende Stimmung erfahren und ſelbſt beobachtet habe.<lb/> Ich bin Ihnen nicht bloß, ich bin meinem Vaterlande die volle<lb/> Wahrheit ſchuldig über die franzöſiſchen Zuſtände, und ich will, ich<lb/> kann jetzt ſie ſagen: ich erfülle dadurch eine heilige Pflicht. Deutſch-<lb/> land muß wiſſen welchen Charakter die Pariſer Zuſtände angenom-<lb/> men haben, damit es nicht in der verderblichen Täuſchung erhalten<lb/> werde, es handle ſich dort noch um wirkliche Freiheit; Deutſchland,<lb/> das wahre Freiheit mit Recht will, und begreift daß ſie nur mit der<lb/> Ordnung zuſammen errungen werden und beſtehen kann, Deutſchland<lb/> muß im Intereſſe ſeiner Freiheit, ſeiner Größe, ſeiner Einigung und<lb/> der dadurch bedingten Unabhängigkeit vor der Bahn bewahrt bleiben,<lb/> auf welcher Frankreich jetzt mit Rieſenſchritten dem Bürgerkriege, da-<lb/> mit dem Ruin ſeines Handels, ſeiner Induſtrie, des Staats – wie des<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [1388/0012]
tung der organiſchen Geſetze verſammeln werde. In einer gemiſchten
Sitzung (beider Tafeln der Reichsſtände) desſelben Tags wurde die Re-
präſentation an Se. Maj. wegen Aufhebung der Urbarialaſten und der
geiſtlichen Zehnten unterzeichnet und abgeſchickt. Darauf ſtattete Se.
k. k. Hoh. den Reichsſtänden Bericht ab über den Erfolg der unter ſeiner
Führung an Se. Maj. abgeſchickten Deputation, welcher mit dem begei-
ſtertſten Beifall aufgenommen wurde. Die Reichsſtände verfügten ſich
darauf zu einem feierlichen Dankgottesdienſt für die erhaltenen Zuge-
ſtändniſſe hinſichtlich der Conſtitution und der Freiheit. Leider iſt die
erhebende und freiheitsbegeiſterte Stimmung der hieſigen Bevölkerung
heute entweiht worden durch brutale Ausbrüche wilden Haſſes und blin-
der Leidenſchaften einzelner Pöbelhauſen gegen die hieſigen Juden, wo-
von viele ausgeplündert und arg mißhandelt wurden, bis Militärmacht
und der beſſere Theil der Einwohner die Plünderer zerſtreute. Viele
jüdiſche Familien haben ſich nach Wien geflüchtet.
Aus Paris.
♀ Paris, 21 März.
Wir gehen nicht, wir fliegen; wir flie-
gen nicht, wir werden von Stürmen gefaßt, aus allen Fugen ge-
hoben, fortgeſchleudert. Es müßte ein Mann ſeyn von Erz und Eiſen
welcher wieder Fuß faſſen könnte auf dieſem wankenden Boden. Die
Bürgerclaſſe hat einen Stich ins Waſſer gethan um als
Nationalgarde ſich zu behaupten, und dieſen Stich geführt mit dem al-
len franzöſtſchen Parteien insbeſondere anklebenden augenblicklichen
Leichtſinn. Keiner hat hier jemals den morgenden Tag ins Auge
gefaßt; aber heute iſt nichts, morgen iſt alles; heute iſt ein Lücken-
büßer, morgen eine Zukunft. Hr. Ledru-Rollin, welcher nicht der
Mann der Bürgerclaſſe iſt, wurde von ihr beſchuldigt die alte Natio-
nalgarde gewaltſam durch Einkeilung neuer Volkselemente ſpren-
gen zu wollen. Die Oppoſition der geſtürzten Regierung, die Le-
gitimiſten, ſich dieſem Unmuthe der Bürgerclaſſe eifrig anſchließend,
ſind als Nationalgardiſten mit den andern zuſammengeſtrömt. Aber
die Volksclubs waren benachrichtigt; die vielleicht dreißigtauſend Mann
ſtarke (einige ſagen weit mehr, andere ſagen weit weniger) Deputa-
tion der Nationalgarde in Uniform wurde am Vordringen gegen das
Hotel de Ville durch Volkshaufen verhindert, das Defiliren ward ih-
nen unterſagt, die Grenadiere der Nationalgarde wurden gezwungen
ihre Bärenmützen abzunehnen, mit einer moraliſchen Niederlage zogen
ſie heim, erbittert, beſchämt, doch drang eine Deputation vor das
Stadthaus, wo Marraſt und Arago ſie des unverzeihlichen Fehlers
den ſie begangen hatten überwieſen, ihnen prophezeiend daß ihr Schritt
als unmittelbare Folge nach ſich ziehen würde die ungeheuere Er-
regung aller Volkshaufen am folgenden Tage. Und ſo geſchah’s. Die
ganze Nacht war das Volk in Bewegung geſetzt worden, durch die
Häupter der Clubs, haranguirt in allen Straßen, in Maſſen nach Ge-
werben und Handthierungen geordnet, Eilboten geſendet bis auf ſechs
Stunden in alle Umgebungen von Paris. Am folgenden Tage kam
der Einmarſch. Wenigſtens Zweimalhunderttauſend defilirten in ei-
ner gewiſſen geſchloſſenen Ordnung; man ſchrie: Vive la Républi-
que! Vive Ledru-Rollin! à bas les Carlistes! à bas la Régence!
Jeder Trupp ſchwenkte die nationale Fahne. Nur ein Trupp er-
ſchien mit einer furchtbaren Fahne, auf welcher ein blutiges
Haupt abconterfeit war, erregte aber (heißt es) an vielen Orten
den heftigſten Unwillen. Die Geiſtlichkeit des irländiſchen Semi-
nars, Lehrer und Seminariſten, welche im Namen Irlands die pro-
viſoriſche Regierung ihrerſeits hatten haranguiren wollen, geriethen
in die Maſſen hinein und wurden von einem Theile derſelben jauch-
zend aufgenommen. Dieſe Prieſter und Zöglinge, rufend Vive la
République, hin und wieder ſegnend, machten einen höchſt eigen-
thümlichen Eindruck auf die Maſſen. Der eigentliche Leiter, das mo-
raliſche Haupt des ganzen Zuges, war Hr. Sobrier, der Buſenfreund
des Chefs der Polizei Cauſſidière, und welcher mit Cauſſidière in
frühern Jahren vor der Pairskammer als Angeklagter geſtanden hatte.
Hr. Ledru-Rollin, welchen man zu erſchüttern gedacht hatte, wurde po-
litiſch befeſtigt, und wenn Lamartine in den Augen der Nation viel-
leicht jetzt das größte Anſehen behauptet, ſo iſt Ledru-Rollin in Paris
das eigentliche Haupt der Maſſen. Paris als das Centrum der Na-
tion iſt heute geſetzgebend und allmächtig. In Paris hat die Bürger-
claſſe politiſch aufgehört zu ſeyn, herrſcht das Volk. Die Leiter des
Volks bezwecken den Aufſchub der Wahlen für die Nationalverſamm-
lung, nach den Berichten welche aus den Provinzen zuſtrömen. In
einem ſehr großen Theile Frankreichs ſcheint, unter allen Claſſen des
Volkes, eine ganz andere Stimmung zu ſeyn als in Paris; deßhalb
ſucht man die Wahlen aufzuſchieben um die Bauern auf dem Lande,
die Handwerker in den Städten im revolutionären Sinne aufzuregen.
Würden die Departements eine gewiſſe Zohl der frühern Conſervati-
ven, ja ſogar eine zu große Zahl der frühern Oppoſition zurückſenden,
ſo würden die eifrigſten Legitimiſten, und an deren Spitze die Exredac-
teure der ehemaligen Quotidienne, in zu ſtarker Zahl in der künftigen
Kammer erſcheinen, bei dem zu Paris herrſchenden Geiſte wäre das
ein großer politiſcher Fehler. Was der National hierüber ausſpricht
iſt alles aus der Wahrheit, Furcht und geſunder Menſchenverſtand be-
lehren auch das Journal des Débats eines Beſſern. Siècle und be-
ſonders Conſtitutionnel, wie auch La Preſſe ſind von einer dreiſteren
Zuverſicht; erſte beide Blätter predigen aufs ſtärkſte für die Candida-
turen der ehemaligen Oppoſition welche die Partie nicht aufgeben will.
Ihrerſeits ſind die Clubs der Socialiſten auf das eifrigſte bemüht die
ſocialiſtiſchen Candidaturen in allen Volkswahlen auf das entſchiedenſte
durchzuſetzen. Die drei Häupter der vornehmſten ſocialiſtiſchen Clubs,
Sobrier, Cabet, Blanqui, heißt es, haben ſchon für ihre Candidaten
eine große Maſſe Unterſchriften im Volke; ſie ſind weit geſchloſſener
in Reih und Glied, weit kräftiger organiſirt als ihre Gegner,
welche an einer Ueberſchwemung leiden von Candidaten und in einem
Chaos der widerſprechendſten Meinungen ſich befinden. Das kommt
daher weil erſtens in den Maſſen der perſönliche Ehrgeiz noch nicht auf-
gekommen iſt und ſie eiſrig an ihren Häuptern und Lenkern hangen, zwei-
tens weil ſeit den achtzehn Jahren der orleaniſtiſchen Regierung ſie ge-
lernt haben in geheimen Verbindungen ſich zu ordnen und zu claſſi-
ficiren. Was aber das Reſultat der Wahlen in den Provinzen, mit
oder ohne Aufſchub, ſeyn kann im großen und allgemeinen, das
weiß eigentlich keiner. Hr. Ledru-Rollin und ſeine Freunde einer-
ſeits, Louis Blanc und die Socialiſten andererſeits ſind der Meinung
durch Aufſchub ſich auf die früher gemeldete Weiſe zu verſtärken, näm-
lich durch Aufregung der Bauern und Handwerker. Das beſor-
gen alle ihre Gegner. Der National auch dringt auf alsbaldige
Wahlen. Doch gibt es andere ebenfalls gewichtige Stimmen welche
behaupten Hr. Ledru-Rollin und ſeine Freunde, Hr. Louis-Blanc und
die Socialiſten möchten ſich durch Aufſchub verrechnen, die jetzige
Stockung des Handels und des Gewerbes, die jetzige Lage der Staats-
finanzen möchte in den Provinzen die Gemüther immer mehr und mehr
aufreizen gegen die zu Paris herrſchende Stimmung der Gemüther.
Gewiß iſt daß Frankreich kein anderes Heil mehr hat als in der Re-
publik, oder Paris müßte aufhören die Hauptſtadt Frankreichs zu
ſeyn, und das iſt unmöglich. Alles kommt darauf an dieſe Republik
auf wahrhaft freie Weiſe, im Sinn und Geiſt des öffentlichen Frie-
dens zu conſtituiren. Geſchieht dieß, ſo kann man dreiſt ſagen es ſey
das größte Menſchenwerk aller Jahrhunderte, aber es darf nicht ver-
hehlt werden daß die Aufgabe auch die allerſchwerſte der Menſchen-
werke aller Jahrhunderte iſt. Ein Geiſt verſtändiger geſitteter gewalti-
ger Volksfreiheit unter 36 Millionen Menſchen; wir wollen Hoch
rufen wenn dieſer Adler in langſamer Majeſtät bis an die Himmels-
ſcheibe ſich emporſchwingen ſollte!
# London, 20 März.
Kaum in London angekommen, nach-
dem ich geſtern früh mit der Nordbahn Paris um 8½ Uhr verlaſſen
hatte, eile ich Ihnen kurzen Bericht zu erſtatten über das was ich in
den letzten Augenblicken meines Aufenthaltes zu Paris noch erlebt,
und an den Orten Frankreichs welche ich berührte, über die in den
Provinzen herrſchende Stimmung erfahren und ſelbſt beobachtet habe.
Ich bin Ihnen nicht bloß, ich bin meinem Vaterlande die volle
Wahrheit ſchuldig über die franzöſiſchen Zuſtände, und ich will, ich
kann jetzt ſie ſagen: ich erfülle dadurch eine heilige Pflicht. Deutſch-
land muß wiſſen welchen Charakter die Pariſer Zuſtände angenom-
men haben, damit es nicht in der verderblichen Täuſchung erhalten
werde, es handle ſich dort noch um wirkliche Freiheit; Deutſchland,
das wahre Freiheit mit Recht will, und begreift daß ſie nur mit der
Ordnung zuſammen errungen werden und beſtehen kann, Deutſchland
muß im Intereſſe ſeiner Freiheit, ſeiner Größe, ſeiner Einigung und
der dadurch bedingten Unabhängigkeit vor der Bahn bewahrt bleiben,
auf welcher Frankreich jetzt mit Rieſenſchritten dem Bürgerkriege, da-
mit dem Ruin ſeines Handels, ſeiner Induſtrie, des Staats – wie des
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(2022-04-08T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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