Allgemeine Zeitung, Nr. 86, 26. März 1848.
Die Kunde vom Sturze Metternichs hat in England gewaltiges Das große Monster-Meeting, welches am 17 März dem St. Pa- London, 20 März. Die beste Neuigkeit die sich aus Eng- Frankreich. Paris, 22 März. Der Moniteur enthält die Ernennung des Divisionsgenerals Eu- Hr. Benazet, der berufene Spielpächter in Baden, früher General- ** Paris, 21 März. Das zum wiederholtenmal sich verbrei- *) Einige Blätter wollten, wie erwähnt, umgekehrt wissen: Palmerston habe den Herzog v. Montpensier aus England ausgewiesen. Obige Version ist jedenfalls die wahrscheinlichere. **) Um so unfeiner erscheinen die, wenn auch witzigen, Spottbilder und
Spottartikel auf diese gefallene Größe im Punch. Bald zeigt er ihn mit hochgesträubtem Haar, das eine Flamme vorstellt, über einem Leuch- ter sitzend, auf welchen ein Republicaner einen Löscher stülpt; bald läßt er, ihn mit andern Königen an der Roulette spielen, deren Kugel Punch als Croupier rollt, und er geht nach verlorener Krone kahlköpfig vom grünen Tisch u. s. w.
Die Kunde vom Sturze Metternichs hat in England gewaltiges Das große Monſter-Meeting, welches am 17 März dem St. Pa- ⸫ London, 20 März. Die beſte Neuigkeit die ſich aus Eng- Frankreich. Paris, 22 März. Der Moniteur enthält die Ernennung des Diviſionsgenerals Eu- Hr. Benazet, der berufene Spielpächter in Baden, früher General- ** Paris, 21 März. Das zum wiederholtenmal ſich verbrei- *) Einige Blätter wollten, wie erwähnt, umgekehrt wiſſen: Palmerſton habe den Herzog v. Montpenſier aus England ausgewieſen. Obige Verſion iſt jedenfalls die wahrſcheinlichere. **) Um ſo unfeiner erſcheinen die, wenn auch witzigen, Spottbilder und
Spottartikel auf dieſe gefallene Größe im Punch. Bald zeigt er ihn mit hochgeſträubtem Haar, das eine Flamme vorſtellt, über einem Leuch- ter ſitzend, auf welchen ein Republicaner einen Löſcher ſtülpt; bald läßt er, ihn mit andern Königen an der Roulette ſpielen, deren Kugel Punch als Croupier rollt, und er geht nach verlorener Krone kahlköpfig vom grünen Tiſch u. ſ. w. <TEI> <text> <body> <div type="jVarious" n="1"> <div n="2"> <div type="jArticle" n="3"> <p> <cit> <quote><pb facs="#f0007" n="1367"/><cb/> legen. Und darin liegt für jetzt eine große Quelle der Hoffnung. Offen-<lb/> bar verſchmäht der allgemeine Geſchmack in Frankreich die Rückkehr zu<lb/> gewiſſen Formen der alten Republik. Der Verſuch die Anrede Mon-<lb/> ſteur mit Citoyen zu vertauſchen iſt ganz und gar geſcheitert. Auch das<lb/> Decret zur Abſchaffung der Ehrentitel iſt mißglückt. Im J. 1793 lief<lb/> der Ariſtokratiſmus mit all ſeinen Formen und Namen im Schrecken<lb/> davon, und wurde unter dem Schaffot in den republicaniſchen Koth ge-<lb/> treten; aber jetzt ſind gentlemanliche Sinnesart und Gewohnheiten nicht<lb/> mehr die einer Claſſe, ſondern beinahe eines ganzen Volks, und das<lb/> ganze Volk weigert ſich ſie aufzugeben. Hr. Dupont de l’Eure mag im<lb/> Luxembourg-Palaſt den Vorſitz führen und die Arbeiter auf die Pairs-<lb/> ſtühle pflanzen, keine Seele kommt dem alten Dupont den Hof zu machen.<lb/> Der Tempel des republicaniſchen Dſchaghernatha hat keinen Verehrer,<lb/> während jener des faſhionablen Republicaniſmus in Lamartine’s Woh-<lb/> nung immer vollgedrängt iſt. Und gäbe er ein Feſt, ganz Paris würde<lb/> dazu ſtrömen und eine zweite „beſte Republik“ in ihrem Glanze vene-<lb/> riren.“</quote> </cit> </p><lb/> <p>Die Kunde vom Sturze Metternichs hat in England gewaltiges<lb/> Aufſehen erregt. Indeſſen ſchließt das <hi rendition="#g">Chronicle</hi> einen leitenden Ar-<lb/> tikel, welcher die Lage Oeſterreichs trotz der Erhebung Wiens als eine<lb/> ſehr troftloſe ſchildert, mit den Worten: „Noch iſt die Zeit nicht gekom-<lb/> men wo man die Politik und den Charakter dieſes Staatsmannes ge-<lb/> recht beurtheilen kann. Aber wenn ein großer engliſcher Miniſter dar-<lb/> auf hinwies wie ſchwer es in England ſey eine alte Monarchie, einen<lb/> ſtolzen Adel und ein reformirtes Haus der Gemeinen in Gleichgewicht zu<lb/> halten, ſo bedurfte es wohl keines alltäglichen Maßes von Weisheit um ein<lb/> halb Jahrhundert lang eine abſolute Dynaſtie, eine Kaſten-Nobleſſe und<lb/> ein aus ſo heterogenen Beſtandtheilen gemiſchtes Volk in Ordnung und<lb/> Einklang zu erhalten. Denjenigen welche dem gefallenen Staatsmann<lb/> Meinungen zuſchreiben wie etwa die des Herzogs v. Newcaſtle in Eng-<lb/> land, wird unſere Ueberzeugung wohl widerſinnig erſcheinen — die Ueber-<lb/> zeugung nämlich daß in ſeiner langen politiſchen Laufbahn Fürſt Metter-<lb/> nich vielmehr der Kämpe der Mäßigung als der Gewalt oder der Tyran-<lb/> nei war. Indeſſen was auch ſeine Politik geweſen ſeyn mag, das iſt ge-<lb/> wiß: ſeine Abdankung in dieſem Augenblick war das Todtengeläute <hi rendition="#aq">(the<lb/> knell)</hi> des Statusquo.“</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Das große Monſter-Meeting, welches am 17 März dem St. Pa-<lb/> trickstage nicht gehalten worden, fand nachträglich am 20 März in Dublin<lb/> unter freiem Himmel ſtatt, ging jedoch, wie der <hi rendition="#g">Globe</hi> in einer zweiten<lb/> Auflage berichtet, ohne Ruheſtörung vorüber. Die Verſammlung war<lb/> von der Jung-Irland-Partei veranſtaltet, wie denn auch Hr. Smith<lb/> O’Brien den Vorſitz führte, nachdem der Lordmayor der Stadt, welcher<lb/> ein Repealer von der alten Schule iſt, die Einladung dazu abgelehnt<lb/> hatte. Ebenſo hielten ſich John O’Connell und alle O’Connelliten, die<lb/> „Repealer der Verſöhnungshalle“, von dieſem Meeting fern. Es wur-<lb/> den hitzige Reden über Irlands Mißhandlung durch England gehalten,<lb/> eine nochmalige Adreſſe an die franzöſiſche Nation, endlich eine ehrerbie-<lb/> tige Denkſchrift an die Königin über die Nothwendigkeit einer alsbaldi-<lb/> gen Auflöſung der legislativen Einigung zwiſchen Irland und Großbri-<lb/> tannien beſchloſſen. In dem heftigen demokratiſchen Blatt „The United<lb/> Iriſhman“ — welches unter John Mitchells Redaction offenen Aufruhr<lb/> predigt, ohne daß bis jetzt trotz aller Mahnungen der Times die Juſtiz<lb/> eingeſchritten iſt — wird John O’Connell als ein „Landesverräther und<lb/> Feigling“, Graf Clarendon, der wohlmeinende Lordſtatthalter von Ir-<lb/> land, als „Ihrer Maj. Generalhenker und Oberſchlächter“ behandelt.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline>⸫ <hi rendition="#b">London,</hi> 20 März.</dateline> <p>Die beſte Neuigkeit die ſich aus Eng-<lb/> land melden läßt iſt: es gibt nichts neues. England tritt ſeinen Platz<lb/> in Ihren Spalten für jetzt an die tieferregenden Kunden ab die Ihnen<lb/> aus allen anderen Theilen Europa’s zuſtrömen; denn nie war unſer<lb/> Land ruhiger, die Verhandlungen im Parlament ſchläfriger, oder die<lb/> ganze Bevölkerung einiger geſinnt für Schutz und Aufrechthaltung der<lb/> öffentlichen Ordnung. Während Frankreich und Deutſchland in hellen<lb/> Flammen ſtanden, rathſchlagte das brittiſche Haus der Gemeinen über<lb/> die Frage wie die ärztliche Hülfe für die Armen ſich verbeſſern laſſe;<lb/> außer der Abgabe einer einfachen Neutralitätserklärung hat das Par-<lb/> lament von den erſtaunlichen Ereigniſſen, deren Zuſchauer wir alle ſind,<lb/> keine Notiz genommen. Uebrigens iſt all unſere Aufmerkſamkeit nach<lb/> dem Continent gerichtet. — In den höhern politiſchen Kreiſen hat die<lb/> Stellung der franzöſiſchen Verbannten und Lord Palmerſtons ſehr un-<lb/> ziemliches Benehmen gegen dieſelben dieſem einigen Tadel zugezogen.<lb/><cb/> Nach ſeiner Ankunft in London verfügte ſich Ludwig Philipp ſogleich<lb/> nach Claremont, einem 12 engliſche Meilen von London entlegenen<lb/> Landſitze des Königs der Belgier, welcher ſeitdem ſeinen Schwiegervater<lb/> eingeladen hat daſelbſt ſo lange es ihm beliebe wohnen zu bleiben. In-<lb/> deſſen wenige Tage darauf erfuhr Lord Palmerſton daß der Herzog und<lb/> die Herzogin v. Montpenfier im Begriff waren von England nach Ma-<lb/> drid abzureiſen, und der brittiſche Staatsſecretär des Auswärtigen<lb/> ſuchte alsbald dieſe Abreiſe mit allen ihm zu Gebote ſtehenden Mitteln<lb/> zu verhindern.<note place="foot" n="*)">Einige Blätter wollten, wie erwähnt, umgekehrt wiſſen: Palmerſton<lb/> habe den Herzog v. Montpenſier aus England ausgewieſen. Obige<lb/> Verſion iſt jedenfalls die wahrſcheinlichere.</note> Er erſuchte Ludwig Philipp ſeinem Sohne die Reiſe<lb/> nach Spanien zu verbieten, und als der geſtürzte Monarch dieſes An-<lb/> ſinnen entrüſtet zurückwies, hatte Mylord Palmerſton die Inſolenz dem-<lb/> ſelben zu bedeuten: er dürfe nicht hoffen Claremont zu ſeinem bleibenden<lb/> Wohnſitz zu machen. Dieſe Unart <hi rendition="#aq">(impertinence),</hi> welche ganz allein<lb/> von Palmerſton ohne irgendeine Ermächtigung der Königin ausging,<lb/> ſteigerte den Verdruß der franzöſiſchen Prinzen aufs höchſte. Der<lb/> Herzog und die Herzogin v. Montpenſier reisten kochend vor Wuth nach<lb/> Holland ab, und der alte König blieb in tiefſter Aufregung zurück. Dieſe<lb/> Verletzung des Gaſtrechts hat in politiſchen Kreiſen den größten Wider-<lb/> willen erregt, und die Times brandmarkt ſie geradezu als eine Schmach<lb/> deren kein ächter Britte fähig ſey. Palmerſton aber iſt ein würdiger<lb/> Landsmann von Sir Hudſon Lowe, und bereit bei dem modernen König<lb/> Lear die Rolle der Goneril zu ſpielen. König Lear — das iſt in der<lb/> That kein unpaſſender Name für den armen Schiffbrüchigen der noch<lb/> vor einem Monat „jeder Zoll ein König“ war, oder zu ſeyn glaubte.<lb/> Ohne Vermögen, ohne Anhänger, der Gegenſtand nur geringen Mit-<lb/> leids, ſo hat Ludwig Philipp unglücklicherweiſe den völligen Ruin ſeines<lb/> Glücks überlebt, und es wäre wahrlich nicht zu verwundern wenn ſein<lb/> alter Kopf unter der Wucht ſolcher Mißgeſchicke aus den Fugen ginge.<lb/> Der brittiſche Hof hat ſeinem Schickſal die wärmſte Theilnahme bezeigt,<lb/> und obgleich er in letzter Zeit das politiſche Vertrauen unſerer Nation<lb/> verloren hatte, begegnet ihm doch auch dieſe bei jeder Gelegenheit mit<lb/> der Sympathie und Achtung<note place="foot" n="**)">Um ſo unfeiner erſcheinen die, wenn auch witzigen, Spottbilder und<lb/> Spottartikel auf dieſe gefallene Größe im <hi rendition="#g">Punch.</hi> Bald zeigt er ihn<lb/> mit hochgeſträubtem Haar, das eine Flamme vorſtellt, über einem Leuch-<lb/> ter ſitzend, auf welchen ein Republicaner einen Löſcher ſtülpt; bald läßt<lb/> er, ihn mit andern Königen an der Roulette ſpielen, deren Kugel Punch<lb/> als Croupier rollt, und er geht nach verlorener Krone kahlköpfig vom<lb/> grünen Tiſch u. ſ. w.</note> die dem Unglück, ſelbſt dem ſchuldvollen<lb/> Unglück, gebührt — <hi rendition="#g">einen Mann</hi> ausgenommen deſſen Rachſucht<lb/> keine Gränzen und keine Menſchlichkeit kennt.</p> </div> </div><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Frankreich.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 22 März.</dateline><lb/> <p>Der <hi rendition="#g">Moniteur</hi> enthält die Ernennung des Diviſionsgenerals Eu-<lb/> gen Cavaignac zum Kriegsminiſter. General Changarnier iſt ſein<lb/> Nachfolger in der Generalſtatthalterſchaft. Durch ein anderes<lb/> Decret der proviſoriſchen Regierung wird die Errichtung von General-<lb/> magazinen anbefohlen, wo die Geſchäftsleute und Induſtriellen ihre<lb/> Rohſtoffe, Waaren und Fabricate niederlegen können. Die Errichtung<lb/> geſchieht nach den Anträgen der Handelskammer und der Municipal-<lb/> räthe, und es werden den Hinterlegern Empfangſcheine ausgeſtellt, die<lb/> mit dem Stempel der Republik und dem Stempel der einzelnen Maga-<lb/> zine verſehen, und durch Indoſſement übertragbar ſind. In Paris ſind<lb/> die Gebäude des Zollzwiſchenlagers zu dieſem Zweck beſtimmt. In dem<lb/> vorausgeſchickten Bericht des Finanzminiſters, Garnier Pagès, iſt ge-<lb/> ſagt daß ſich die induſtrielle Krifis unter zwei Geſichtspunkten darbiete,<lb/> einer Ueberfüllung der Portefeuilles und einer Ueberfüllung der Maga-<lb/> zine. Durch dieſe Maßregeln ſollen Ausgangscanäle eröffnet werden.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Hr. Benazet, der berufene Spielpächter in Baden, früher General-<lb/> pächter der Spiele in Paris, iſt am 19 März in dieſer Hauptſtadt ge-<lb/> ſtorben.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline>** <hi rendition="#b">Paris,</hi> 21 März.</dateline> <p>Das zum wiederholtenmal ſich verbrei-<lb/> tende Gerücht, demzufolge die Gebrüder Rothſchild daran wären ihre<lb/> Zahlungen einzuſtellen, mag darin ſeinen Grund haben daß das hieſige<lb/> Haus Rothſchild die ſogenannten <hi rendition="#g">offenen Credite</hi> vorderhand nie-<lb/> manden mehr bewilligt. Ich könnte Ihnen zwei fremde Legationen nen-<lb/> nen welche bei Rothſchild hier offenen Credit bis zu 100,000 Fr. genoſ-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1367/0007]
legen. Und darin liegt für jetzt eine große Quelle der Hoffnung. Offen-
bar verſchmäht der allgemeine Geſchmack in Frankreich die Rückkehr zu
gewiſſen Formen der alten Republik. Der Verſuch die Anrede Mon-
ſteur mit Citoyen zu vertauſchen iſt ganz und gar geſcheitert. Auch das
Decret zur Abſchaffung der Ehrentitel iſt mißglückt. Im J. 1793 lief
der Ariſtokratiſmus mit all ſeinen Formen und Namen im Schrecken
davon, und wurde unter dem Schaffot in den republicaniſchen Koth ge-
treten; aber jetzt ſind gentlemanliche Sinnesart und Gewohnheiten nicht
mehr die einer Claſſe, ſondern beinahe eines ganzen Volks, und das
ganze Volk weigert ſich ſie aufzugeben. Hr. Dupont de l’Eure mag im
Luxembourg-Palaſt den Vorſitz führen und die Arbeiter auf die Pairs-
ſtühle pflanzen, keine Seele kommt dem alten Dupont den Hof zu machen.
Der Tempel des republicaniſchen Dſchaghernatha hat keinen Verehrer,
während jener des faſhionablen Republicaniſmus in Lamartine’s Woh-
nung immer vollgedrängt iſt. Und gäbe er ein Feſt, ganz Paris würde
dazu ſtrömen und eine zweite „beſte Republik“ in ihrem Glanze vene-
riren.“
Die Kunde vom Sturze Metternichs hat in England gewaltiges
Aufſehen erregt. Indeſſen ſchließt das Chronicle einen leitenden Ar-
tikel, welcher die Lage Oeſterreichs trotz der Erhebung Wiens als eine
ſehr troftloſe ſchildert, mit den Worten: „Noch iſt die Zeit nicht gekom-
men wo man die Politik und den Charakter dieſes Staatsmannes ge-
recht beurtheilen kann. Aber wenn ein großer engliſcher Miniſter dar-
auf hinwies wie ſchwer es in England ſey eine alte Monarchie, einen
ſtolzen Adel und ein reformirtes Haus der Gemeinen in Gleichgewicht zu
halten, ſo bedurfte es wohl keines alltäglichen Maßes von Weisheit um ein
halb Jahrhundert lang eine abſolute Dynaſtie, eine Kaſten-Nobleſſe und
ein aus ſo heterogenen Beſtandtheilen gemiſchtes Volk in Ordnung und
Einklang zu erhalten. Denjenigen welche dem gefallenen Staatsmann
Meinungen zuſchreiben wie etwa die des Herzogs v. Newcaſtle in Eng-
land, wird unſere Ueberzeugung wohl widerſinnig erſcheinen — die Ueber-
zeugung nämlich daß in ſeiner langen politiſchen Laufbahn Fürſt Metter-
nich vielmehr der Kämpe der Mäßigung als der Gewalt oder der Tyran-
nei war. Indeſſen was auch ſeine Politik geweſen ſeyn mag, das iſt ge-
wiß: ſeine Abdankung in dieſem Augenblick war das Todtengeläute (the
knell) des Statusquo.“
Das große Monſter-Meeting, welches am 17 März dem St. Pa-
trickstage nicht gehalten worden, fand nachträglich am 20 März in Dublin
unter freiem Himmel ſtatt, ging jedoch, wie der Globe in einer zweiten
Auflage berichtet, ohne Ruheſtörung vorüber. Die Verſammlung war
von der Jung-Irland-Partei veranſtaltet, wie denn auch Hr. Smith
O’Brien den Vorſitz führte, nachdem der Lordmayor der Stadt, welcher
ein Repealer von der alten Schule iſt, die Einladung dazu abgelehnt
hatte. Ebenſo hielten ſich John O’Connell und alle O’Connelliten, die
„Repealer der Verſöhnungshalle“, von dieſem Meeting fern. Es wur-
den hitzige Reden über Irlands Mißhandlung durch England gehalten,
eine nochmalige Adreſſe an die franzöſiſche Nation, endlich eine ehrerbie-
tige Denkſchrift an die Königin über die Nothwendigkeit einer alsbaldi-
gen Auflöſung der legislativen Einigung zwiſchen Irland und Großbri-
tannien beſchloſſen. In dem heftigen demokratiſchen Blatt „The United
Iriſhman“ — welches unter John Mitchells Redaction offenen Aufruhr
predigt, ohne daß bis jetzt trotz aller Mahnungen der Times die Juſtiz
eingeſchritten iſt — wird John O’Connell als ein „Landesverräther und
Feigling“, Graf Clarendon, der wohlmeinende Lordſtatthalter von Ir-
land, als „Ihrer Maj. Generalhenker und Oberſchlächter“ behandelt.
⸫ London, 20 März.Die beſte Neuigkeit die ſich aus Eng-
land melden läßt iſt: es gibt nichts neues. England tritt ſeinen Platz
in Ihren Spalten für jetzt an die tieferregenden Kunden ab die Ihnen
aus allen anderen Theilen Europa’s zuſtrömen; denn nie war unſer
Land ruhiger, die Verhandlungen im Parlament ſchläfriger, oder die
ganze Bevölkerung einiger geſinnt für Schutz und Aufrechthaltung der
öffentlichen Ordnung. Während Frankreich und Deutſchland in hellen
Flammen ſtanden, rathſchlagte das brittiſche Haus der Gemeinen über
die Frage wie die ärztliche Hülfe für die Armen ſich verbeſſern laſſe;
außer der Abgabe einer einfachen Neutralitätserklärung hat das Par-
lament von den erſtaunlichen Ereigniſſen, deren Zuſchauer wir alle ſind,
keine Notiz genommen. Uebrigens iſt all unſere Aufmerkſamkeit nach
dem Continent gerichtet. — In den höhern politiſchen Kreiſen hat die
Stellung der franzöſiſchen Verbannten und Lord Palmerſtons ſehr un-
ziemliches Benehmen gegen dieſelben dieſem einigen Tadel zugezogen.
Nach ſeiner Ankunft in London verfügte ſich Ludwig Philipp ſogleich
nach Claremont, einem 12 engliſche Meilen von London entlegenen
Landſitze des Königs der Belgier, welcher ſeitdem ſeinen Schwiegervater
eingeladen hat daſelbſt ſo lange es ihm beliebe wohnen zu bleiben. In-
deſſen wenige Tage darauf erfuhr Lord Palmerſton daß der Herzog und
die Herzogin v. Montpenfier im Begriff waren von England nach Ma-
drid abzureiſen, und der brittiſche Staatsſecretär des Auswärtigen
ſuchte alsbald dieſe Abreiſe mit allen ihm zu Gebote ſtehenden Mitteln
zu verhindern. *) Er erſuchte Ludwig Philipp ſeinem Sohne die Reiſe
nach Spanien zu verbieten, und als der geſtürzte Monarch dieſes An-
ſinnen entrüſtet zurückwies, hatte Mylord Palmerſton die Inſolenz dem-
ſelben zu bedeuten: er dürfe nicht hoffen Claremont zu ſeinem bleibenden
Wohnſitz zu machen. Dieſe Unart (impertinence), welche ganz allein
von Palmerſton ohne irgendeine Ermächtigung der Königin ausging,
ſteigerte den Verdruß der franzöſiſchen Prinzen aufs höchſte. Der
Herzog und die Herzogin v. Montpenſier reisten kochend vor Wuth nach
Holland ab, und der alte König blieb in tiefſter Aufregung zurück. Dieſe
Verletzung des Gaſtrechts hat in politiſchen Kreiſen den größten Wider-
willen erregt, und die Times brandmarkt ſie geradezu als eine Schmach
deren kein ächter Britte fähig ſey. Palmerſton aber iſt ein würdiger
Landsmann von Sir Hudſon Lowe, und bereit bei dem modernen König
Lear die Rolle der Goneril zu ſpielen. König Lear — das iſt in der
That kein unpaſſender Name für den armen Schiffbrüchigen der noch
vor einem Monat „jeder Zoll ein König“ war, oder zu ſeyn glaubte.
Ohne Vermögen, ohne Anhänger, der Gegenſtand nur geringen Mit-
leids, ſo hat Ludwig Philipp unglücklicherweiſe den völligen Ruin ſeines
Glücks überlebt, und es wäre wahrlich nicht zu verwundern wenn ſein
alter Kopf unter der Wucht ſolcher Mißgeſchicke aus den Fugen ginge.
Der brittiſche Hof hat ſeinem Schickſal die wärmſte Theilnahme bezeigt,
und obgleich er in letzter Zeit das politiſche Vertrauen unſerer Nation
verloren hatte, begegnet ihm doch auch dieſe bei jeder Gelegenheit mit
der Sympathie und Achtung **) die dem Unglück, ſelbſt dem ſchuldvollen
Unglück, gebührt — einen Mann ausgenommen deſſen Rachſucht
keine Gränzen und keine Menſchlichkeit kennt.
Frankreich.
Paris, 22 März.
Der Moniteur enthält die Ernennung des Diviſionsgenerals Eu-
gen Cavaignac zum Kriegsminiſter. General Changarnier iſt ſein
Nachfolger in der Generalſtatthalterſchaft. Durch ein anderes
Decret der proviſoriſchen Regierung wird die Errichtung von General-
magazinen anbefohlen, wo die Geſchäftsleute und Induſtriellen ihre
Rohſtoffe, Waaren und Fabricate niederlegen können. Die Errichtung
geſchieht nach den Anträgen der Handelskammer und der Municipal-
räthe, und es werden den Hinterlegern Empfangſcheine ausgeſtellt, die
mit dem Stempel der Republik und dem Stempel der einzelnen Maga-
zine verſehen, und durch Indoſſement übertragbar ſind. In Paris ſind
die Gebäude des Zollzwiſchenlagers zu dieſem Zweck beſtimmt. In dem
vorausgeſchickten Bericht des Finanzminiſters, Garnier Pagès, iſt ge-
ſagt daß ſich die induſtrielle Krifis unter zwei Geſichtspunkten darbiete,
einer Ueberfüllung der Portefeuilles und einer Ueberfüllung der Maga-
zine. Durch dieſe Maßregeln ſollen Ausgangscanäle eröffnet werden.
Hr. Benazet, der berufene Spielpächter in Baden, früher General-
pächter der Spiele in Paris, iſt am 19 März in dieſer Hauptſtadt ge-
ſtorben.
** Paris, 21 März.Das zum wiederholtenmal ſich verbrei-
tende Gerücht, demzufolge die Gebrüder Rothſchild daran wären ihre
Zahlungen einzuſtellen, mag darin ſeinen Grund haben daß das hieſige
Haus Rothſchild die ſogenannten offenen Credite vorderhand nie-
manden mehr bewilligt. Ich könnte Ihnen zwei fremde Legationen nen-
nen welche bei Rothſchild hier offenen Credit bis zu 100,000 Fr. genoſ-
*) Einige Blätter wollten, wie erwähnt, umgekehrt wiſſen: Palmerſton
habe den Herzog v. Montpenſier aus England ausgewieſen. Obige
Verſion iſt jedenfalls die wahrſcheinlichere.
**) Um ſo unfeiner erſcheinen die, wenn auch witzigen, Spottbilder und
Spottartikel auf dieſe gefallene Größe im Punch. Bald zeigt er ihn
mit hochgeſträubtem Haar, das eine Flamme vorſtellt, über einem Leuch-
ter ſitzend, auf welchen ein Republicaner einen Löſcher ſtülpt; bald läßt
er, ihn mit andern Königen an der Roulette ſpielen, deren Kugel Punch
als Croupier rollt, und er geht nach verlorener Krone kahlköpfig vom
grünen Tiſch u. ſ. w.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |