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Allgemeine Zeitung, Nr. 86, 26. März 1848.

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[Spaltenumbruch] legen. Und darin liegt für jetzt eine große Quelle der Hoffnung. Offen-
bar verschmäht der allgemeine Geschmack in Frankreich die Rückkehr zu
gewissen Formen der alten Republik. Der Versuch die Anrede Mon-
steur mit Citoyen zu vertauschen ist ganz und gar gescheitert. Auch das
Decret zur Abschaffung der Ehrentitel ist mißglückt. Im J. 1793 lief
der Aristokratismus mit all seinen Formen und Namen im Schrecken
davon, und wurde unter dem Schaffot in den republicanischen Koth ge-
treten; aber jetzt sind gentlemanliche Sinnesart und Gewohnheiten nicht
mehr die einer Classe, sondern beinahe eines ganzen Volks, und das
ganze Volk weigert sich sie aufzugeben. Hr. Dupont de l'Eure mag im
Luxembourg-Palast den Vorsitz führen und die Arbeiter auf die Pairs-
stühle pflanzen, keine Seele kommt dem alten Dupont den Hof zu machen.
Der Tempel des republicanischen Dschaghernatha hat keinen Verehrer,
während jener des fashionablen Republicanismus in Lamartine's Woh-
nung immer vollgedrängt ist. Und gäbe er ein Fest, ganz Paris würde
dazu strömen und eine zweite "beste Republik" in ihrem Glanze vene-
riren."

Die Kunde vom Sturze Metternichs hat in England gewaltiges
Aufsehen erregt. Indessen schließt das Chronicle einen leitenden Ar-
tikel, welcher die Lage Oesterreichs trotz der Erhebung Wiens als eine
sehr troftlose schildert, mit den Worten: "Noch ist die Zeit nicht gekom-
men wo man die Politik und den Charakter dieses Staatsmannes ge-
recht beurtheilen kann. Aber wenn ein großer englischer Minister dar-
auf hinwies wie schwer es in England sey eine alte Monarchie, einen
stolzen Adel und ein reformirtes Haus der Gemeinen in Gleichgewicht zu
halten, so bedurfte es wohl keines alltäglichen Maßes von Weisheit um ein
halb Jahrhundert lang eine absolute Dynastie, eine Kasten-Noblesse und
ein aus so heterogenen Bestandtheilen gemischtes Volk in Ordnung und
Einklang zu erhalten. Denjenigen welche dem gefallenen Staatsmann
Meinungen zuschreiben wie etwa die des Herzogs v. Newcastle in Eng-
land, wird unsere Ueberzeugung wohl widersinnig erscheinen -- die Ueber-
zeugung nämlich daß in seiner langen politischen Laufbahn Fürst Metter-
nich vielmehr der Kämpe der Mäßigung als der Gewalt oder der Tyran-
nei war. Indessen was auch seine Politik gewesen seyn mag, das ist ge-
wiß: seine Abdankung in diesem Augenblick war das Todtengeläute (the
knell)
des Statusquo."

Das große Monster-Meeting, welches am 17 März dem St. Pa-
trickstage nicht gehalten worden, fand nachträglich am 20 März in Dublin
unter freiem Himmel statt, ging jedoch, wie der Globe in einer zweiten
Auflage berichtet, ohne Ruhestörung vorüber. Die Versammlung war
von der Jung-Irland-Partei veranstaltet, wie denn auch Hr. Smith
O'Brien den Vorsitz führte, nachdem der Lordmayor der Stadt, welcher
ein Repealer von der alten Schule ist, die Einladung dazu abgelehnt
hatte. Ebenso hielten sich John O'Connell und alle O'Connelliten, die
"Repealer der Versöhnungshalle", von diesem Meeting fern. Es wur-
den hitzige Reden über Irlands Mißhandlung durch England gehalten,
eine nochmalige Adresse an die französische Nation, endlich eine ehrerbie-
tige Denkschrift an die Königin über die Nothwendigkeit einer alsbaldi-
gen Auflösung der legislativen Einigung zwischen Irland und Großbri-
tannien beschlossen. In dem heftigen demokratischen Blatt "The United
Irishman" -- welches unter John Mitchells Redaction offenen Aufruhr
predigt, ohne daß bis jetzt trotz aller Mahnungen der Times die Justiz
eingeschritten ist -- wird John O'Connell als ein "Landesverräther und
Feigling", Graf Clarendon, der wohlmeinende Lordstatthalter von Ir-
land, als "Ihrer Maj. Generalhenker und Oberschlächter" behandelt.

Die beste Neuigkeit die sich aus Eng-
land melden läßt ist: es gibt nichts neues. England tritt seinen Platz
in Ihren Spalten für jetzt an die tieferregenden Kunden ab die Ihnen
aus allen anderen Theilen Europa's zuströmen; denn nie war unser
Land ruhiger, die Verhandlungen im Parlament schläfriger, oder die
ganze Bevölkerung einiger gesinnt für Schutz und Aufrechthaltung der
öffentlichen Ordnung. Während Frankreich und Deutschland in hellen
Flammen standen, rathschlagte das brittische Haus der Gemeinen über
die Frage wie die ärztliche Hülfe für die Armen sich verbessern lasse;
außer der Abgabe einer einfachen Neutralitätserklärung hat das Par-
lament von den erstaunlichen Ereignissen, deren Zuschauer wir alle sind,
keine Notiz genommen. Uebrigens ist all unsere Aufmerksamkeit nach
dem Continent gerichtet. -- In den höhern politischen Kreisen hat die
Stellung der französischen Verbannten und Lord Palmerstons sehr un-
ziemliches Benehmen gegen dieselben diesem einigen Tadel zugezogen.
[Spaltenumbruch] Nach seiner Ankunft in London verfügte sich Ludwig Philipp sogleich
nach Claremont, einem 12 englische Meilen von London entlegenen
Landsitze des Königs der Belgier, welcher seitdem seinen Schwiegervater
eingeladen hat daselbst so lange es ihm beliebe wohnen zu bleiben. In-
dessen wenige Tage darauf erfuhr Lord Palmerston daß der Herzog und
die Herzogin v. Montpenfier im Begriff waren von England nach Ma-
drid abzureisen, und der brittische Staatssecretär des Auswärtigen
suchte alsbald diese Abreise mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln
zu verhindern.*) Er ersuchte Ludwig Philipp seinem Sohne die Reise
nach Spanien zu verbieten, und als der gestürzte Monarch dieses An-
sinnen entrüstet zurückwies, hatte Mylord Palmerston die Insolenz dem-
selben zu bedeuten: er dürfe nicht hoffen Claremont zu seinem bleibenden
Wohnsitz zu machen. Diese Unart (impertinence), welche ganz allein
von Palmerston ohne irgendeine Ermächtigung der Königin ausging,
steigerte den Verdruß der französischen Prinzen aufs höchste. Der
Herzog und die Herzogin v. Montpensier reisten kochend vor Wuth nach
Holland ab, und der alte König blieb in tiefster Aufregung zurück. Diese
Verletzung des Gastrechts hat in politischen Kreisen den größten Wider-
willen erregt, und die Times brandmarkt sie geradezu als eine Schmach
deren kein ächter Britte fähig sey. Palmerston aber ist ein würdiger
Landsmann von Sir Hudson Lowe, und bereit bei dem modernen König
Lear die Rolle der Goneril zu spielen. König Lear -- das ist in der
That kein unpassender Name für den armen Schiffbrüchigen der noch
vor einem Monat "jeder Zoll ein König" war, oder zu seyn glaubte.
Ohne Vermögen, ohne Anhänger, der Gegenstand nur geringen Mit-
leids, so hat Ludwig Philipp unglücklicherweise den völligen Ruin seines
Glücks überlebt, und es wäre wahrlich nicht zu verwundern wenn sein
alter Kopf unter der Wucht solcher Mißgeschicke aus den Fugen ginge.
Der brittische Hof hat seinem Schicksal die wärmste Theilnahme bezeigt,
und obgleich er in letzter Zeit das politische Vertrauen unserer Nation
verloren hatte, begegnet ihm doch auch diese bei jeder Gelegenheit mit
der Sympathie und Achtung**) die dem Unglück, selbst dem schuldvollen
Unglück, gebührt -- einen Mann ausgenommen dessen Rachsucht
keine Gränzen und keine Menschlichkeit kennt.

Frankreich.

Der Moniteur enthält die Ernennung des Divisionsgenerals Eu-
gen Cavaignac zum Kriegsminister. General Changarnier ist sein
Nachfolger in der Generalstatthalterschaft. Durch ein anderes
Decret der provisorischen Regierung wird die Errichtung von General-
magazinen anbefohlen, wo die Geschäftsleute und Industriellen ihre
Rohstoffe, Waaren und Fabricate niederlegen können. Die Errichtung
geschieht nach den Anträgen der Handelskammer und der Municipal-
räthe, und es werden den Hinterlegern Empfangscheine ausgestellt, die
mit dem Stempel der Republik und dem Stempel der einzelnen Maga-
zine versehen, und durch Indossement übertragbar sind. In Paris sind
die Gebäude des Zollzwischenlagers zu diesem Zweck bestimmt. In dem
vorausgeschickten Bericht des Finanzministers, Garnier Pages, ist ge-
sagt daß sich die industrielle Krifis unter zwei Gesichtspunkten darbiete,
einer Ueberfüllung der Portefeuilles und einer Ueberfüllung der Maga-
zine. Durch diese Maßregeln sollen Ausgangscanäle eröffnet werden.

Hr. Benazet, der berufene Spielpächter in Baden, früher General-
pächter der Spiele in Paris, ist am 19 März in dieser Hauptstadt ge-
storben.

Das zum wiederholtenmal sich verbrei-
tende Gerücht, demzufolge die Gebrüder Rothschild daran wären ihre
Zahlungen einzustellen, mag darin seinen Grund haben daß das hiesige
Haus Rothschild die sogenannten offenen Credite vorderhand nie-
manden mehr bewilligt. Ich könnte Ihnen zwei fremde Legationen nen-
nen welche bei Rothschild hier offenen Credit bis zu 100,000 Fr. genos-

*) Einige Blätter wollten, wie erwähnt, umgekehrt wissen: Palmerston
habe den Herzog v. Montpensier aus England ausgewiesen. Obige
Version ist jedenfalls die wahrscheinlichere.
**) Um so unfeiner erscheinen die, wenn auch witzigen, Spottbilder und
Spottartikel auf diese gefallene Größe im Punch. Bald zeigt er ihn
mit hochgesträubtem Haar, das eine Flamme vorstellt, über einem Leuch-
ter sitzend, auf welchen ein Republicaner einen Löscher stülpt; bald läßt
er, ihn mit andern Königen an der Roulette spielen, deren Kugel Punch
als Croupier rollt, und er geht nach verlorener Krone kahlköpfig vom
grünen Tisch u. s. w.

[Spaltenumbruch] legen. Und darin liegt für jetzt eine große Quelle der Hoffnung. Offen-
bar verſchmäht der allgemeine Geſchmack in Frankreich die Rückkehr zu
gewiſſen Formen der alten Republik. Der Verſuch die Anrede Mon-
ſteur mit Citoyen zu vertauſchen iſt ganz und gar geſcheitert. Auch das
Decret zur Abſchaffung der Ehrentitel iſt mißglückt. Im J. 1793 lief
der Ariſtokratiſmus mit all ſeinen Formen und Namen im Schrecken
davon, und wurde unter dem Schaffot in den republicaniſchen Koth ge-
treten; aber jetzt ſind gentlemanliche Sinnesart und Gewohnheiten nicht
mehr die einer Claſſe, ſondern beinahe eines ganzen Volks, und das
ganze Volk weigert ſich ſie aufzugeben. Hr. Dupont de l’Eure mag im
Luxembourg-Palaſt den Vorſitz führen und die Arbeiter auf die Pairs-
ſtühle pflanzen, keine Seele kommt dem alten Dupont den Hof zu machen.
Der Tempel des republicaniſchen Dſchaghernatha hat keinen Verehrer,
während jener des faſhionablen Republicaniſmus in Lamartine’s Woh-
nung immer vollgedrängt iſt. Und gäbe er ein Feſt, ganz Paris würde
dazu ſtrömen und eine zweite „beſte Republik“ in ihrem Glanze vene-
riren.“

Die Kunde vom Sturze Metternichs hat in England gewaltiges
Aufſehen erregt. Indeſſen ſchließt das Chronicle einen leitenden Ar-
tikel, welcher die Lage Oeſterreichs trotz der Erhebung Wiens als eine
ſehr troftloſe ſchildert, mit den Worten: „Noch iſt die Zeit nicht gekom-
men wo man die Politik und den Charakter dieſes Staatsmannes ge-
recht beurtheilen kann. Aber wenn ein großer engliſcher Miniſter dar-
auf hinwies wie ſchwer es in England ſey eine alte Monarchie, einen
ſtolzen Adel und ein reformirtes Haus der Gemeinen in Gleichgewicht zu
halten, ſo bedurfte es wohl keines alltäglichen Maßes von Weisheit um ein
halb Jahrhundert lang eine abſolute Dynaſtie, eine Kaſten-Nobleſſe und
ein aus ſo heterogenen Beſtandtheilen gemiſchtes Volk in Ordnung und
Einklang zu erhalten. Denjenigen welche dem gefallenen Staatsmann
Meinungen zuſchreiben wie etwa die des Herzogs v. Newcaſtle in Eng-
land, wird unſere Ueberzeugung wohl widerſinnig erſcheinen — die Ueber-
zeugung nämlich daß in ſeiner langen politiſchen Laufbahn Fürſt Metter-
nich vielmehr der Kämpe der Mäßigung als der Gewalt oder der Tyran-
nei war. Indeſſen was auch ſeine Politik geweſen ſeyn mag, das iſt ge-
wiß: ſeine Abdankung in dieſem Augenblick war das Todtengeläute (the
knell)
des Statusquo.“

Das große Monſter-Meeting, welches am 17 März dem St. Pa-
trickstage nicht gehalten worden, fand nachträglich am 20 März in Dublin
unter freiem Himmel ſtatt, ging jedoch, wie der Globe in einer zweiten
Auflage berichtet, ohne Ruheſtörung vorüber. Die Verſammlung war
von der Jung-Irland-Partei veranſtaltet, wie denn auch Hr. Smith
O’Brien den Vorſitz führte, nachdem der Lordmayor der Stadt, welcher
ein Repealer von der alten Schule iſt, die Einladung dazu abgelehnt
hatte. Ebenſo hielten ſich John O’Connell und alle O’Connelliten, die
„Repealer der Verſöhnungshalle“, von dieſem Meeting fern. Es wur-
den hitzige Reden über Irlands Mißhandlung durch England gehalten,
eine nochmalige Adreſſe an die franzöſiſche Nation, endlich eine ehrerbie-
tige Denkſchrift an die Königin über die Nothwendigkeit einer alsbaldi-
gen Auflöſung der legislativen Einigung zwiſchen Irland und Großbri-
tannien beſchloſſen. In dem heftigen demokratiſchen Blatt „The United
Iriſhman“ — welches unter John Mitchells Redaction offenen Aufruhr
predigt, ohne daß bis jetzt trotz aller Mahnungen der Times die Juſtiz
eingeſchritten iſt — wird John O’Connell als ein „Landesverräther und
Feigling“, Graf Clarendon, der wohlmeinende Lordſtatthalter von Ir-
land, als „Ihrer Maj. Generalhenker und Oberſchlächter“ behandelt.

Die beſte Neuigkeit die ſich aus Eng-
land melden läßt iſt: es gibt nichts neues. England tritt ſeinen Platz
in Ihren Spalten für jetzt an die tieferregenden Kunden ab die Ihnen
aus allen anderen Theilen Europa’s zuſtrömen; denn nie war unſer
Land ruhiger, die Verhandlungen im Parlament ſchläfriger, oder die
ganze Bevölkerung einiger geſinnt für Schutz und Aufrechthaltung der
öffentlichen Ordnung. Während Frankreich und Deutſchland in hellen
Flammen ſtanden, rathſchlagte das brittiſche Haus der Gemeinen über
die Frage wie die ärztliche Hülfe für die Armen ſich verbeſſern laſſe;
außer der Abgabe einer einfachen Neutralitätserklärung hat das Par-
lament von den erſtaunlichen Ereigniſſen, deren Zuſchauer wir alle ſind,
keine Notiz genommen. Uebrigens iſt all unſere Aufmerkſamkeit nach
dem Continent gerichtet. — In den höhern politiſchen Kreiſen hat die
Stellung der franzöſiſchen Verbannten und Lord Palmerſtons ſehr un-
ziemliches Benehmen gegen dieſelben dieſem einigen Tadel zugezogen.
[Spaltenumbruch] Nach ſeiner Ankunft in London verfügte ſich Ludwig Philipp ſogleich
nach Claremont, einem 12 engliſche Meilen von London entlegenen
Landſitze des Königs der Belgier, welcher ſeitdem ſeinen Schwiegervater
eingeladen hat daſelbſt ſo lange es ihm beliebe wohnen zu bleiben. In-
deſſen wenige Tage darauf erfuhr Lord Palmerſton daß der Herzog und
die Herzogin v. Montpenfier im Begriff waren von England nach Ma-
drid abzureiſen, und der brittiſche Staatsſecretär des Auswärtigen
ſuchte alsbald dieſe Abreiſe mit allen ihm zu Gebote ſtehenden Mitteln
zu verhindern.*) Er erſuchte Ludwig Philipp ſeinem Sohne die Reiſe
nach Spanien zu verbieten, und als der geſtürzte Monarch dieſes An-
ſinnen entrüſtet zurückwies, hatte Mylord Palmerſton die Inſolenz dem-
ſelben zu bedeuten: er dürfe nicht hoffen Claremont zu ſeinem bleibenden
Wohnſitz zu machen. Dieſe Unart (impertinence), welche ganz allein
von Palmerſton ohne irgendeine Ermächtigung der Königin ausging,
ſteigerte den Verdruß der franzöſiſchen Prinzen aufs höchſte. Der
Herzog und die Herzogin v. Montpenſier reisten kochend vor Wuth nach
Holland ab, und der alte König blieb in tiefſter Aufregung zurück. Dieſe
Verletzung des Gaſtrechts hat in politiſchen Kreiſen den größten Wider-
willen erregt, und die Times brandmarkt ſie geradezu als eine Schmach
deren kein ächter Britte fähig ſey. Palmerſton aber iſt ein würdiger
Landsmann von Sir Hudſon Lowe, und bereit bei dem modernen König
Lear die Rolle der Goneril zu ſpielen. König Lear — das iſt in der
That kein unpaſſender Name für den armen Schiffbrüchigen der noch
vor einem Monat „jeder Zoll ein König“ war, oder zu ſeyn glaubte.
Ohne Vermögen, ohne Anhänger, der Gegenſtand nur geringen Mit-
leids, ſo hat Ludwig Philipp unglücklicherweiſe den völligen Ruin ſeines
Glücks überlebt, und es wäre wahrlich nicht zu verwundern wenn ſein
alter Kopf unter der Wucht ſolcher Mißgeſchicke aus den Fugen ginge.
Der brittiſche Hof hat ſeinem Schickſal die wärmſte Theilnahme bezeigt,
und obgleich er in letzter Zeit das politiſche Vertrauen unſerer Nation
verloren hatte, begegnet ihm doch auch dieſe bei jeder Gelegenheit mit
der Sympathie und Achtung**) die dem Unglück, ſelbſt dem ſchuldvollen
Unglück, gebührt — einen Mann ausgenommen deſſen Rachſucht
keine Gränzen und keine Menſchlichkeit kennt.

Frankreich.

Der Moniteur enthält die Ernennung des Diviſionsgenerals Eu-
gen Cavaignac zum Kriegsminiſter. General Changarnier iſt ſein
Nachfolger in der Generalſtatthalterſchaft. Durch ein anderes
Decret der proviſoriſchen Regierung wird die Errichtung von General-
magazinen anbefohlen, wo die Geſchäftsleute und Induſtriellen ihre
Rohſtoffe, Waaren und Fabricate niederlegen können. Die Errichtung
geſchieht nach den Anträgen der Handelskammer und der Municipal-
räthe, und es werden den Hinterlegern Empfangſcheine ausgeſtellt, die
mit dem Stempel der Republik und dem Stempel der einzelnen Maga-
zine verſehen, und durch Indoſſement übertragbar ſind. In Paris ſind
die Gebäude des Zollzwiſchenlagers zu dieſem Zweck beſtimmt. In dem
vorausgeſchickten Bericht des Finanzminiſters, Garnier Pagès, iſt ge-
ſagt daß ſich die induſtrielle Krifis unter zwei Geſichtspunkten darbiete,
einer Ueberfüllung der Portefeuilles und einer Ueberfüllung der Maga-
zine. Durch dieſe Maßregeln ſollen Ausgangscanäle eröffnet werden.

Hr. Benazet, der berufene Spielpächter in Baden, früher General-
pächter der Spiele in Paris, iſt am 19 März in dieſer Hauptſtadt ge-
ſtorben.

Das zum wiederholtenmal ſich verbrei-
tende Gerücht, demzufolge die Gebrüder Rothſchild daran wären ihre
Zahlungen einzuſtellen, mag darin ſeinen Grund haben daß das hieſige
Haus Rothſchild die ſogenannten offenen Credite vorderhand nie-
manden mehr bewilligt. Ich könnte Ihnen zwei fremde Legationen nen-
nen welche bei Rothſchild hier offenen Credit bis zu 100,000 Fr. genoſ-

*) Einige Blätter wollten, wie erwähnt, umgekehrt wiſſen: Palmerſton
habe den Herzog v. Montpenſier aus England ausgewieſen. Obige
Verſion iſt jedenfalls die wahrſcheinlichere.
**) Um ſo unfeiner erſcheinen die, wenn auch witzigen, Spottbilder und
Spottartikel auf dieſe gefallene Größe im Punch. Bald zeigt er ihn
mit hochgeſträubtem Haar, das eine Flamme vorſtellt, über einem Leuch-
ter ſitzend, auf welchen ein Republicaner einen Löſcher ſtülpt; bald läßt
er, ihn mit andern Königen an der Roulette ſpielen, deren Kugel Punch
als Croupier rollt, und er geht nach verlorener Krone kahlköpfig vom
grünen Tiſch u. ſ. w.
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[1367/0007] legen. Und darin liegt für jetzt eine große Quelle der Hoffnung. Offen- bar verſchmäht der allgemeine Geſchmack in Frankreich die Rückkehr zu gewiſſen Formen der alten Republik. Der Verſuch die Anrede Mon- ſteur mit Citoyen zu vertauſchen iſt ganz und gar geſcheitert. Auch das Decret zur Abſchaffung der Ehrentitel iſt mißglückt. Im J. 1793 lief der Ariſtokratiſmus mit all ſeinen Formen und Namen im Schrecken davon, und wurde unter dem Schaffot in den republicaniſchen Koth ge- treten; aber jetzt ſind gentlemanliche Sinnesart und Gewohnheiten nicht mehr die einer Claſſe, ſondern beinahe eines ganzen Volks, und das ganze Volk weigert ſich ſie aufzugeben. Hr. Dupont de l’Eure mag im Luxembourg-Palaſt den Vorſitz führen und die Arbeiter auf die Pairs- ſtühle pflanzen, keine Seele kommt dem alten Dupont den Hof zu machen. Der Tempel des republicaniſchen Dſchaghernatha hat keinen Verehrer, während jener des faſhionablen Republicaniſmus in Lamartine’s Woh- nung immer vollgedrängt iſt. Und gäbe er ein Feſt, ganz Paris würde dazu ſtrömen und eine zweite „beſte Republik“ in ihrem Glanze vene- riren.“ Die Kunde vom Sturze Metternichs hat in England gewaltiges Aufſehen erregt. Indeſſen ſchließt das Chronicle einen leitenden Ar- tikel, welcher die Lage Oeſterreichs trotz der Erhebung Wiens als eine ſehr troftloſe ſchildert, mit den Worten: „Noch iſt die Zeit nicht gekom- men wo man die Politik und den Charakter dieſes Staatsmannes ge- recht beurtheilen kann. Aber wenn ein großer engliſcher Miniſter dar- auf hinwies wie ſchwer es in England ſey eine alte Monarchie, einen ſtolzen Adel und ein reformirtes Haus der Gemeinen in Gleichgewicht zu halten, ſo bedurfte es wohl keines alltäglichen Maßes von Weisheit um ein halb Jahrhundert lang eine abſolute Dynaſtie, eine Kaſten-Nobleſſe und ein aus ſo heterogenen Beſtandtheilen gemiſchtes Volk in Ordnung und Einklang zu erhalten. Denjenigen welche dem gefallenen Staatsmann Meinungen zuſchreiben wie etwa die des Herzogs v. Newcaſtle in Eng- land, wird unſere Ueberzeugung wohl widerſinnig erſcheinen — die Ueber- zeugung nämlich daß in ſeiner langen politiſchen Laufbahn Fürſt Metter- nich vielmehr der Kämpe der Mäßigung als der Gewalt oder der Tyran- nei war. Indeſſen was auch ſeine Politik geweſen ſeyn mag, das iſt ge- wiß: ſeine Abdankung in dieſem Augenblick war das Todtengeläute (the knell) des Statusquo.“ Das große Monſter-Meeting, welches am 17 März dem St. Pa- trickstage nicht gehalten worden, fand nachträglich am 20 März in Dublin unter freiem Himmel ſtatt, ging jedoch, wie der Globe in einer zweiten Auflage berichtet, ohne Ruheſtörung vorüber. Die Verſammlung war von der Jung-Irland-Partei veranſtaltet, wie denn auch Hr. Smith O’Brien den Vorſitz führte, nachdem der Lordmayor der Stadt, welcher ein Repealer von der alten Schule iſt, die Einladung dazu abgelehnt hatte. Ebenſo hielten ſich John O’Connell und alle O’Connelliten, die „Repealer der Verſöhnungshalle“, von dieſem Meeting fern. Es wur- den hitzige Reden über Irlands Mißhandlung durch England gehalten, eine nochmalige Adreſſe an die franzöſiſche Nation, endlich eine ehrerbie- tige Denkſchrift an die Königin über die Nothwendigkeit einer alsbaldi- gen Auflöſung der legislativen Einigung zwiſchen Irland und Großbri- tannien beſchloſſen. In dem heftigen demokratiſchen Blatt „The United Iriſhman“ — welches unter John Mitchells Redaction offenen Aufruhr predigt, ohne daß bis jetzt trotz aller Mahnungen der Times die Juſtiz eingeſchritten iſt — wird John O’Connell als ein „Landesverräther und Feigling“, Graf Clarendon, der wohlmeinende Lordſtatthalter von Ir- land, als „Ihrer Maj. Generalhenker und Oberſchlächter“ behandelt. ⸫ London, 20 März.Die beſte Neuigkeit die ſich aus Eng- land melden läßt iſt: es gibt nichts neues. England tritt ſeinen Platz in Ihren Spalten für jetzt an die tieferregenden Kunden ab die Ihnen aus allen anderen Theilen Europa’s zuſtrömen; denn nie war unſer Land ruhiger, die Verhandlungen im Parlament ſchläfriger, oder die ganze Bevölkerung einiger geſinnt für Schutz und Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung. Während Frankreich und Deutſchland in hellen Flammen ſtanden, rathſchlagte das brittiſche Haus der Gemeinen über die Frage wie die ärztliche Hülfe für die Armen ſich verbeſſern laſſe; außer der Abgabe einer einfachen Neutralitätserklärung hat das Par- lament von den erſtaunlichen Ereigniſſen, deren Zuſchauer wir alle ſind, keine Notiz genommen. Uebrigens iſt all unſere Aufmerkſamkeit nach dem Continent gerichtet. — In den höhern politiſchen Kreiſen hat die Stellung der franzöſiſchen Verbannten und Lord Palmerſtons ſehr un- ziemliches Benehmen gegen dieſelben dieſem einigen Tadel zugezogen. Nach ſeiner Ankunft in London verfügte ſich Ludwig Philipp ſogleich nach Claremont, einem 12 engliſche Meilen von London entlegenen Landſitze des Königs der Belgier, welcher ſeitdem ſeinen Schwiegervater eingeladen hat daſelbſt ſo lange es ihm beliebe wohnen zu bleiben. In- deſſen wenige Tage darauf erfuhr Lord Palmerſton daß der Herzog und die Herzogin v. Montpenfier im Begriff waren von England nach Ma- drid abzureiſen, und der brittiſche Staatsſecretär des Auswärtigen ſuchte alsbald dieſe Abreiſe mit allen ihm zu Gebote ſtehenden Mitteln zu verhindern. *) Er erſuchte Ludwig Philipp ſeinem Sohne die Reiſe nach Spanien zu verbieten, und als der geſtürzte Monarch dieſes An- ſinnen entrüſtet zurückwies, hatte Mylord Palmerſton die Inſolenz dem- ſelben zu bedeuten: er dürfe nicht hoffen Claremont zu ſeinem bleibenden Wohnſitz zu machen. Dieſe Unart (impertinence), welche ganz allein von Palmerſton ohne irgendeine Ermächtigung der Königin ausging, ſteigerte den Verdruß der franzöſiſchen Prinzen aufs höchſte. Der Herzog und die Herzogin v. Montpenſier reisten kochend vor Wuth nach Holland ab, und der alte König blieb in tiefſter Aufregung zurück. Dieſe Verletzung des Gaſtrechts hat in politiſchen Kreiſen den größten Wider- willen erregt, und die Times brandmarkt ſie geradezu als eine Schmach deren kein ächter Britte fähig ſey. Palmerſton aber iſt ein würdiger Landsmann von Sir Hudſon Lowe, und bereit bei dem modernen König Lear die Rolle der Goneril zu ſpielen. König Lear — das iſt in der That kein unpaſſender Name für den armen Schiffbrüchigen der noch vor einem Monat „jeder Zoll ein König“ war, oder zu ſeyn glaubte. Ohne Vermögen, ohne Anhänger, der Gegenſtand nur geringen Mit- leids, ſo hat Ludwig Philipp unglücklicherweiſe den völligen Ruin ſeines Glücks überlebt, und es wäre wahrlich nicht zu verwundern wenn ſein alter Kopf unter der Wucht ſolcher Mißgeſchicke aus den Fugen ginge. Der brittiſche Hof hat ſeinem Schickſal die wärmſte Theilnahme bezeigt, und obgleich er in letzter Zeit das politiſche Vertrauen unſerer Nation verloren hatte, begegnet ihm doch auch dieſe bei jeder Gelegenheit mit der Sympathie und Achtung **) die dem Unglück, ſelbſt dem ſchuldvollen Unglück, gebührt — einen Mann ausgenommen deſſen Rachſucht keine Gränzen und keine Menſchlichkeit kennt. Frankreich. Paris, 22 März. Der Moniteur enthält die Ernennung des Diviſionsgenerals Eu- gen Cavaignac zum Kriegsminiſter. General Changarnier iſt ſein Nachfolger in der Generalſtatthalterſchaft. Durch ein anderes Decret der proviſoriſchen Regierung wird die Errichtung von General- magazinen anbefohlen, wo die Geſchäftsleute und Induſtriellen ihre Rohſtoffe, Waaren und Fabricate niederlegen können. Die Errichtung geſchieht nach den Anträgen der Handelskammer und der Municipal- räthe, und es werden den Hinterlegern Empfangſcheine ausgeſtellt, die mit dem Stempel der Republik und dem Stempel der einzelnen Maga- zine verſehen, und durch Indoſſement übertragbar ſind. In Paris ſind die Gebäude des Zollzwiſchenlagers zu dieſem Zweck beſtimmt. In dem vorausgeſchickten Bericht des Finanzminiſters, Garnier Pagès, iſt ge- ſagt daß ſich die induſtrielle Krifis unter zwei Geſichtspunkten darbiete, einer Ueberfüllung der Portefeuilles und einer Ueberfüllung der Maga- zine. Durch dieſe Maßregeln ſollen Ausgangscanäle eröffnet werden. Hr. Benazet, der berufene Spielpächter in Baden, früher General- pächter der Spiele in Paris, iſt am 19 März in dieſer Hauptſtadt ge- ſtorben. ** Paris, 21 März.Das zum wiederholtenmal ſich verbrei- tende Gerücht, demzufolge die Gebrüder Rothſchild daran wären ihre Zahlungen einzuſtellen, mag darin ſeinen Grund haben daß das hieſige Haus Rothſchild die ſogenannten offenen Credite vorderhand nie- manden mehr bewilligt. Ich könnte Ihnen zwei fremde Legationen nen- nen welche bei Rothſchild hier offenen Credit bis zu 100,000 Fr. genoſ- *) Einige Blätter wollten, wie erwähnt, umgekehrt wiſſen: Palmerſton habe den Herzog v. Montpenſier aus England ausgewieſen. Obige Verſion iſt jedenfalls die wahrſcheinlichere. **) Um ſo unfeiner erſcheinen die, wenn auch witzigen, Spottbilder und Spottartikel auf dieſe gefallene Größe im Punch. Bald zeigt er ihn mit hochgeſträubtem Haar, das eine Flamme vorſtellt, über einem Leuch- ter ſitzend, auf welchen ein Republicaner einen Löſcher ſtülpt; bald läßt er, ihn mit andern Königen an der Roulette ſpielen, deren Kugel Punch als Croupier rollt, und er geht nach verlorener Krone kahlköpfig vom grünen Tiſch u. ſ. w.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 86, 26. März 1848, S. 1367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine86_1848/7>, abgerufen am 21.11.2024.