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Allgemeine Zeitung, Nr. 86, 26. März 1848.

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[Spaltenumbruch] lichen Eindruck. Vier Leichen furchtbar entstellt und grauenvoll zu
sehen, aber mit grünen Zweigen geschmückt und vom Volke mit Blu-
men beworfen, wurden auf offener Bahre getragen, hin vor das Schloß-
portal unter dem Balkon des Königs. Dort hielt der Zug. Der
stürmische Ruf des Volkes veranlaßte zuerst die neuernannten Mini-
ster Grafen Arnim und Schwerin auf den Balkon herauszutreten, um
die allgemeine Aufregung durch versöhnende Worte zu beschwichtigen.
Doch der unaufhörlich sich wiederholende Ruf: "Der König" ließ diese
Reden ungehört verhallen. Endlich erschien der Monarch am Arm
der Königin und begrüßte das Volk; sein Antlitz war schmerzlich be-
wegt, die Königin bebte zurück vor dem Anblick der Leichen. Umsonst
bemühte sich ein Theil der Versammlung die Ruhe für einige Mi-
nuten aufrechtzuerhalten. Kaum hatte man die Worte vernommen:
"Sie haben mir vor einer Stunde versprochen ruhig nach Hause zu
gehen," als die sich wild kreuzenden Rufe der Menge den König an
der Fortsetzung seiner Rede verhinderten. Nach einigen vergeblichen
Bersuchen sich wieder Gehör zu verschaffen trat der König mit grü-
ßender Bewegung zurück.

Das Volk hat gestern und heute große
Triumphe gefeiert: gestern indem es zum erstenmal von seinem König
als ein ihm gleichstehendes und gleichberechtigtes Moment des Staates
anerkannt wurde, und heute indem es sich selbst in seinen Todten ehrte,
und im vollen Bewußtseyn seiner sittlichen Thatkraft keinen Augenblick
die Würde vergaß die es der Feier welche es beging, und seiner eigenen
Zukunft schuldig ist. Die beiden Tage haben auch sehr viel dazu beige-
tragen die Gemüther zu beruhigen und den Horizont aufzuheitern, so
daß die von dem plötzlichen Wechsel Ueberraschten und Verblüfften doch
nun schon mit etwas größerm Vertrauen dem was bevorsteht entgegen-
sehen. Freilich sind einige dem älteren Adel angehörende Familien
von hier abgereist; freilich blicken manche den abgesetzten Ministern be-
sonders nahe und befreundet gewesene Beamte etwas schüchtern um sich,
und freilich fürchten einige Schnurrbärte, die jetzt den Civilrock angezo-
gen, daß die goldene Zeit der Militärherrschaft für immer vorüber sey.
Aber gerade das beweist daß wir der schönen Hoffnung Raum geben
dürfen, König und Volk werden nunmehr auf das innigste vereint auch
ein um so innigeres Bündniß zwischen Preußen und dem gesammten
übrigen Deutschland herbeiführen. Die Hunderttausende die heute der
Todtenfeier der Gefallenen in der festlich geschmückten Stadt beiwohn-
ten, waren sichtlich alle von diesem Gedanken durchdrungen, und dieß ist
uns eine viel größere Bürgschaft für die Zukunft als uns jemals das
Triumvirat der Adels-, der Beamten- und der Militäraristokratie hätte
gewähren können. Aus sehr vielen Städten der Monarchie sind bewaff-
nete Bürger hier eingetroffen, zum Theil um, falls es nöthig gewesen
wäre, die hiesige Bürgerschaft zu unterstützen und zum Theil um ihr für
das was sie für das Vaterland gethan zu danken. Auch von mehreren
Universitäten sind bereits Deputationen hier angelangt, um den hiesigen
Studirenden ähnliche Zeichen der Theilnahme zu überbringen. Die
Börse und alle Geschäfte waren heute wegen der Todtenfeier geschlossen.
-- Hr. Dr. Zinkeisen, bisheriger nomineller Redacteur der Allg. Pr.
Zeitung, aber eigentlich nur ihr Factor, da er nie einen eigenen Gedan-
ken gehabt, nie einen eigenen Artikel gedruckt, ist wegen des letzten Ar-
tikels den er aus der Feder der HH. Ministerialräthe Mathis und Sul-
zer über die Vorgänge vom 18 und 19 März geliefert, von einigen
Männern aus der Bürgerschaft so dringend um Genugthuung bean-
sprucht worden daß er es für nöthig gehalten sich von Berlin zu entfer-
nen. Das Blatt wird jetzt von dem bisherigen Mitredacteur Hrn.
Wentzel, einem achtungswerthen Manne, unterzeichnet.

Nach Berichten aus Berlin vom 20 März im Frkf. Journ. hing
es am 19 Nachmittags an einem Haar, und der König hätte sich wie
Ludwig Philipp flüchten müssen. Die Bürger trugen die Leichen der
Gefallenen, meist Jünglinge, unbedeckt, mit den klaffenden Todeswunden
und geschmückt mit Myrten und Fahnen, unter Choralgesang vor das
Schloß des Königs. Dort angekommen riefen sie so lange bis er end-
lich mit der Königin erschien, und zwar mit der Mütze auf dem Haupte.
Da erscholl es von allen Seiten: "Mütze herunter!" Diesem Verlangen
wurde sofort entsprochen: Die Erbitterung des Volkes war furchtbar,
und wäre der König auf der Straße gewesen, so hätte man alles be-
fürchten müssen. Der König entschuldigte sich jetzt: aus einem Mißver-
ständnisse wäre geschossen worden; ein schönes Mißverständniß das
vierundzwanzig Stunden währte! Die Soldaten wären auch gestern
früh noch nicht abgezogen hätte das Volk nicht den commandirenden
[Spaltenumbruch] General Möllendorf gefangen genommen, und indem sie demselben eine
geladene Pistole auf die Brust setzten, gezwungen an den König zu
schreiben er solle das Militär zurückziehen lassen. Zugleich wurde dem
König bei Uebersendung des Blattes gesagt daß, wenn noch ein Schuß
falle, der General augenblicklich erschossen werden würde, einstweilen
würde er als Geisel behalten. Das wirkte.

Die. Fr. OPAZ. schreibt aus Berlin: "Die Zahl der auf beiden
Seiten Gebliebenen ist groß, genau festgestellt ist sie aber noch nicht.
Die geringste Angabe bezeichnet 400 Soldaten und 200 Bürger, die
stärkste 1800 Soldaten und 800 Bürger. Die Zahl der Verwundeten
ist natürlich größer, aber ebenfalls noch nicht ermittelt. Alle Todten
werden nach dem Schloß gebracht und dort ausgestellt.

Gestern ritt der König, allein von
Potsdam zurückkehrend, in die Stadt ein, um den Arm eine Binde mit den
drei Farben, unter Vortragung der Reichsfahne mit dem Doppeladler. Zu-
gleich wurde ein großgedrucktes Manifest "an die deutsche Nation" ver-
theilt, welches bereits in Ihren Händen seyn wird. Da es den König
von Preußen als "neuen König des freien wiedergebornen Deutschlands"
begrüßt, muß es dem übrigen Deutschland als eine Usurpation erschei-
nen. Indeß ist zu bemerken daß es zwar in der Hofbuchdruckerei gedruckt
worden war, aber keine Unterschrift hatte,*) und daß der König selbst in
den Anreden die er ans Volk hielt, sich ausdrücklich gegen jede Mißdeu-
tung, als wolle er allein sich an die Stelle aller übrigen deutschen Für-
sten setzen, verwahrt hat. Er beabsichtigt nichts anderes als seinen
festen Entschluß auszudrücken: daß er fortan kein preußisches Son-
derinteresse kenne, sondern sich mit allen Kräften seiner großen Mon-
archie ausschließlich der gemeinsamen deutschen Sache hingeben wolle.
Es liegt alles daran daß man dieß im übrigen Deutschland erkenne, damit
das Ausland nicht die Freude habe die deutsche Einheit schon im Beginn
wieder durch eine unbegründete Furcht der kleinern Staaten vor speciell
preußischer Usurpation oder durch das Mißtrauen Oesterreichs gefähr-
det zu sehen. Der große Gedanke der deutschen Nationaleinheit herrscht
so sehr vor daß kein anderer mehr neben ihm aufkommt. Er schließt
aber, das fühlt jeder und wohl am meisten der König selbst, nichts
Usurpatorisches, sondern vielmehr eine Unterordnung der preußi-
schen Interessen unter die allgemein deutschen Rechte
in sich.
Dieß wird sich zeigen bei Eröffnung des deutschen Parlaments.

Seitdem ich Ihnen zuletzt ge-
schrieben, sind Dinge geschehen die ich Ihnen freilich als unausbleiblich
angedeutet, die ich aber doch in so rascher Folge selbst nicht erwartet
hatte. Während sich preußische Truppen an der sächsischen Gränze zu-
sammenzogen um jede Entwickelung niederzuhalten, hat ein fast 24stün-
diger Straßenkampf in Berlin das Schicksal des preußischen Staates, und
mithin ganz Deutschlands entschieden. Und welch ein Kampf! Gegen
die Erbitterung dieses Gefechtes sind die Februartage in Paris nur eine
Plänkelei gewesen. Die Nemesis ist furchtbar und rasch eingeschritten.
Bodelschwingh und dieselben Minister die noch bei der Berathung des
Strafgesetzes allen Gefühlen, allen Wünschen des Volkes glaubten Hohn
bieten zu dürfen, haben noch vor ihrem Sturze eine Proclamation unter-
zeichnen müssen, durch welche sie den Sieg aller derjenigen Grundsätze
verkünden die sie bis dahin bekämpft hatten; dann sind sie wie schwache
Halme von dem Hauche des Volkswillens zerknickt worden, und die Män-
ner der Opposition, die seit vorigem Jahre in aller Munde und in aller
Herzen sind, haben ihre Plätze eingenommen. Man vermag noch nicht
zu übersehen was alles geschehen und wie es so gekommen ist; auch ist
dieß gleichgültig. Denn so viel ist gewiß: wir sind erst am Anfang der
Dinge, und noch viel größeres wird geschehen. Unaufhaltsam drängt sich
der Gedanke des deutschen Volkes zu seiner Vollendung, und dieser Ge-
danke ist: ein einheitliches constitutionelles Deutschland
unter einem Oberhaupte.
Und wer wird dieses künftige Ober-
haupt der Deutschen seyn? Die brandenburgischen Prinzen die vielleicht
die meisten Aussichten hatten, scheinen seit dem Blutbade in Berlin un-
möglich geworden zu seyn. An andere norddeutsche Fürsten ist noch we-
niger zu denken. Denn die holsteinischen Prinzen sind zu wenig bekannt.
So kann die Wahl nur zwischen einem Erzherzog und einem bayerischen
Prinzen schwanken. Daß sie aber schleunigst erfolgen muß, wenn
Deutschland nicht in communistische Zerrüttung und republicanische Zu-
ckungen verfallen soll, daran kann niemand zweifeln der ein wenig in die
Zukunft zu blicken gelernt hat.

*) Doch wohl dasselbe das in der Allg. Preuß. Ztg. erschienen?

[Spaltenumbruch] lichen Eindruck. Vier Leichen furchtbar entſtellt und grauenvoll zu
ſehen, aber mit grünen Zweigen geſchmückt und vom Volke mit Blu-
men beworfen, wurden auf offener Bahre getragen, hin vor das Schloß-
portal unter dem Balkon des Königs. Dort hielt der Zug. Der
ſtürmiſche Ruf des Volkes veranlaßte zuerſt die neuernannten Mini-
ſter Grafen Arnim und Schwerin auf den Balkon herauszutreten, um
die allgemeine Aufregung durch verſöhnende Worte zu beſchwichtigen.
Doch der unaufhörlich ſich wiederholende Ruf: „Der König“ ließ dieſe
Reden ungehört verhallen. Endlich erſchien der Monarch am Arm
der Königin und begrüßte das Volk; ſein Antlitz war ſchmerzlich be-
wegt, die Königin bebte zurück vor dem Anblick der Leichen. Umſonſt
bemühte ſich ein Theil der Verſammlung die Ruhe für einige Mi-
nuten aufrechtzuerhalten. Kaum hatte man die Worte vernommen:
„Sie haben mir vor einer Stunde verſprochen ruhig nach Hauſe zu
gehen,“ als die ſich wild kreuzenden Rufe der Menge den König an
der Fortſetzung ſeiner Rede verhinderten. Nach einigen vergeblichen
Berſuchen ſich wieder Gehör zu verſchaffen trat der König mit grü-
ßender Bewegung zurück.

Das Volk hat geſtern und heute große
Triumphe gefeiert: geſtern indem es zum erſtenmal von ſeinem König
als ein ihm gleichſtehendes und gleichberechtigtes Moment des Staates
anerkannt wurde, und heute indem es ſich ſelbſt in ſeinen Todten ehrte,
und im vollen Bewußtſeyn ſeiner ſittlichen Thatkraft keinen Augenblick
die Würde vergaß die es der Feier welche es beging, und ſeiner eigenen
Zukunft ſchuldig iſt. Die beiden Tage haben auch ſehr viel dazu beige-
tragen die Gemüther zu beruhigen und den Horizont aufzuheitern, ſo
daß die von dem plötzlichen Wechſel Ueberraſchten und Verblüfften doch
nun ſchon mit etwas größerm Vertrauen dem was bevorſteht entgegen-
ſehen. Freilich ſind einige dem älteren Adel angehörende Familien
von hier abgereist; freilich blicken manche den abgeſetzten Miniſtern be-
ſonders nahe und befreundet geweſene Beamte etwas ſchüchtern um ſich,
und freilich fürchten einige Schnurrbärte, die jetzt den Civilrock angezo-
gen, daß die goldene Zeit der Militärherrſchaft für immer vorüber ſey.
Aber gerade das beweist daß wir der ſchönen Hoffnung Raum geben
dürfen, König und Volk werden nunmehr auf das innigſte vereint auch
ein um ſo innigeres Bündniß zwiſchen Preußen und dem geſammten
übrigen Deutſchland herbeiführen. Die Hunderttauſende die heute der
Todtenfeier der Gefallenen in der feſtlich geſchmückten Stadt beiwohn-
ten, waren ſichtlich alle von dieſem Gedanken durchdrungen, und dieß iſt
uns eine viel größere Bürgſchaft für die Zukunft als uns jemals das
Triumvirat der Adels-, der Beamten- und der Militärariſtokratie hätte
gewähren können. Aus ſehr vielen Städten der Monarchie ſind bewaff-
nete Bürger hier eingetroffen, zum Theil um, falls es nöthig geweſen
wäre, die hieſige Bürgerſchaft zu unterſtützen und zum Theil um ihr für
das was ſie für das Vaterland gethan zu danken. Auch von mehreren
Univerſitäten ſind bereits Deputationen hier angelangt, um den hieſigen
Studirenden ähnliche Zeichen der Theilnahme zu überbringen. Die
Börſe und alle Geſchäfte waren heute wegen der Todtenfeier geſchloſſen.
— Hr. Dr. Zinkeiſen, bisheriger nomineller Redacteur der Allg. Pr.
Zeitung, aber eigentlich nur ihr Factor, da er nie einen eigenen Gedan-
ken gehabt, nie einen eigenen Artikel gedruckt, iſt wegen des letzten Ar-
tikels den er aus der Feder der HH. Miniſterialräthe Mathis und Sul-
zer über die Vorgänge vom 18 und 19 März geliefert, von einigen
Männern aus der Bürgerſchaft ſo dringend um Genugthuung bean-
ſprucht worden daß er es für nöthig gehalten ſich von Berlin zu entfer-
nen. Das Blatt wird jetzt von dem bisherigen Mitredacteur Hrn.
Wentzel, einem achtungswerthen Manne, unterzeichnet.

Nach Berichten aus Berlin vom 20 März im Frkf. Journ. hing
es am 19 Nachmittags an einem Haar, und der König hätte ſich wie
Ludwig Philipp flüchten müſſen. Die Bürger trugen die Leichen der
Gefallenen, meiſt Jünglinge, unbedeckt, mit den klaffenden Todeswunden
und geſchmückt mit Myrten und Fahnen, unter Choralgeſang vor das
Schloß des Königs. Dort angekommen riefen ſie ſo lange bis er end-
lich mit der Königin erſchien, und zwar mit der Mütze auf dem Haupte.
Da erſcholl es von allen Seiten: „Mütze herunter!“ Dieſem Verlangen
wurde ſofort entſprochen: Die Erbitterung des Volkes war furchtbar,
und wäre der König auf der Straße geweſen, ſo hätte man alles be-
fürchten müſſen. Der König entſchuldigte ſich jetzt: aus einem Mißver-
ſtändniſſe wäre geſchoſſen worden; ein ſchönes Mißverſtändniß das
vierundzwanzig Stunden währte! Die Soldaten wären auch geſtern
früh noch nicht abgezogen hätte das Volk nicht den commandirenden
[Spaltenumbruch] General Möllendorf gefangen genommen, und indem ſie demſelben eine
geladene Piſtole auf die Bruſt ſetzten, gezwungen an den König zu
ſchreiben er ſolle das Militär zurückziehen laſſen. Zugleich wurde dem
König bei Ueberſendung des Blattes geſagt daß, wenn noch ein Schuß
falle, der General augenblicklich erſchoſſen werden würde, einſtweilen
würde er als Geiſel behalten. Das wirkte.

Die. Fr. OPAZ. ſchreibt aus Berlin: „Die Zahl der auf beiden
Seiten Gebliebenen iſt groß, genau feſtgeſtellt iſt ſie aber noch nicht.
Die geringſte Angabe bezeichnet 400 Soldaten und 200 Bürger, die
ſtärkſte 1800 Soldaten und 800 Bürger. Die Zahl der Verwundeten
iſt natürlich größer, aber ebenfalls noch nicht ermittelt. Alle Todten
werden nach dem Schloß gebracht und dort ausgeſtellt.

Geſtern ritt der König, allein von
Potsdam zurückkehrend, in die Stadt ein, um den Arm eine Binde mit den
drei Farben, unter Vortragung der Reichsfahne mit dem Doppeladler. Zu-
gleich wurde ein großgedrucktes Manifeſt „an die deutſche Nation“ ver-
theilt, welches bereits in Ihren Händen ſeyn wird. Da es den König
von Preußen als „neuen König des freien wiedergebornen Deutſchlands“
begrüßt, muß es dem übrigen Deutſchland als eine Uſurpation erſchei-
nen. Indeß iſt zu bemerken daß es zwar in der Hofbuchdruckerei gedruckt
worden war, aber keine Unterſchrift hatte,*) und daß der König ſelbſt in
den Anreden die er ans Volk hielt, ſich ausdrücklich gegen jede Mißdeu-
tung, als wolle er allein ſich an die Stelle aller übrigen deutſchen Für-
ſten ſetzen, verwahrt hat. Er beabſichtigt nichts anderes als ſeinen
feſten Entſchluß auszudrücken: daß er fortan kein preußiſches Son-
derintereſſe kenne, ſondern ſich mit allen Kräften ſeiner großen Mon-
archie ausſchließlich der gemeinſamen deutſchen Sache hingeben wolle.
Es liegt alles daran daß man dieß im übrigen Deutſchland erkenne, damit
das Ausland nicht die Freude habe die deutſche Einheit ſchon im Beginn
wieder durch eine unbegründete Furcht der kleinern Staaten vor ſpeciell
preußiſcher Uſurpation oder durch das Mißtrauen Oeſterreichs gefähr-
det zu ſehen. Der große Gedanke der deutſchen Nationaleinheit herrſcht
ſo ſehr vor daß kein anderer mehr neben ihm aufkommt. Er ſchließt
aber, das fühlt jeder und wohl am meiſten der König ſelbſt, nichts
Uſurpatoriſches, ſondern vielmehr eine Unterordnung der preußi-
ſchen Intereſſen unter die allgemein deutſchen Rechte
in ſich.
Dieß wird ſich zeigen bei Eröffnung des deutſchen Parlaments.

Seitdem ich Ihnen zuletzt ge-
ſchrieben, ſind Dinge geſchehen die ich Ihnen freilich als unausbleiblich
angedeutet, die ich aber doch in ſo raſcher Folge ſelbſt nicht erwartet
hatte. Während ſich preußiſche Truppen an der ſächſiſchen Gränze zu-
ſammenzogen um jede Entwickelung niederzuhalten, hat ein faſt 24ſtün-
diger Straßenkampf in Berlin das Schickſal des preußiſchen Staates, und
mithin ganz Deutſchlands entſchieden. Und welch ein Kampf! Gegen
die Erbitterung dieſes Gefechtes ſind die Februartage in Paris nur eine
Plänkelei geweſen. Die Nemeſis iſt furchtbar und raſch eingeſchritten.
Bodelſchwingh und dieſelben Miniſter die noch bei der Berathung des
Strafgeſetzes allen Gefühlen, allen Wünſchen des Volkes glaubten Hohn
bieten zu dürfen, haben noch vor ihrem Sturze eine Proclamation unter-
zeichnen müſſen, durch welche ſie den Sieg aller derjenigen Grundſätze
verkünden die ſie bis dahin bekämpft hatten; dann ſind ſie wie ſchwache
Halme von dem Hauche des Volkswillens zerknickt worden, und die Män-
ner der Oppoſition, die ſeit vorigem Jahre in aller Munde und in aller
Herzen ſind, haben ihre Plätze eingenommen. Man vermag noch nicht
zu überſehen was alles geſchehen und wie es ſo gekommen iſt; auch iſt
dieß gleichgültig. Denn ſo viel iſt gewiß: wir ſind erſt am Anfang der
Dinge, und noch viel größeres wird geſchehen. Unaufhaltſam drängt ſich
der Gedanke des deutſchen Volkes zu ſeiner Vollendung, und dieſer Ge-
danke iſt: ein einheitliches conſtitutionelles Deutſchland
unter einem Oberhaupte.
Und wer wird dieſes künftige Ober-
haupt der Deutſchen ſeyn? Die brandenburgiſchen Prinzen die vielleicht
die meiſten Ausſichten hatten, ſcheinen ſeit dem Blutbade in Berlin un-
möglich geworden zu ſeyn. An andere norddeutſche Fürſten iſt noch we-
niger zu denken. Denn die holſteiniſchen Prinzen ſind zu wenig bekannt.
So kann die Wahl nur zwiſchen einem Erzherzog und einem bayeriſchen
Prinzen ſchwanken. Daß ſie aber ſchleunigſt erfolgen muß, wenn
Deutſchland nicht in communiſtiſche Zerrüttung und republicaniſche Zu-
ckungen verfallen ſoll, daran kann niemand zweifeln der ein wenig in die
Zukunft zu blicken gelernt hat.

*) Doch wohl dasſelbe das in der Allg. Preuß. Ztg. erſchienen?
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[1365/0005] lichen Eindruck. Vier Leichen furchtbar entſtellt und grauenvoll zu ſehen, aber mit grünen Zweigen geſchmückt und vom Volke mit Blu- men beworfen, wurden auf offener Bahre getragen, hin vor das Schloß- portal unter dem Balkon des Königs. Dort hielt der Zug. Der ſtürmiſche Ruf des Volkes veranlaßte zuerſt die neuernannten Mini- ſter Grafen Arnim und Schwerin auf den Balkon herauszutreten, um die allgemeine Aufregung durch verſöhnende Worte zu beſchwichtigen. Doch der unaufhörlich ſich wiederholende Ruf: „Der König“ ließ dieſe Reden ungehört verhallen. Endlich erſchien der Monarch am Arm der Königin und begrüßte das Volk; ſein Antlitz war ſchmerzlich be- wegt, die Königin bebte zurück vor dem Anblick der Leichen. Umſonſt bemühte ſich ein Theil der Verſammlung die Ruhe für einige Mi- nuten aufrechtzuerhalten. Kaum hatte man die Worte vernommen: „Sie haben mir vor einer Stunde verſprochen ruhig nach Hauſe zu gehen,“ als die ſich wild kreuzenden Rufe der Menge den König an der Fortſetzung ſeiner Rede verhinderten. Nach einigen vergeblichen Berſuchen ſich wieder Gehör zu verſchaffen trat der König mit grü- ßender Bewegung zurück. Γ Berlin, 22 März.Das Volk hat geſtern und heute große Triumphe gefeiert: geſtern indem es zum erſtenmal von ſeinem König als ein ihm gleichſtehendes und gleichberechtigtes Moment des Staates anerkannt wurde, und heute indem es ſich ſelbſt in ſeinen Todten ehrte, und im vollen Bewußtſeyn ſeiner ſittlichen Thatkraft keinen Augenblick die Würde vergaß die es der Feier welche es beging, und ſeiner eigenen Zukunft ſchuldig iſt. Die beiden Tage haben auch ſehr viel dazu beige- tragen die Gemüther zu beruhigen und den Horizont aufzuheitern, ſo daß die von dem plötzlichen Wechſel Ueberraſchten und Verblüfften doch nun ſchon mit etwas größerm Vertrauen dem was bevorſteht entgegen- ſehen. Freilich ſind einige dem älteren Adel angehörende Familien von hier abgereist; freilich blicken manche den abgeſetzten Miniſtern be- ſonders nahe und befreundet geweſene Beamte etwas ſchüchtern um ſich, und freilich fürchten einige Schnurrbärte, die jetzt den Civilrock angezo- gen, daß die goldene Zeit der Militärherrſchaft für immer vorüber ſey. Aber gerade das beweist daß wir der ſchönen Hoffnung Raum geben dürfen, König und Volk werden nunmehr auf das innigſte vereint auch ein um ſo innigeres Bündniß zwiſchen Preußen und dem geſammten übrigen Deutſchland herbeiführen. Die Hunderttauſende die heute der Todtenfeier der Gefallenen in der feſtlich geſchmückten Stadt beiwohn- ten, waren ſichtlich alle von dieſem Gedanken durchdrungen, und dieß iſt uns eine viel größere Bürgſchaft für die Zukunft als uns jemals das Triumvirat der Adels-, der Beamten- und der Militärariſtokratie hätte gewähren können. Aus ſehr vielen Städten der Monarchie ſind bewaff- nete Bürger hier eingetroffen, zum Theil um, falls es nöthig geweſen wäre, die hieſige Bürgerſchaft zu unterſtützen und zum Theil um ihr für das was ſie für das Vaterland gethan zu danken. Auch von mehreren Univerſitäten ſind bereits Deputationen hier angelangt, um den hieſigen Studirenden ähnliche Zeichen der Theilnahme zu überbringen. Die Börſe und alle Geſchäfte waren heute wegen der Todtenfeier geſchloſſen. — Hr. Dr. Zinkeiſen, bisheriger nomineller Redacteur der Allg. Pr. Zeitung, aber eigentlich nur ihr Factor, da er nie einen eigenen Gedan- ken gehabt, nie einen eigenen Artikel gedruckt, iſt wegen des letzten Ar- tikels den er aus der Feder der HH. Miniſterialräthe Mathis und Sul- zer über die Vorgänge vom 18 und 19 März geliefert, von einigen Männern aus der Bürgerſchaft ſo dringend um Genugthuung bean- ſprucht worden daß er es für nöthig gehalten ſich von Berlin zu entfer- nen. Das Blatt wird jetzt von dem bisherigen Mitredacteur Hrn. Wentzel, einem achtungswerthen Manne, unterzeichnet. Nach Berichten aus Berlin vom 20 März im Frkf. Journ. hing es am 19 Nachmittags an einem Haar, und der König hätte ſich wie Ludwig Philipp flüchten müſſen. Die Bürger trugen die Leichen der Gefallenen, meiſt Jünglinge, unbedeckt, mit den klaffenden Todeswunden und geſchmückt mit Myrten und Fahnen, unter Choralgeſang vor das Schloß des Königs. Dort angekommen riefen ſie ſo lange bis er end- lich mit der Königin erſchien, und zwar mit der Mütze auf dem Haupte. Da erſcholl es von allen Seiten: „Mütze herunter!“ Dieſem Verlangen wurde ſofort entſprochen: Die Erbitterung des Volkes war furchtbar, und wäre der König auf der Straße geweſen, ſo hätte man alles be- fürchten müſſen. Der König entſchuldigte ſich jetzt: aus einem Mißver- ſtändniſſe wäre geſchoſſen worden; ein ſchönes Mißverſtändniß das vierundzwanzig Stunden währte! Die Soldaten wären auch geſtern früh noch nicht abgezogen hätte das Volk nicht den commandirenden General Möllendorf gefangen genommen, und indem ſie demſelben eine geladene Piſtole auf die Bruſt ſetzten, gezwungen an den König zu ſchreiben er ſolle das Militär zurückziehen laſſen. Zugleich wurde dem König bei Ueberſendung des Blattes geſagt daß, wenn noch ein Schuß falle, der General augenblicklich erſchoſſen werden würde, einſtweilen würde er als Geiſel behalten. Das wirkte. Die. Fr. OPAZ. ſchreibt aus Berlin: „Die Zahl der auf beiden Seiten Gebliebenen iſt groß, genau feſtgeſtellt iſt ſie aber noch nicht. Die geringſte Angabe bezeichnet 400 Soldaten und 200 Bürger, die ſtärkſte 1800 Soldaten und 800 Bürger. Die Zahl der Verwundeten iſt natürlich größer, aber ebenfalls noch nicht ermittelt. Alle Todten werden nach dem Schloß gebracht und dort ausgeſtellt. ⁑ Berlin, 22 März. Abends. Geſtern ritt der König, allein von Potsdam zurückkehrend, in die Stadt ein, um den Arm eine Binde mit den drei Farben, unter Vortragung der Reichsfahne mit dem Doppeladler. Zu- gleich wurde ein großgedrucktes Manifeſt „an die deutſche Nation“ ver- theilt, welches bereits in Ihren Händen ſeyn wird. Da es den König von Preußen als „neuen König des freien wiedergebornen Deutſchlands“ begrüßt, muß es dem übrigen Deutſchland als eine Uſurpation erſchei- nen. Indeß iſt zu bemerken daß es zwar in der Hofbuchdruckerei gedruckt worden war, aber keine Unterſchrift hatte, *) und daß der König ſelbſt in den Anreden die er ans Volk hielt, ſich ausdrücklich gegen jede Mißdeu- tung, als wolle er allein ſich an die Stelle aller übrigen deutſchen Für- ſten ſetzen, verwahrt hat. Er beabſichtigt nichts anderes als ſeinen feſten Entſchluß auszudrücken: daß er fortan kein preußiſches Son- derintereſſe kenne, ſondern ſich mit allen Kräften ſeiner großen Mon- archie ausſchließlich der gemeinſamen deutſchen Sache hingeben wolle. Es liegt alles daran daß man dieß im übrigen Deutſchland erkenne, damit das Ausland nicht die Freude habe die deutſche Einheit ſchon im Beginn wieder durch eine unbegründete Furcht der kleinern Staaten vor ſpeciell preußiſcher Uſurpation oder durch das Mißtrauen Oeſterreichs gefähr- det zu ſehen. Der große Gedanke der deutſchen Nationaleinheit herrſcht ſo ſehr vor daß kein anderer mehr neben ihm aufkommt. Er ſchließt aber, das fühlt jeder und wohl am meiſten der König ſelbſt, nichts Uſurpatoriſches, ſondern vielmehr eine Unterordnung der preußi- ſchen Intereſſen unter die allgemein deutſchen Rechte in ſich. Dieß wird ſich zeigen bei Eröffnung des deutſchen Parlaments. * Von der Elbe, 21 März. Seitdem ich Ihnen zuletzt ge- ſchrieben, ſind Dinge geſchehen die ich Ihnen freilich als unausbleiblich angedeutet, die ich aber doch in ſo raſcher Folge ſelbſt nicht erwartet hatte. Während ſich preußiſche Truppen an der ſächſiſchen Gränze zu- ſammenzogen um jede Entwickelung niederzuhalten, hat ein faſt 24ſtün- diger Straßenkampf in Berlin das Schickſal des preußiſchen Staates, und mithin ganz Deutſchlands entſchieden. Und welch ein Kampf! Gegen die Erbitterung dieſes Gefechtes ſind die Februartage in Paris nur eine Plänkelei geweſen. Die Nemeſis iſt furchtbar und raſch eingeſchritten. Bodelſchwingh und dieſelben Miniſter die noch bei der Berathung des Strafgeſetzes allen Gefühlen, allen Wünſchen des Volkes glaubten Hohn bieten zu dürfen, haben noch vor ihrem Sturze eine Proclamation unter- zeichnen müſſen, durch welche ſie den Sieg aller derjenigen Grundſätze verkünden die ſie bis dahin bekämpft hatten; dann ſind ſie wie ſchwache Halme von dem Hauche des Volkswillens zerknickt worden, und die Män- ner der Oppoſition, die ſeit vorigem Jahre in aller Munde und in aller Herzen ſind, haben ihre Plätze eingenommen. Man vermag noch nicht zu überſehen was alles geſchehen und wie es ſo gekommen iſt; auch iſt dieß gleichgültig. Denn ſo viel iſt gewiß: wir ſind erſt am Anfang der Dinge, und noch viel größeres wird geſchehen. Unaufhaltſam drängt ſich der Gedanke des deutſchen Volkes zu ſeiner Vollendung, und dieſer Ge- danke iſt: ein einheitliches conſtitutionelles Deutſchland unter einem Oberhaupte. Und wer wird dieſes künftige Ober- haupt der Deutſchen ſeyn? Die brandenburgiſchen Prinzen die vielleicht die meiſten Ausſichten hatten, ſcheinen ſeit dem Blutbade in Berlin un- möglich geworden zu ſeyn. An andere norddeutſche Fürſten iſt noch we- niger zu denken. Denn die holſteiniſchen Prinzen ſind zu wenig bekannt. So kann die Wahl nur zwiſchen einem Erzherzog und einem bayeriſchen Prinzen ſchwanken. Daß ſie aber ſchleunigſt erfolgen muß, wenn Deutſchland nicht in communiſtiſche Zerrüttung und republicaniſche Zu- ckungen verfallen ſoll, daran kann niemand zweifeln der ein wenig in die Zukunft zu blicken gelernt hat. *) Doch wohl dasſelbe das in der Allg. Preuß. Ztg. erſchienen?

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 86, 26. März 1848, S. 1365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine86_1848/5>, abgerufen am 21.11.2024.