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Allgemeine Zeitung, Nr. 85, 25. März 1848.

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[Spaltenumbruch] habe. Damit aber kein Zweifel darüber bleibe daß Ich mein ganzes
Volk mit diesem Vergeben umfaßt, und weil Ich die neu anbrechende
große Zukunft Unseres Vaterlandes nicht durch schmerzliche Rückblicke
getrübt wissen will, verkünde Ich hiermit: Vergebung allen denen die
wegen politischer oder durch die Presse verübten Vergehen und Verbre-
chen angeklagt oder verurtheilt worden sind. Mein Justizminister Uhden
ist beauftragt diese Meine Amnestie sofort in Ausführung zu bringen.

Friedrich Wilhelm."

Eine zweite Cabinetsordre lautet:

"Die bereits vor dem Erlasse
vom 19 d. M. eingegangenen Entlassungsgesuche der Justizminister v.
Savigny und Uhden, sowie des Ministers Grafen zu Stolberg, habe
Ich heute gleichfalls genehmigt. Zum Justizminister habe Ich den Dr.
der Rechte Bornemann ernannt, und den Präsidenten der Handels-
kammer, Camphausen, zu Mir berufen um Mir fortan gleichfalls
als Minister zur Seite zu stehen. Die Directoren der beiden Ministe-
rien werden dieselben bis zur definitiven Besetzung verwalten.

Friedrich Wilhelm."

Frieden in Berlin! So beginnt ein Artikel der Spener-
schen Zeitung
vom 20 März. Nachmittags 21/2 Uhr am 19 bewaff-
nete sich mit Genehmigung des Königs die Bürgergarde. Die Bürger
bega ben sich nach dem königl. Zeughause um dort Waffen und Montur
(Federhüte) zu empfangen. Die Einleitung zu diesem wichtigen Ereig-
niß war folgende: Um Mittag hatte sich abermals eine zahlreiche Bür-
gerversammlung vor dem Schlosse eingefunden. Der Polizeipräsident
v. Minutoli erschien und ersuchte, Namens des Königs, die Bürger sich
zu entfernen. Diese aber erklärten: nur dann für die Ruhe der Stadt
einstehen zu könnnen wenn das Militär abziehen und Bürgergarde an
seine Stelle treten würde. Diese Wünsche wurden Sr. Maj. sofort von
dem Hrn. v. Minutoli, in Begleitung von vier Bürgern, mitgetheilt.
Bald darauf trat Se. Maj. in Begleitung dieser Deputation und des
Grafen v. Schwerin, Fürsten Lichnowsky und Grafen Arnim auf den
Perron des Schlosses, und verkündete der harrenden Bürgerschaft, wie
er damit übereinstimme daß die Bürger sich bewaffneten und das Mili-
tär sich zurückziehen solle. Se. Maj. sprach ungefähr folgendes: "Meine
Herren, ich habe die feste Ueberzeugung gewonnen -- ich habe die feste
Uebezeugung gewonnen daß die Ruhe und Sicherheit der Stadt Berlin
sowohl wie meiner Person am gewissesten dem Schutze der Bürger Ber-
lins anvertraut wird, und habe daher befohlen daß den hiesigen Bür-
gern die dazu erforderlichen Waffen ausgeliefert werden." Diese Worte
wiederholte der Ministerpräsident Graf v. Arnim, und fügte hinzu: die
obere Leitung dieser Bürgerbewaffnung sey dem Polizeiprästdenten v. Mi-
nutoli anvertraut, der sich in diesen Tagen so großer Gefahr das Ver-
trauen und die Achtung der Bürgerschaft erworben. Ein donnerndes
Hoch! war die Antwort. Nachmittags besetzten die Bürger ohne alle
Abzeichen und lediglich mit Gewehren bewassnet alle Posten. Um 6 Uhr
bezog die Schützengilde die Schloßwache, von der sie das Militär ab-
löste. Als sie durch die Königsstraße zog, wurden Freudenschüsse abge-
feuert, und aus allen Fenstern wehten weiße Tücher. Unter anhal-
tendem Freudenrufe zogen sie nach dem Schloß. Bei dieser Gelegen-
heit zog eine Menge Volkes in das Schloß, und hier eröffnete sich eine
erhebende Scene, indem die ganze zahlreiche Versammlung vor JJ. MM.
dem König und der Königin das Lied: "Nun danket Alle Gott", absang.
Abends war die Stadt erleuchtet.

Die Stadt hat heute eine veränderte
Physiognomie angenommen. Der König und der ganze Hof hat sich nach
Potsdam entfernt. Alles Militär ist zurückgezogen, das Schloß und die
ganze Stadt sind ausschließlich den bewaffneten Bürgern anvertraut, die
in Civilkleidern und die Cigarre rauchend mit Soldatengewehren alle
Posten inne haben. Bei seinem Abschied ließ der König eine Proclama-
tion zurück die allgemeine Amnestie verkündet und wonach alle politischen
Gefangenen, auch sämmtliche Polen, freigelassen sind. Von Seite des
Ministers Arnim ist noch kein Programm erschienen. Das Volk hat nur
noch die Wohnungen des verabschiedeten Majors v. Preuß und des Hand-
schuhhändlers Wernike demolirt, weil dieselben beschuldigt waren in der
Nacht des 18ten Studenten, die aus ihren Fenstern schossen, den Solda-
ten, von denen sie niedergestochen wurden, verrathen zu haben. In der
Wohnung des erstern wurde alles verbrannt, sogar die vorgefundenen
Staatspapiere und Tresorscheine nicht geraubt, sondern ins Feuer ge-
worfen. Aus der Wohnung des letztern flogen die Handschuhe wie Bögel
durch die Luft. Sonst ist nirgends ein Exceß verübt worden. Der prächtige
Palast des Prinzen von Preußen unter den Linden gegenüber dem Uni-
[Spaltenumbruch] versitätsgebäude sollte gestürmt werden, aber die Studenten retteten das
Schloß, indem sie mit Kreide an die Thür schrieben "Nationaleigenthum"
und dreifarbige (schwarz-roth-goldne) Fahnen an Thor und ringsum auf
der Altane desselben aufpflanzten. Dergleichen Fahnen wehen auch
überall unter den Linden. Auf dem Balcon des Universitätsgebäudes
wurde heute gegen Mittag eine Fahne mit dem Doppeladler aufgepflanzt,
und ein Lebehoch gebracht das kaum enden zu wollen schien. Referent
war dabei zugegen. Auch die meisten Bürgergarden und das Volk tra-
gen die dreifarbige Cocarde, man trägt nur diese oder keine. Die Barri-
caden sind verschwunden; ich sah Nachmittags viele Pflästerer beschäftigt
auch das Pflaster herzustellen. Die Droschken und Omnibus fahren
wieder durch die ganze Stadt. Die Zahl der Todten ist noch nicht er-
mittelt. Man hat heute noch viele derselben in die verschiedenen Kirchen
getragen, alle mit Kränzen geschmückt, und jedermann mußte vor ihnen
den Hut ziehen. Ueber das Begräbniß erfährt man noch nichts. Eine
Menge Verwundete liegen im Schloß und andern öffentlichen Gebäuden.
Der Verlust der Soldaten, den einige übertrieben zu mehr als tau-
send Mann angeben, wird von besonnenen Militärs und Aerzten zu
4--500 angegeben, was auch wahrscheinlich ist, da allein 16,000 Mann
Infanterie im Gefecht waren. Ein pommer'sches Regiment hat beson-
dere Tapferkeit bewiesen. Von Seite des Volks werden einstimmig die
Studenten wegen ihres Heldenmuths gepriesen. Beide Parteien zeigten
sich des Ruhms preußischer Tapferkeit in gleichem Grade würdig. Er-
hebt man sich über das Traurige eines Bürgerkriegs, so wird das Herz
mit Stolz erfüllt daß das Vaterland im Fall eines auswärtigen Kriegs
auf solche todverachtende Männer zählen kann, heute noch wie im Jahr
1813. Auch ist so viel edles Blut hier nicht umsonst geflossen. Die
Umwälzung in Berlin hat den Anschluß Preußens an die allgemeine
deutsche Bewegung beschleunigt, und ohne Zweifel werden von hier aus
alsbald Schritte geschehen um die allgemein ersehnte Bundesreform in einer
Weise zu Stande zu bringen die der großen deutschen Nation würdig
ist. -- Zur richtigen Beurtheilung der hiesigen Ereignisse ist es übrigens
durchaus nothwendig zu bemerken daß des Königs Nachgiebigkeit eine
freiwillige war. Die Soldaten waren nicht bestegt, weßhalb sie auch nur
mit knirschendem Unmuth die Stadt verlassen haben.

Gestern Morgen war der Palast des Prinzen
von Preußen in größter Gefahr. Eine Masse von mehreren Tausenden
sammelte sich davor und wollte ihn anzünden. Redner stellten vor daß der
Palast nicht dem Prinzen mehr gehöre, sondern der Nation, man schrieb mit
großen Buchstaben auf vielen Stellen: "Eigenthum der Nation;" man
stellte auch vor welche Schande es für das beldenmüthige Berlin seyn
würde wenn solche barbarische That ausgeführt werde u. dgl. mehr;
allein die Menge behauptete, man müsse dem Prinzen den Volkshaß
auf glänzende Weise zeigen. Da erklärten einige schlichte Männer daß
die königliche Bibliothek unrettbar verloren sey wenn Feuer am Hotel
des Prinzen wäre, und sogleich beruhigten sich die Gemüther. Ein
Arbeiter sammelte eine Gruppe um sich und rief (ich hörte die Worte genau):
"Kinder, wenn die Bibliothek verbrennt, so haben wir keine Bücher, und
wenn wir keine Bücher haben, so haben wir keine Gelehrten, und wenn
wir keine Gelehrten haben, so haben wir gar nichts! Hoch lebe die Bi-
bliothek!" Dieß und das Aufpflanzen der deutschen Fahne auf dem Bal-
con half. Unser Handwerkerverein hat bei der arbeitenden Classe einen
Grad von Intelligenz und Moral hervorgerufen der sehr vielen Mit-
gliedern der nichtarbeitenden Classe, den Rentenproletariern, zu wün-
schen wäre. Wie groß die Moral bei den Arbeitern ist zeigt glorreich
der 18 März. Nicht den geringsten Angriff auf Eigenthum und Si-
cherheit der Personen konnte man den Kämpfern zu Last legen, und
sie waren so eifersüchtig auf den Ruf ihrer Ehrlichkeit und Rechtlich-
keit daß sie den geringsten Verdacht dagegen mit Energie beseitigten.
Wenn Unsittlichkeit und Verbrechen an diesem Tage die Stadt in Trauer und
Entrüstung versetzte, so waren sie nicht auf dieser Seite. Stündlich werden
mehr Züge der ehr- und gesetzlosesten Handlungen bekannt, welche nicht
bloß von den Bauerlümmeln den Soldaten ausgeübt wurden, sondern von
den Junkerlümmeln die befehligten, und solche Handlungen gestatteten
und geboten. Man hat gefangene Kämpfer erstochen, erschossen, mit Kolben
erschlagen, vom Boden und Dache auf die Straße geworfen, man hat
Kinder in der Wiege gespießt und, was ich jedoch nicht verbürgen kann,
man soll auf dem Petriplatz einer schwangern Frau den Leib aufge-
schlitzt haben. Gewiß ist es daß sich viele dieser tapfern Kriegsknechte
ihrer Mordthaten gerühmt haben. Die Erbitterung ist aber auch so
groß daß sich Officiere (die in der Aufregung nur "Bluthunde" genannt

[Spaltenumbruch] habe. Damit aber kein Zweifel darüber bleibe daß Ich mein ganzes
Volk mit dieſem Vergeben umfaßt, und weil Ich die neu anbrechende
große Zukunft Unſeres Vaterlandes nicht durch ſchmerzliche Rückblicke
getrübt wiſſen will, verkünde Ich hiermit: Vergebung allen denen die
wegen politiſcher oder durch die Preſſe verübten Vergehen und Verbre-
chen angeklagt oder verurtheilt worden ſind. Mein Juſtizminiſter Uhden
iſt beauftragt dieſe Meine Amneſtie ſofort in Ausführung zu bringen.

Friedrich Wilhelm.“

Eine zweite Cabinetsordre lautet:

„Die bereits vor dem Erlaſſe
vom 19 d. M. eingegangenen Entlaſſungsgeſuche der Juſtizminiſter v.
Savigny und Uhden, ſowie des Miniſters Grafen zu Stolberg, habe
Ich heute gleichfalls genehmigt. Zum Juſtizminiſter habe Ich den Dr.
der Rechte Bornemann ernannt, und den Präſidenten der Handels-
kammer, Camphauſen, zu Mir berufen um Mir fortan gleichfalls
als Miniſter zur Seite zu ſtehen. Die Directoren der beiden Miniſte-
rien werden dieſelben bis zur definitiven Beſetzung verwalten.

Friedrich Wilhelm.“

Frieden in Berlin! So beginnt ein Artikel der Spener-
ſchen Zeitung
vom 20 März. Nachmittags 2½ Uhr am 19 bewaff-
nete ſich mit Genehmigung des Königs die Bürgergarde. Die Bürger
bega ben ſich nach dem königl. Zeughauſe um dort Waffen und Montur
(Federhüte) zu empfangen. Die Einleitung zu dieſem wichtigen Ereig-
niß war folgende: Um Mittag hatte ſich abermals eine zahlreiche Bür-
gerverſammlung vor dem Schloſſe eingefunden. Der Polizeipräſident
v. Minutoli erſchien und erſuchte, Namens des Königs, die Bürger ſich
zu entfernen. Dieſe aber erklärten: nur dann für die Ruhe der Stadt
einſtehen zu könnnen wenn das Militär abziehen und Bürgergarde an
ſeine Stelle treten würde. Dieſe Wünſche wurden Sr. Maj. ſofort von
dem Hrn. v. Minutoli, in Begleitung von vier Bürgern, mitgetheilt.
Bald darauf trat Se. Maj. in Begleitung dieſer Deputation und des
Grafen v. Schwerin, Fürſten Lichnowsky und Grafen Arnim auf den
Perron des Schloſſes, und verkündete der harrenden Bürgerſchaft, wie
er damit übereinſtimme daß die Bürger ſich bewaffneten und das Mili-
tär ſich zurückziehen ſolle. Se. Maj. ſprach ungefähr folgendes: „Meine
Herren, ich habe die feſte Ueberzeugung gewonnen — ich habe die feſte
Uebezeugung gewonnen daß die Ruhe und Sicherheit der Stadt Berlin
ſowohl wie meiner Perſon am gewiſſeſten dem Schutze der Bürger Ber-
lins anvertraut wird, und habe daher befohlen daß den hieſigen Bür-
gern die dazu erforderlichen Waffen ausgeliefert werden.“ Dieſe Worte
wiederholte der Miniſterpräſident Graf v. Arnim, und fügte hinzu: die
obere Leitung dieſer Bürgerbewaffnung ſey dem Polizeipräſtdenten v. Mi-
nutoli anvertraut, der ſich in dieſen Tagen ſo großer Gefahr das Ver-
trauen und die Achtung der Bürgerſchaft erworben. Ein donnerndes
Hoch! war die Antwort. Nachmittags beſetzten die Bürger ohne alle
Abzeichen und lediglich mit Gewehren bewaſſnet alle Poſten. Um 6 Uhr
bezog die Schützengilde die Schloßwache, von der ſie das Militär ab-
löste. Als ſie durch die Königsſtraße zog, wurden Freudenſchüſſe abge-
feuert, und aus allen Fenſtern wehten weiße Tücher. Unter anhal-
tendem Freudenrufe zogen ſie nach dem Schloß. Bei dieſer Gelegen-
heit zog eine Menge Volkes in das Schloß, und hier eröffnete ſich eine
erhebende Scene, indem die ganze zahlreiche Verſammlung vor JJ. MM.
dem König und der Königin das Lied: „Nun danket Alle Gott“, abſang.
Abends war die Stadt erleuchtet.

Die Stadt hat heute eine veränderte
Phyſiognomie angenommen. Der König und der ganze Hof hat ſich nach
Potsdam entfernt. Alles Militär iſt zurückgezogen, das Schloß und die
ganze Stadt ſind ausſchließlich den bewaffneten Bürgern anvertraut, die
in Civilkleidern und die Cigarre rauchend mit Soldatengewehren alle
Poſten inne haben. Bei ſeinem Abſchied ließ der König eine Proclama-
tion zurück die allgemeine Amneſtie verkündet und wonach alle politiſchen
Gefangenen, auch ſämmtliche Polen, freigelaſſen ſind. Von Seite des
Miniſters Arnim iſt noch kein Programm erſchienen. Das Volk hat nur
noch die Wohnungen des verabſchiedeten Majors v. Preuß und des Hand-
ſchuhhändlers Wernike demolirt, weil dieſelben beſchuldigt waren in der
Nacht des 18ten Studenten, die aus ihren Fenſtern ſchoſſen, den Solda-
ten, von denen ſie niedergeſtochen wurden, verrathen zu haben. In der
Wohnung des erſtern wurde alles verbrannt, ſogar die vorgefundenen
Staatspapiere und Treſorſcheine nicht geraubt, ſondern ins Feuer ge-
worfen. Aus der Wohnung des letztern flogen die Handſchuhe wie Bögel
durch die Luft. Sonſt iſt nirgends ein Exceß verübt worden. Der prächtige
Palaſt des Prinzen von Preußen unter den Linden gegenüber dem Uni-
[Spaltenumbruch] verſitätsgebäude ſollte geſtürmt werden, aber die Studenten retteten das
Schloß, indem ſie mit Kreide an die Thür ſchrieben „Nationaleigenthum“
und dreifarbige (ſchwarz-roth-goldne) Fahnen an Thor und ringsum auf
der Altane desſelben aufpflanzten. Dergleichen Fahnen wehen auch
überall unter den Linden. Auf dem Balcon des Univerſitätsgebäudes
wurde heute gegen Mittag eine Fahne mit dem Doppeladler aufgepflanzt,
und ein Lebehoch gebracht das kaum enden zu wollen ſchien. Referent
war dabei zugegen. Auch die meiſten Bürgergarden und das Volk tra-
gen die dreifarbige Cocarde, man trägt nur dieſe oder keine. Die Barri-
caden ſind verſchwunden; ich ſah Nachmittags viele Pfläſterer beſchäftigt
auch das Pflaſter herzuſtellen. Die Droſchken und Omnibus fahren
wieder durch die ganze Stadt. Die Zahl der Todten iſt noch nicht er-
mittelt. Man hat heute noch viele derſelben in die verſchiedenen Kirchen
getragen, alle mit Kränzen geſchmückt, und jedermann mußte vor ihnen
den Hut ziehen. Ueber das Begräbniß erfährt man noch nichts. Eine
Menge Verwundete liegen im Schloß und andern öffentlichen Gebäuden.
Der Verluſt der Soldaten, den einige übertrieben zu mehr als tau-
ſend Mann angeben, wird von beſonnenen Militärs und Aerzten zu
4—500 angegeben, was auch wahrſcheinlich iſt, da allein 16,000 Mann
Infanterie im Gefecht waren. Ein pommer’ſches Regiment hat beſon-
dere Tapferkeit bewieſen. Von Seite des Volks werden einſtimmig die
Studenten wegen ihres Heldenmuths geprieſen. Beide Parteien zeigten
ſich des Ruhms preußiſcher Tapferkeit in gleichem Grade würdig. Er-
hebt man ſich über das Traurige eines Bürgerkriegs, ſo wird das Herz
mit Stolz erfüllt daß das Vaterland im Fall eines auswärtigen Kriegs
auf ſolche todverachtende Männer zählen kann, heute noch wie im Jahr
1813. Auch iſt ſo viel edles Blut hier nicht umſonſt gefloſſen. Die
Umwälzung in Berlin hat den Anſchluß Preußens an die allgemeine
deutſche Bewegung beſchleunigt, und ohne Zweifel werden von hier aus
alsbald Schritte geſchehen um die allgemein erſehnte Bundesreform in einer
Weiſe zu Stande zu bringen die der großen deutſchen Nation würdig
iſt. — Zur richtigen Beurtheilung der hieſigen Ereigniſſe iſt es übrigens
durchaus nothwendig zu bemerken daß des Königs Nachgiebigkeit eine
freiwillige war. Die Soldaten waren nicht beſtegt, weßhalb ſie auch nur
mit knirſchendem Unmuth die Stadt verlaſſen haben.

Geſtern Morgen war der Palaſt des Prinzen
von Preußen in größter Gefahr. Eine Maſſe von mehreren Tauſenden
ſammelte ſich davor und wollte ihn anzünden. Redner ſtellten vor daß der
Palaſt nicht dem Prinzen mehr gehöre, ſondern der Nation, man ſchrieb mit
großen Buchſtaben auf vielen Stellen: „Eigenthum der Nation;“ man
ſtellte auch vor welche Schande es für das beldenmüthige Berlin ſeyn
würde wenn ſolche barbariſche That ausgeführt werde u. dgl. mehr;
allein die Menge behauptete, man müſſe dem Prinzen den Volkshaß
auf glänzende Weiſe zeigen. Da erklärten einige ſchlichte Männer daß
die königliche Bibliothek unrettbar verloren ſey wenn Feuer am Hotel
des Prinzen wäre, und ſogleich beruhigten ſich die Gemüther. Ein
Arbeiter ſammelte eine Gruppe um ſich und rief (ich hörte die Worte genau):
„Kinder, wenn die Bibliothek verbrennt, ſo haben wir keine Bücher, und
wenn wir keine Bücher haben, ſo haben wir keine Gelehrten, und wenn
wir keine Gelehrten haben, ſo haben wir gar nichts! Hoch lebe die Bi-
bliothek!“ Dieß und das Aufpflanzen der deutſchen Fahne auf dem Bal-
con half. Unſer Handwerkerverein hat bei der arbeitenden Claſſe einen
Grad von Intelligenz und Moral hervorgerufen der ſehr vielen Mit-
gliedern der nichtarbeitenden Claſſe, den Rentenproletariern, zu wün-
ſchen wäre. Wie groß die Moral bei den Arbeitern iſt zeigt glorreich
der 18 März. Nicht den geringſten Angriff auf Eigenthum und Si-
cherheit der Perſonen konnte man den Kämpfern zu Laſt legen, und
ſie waren ſo eiferſüchtig auf den Ruf ihrer Ehrlichkeit und Rechtlich-
keit daß ſie den geringſten Verdacht dagegen mit Energie beſeitigten.
Wenn Unſittlichkeit und Verbrechen an dieſem Tage die Stadt in Trauer und
Entrüſtung verſetzte, ſo waren ſie nicht auf dieſer Seite. Stündlich werden
mehr Züge der ehr- und geſetzloſeſten Handlungen bekannt, welche nicht
bloß von den Bauerlümmeln den Soldaten ausgeübt wurden, ſondern von
den Junkerlümmeln die befehligten, und ſolche Handlungen geſtatteten
und geboten. Man hat gefangene Kämpfer erſtochen, erſchoſſen, mit Kolben
erſchlagen, vom Boden und Dache auf die Straße geworfen, man hat
Kinder in der Wiege geſpießt und, was ich jedoch nicht verbürgen kann,
man ſoll auf dem Petriplatz einer ſchwangern Frau den Leib aufge-
ſchlitzt haben. Gewiß iſt es daß ſich viele dieſer tapfern Kriegsknechte
ihrer Mordthaten gerühmt haben. Die Erbitterung iſt aber auch ſo
groß daß ſich Officiere (die in der Aufregung nur „Bluthunde“ genannt

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[1347/0003] habe. Damit aber kein Zweifel darüber bleibe daß Ich mein ganzes Volk mit dieſem Vergeben umfaßt, und weil Ich die neu anbrechende große Zukunft Unſeres Vaterlandes nicht durch ſchmerzliche Rückblicke getrübt wiſſen will, verkünde Ich hiermit: Vergebung allen denen die wegen politiſcher oder durch die Preſſe verübten Vergehen und Verbre- chen angeklagt oder verurtheilt worden ſind. Mein Juſtizminiſter Uhden iſt beauftragt dieſe Meine Amneſtie ſofort in Ausführung zu bringen. Friedrich Wilhelm.“ Eine zweite Cabinetsordre lautet: „Die bereits vor dem Erlaſſe vom 19 d. M. eingegangenen Entlaſſungsgeſuche der Juſtizminiſter v. Savigny und Uhden, ſowie des Miniſters Grafen zu Stolberg, habe Ich heute gleichfalls genehmigt. Zum Juſtizminiſter habe Ich den Dr. der Rechte Bornemann ernannt, und den Präſidenten der Handels- kammer, Camphauſen, zu Mir berufen um Mir fortan gleichfalls als Miniſter zur Seite zu ſtehen. Die Directoren der beiden Miniſte- rien werden dieſelben bis zur definitiven Beſetzung verwalten. Berlin, 20 März 1848.Friedrich Wilhelm.“ Frieden in Berlin! So beginnt ein Artikel der Spener- ſchen Zeitung vom 20 März. Nachmittags 2½ Uhr am 19 bewaff- nete ſich mit Genehmigung des Königs die Bürgergarde. Die Bürger bega ben ſich nach dem königl. Zeughauſe um dort Waffen und Montur (Federhüte) zu empfangen. Die Einleitung zu dieſem wichtigen Ereig- niß war folgende: Um Mittag hatte ſich abermals eine zahlreiche Bür- gerverſammlung vor dem Schloſſe eingefunden. Der Polizeipräſident v. Minutoli erſchien und erſuchte, Namens des Königs, die Bürger ſich zu entfernen. Dieſe aber erklärten: nur dann für die Ruhe der Stadt einſtehen zu könnnen wenn das Militär abziehen und Bürgergarde an ſeine Stelle treten würde. Dieſe Wünſche wurden Sr. Maj. ſofort von dem Hrn. v. Minutoli, in Begleitung von vier Bürgern, mitgetheilt. Bald darauf trat Se. Maj. in Begleitung dieſer Deputation und des Grafen v. Schwerin, Fürſten Lichnowsky und Grafen Arnim auf den Perron des Schloſſes, und verkündete der harrenden Bürgerſchaft, wie er damit übereinſtimme daß die Bürger ſich bewaffneten und das Mili- tär ſich zurückziehen ſolle. Se. Maj. ſprach ungefähr folgendes: „Meine Herren, ich habe die feſte Ueberzeugung gewonnen — ich habe die feſte Uebezeugung gewonnen daß die Ruhe und Sicherheit der Stadt Berlin ſowohl wie meiner Perſon am gewiſſeſten dem Schutze der Bürger Ber- lins anvertraut wird, und habe daher befohlen daß den hieſigen Bür- gern die dazu erforderlichen Waffen ausgeliefert werden.“ Dieſe Worte wiederholte der Miniſterpräſident Graf v. Arnim, und fügte hinzu: die obere Leitung dieſer Bürgerbewaffnung ſey dem Polizeipräſtdenten v. Mi- nutoli anvertraut, der ſich in dieſen Tagen ſo großer Gefahr das Ver- trauen und die Achtung der Bürgerſchaft erworben. Ein donnerndes Hoch! war die Antwort. Nachmittags beſetzten die Bürger ohne alle Abzeichen und lediglich mit Gewehren bewaſſnet alle Poſten. Um 6 Uhr bezog die Schützengilde die Schloßwache, von der ſie das Militär ab- löste. Als ſie durch die Königsſtraße zog, wurden Freudenſchüſſe abge- feuert, und aus allen Fenſtern wehten weiße Tücher. Unter anhal- tendem Freudenrufe zogen ſie nach dem Schloß. Bei dieſer Gelegen- heit zog eine Menge Volkes in das Schloß, und hier eröffnete ſich eine erhebende Scene, indem die ganze zahlreiche Verſammlung vor JJ. MM. dem König und der Königin das Lied: „Nun danket Alle Gott“, abſang. Abends war die Stadt erleuchtet. ⁑ Berlin, 20 März, Abends.Die Stadt hat heute eine veränderte Phyſiognomie angenommen. Der König und der ganze Hof hat ſich nach Potsdam entfernt. Alles Militär iſt zurückgezogen, das Schloß und die ganze Stadt ſind ausſchließlich den bewaffneten Bürgern anvertraut, die in Civilkleidern und die Cigarre rauchend mit Soldatengewehren alle Poſten inne haben. Bei ſeinem Abſchied ließ der König eine Proclama- tion zurück die allgemeine Amneſtie verkündet und wonach alle politiſchen Gefangenen, auch ſämmtliche Polen, freigelaſſen ſind. Von Seite des Miniſters Arnim iſt noch kein Programm erſchienen. Das Volk hat nur noch die Wohnungen des verabſchiedeten Majors v. Preuß und des Hand- ſchuhhändlers Wernike demolirt, weil dieſelben beſchuldigt waren in der Nacht des 18ten Studenten, die aus ihren Fenſtern ſchoſſen, den Solda- ten, von denen ſie niedergeſtochen wurden, verrathen zu haben. In der Wohnung des erſtern wurde alles verbrannt, ſogar die vorgefundenen Staatspapiere und Treſorſcheine nicht geraubt, ſondern ins Feuer ge- worfen. Aus der Wohnung des letztern flogen die Handſchuhe wie Bögel durch die Luft. Sonſt iſt nirgends ein Exceß verübt worden. Der prächtige Palaſt des Prinzen von Preußen unter den Linden gegenüber dem Uni- verſitätsgebäude ſollte geſtürmt werden, aber die Studenten retteten das Schloß, indem ſie mit Kreide an die Thür ſchrieben „Nationaleigenthum“ und dreifarbige (ſchwarz-roth-goldne) Fahnen an Thor und ringsum auf der Altane desſelben aufpflanzten. Dergleichen Fahnen wehen auch überall unter den Linden. Auf dem Balcon des Univerſitätsgebäudes wurde heute gegen Mittag eine Fahne mit dem Doppeladler aufgepflanzt, und ein Lebehoch gebracht das kaum enden zu wollen ſchien. Referent war dabei zugegen. Auch die meiſten Bürgergarden und das Volk tra- gen die dreifarbige Cocarde, man trägt nur dieſe oder keine. Die Barri- caden ſind verſchwunden; ich ſah Nachmittags viele Pfläſterer beſchäftigt auch das Pflaſter herzuſtellen. Die Droſchken und Omnibus fahren wieder durch die ganze Stadt. Die Zahl der Todten iſt noch nicht er- mittelt. Man hat heute noch viele derſelben in die verſchiedenen Kirchen getragen, alle mit Kränzen geſchmückt, und jedermann mußte vor ihnen den Hut ziehen. Ueber das Begräbniß erfährt man noch nichts. Eine Menge Verwundete liegen im Schloß und andern öffentlichen Gebäuden. Der Verluſt der Soldaten, den einige übertrieben zu mehr als tau- ſend Mann angeben, wird von beſonnenen Militärs und Aerzten zu 4—500 angegeben, was auch wahrſcheinlich iſt, da allein 16,000 Mann Infanterie im Gefecht waren. Ein pommer’ſches Regiment hat beſon- dere Tapferkeit bewieſen. Von Seite des Volks werden einſtimmig die Studenten wegen ihres Heldenmuths geprieſen. Beide Parteien zeigten ſich des Ruhms preußiſcher Tapferkeit in gleichem Grade würdig. Er- hebt man ſich über das Traurige eines Bürgerkriegs, ſo wird das Herz mit Stolz erfüllt daß das Vaterland im Fall eines auswärtigen Kriegs auf ſolche todverachtende Männer zählen kann, heute noch wie im Jahr 1813. Auch iſt ſo viel edles Blut hier nicht umſonſt gefloſſen. Die Umwälzung in Berlin hat den Anſchluß Preußens an die allgemeine deutſche Bewegung beſchleunigt, und ohne Zweifel werden von hier aus alsbald Schritte geſchehen um die allgemein erſehnte Bundesreform in einer Weiſe zu Stande zu bringen die der großen deutſchen Nation würdig iſt. — Zur richtigen Beurtheilung der hieſigen Ereigniſſe iſt es übrigens durchaus nothwendig zu bemerken daß des Königs Nachgiebigkeit eine freiwillige war. Die Soldaten waren nicht beſtegt, weßhalb ſie auch nur mit knirſchendem Unmuth die Stadt verlaſſen haben. &#x1D6E4; Berlin, 21 März.Geſtern Morgen war der Palaſt des Prinzen von Preußen in größter Gefahr. Eine Maſſe von mehreren Tauſenden ſammelte ſich davor und wollte ihn anzünden. Redner ſtellten vor daß der Palaſt nicht dem Prinzen mehr gehöre, ſondern der Nation, man ſchrieb mit großen Buchſtaben auf vielen Stellen: „Eigenthum der Nation;“ man ſtellte auch vor welche Schande es für das beldenmüthige Berlin ſeyn würde wenn ſolche barbariſche That ausgeführt werde u. dgl. mehr; allein die Menge behauptete, man müſſe dem Prinzen den Volkshaß auf glänzende Weiſe zeigen. Da erklärten einige ſchlichte Männer daß die königliche Bibliothek unrettbar verloren ſey wenn Feuer am Hotel des Prinzen wäre, und ſogleich beruhigten ſich die Gemüther. Ein Arbeiter ſammelte eine Gruppe um ſich und rief (ich hörte die Worte genau): „Kinder, wenn die Bibliothek verbrennt, ſo haben wir keine Bücher, und wenn wir keine Bücher haben, ſo haben wir keine Gelehrten, und wenn wir keine Gelehrten haben, ſo haben wir gar nichts! Hoch lebe die Bi- bliothek!“ Dieß und das Aufpflanzen der deutſchen Fahne auf dem Bal- con half. Unſer Handwerkerverein hat bei der arbeitenden Claſſe einen Grad von Intelligenz und Moral hervorgerufen der ſehr vielen Mit- gliedern der nichtarbeitenden Claſſe, den Rentenproletariern, zu wün- ſchen wäre. Wie groß die Moral bei den Arbeitern iſt zeigt glorreich der 18 März. Nicht den geringſten Angriff auf Eigenthum und Si- cherheit der Perſonen konnte man den Kämpfern zu Laſt legen, und ſie waren ſo eiferſüchtig auf den Ruf ihrer Ehrlichkeit und Rechtlich- keit daß ſie den geringſten Verdacht dagegen mit Energie beſeitigten. Wenn Unſittlichkeit und Verbrechen an dieſem Tage die Stadt in Trauer und Entrüſtung verſetzte, ſo waren ſie nicht auf dieſer Seite. Stündlich werden mehr Züge der ehr- und geſetzloſeſten Handlungen bekannt, welche nicht bloß von den Bauerlümmeln den Soldaten ausgeübt wurden, ſondern von den Junkerlümmeln die befehligten, und ſolche Handlungen geſtatteten und geboten. Man hat gefangene Kämpfer erſtochen, erſchoſſen, mit Kolben erſchlagen, vom Boden und Dache auf die Straße geworfen, man hat Kinder in der Wiege geſpießt und, was ich jedoch nicht verbürgen kann, man ſoll auf dem Petriplatz einer ſchwangern Frau den Leib aufge- ſchlitzt haben. Gewiß iſt es daß ſich viele dieſer tapfern Kriegsknechte ihrer Mordthaten gerühmt haben. Die Erbitterung iſt aber auch ſo groß daß ſich Officiere (die in der Aufregung nur „Bluthunde“ genannt

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 85, 25. März 1848, S. 1347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine85_1848/3>, abgerufen am 23.11.2024.