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Allgemeine Zeitung, Nr. 83, 26. März 1900.

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erste Seite
Nr. 83. (Mit Beilage Nr. 70.) 103. Jahrgang. München, Montag, 26. März 1900.
[Spaltenumbruch]

Wöchentlich
12 Ausgaben.
Bezugspreise:

Durch die Postämter:
jährlich M. 36. --,
ohne Beil. M. 18. --
(viertelj. M. 9. --,
ohne Beil. M. 4.50);
in München b. d Ex-
pedition od. d. Depots
monatlich M. 2. --,
ohne Veil. M. 1. 20.
Zustellg. mil. 50 Pf.
Direkter Bezug für
Dentschl. u. Oesterreich
monatlich M. 4. --,
ohne Veil. M. 3. --,
Ausland M. 5. 60,
ohne Veil. M. 4. 40.

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Allgemeine Zeitung.
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Insertionspreis
für die kleinspaltige
Kolonelzeile od. deren
Raum 25 Pfeunig;
finanzielle Anzeigen
35 Pf.; lokale Ver-
kaufsanzeig. 20 Pf.;
Stellengesuche 15 Pf.



Redaktion und Expe-
dition befinden sich
Schwanthalerstr. 36
in München.


Berichte sind an die
Redaktion, Inserat-
aufträge an die Ex-
pedition franko ein-
zusenden.



[Spaltenumbruch]

Abonnements für Berlin nimmt unsere dortige Filiale in der Leipzigerstraße 11 entgegen.
Abonnements für das Ausland
nehmen an: für England A. Siegle. 30 Lime Str., London; für Frankreich,
Portugal und Spanien A. Ammel und C. Klincksieck in Paris; für Belgien, Bulgarien, Dänemark, Italien,
Niederlande, Numänien, Rußland, Schweden und Norwegen. Schweiz, Serbien die dortigen Postämter; für den Orient
das k. k. Postamt in Wien oder Triest; für Nordamerika F. W. Christern, E. Steiger u. Co., Gust.
E. Stechert, Westermann u. Co., International News Comp., 83 und 85 Duane Str. in New-York.

[Spaltenumbruch] [Abbildung] [Spaltenumbruch]

Inseratenannahme in München bei der Expedition, Schwanthalerstraße 36, in Berlin in unserer Filiale,
Leipzigerstraße 11, ferner in Berlin, Hamburg, Breslau, Köln, Leipzig, Frankfurt a. M., Stuttgart, Nürnberg.
Wien, Pest, London, Zürich, Basel etc. bei den Annoncenbureaux R. Mosse, Haasenstein u. Vogler, G. L.
Daubeu. Co. In den Filialen der Zeitungsbureaux Invalidendank zu Berlin, Dresden, Leipzig, Chemniß etc.
Außerdem in Berlin bei B. Arndt (Mohrenstraße 26) und S. Kornik (Kochstraße 23); für Frankreich bei John
F. Jones u. Co., 31 bis Faubourg Montmartre in Paris.

Verantwortlich für den politischen Theil der Chefredakteur Hans Tournier, für das Feuilleton Alfred Frhr. v. Mensi, für den Handelstheil Ernst Barth, sämmtlich in München.
Druck und Verlag der Gesellschaft mit beschränkter Haftung "Verlag der Allgemeinen Zeitung" in München.



[Spaltenumbruch]
Deutsches Reich.
In eigener Sache.

Wir haben den neulichen
Versuch der hiesigen " Neuesten Nachrichten", uns und
die "soi-disant und ci-devant-Nationalliberalen" namens
des Gesammtliberalismus als "unsichere Kantonisten" in
Acht und Bann zu thun, nicht unglossirt lassen können.
Allein allzulange möchten wir unsre Leser mit diesem
Streit nicht behelligen, mag er auch nur äußerlich als ein
Streit in eigener Sache sich darstellen, in Wahrheit aber
der Frage gelten, ob in Bezug auf die Vertretung liberaler
Gesinnung dem publizistischen Geschäftshaus am Färber-
graben ein Monopol zusteht. Wir wollen uns daher, in-
dem wir in diesem nicht von uns provocirten Federkampf
zum dritten- und letztenmal das Wort ergreifen, mög-
lichster Kürze befleißigen. Die "Neuesten Nachrichten"
beschweren sich in ihrer Entgegnung vom Sonntag,
daß wir uns bei der Begründung unsres Hinweises
auf ihren "Geschäftsliberalismus" auf dunkle
Andeutungen betreffs der Boykottirung publizistischer
Konkurrenten beschränkt und nur die Geneigtheit ausge-
sprochen hätten, ihnen im engeren Kreise genaueren Auf-
schluß zu geben. Sie verlangen eine offene Substanziirung
unsrer Anklage und versichern zugleich, daß ihre Geschäfts-
leitung und Redaktion allen Enthüllungen unsrerseits
ruhig entgegensehe. Wir haben schon betont, daß eine
eingehende Darlegung unsrer geschäftlichen Gravamina
gegenüber der Kollegin am Färbergraben für unsre Leser
minderes Interesse habe und daß wir daher bei aller Bereit-
willigkeit, uns darüber weiter auszusprechen, eine Erör-
terung der Sache in den Spalten unsres Blattes nicht
für angezeigt erachteten. Wir müssen an dieser Auffassung
auch jetzt noch festhalten. Wünschen die "Neuesten Nach-
richten" genauere Auskunft, so sind wir jederzeit bereit,
in einem kleineren oder größeren Kreise von Berufs-
genossen ihnen Rede zu stehen. Etwas deutlicher aber
wollen wir immerhin auch an dieser Stelle werden und
öffentlich konstatiren, daß wir z. B. von Firmen und
Agenturen, die sich mit dem Vertrieb von Zeitungen ohne
Unterschied des Herkunftsortes und der politischen Rich-
tung beschäftigen, auf den Vorschlag, auch die Allg. Ztg.
zu vertreiben, wiederholt die Antwort erhielten, sie könnten,
ohne sich der Gefahr einer Lösung ihrer Verbindungen
mit den "Neuesten Nachr." auszusetzen, unser Angebot
nicht annehmen. Wir haben von dieser Wahrnehmung
übrigens einem hervorragenden Vertreter des Verlags
der "Neuesten Nachr." seinerzeit in loyaler Weise Mit-
theilung gemacht und ihn um seine Intervention ersucht,
haben aber nur eine ausweichende Antwort erhalten,
etwa des Inhalts, daß er in der Sache, die er selbst
lebhaft bedauere, bei der es sich aber offenbar
nur um das inkorrekte Verhalten eines einzelnen
Agenten handle, nichts zu thun vermöge. Nun,
über einen Einzelfall würden wir uns kaum be-
[Spaltenumbruch] schweren; er kann sehr wohl der Thorheit oder dem
Uebereifer des betreffenden Geschäftsmanns oder eines
subalternen Auftraggebers zugeschrieben werden, da aber
-- wie es in der That geschehen -- eine ganze An-
zahl gleichartiger Fälle
aus älterer und neuerer
Zeit zu unsrer Kenntniß gelangt ist, so sind wir schlechter-
dings nicht in der Lage, nur an die Ungeschicklichkeit eines
untergeordneten Agenten zu glauben. Es kann wohl ein
einzelnes Pferd stolpern, aber nicht ein ganzer Pferdestall.
Ohne jeden Anlaß wird in den Kreisen derjenigen Firmen
und Agenturen, die mit dem Zeitungsverschleiß sich be-
fassen, die Ansicht, daß die Uebernahme des Vertriebs der
Allgemeinen Zeitung von der Geschäftsleitung der "Neuesten
Nachrichten" als ein unfriendly act angesehen werde,
also gewiß nicht verbreitet sein. Doch sapienti sat.
Was wir hier vorgebracht haben, mag genügen,
der Kollegin am Färbergraben und unsern Lesern
zu zeigen, daß wir unsern Vorwurf nicht ganz ohne
Grund erhoben haben; zu weiteren Erörterungen stehen
wir -- wie gesagt -- sofern es gewünscht wird, an
anderer Stelle gern zu Diensten. Wenn übrigens die
"Neuesten Nachr." uns auf das Wort Fr. Th. Vischers
verweisen, daß es einen Zorn gebe, der nichts sei als
erkrankte Liebe und daß dieser Zorn zugleich schon
die Genesung bedeute, so möge ihnen zur Antwort
dienen, daß wir ihnen weder liebeskrank, noch zornigen
Sinnes, sondern kühl bis aus Herz hinan gegenüber-
stehen. Sie mögen sonst thun und treiben, was sie
wollen; nur das Eine verlangen wir von ihnen, daß sie
sich uns gegenüber jeder Ungebühr enthalten. So oft sie
Versuche wie den jüngsten erneuern sollten, werden sie
unsrerseits die gleich scharfe und gleich verdiente Ab-
weisung erfahren.



Von Hrn. Georg Hirth erhalten wir nachstehende
Zuschrift:
An die Redaktion der Allgemeinen Zeitung hier.
Geehrte Redaktion!

Im Morgenblatt Ihrer Nr. 81 wird gesagt: "... Aber
Takt und Geschmack und die Tücksicht auf unsern Leserkreis
verbieten uns, dabei in jenen Ton zu verfallen, der in dem
Münchener Protest angeschlagen worden war und der den
Grafen Ballestrem leider bestimmte, das Sendschreiben brevi
manu
als zur Zulassung in guter Gesellschaft nicht geeignet
an Hrn. Georg Hirth zurückgehen zu lassen."

Aus dieser Auslassung könnte gefolgert werden, daß in
dem von der Volksversammlung im Münchener Bürgerbräu
am 7. März beschlossenen Protest oder aber in meinem
Schreiben an das Reichstagspräsidium sich Wendungen be-
funden hätten, welche zur Zulassung in guter Gesellschaft
nicht geeignet gewesen wären. Als Leiter jener Versammlung
halte ich mich verpflichtet, gegen eine derartige Unterstellung
auf das entschiedenste Verwahrung einzulegen.

[Spaltenumbruch]

Weder in unserm Protest gegen die lex Heinze noch in
meinem Schreiben an das Reichstagspräsidium kommt ein
einziges Wort oder ein einziger Satz vor, welche jene ab-
fällige Zensur verdienten. In dem Antwortschreiben des
Reichstagsbureaus ist vielmehr ausdrücklich gesagt, daß "der
Protest wegen des beleidigenden Inhalts sich zur geschäfts-
ordnungsmäßigen Behandlung im Reichstag nicht eigne".

Angenommen selbst, die Auffassung des Reichstagspräsi-
denten von dem beleidigenden Inhalt des Protestes wäre
richtig und er hätte Veranlassung gehabt, die Annahme des
Protestes zu verweigern (was von nahezu der gesammten
Presse einschließlich der Allg. Ztg. selbst bestritten worden ist),
so wird doch Jedermann zugeben, daß zwischen einem be-
leidigenden
Inhalt und einer Aeußerung, welche "zur
Zulassung in guter Gesellschaft nicht geeignet" er-
scheint, ein himmelweiter Unterschied ist. Beleidigungen
kommen in der allerbesten Gesellschaft vor, oft er-
fordert sogar der Anstand eine gleichwerthige beleidi-
gende Antwort. In diesem Fall waren es die kunst-
freiheitliebenden Theilnehmer der großen Münchener
Protestversammlung,
welche in ihrer Eigenschaft als
Deutsche durch die in geheimen Kompromißverhandlungen
hinterschlächtig vorbereiteten §§ 184a und 184b der lex Heinze
zuerst sehr schwer beleidigt worden waren, so daß die
entschiedene, allerdings für die Urheber der inkriminirten
Paragraphen nicht gerade schmeichelhafte Fassung unsres
Protestes nur als Abwehr einer kränkenden Zu-
muthung
erscheint.

Schließlich bemerke ich, daß seitens des Reichtagsbureaus
nicht eine brevi manu-Zurücksendung erfolgt ist; meine Zu-
schrift befindet sich vielmehr bei den Reichstagsakten.


Dr. Georg Hirth.
Machenschaften gegen die deutschen Bahnunternehmungen in Kleinasien.

Um die deutschen Eisenbahn-
pläne in Kleinasien zu hintertreiben, läßt man von deutsch-
feindlicher Seite kein Mittel unversucht. Mit besonderer
Geflissentlichkeit wurde eine Zeitlang behauptet, Rußland
arbeite dem deutschen Unternehmungseifer entgegen und
bemühe sich, eine Vereinbarung mit der Türkei herbei-
zuführen, durch welche die deutschen Eisenbahnunter-
nehmungen lahmgelegt werden würden. Nachdem sich jetzt
herausgestellt hat, daß es wesentlich Rußlands Absicht
war, in einem bestimmten Landstreifen zwischen dem
Schwarzen und dem Persischen Meer sich ein Interessen-
gebiet zu sichern, durch welches die Rechte der deutschen
Vagdad-Bahn nicht berührt werden, geschweige denn das
Rayon der letzteren alterirt wird, geben sich die internatio-
nalen Deutschenfeinde alle Mühe, um das, was den
deutschen Unteruehmern von Seiten der Pforte konzedirt
worden ist, als einen indirekten Erfolg der englischen
Diplomatie
darzustellen. Demgegenüber ist es ange-
zeigt, hervorzuheben, daß das, was bisher für die Mög-
lichkeit einer weiteren Bethätigung des deutschen Unter-



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Feuilleton.
[fremdsprachliches Material - 3 Zeichen fehlen]. Kgl. Hoftheater.

Verdi's "Aida" ist eine
Sonntags-Oper im allerbesten Sinne. Die Handlung ist nicht
ohne Spannung und leicht verständlich, die Musik von kräftigem
Temperament und noch von frischer Erfindung, dabei modernen
Auforderungen schon besser entgegenkommend als die älteren
Opern Verdi's, die Aufführung ist, selbst wenn sie in mancher
Beziehung in der Ausstattung bei uns etwas vernachlässigt
und veraltet ist, doch voll das Auge erfreuenden Glanzes. Und
so sieht jede Sonntag-Aufführung der "Aida" volle Häuser.
So war es auch gestern. Dazu kam noch die berechtigte
Neugier, eine neue Aida zu hören. Eine Anfängerin, als
welche Frl. Morena gewiß noch zu gelten hat, wird nicht
leicht diese bedeutende Rolle aufs erstemal so merkwürdig
fertig herausbringen, wie gestern dieses junge Talent. Da war
fast alles von einer erstaunlichen Sicherheit und Selbstver-
ständlichkeit. Wenn Frl. Morena innerlich ruhiger geworden
sein wird, dürste sich auch die Gewohnheit einer ruhigeren
Tongebung und einer geschmackvolleren Verbindung der
einzelnen musikalischen Phrasen von selbst einstellen. Die
in der Originallage gesungene hohe Partie scheint ihr
selbst in der Höhe keine Schwierigkeiten zu bereiten: sie
singt sie anscheinend leicht, doch glaube ich fast, daß ihr
die Partie der Amneris stimmlich noch besser liegen
müßte. Hat doch auch unsre ehemalige große Gesangsheroine,
die Isolde, Brünnhilde, Leonore, Frau Therese Vogl, nicht
die Aida, sondern immer nur die Amneris gesungen. Noch
ist Frl. Morena ja jung, noch klingt ihre Höhe ja leidlich
rund; in etlichen Jahren aber schon, wenn sie die Partie
noch oft gesungen, dürfte die Höhe unangenehm schneidig
werden. Auf jeden Fall aber scheint es uns zu früh, ein
erst in der Festigung begriffenes jugendliches Organ schon
jetzt nach der Höhe zu foreiren. Ist Frl. Morena der hohe
dramatische Sopran, der sie anscheinend nun einmal sein will
(warum? weil die dankbarsten Partien eben für die hohen
Soprane geschrieben sind), so kann sich dies bei minder an-
strengenden Nollen zeigen. Die günstige Bühneuerscheinung
der talentvollen Elevin nahm sich in der Maske der Aida
prächtig aus. Am meisten und am angenehmsten überrascht
wurden wir aber durch ihr Spiel. Dies war gestern so vor-
tresslich, großzügig, graziös und vor allem natürlich, wie nie
[Spaltenumbruch] vorher. Frl. Morena darf mit ihrem gestrigen Erfolg sehr
zufrieden sein. Neu war gestern auch der Oberpriester Ramphis
des Hrn. Sieglitz. Neu und gut. Besser würde diese seriöse
Baßrolle aber durch Hrn. Klöpfer besetzt, der gestern die
kleine Rolle des Königs sang. Warum wird diese nicht Hrn.
Oberstötter übertragen, der gar nichts, zu thun hat? Wenn
Klöpfer z. B. gestern einen seiner zahlreichen Absagetage ge-
habt hätte, so würde die gestrige Sonntagsvorstellung genau
so gefährdet gewesen sein wie neulich die des Tristan.
Warum nicht doppelt besetzen, wenn man es so leicht könnte?
Der Radames des Hrn. Mikorey war im ersten Akt besser
als in den letzten. Der Amonasro ist eine von Baubergers
besten Rollen. Frl. Frank (Amneris) scheint sich noch nicht
völlig von ihrem letzten Unwohlsein erholt zu haben. Im
schönen Solo der Priesterin hörten wir mit Vergnügen wieder
die voluminöse Stimme des Frl. Elise Sigler. Die Auf-
führung ward musikalisch von Hrn. Röhr sicher geleitet.

W. Theater am Gärtnerylatz.

"La femme
de Claude
", die den Münchener Theaterfreunden vom
Schauspielhause unter Drachs Leitung her bekannt ist, gehört
zu den allerschwächsten Stücken des jüngeren Dumas,
der, als geriebener Sophist, nur dem Tage diente, wenn
er es auch nie zugestehen wollte. Dieses Stück, dessen
Technik uns so altmodisch anmuthet, ist ein Ausbund
von Unnatur. Doch es enthält die "Scene a faire",
die der Kritiker Sarcey von jedem Talent und jedem
Stück verlangte, ohne sich viel um die Motivirung zu
kümmern. Man kennt seine Entschuldigung: "Mais, c'est du
theatre
!" Das will sagen, ein Stück zurechtgemachter Natur,
oder eine Gelegenheit, gewisse Affekte und Posen zu zeigen.
Das Nationale in seiner Forderung der "Scene a faire"
möchte ich nicht verkennen. Es leitet auf die Kunst der
Sarah Bernhardt und der Duse über, die gestern in
einer Matinee "das Weib des Claudius" spielte und
in dieser Rolle wiederum bewies, daß sie geschaffen
ist, die Heroinen des italienischen oder französischen Gesell-
schaftsstücks mit meisterlicher Kunst darzustellen. Die "scene
faite
", die große Auseinandersetzung der "Heldin" mit ihrem
Gatten riß das Publikum zu lebhafter Begeisterung hin. Die
Steigerung des geheuchelten oder empfundenen Affekts, das
Spiel der Gesten, das Lauschen, das Flehen: das alles war
die vollendetste Natur. Doch auch hier gilt die leise Ein-
schränkung, auf die ich schon einmal aufmerksam gemacht
habe: die Duse a delt ihre Rollen, und was man gestern
[Spaltenumbruch] hier und da vermißte, war eine stärkere Betonung der Gemein-
heit des Weibes, dessen Name (Cäsarine) schon an Messalina
und einen berühmten Vers Juvenals erinnern soll, zum
Schaden des Stückes. Auch die Verführungskünste, die wieder
Gelegenheit zu hinreißenden Einzelheiten gaben, hätten etwas
französisch aufdringlicher sein dürfen. Doch hängen diese
leichten Ausstellungen mit den Grenzen einer außerordentlich
begabten Natur zusammen, die nur den Boden nicht verlassen
sollte, wo sie in vollendeter Natürlichkeit Großes geben kann.
Hr. Carlo Rosaspina war ein ganz ausgezeichneter Clandio,
voll männlicher Natürlichkeit, und auch alle anderen Künstler
bewiesen es wieder, daß sie im französischen oder italienischen
Sittenstück sehr Gutes leisten können. Der Scherz "Tragedia
e Musica
" (in der Antichambre) wurde von Frau Galliani
und den HH. Galliane und Geri mit dem heitersten Brio
italienischer Tradition gespielt. Das Haus zeigte große
Lücken, woran vor allem die ungewohnte Aufführungsstunde
schuld sein mag. Die hervorragende Leistung der genialen
Künstlerin hätte ein volles Haus verdient.

Münchener Schauspielhaus.

Zum erstenmal:
"Musotte", Schauspiel in einem Akt von Maupassant und
Normand. Guy de Maupassant ist niemals sonderlich
sentimental gewesen. Für ihn gab es andere Möglichkeiten,
sich mit dem Leben abzufinden: er ahmte es scherzend nach,
er karikirte es höhnisch, er liebkoste es mit zärtlicher
Melancholie, er berauschte sich an der Größe und der Ge-
meinheit des Daseins, an seinem fürchterlichen Zauber und
seiner süßen Sinnlosigkeit, er war ins Leben verliebt bis zur
Wuth und haßte es bis zum Ekel -- sentimental wurde er
niemals. Nicht einmal, als er daranging, die Geschichte von
der süßen Liebe und dem bittern Tod jener Henriette Levecque
zu erzählen, die im Atelierrothwälsch Musotte (= Schnauzerl)
genannt wurde wegen ihrer lieblichen, verführerischen Lippen.
Gelassen und sicher stellte er seine Gestalten auf die Bühne,
lauter rassenechte Gallier, nahe Verwandte zu den Geschöpfen
Balzacs und Tilliers: brave Kleinbürger, die es zu einem
Vermögen, ehrsame Beamte, die es zu einem Titel und dem
bekannten rothen Bändchen gebracht haben, eine zänkische
Tante mit böser Zunge und bestem Herzen, einen Maler, der
aber weder den Bohemien noch den Art-pour-Art-Mandarinen
spielt. Dazu zwei Mädchen: Gilberte, neugierig und schen
wie eine eben Vermählte, innig und eifersüchtig wie jedes
wohlgerathene Weib; ganz im Hintergrund die rührende Ge-
stalt der armen Musotte, die sterben muß am Hochzeitstag

Nr. 83. (Mit Beilage Nr. 70.) 103. Jahrgang. München, Montag, 26. März 1900.
[Spaltenumbruch]

Wöchentlich
12 Ausgaben.
Bezugspreiſe:

Durch die Poſtämter:
jährlich M. 36. —,
ohne Beil. M. 18. —
(viertelj. M. 9. —,
ohne Beil. M. 4.50);
in München b. d Ex-
pedition od. d. Depots
monatlich M. 2. —,
ohne Veil. M. 1. 20.
Zuſtellg. mil. 50 Pf.
Direkter Bezug für
Dentſchl. u. Oeſterreich
monatlich M. 4. —,
ohne Veil. M. 3. —,
Ausland M. 5. 60,
ohne Veil. M. 4. 40.

[Spaltenumbruch]
Allgemeine Zeitung.
[Spaltenumbruch]

Inſertionspreis
für die kleinſpaltige
Kolonelzeile od. deren
Raum 25 Pfeunig;
finanzielle Anzeigen
35 Pf.; lokale Ver-
kaufsanzeig. 20 Pf.;
Stellengeſuche 15 Pf.



Redaktion und Expe-
dition befinden ſich
Schwanthalerſtr. 36
in München.


Berichte ſind an die
Redaktion, Inſerat-
aufträge an die Ex-
pedition franko ein-
zuſenden.



[Spaltenumbruch]

Abonnements für Berlin nimmt unſere dortige Filiale in der Leipzigerſtraße 11 entgegen.
Abonnements für das Ausland
nehmen an: für England A. Siegle. 30 Lime Str., London; für Frankreich,
Portugal und Spanien A. Ammel und C. Klinckſieck in Paris; für Belgien, Bulgarien, Dänemark, Italien,
Niederlande, Numänien, Rußland, Schweden und Norwegen. Schweiz, Serbien die dortigen Poſtämter; für den Orient
das k. k. Poſtamt in Wien oder Trieſt; für Nordamerika F. W. Chriſtern, E. Steiger u. Co., Guſt.
E. Stechert, Weſtermann u. Co., International News Comp., 83 und 85 Duane Str. in New-York.

[Spaltenumbruch] [Abbildung] [Spaltenumbruch]

Inſeratenannahme in München bei der Expedition, Schwanthalerſtraße 36, in Berlin in unſerer Filiale,
Leipzigerſtraße 11, ferner in Berlin, Hamburg, Breslau, Köln, Leipzig, Frankfurt a. M., Stuttgart, Nürnberg.
Wien, Peſt, London, Zürich, Baſel ꝛc. bei den Annoncenbureaux R. Moſſe, Haaſenſtein u. Vogler, G. L.
Daubeu. Co. In den Filialen der Zeitungsbureaux Invalidendank zu Berlin, Dresden, Leipzig, Chemniß ꝛc.
Außerdem in Berlin bei B. Arndt (Mohrenſtraße 26) und S. Kornik (Kochſtraße 23); für Frankreich bei John
F. Jones u. Co., 31 bis Faubourg Montmartre in Paris.

Verantwortlich für den politiſchen Theil der Chefredakteur Hans Tournier, für das Feuilleton Alfred Frhr. v. Menſi, für den Handelstheil Ernſt Barth, ſämmtlich in München.
Druck und Verlag der Geſellſchaft mit beſchränkter Haftung „Verlag der Allgemeinen Zeitung“ in München.



[Spaltenumbruch]
Deutſches Reich.
In eigener Sache.

Wir haben den neulichen
Verſuch der hieſigen „ Neueſten Nachrichten“, uns und
die „soi-disant und ci-devant-Nationalliberalen“ namens
des Geſammtliberalismus als „unſichere Kantoniſten“ in
Acht und Bann zu thun, nicht ungloſſirt laſſen können.
Allein allzulange möchten wir unſre Leſer mit dieſem
Streit nicht behelligen, mag er auch nur äußerlich als ein
Streit in eigener Sache ſich darſtellen, in Wahrheit aber
der Frage gelten, ob in Bezug auf die Vertretung liberaler
Geſinnung dem publiziſtiſchen Geſchäftshaus am Färber-
graben ein Monopol zuſteht. Wir wollen uns daher, in-
dem wir in dieſem nicht von uns provocirten Federkampf
zum dritten- und letztenmal das Wort ergreifen, mög-
lichſter Kürze befleißigen. Die „Neueſten Nachrichten“
beſchweren ſich in ihrer Entgegnung vom Sonntag,
daß wir uns bei der Begründung unſres Hinweiſes
auf ihren „Geſchäftsliberalismus“ auf dunkle
Andeutungen betreffs der Boykottirung publiziſtiſcher
Konkurrenten beſchränkt und nur die Geneigtheit ausge-
ſprochen hätten, ihnen im engeren Kreiſe genaueren Auf-
ſchluß zu geben. Sie verlangen eine offene Subſtanziirung
unſrer Anklage und verſichern zugleich, daß ihre Geſchäfts-
leitung und Redaktion allen Enthüllungen unſrerſeits
ruhig entgegenſehe. Wir haben ſchon betont, daß eine
eingehende Darlegung unſrer geſchäftlichen Gravamina
gegenüber der Kollegin am Färbergraben für unſre Leſer
minderes Intereſſe habe und daß wir daher bei aller Bereit-
willigkeit, uns darüber weiter auszuſprechen, eine Erör-
terung der Sache in den Spalten unſres Blattes nicht
für angezeigt erachteten. Wir müſſen an dieſer Auffaſſung
auch jetzt noch feſthalten. Wünſchen die „Neueſten Nach-
richten“ genauere Auskunft, ſo ſind wir jederzeit bereit,
in einem kleineren oder größeren Kreiſe von Berufs-
genoſſen ihnen Rede zu ſtehen. Etwas deutlicher aber
wollen wir immerhin auch an dieſer Stelle werden und
öffentlich konſtatiren, daß wir z. B. von Firmen und
Agenturen, die ſich mit dem Vertrieb von Zeitungen ohne
Unterſchied des Herkunftsortes und der politiſchen Rich-
tung beſchäftigen, auf den Vorſchlag, auch die Allg. Ztg.
zu vertreiben, wiederholt die Antwort erhielten, ſie könnten,
ohne ſich der Gefahr einer Löſung ihrer Verbindungen
mit den „Neueſten Nachr.“ auszuſetzen, unſer Angebot
nicht annehmen. Wir haben von dieſer Wahrnehmung
übrigens einem hervorragenden Vertreter des Verlags
der „Neueſten Nachr.“ ſeinerzeit in loyaler Weiſe Mit-
theilung gemacht und ihn um ſeine Intervention erſucht,
haben aber nur eine ausweichende Antwort erhalten,
etwa des Inhalts, daß er in der Sache, die er ſelbſt
lebhaft bedauere, bei der es ſich aber offenbar
nur um das inkorrekte Verhalten eines einzelnen
Agenten handle, nichts zu thun vermöge. Nun,
über einen Einzelfall würden wir uns kaum be-
[Spaltenumbruch] ſchweren; er kann ſehr wohl der Thorheit oder dem
Uebereifer des betreffenden Geſchäftsmanns oder eines
ſubalternen Auftraggebers zugeſchrieben werden, da aber
— wie es in der That geſchehen — eine ganze An-
zahl gleichartiger Fälle
aus älterer und neuerer
Zeit zu unſrer Kenntniß gelangt iſt, ſo ſind wir ſchlechter-
dings nicht in der Lage, nur an die Ungeſchicklichkeit eines
untergeordneten Agenten zu glauben. Es kann wohl ein
einzelnes Pferd ſtolpern, aber nicht ein ganzer Pferdeſtall.
Ohne jeden Anlaß wird in den Kreiſen derjenigen Firmen
und Agenturen, die mit dem Zeitungsverſchleiß ſich be-
faſſen, die Anſicht, daß die Uebernahme des Vertriebs der
Allgemeinen Zeitung von der Geſchäftsleitung der „Neueſten
Nachrichten“ als ein unfriendly act angeſehen werde,
alſo gewiß nicht verbreitet ſein. Doch sapienti sat.
Was wir hier vorgebracht haben, mag genügen,
der Kollegin am Färbergraben und unſern Leſern
zu zeigen, daß wir unſern Vorwurf nicht ganz ohne
Grund erhoben haben; zu weiteren Erörterungen ſtehen
wir — wie geſagt — ſofern es gewünſcht wird, an
anderer Stelle gern zu Dienſten. Wenn übrigens die
„Neueſten Nachr.“ uns auf das Wort Fr. Th. Viſchers
verweiſen, daß es einen Zorn gebe, der nichts ſei als
erkrankte Liebe und daß dieſer Zorn zugleich ſchon
die Geneſung bedeute, ſo möge ihnen zur Antwort
dienen, daß wir ihnen weder liebeskrank, noch zornigen
Sinnes, ſondern kühl bis aus Herz hinan gegenüber-
ſtehen. Sie mögen ſonſt thun und treiben, was ſie
wollen; nur das Eine verlangen wir von ihnen, daß ſie
ſich uns gegenüber jeder Ungebühr enthalten. So oft ſie
Verſuche wie den jüngſten erneuern ſollten, werden ſie
unſrerſeits die gleich ſcharfe und gleich verdiente Ab-
weiſung erfahren.



Von Hrn. Georg Hirth erhalten wir nachſtehende
Zuſchrift:
An die Redaktion der Allgemeinen Zeitung hier.
Geehrte Redaktion!

Im Morgenblatt Ihrer Nr. 81 wird geſagt: „… Aber
Takt und Geſchmack und die Tückſicht auf unſern Leſerkreis
verbieten uns, dabei in jenen Ton zu verfallen, der in dem
Münchener Proteſt angeſchlagen worden war und der den
Grafen Balleſtrem leider beſtimmte, das Sendſchreiben brevi
manu
als zur Zulaſſung in guter Geſellſchaft nicht geeignet
an Hrn. Georg Hirth zurückgehen zu laſſen.“

Aus dieſer Auslaſſung könnte gefolgert werden, daß in
dem von der Volksverſammlung im Münchener Bürgerbräu
am 7. März beſchloſſenen Proteſt oder aber in meinem
Schreiben an das Reichstagspräſidium ſich Wendungen be-
funden hätten, welche zur Zulaſſung in guter Geſellſchaft
nicht geeignet geweſen wären. Als Leiter jener Verſammlung
halte ich mich verpflichtet, gegen eine derartige Unterſtellung
auf das entſchiedenſte Verwahrung einzulegen.

[Spaltenumbruch]

Weder in unſerm Proteſt gegen die lex Heinze noch in
meinem Schreiben an das Reichstagspräſidium kommt ein
einziges Wort oder ein einziger Satz vor, welche jene ab-
fällige Zenſur verdienten. In dem Antwortſchreiben des
Reichstagsbureaus iſt vielmehr ausdrücklich geſagt, daß „der
Proteſt wegen des beleidigenden Inhalts ſich zur geſchäfts-
ordnungsmäßigen Behandlung im Reichstag nicht eigne“.

Angenommen ſelbſt, die Auffaſſung des Reichstagspräſi-
denten von dem beleidigenden Inhalt des Proteſtes wäre
richtig und er hätte Veranlaſſung gehabt, die Annahme des
Proteſtes zu verweigern (was von nahezu der geſammten
Preſſe einſchließlich der Allg. Ztg. ſelbſt beſtritten worden iſt),
ſo wird doch Jedermann zugeben, daß zwiſchen einem be-
leidigenden
Inhalt und einer Aeußerung, welche „zur
Zulaſſung in guter Geſellſchaft nicht geeignet“ er-
ſcheint, ein himmelweiter Unterſchied iſt. Beleidigungen
kommen in der allerbeſten Geſellſchaft vor, oft er-
fordert ſogar der Anſtand eine gleichwerthige beleidi-
gende Antwort. In dieſem Fall waren es die kunſt-
freiheitliebenden Theilnehmer der großen Münchener
Proteſtverſammlung,
welche in ihrer Eigenſchaft als
Deutſche durch die in geheimen Kompromißverhandlungen
hinterſchlächtig vorbereiteten §§ 184a und 184b der lex Heinze
zuerſt ſehr ſchwer beleidigt worden waren, ſo daß die
entſchiedene, allerdings für die Urheber der inkriminirten
Paragraphen nicht gerade ſchmeichelhafte Faſſung unſres
Proteſtes nur als Abwehr einer kränkenden Zu-
muthung
erſcheint.

Schließlich bemerke ich, daß ſeitens des Reichtagsbureaus
nicht eine brevi manu-Zurückſendung erfolgt iſt; meine Zu-
ſchrift befindet ſich vielmehr bei den Reichstagsakten.


Dr. Georg Hirth.
Machenſchaften gegen die deutſchen Bahnunternehmungen in Kleinaſien.

Um die deutſchen Eiſenbahn-
pläne in Kleinaſien zu hintertreiben, läßt man von deutſch-
feindlicher Seite kein Mittel unverſucht. Mit beſonderer
Gefliſſentlichkeit wurde eine Zeitlang behauptet, Rußland
arbeite dem deutſchen Unternehmungseifer entgegen und
bemühe ſich, eine Vereinbarung mit der Türkei herbei-
zuführen, durch welche die deutſchen Eiſenbahnunter-
nehmungen lahmgelegt werden würden. Nachdem ſich jetzt
herausgeſtellt hat, daß es weſentlich Rußlands Abſicht
war, in einem beſtimmten Landſtreifen zwiſchen dem
Schwarzen und dem Perſiſchen Meer ſich ein Intereſſen-
gebiet zu ſichern, durch welches die Rechte der deutſchen
Vagdad-Bahn nicht berührt werden, geſchweige denn das
Rayon der letzteren alterirt wird, geben ſich die internatio-
nalen Deutſchenfeinde alle Mühe, um das, was den
deutſchen Unteruehmern von Seiten der Pforte konzedirt
worden iſt, als einen indirekten Erfolg der engliſchen
Diplomatie
darzuſtellen. Demgegenüber iſt es ange-
zeigt, hervorzuheben, daß das, was bisher für die Mög-
lichkeit einer weiteren Bethätigung des deutſchen Unter-



[Spaltenumbruch]
Feuilleton.
[fremdsprachliches Material – 3 Zeichen fehlen]. Kgl. Hoftheater.

Verdi’s „Aïda“ iſt eine
Sonntags-Oper im allerbeſten Sinne. Die Handlung iſt nicht
ohne Spannung und leicht verſtändlich, die Muſik von kräftigem
Temperament und noch von friſcher Erfindung, dabei modernen
Auforderungen ſchon beſſer entgegenkommend als die älteren
Opern Verdi’s, die Aufführung iſt, ſelbſt wenn ſie in mancher
Beziehung in der Ausſtattung bei uns etwas vernachläſſigt
und veraltet iſt, doch voll das Auge erfreuenden Glanzes. Und
ſo ſieht jede Sonntag-Aufführung der „Aïda“ volle Häuſer.
So war es auch geſtern. Dazu kam noch die berechtigte
Neugier, eine neue Aïda zu hören. Eine Anfängerin, als
welche Frl. Morena gewiß noch zu gelten hat, wird nicht
leicht dieſe bedeutende Rolle aufs erſtemal ſo merkwürdig
fertig herausbringen, wie geſtern dieſes junge Talent. Da war
faſt alles von einer erſtaunlichen Sicherheit und Selbſtver-
ſtändlichkeit. Wenn Frl. Morena innerlich ruhiger geworden
ſein wird, dürſte ſich auch die Gewohnheit einer ruhigeren
Tongebung und einer geſchmackvolleren Verbindung der
einzelnen muſikaliſchen Phraſen von ſelbſt einſtellen. Die
in der Originallage geſungene hohe Partie ſcheint ihr
ſelbſt in der Höhe keine Schwierigkeiten zu bereiten: ſie
ſingt ſie anſcheinend leicht, doch glaube ich faſt, daß ihr
die Partie der Amneris ſtimmlich noch beſſer liegen
müßte. Hat doch auch unſre ehemalige große Geſangsheroine,
die Iſolde, Brünnhilde, Leonore, Frau Thereſe Vogl, nicht
die Aïda, ſondern immer nur die Amneris geſungen. Noch
iſt Frl. Morena ja jung, noch klingt ihre Höhe ja leidlich
rund; in etlichen Jahren aber ſchon, wenn ſie die Partie
noch oft geſungen, dürfte die Höhe unangenehm ſchneidig
werden. Auf jeden Fall aber ſcheint es uns zu früh, ein
erſt in der Feſtigung begriffenes jugendliches Organ ſchon
jetzt nach der Höhe zu foreiren. Iſt Frl. Morena der hohe
dramatiſche Sopran, der ſie anſcheinend nun einmal ſein will
(warum? weil die dankbarſten Partien eben für die hohen
Soprane geſchrieben ſind), ſo kann ſich dies bei minder an-
ſtrengenden Nollen zeigen. Die günſtige Bühneuerſcheinung
der talentvollen Elevin nahm ſich in der Maske der Aïda
prächtig aus. Am meiſten und am angenehmſten überraſcht
wurden wir aber durch ihr Spiel. Dies war geſtern ſo vor-
treſſlich, großzügig, graziös und vor allem natürlich, wie nie
[Spaltenumbruch] vorher. Frl. Morena darf mit ihrem geſtrigen Erfolg ſehr
zufrieden ſein. Neu war geſtern auch der Oberprieſter Ramphis
des Hrn. Sieglitz. Neu und gut. Beſſer würde dieſe ſeriöſe
Baßrolle aber durch Hrn. Klöpfer beſetzt, der geſtern die
kleine Rolle des Königs ſang. Warum wird dieſe nicht Hrn.
Oberſtötter übertragen, der gar nichts, zu thun hat? Wenn
Klöpfer z. B. geſtern einen ſeiner zahlreichen Abſagetage ge-
habt hätte, ſo würde die geſtrige Sonntagsvorſtellung genau
ſo gefährdet geweſen ſein wie neulich die des Triſtan.
Warum nicht doppelt beſetzen, wenn man es ſo leicht könnte?
Der Radames des Hrn. Mikorey war im erſten Akt beſſer
als in den letzten. Der Amonasro iſt eine von Baubergers
beſten Rollen. Frl. Frank (Amneris) ſcheint ſich noch nicht
völlig von ihrem letzten Unwohlſein erholt zu haben. Im
ſchönen Solo der Prieſterin hörten wir mit Vergnügen wieder
die voluminöſe Stimme des Frl. Eliſe Sigler. Die Auf-
führung ward muſikaliſch von Hrn. Röhr ſicher geleitet.

W. Theater am Gärtnerylatz.

La femme
de Claude
“, die den Münchener Theaterfreunden vom
Schauſpielhauſe unter Drachs Leitung her bekannt iſt, gehört
zu den allerſchwächſten Stücken des jüngeren Dumas,
der, als geriebener Sophiſt, nur dem Tage diente, wenn
er es auch nie zugeſtehen wollte. Dieſes Stück, deſſen
Technik uns ſo altmodiſch anmuthet, iſt ein Ausbund
von Unnatur. Doch es enthält die „Scène à faire“,
die der Kritiker Sarcey von jedem Talent und jedem
Stück verlangte, ohne ſich viel um die Motivirung zu
kümmern. Man kennt ſeine Entſchuldigung: „Mais, c’est du
théâtre
!“ Das will ſagen, ein Stück zurechtgemachter Natur,
oder eine Gelegenheit, gewiſſe Affekte und Poſen zu zeigen.
Das Nationale in ſeiner Forderung der „Scène à faire
möchte ich nicht verkennen. Es leitet auf die Kunſt der
Sarah Bernhardt und der Duſe über, die geſtern in
einer Matinee „das Weib des Claudius“ ſpielte und
in dieſer Rolle wiederum bewies, daß ſie geſchaffen
iſt, die Heroinen des italieniſchen oder franzöſiſchen Geſell-
ſchaftsſtücks mit meiſterlicher Kunſt darzuſtellen. Die „scène
faite
“, die große Auseinanderſetzung der „Heldin“ mit ihrem
Gatten riß das Publikum zu lebhafter Begeiſterung hin. Die
Steigerung des geheuchelten oder empfundenen Affekts, das
Spiel der Geſten, das Lauſchen, das Flehen: das alles war
die vollendetſte Natur. Doch auch hier gilt die leiſe Ein-
ſchränkung, auf die ich ſchon einmal aufmerkſam gemacht
habe: die Duſe a delt ihre Rollen, und was man geſtern
[Spaltenumbruch] hier und da vermißte, war eine ſtärkere Betonung der Gemein-
heit des Weibes, deſſen Name (Cäſarine) ſchon an Meſſalina
und einen berühmten Vers Juvenals erinnern ſoll, zum
Schaden des Stückes. Auch die Verführungskünſte, die wieder
Gelegenheit zu hinreißenden Einzelheiten gaben, hätten etwas
franzöſiſch aufdringlicher ſein dürfen. Doch hängen dieſe
leichten Ausſtellungen mit den Grenzen einer außerordentlich
begabten Natur zuſammen, die nur den Boden nicht verlaſſen
ſollte, wo ſie in vollendeter Natürlichkeit Großes geben kann.
Hr. Carlo Roſaſpina war ein ganz ausgezeichneter Clandio,
voll männlicher Natürlichkeit, und auch alle anderen Künſtler
bewieſen es wieder, daß ſie im franzöſiſchen oder italieniſchen
Sittenſtück ſehr Gutes leiſten können. Der Scherz „Tragedia
e Musica
“ (in der Antichambre) wurde von Frau Galliani
und den HH. Galliane und Geri mit dem heiterſten Brio
italieniſcher Tradition geſpielt. Das Haus zeigte große
Lücken, woran vor allem die ungewohnte Aufführungsſtunde
ſchuld ſein mag. Die hervorragende Leiſtung der genialen
Künſtlerin hätte ein volles Haus verdient.

Münchener Schauſpielhaus.

Zum erſtenmal:
Muſotte“, Schauſpiel in einem Akt von Maupaſſant und
Normand. Guy de Maupaſſant iſt niemals ſonderlich
ſentimental geweſen. Für ihn gab es andere Möglichkeiten,
ſich mit dem Leben abzufinden: er ahmte es ſcherzend nach,
er karikirte es höhniſch, er liebkoste es mit zärtlicher
Melancholie, er berauſchte ſich an der Größe und der Ge-
meinheit des Daſeins, an ſeinem fürchterlichen Zauber und
ſeiner ſüßen Sinnloſigkeit, er war ins Leben verliebt bis zur
Wuth und haßte es bis zum Ekel — ſentimental wurde er
niemals. Nicht einmal, als er daranging, die Geſchichte von
der ſüßen Liebe und dem bittern Tod jener Henriette Levecque
zu erzählen, die im Atelierrothwälſch Muſotte (= Schnauzerl)
genannt wurde wegen ihrer lieblichen, verführeriſchen Lippen.
Gelaſſen und ſicher ſtellte er ſeine Geſtalten auf die Bühne,
lauter raſſenechte Gallier, nahe Verwandte zu den Geſchöpfen
Balzacs und Tilliers: brave Kleinbürger, die es zu einem
Vermögen, ehrſame Beamte, die es zu einem Titel und dem
bekannten rothen Bändchen gebracht haben, eine zänkiſche
Tante mit böſer Zunge und beſtem Herzen, einen Maler, der
aber weder den Bohémien noch den Art-pour-Art-Mandarinen
ſpielt. Dazu zwei Mädchen: Gilberte, neugierig und ſchen
wie eine eben Vermählte, innig und eiferſüchtig wie jedes
wohlgerathene Weib; ganz im Hintergrund die rührende Ge-
ſtalt der armen Muſotte, die ſterben muß am Hochzeitstag

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[0001] Nr. 83. (Mit Beilage Nr. 70.) 103. Jahrgang. München, Montag, 26. März 1900. Wöchentlich 12 Ausgaben. Bezugspreiſe: Durch die Poſtämter: jährlich M. 36. —, ohne Beil. M. 18. — (viertelj. M. 9. —, ohne Beil. M. 4.50); in München b. d Ex- pedition od. d. Depots monatlich M. 2. —, ohne Veil. M. 1. 20. Zuſtellg. mil. 50 Pf. Direkter Bezug für Dentſchl. u. Oeſterreich monatlich M. 4. —, ohne Veil. M. 3. —, Ausland M. 5. 60, ohne Veil. M. 4. 40. Allgemeine Zeitung. Inſertionspreis für die kleinſpaltige Kolonelzeile od. deren Raum 25 Pfeunig; finanzielle Anzeigen 35 Pf.; lokale Ver- kaufsanzeig. 20 Pf.; Stellengeſuche 15 Pf. Redaktion und Expe- dition befinden ſich Schwanthalerſtr. 36 in München. Berichte ſind an die Redaktion, Inſerat- aufträge an die Ex- pedition franko ein- zuſenden. Abonnements für Berlin nimmt unſere dortige Filiale in der Leipzigerſtraße 11 entgegen. Abonnements für das Ausland nehmen an: für England A. Siegle. 30 Lime Str., London; für Frankreich, Portugal und Spanien A. Ammel und C. Klinckſieck in Paris; für Belgien, Bulgarien, Dänemark, Italien, Niederlande, Numänien, Rußland, Schweden und Norwegen. Schweiz, Serbien die dortigen Poſtämter; für den Orient das k. k. Poſtamt in Wien oder Trieſt; für Nordamerika F. W. Chriſtern, E. Steiger u. Co., Guſt. E. Stechert, Weſtermann u. Co., International News Comp., 83 und 85 Duane Str. in New-York. [Abbildung] Inſeratenannahme in München bei der Expedition, Schwanthalerſtraße 36, in Berlin in unſerer Filiale, Leipzigerſtraße 11, ferner in Berlin, Hamburg, Breslau, Köln, Leipzig, Frankfurt a. M., Stuttgart, Nürnberg. Wien, Peſt, London, Zürich, Baſel ꝛc. bei den Annoncenbureaux R. Moſſe, Haaſenſtein u. Vogler, G. L. Daubeu. Co. In den Filialen der Zeitungsbureaux Invalidendank zu Berlin, Dresden, Leipzig, Chemniß ꝛc. Außerdem in Berlin bei B. Arndt (Mohrenſtraße 26) und S. Kornik (Kochſtraße 23); für Frankreich bei John F. Jones u. Co., 31 bis Faubourg Montmartre in Paris. Verantwortlich für den politiſchen Theil der Chefredakteur Hans Tournier, für das Feuilleton Alfred Frhr. v. Menſi, für den Handelstheil Ernſt Barth, ſämmtlich in München. Druck und Verlag der Geſellſchaft mit beſchränkter Haftung „Verlag der Allgemeinen Zeitung“ in München. Deutſches Reich. In eigener Sache. * München, 26. März. Wir haben den neulichen Verſuch der hieſigen „ Neueſten Nachrichten“, uns und die „soi-disant und ci-devant-Nationalliberalen“ namens des Geſammtliberalismus als „unſichere Kantoniſten“ in Acht und Bann zu thun, nicht ungloſſirt laſſen können. Allein allzulange möchten wir unſre Leſer mit dieſem Streit nicht behelligen, mag er auch nur äußerlich als ein Streit in eigener Sache ſich darſtellen, in Wahrheit aber der Frage gelten, ob in Bezug auf die Vertretung liberaler Geſinnung dem publiziſtiſchen Geſchäftshaus am Färber- graben ein Monopol zuſteht. Wir wollen uns daher, in- dem wir in dieſem nicht von uns provocirten Federkampf zum dritten- und letztenmal das Wort ergreifen, mög- lichſter Kürze befleißigen. Die „Neueſten Nachrichten“ beſchweren ſich in ihrer Entgegnung vom Sonntag, daß wir uns bei der Begründung unſres Hinweiſes auf ihren „Geſchäftsliberalismus“ auf dunkle Andeutungen betreffs der Boykottirung publiziſtiſcher Konkurrenten beſchränkt und nur die Geneigtheit ausge- ſprochen hätten, ihnen im engeren Kreiſe genaueren Auf- ſchluß zu geben. Sie verlangen eine offene Subſtanziirung unſrer Anklage und verſichern zugleich, daß ihre Geſchäfts- leitung und Redaktion allen Enthüllungen unſrerſeits ruhig entgegenſehe. Wir haben ſchon betont, daß eine eingehende Darlegung unſrer geſchäftlichen Gravamina gegenüber der Kollegin am Färbergraben für unſre Leſer minderes Intereſſe habe und daß wir daher bei aller Bereit- willigkeit, uns darüber weiter auszuſprechen, eine Erör- terung der Sache in den Spalten unſres Blattes nicht für angezeigt erachteten. Wir müſſen an dieſer Auffaſſung auch jetzt noch feſthalten. Wünſchen die „Neueſten Nach- richten“ genauere Auskunft, ſo ſind wir jederzeit bereit, in einem kleineren oder größeren Kreiſe von Berufs- genoſſen ihnen Rede zu ſtehen. Etwas deutlicher aber wollen wir immerhin auch an dieſer Stelle werden und öffentlich konſtatiren, daß wir z. B. von Firmen und Agenturen, die ſich mit dem Vertrieb von Zeitungen ohne Unterſchied des Herkunftsortes und der politiſchen Rich- tung beſchäftigen, auf den Vorſchlag, auch die Allg. Ztg. zu vertreiben, wiederholt die Antwort erhielten, ſie könnten, ohne ſich der Gefahr einer Löſung ihrer Verbindungen mit den „Neueſten Nachr.“ auszuſetzen, unſer Angebot nicht annehmen. Wir haben von dieſer Wahrnehmung übrigens einem hervorragenden Vertreter des Verlags der „Neueſten Nachr.“ ſeinerzeit in loyaler Weiſe Mit- theilung gemacht und ihn um ſeine Intervention erſucht, haben aber nur eine ausweichende Antwort erhalten, etwa des Inhalts, daß er in der Sache, die er ſelbſt lebhaft bedauere, bei der es ſich aber offenbar nur um das inkorrekte Verhalten eines einzelnen Agenten handle, nichts zu thun vermöge. Nun, über einen Einzelfall würden wir uns kaum be- ſchweren; er kann ſehr wohl der Thorheit oder dem Uebereifer des betreffenden Geſchäftsmanns oder eines ſubalternen Auftraggebers zugeſchrieben werden, da aber — wie es in der That geſchehen — eine ganze An- zahl gleichartiger Fälle aus älterer und neuerer Zeit zu unſrer Kenntniß gelangt iſt, ſo ſind wir ſchlechter- dings nicht in der Lage, nur an die Ungeſchicklichkeit eines untergeordneten Agenten zu glauben. Es kann wohl ein einzelnes Pferd ſtolpern, aber nicht ein ganzer Pferdeſtall. Ohne jeden Anlaß wird in den Kreiſen derjenigen Firmen und Agenturen, die mit dem Zeitungsverſchleiß ſich be- faſſen, die Anſicht, daß die Uebernahme des Vertriebs der Allgemeinen Zeitung von der Geſchäftsleitung der „Neueſten Nachrichten“ als ein unfriendly act angeſehen werde, alſo gewiß nicht verbreitet ſein. Doch sapienti sat. Was wir hier vorgebracht haben, mag genügen, der Kollegin am Färbergraben und unſern Leſern zu zeigen, daß wir unſern Vorwurf nicht ganz ohne Grund erhoben haben; zu weiteren Erörterungen ſtehen wir — wie geſagt — ſofern es gewünſcht wird, an anderer Stelle gern zu Dienſten. Wenn übrigens die „Neueſten Nachr.“ uns auf das Wort Fr. Th. Viſchers verweiſen, daß es einen Zorn gebe, der nichts ſei als erkrankte Liebe und daß dieſer Zorn zugleich ſchon die Geneſung bedeute, ſo möge ihnen zur Antwort dienen, daß wir ihnen weder liebeskrank, noch zornigen Sinnes, ſondern kühl bis aus Herz hinan gegenüber- ſtehen. Sie mögen ſonſt thun und treiben, was ſie wollen; nur das Eine verlangen wir von ihnen, daß ſie ſich uns gegenüber jeder Ungebühr enthalten. So oft ſie Verſuche wie den jüngſten erneuern ſollten, werden ſie unſrerſeits die gleich ſcharfe und gleich verdiente Ab- weiſung erfahren. Von Hrn. Georg Hirth erhalten wir nachſtehende Zuſchrift: An die Redaktion der Allgemeinen Zeitung hier. Geehrte Redaktion! Im Morgenblatt Ihrer Nr. 81 wird geſagt: „… Aber Takt und Geſchmack und die Tückſicht auf unſern Leſerkreis verbieten uns, dabei in jenen Ton zu verfallen, der in dem Münchener Proteſt angeſchlagen worden war und der den Grafen Balleſtrem leider beſtimmte, das Sendſchreiben brevi manu als zur Zulaſſung in guter Geſellſchaft nicht geeignet an Hrn. Georg Hirth zurückgehen zu laſſen.“ Aus dieſer Auslaſſung könnte gefolgert werden, daß in dem von der Volksverſammlung im Münchener Bürgerbräu am 7. März beſchloſſenen Proteſt oder aber in meinem Schreiben an das Reichstagspräſidium ſich Wendungen be- funden hätten, welche zur Zulaſſung in guter Geſellſchaft nicht geeignet geweſen wären. Als Leiter jener Verſammlung halte ich mich verpflichtet, gegen eine derartige Unterſtellung auf das entſchiedenſte Verwahrung einzulegen. Weder in unſerm Proteſt gegen die lex Heinze noch in meinem Schreiben an das Reichstagspräſidium kommt ein einziges Wort oder ein einziger Satz vor, welche jene ab- fällige Zenſur verdienten. In dem Antwortſchreiben des Reichstagsbureaus iſt vielmehr ausdrücklich geſagt, daß „der Proteſt wegen des beleidigenden Inhalts ſich zur geſchäfts- ordnungsmäßigen Behandlung im Reichstag nicht eigne“. Angenommen ſelbſt, die Auffaſſung des Reichstagspräſi- denten von dem beleidigenden Inhalt des Proteſtes wäre richtig und er hätte Veranlaſſung gehabt, die Annahme des Proteſtes zu verweigern (was von nahezu der geſammten Preſſe einſchließlich der Allg. Ztg. ſelbſt beſtritten worden iſt), ſo wird doch Jedermann zugeben, daß zwiſchen einem be- leidigenden Inhalt und einer Aeußerung, welche „zur Zulaſſung in guter Geſellſchaft nicht geeignet“ er- ſcheint, ein himmelweiter Unterſchied iſt. Beleidigungen kommen in der allerbeſten Geſellſchaft vor, oft er- fordert ſogar der Anſtand eine gleichwerthige beleidi- gende Antwort. In dieſem Fall waren es die kunſt- freiheitliebenden Theilnehmer der großen Münchener Proteſtverſammlung, welche in ihrer Eigenſchaft als Deutſche durch die in geheimen Kompromißverhandlungen hinterſchlächtig vorbereiteten §§ 184a und 184b der lex Heinze zuerſt ſehr ſchwer beleidigt worden waren, ſo daß die entſchiedene, allerdings für die Urheber der inkriminirten Paragraphen nicht gerade ſchmeichelhafte Faſſung unſres Proteſtes nur als Abwehr einer kränkenden Zu- muthung erſcheint. Schließlich bemerke ich, daß ſeitens des Reichtagsbureaus nicht eine brevi manu-Zurückſendung erfolgt iſt; meine Zu- ſchrift befindet ſich vielmehr bei den Reichstagsakten. München, 26. März 1900. Dr. Georg Hirth. Machenſchaften gegen die deutſchen Bahnunternehmungen in Kleinaſien. 4 Berlin, 25. März. Um die deutſchen Eiſenbahn- pläne in Kleinaſien zu hintertreiben, läßt man von deutſch- feindlicher Seite kein Mittel unverſucht. Mit beſonderer Gefliſſentlichkeit wurde eine Zeitlang behauptet, Rußland arbeite dem deutſchen Unternehmungseifer entgegen und bemühe ſich, eine Vereinbarung mit der Türkei herbei- zuführen, durch welche die deutſchen Eiſenbahnunter- nehmungen lahmgelegt werden würden. Nachdem ſich jetzt herausgeſtellt hat, daß es weſentlich Rußlands Abſicht war, in einem beſtimmten Landſtreifen zwiſchen dem Schwarzen und dem Perſiſchen Meer ſich ein Intereſſen- gebiet zu ſichern, durch welches die Rechte der deutſchen Vagdad-Bahn nicht berührt werden, geſchweige denn das Rayon der letzteren alterirt wird, geben ſich die internatio- nalen Deutſchenfeinde alle Mühe, um das, was den deutſchen Unteruehmern von Seiten der Pforte konzedirt worden iſt, als einen indirekten Erfolg der engliſchen Diplomatie darzuſtellen. Demgegenüber iſt es ange- zeigt, hervorzuheben, daß das, was bisher für die Mög- lichkeit einer weiteren Bethätigung des deutſchen Unter- Feuilleton. ___. Kgl. Hoftheater. Verdi’s „Aïda“ iſt eine Sonntags-Oper im allerbeſten Sinne. Die Handlung iſt nicht ohne Spannung und leicht verſtändlich, die Muſik von kräftigem Temperament und noch von friſcher Erfindung, dabei modernen Auforderungen ſchon beſſer entgegenkommend als die älteren Opern Verdi’s, die Aufführung iſt, ſelbſt wenn ſie in mancher Beziehung in der Ausſtattung bei uns etwas vernachläſſigt und veraltet iſt, doch voll das Auge erfreuenden Glanzes. Und ſo ſieht jede Sonntag-Aufführung der „Aïda“ volle Häuſer. So war es auch geſtern. Dazu kam noch die berechtigte Neugier, eine neue Aïda zu hören. Eine Anfängerin, als welche Frl. Morena gewiß noch zu gelten hat, wird nicht leicht dieſe bedeutende Rolle aufs erſtemal ſo merkwürdig fertig herausbringen, wie geſtern dieſes junge Talent. Da war faſt alles von einer erſtaunlichen Sicherheit und Selbſtver- ſtändlichkeit. Wenn Frl. Morena innerlich ruhiger geworden ſein wird, dürſte ſich auch die Gewohnheit einer ruhigeren Tongebung und einer geſchmackvolleren Verbindung der einzelnen muſikaliſchen Phraſen von ſelbſt einſtellen. Die in der Originallage geſungene hohe Partie ſcheint ihr ſelbſt in der Höhe keine Schwierigkeiten zu bereiten: ſie ſingt ſie anſcheinend leicht, doch glaube ich faſt, daß ihr die Partie der Amneris ſtimmlich noch beſſer liegen müßte. Hat doch auch unſre ehemalige große Geſangsheroine, die Iſolde, Brünnhilde, Leonore, Frau Thereſe Vogl, nicht die Aïda, ſondern immer nur die Amneris geſungen. Noch iſt Frl. Morena ja jung, noch klingt ihre Höhe ja leidlich rund; in etlichen Jahren aber ſchon, wenn ſie die Partie noch oft geſungen, dürfte die Höhe unangenehm ſchneidig werden. Auf jeden Fall aber ſcheint es uns zu früh, ein erſt in der Feſtigung begriffenes jugendliches Organ ſchon jetzt nach der Höhe zu foreiren. Iſt Frl. Morena der hohe dramatiſche Sopran, der ſie anſcheinend nun einmal ſein will (warum? weil die dankbarſten Partien eben für die hohen Soprane geſchrieben ſind), ſo kann ſich dies bei minder an- ſtrengenden Nollen zeigen. Die günſtige Bühneuerſcheinung der talentvollen Elevin nahm ſich in der Maske der Aïda prächtig aus. Am meiſten und am angenehmſten überraſcht wurden wir aber durch ihr Spiel. Dies war geſtern ſo vor- treſſlich, großzügig, graziös und vor allem natürlich, wie nie vorher. Frl. Morena darf mit ihrem geſtrigen Erfolg ſehr zufrieden ſein. Neu war geſtern auch der Oberprieſter Ramphis des Hrn. Sieglitz. Neu und gut. Beſſer würde dieſe ſeriöſe Baßrolle aber durch Hrn. Klöpfer beſetzt, der geſtern die kleine Rolle des Königs ſang. Warum wird dieſe nicht Hrn. Oberſtötter übertragen, der gar nichts, zu thun hat? Wenn Klöpfer z. B. geſtern einen ſeiner zahlreichen Abſagetage ge- habt hätte, ſo würde die geſtrige Sonntagsvorſtellung genau ſo gefährdet geweſen ſein wie neulich die des Triſtan. Warum nicht doppelt beſetzen, wenn man es ſo leicht könnte? Der Radames des Hrn. Mikorey war im erſten Akt beſſer als in den letzten. Der Amonasro iſt eine von Baubergers beſten Rollen. Frl. Frank (Amneris) ſcheint ſich noch nicht völlig von ihrem letzten Unwohlſein erholt zu haben. Im ſchönen Solo der Prieſterin hörten wir mit Vergnügen wieder die voluminöſe Stimme des Frl. Eliſe Sigler. Die Auf- führung ward muſikaliſch von Hrn. Röhr ſicher geleitet. W. Theater am Gärtnerylatz. „La femme de Claude“, die den Münchener Theaterfreunden vom Schauſpielhauſe unter Drachs Leitung her bekannt iſt, gehört zu den allerſchwächſten Stücken des jüngeren Dumas, der, als geriebener Sophiſt, nur dem Tage diente, wenn er es auch nie zugeſtehen wollte. Dieſes Stück, deſſen Technik uns ſo altmodiſch anmuthet, iſt ein Ausbund von Unnatur. Doch es enthält die „Scène à faire“, die der Kritiker Sarcey von jedem Talent und jedem Stück verlangte, ohne ſich viel um die Motivirung zu kümmern. Man kennt ſeine Entſchuldigung: „Mais, c’est du théâtre!“ Das will ſagen, ein Stück zurechtgemachter Natur, oder eine Gelegenheit, gewiſſe Affekte und Poſen zu zeigen. Das Nationale in ſeiner Forderung der „Scène à faire“ möchte ich nicht verkennen. Es leitet auf die Kunſt der Sarah Bernhardt und der Duſe über, die geſtern in einer Matinee „das Weib des Claudius“ ſpielte und in dieſer Rolle wiederum bewies, daß ſie geſchaffen iſt, die Heroinen des italieniſchen oder franzöſiſchen Geſell- ſchaftsſtücks mit meiſterlicher Kunſt darzuſtellen. Die „scène faite“, die große Auseinanderſetzung der „Heldin“ mit ihrem Gatten riß das Publikum zu lebhafter Begeiſterung hin. Die Steigerung des geheuchelten oder empfundenen Affekts, das Spiel der Geſten, das Lauſchen, das Flehen: das alles war die vollendetſte Natur. Doch auch hier gilt die leiſe Ein- ſchränkung, auf die ich ſchon einmal aufmerkſam gemacht habe: die Duſe a delt ihre Rollen, und was man geſtern hier und da vermißte, war eine ſtärkere Betonung der Gemein- heit des Weibes, deſſen Name (Cäſarine) ſchon an Meſſalina und einen berühmten Vers Juvenals erinnern ſoll, zum Schaden des Stückes. Auch die Verführungskünſte, die wieder Gelegenheit zu hinreißenden Einzelheiten gaben, hätten etwas franzöſiſch aufdringlicher ſein dürfen. Doch hängen dieſe leichten Ausſtellungen mit den Grenzen einer außerordentlich begabten Natur zuſammen, die nur den Boden nicht verlaſſen ſollte, wo ſie in vollendeter Natürlichkeit Großes geben kann. Hr. Carlo Roſaſpina war ein ganz ausgezeichneter Clandio, voll männlicher Natürlichkeit, und auch alle anderen Künſtler bewieſen es wieder, daß ſie im franzöſiſchen oder italieniſchen Sittenſtück ſehr Gutes leiſten können. Der Scherz „Tragedia e Musica“ (in der Antichambre) wurde von Frau Galliani und den HH. Galliane und Geri mit dem heiterſten Brio italieniſcher Tradition geſpielt. Das Haus zeigte große Lücken, woran vor allem die ungewohnte Aufführungsſtunde ſchuld ſein mag. Die hervorragende Leiſtung der genialen Künſtlerin hätte ein volles Haus verdient. ◿ Münchener Schauſpielhaus. Zum erſtenmal: „Muſotte“, Schauſpiel in einem Akt von Maupaſſant und Normand. Guy de Maupaſſant iſt niemals ſonderlich ſentimental geweſen. Für ihn gab es andere Möglichkeiten, ſich mit dem Leben abzufinden: er ahmte es ſcherzend nach, er karikirte es höhniſch, er liebkoste es mit zärtlicher Melancholie, er berauſchte ſich an der Größe und der Ge- meinheit des Daſeins, an ſeinem fürchterlichen Zauber und ſeiner ſüßen Sinnloſigkeit, er war ins Leben verliebt bis zur Wuth und haßte es bis zum Ekel — ſentimental wurde er niemals. Nicht einmal, als er daranging, die Geſchichte von der ſüßen Liebe und dem bittern Tod jener Henriette Levecque zu erzählen, die im Atelierrothwälſch Muſotte (= Schnauzerl) genannt wurde wegen ihrer lieblichen, verführeriſchen Lippen. Gelaſſen und ſicher ſtellte er ſeine Geſtalten auf die Bühne, lauter raſſenechte Gallier, nahe Verwandte zu den Geſchöpfen Balzacs und Tilliers: brave Kleinbürger, die es zu einem Vermögen, ehrſame Beamte, die es zu einem Titel und dem bekannten rothen Bändchen gebracht haben, eine zänkiſche Tante mit böſer Zunge und beſtem Herzen, einen Maler, der aber weder den Bohémien noch den Art-pour-Art-Mandarinen ſpielt. Dazu zwei Mädchen: Gilberte, neugierig und ſchen wie eine eben Vermählte, innig und eiferſüchtig wie jedes wohlgerathene Weib; ganz im Hintergrund die rührende Ge- ſtalt der armen Muſotte, die ſterben muß am Hochzeitstag

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 83, 26. März 1900, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine83_1900/1>, abgerufen am 26.12.2024.