Allgemeine Zeitung, Nr. 83, 23. März 1848.[Spaltenumbruch]
nur wenige Minuten. Kurz darauf wogte alles wieder dem Marcusplatz * Venedig, 18 März. Morgens. Heute morgens sind alle gänge keineswegs in so milden Lichte dar. Wir werden dieselben morgen ausführlich mittheilen, und bemerken einstweilen daß bei der Befreiung der zwei politischen Verhafteten aus Padua, die im Polizeigefängnisse saßen, einer der Stürmenden todt auf dem Platze blieb, einige verwundet wurden. Dieß geschah am 17. Am 18, als die Truppen Befehl erhielten von dem Markusplatz die Menschenmassen zu vertreiben die sich dort ge- sammelt hatten, kam es zu noch blutigeren Auftritten. Einzelne Abihei- lungen drangen mit gefälltem Bajonet vor, andere feuerten. Hiedurch sollen (sagt der eine Brief) steben Menschen getödtet, viele verwundet worden seyn. Aus den Massen wurden Steine etc. gegen das Militär geschleudert, wodurch auch einige Officiere schwer verwundet worden seyen. So wurde der Jubel, den die Nachrichten aus Wien anfangs verbreitet hatten, und der so groß war daß das Volk die Grenadiere umarmte und einen ihrer Officiere auf den Armen trug, in furchtbare Aufregung verwandelt. Einer der Briefe sagt ausdrücklich, die Truppen [Spaltenumbruch] hätten erst geschossen nachdem mit Steinen auf sie geworfen worden, aber sie scheinen schon vorher, wie am Tage zuvor, die Bajonette gegen die unbewaffnete Menge die sie durch Vivatrufen zu gewinnen gesucht hatte, gefällt zu haben. Wie dem sey, der Gouverneur sah sich gedrungen dem stürmischen Begehren nach Zurückziehung der Truppen und der Bildung einer Bürgergarde nachzugeben. Oeffentliche Anschläge, von Notabeln der Stadt unterzeichnet, verkündeten dieß um das Volk zu beruhigen; es über- strömte den von den Bajonetten geräumten Markusplatz, forderte vor dem Municipalitätsgebäude Waffen, theils Drohungen ausstoßend, theils Evviva l'Italia rufend. Aber alle Läden waren geschlossen. Die weißen Schärpen, die bald überall erschienen, ließen hoffen daß die Dinge sich wieder zur gesetzlichen Bahn wenden würden. * Während in dieser Weise Venedig durch die, wie es scheint, un- nöthige Entfaltung militärischer Gewalt -- gleich Berlin -- aus dem Jubel in verhängnißvolle Bewegung gestürzt wurde, kommt uns aus Mailand noch ernstere Kunde zu. Es soll im vollen Aufstand begrif- fen seyn. Die aufmerksameren unserer Leser werden bemerkt haben daß die Allgemeine Zeitung seit der Verkündigung des Standrechts in öster- reichisch Italien ihre Correspondenzmittheilungen aus dem lombardisch- venetianischen Königreich eingestellt, und nur noch aus piemontesischen Blättern einige Notizen über die Stimmung in der Lombardei gegeben hatte. Zwar erhielten wir seitdem viele Briefe aus Mailand, aber sie gingen von Deutschen aus und waren alle unter dem erbitterten Gefühl geschrieben das der Haß der Italiener gegen die Deutschen natürlich machte, dem wir aber keinen Ausdruck mehr in der Presse verleihen wollten, nachdem die österreichische Regierung die Führer der Pe- titionspartei gefangen gesetzt oder ausgewiesen, und ein Gesetz verkündigt hatte, wonach selbst das Beifallrufen im Theater verpönt, und dergleichen Demonstrationen im Wiederholungsfall mit Ker- ker oder einer Geldstrafe bis zu zehntausend Lire belegt hatte, von der Polizei zu erkennen. Unsere Mailänder Correspondenten werden es sich erklären können, wenn wir unter solchen Umständen von ihren Zusen- dungen so wenig Gebrauch machten, als von den Vertheidigundgen jener Maßregeln die uns von Wien aus zugemuthet und von uns einfach be- seitigt wurden. Uebrigens hatte sich seitdem nichts bemerkenswerthes in Mailand zugetragen; weder die florentinischen und piemontesischen noch die deutschen Blätter wußten von dort etwas anderes zu berichten als daß der Eindruck der Verkündigung der französischen Republik eher beschwich- tigend als aufregend auf die Führer der lombardischen Bewegung ge- wirkt habe. Unsere Mailänder Briefe gaben außerdem Auskunft, jetzt über neue Verhaftungen, Entdeckungen von Waffenvorräthen, versuchte Anzettelungen unter den Truppen etc., dann über vermehrte Truppenbe- wegung an der piemontefischen Gränze, steigende Kriegslust etc. Dazu kam die unter wachsenden Drohrufen gegen Oesterreich zu Stande ge- kommene Bildung des neuen Ministeriums in Turin, an dessen Spitze Graf Cesar Balbo steht, der seit drei Jahren schon Vertreibuug Oesterreichs aus Italien und Entschädigung desselben durch die un- tern Donauländer zum Angelpunkt seiner Schriften (Speranze d'Ita- lia etc.) gemacht hatte. Das unter seinen Auspicien erscheinende Blatt il Risorgimento hatte endlich, als der Ruf Republik aus Frankreich er- tönte, selbst diesen Ruf mit Jubel begrüßt, und wiederholt erklärt daß es das republicanische wie das monarchische Frankreich als Bundesge- nossen gegen Oesterreich, Rußland und Frankreich betrachte. Genua, dessen kriegerische Ungeduld die Geburt dieses Ministeriums beschleunigt hatte, forderte -- den Bewegungsmann Marquis Georg Doria an der Spitze -- immer tumultuarischer entscheidende Schritte gegen die "Fremden", die "Barbaren." Unter diesen Impulsen und dem erregen- den Eindruck daß selbst in Wien ein Aufstand ausgebrochen, scheint der Ausbruch in Mailand erfolgt zu seyn, von dem der folgende Brief aus Chur (aus verlässtger Hand) Kunde gibt. In diesem Augen- blick erhalten wir eine neue italienische Post; sie bringt einen Laz- zaroniaufstand in Neapel*), die Verleihung der Constitu- tion in Rom, und die Beschwichtigung der Gemüther in Venedig (19 März) wo alles über die Reichsconstitution in Jubel ausbrach, und die Unbilden der zwei vorhergegangenen Tage darüber zu vergessen schien. Aber auch heute nichts aus Mailand, kein Brief, kein Zeitungsblatt. Dieß scheint leider eine Bestätigung der Mittheilung aus Chur. Am 19 wollte der Vicekönig Verona zu seiner und seines Hofes Residenz machen und Mailand verlassen. Dieser Tag also wäre der Tag des Ausbruchs gewesen. * Chur, 20 März Abends 9 Uhr. Die Mailänder Post, die ge- *) Nach einem andern Vrief auch das Regiment Kinski. *) Er wurde bewältigt.
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nur wenige Minuten. Kurz darauf wogte alles wieder dem Marcusplatz * Venedig, 18 März. Morgens. Heute morgens ſind alle gänge keineswegs in ſo milden Lichte dar. Wir werden dieſelben morgen ausführlich mittheilen, und bemerken einſtweilen daß bei der Befreiung der zwei politiſchen Verhafteten aus Padua, die im Polizeigefängniſſe ſaßen, einer der Stürmenden todt auf dem Platze blieb, einige verwundet wurden. Dieß geſchah am 17. Am 18, als die Truppen Befehl erhielten von dem Markusplatz die Menſchenmaſſen zu vertreiben die ſich dort ge- ſammelt hatten, kam es zu noch blutigeren Auftritten. Einzelne Abihei- lungen drangen mit gefälltem Bajonet vor, andere feuerten. Hiedurch ſollen (ſagt der eine Brief) ſteben Menſchen getödtet, viele verwundet worden ſeyn. Aus den Maſſen wurden Steine ꝛc. gegen das Militär geſchleudert, wodurch auch einige Officiere ſchwer verwundet worden ſeyen. So wurde der Jubel, den die Nachrichten aus Wien anfangs verbreitet hatten, und der ſo groß war daß das Volk die Grenadiere umarmte und einen ihrer Officiere auf den Armen trug, in furchtbare Aufregung verwandelt. Einer der Briefe ſagt ausdrücklich, die Truppen [Spaltenumbruch] hätten erſt geſchoſſen nachdem mit Steinen auf ſie geworfen worden, aber ſie ſcheinen ſchon vorher, wie am Tage zuvor, die Bajonette gegen die unbewaffnete Menge die ſie durch Vivatrufen zu gewinnen geſucht hatte, gefällt zu haben. Wie dem ſey, der Gouverneur ſah ſich gedrungen dem ſtürmiſchen Begehren nach Zurückziehung der Truppen und der Bildung einer Bürgergarde nachzugeben. Oeffentliche Anſchläge, von Notabeln der Stadt unterzeichnet, verkündeten dieß um das Volk zu beruhigen; es über- ſtrömte den von den Bajonetten geräumten Markusplatz, forderte vor dem Municipalitätsgebäude Waffen, theils Drohungen ausſtoßend, theils Evviva l’Italia rufend. Aber alle Läden waren geſchloſſen. Die weißen Schärpen, die bald überall erſchienen, ließen hoffen daß die Dinge ſich wieder zur geſetzlichen Bahn wenden würden. * Während in dieſer Weiſe Venedig durch die, wie es ſcheint, un- nöthige Entfaltung militäriſcher Gewalt — gleich Berlin — aus dem Jubel in verhängnißvolle Bewegung geſtürzt wurde, kommt uns aus Mailand noch ernſtere Kunde zu. Es ſoll im vollen Aufſtand begrif- fen ſeyn. Die aufmerkſameren unſerer Leſer werden bemerkt haben daß die Allgemeine Zeitung ſeit der Verkündigung des Standrechts in öſter- reichiſch Italien ihre Correſpondenzmittheilungen aus dem lombardiſch- venetianiſchen Königreich eingeſtellt, und nur noch aus piemonteſiſchen Blättern einige Notizen über die Stimmung in der Lombardei gegeben hatte. Zwar erhielten wir ſeitdem viele Briefe aus Mailand, aber ſie gingen von Deutſchen aus und waren alle unter dem erbitterten Gefühl geſchrieben das der Haß der Italiener gegen die Deutſchen natürlich machte, dem wir aber keinen Ausdruck mehr in der Preſſe verleihen wollten, nachdem die öſterreichiſche Regierung die Führer der Pe- titionspartei gefangen geſetzt oder ausgewieſen, und ein Geſetz verkündigt hatte, wonach ſelbſt das Beifallrufen im Theater verpönt, und dergleichen Demonſtrationen im Wiederholungsfall mit Ker- ker oder einer Geldſtrafe bis zu zehntauſend Lire belegt hatte, von der Polizei zu erkennen. Unſere Mailänder Correſpondenten werden es ſich erklären können, wenn wir unter ſolchen Umſtänden von ihren Zuſen- dungen ſo wenig Gebrauch machten, als von den Vertheidiguñgen jener Maßregeln die uns von Wien aus zugemuthet und von uns einfach be- ſeitigt wurden. Uebrigens hatte ſich ſeitdem nichts bemerkenswerthes in Mailand zugetragen; weder die florentiniſchen und piemonteſiſchen noch die deutſchen Blätter wußten von dort etwas anderes zu berichten als daß der Eindruck der Verkündigung der franzöſiſchen Republik eher beſchwich- tigend als aufregend auf die Führer der lombardiſchen Bewegung ge- wirkt habe. Unſere Mailänder Briefe gaben außerdem Auskunft, jetzt über neue Verhaftungen, Entdeckungen von Waffenvorräthen, verſuchte Anzettelungen unter den Truppen ꝛc., dann über vermehrte Truppenbe- wegung an der piemontefiſchen Gränze, ſteigende Kriegsluſt ꝛc. Dazu kam die unter wachſenden Drohrufen gegen Oeſterreich zu Stande ge- kommene Bildung des neuen Miniſteriums in Turin, an deſſen Spitze Graf Ceſar Balbo ſteht, der ſeit drei Jahren ſchon Vertreibuug Oeſterreichs aus Italien und Entſchädigung desſelben durch die un- tern Donauländer zum Angelpunkt ſeiner Schriften (Speranze d’Ita- lia etc.) gemacht hatte. Das unter ſeinen Auſpicien erſcheinende Blatt il Risorgimento hatte endlich, als der Ruf Republik aus Frankreich er- tönte, ſelbſt dieſen Ruf mit Jubel begrüßt, und wiederholt erklärt daß es das republicaniſche wie das monarchiſche Frankreich als Bundesge- noſſen gegen Oeſterreich, Rußland und Frankreich betrachte. Genua, deſſen kriegeriſche Ungeduld die Geburt dieſes Miniſteriums beſchleunigt hatte, forderte — den Bewegungsmann Marquis Georg Doria an der Spitze — immer tumultuariſcher entſcheidende Schritte gegen die „Fremden“, die „Barbaren.“ Unter dieſen Impulſen und dem erregen- den Eindruck daß ſelbſt in Wien ein Aufſtand ausgebrochen, ſcheint der Ausbruch in Mailand erfolgt zu ſeyn, von dem der folgende Brief aus Chur (aus verläſſtger Hand) Kunde gibt. In dieſem Augen- blick erhalten wir eine neue italieniſche Poſt; ſie bringt einen Laz- zaroniaufſtand in Neapel*), die Verleihung der Conſtitu- tion in Rom, und die Beſchwichtigung der Gemüther in Venedig (19 März) wo alles über die Reichsconſtitution in Jubel ausbrach, und die Unbilden der zwei vorhergegangenen Tage darüber zu vergeſſen ſchien. Aber auch heute nichts aus Mailand, kein Brief, kein Zeitungsblatt. Dieß ſcheint leider eine Beſtätigung der Mittheilung aus Chur. Am 19 wollte der Vicekönig Verona zu ſeiner und ſeines Hofes Reſidenz machen und Mailand verlaſſen. Dieſer Tag alſo wäre der Tag des Ausbruchs geweſen. * Chur, 20 März Abends 9 Uhr. Die Mailänder Poſt, die ge- *) Nach einem andern Vrief auch das Regiment Kinski. *) Er wurde bewältigt.
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Gegen<lb/> Abend füllten ſich die Straßen und der Markusplatz natürlich wieder.<lb/> Der in Maſſe genoſſene Wein hatte beſonders die unteren Volksclaſſen<lb/> noch mehr erregt. Man wollte ſich an einigen Punkten dem Militär<lb/> widerſetzen, das gewiſſe Communicationen der Stadttheile abgetrennt<lb/> hielt. Man zog endlich vor das Militärkaffeehaus ſchrie dort, pfiff und kam<lb/> zuletzt zu Thätlichkeiten, wobei leider einige Verwundungen vorkamen.<lb/> Dem ſchönen Kaffeehaus wurde bei dieſen traurigen Auftritten übel mitge-<lb/> ſpielt.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline><hi rendition="#b">* Venedig,</hi> 18 März. Morgens.</dateline> <p>Heute morgens ſind alle<lb/> Mauern beſchrieben <hi rendition="#aq">Viva la repubblica, Viva la guardia civica, viva<lb/> Pio IX</hi> und an manchen Stellen ſogar <hi rendition="#aq">Pio XI.</hi> Der Himmel gebe<lb/> daß man ſich zufrieden ſtelle mit dem Gewährten — ſich überzeuge daß<lb/><hi rendition="#g">mehr</hi> von Uebel wäre. Heute iſt alles ruhig, ein tüchtiger Scirocco-<lb/> regen ſtrömt vom Himmel und übt ſeine dämpfende Wirkung. Im<lb/> ganzen ſollen die geſtrigen Scenen zwei Menſchenleben gekoſtet<lb/> haben. Unter den jüngſten Maueraufſchriften heißt es auch: „Es<lb/> leben die Bayern.“ Dieſen, ſagt man, verdankt man den Schritt<lb/> nach vorwärts. Das gegenwärtige Geſchenk des Kaiſers würde viel-<lb/> leicht ohne das Vorbild des bayeriſchen Erlaſſes noch nicht ſo raſch<lb/> von den Wiener errungen worden ſeyn. Heute iſt es wieder ruhig.<lb/> Tricolorcocarden ſchmücken natürlich noch die meiſten Hüte. Eine Be-<lb/> kanntmachung des Bürgermeiſters empfiehlt Mäßigung und Ruhe.<lb/> Das Militär, deſſen energiſches Auftreten geſtern ſchon überflüſſig war,<lb/> iſt heute in den Caſernen. Der Vicekönig wird am 20 in Verona<lb/> erwartet.</p><lb/> <trailer>* Einige andere Briefe aus <hi rendition="#b">Venedig</hi> vom 18 ſtellen die Vor-<lb/> gänge keineswegs in ſo milden Lichte dar. 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So wurde der Jubel, den die Nachrichten aus Wien anfangs<lb/> verbreitet hatten, und der ſo groß war daß das Volk die Grenadiere<lb/> umarmte und einen ihrer Officiere auf den Armen trug, in furchtbare<lb/> Aufregung verwandelt. Einer der Briefe ſagt ausdrücklich, die Truppen<lb/><cb/> hätten erſt geſchoſſen nachdem mit Steinen auf ſie geworfen worden,<lb/> aber ſie ſcheinen ſchon vorher, wie am Tage zuvor, die Bajonette gegen<lb/> die unbewaffnete Menge die ſie durch Vivatrufen zu gewinnen geſucht<lb/> hatte, gefällt zu haben. Wie dem ſey, der Gouverneur ſah ſich gedrungen<lb/> dem ſtürmiſchen Begehren nach Zurückziehung der Truppen und der Bildung<lb/> einer Bürgergarde nachzugeben. Oeffentliche Anſchläge, von Notabeln der<lb/> Stadt unterzeichnet, verkündeten dieß um das Volk zu beruhigen; es über-<lb/> ſtrömte den von den Bajonetten geräumten Markusplatz, forderte vor dem<lb/> Municipalitätsgebäude Waffen, theils Drohungen ausſtoßend, theils<lb/><hi rendition="#aq">Evviva l’Italia</hi> rufend. Aber alle Läden waren geſchloſſen. Die weißen<lb/> Schärpen, die bald überall erſchienen, ließen hoffen daß die Dinge ſich<lb/> wieder zur geſetzlichen Bahn wenden würden.</trailer><lb/> <trailer>* Während in dieſer Weiſe Venedig durch die, wie es ſcheint, un-<lb/> nöthige Entfaltung militäriſcher Gewalt — gleich Berlin — aus dem<lb/> Jubel in verhängnißvolle Bewegung geſtürzt wurde, kommt uns aus<lb/><hi rendition="#g">Mailand</hi> noch ernſtere Kunde zu. Es ſoll im vollen Aufſtand begrif-<lb/> fen ſeyn. 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Zwar erhielten wir ſeitdem viele Briefe aus Mailand, aber ſie<lb/> gingen von Deutſchen aus und waren alle unter dem erbitterten Gefühl<lb/> geſchrieben das der Haß der Italiener gegen die Deutſchen natürlich<lb/> machte, dem wir aber keinen Ausdruck mehr in der Preſſe verleihen<lb/> wollten, nachdem die öſterreichiſche Regierung die Führer der <hi rendition="#g">Pe-<lb/> titionspartei</hi> gefangen geſetzt oder ausgewieſen, und ein Geſetz<lb/> verkündigt hatte, wonach ſelbſt das Beifallrufen im Theater verpönt,<lb/> und <hi rendition="#g">dergleichen</hi> Demonſtrationen im Wiederholungsfall mit Ker-<lb/> ker oder einer Geldſtrafe bis zu <hi rendition="#g">zehntauſend</hi> Lire belegt hatte, von der<lb/> Polizei zu erkennen. Unſere Mailänder Correſpondenten werden es ſich<lb/> erklären können, wenn wir unter ſolchen Umſtänden von ihren Zuſen-<lb/> dungen ſo wenig Gebrauch machten, als von den Vertheidiguñgen jener<lb/> Maßregeln die uns von Wien aus zugemuthet und von uns einfach be-<lb/> ſeitigt wurden. Uebrigens hatte ſich ſeitdem nichts bemerkenswerthes in<lb/> Mailand zugetragen; weder die florentiniſchen und piemonteſiſchen noch<lb/> die deutſchen Blätter wußten von dort etwas anderes zu berichten als daß<lb/> der Eindruck der Verkündigung der franzöſiſchen Republik eher beſchwich-<lb/> tigend als aufregend auf die Führer der lombardiſchen Bewegung ge-<lb/> wirkt habe. Unſere Mailänder Briefe gaben außerdem Auskunft, jetzt<lb/> über neue Verhaftungen, Entdeckungen von Waffenvorräthen, verſuchte<lb/> Anzettelungen unter den Truppen ꝛc., dann über vermehrte Truppenbe-<lb/> wegung an der piemontefiſchen Gränze, ſteigende Kriegsluſt ꝛc. 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nur wenige Minuten. Kurz darauf wogte alles wieder dem Marcusplatz
zu, der in den belebteſten Faſchingstagen nie eine ſolche Menſchenmaſſe
verſammelt geſehen hatte. Durch die Fenſter des Campanile ſtieg man
in das Innere des Thurms und läutete die Feſtglocken. Von allen Fen-
ſtern wehten Tücher und Fahnen, viele unter ihnen natürlich weiß, grün
und roth, auf allen Hüten wurde mit Kreide viva l’Italia aufgeſchrieben,
dreifarbige Cocarden vertheilt und theils auf den Hüten, theils an der
Bruſt befeſtigt, Gyps-Büſten des Papſtes wurden auf Stangen umher-
getragen, und alle an denen der Zug vorüberkam entblößten das Haupt,
ſchwenkten die Hüte und ſchrien viva Pio IX, viva la costituzione, viva
l’Imperatore und ſogar vivano i Tedeschi. Die Wachtpoſten auf dem
Marcusplatz wurden mit Lebehoch begrüßt, den Officieren des Gränzer-
Regiments, deſſen Einrücken vor wenig Tagen noch Abſcheu und Schre-
cken erregt hatte, drückte man freundlich die Hand, umarmte ſie und ver-
langte beinahe von jedem Officier dem man begegnete das Muſikcorps,
das auch bewilligt wurde, welches das Volk ſelbſt abholte und nach dem
Markusplatz geleitete. Sogar Hauptmann Steinhofer, der ſeit den
letzten Auftritten im Fenicetheater vom Volk gekannt, aber nichts weniger
als geliebt war, wurde freundlich begrüßt und umarmt. Da ſtel es
plötzlich einem Haufen von Freudetrunkenen ein die drei großen Stan-
darten vor der Baſilika zu benützen um Tricolarflaggen aufzuhiſſen.
Das Lärmen nahm mit jeder Minute zu. Der Markusplatz widerhallte
von einem wüthenden Gebrüll. Weder den Sicherheitswachen noch der
Polizei gelang es die Fahnen wieder herabzuziehen. Da ertönten die
Allarmſchüſſe (3 Uhr) vom Hafenwachſchiff und das Militär rückte auf
die angewieſenen Poſten aus um weiteren Demonſtrationen Einhalt zu
thun. Die Tricolarflaggen wurden herabgezogen und die eintretende
Eſſenszeit *) zerſtreute einen großen Theil der jubelnden Menge. Gegen
Abend füllten ſich die Straßen und der Markusplatz natürlich wieder.
Der in Maſſe genoſſene Wein hatte beſonders die unteren Volksclaſſen
noch mehr erregt. Man wollte ſich an einigen Punkten dem Militär
widerſetzen, das gewiſſe Communicationen der Stadttheile abgetrennt
hielt. Man zog endlich vor das Militärkaffeehaus ſchrie dort, pfiff und kam
zuletzt zu Thätlichkeiten, wobei leider einige Verwundungen vorkamen.
Dem ſchönen Kaffeehaus wurde bei dieſen traurigen Auftritten übel mitge-
ſpielt.
* Venedig, 18 März. Morgens.Heute morgens ſind alle
Mauern beſchrieben Viva la repubblica, Viva la guardia civica, viva
Pio IX und an manchen Stellen ſogar Pio XI. Der Himmel gebe
daß man ſich zufrieden ſtelle mit dem Gewährten — ſich überzeuge daß
mehr von Uebel wäre. Heute iſt alles ruhig, ein tüchtiger Scirocco-
regen ſtrömt vom Himmel und übt ſeine dämpfende Wirkung. Im
ganzen ſollen die geſtrigen Scenen zwei Menſchenleben gekoſtet
haben. Unter den jüngſten Maueraufſchriften heißt es auch: „Es
leben die Bayern.“ Dieſen, ſagt man, verdankt man den Schritt
nach vorwärts. Das gegenwärtige Geſchenk des Kaiſers würde viel-
leicht ohne das Vorbild des bayeriſchen Erlaſſes noch nicht ſo raſch
von den Wiener errungen worden ſeyn. Heute iſt es wieder ruhig.
Tricolorcocarden ſchmücken natürlich noch die meiſten Hüte. Eine Be-
kanntmachung des Bürgermeiſters empfiehlt Mäßigung und Ruhe.
Das Militär, deſſen energiſches Auftreten geſtern ſchon überflüſſig war,
iſt heute in den Caſernen. Der Vicekönig wird am 20 in Verona
erwartet.
* Einige andere Briefe aus Venedig vom 18 ſtellen die Vor-
gänge keineswegs in ſo milden Lichte dar. Wir werden dieſelben morgen
ausführlich mittheilen, und bemerken einſtweilen daß bei der Befreiung
der zwei politiſchen Verhafteten aus Padua, die im Polizeigefängniſſe ſaßen,
einer der Stürmenden todt auf dem Platze blieb, einige verwundet wurden.
Dieß geſchah am 17. Am 18, als die Truppen Befehl erhielten von
dem Markusplatz die Menſchenmaſſen zu vertreiben die ſich dort ge-
ſammelt hatten, kam es zu noch blutigeren Auftritten. Einzelne Abihei-
lungen drangen mit gefälltem Bajonet vor, andere feuerten. Hiedurch
ſollen (ſagt der eine Brief) ſteben Menſchen getödtet, viele verwundet
worden ſeyn. Aus den Maſſen wurden Steine ꝛc. gegen das Militär
geſchleudert, wodurch auch einige Officiere ſchwer verwundet worden
ſeyen. So wurde der Jubel, den die Nachrichten aus Wien anfangs
verbreitet hatten, und der ſo groß war daß das Volk die Grenadiere
umarmte und einen ihrer Officiere auf den Armen trug, in furchtbare
Aufregung verwandelt. Einer der Briefe ſagt ausdrücklich, die Truppen
hätten erſt geſchoſſen nachdem mit Steinen auf ſie geworfen worden,
aber ſie ſcheinen ſchon vorher, wie am Tage zuvor, die Bajonette gegen
die unbewaffnete Menge die ſie durch Vivatrufen zu gewinnen geſucht
hatte, gefällt zu haben. Wie dem ſey, der Gouverneur ſah ſich gedrungen
dem ſtürmiſchen Begehren nach Zurückziehung der Truppen und der Bildung
einer Bürgergarde nachzugeben. Oeffentliche Anſchläge, von Notabeln der
Stadt unterzeichnet, verkündeten dieß um das Volk zu beruhigen; es über-
ſtrömte den von den Bajonetten geräumten Markusplatz, forderte vor dem
Municipalitätsgebäude Waffen, theils Drohungen ausſtoßend, theils
Evviva l’Italia rufend. Aber alle Läden waren geſchloſſen. Die weißen
Schärpen, die bald überall erſchienen, ließen hoffen daß die Dinge ſich
wieder zur geſetzlichen Bahn wenden würden.
* Während in dieſer Weiſe Venedig durch die, wie es ſcheint, un-
nöthige Entfaltung militäriſcher Gewalt — gleich Berlin — aus dem
Jubel in verhängnißvolle Bewegung geſtürzt wurde, kommt uns aus
Mailand noch ernſtere Kunde zu. Es ſoll im vollen Aufſtand begrif-
fen ſeyn. Die aufmerkſameren unſerer Leſer werden bemerkt haben daß
die Allgemeine Zeitung ſeit der Verkündigung des Standrechts in öſter-
reichiſch Italien ihre Correſpondenzmittheilungen aus dem lombardiſch-
venetianiſchen Königreich eingeſtellt, und nur noch aus piemonteſiſchen
Blättern einige Notizen über die Stimmung in der Lombardei gegeben
hatte. Zwar erhielten wir ſeitdem viele Briefe aus Mailand, aber ſie
gingen von Deutſchen aus und waren alle unter dem erbitterten Gefühl
geſchrieben das der Haß der Italiener gegen die Deutſchen natürlich
machte, dem wir aber keinen Ausdruck mehr in der Preſſe verleihen
wollten, nachdem die öſterreichiſche Regierung die Führer der Pe-
titionspartei gefangen geſetzt oder ausgewieſen, und ein Geſetz
verkündigt hatte, wonach ſelbſt das Beifallrufen im Theater verpönt,
und dergleichen Demonſtrationen im Wiederholungsfall mit Ker-
ker oder einer Geldſtrafe bis zu zehntauſend Lire belegt hatte, von der
Polizei zu erkennen. Unſere Mailänder Correſpondenten werden es ſich
erklären können, wenn wir unter ſolchen Umſtänden von ihren Zuſen-
dungen ſo wenig Gebrauch machten, als von den Vertheidiguñgen jener
Maßregeln die uns von Wien aus zugemuthet und von uns einfach be-
ſeitigt wurden. Uebrigens hatte ſich ſeitdem nichts bemerkenswerthes in
Mailand zugetragen; weder die florentiniſchen und piemonteſiſchen noch
die deutſchen Blätter wußten von dort etwas anderes zu berichten als daß
der Eindruck der Verkündigung der franzöſiſchen Republik eher beſchwich-
tigend als aufregend auf die Führer der lombardiſchen Bewegung ge-
wirkt habe. Unſere Mailänder Briefe gaben außerdem Auskunft, jetzt
über neue Verhaftungen, Entdeckungen von Waffenvorräthen, verſuchte
Anzettelungen unter den Truppen ꝛc., dann über vermehrte Truppenbe-
wegung an der piemontefiſchen Gränze, ſteigende Kriegsluſt ꝛc. Dazu
kam die unter wachſenden Drohrufen gegen Oeſterreich zu Stande ge-
kommene Bildung des neuen Miniſteriums in Turin, an deſſen Spitze
Graf Ceſar Balbo ſteht, der ſeit drei Jahren ſchon Vertreibuug
Oeſterreichs aus Italien und Entſchädigung desſelben durch die un-
tern Donauländer zum Angelpunkt ſeiner Schriften (Speranze d’Ita-
lia etc.) gemacht hatte. Das unter ſeinen Auſpicien erſcheinende Blatt il
Risorgimento hatte endlich, als der Ruf Republik aus Frankreich er-
tönte, ſelbſt dieſen Ruf mit Jubel begrüßt, und wiederholt erklärt daß
es das republicaniſche wie das monarchiſche Frankreich als Bundesge-
noſſen gegen Oeſterreich, Rußland und Frankreich betrachte. Genua,
deſſen kriegeriſche Ungeduld die Geburt dieſes Miniſteriums beſchleunigt
hatte, forderte — den Bewegungsmann Marquis Georg Doria an der
Spitze — immer tumultuariſcher entſcheidende Schritte gegen die
„Fremden“, die „Barbaren.“ Unter dieſen Impulſen und dem erregen-
den Eindruck daß ſelbſt in Wien ein Aufſtand ausgebrochen, ſcheint
der Ausbruch in Mailand erfolgt zu ſeyn, von dem der folgende Brief
aus Chur (aus verläſſtger Hand) Kunde gibt. In dieſem Augen-
blick erhalten wir eine neue italieniſche Poſt; ſie bringt einen Laz-
zaroniaufſtand in Neapel *), die Verleihung der Conſtitu-
tion in Rom, und die Beſchwichtigung der Gemüther in Venedig
(19 März) wo alles über die Reichsconſtitution in Jubel ausbrach, und
die Unbilden der zwei vorhergegangenen Tage darüber zu vergeſſen
ſchien. Aber auch heute nichts aus Mailand, kein Brief, kein
Zeitungsblatt. Dieß ſcheint leider eine Beſtätigung der Mittheilung
aus Chur. Am 19 wollte der Vicekönig Verona zu ſeiner und ſeines
Hofes Reſidenz machen und Mailand verlaſſen. Dieſer Tag alſo wäre
der Tag des Ausbruchs geweſen.
* Chur, 20 März Abends 9 Uhr.Die Mailänder Poſt, die ge-
ſtern Abend ſpäteſtens 10 Uhr hier eintreffen ſollte, iſt noch nicht da,
und alſo 24 Stunden ausgeblieben. Das Wetter iſt ſchön und ein Hin-
derniß im Bergübergang nicht anzunehmen. Soeben trifft die Bellenzer
Poſt ein. Ein Brief des dortigen Poſtamts meldet: in Mailand ſey
geſtern, 19, die Revolution ausgebrochen. Die Truppen, die ſich wei-
gerten auf das Vok zu feuern, haben ſich ins Caſtell zurückgezogen.
*) Nach einem andern Vrief auch das Regiment Kinski.
*) Er wurde bewältigt.
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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