Allgemeine Zeitung, Nr. 83, 23. März 1848.[Spaltenumbruch]
ben die andern Theater schon wieder Vorstellungen. Aufsallend ist * Triest,, 18 März. Soeben komme ich von der Piazza grande, Frankreich. # Paris, 18 März. Die Dinge nehmen hier eine düstere, un- = Paris, 18 März. Die gestrige Entfaltung der Volksmeinung ** Paris, 18 März. Während die englische Presse allerlei [Spaltenumbruch]
ben die andern Theater ſchon wieder Vorſtellungen. Aufſallend iſt * Trieſt,, 18 März. Soeben komme ich von der Piazza grande, Frankreich. # Paris, 18 März. Die Dinge nehmen hier eine düſtere, un- = Paris, 18 März. Die geſtrige Entfaltung der Volksmeinung ** Paris, 18 März. Während die engliſche Preſſe allerlei <TEI> <text> <body> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div type="jArticle" n="5"> <p><pb facs="#f0018"/><cb/> ben die andern Theater ſchon wieder Vorſtellungen. Aufſallend iſt<lb/> es daß in dieſem Bereiche noch die Cenſur aufrechterhalten werden<lb/> ſoll. Das wäre ja wieder eine Beeinträchtigung der Dichter und eine<lb/> Bevormundung des Geiſtes. Ich glaube daß die Sache auf einem<lb/> Mißverſtändniß beruhe, da das kaiſerliche Manifeſt die Aufhebung<lb/> der Cenſur ohne Rückhalt enthält. Der treffliche <hi rendition="#g">Bauernfeld,</hi> der<lb/> in den Tagen da es noch mit Gefahr verknüpft war ein freieres<lb/> Wort zu äußern, dieß mit Muth und Kraft that und den Sieg in den<lb/> letzten Tagen mit erringen half, iſt in Folge der Anſtrengung und<lb/> der innern Aufregung bedeutend erkrankt. Er liegt an einer Hirn-<lb/> entzündung darnieder. Die Entfernung des Fürſten v. Windiſchgrätz,<lb/> der Wien in Belagerungsſtand erklärte, beruhte auf einem Irrthum.<lb/> Derſelbe iſt noch immer Commandirender. Fürſt Karl Liechtenſtein<lb/> hatte den Poſten eines Stadtcommandanten von Wien abgelehnt, da<lb/> er an den Augen leidet. Erſt geſtern wurde durch einen Tagsbefehl<lb/> des Chefs der Nationalgarde bekannt gemacht daß Graf Sardagna<lb/> Stadtcommandant ſey. Die Bürger wollen darum bitten daß der Fürſt<lb/> v. Windiſchgrätz nicht länger die Macht behalte ſie unter das Martial-<lb/> geſetz zu ſtellen.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="5"> <dateline><hi rendition="#b">* Trieſt,,</hi> 18 März.</dateline> <p>Soeben komme ich von der Piazza grande,<lb/> wo der Altgraf Salm im Beiſeyn einer unzähligen Menge vom Balcon<lb/> des Rathhauſes die Conſtitution verkündete. Erlaſſen Sie mir eine<lb/> Beſchreibung des Jubels mit welchem ſie aufgenommen wurde; Worte<lb/> können dieſen doch nicht ſchildern. Die Nationalgarde iſt ſeit geſtern<lb/> in Wirkſamkeit. Der geſtrige Tag, an welchem den niedern Schichten<lb/> der Bevölkerung ganz freies Spiel gelaſſen wurde, iſt glücklich vorüber-<lb/> gegangen; nicht die geringſte Störung kam vor, obgleich unſere Facchini,<lb/> Matroſen u. ſ. w. ſich recht gütlich thaten und den Wein nicht ſparen.<lb/> Heute früh las man allenthalben <hi rendition="#aq">oggi si lavora,</hi> und alles kehrte zu<lb/> ſeiner Arbeit zurück; jetzt liest man aber wieder <hi rendition="#aq">domani è festa,</hi> und<lb/> der Jubel von geſtern wird aufs neue losgehen. Geſtern im Theater<lb/> erſchienen alle mit den Nationalfarben feſtlich geſchmückt. Nach der<lb/> mit dem größten Enthuſtasmus applaudirten Nationalhymne wurde ein<lb/> ſtürmiſches Lebehoch dem Kaiſer, dem Erzherzog Johann, dem Vater-<lb/> land, der Conſtitution, der Nationalgarde, den Wienern, Deutſchland,<lb/> Italien, dem lombardiſch-venetianiſchen Königreich, Pius <hi rendition="#aq">IX</hi> u. ſ. w.<lb/> gebracht. 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Das Volk und die Bour-<lb/> geoiſte ſtehen in abgeſonderten feindlichen Lagern; die Regierung wird<lb/> bald in der Lage eines gehorſamen Dieners einer Ochlokratie ſeyn.<lb/> Nachdem die Maſſen geſtern ihren ſouveränen Willen der Regierung<lb/> beinahe aufgedrungen hatten, durchzogen ſie Abends unter Abſingung<lb/> alter und neuer revolutionärer Lieder die ganze Stadt und zwangen<lb/> die Einwohner die Fenſter zu beleuchten. In der That war um 10 Uhr<lb/> ganz Paris glänzend beleuchtet und bot einen reizenden Anblick dar.<lb/> Am Tage zogen ſie unter dem Rufe: „Nieder mit den Geldariſtokraten!“<lb/> „Nieder mit den Carliſten!“ „Hoch Ledru-Rollin!“ Als der Zug auf<lb/> dem Kai beim Pont du Change angekommen war, ſchrie ein alter wohl-<lb/> gekleideter Mann — der nach der Perſonalbeſchreibung Hr. v. Couy,<lb/> der unzertrennliche Begleiter der Herzogin v. 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Tags vorher wurden mehrere Arbeiter verhaftet<lb/> die im Quartier St. Denis „es lebe Heinrich <hi rendition="#aq">V</hi>!“ geſchrien hatten.<lb/> Dieſelben ſollen in ihrem Verhör ausgeſagt haben daß ſie 2 Fr. des<lb/> Tags für längere Zeit zugeſichert und überdieß das Verſprechen einer<lb/><cb/> höheren Belohnung erhielten, wenn ſie eine beträchtliche Anzahl ihrer<lb/> Cameraden zu dieſem Rufe bewegen könnten. Zwiſchen dem Finanz-<lb/> miniſter und dem Miniſter des Innern ſoll es zu einem ſehr heftigen<lb/> und bittern Wortwechſel gekommen ſeyn über einen Gegenſtand ſehr zar-<lb/> ter Natur. Letzterer, heißt es, wäre in Verlegenheit geweſen über die<lb/> für ſein Departement zur Verfügung geſtellten Summen genaue Rechen-<lb/> ſchaft zu geben. Ich theile Ihnen dieſes ziemlich <hi rendition="#g">ſtadtkundige</hi> Ge-<lb/> rücht mit, ohne die Verantwortlichkeit dafür zu übernehmen. Leicht<lb/> möglich daß es das Werk der Verleumdung iſt, da Ledru-Rollin ſeit der<lb/> letzten Zeit des allgemeinen Haſſes der höhern und mittlern Claſſen ſich<lb/> erfreut. Als Beitrag zur neueſten Revolutionsgeſchichte und ihrer Juſtiz<lb/> kann ich Ihnen Nachſtehendes aus <hi rendition="#g">authentiſcher</hi> Quelle berichten.<lb/> Zu den unbedingteſten Anhängern der republicaniſchen Partei gehörte<lb/> ein Journaliſt Namens de la Haude, Mitarbeiter an der „Réforme,“ für<lb/> die er ſowohl politiſche als litterariſche Aufſätze ſchrieb. Er war in alle<lb/> Geheimniſſe der Partei eingeweiht, und nichts fand man natürlicher als<lb/> daß er nach dem Siege an den Tiſch des Herrn ſich ſetzte und ſeinen An-<lb/> theil verlangte. Bereits war man im Begriff ihn für ſeine Verdienſte<lb/> zu belohnen, als Hr. Cauſſidière (der jetzt definitiv zum Polizeiprä-<lb/> fecten ernannt iſt) auf der Polizeipräfectur Documente mit der Unter-<lb/> ſchrift ſeines Freundes de la Haude vorfand, aus welchen hervor-<lb/> ging daß derſelbe ein Spion der gefallenen Regierung war. Man<lb/> ließ nun den guten Mann kommen, übergab ihm eine geladene Piſtole<lb/> und erſuchte ihn in einem Briefe die Gründe ſeines Selbſtmordes der<lb/> Welt anzuvertrauen. De la Haude fand wenig Geſchmack an dieſem<lb/> Rath und weigerte ſich von der gut geladenen Piſtole Gebrauch zu ma-<lb/> chen. Man ſperrte ihn nun in ein finſteres Zimmer der Präfectur ein,<lb/> wo er mit Brod und Waſſer ſeit drei Tagen reichlich verſehen und im-<lb/> mer in Geſellſchaft der beſagten Piſtole ſitzt. Wie lange er hier ſitzen<lb/> wird weiß ich nicht. (Nach andern Berichten iſt er durch ein Fenſter<lb/> entflohen.)</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline>= <hi rendition="#b">Paris,</hi> 18 März.</dateline> <p>Die geſtrige Entfaltung der Volksmeinung<lb/> hat einen rieſenmäßigen Charakter angenommen. Am 24 Febr. ward<lb/> die Republik ausgerufen, am Tag der Leichenfeier geweiht, geſtern aber<lb/> ward ſie eingefleiſcht in Mark und Blut. Nichts gleicht dem Enthuſtas-<lb/> mus, der zuſammenwirkenden Kraft mit welcher die Bevölkerung die<lb/> vor dem Stadthauſe verſammelt war, durch ihren Ruf: „es lebe die<lb/> Republik!“ „Es lebe die proviſoriſche Regierung!“ „Es lebe Ledru-Rol-<lb/> lin!“ die Luft erſchütterte. Nachdem der Zug, deſſen Vorüberwande-<lb/> rung zwei Stunden dauerte, ſich nach dem Baſtillenplatz begeben, wälzte<lb/> er ſich über die Boulevards herab, ſtets in der nämlichen Ordnung und<lb/> mit militäriſcher Disciplin auftretend. Bei der Börſe angelangt um-<lb/> zogen ſie das Gebäude, brachten der Republik, dem Miniſter des In-<lb/> nern Ledru-Rollin ein Lebehoch, und den Börſenmännern die ſie als<lb/> die Ruheſtörer von vorgeſtern und als Verleumder bezeichneten, einige<lb/> weniger angenehm tönende Zurufe ihrer Geſinnung. Ihre letzten Aeu-<lb/> ßerungen und Verwahrungen richteten ſie in drei verſchiedenen Haufen<lb/> und in ausdrucksvollen Worten an den Miniſter des Innern in ſeiner<lb/> Wohnung, der ihnen antwortete. Der Charakter dieſes Tages iſt nun<lb/> dieſer: Ein Theil der Nationalgarde hatte die Maßregeln der proviſori-<lb/> ſchen Regierung und des Miniſters des Innern in einer Vorſtellung an-<lb/> gegriffen; das Volk, vereint mit andern Theilen der Nationalgarde, in<lb/> einer Geſammtzahl die an 1 bis 200,000 Mann geſchätzt wird, wollte<lb/> der proviſoriſchen Regierung im allgemeinen und dem Miniſter des In-<lb/> nern insbeſondere ſeine Anhänglichkeit und das innige Band der Ein-<lb/> tracht und Ergebenheit zwiſchen ihnen bewähren. Der Beweis war<lb/> ſchlagend, und wird dem widerſtrebenden Theil der Nationalgarde im Ge-<lb/> dächtniß bleiben. Nächſtens wird ein Feſt zur Feier der Verbrüderung<lb/> des Volkes, der Nationalgarde und der Armee veranſtaltet, wahrſchein-<lb/> lich in größtem Umfange. Paris war geſtern Abend glänzend erleuch-<lb/> tet, das Volk hatte es ſo gewünſcht; die Boulevards ſahen aus wie am<lb/> 25 Febr., nur die Flinten und die Barricaden fehlten.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline><hi rendition="#b">** Paris,</hi> 18 März.</dateline> <p>Während die engliſche Preſſe allerlei<lb/> Vermuthungen über die Urſache der plötzlichen Abreiſe des Herzogs und<lb/> der Herzogin v. Montpenſter aus London anſtellt, langte geſtern bei<lb/> der proviſoriſchen Regierung ein Geſuch des Herzogs v. Montpenſter an<lb/> um die Rückgabe der in den Tuilerien vorgefundenen Garderobe ſeiner<lb/> Gemahlin zu erwirken. Die Eile mit welcher die königliche Familie am<lb/> 24 Febr. Paris verließ, erlaubte der Herzogin v. Montpenſier keine an-<lb/> dere Wäſche und Kleider mitzunehmen als was ſie am Leibe hatte. Der<lb/> Herzog und die Herzogin v. Montpenſter, welche vor ein paar Tagen in<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [0018]
ben die andern Theater ſchon wieder Vorſtellungen. Aufſallend iſt
es daß in dieſem Bereiche noch die Cenſur aufrechterhalten werden
ſoll. Das wäre ja wieder eine Beeinträchtigung der Dichter und eine
Bevormundung des Geiſtes. Ich glaube daß die Sache auf einem
Mißverſtändniß beruhe, da das kaiſerliche Manifeſt die Aufhebung
der Cenſur ohne Rückhalt enthält. Der treffliche Bauernfeld, der
in den Tagen da es noch mit Gefahr verknüpft war ein freieres
Wort zu äußern, dieß mit Muth und Kraft that und den Sieg in den
letzten Tagen mit erringen half, iſt in Folge der Anſtrengung und
der innern Aufregung bedeutend erkrankt. Er liegt an einer Hirn-
entzündung darnieder. Die Entfernung des Fürſten v. Windiſchgrätz,
der Wien in Belagerungsſtand erklärte, beruhte auf einem Irrthum.
Derſelbe iſt noch immer Commandirender. Fürſt Karl Liechtenſtein
hatte den Poſten eines Stadtcommandanten von Wien abgelehnt, da
er an den Augen leidet. Erſt geſtern wurde durch einen Tagsbefehl
des Chefs der Nationalgarde bekannt gemacht daß Graf Sardagna
Stadtcommandant ſey. Die Bürger wollen darum bitten daß der Fürſt
v. Windiſchgrätz nicht länger die Macht behalte ſie unter das Martial-
geſetz zu ſtellen.
* Trieſt,, 18 März.Soeben komme ich von der Piazza grande,
wo der Altgraf Salm im Beiſeyn einer unzähligen Menge vom Balcon
des Rathhauſes die Conſtitution verkündete. Erlaſſen Sie mir eine
Beſchreibung des Jubels mit welchem ſie aufgenommen wurde; Worte
können dieſen doch nicht ſchildern. Die Nationalgarde iſt ſeit geſtern
in Wirkſamkeit. Der geſtrige Tag, an welchem den niedern Schichten
der Bevölkerung ganz freies Spiel gelaſſen wurde, iſt glücklich vorüber-
gegangen; nicht die geringſte Störung kam vor, obgleich unſere Facchini,
Matroſen u. ſ. w. ſich recht gütlich thaten und den Wein nicht ſparen.
Heute früh las man allenthalben oggi si lavora, und alles kehrte zu
ſeiner Arbeit zurück; jetzt liest man aber wieder domani è festa, und
der Jubel von geſtern wird aufs neue losgehen. Geſtern im Theater
erſchienen alle mit den Nationalfarben feſtlich geſchmückt. Nach der
mit dem größten Enthuſtasmus applaudirten Nationalhymne wurde ein
ſtürmiſches Lebehoch dem Kaiſer, dem Erzherzog Johann, dem Vater-
land, der Conſtitution, der Nationalgarde, den Wienern, Deutſchland,
Italien, dem lombardiſch-venetianiſchen Königreich, Pius IX u. ſ. w.
gebracht. Die ſtürmiſch verlangte Inno Pio wurde geſungen. Wer
hätte dieß vor acht Tagen ſich träumen laſſen? Ich ſchließe, denn in die-
ſem Augenblick werde ich abgerufen um meine Waffe in Empfang zu
nehmen.
Frankreich.
# Paris, 18 März.Die Dinge nehmen hier eine düſtere, un-
heilverkündende Geſtalt an. Die finanzielle und commercielle Kriſe
ſchreitet mit gewaltigen Schritten vorwärts. Das Volk und die Bour-
geoiſte ſtehen in abgeſonderten feindlichen Lagern; die Regierung wird
bald in der Lage eines gehorſamen Dieners einer Ochlokratie ſeyn.
Nachdem die Maſſen geſtern ihren ſouveränen Willen der Regierung
beinahe aufgedrungen hatten, durchzogen ſie Abends unter Abſingung
alter und neuer revolutionärer Lieder die ganze Stadt und zwangen
die Einwohner die Fenſter zu beleuchten. In der That war um 10 Uhr
ganz Paris glänzend beleuchtet und bot einen reizenden Anblick dar.
Am Tage zogen ſie unter dem Rufe: „Nieder mit den Geldariſtokraten!“
„Nieder mit den Carliſten!“ „Hoch Ledru-Rollin!“ Als der Zug auf
dem Kai beim Pont du Change angekommen war, ſchrie ein alter wohl-
gekleideter Mann — der nach der Perſonalbeſchreibung Hr. v. Couy,
der unzertrennliche Begleiter der Herzogin v. Berry auf ihren Irrfahrten
nach der Juliusrevolution geweſen zu ſeyn ſcheint — „es lebe Heinrich V!“
Sofort ſtürzten mehrere Blouſenmänner über ihn her und wollten ihn
dem allgemeinen Rufe: „ins Waſſer mit ihm!“ entſprechend nach der
Seine ſchleppen, als einige beſonnenere Handwerker gegen dieſes ſum-
mariſche Verfahren Einſprache erhoben und der wüthenden Menge be-
greiflich machten man müſſe „den Verräther“ auf die Präfectur führen
damit die Behörden erfahren ob er Mitverſchworene habe. Dieſer Rath
fand Gehör, man holte einen Fiaker herbei und brachte den wahnſinni-
gen Carliſten auf die Polizeipräfectur. Sie wiſſen wahrſcheinlich ſchon
daß man vorgeſtern nach Mitternacht an der Porte St. Martin drei
weiße Fahnen aufgepflanzt fand, welche die patrouillirende National-
garde herunternahm. Tags vorher wurden mehrere Arbeiter verhaftet
die im Quartier St. Denis „es lebe Heinrich V!“ geſchrien hatten.
Dieſelben ſollen in ihrem Verhör ausgeſagt haben daß ſie 2 Fr. des
Tags für längere Zeit zugeſichert und überdieß das Verſprechen einer
höheren Belohnung erhielten, wenn ſie eine beträchtliche Anzahl ihrer
Cameraden zu dieſem Rufe bewegen könnten. Zwiſchen dem Finanz-
miniſter und dem Miniſter des Innern ſoll es zu einem ſehr heftigen
und bittern Wortwechſel gekommen ſeyn über einen Gegenſtand ſehr zar-
ter Natur. Letzterer, heißt es, wäre in Verlegenheit geweſen über die
für ſein Departement zur Verfügung geſtellten Summen genaue Rechen-
ſchaft zu geben. Ich theile Ihnen dieſes ziemlich ſtadtkundige Ge-
rücht mit, ohne die Verantwortlichkeit dafür zu übernehmen. Leicht
möglich daß es das Werk der Verleumdung iſt, da Ledru-Rollin ſeit der
letzten Zeit des allgemeinen Haſſes der höhern und mittlern Claſſen ſich
erfreut. Als Beitrag zur neueſten Revolutionsgeſchichte und ihrer Juſtiz
kann ich Ihnen Nachſtehendes aus authentiſcher Quelle berichten.
Zu den unbedingteſten Anhängern der republicaniſchen Partei gehörte
ein Journaliſt Namens de la Haude, Mitarbeiter an der „Réforme,“ für
die er ſowohl politiſche als litterariſche Aufſätze ſchrieb. Er war in alle
Geheimniſſe der Partei eingeweiht, und nichts fand man natürlicher als
daß er nach dem Siege an den Tiſch des Herrn ſich ſetzte und ſeinen An-
theil verlangte. Bereits war man im Begriff ihn für ſeine Verdienſte
zu belohnen, als Hr. Cauſſidière (der jetzt definitiv zum Polizeiprä-
fecten ernannt iſt) auf der Polizeipräfectur Documente mit der Unter-
ſchrift ſeines Freundes de la Haude vorfand, aus welchen hervor-
ging daß derſelbe ein Spion der gefallenen Regierung war. Man
ließ nun den guten Mann kommen, übergab ihm eine geladene Piſtole
und erſuchte ihn in einem Briefe die Gründe ſeines Selbſtmordes der
Welt anzuvertrauen. De la Haude fand wenig Geſchmack an dieſem
Rath und weigerte ſich von der gut geladenen Piſtole Gebrauch zu ma-
chen. Man ſperrte ihn nun in ein finſteres Zimmer der Präfectur ein,
wo er mit Brod und Waſſer ſeit drei Tagen reichlich verſehen und im-
mer in Geſellſchaft der beſagten Piſtole ſitzt. Wie lange er hier ſitzen
wird weiß ich nicht. (Nach andern Berichten iſt er durch ein Fenſter
entflohen.)
= Paris, 18 März.Die geſtrige Entfaltung der Volksmeinung
hat einen rieſenmäßigen Charakter angenommen. Am 24 Febr. ward
die Republik ausgerufen, am Tag der Leichenfeier geweiht, geſtern aber
ward ſie eingefleiſcht in Mark und Blut. Nichts gleicht dem Enthuſtas-
mus, der zuſammenwirkenden Kraft mit welcher die Bevölkerung die
vor dem Stadthauſe verſammelt war, durch ihren Ruf: „es lebe die
Republik!“ „Es lebe die proviſoriſche Regierung!“ „Es lebe Ledru-Rol-
lin!“ die Luft erſchütterte. Nachdem der Zug, deſſen Vorüberwande-
rung zwei Stunden dauerte, ſich nach dem Baſtillenplatz begeben, wälzte
er ſich über die Boulevards herab, ſtets in der nämlichen Ordnung und
mit militäriſcher Disciplin auftretend. Bei der Börſe angelangt um-
zogen ſie das Gebäude, brachten der Republik, dem Miniſter des In-
nern Ledru-Rollin ein Lebehoch, und den Börſenmännern die ſie als
die Ruheſtörer von vorgeſtern und als Verleumder bezeichneten, einige
weniger angenehm tönende Zurufe ihrer Geſinnung. Ihre letzten Aeu-
ßerungen und Verwahrungen richteten ſie in drei verſchiedenen Haufen
und in ausdrucksvollen Worten an den Miniſter des Innern in ſeiner
Wohnung, der ihnen antwortete. Der Charakter dieſes Tages iſt nun
dieſer: Ein Theil der Nationalgarde hatte die Maßregeln der proviſori-
ſchen Regierung und des Miniſters des Innern in einer Vorſtellung an-
gegriffen; das Volk, vereint mit andern Theilen der Nationalgarde, in
einer Geſammtzahl die an 1 bis 200,000 Mann geſchätzt wird, wollte
der proviſoriſchen Regierung im allgemeinen und dem Miniſter des In-
nern insbeſondere ſeine Anhänglichkeit und das innige Band der Ein-
tracht und Ergebenheit zwiſchen ihnen bewähren. Der Beweis war
ſchlagend, und wird dem widerſtrebenden Theil der Nationalgarde im Ge-
dächtniß bleiben. Nächſtens wird ein Feſt zur Feier der Verbrüderung
des Volkes, der Nationalgarde und der Armee veranſtaltet, wahrſchein-
lich in größtem Umfange. Paris war geſtern Abend glänzend erleuch-
tet, das Volk hatte es ſo gewünſcht; die Boulevards ſahen aus wie am
25 Febr., nur die Flinten und die Barricaden fehlten.
** Paris, 18 März.Während die engliſche Preſſe allerlei
Vermuthungen über die Urſache der plötzlichen Abreiſe des Herzogs und
der Herzogin v. Montpenſter aus London anſtellt, langte geſtern bei
der proviſoriſchen Regierung ein Geſuch des Herzogs v. Montpenſter an
um die Rückgabe der in den Tuilerien vorgefundenen Garderobe ſeiner
Gemahlin zu erwirken. Die Eile mit welcher die königliche Familie am
24 Febr. Paris verließ, erlaubte der Herzogin v. Montpenſier keine an-
dere Wäſche und Kleider mitzunehmen als was ſie am Leibe hatte. Der
Herzog und die Herzogin v. Montpenſter, welche vor ein paar Tagen in
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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