Allgemeine Zeitung, Nr. 81, 21. März 1848.Nr. 81. [Spaltenumbruch]
Beilage zur Allgemeinen Zeitung. [Spaltenumbruch]
21 März 1848.[Spaltenumbruch]
Der Fürstentag und Deutschlands Zukunft. * Von der Elbe, 16 März.Die vorgestrigen Vorgänge in Indeß der königliche Gedanke in den gestrigen Erlassen ist klar, "Nicht taugt Vielherrschaft! Drum sey nur Einer der Herrscher, Deutschland war ursprünglich ein einheitliches Reich. Die in Einem Sind denn nun Staaten wie Waldeck, wie Hamburg, wie Nassau, *)
Nr. 81. [Spaltenumbruch]
Beilage zur Allgemeinen Zeitung. [Spaltenumbruch]
21 März 1848.[Spaltenumbruch]
Der Fürſtentag und Deutſchlands Zukunft. * Von der Elbe, 16 März.Die vorgeſtrigen Vorgänge in Indeß der königliche Gedanke in den geſtrigen Erlaſſen iſt klar, „Nicht taugt Vielherrſchaft! Drum ſey nur Einer der Herrſcher, Deutſchland war urſprünglich ein einheitliches Reich. Die in Einem Sind denn nun Staaten wie Waldeck, wie Hamburg, wie Naſſau, *)
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Alſo mit einer möglichen Ausnahme von einem<lb/> längſt verhaßten Ausnahmegeſetz glaubt man die Völker noch ködern zu<lb/> können, und ſteht nicht ein daß ein ſo ſchwaches Zugeſtändniß jetzt zu<lb/><hi rendition="#g">ſpät</hi> kommt? Indeß ſelbſt Preſſe und Cenſur treten in den Hinter-<lb/> grund bei den jüngſten Eröffnungen. Der Vereinigte Landtag iſt auf<lb/> den 27 April einberufen worden. Dieß iſt wieder zu ſpät, <hi rendition="#g">viel zu<lb/> ſpät</hi>; denn die bayeriſchen Kammern treten heute zuſammen, die badi-<lb/> ſchen und heſſiſchen ſind bereits in Berathung, Württemberg, Naſſau,<lb/> die kleineren Staaten werden nicht ſäumen. Die Zeit ſchreitet ſchnell;<lb/> was ſoll denn, großer Gott! eine Zuſammenkunft des preußiſchen Land-<lb/> tages <hi rendition="#aq">post festum</hi>, wenn alles vorbei ſeyn, wenn das Schickſal Deutſch-<lb/> lands längſt entſchieden ſeyn wird? Auch hört man daß unſere Abge-<lb/> ordneten die Abſicht haben ſich baldigſt ungerufen in Berlin einzufinden,<lb/> in der ſichern Vorausſicht daß die Regierung vielleicht in wenigen Tagen<lb/> zu der Erkenntniß kommen wird daß ſie nicht länger zögern darf, daß<lb/> ſie den Landtag noch vor Ablauf dieſes Monats um ſich verſammeln<lb/> muß, um ſich ſtatt der alten und abgeſtandenen Bureaukraten durch ge-<lb/> ſunde und volksmäßige Elemente zu verſtärken; ſonſt iſt es zu ſpät, und<lb/> ſie verliert die Rheinlande, verliert vielleicht ſelbſt Weſtfalen und Sach-<lb/> ſen. Und hierbei haben wir bloß die Dringlichkeit vor Augen die in den<lb/> innern Verhältniſſen Deutſchlands liegt. Aber hat man denn in Berlin<lb/> die Gefahr bereits vergeſſen die von Frankreich droht? Läßt man ſich<lb/> täuſchen durch den ephemeren Schein von Ruhe und Ordnung in Paris?<lb/> Ledru-Rollin, Louis Blanc und Conſorten haben noch kaum vierzehn<lb/> Tage regiert, und Dank ihren phantaſtiſchen Verſprechungen: die Ar-<lb/> beiter und Blouſenmänner mit gebratenen Tauben zu ernähren, ſcheinen<lb/> ſie bereits am Rand ihrer Geldmittel angelangt zu ſeyn; ſie betteln um<lb/> Vorausbezahlung der Abgaben, und verſetzen oder verkeilen unterdeſſen<lb/> ihren letzten Nothpfennig, die Krondiamanten und das Kronſilber.<lb/> Wenn das ſo fortgeht, ſo wird ihnen in weiteren vierzehn Tagen bis<lb/> drei Wochen nichts übrig bleiben als ihre unerſättlichen Schaaren auf<lb/> Belgien und an den Rhein zu werfen, um ſich dort Brod zu ſuchen.<lb/> Was ſoll dann der Vereinigte Landtag <hi rendition="#aq">post festum?</hi> fragen wir<lb/> nochmals.</p><lb/> <p>Indeß der königliche Gedanke in den geſtrigen Erlaſſen iſt klar,<lb/> und das iſt es eben was die Gemüther am meiſten beunruhigt. <hi rendition="#g">In<lb/> den jetzigen Zeiten gilt es die Wahrheit zu ſagen, ſelbſt<lb/> mit perſönlicher Gefahr</hi>; und dieß will ich verſuchen, wenn Sie<lb/> mir Raum dazu gönnen. Man hofft in Berlin <hi rendition="#g">Zeit zu gewinnen<lb/> und alle Zugeſtändniſſe zu umgehen</hi>; deßhalb beruft man die<lb/> Stände ſo ſpät, und ſetzt mittlerweile einen Fürſtentag nach Dresden an.<lb/> Kann es eine unpolitiſchere Idee, eine unpraktiſchere Maßregel geben?<lb/> Alſo in Pilnitz hofft man den Geiſt der Zeit wieder zu bannen? Dieß-<lb/> mal iſt die Tagſatzung der Bundesgeſandten weiſer geweſen als ihre<lb/> Häupter: ſie verlangt dringend <hi rendition="#g">Männer des Vertrauens der Völ-<lb/> ker</hi>; Friedrich Wilhelm gedenkt mit dem Großherzog von Weimar, mit<lb/> dem Kurfürſten von Heſſen, mit den Herzogen von Bernburg und Deſſau,<lb/> mit Heinrich Reuß, der ſeit dreißig Jahren auf demſelben Princip zu<lb/> reiten ſich rühmt, das Vaterland zu erretten. Dieß iſt wie das Mini-<lb/> ſterium Molé am 23 Februar: ein todtgebornes Kind. Was könnte<lb/> ein deutſcher Fürſtentag, wenn er wirklich zuſammenkäme, bezwecken<lb/> wollen? Etwa durch neue Karlsbader Beſchlüſſe die <hi rendition="#g">alte Ordnung</hi><lb/> aufrechtzuerhalten, die eben das ganze Volk vom Rhein und von den<lb/> Alpen bis Danzig und Königsberg, der Bundestag ſelbſt voran, aus<lb/> Einem Mund als eine verderbliche Unordnung bezeichnet! Jeder Fürſt<lb/><hi rendition="#g">bleibe zu Hauſe</hi>, laſſe den <hi rendition="#g">Bundestag</hi> und das <hi rendition="#g">deutſche Parla-<lb/> ment</hi> walten und füge ſich in die unabweislichen Forderungen der Zeit;<lb/> auf ſolchem Wege werden ſie mehr retten als durch einen <hi rendition="#g">Congreß</hi> in<lb/> Dresden, der nicht umhin kann von Anfang an Mißtrauen und Arg-<lb/><cb/> wohn zu erwecken, da das deutſche Volk die Früchte anderer Congreſſe<lb/> noch friſch in der Erinnerung trägt. Selbſt der Name eines Congreſſes<lb/> iſt verhaßt. Oder iſt — denn die Billigkeit verlangt auch dieß voraus-<lb/> zuſetzen — der Geiſt der Zeit wirklich in die Fürſten gedrungen, ver-<lb/> ſtehen ſie ſeine Forderungen und ſind ſie gewilligt ihnen nachzugeben?<lb/> Jhr Blatt iſt ſeit einem halben Jahrhundert das verbreitetſte in Deutſch-<lb/> land; es geziemt ihm auf einem ſolchen Wendepunkte der Weltgeſchichte<lb/> ſich zum Organ dieſer Forderungen zu machen. Deutſchland <hi rendition="#g">will<lb/> keine Republik</hi>, es will die <hi rendition="#g">conſtitutionelle Monarchie</hi>, aber<lb/> eine wirkliche <hi rendition="#g">einheitliche</hi> Monarchie:</p><lb/> <cit> <quote>„Nicht taugt Vielherrſchaft! Drum ſey nur Einer der Herrſcher,<lb/> Einer der König!“<note place="foot" n="*)"/></quote> </cit><lb/> <p>Deutſchland war urſprünglich ein einheitliches Reich. Die in Einem<lb/> Punkte geſammelte Macht und Hoheit einer Nation, der Brennpunkt<lb/> der nationalen Thätigkeit und Würde iſt das was die Römer bei ſich die<lb/><hi rendition="#aq">majestas populi Romani</hi> nannten. Nationale Einheit und Souverä-<lb/> netät: das iſt der Inbegriff der Majeſtät eines Volkes. Als Rom in<lb/> eine Monarchie überging, ruhte die <hi rendition="#aq">majestas</hi> auf ſeinen Kaiſern. Auch<lb/> im deutſchen Reiche war der Kaiſer der Träger der deutſchen Majeſtät.<lb/> Aber was iſt aus der <hi rendition="#aq">majestas nominis Germanici</hi> geworden? Seit<lb/> früher Zeit begannen die großen Reichsbarone, der Fürſtenadel, wäh-<lb/> rend ſie in Frankreich und England vor der einheitlichen Majeſtät nach<lb/> und nach ſich beugten und auf den Bänken der Pairie oder des Ober-<lb/> hauſes Platz nahmen, in Deutſchland von der einheitlichen Souveränetät<lb/> der Nation, die der Kaiſer darſtellte, ein Stück nach dem andern abzu-<lb/> reißen, indem ſie die Erblichkeit ihrer Lehen und ihrer Reichsämter<lb/> uſurpirten; und endlich nahmen ſie gar (1806) das Geſchenk der vollen<lb/> Souveränetät aus fremder, aus Feindeshand. So iſt die deutſche Ma-<lb/> jeſtät zertrümmert worden; ihre Trümmer ruhen jetzt auf dreiunddreißig<lb/> Fürſten und vier Bürgermeiſtern. Deutſchland — man täuſche ſich nicht<lb/> darüber — iſt nicht mehr ein monarchiſches Land, wie man es wohl zu<lb/> nennen pflegt; es iſt eine oligarchiſche Republik von ſiebenunddreißig<lb/> Machthabern, welche, falls die Geſchichte die Wahrheit reden darf, ihre<lb/> Macht durch Uſurpation erworben haben, wenn der Anfang dieſer Uſur-<lb/> pation auch von ſehr altem Datum iſt und ſich in die Formen des Rech-<lb/> tes birgt. Die Zahl der Familien zu deren Gunſten ſich die Dinge in<lb/> Deutſchland ſo geſtaltet haben, beträgt nicht viel über ein Duzend:<lb/> Habsburg, Hohenzollern, Wittelsbach, Oldenburg, Wettin, die Welfen,<lb/> Naſſau, Heſſen, Württemberg und ein halbes Duzend kleinere. Alles<lb/> dieß <hi rendition="#aq">sine ira et studio;</hi> es gilt hier nicht Haß auszuſtreuen, ſondern<lb/> ſich über eine unnatürliche und deßhalb unhaltbare Sachlage zu ver-<lb/> ſtändigen.</p><lb/> <p>Sind denn nun Staaten wie Waldeck, wie Hamburg, wie Naſſau,<lb/> wie Hannover groß und mächtig genug um in den Conflicten der euro-<lb/> päiſchen Intereſſen eine wahre Souveränetät zu tragen und zu behaup-<lb/> ten, um ihren Bürgern das erhebende Gefühl einer kräftigen und ge-<lb/> ſicherten Nationalität zu gewähren? Kann man in baarem Ernſte von<lb/> einer <hi rendition="#aq">majestas populi Hanoverani,</hi> von einer kurfürſtlich heſſiſchen<lb/> Nationalcocarde ſprechen wollen? Nein, wahrlich nicht! Beides nicht<lb/> einmal bei Preußen. Beweis dafür: ſelbſt Preußen, das größte deut-<lb/> ſche Territorium, hat geſucht ſich durch den Zollverein zu ergänzen, um<lb/> ſich der dunkel empfundenen Aufgabe eines nationalen Staates zu<lb/> nähern. Dieß iſt die Sachlage in Deutſchland, ſie läßt ſich nicht ab-<lb/> läugnen. Darum wünſcht und verlangt das deutſche Volk ſeine zerſplit-<lb/> terte Majeſtät wieder vereinigt und in ihrem alten Glanze hergeſtellt zu<lb/> ſehen; es fordert die Aufhör der Patrimonialſtaaten, um wieder eine<lb/> nationale Einheit zu bilden; es will die gegenwärtige Fürſtenrepublik,<lb/> die man nicht übel mit dem alten Mamelukenſtaat in Aegypten ver-<lb/> glichen hat, in ein Einiges ſouveränes König- (Kaiſer-) thum zurück-<lb/> verwandeln: weil es nur unter dieſer Form die ihm von der Geſchichte<lb/> geſtellte Aufgabe, das mächtigſte Culturvolk Europa’s zu ſeyn, zu er-<lb/> füllen vermag. Was ſteht dieſem entgegen? Nicht die Perſonen der<lb/> Fürſten, wohl aber ihre vermeinten dynaſtiſchen Intereſſen. Allein man<lb/> iſt es gewohnt in ſchweren Gefahren des Vaterlandes Hunderte und<lb/> Tauſende von Bürgern aller Stände ſich ſelbſt und ihre Exiſtenz zum<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [0009]
Nr. 81.
Beilage zur Allgemeinen Zeitung.
21 März 1848.
Der Fürſtentag und Deutſchlands Zukunft.
* Von der Elbe, 16 März.
Die vorgeſtrigen Vorgänge in
Berlin und die geſtrigen Bekanntmachungen die Ihnen beim Empfang
dieſer Zeilen längſt zugekommen ſeyn werden, haben in Berlin ſelbſt,
in Magdeburg, Halle und Leipzig das ungeheuerſte Aufſehen erregt —
und doch niemanden befriedigt, ſo wenig wie die frühere Cabinetsordre,
in welcher mit einem höchſt charakteriſtiſchen Sophismus, ſtatt von voller
Preßfreiheit, immer nur von einer vielleicht zu gewährenden Cenſur-
freiheit die Rede war. Alſo mit einer möglichen Ausnahme von einem
längſt verhaßten Ausnahmegeſetz glaubt man die Völker noch ködern zu
können, und ſteht nicht ein daß ein ſo ſchwaches Zugeſtändniß jetzt zu
ſpät kommt? Indeß ſelbſt Preſſe und Cenſur treten in den Hinter-
grund bei den jüngſten Eröffnungen. Der Vereinigte Landtag iſt auf
den 27 April einberufen worden. Dieß iſt wieder zu ſpät, viel zu
ſpät; denn die bayeriſchen Kammern treten heute zuſammen, die badi-
ſchen und heſſiſchen ſind bereits in Berathung, Württemberg, Naſſau,
die kleineren Staaten werden nicht ſäumen. Die Zeit ſchreitet ſchnell;
was ſoll denn, großer Gott! eine Zuſammenkunft des preußiſchen Land-
tages post festum, wenn alles vorbei ſeyn, wenn das Schickſal Deutſch-
lands längſt entſchieden ſeyn wird? Auch hört man daß unſere Abge-
ordneten die Abſicht haben ſich baldigſt ungerufen in Berlin einzufinden,
in der ſichern Vorausſicht daß die Regierung vielleicht in wenigen Tagen
zu der Erkenntniß kommen wird daß ſie nicht länger zögern darf, daß
ſie den Landtag noch vor Ablauf dieſes Monats um ſich verſammeln
muß, um ſich ſtatt der alten und abgeſtandenen Bureaukraten durch ge-
ſunde und volksmäßige Elemente zu verſtärken; ſonſt iſt es zu ſpät, und
ſie verliert die Rheinlande, verliert vielleicht ſelbſt Weſtfalen und Sach-
ſen. Und hierbei haben wir bloß die Dringlichkeit vor Augen die in den
innern Verhältniſſen Deutſchlands liegt. Aber hat man denn in Berlin
die Gefahr bereits vergeſſen die von Frankreich droht? Läßt man ſich
täuſchen durch den ephemeren Schein von Ruhe und Ordnung in Paris?
Ledru-Rollin, Louis Blanc und Conſorten haben noch kaum vierzehn
Tage regiert, und Dank ihren phantaſtiſchen Verſprechungen: die Ar-
beiter und Blouſenmänner mit gebratenen Tauben zu ernähren, ſcheinen
ſie bereits am Rand ihrer Geldmittel angelangt zu ſeyn; ſie betteln um
Vorausbezahlung der Abgaben, und verſetzen oder verkeilen unterdeſſen
ihren letzten Nothpfennig, die Krondiamanten und das Kronſilber.
Wenn das ſo fortgeht, ſo wird ihnen in weiteren vierzehn Tagen bis
drei Wochen nichts übrig bleiben als ihre unerſättlichen Schaaren auf
Belgien und an den Rhein zu werfen, um ſich dort Brod zu ſuchen.
Was ſoll dann der Vereinigte Landtag post festum? fragen wir
nochmals.
Indeß der königliche Gedanke in den geſtrigen Erlaſſen iſt klar,
und das iſt es eben was die Gemüther am meiſten beunruhigt. In
den jetzigen Zeiten gilt es die Wahrheit zu ſagen, ſelbſt
mit perſönlicher Gefahr; und dieß will ich verſuchen, wenn Sie
mir Raum dazu gönnen. Man hofft in Berlin Zeit zu gewinnen
und alle Zugeſtändniſſe zu umgehen; deßhalb beruft man die
Stände ſo ſpät, und ſetzt mittlerweile einen Fürſtentag nach Dresden an.
Kann es eine unpolitiſchere Idee, eine unpraktiſchere Maßregel geben?
Alſo in Pilnitz hofft man den Geiſt der Zeit wieder zu bannen? Dieß-
mal iſt die Tagſatzung der Bundesgeſandten weiſer geweſen als ihre
Häupter: ſie verlangt dringend Männer des Vertrauens der Völ-
ker; Friedrich Wilhelm gedenkt mit dem Großherzog von Weimar, mit
dem Kurfürſten von Heſſen, mit den Herzogen von Bernburg und Deſſau,
mit Heinrich Reuß, der ſeit dreißig Jahren auf demſelben Princip zu
reiten ſich rühmt, das Vaterland zu erretten. Dieß iſt wie das Mini-
ſterium Molé am 23 Februar: ein todtgebornes Kind. Was könnte
ein deutſcher Fürſtentag, wenn er wirklich zuſammenkäme, bezwecken
wollen? Etwa durch neue Karlsbader Beſchlüſſe die alte Ordnung
aufrechtzuerhalten, die eben das ganze Volk vom Rhein und von den
Alpen bis Danzig und Königsberg, der Bundestag ſelbſt voran, aus
Einem Mund als eine verderbliche Unordnung bezeichnet! Jeder Fürſt
bleibe zu Hauſe, laſſe den Bundestag und das deutſche Parla-
ment walten und füge ſich in die unabweislichen Forderungen der Zeit;
auf ſolchem Wege werden ſie mehr retten als durch einen Congreß in
Dresden, der nicht umhin kann von Anfang an Mißtrauen und Arg-
wohn zu erwecken, da das deutſche Volk die Früchte anderer Congreſſe
noch friſch in der Erinnerung trägt. Selbſt der Name eines Congreſſes
iſt verhaßt. Oder iſt — denn die Billigkeit verlangt auch dieß voraus-
zuſetzen — der Geiſt der Zeit wirklich in die Fürſten gedrungen, ver-
ſtehen ſie ſeine Forderungen und ſind ſie gewilligt ihnen nachzugeben?
Jhr Blatt iſt ſeit einem halben Jahrhundert das verbreitetſte in Deutſch-
land; es geziemt ihm auf einem ſolchen Wendepunkte der Weltgeſchichte
ſich zum Organ dieſer Forderungen zu machen. Deutſchland will
keine Republik, es will die conſtitutionelle Monarchie, aber
eine wirkliche einheitliche Monarchie:
„Nicht taugt Vielherrſchaft! Drum ſey nur Einer der Herrſcher,
Einer der König!“ *)
Deutſchland war urſprünglich ein einheitliches Reich. Die in Einem
Punkte geſammelte Macht und Hoheit einer Nation, der Brennpunkt
der nationalen Thätigkeit und Würde iſt das was die Römer bei ſich die
majestas populi Romani nannten. Nationale Einheit und Souverä-
netät: das iſt der Inbegriff der Majeſtät eines Volkes. Als Rom in
eine Monarchie überging, ruhte die majestas auf ſeinen Kaiſern. Auch
im deutſchen Reiche war der Kaiſer der Träger der deutſchen Majeſtät.
Aber was iſt aus der majestas nominis Germanici geworden? Seit
früher Zeit begannen die großen Reichsbarone, der Fürſtenadel, wäh-
rend ſie in Frankreich und England vor der einheitlichen Majeſtät nach
und nach ſich beugten und auf den Bänken der Pairie oder des Ober-
hauſes Platz nahmen, in Deutſchland von der einheitlichen Souveränetät
der Nation, die der Kaiſer darſtellte, ein Stück nach dem andern abzu-
reißen, indem ſie die Erblichkeit ihrer Lehen und ihrer Reichsämter
uſurpirten; und endlich nahmen ſie gar (1806) das Geſchenk der vollen
Souveränetät aus fremder, aus Feindeshand. So iſt die deutſche Ma-
jeſtät zertrümmert worden; ihre Trümmer ruhen jetzt auf dreiunddreißig
Fürſten und vier Bürgermeiſtern. Deutſchland — man täuſche ſich nicht
darüber — iſt nicht mehr ein monarchiſches Land, wie man es wohl zu
nennen pflegt; es iſt eine oligarchiſche Republik von ſiebenunddreißig
Machthabern, welche, falls die Geſchichte die Wahrheit reden darf, ihre
Macht durch Uſurpation erworben haben, wenn der Anfang dieſer Uſur-
pation auch von ſehr altem Datum iſt und ſich in die Formen des Rech-
tes birgt. Die Zahl der Familien zu deren Gunſten ſich die Dinge in
Deutſchland ſo geſtaltet haben, beträgt nicht viel über ein Duzend:
Habsburg, Hohenzollern, Wittelsbach, Oldenburg, Wettin, die Welfen,
Naſſau, Heſſen, Württemberg und ein halbes Duzend kleinere. Alles
dieß sine ira et studio; es gilt hier nicht Haß auszuſtreuen, ſondern
ſich über eine unnatürliche und deßhalb unhaltbare Sachlage zu ver-
ſtändigen.
Sind denn nun Staaten wie Waldeck, wie Hamburg, wie Naſſau,
wie Hannover groß und mächtig genug um in den Conflicten der euro-
päiſchen Intereſſen eine wahre Souveränetät zu tragen und zu behaup-
ten, um ihren Bürgern das erhebende Gefühl einer kräftigen und ge-
ſicherten Nationalität zu gewähren? Kann man in baarem Ernſte von
einer majestas populi Hanoverani, von einer kurfürſtlich heſſiſchen
Nationalcocarde ſprechen wollen? Nein, wahrlich nicht! Beides nicht
einmal bei Preußen. Beweis dafür: ſelbſt Preußen, das größte deut-
ſche Territorium, hat geſucht ſich durch den Zollverein zu ergänzen, um
ſich der dunkel empfundenen Aufgabe eines nationalen Staates zu
nähern. Dieß iſt die Sachlage in Deutſchland, ſie läßt ſich nicht ab-
läugnen. Darum wünſcht und verlangt das deutſche Volk ſeine zerſplit-
terte Majeſtät wieder vereinigt und in ihrem alten Glanze hergeſtellt zu
ſehen; es fordert die Aufhör der Patrimonialſtaaten, um wieder eine
nationale Einheit zu bilden; es will die gegenwärtige Fürſtenrepublik,
die man nicht übel mit dem alten Mamelukenſtaat in Aegypten ver-
glichen hat, in ein Einiges ſouveränes König- (Kaiſer-) thum zurück-
verwandeln: weil es nur unter dieſer Form die ihm von der Geſchichte
geſtellte Aufgabe, das mächtigſte Culturvolk Europa’s zu ſeyn, zu er-
füllen vermag. Was ſteht dieſem entgegen? Nicht die Perſonen der
Fürſten, wohl aber ihre vermeinten dynaſtiſchen Intereſſen. Allein man
iſt es gewohnt in ſchweren Gefahren des Vaterlandes Hunderte und
Tauſende von Bürgern aller Stände ſich ſelbſt und ihre Exiſtenz zum
*)
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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