Allgemeine Zeitung, Nr. 81, 21. März 1848.[Spaltenumbruch]
holtem Verlangen auf Zurücknahme jenes Decrets. Die Blousenmänner ^ Paris, 16 März. Die Krists, die gleich am ersten Tage der - Paris, 16 März. Paris ist in Aufregung seit zwei Tagen, - Paris, 17 März. Die Gesinnungsäußerung von gestern hat Paris, 17 März Abends 5 Uhr. Ein Theil der auf dem Re- [Spaltenumbruch]
holtem Verlangen auf Zurücknahme jenes Decrets. Die Blouſenmänner △ Paris, 16 März. Die Kriſts, die gleich am erſten Tage der ═ Paris, 16 März. Paris iſt in Aufregung ſeit zwei Tagen, ═ Paris, 17 März. Die Geſinnungsäußerung von geſtern hat ♯ Paris, 17 März Abends 5 Uhr. Ein Theil der auf dem Re- <TEI> <text> <body> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div n="3"> <div type="jComment" n="4"> <p><pb facs="#f0018"/><cb/> holtem Verlangen auf Zurücknahme jenes Decrets. Die Blouſenmänner<lb/> ſuchten ſich zwar in den Weg zu ſtellen, und ſchrien: es lebe Ledru-Rol-<lb/> lin! worauf die Nationalgardiſten aber antworteten mit dem Rufe:<lb/> nieder mit Ledru-Rollin! Auch durch Spottrufe wie <hi rendition="#aq">boutiquiers</hi> u. dgl.<lb/> ließen ſich die Nationalgardiſten nicht abwendig machen, und zogen in<lb/> vollkommenſter Ruhe und Ordnung ſämmtlich am Stadthauſe vorüber,<lb/> nachdem ſie ihr Verlangen durch eine Deputation ſchriftlich abgegeben<lb/> hatten. Das ſchlimmſte iſt daß ein furchtbarer Zuſammenſtoß hier, ein<lb/> Bürgerkrieg als Folge davon im Lande jetzt faſt als unausbleiblich er-<lb/> ſcheint. Die alte Nationalgarde iſt, da ſie ſteht daß es um die ganze<lb/> Geſellſchaft ſich handelt, zu entſchiedener Thatkraft entſchloſſen, wäh-<lb/> rend die äußerſte Partei die in Ledru-Rollin ihre Hauptſtütze erblickt,<lb/> nicht minder entſchloſſen iſt zum Angriff oder Widerſtand, je nach Um-<lb/> ſtänden. Wir haben in dieſem Augenblick buchſtäblich Ochlokratie hier,<lb/> und ich wünſchte nur daß unſere deutſchen Landsleute welche ſo gern<lb/> alles im roſenfarbenen Lichte ſehen möchten, nur einen Tag hier<lb/> wären um zu ſehen und zu hören: ich bin überzeugt ſie würden an-<lb/> ders urtheilen. Eben weil ich wünſche daß Deutſchland ſeine wahr-<lb/> hafte Freiheit, die es jetzt auf dem Wege iſt zu erringen, nicht wieder ver-<lb/> liere ſondern bewahre, möchte ich es nicht in dieſelben Fehler fallen<lb/> ſehen die hier täglich mehr zu Tage treten mit allen ihren heilloſen<lb/> Folgen.</p> </div><lb/> <div type="jComment" n="4"> <dateline>△ <hi rendition="#b">Paris</hi>, 16 März.</dateline><lb/> <p>Die Kriſts, die gleich am erſten Tage der<lb/> Republik zum erſtenmal überſtanden wurde, iſt in ihr zweites Stadium<lb/> getreten. Das neue Blatt: <hi rendition="#aq">La Voix des clubs</hi> ſagt heute: „der<lb/> böſe Wille ſcheint mit Schuld an gewiſſen Gerüchten zu ſeyn. Man be-<lb/> droht uns mit einer Reaction der <hi rendition="#g">Patricier</hi> gegen die <hi rendition="#g">Plebejer</hi><lb/> der Barricaden. Man ſpricht uns von einer „Chouanerie“ der Bour-<lb/> geois, von unklugen <hi rendition="#g">Weißen</hi> und <hi rendition="#g">Blauen</hi>, die auf die Zernichtung der<lb/> Republik hinarbeiten ſollen.“ Die <hi rendition="#aq">Voix des clubs</hi> iſt nämlich roth.<lb/> Sie ſehen es iſt die alte Geſchichte — alt nicht drei Wochen — von<lb/> der rothen und der dreifarbigen Fahne. Der Keim dieſes Gegenſatzes<lb/> liegt in den Verhältniſſen, aber man hat ſehr viel dafür gethan ihn ſo<lb/> raſch aufſchießen zu machen. Ein Theil der alten Republicaner iſt<lb/> aus hundert Gründen — von denen der erſte genügt, nämlich der daß<lb/> andere Leute als ſie ſelbſt das Steuerruder führen — nicht mit der Re-<lb/> gierung zufrieden. Sie iſt ihnen zu bourgeois, nicht Volk genug. Die-<lb/> ſer Theil fürchtet daß überhaupt Frankreich nicht ſo recht von Herzen<lb/> republicaniſch ſeyn möchte, und denkt daher daran Frankreich noch<lb/> ein wenig zu republicaniſtren, zu <hi rendition="#g">revolutioniren</hi>. Dazu ſollen die<lb/> Commiſſäre der proviſoriſchen Regierung ganz beſonders dienen, und<lb/> da dieſe ſelbſt erſt kurze Zeit am Werke ſind, ſo fürchten die <hi rendition="#g">Rothen</hi><lb/> daß insbeſondere die bevorſtehenden Wahlen der Nationalgarde und der<lb/> Nationalverſammlung vorerſt noch zu <hi rendition="#g">blau und weiß</hi> ausfallen könnten.<lb/> Daher der Antrag auf Ausſetzung der Wahlen. Lamartine iſt natür-<lb/> lich „dreifarbig“ geſinnt, aber ein Theil der proviſoriſchen Regierung<lb/> denkt faſt wie die Rothen. Hr. Ledru-Rollin insbeſondere hat ſich<lb/> ſehr heftig im Geiſte der äußerſten Republicaner ausgeſprochen.<lb/> Sein Circular an die Commiſſäre hat die milder geſtimmte Mehrzahl<lb/> des Volkes in Angſt geſetzt und zwei Beſtimmungen ſeines Reglements<lb/> über die Wahlen der Nationalgarde dieſe empört. Die Elitencompag-<lb/> nien ſollen nämlich aufgelöst und alle Officierwahlen der Prüfung ei-<lb/> ner Commiſſion unterworfen werden. Dieſe letztern Beſtimmungen<lb/> wurden die Veranlaſſung zum Ausbruche des Mißmuths der alten Na-<lb/> tionalgarde. Heute ziehen nun die Nationalgarden bataillonsweiſe<lb/> durch die Straßen nach dem Hotel-de-Ville um gegen dieſelben zu pro-<lb/> teſtiren. Es iſt das wie geſagt das zweite Stadium der Kriſts des<lb/> Kampfes zwiſchen der rothen und der dreifarbigen Fahne. Wir glau-<lb/> ben daß Hr. Lamartine noch einmal ſiegen wird. Es hängt das Ge-<lb/> ſchick der Republik von dieſem Siege ab. Fällt er gegen die „Blauen<lb/> und Weißen“ aus, ſo wird der <hi rendition="#g">Schrecken</hi> am Ende doch den Sieg<lb/> davon tragen, und finge er auch ſein Regiment damit an daß er die<lb/> Guillotine auf dem Place de Greve verbrenne. Wir hoffen vieles von<lb/> Lamartine’s großem Herzen — und manches von dem Ernſte der Mit-<lb/> telſtände die entſchloſſen zu ſeyn ſcheinen Leib und Leben zu wagen um<lb/> die junge Republik auf der Bahn der Mäßigung und der Billig-<lb/> keit gegen alle Welt zu erhalten.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline>═ <hi rendition="#b">Paris</hi>, 16 März.</dateline><lb/> <p>Paris iſt in Aufregung ſeit zwei Tagen,<lb/> und die äußern Veranlaſſungen ſind folgende: erſtens das Rundſchreiben<lb/> des Miniſters des Innern, Ledru-Rollin, an die Commiſſarien in den<lb/><cb/> Departementen; zweitens die Auflöſung der bisherigen Eintheilung der<lb/> Nationalgarde in Grenadiere, Chaſſeurs und Voltigeurs. In dem Rund-<lb/> ſchreiben tadelte die Nationalgarde, und durch ſie jener Theil der frü-<lb/> hern Abgeordnetenkammer der in den neuen Wahlen durchzufallen fürch-<lb/> tet, die Legitimiſten, Conſervativen und Thiers-Barrot, daß man den Com-<lb/> miſſarien unbeſchränkte Gewalt ertheilt habe, und nur republicaniſche Ab-<lb/> geordnete verlange, worauf ihnen erwiedert wird daß die den Commiſſarien<lb/> verliehene Gewalt eine durch die Umſtände gebotene revolutionäre Gewalt<lb/> ſey wie jene der proviſoriſchen Regierung ſelbſt, deren Ausfluß ſie iſt, daß<lb/> aber der umſtändliche Inhalt des Rundſchreibens jede Beſorgniß des Miß-<lb/> brauches beſeitige; was aber die Wahlen angehe, ſo könne der Regie-<lb/> rung nicht zugemuthet werden daß ſie andere Abgeordnete wünſche als<lb/> ſolche die der Republik ergeben ſind; der freie Wille der Wähler ſey<lb/> durch dieſe Empfehlung auf keine Weiſe heeinträchtigt, und die proviſo-<lb/> riſche Regierung habe ebenſowenig die Abſicht als die Macht dieſen freien<lb/> Willen anders als durch freie Berathung zu lenken. Die Verfügung in<lb/> Betreff der Nationalgarde iſt eine Verordnung der Geſammtregierung<lb/> und keineswegs des Miniſters des Innern allein, ſie beruht auf dem<lb/> Grundſatz der Gleichheit, der allen Gliedern der Nationalgarde zu gut<lb/> kommen ſoll, ſie hat zum Zweck die allgemeine Verſchmelzung der Bür-<lb/> germiliz herbeizuführen und zu verhindern daß einzelne Compagnien,<lb/> wie die Grenadiercompagnien, ſich als ein Corps d’élite abſondern, was das<lb/> Volk der drei Tage fern halten, nothwendig aufreizen und früh oder<lb/> ſpät zur Bekämpfung der begünſtigten Cameraden verleiten würde. Hof-<lb/> fentlich wird die Nationalgarde, die allzu ſchnell vergißt daß wir noch im<lb/> Revolutionszuſtand leben, dieſe ernſten Gründe beachten, denn wenn über<lb/> eine ſolche Frage ein neuer Kampf entbrennen ſollte, ſo würde ſie offen-<lb/> bar das bewaffnete geſammte Volk von Paris gegen ſich haben. Heute<lb/> hat die Nationalgarde, einige tauſend Mann, eine „Maniſeſtation“ auf<lb/> dem Stadthaus gemacht; wiederholt ſie dieſelbe morgen, ſo möchte ſie<lb/> leicht 80,000 Mann bewaffneter Arbeiter begegnen. Dieß die wahre<lb/> Lage der Sache, ſie iſt wichtig genug um von allen gekannt und erkannt<lb/> zu werden.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline>═ <hi rendition="#b">Paris</hi>, 17 März.</dateline><lb/> <p>Die Geſinnungsäußerung von geſtern hat<lb/> den vorhergeſagten Ausgang gehabt. Etwa 15 bis 1800 Nationalgar-<lb/> diſten fanden ſich auf dem Platze des Stadthauſes ein, andere wurden<lb/> ſchon auf dem Weg dahin durch das andrängende Volk zurückgehalten.<lb/> Auf dem Platze des Stadthauſes waren die Männer aus dem Volke<lb/> und der Arbeiterclaſſe in ſolcher Mehrheit daß ſie nach und nach die Na-<lb/> tionalgarde in ihre Mitte nahmen, umſchlangen und überflügelten. So<lb/> ſcheiterte die ganze Aeußerung und dem Volke blieb der Sieg. „Laßt<lb/> euern Weibern Müffe machen aus euren Bärenkappen“, riefen die jun-<lb/> gen Leute den Patriciern in Uniform zu, und ringsum ſchallendes Ge-<lb/> lächter. Auf einmal öffnete ſich die dichte Maſſe und die Nationalgarde<lb/> zog eilig davon. So geſtern wo etwa 12 bis 15,000 Männer aus dem<lb/> Volke zugegen waren. Heute aber hat die Gegenäußerung des Volks<lb/> einen koloſſalen Charakter angenommen. Vor dem Revolutionsplatze<lb/> und den elyſeiſchen Feldern zog das Volk von 11 Uhr bis gegen 2 Uhr<lb/> vor das Stadthaus, der ganze Platz, die Nebenſtraßen, die Kaie, die<lb/> Brücken waren dicht überſäet, Mann gegen Mann, wohl hunderttauſend<lb/> an der Zahl, manche ſchätzen noch höher. Kein Lärm, keine Unord-<lb/> nung; Rufen und Singen, Schwenken der Fahnen und Hüte, das war<lb/> die Bewegung. Eine Deputation begab ſich zu der proviſoriſchen Re-<lb/> gierung hinauf und trug ihr den Wunſch vor daß die Wahlen der Na-<lb/> tionalgarde und der Nationalverſammlung verſchoben, auch die. Solda-<lb/> ten von Paris fern gehalten werden. Nachdem dieſer Wunſch vorge-<lb/> tragen, der Regierung eine Huldigung dargebracht, zog die ganze<lb/> Menge friedlich und ordentlich in geſchloſſenen Reihen unter dem Ruf:<lb/> „Es lebe die Republik!“ vor dem Stadthaus vorüber nach dem Ba-<lb/> ſtillenplatz. Dieſe Disciplin, dieſe Ordnung iſt etwas neues, nieerleb-<lb/> tes in der Volksfreiheit.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline>♯ <hi rendition="#b">Paris</hi>, 17 März Abends 5 Uhr.</dateline><lb/> <p>Ein Theil der auf dem Re-<lb/> volutionsplatz verſammelt geweſenen Arbeiter kommt vom Stadthauſe<lb/> eben zurück, und zieht die Marſeillaiſe ſingend um die Börſe herum.<lb/> Die materielle Ruhe iſt übrigens nicht geſtört worden. Die Haltung<lb/> der Nationalgarde flößt wieder einige Beruhigung ein gegenüber dieſen<lb/> Kundgebungen der Arbeiter. Die Umwandlung der Schatzbons in<lb/> 5procentige Rente zum Paricurſe oder je nach Wahl des Inhabers und<lb/> Verlängerung auf 10 Monate hat ziemlich günſtig gewirkt an der<lb/> Börſe. Bankactien ſind um 200 Fr. geſtiegen.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [0018]
holtem Verlangen auf Zurücknahme jenes Decrets. Die Blouſenmänner
ſuchten ſich zwar in den Weg zu ſtellen, und ſchrien: es lebe Ledru-Rol-
lin! worauf die Nationalgardiſten aber antworteten mit dem Rufe:
nieder mit Ledru-Rollin! Auch durch Spottrufe wie boutiquiers u. dgl.
ließen ſich die Nationalgardiſten nicht abwendig machen, und zogen in
vollkommenſter Ruhe und Ordnung ſämmtlich am Stadthauſe vorüber,
nachdem ſie ihr Verlangen durch eine Deputation ſchriftlich abgegeben
hatten. Das ſchlimmſte iſt daß ein furchtbarer Zuſammenſtoß hier, ein
Bürgerkrieg als Folge davon im Lande jetzt faſt als unausbleiblich er-
ſcheint. Die alte Nationalgarde iſt, da ſie ſteht daß es um die ganze
Geſellſchaft ſich handelt, zu entſchiedener Thatkraft entſchloſſen, wäh-
rend die äußerſte Partei die in Ledru-Rollin ihre Hauptſtütze erblickt,
nicht minder entſchloſſen iſt zum Angriff oder Widerſtand, je nach Um-
ſtänden. Wir haben in dieſem Augenblick buchſtäblich Ochlokratie hier,
und ich wünſchte nur daß unſere deutſchen Landsleute welche ſo gern
alles im roſenfarbenen Lichte ſehen möchten, nur einen Tag hier
wären um zu ſehen und zu hören: ich bin überzeugt ſie würden an-
ders urtheilen. Eben weil ich wünſche daß Deutſchland ſeine wahr-
hafte Freiheit, die es jetzt auf dem Wege iſt zu erringen, nicht wieder ver-
liere ſondern bewahre, möchte ich es nicht in dieſelben Fehler fallen
ſehen die hier täglich mehr zu Tage treten mit allen ihren heilloſen
Folgen.
△ Paris, 16 März.
Die Kriſts, die gleich am erſten Tage der
Republik zum erſtenmal überſtanden wurde, iſt in ihr zweites Stadium
getreten. Das neue Blatt: La Voix des clubs ſagt heute: „der
böſe Wille ſcheint mit Schuld an gewiſſen Gerüchten zu ſeyn. Man be-
droht uns mit einer Reaction der Patricier gegen die Plebejer
der Barricaden. Man ſpricht uns von einer „Chouanerie“ der Bour-
geois, von unklugen Weißen und Blauen, die auf die Zernichtung der
Republik hinarbeiten ſollen.“ Die Voix des clubs iſt nämlich roth.
Sie ſehen es iſt die alte Geſchichte — alt nicht drei Wochen — von
der rothen und der dreifarbigen Fahne. Der Keim dieſes Gegenſatzes
liegt in den Verhältniſſen, aber man hat ſehr viel dafür gethan ihn ſo
raſch aufſchießen zu machen. Ein Theil der alten Republicaner iſt
aus hundert Gründen — von denen der erſte genügt, nämlich der daß
andere Leute als ſie ſelbſt das Steuerruder führen — nicht mit der Re-
gierung zufrieden. Sie iſt ihnen zu bourgeois, nicht Volk genug. Die-
ſer Theil fürchtet daß überhaupt Frankreich nicht ſo recht von Herzen
republicaniſch ſeyn möchte, und denkt daher daran Frankreich noch
ein wenig zu republicaniſtren, zu revolutioniren. Dazu ſollen die
Commiſſäre der proviſoriſchen Regierung ganz beſonders dienen, und
da dieſe ſelbſt erſt kurze Zeit am Werke ſind, ſo fürchten die Rothen
daß insbeſondere die bevorſtehenden Wahlen der Nationalgarde und der
Nationalverſammlung vorerſt noch zu blau und weiß ausfallen könnten.
Daher der Antrag auf Ausſetzung der Wahlen. Lamartine iſt natür-
lich „dreifarbig“ geſinnt, aber ein Theil der proviſoriſchen Regierung
denkt faſt wie die Rothen. Hr. Ledru-Rollin insbeſondere hat ſich
ſehr heftig im Geiſte der äußerſten Republicaner ausgeſprochen.
Sein Circular an die Commiſſäre hat die milder geſtimmte Mehrzahl
des Volkes in Angſt geſetzt und zwei Beſtimmungen ſeines Reglements
über die Wahlen der Nationalgarde dieſe empört. Die Elitencompag-
nien ſollen nämlich aufgelöst und alle Officierwahlen der Prüfung ei-
ner Commiſſion unterworfen werden. Dieſe letztern Beſtimmungen
wurden die Veranlaſſung zum Ausbruche des Mißmuths der alten Na-
tionalgarde. Heute ziehen nun die Nationalgarden bataillonsweiſe
durch die Straßen nach dem Hotel-de-Ville um gegen dieſelben zu pro-
teſtiren. Es iſt das wie geſagt das zweite Stadium der Kriſts des
Kampfes zwiſchen der rothen und der dreifarbigen Fahne. Wir glau-
ben daß Hr. Lamartine noch einmal ſiegen wird. Es hängt das Ge-
ſchick der Republik von dieſem Siege ab. Fällt er gegen die „Blauen
und Weißen“ aus, ſo wird der Schrecken am Ende doch den Sieg
davon tragen, und finge er auch ſein Regiment damit an daß er die
Guillotine auf dem Place de Greve verbrenne. Wir hoffen vieles von
Lamartine’s großem Herzen — und manches von dem Ernſte der Mit-
telſtände die entſchloſſen zu ſeyn ſcheinen Leib und Leben zu wagen um
die junge Republik auf der Bahn der Mäßigung und der Billig-
keit gegen alle Welt zu erhalten.
═ Paris, 16 März.
Paris iſt in Aufregung ſeit zwei Tagen,
und die äußern Veranlaſſungen ſind folgende: erſtens das Rundſchreiben
des Miniſters des Innern, Ledru-Rollin, an die Commiſſarien in den
Departementen; zweitens die Auflöſung der bisherigen Eintheilung der
Nationalgarde in Grenadiere, Chaſſeurs und Voltigeurs. In dem Rund-
ſchreiben tadelte die Nationalgarde, und durch ſie jener Theil der frü-
hern Abgeordnetenkammer der in den neuen Wahlen durchzufallen fürch-
tet, die Legitimiſten, Conſervativen und Thiers-Barrot, daß man den Com-
miſſarien unbeſchränkte Gewalt ertheilt habe, und nur republicaniſche Ab-
geordnete verlange, worauf ihnen erwiedert wird daß die den Commiſſarien
verliehene Gewalt eine durch die Umſtände gebotene revolutionäre Gewalt
ſey wie jene der proviſoriſchen Regierung ſelbſt, deren Ausfluß ſie iſt, daß
aber der umſtändliche Inhalt des Rundſchreibens jede Beſorgniß des Miß-
brauches beſeitige; was aber die Wahlen angehe, ſo könne der Regie-
rung nicht zugemuthet werden daß ſie andere Abgeordnete wünſche als
ſolche die der Republik ergeben ſind; der freie Wille der Wähler ſey
durch dieſe Empfehlung auf keine Weiſe heeinträchtigt, und die proviſo-
riſche Regierung habe ebenſowenig die Abſicht als die Macht dieſen freien
Willen anders als durch freie Berathung zu lenken. Die Verfügung in
Betreff der Nationalgarde iſt eine Verordnung der Geſammtregierung
und keineswegs des Miniſters des Innern allein, ſie beruht auf dem
Grundſatz der Gleichheit, der allen Gliedern der Nationalgarde zu gut
kommen ſoll, ſie hat zum Zweck die allgemeine Verſchmelzung der Bür-
germiliz herbeizuführen und zu verhindern daß einzelne Compagnien,
wie die Grenadiercompagnien, ſich als ein Corps d’élite abſondern, was das
Volk der drei Tage fern halten, nothwendig aufreizen und früh oder
ſpät zur Bekämpfung der begünſtigten Cameraden verleiten würde. Hof-
fentlich wird die Nationalgarde, die allzu ſchnell vergißt daß wir noch im
Revolutionszuſtand leben, dieſe ernſten Gründe beachten, denn wenn über
eine ſolche Frage ein neuer Kampf entbrennen ſollte, ſo würde ſie offen-
bar das bewaffnete geſammte Volk von Paris gegen ſich haben. Heute
hat die Nationalgarde, einige tauſend Mann, eine „Maniſeſtation“ auf
dem Stadthaus gemacht; wiederholt ſie dieſelbe morgen, ſo möchte ſie
leicht 80,000 Mann bewaffneter Arbeiter begegnen. Dieß die wahre
Lage der Sache, ſie iſt wichtig genug um von allen gekannt und erkannt
zu werden.
═ Paris, 17 März.
Die Geſinnungsäußerung von geſtern hat
den vorhergeſagten Ausgang gehabt. Etwa 15 bis 1800 Nationalgar-
diſten fanden ſich auf dem Platze des Stadthauſes ein, andere wurden
ſchon auf dem Weg dahin durch das andrängende Volk zurückgehalten.
Auf dem Platze des Stadthauſes waren die Männer aus dem Volke
und der Arbeiterclaſſe in ſolcher Mehrheit daß ſie nach und nach die Na-
tionalgarde in ihre Mitte nahmen, umſchlangen und überflügelten. So
ſcheiterte die ganze Aeußerung und dem Volke blieb der Sieg. „Laßt
euern Weibern Müffe machen aus euren Bärenkappen“, riefen die jun-
gen Leute den Patriciern in Uniform zu, und ringsum ſchallendes Ge-
lächter. Auf einmal öffnete ſich die dichte Maſſe und die Nationalgarde
zog eilig davon. So geſtern wo etwa 12 bis 15,000 Männer aus dem
Volke zugegen waren. Heute aber hat die Gegenäußerung des Volks
einen koloſſalen Charakter angenommen. Vor dem Revolutionsplatze
und den elyſeiſchen Feldern zog das Volk von 11 Uhr bis gegen 2 Uhr
vor das Stadthaus, der ganze Platz, die Nebenſtraßen, die Kaie, die
Brücken waren dicht überſäet, Mann gegen Mann, wohl hunderttauſend
an der Zahl, manche ſchätzen noch höher. Kein Lärm, keine Unord-
nung; Rufen und Singen, Schwenken der Fahnen und Hüte, das war
die Bewegung. Eine Deputation begab ſich zu der proviſoriſchen Re-
gierung hinauf und trug ihr den Wunſch vor daß die Wahlen der Na-
tionalgarde und der Nationalverſammlung verſchoben, auch die. Solda-
ten von Paris fern gehalten werden. Nachdem dieſer Wunſch vorge-
tragen, der Regierung eine Huldigung dargebracht, zog die ganze
Menge friedlich und ordentlich in geſchloſſenen Reihen unter dem Ruf:
„Es lebe die Republik!“ vor dem Stadthaus vorüber nach dem Ba-
ſtillenplatz. Dieſe Disciplin, dieſe Ordnung iſt etwas neues, nieerleb-
tes in der Volksfreiheit.
♯ Paris, 17 März Abends 5 Uhr.
Ein Theil der auf dem Re-
volutionsplatz verſammelt geweſenen Arbeiter kommt vom Stadthauſe
eben zurück, und zieht die Marſeillaiſe ſingend um die Börſe herum.
Die materielle Ruhe iſt übrigens nicht geſtört worden. Die Haltung
der Nationalgarde flößt wieder einige Beruhigung ein gegenüber dieſen
Kundgebungen der Arbeiter. Die Umwandlung der Schatzbons in
5procentige Rente zum Paricurſe oder je nach Wahl des Inhabers und
Verlängerung auf 10 Monate hat ziemlich günſtig gewirkt an der
Börſe. Bankactien ſind um 200 Fr. geſtiegen.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |