Allgemeine Zeitung, Nr. 80, 20. März 1848.[Spaltenumbruch]
Händen haben und sie kraftlos fühlen zu verhindern daß das Werk seines Die neue Zeit in Deutschland. III. Die Gegensätze. Die Erschütterungen welche Deutschland in den letzten 14 Tagen [Spaltenumbruch]
Händen haben und ſie kraftlos fühlen zu verhindern daß das Werk ſeines Die neue Zeit in Deutſchland. III. Die Gegenſätze. Die Erſchütterungen welche Deutſchland in den letzten 14 Tagen <TEI> <text> <body> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div type="jComment" n="3"> <p><pb facs="#f0011" n="1275"/><cb/> Händen haben und ſie kraftlos fühlen zu verhindern daß das Werk ſeines<lb/> Lebens in Trümmer ging, er ſollte die neuen Ideen in den Vatican ein-<lb/> gedrungen, den Sonderbund und die Jeſuiten vernichtet, die dritte<lb/> franzöſiſche Revolution und endlich die Erhebung Deutſchlands ſehen.<lb/> Und welche Erhebung! In allen Gauen, in Städten und Dörfern, in<lb/> Süd und Nord, in Wien ſelbſt, der treuen Kaiſerſtadt, vor den Fen-<lb/> ſtern ſeines Palaſtes, eine laute, einmüthige, unwiderſtehliche Pro-<lb/> teſtation gegen ſein Werk! Wohl hatten wir in Deutſchland weit gerech-<lb/> tere Urſache mit den Satzungen von 1815 unzufrieden zu ſeyn als die Fran-<lb/> zoſen, ſie hatten aus ihrer Niederlage noch einen Theil ihrer alten Er-<lb/> oberungen gerettet — Eroberungen von Deutſchland — ſie waren als<lb/> freie Nation, als Rechtsſtaat in die Reſtauration übergegangen. Aber<lb/> was hatten die Sieger gewonnen? Ein einſeitiges Fürſtenrecht, un-<lb/> erfüllte Verheißungen, Patriotenverfolgungen, die Quälerei unfrucht-<lb/> barer Verfaſſungsformen, eine hohe Staatspolizei als Nationalband!<lb/> Konnte es einen grauſameren Hohn geben als dieſe Scheinſouveränetä-<lb/> ten, einen unberechtigteren Einfluß als den einer unſichtbaren Ober-<lb/> regierung durch geheime Noten und Protokolle, die, ohne Theilnahme<lb/> an dem Wohl und Wehe der deutſchen Völker, bloß bemüht war ſie<lb/> künſtlich auseinanderzuhalten, ihr Geſammtbewußtſeyn zu unterdrücken,<lb/> ihren Aufſchwung zuhemmen, ſie auf einer Stufe feſtzubannen wo ſie bald<lb/> hinter allen Culturvölkern hätten zurückſtehen müſſen, wenn der Geiſt und<lb/> die ureigene Kraft, der Nation nicht ſtärker geweſen wären als dieſe blind<lb/> egoiſtiſche Staatskunſt? Sie iſt jetzt auch in Wien beſiegt, Oeſterreich<lb/> ſchwört zur großen Nationalſache, und damit hat die Wiedergeburt<lb/> Deutſchlands erſt ihre eigentliche Weihe erhalten. Vorher hatte die<lb/> Furcht vor einer Reaction überall wie ein unheimliches Geſpenſt herein-<lb/> geragt. Nie iſt auch in dieſer Beziehung die Unhaltbarkeit des jetzigen<lb/> Bundesſyſtems auffallender zu Tag gekommen. Unter allen ſeinen Ein-<lb/> richtungen ward ſeine Kriegsverfaſſung als die verhältnißmäßig gelun-<lb/> genſte geprieſen. Während die politiſche Thätigkeit der Bundesverſamm-<lb/> lung eine rein negative blieb, waren wenigſtens die Arbeiten ihrer Militär-<lb/> commiſſion nicht erfolglos; wenn es ſchon auch hier nicht an ſehr ge-<lb/> gründeten Beſchwerden fehlt. Hat man doch den Bau der Bundes-<lb/> feſtungen zum Schutz von Oberdeutſchland auf unverantwortliche Art<lb/> verſpätet, und es nicht einmal zu einer Uebereinſtimmung der Waffen,<lb/> des Commando und der Feldzeichen, der Geſetzgebung über Aushebung,<lb/> Beurlaubung, Landwehr und Volksbewaffnung gebracht! Wer zählt<lb/> die Hunderte von Millionen Gulden welche die deutſche Nation für<lb/> ihr Heerweſen und die landesherrlichen Soldatenliebhabereien geopfert<lb/> hat, und würde ſie ein auswärtiger Krieg jetzt in Bereitſchaft finden? Ja,<lb/> aber nur unter der Bedingung daß Deutſchland als Ganzes und in ſeinen<lb/> einzelnen Gliedern ſo conſtituirt iſt daß künftig Beſorgniſſe wie ſie kürzlich<lb/> bei der Nachricht vom Anzug der Oeſterreicher nach Ulm laut wurden,<lb/> unmöglich ſind. Solange ein Theil des Bundesheeres als Vorhut der<lb/> Ruſſen erſcheinen, ein Bündniß mit dem Feinde der europäiſchen Civili-<lb/> ſation Deutſchland aufgedrungen werden konnte, war auch das Bundes-<lb/> heer mehr ein theures Spielzeug als eine wahrhaft ſchützende National-<lb/> macht. Alle dieſe Uebelſtände können nun ſchnell gehoben werden nach-<lb/> dem auch Oeſterreich die Feſſeln des alten Syſtems abgeſtreift hat, dem<lb/> es im ſtillen geiſtigen Heranreifen entwachſen war. Oeſterreich war<lb/> nicht nur der Träger desſelben für ſich, ſondern auch der feſte Anhalts-<lb/> punkt für die in allen deutſchen Landen noch vorhandene rückwärts bli-<lb/> ckende Partei die ſich um die Wiener Staatskanzlei wie um eine heilige<lb/> Caaba gelagert hatte, namentlich auch direct und indirect das Hin-<lb/> derniß für Preußens Fortſchreiten auf der nationalen Bahn, einer der<lb/> Erklärungs- und Entſchuldigungsgründe ſo mancher beklagenswerthen<lb/> Unentſchiedenheiten und Halbheiten der preußiſchen Politik. Jn je ſchönerer<lb/> Einhelligkeit ſich die deutſche Nation in dieſen Tagen ausgeſprochen hat, je<lb/> lebendiger die Gemüther von der Wahrheit ergriffen ſind daß die Zeit des<lb/> Zauderns vorbei iſt, deſto mehr müſſen auch unſere kälteſten Staatsmänner<lb/> zu der Einſicht gelangen daß jede Politik die nicht ihren Mittelpunkt<lb/> in Deutſchland hat, fortan ein Unding ſey, daß es ſich hier um keine Idea-<lb/> litäten überſpannter Schwärmer mehr handle, ſondern um Verwirk-<lb/> lichung des durch verhängnißſchwere Thatſachen geoffenbarten Willens<lb/> einer großen Nation. Die Bauernbewegung im Süden, wie ſehr ſie<lb/> auch die geſetzlichen Schranken durchbricht, iſt ein ſprechender Beweis<lb/> daß nicht bloß die ſogenannte gebildete Claſſe, daß auch die Maſſe und<lb/> der Kern des Volks ſich der Wiedergeburt des Vaterlandes beigeſellt.<lb/> Darum raſch aus Werk. Noch beſteht der Bundestag, aber nur dem<lb/> Namen nach. Seine Geſetzgebung ſeit dreiunddreißig Jahren hat der<lb/><cb/> Revolutionsſturm in alle Winde geweht, und wer noch zweifeln könnte<lb/> daß die Uhr von 1815 abgelaufen ſey, dem zeiget den Volksmann Karl<lb/> Welcker, vor dem ſich der Bundespalaſt öffnet und der in den Bundes-<lb/> archiven nach den vergrabenen Protokollen forſcht. Und wenn auch Lud-<lb/> wig Uhland in jene Hallen tritt, iſt es nicht als ob des Sängers Wort<lb/> in Erfüllung gehe daß endlich ein Geiſt herniedergeſtiegen? Das iſt<lb/> nicht der geringſte Unſegen der nun auch in Oeſterreich verurtheilten<lb/> Politik daß ſie dieſes Land dermaßen aus ſeinem natürlichen Zuſam-<lb/> menhang mit den volkswirthſchaftlichen Intereſſen des übrigen Deutſch-<lb/> lands herausriß, daß es jetzt, wo es die Conſtituirung der Nation auf<lb/> dieſen Grundlagen gilt, kaum im Stande ſeyn dürfte ſo bald in die ihm<lb/> ſonſt zukommende Vorderſtelle einzutreten. Oeſterreich, durch Geſin-<lb/> nung deutſch und vorgeſchobener Poſten des Deutſchthums gegen den<lb/> Orient, wird dem freigewordenen Zug ſeines Herzens folgen und ſich<lb/> dem Mutterland, wenn dasſelbe erſt wieder Geſtalt gewonnen hat, in-<lb/> niger einverleiben, aber die Frage wer ſofort an die Spitze der Nation<lb/> zu ſtellen ſey, müſſen wir uns ohne Vorliebe und Abneigung beantworten.<lb/> Die Wahl iſt nicht Geſchmackſache, ſie wird durch Nothwendigkeiten be-<lb/> ſtimmt. Die Deutſche Zeitung hat gemeldet daß in Stuttgart davon die<lb/> Rede geweſen ſey Preußen die Hegemonie anzutragen. Von anderer<lb/> Seite wurde ein wechſelndes Oberhaupt, von dritter ein Directorium,<lb/> zuſammengeſetzt aus zwei beſtändigen Mitgliedern der beiden deutſchen<lb/> Großmächte und einem wählbaren auf Zeit, vorgeſchlagen. Wenn man<lb/> vergeſſen kann daß hinter allen falſchen Löſungen die Republik ſteht, wenn<lb/> man nichts höheres im Auge hat als die auf Gleichheit eiferſüchtigen An-<lb/> ſprüche der Fürſten zu vermitteln, ſo ſind dieſe beiden letzten Vorſchläge<lb/> vortrefflich, und der erſte noch beſſer als der zweite, weil er <hi rendition="#g">allen</hi><lb/> Ausſicht öffnet, und zwar Ausſicht auf die Hauptrolle. Will aber die<lb/> Nation in kräftiger, achtunggebietender Einheit ſich wieder aufbauen, ſo<lb/> verzichte man auf Subtilitäten und Künſteleien, appellire an den Pa-<lb/> triotismus der Dynaſtien und der Völker, und wähle einfach zwiſchen<lb/> Preußen oder Oeſterreich. Denn wenn man den Machtverhältniſſen<lb/> Rechnung trägt (und eine Politik welche dieß nicht thut, begeht eine<lb/> Sünde gegen die Natur), ſo kann nur zwiſchen dieſen beiden die Wahl<lb/> ſeyn. Das Kleinere muß ſich dem Größern beiordnen, nicht umgekehrt.<lb/> Oeſterreich und Preußen, die Dioskuren Deutſchlands, zwiſchen ihnen<lb/> ſchwankt die Wage. Alte glorreiche, wenn auch zum Theil ſchmerzliche<lb/> Erinnerungen und neue Anſprüche ſtehen einander gegenüber. Hier<lb/> das ehrwürdige Kaiſerthum, jetzt wieder in friſcher Jugendkraft erwacht<lb/> und den Entwicklungsproceß des lange gehemmten politiſchen Lebens nach-<lb/> holend, aber noch im Unklaren, und mit ſich ſelbſt, ſeinen beſondern Zuſtän-<lb/> den und Intereſſen, den Conflicten der in ſeinem Schooß gährenden man-<lb/> nichfaltigen Volksthümer vollauf, vielleicht auf viele Jahre hinaus<lb/> beſchäftigt. Dort das Königthum Friedrichs des Großen, ſchon an der<lb/> Spitze des Zollvereins, des Ausgangspunkts und der Grundlage unſerer<lb/> deutſchen Entwicklungen, ſichern Schrittes, wenn auch zu langſam für die<lb/> ungeduldigen Geiſter, von der bureaukratiſchen Tradition zur nationalen<lb/> Politik vorſchreitend, und auch in dieſen ſturmbewegten Zeiten in den Augen<lb/> Vieler die Burg an welche Fürſten und Völker ſich mit Vertrauen anlehnen<lb/> können. Wird es aber noch bei den <hi rendition="#g">Völkern</hi> dieſes Vertrauen bewahren<lb/> wenn es Petitionen mit Flintenſchüſſen beantwortet? Die Geſchicke Deutſch-<lb/> lands ſind dunkel. Wir entſcheiden nicht, aber wir erinnern an deutſche Ge-<lb/> ſchichte, deutſche Vaterlandsliebe und deutſche Politik. Vor Alters, in einer<lb/> großen Vaterlandsgefahr, als nach dem Ausſterben der Karolinger ſichs<lb/> darum handelte ob das von den Normannen, Slaven und Ungarn be-<lb/> drängte Deutſchland noch ein Reich und ein Volk ſeyn ſolle, ließen ſich<lb/> die Franken nicht durch den Glanz der Krone blenden auf die ſie die<lb/> erſte Anwartſchaft hatten, ſondern willigten ein ſie dem Würdigſten und<lb/> Mächtigſten zu übertragen. Dieſe hochherzige Selbſtverläugnung hat<lb/> Deutſchland die glänzende Reihe ſeiner ſächſiſchen Könige und Kaiſer ge-<lb/> geben. <hi rendition="#et">C. A. M.</hi></p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jComment" n="3"> <head><hi rendition="#b">Die neue Zeit in Deutſchland.</hi><lb/><hi rendition="#aq">III.</hi><hi rendition="#g">Die Gegenſätze</hi>.</head><lb/> <p>Die Erſchütterungen welche Deutſchland in den letzten 14 Tagen<lb/> erfahren hat, müſſen nothwendig die ſchneidendſten Gegenſätze hervor-<lb/> rufen. Kein Zweifel daß an manchen Orten der Wunſch vorherrſcht<lb/> den alten Stand der Dinge zurückzuführen, und es iſt ganz unnöthig<lb/> dieſen Wunſch verläugnen zu wollen, denn zu ſchroff war der Uebergang,<lb/> zu ungewiß und ſturmverkündend iſt die Zukunft. Dennoch nehmen wir<lb/> keinen Anſtand dieſe Wünſche als durchaus thöricht zu bezeichnen, denn<lb/> es gibt einen Punkt an welchen ſie durchaus ſcheitern müſſen. Die Kraft<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [1275/0011]
Händen haben und ſie kraftlos fühlen zu verhindern daß das Werk ſeines
Lebens in Trümmer ging, er ſollte die neuen Ideen in den Vatican ein-
gedrungen, den Sonderbund und die Jeſuiten vernichtet, die dritte
franzöſiſche Revolution und endlich die Erhebung Deutſchlands ſehen.
Und welche Erhebung! In allen Gauen, in Städten und Dörfern, in
Süd und Nord, in Wien ſelbſt, der treuen Kaiſerſtadt, vor den Fen-
ſtern ſeines Palaſtes, eine laute, einmüthige, unwiderſtehliche Pro-
teſtation gegen ſein Werk! Wohl hatten wir in Deutſchland weit gerech-
tere Urſache mit den Satzungen von 1815 unzufrieden zu ſeyn als die Fran-
zoſen, ſie hatten aus ihrer Niederlage noch einen Theil ihrer alten Er-
oberungen gerettet — Eroberungen von Deutſchland — ſie waren als
freie Nation, als Rechtsſtaat in die Reſtauration übergegangen. Aber
was hatten die Sieger gewonnen? Ein einſeitiges Fürſtenrecht, un-
erfüllte Verheißungen, Patriotenverfolgungen, die Quälerei unfrucht-
barer Verfaſſungsformen, eine hohe Staatspolizei als Nationalband!
Konnte es einen grauſameren Hohn geben als dieſe Scheinſouveränetä-
ten, einen unberechtigteren Einfluß als den einer unſichtbaren Ober-
regierung durch geheime Noten und Protokolle, die, ohne Theilnahme
an dem Wohl und Wehe der deutſchen Völker, bloß bemüht war ſie
künſtlich auseinanderzuhalten, ihr Geſammtbewußtſeyn zu unterdrücken,
ihren Aufſchwung zuhemmen, ſie auf einer Stufe feſtzubannen wo ſie bald
hinter allen Culturvölkern hätten zurückſtehen müſſen, wenn der Geiſt und
die ureigene Kraft, der Nation nicht ſtärker geweſen wären als dieſe blind
egoiſtiſche Staatskunſt? Sie iſt jetzt auch in Wien beſiegt, Oeſterreich
ſchwört zur großen Nationalſache, und damit hat die Wiedergeburt
Deutſchlands erſt ihre eigentliche Weihe erhalten. Vorher hatte die
Furcht vor einer Reaction überall wie ein unheimliches Geſpenſt herein-
geragt. Nie iſt auch in dieſer Beziehung die Unhaltbarkeit des jetzigen
Bundesſyſtems auffallender zu Tag gekommen. Unter allen ſeinen Ein-
richtungen ward ſeine Kriegsverfaſſung als die verhältnißmäßig gelun-
genſte geprieſen. Während die politiſche Thätigkeit der Bundesverſamm-
lung eine rein negative blieb, waren wenigſtens die Arbeiten ihrer Militär-
commiſſion nicht erfolglos; wenn es ſchon auch hier nicht an ſehr ge-
gründeten Beſchwerden fehlt. Hat man doch den Bau der Bundes-
feſtungen zum Schutz von Oberdeutſchland auf unverantwortliche Art
verſpätet, und es nicht einmal zu einer Uebereinſtimmung der Waffen,
des Commando und der Feldzeichen, der Geſetzgebung über Aushebung,
Beurlaubung, Landwehr und Volksbewaffnung gebracht! Wer zählt
die Hunderte von Millionen Gulden welche die deutſche Nation für
ihr Heerweſen und die landesherrlichen Soldatenliebhabereien geopfert
hat, und würde ſie ein auswärtiger Krieg jetzt in Bereitſchaft finden? Ja,
aber nur unter der Bedingung daß Deutſchland als Ganzes und in ſeinen
einzelnen Gliedern ſo conſtituirt iſt daß künftig Beſorgniſſe wie ſie kürzlich
bei der Nachricht vom Anzug der Oeſterreicher nach Ulm laut wurden,
unmöglich ſind. Solange ein Theil des Bundesheeres als Vorhut der
Ruſſen erſcheinen, ein Bündniß mit dem Feinde der europäiſchen Civili-
ſation Deutſchland aufgedrungen werden konnte, war auch das Bundes-
heer mehr ein theures Spielzeug als eine wahrhaft ſchützende National-
macht. Alle dieſe Uebelſtände können nun ſchnell gehoben werden nach-
dem auch Oeſterreich die Feſſeln des alten Syſtems abgeſtreift hat, dem
es im ſtillen geiſtigen Heranreifen entwachſen war. Oeſterreich war
nicht nur der Träger desſelben für ſich, ſondern auch der feſte Anhalts-
punkt für die in allen deutſchen Landen noch vorhandene rückwärts bli-
ckende Partei die ſich um die Wiener Staatskanzlei wie um eine heilige
Caaba gelagert hatte, namentlich auch direct und indirect das Hin-
derniß für Preußens Fortſchreiten auf der nationalen Bahn, einer der
Erklärungs- und Entſchuldigungsgründe ſo mancher beklagenswerthen
Unentſchiedenheiten und Halbheiten der preußiſchen Politik. Jn je ſchönerer
Einhelligkeit ſich die deutſche Nation in dieſen Tagen ausgeſprochen hat, je
lebendiger die Gemüther von der Wahrheit ergriffen ſind daß die Zeit des
Zauderns vorbei iſt, deſto mehr müſſen auch unſere kälteſten Staatsmänner
zu der Einſicht gelangen daß jede Politik die nicht ihren Mittelpunkt
in Deutſchland hat, fortan ein Unding ſey, daß es ſich hier um keine Idea-
litäten überſpannter Schwärmer mehr handle, ſondern um Verwirk-
lichung des durch verhängnißſchwere Thatſachen geoffenbarten Willens
einer großen Nation. Die Bauernbewegung im Süden, wie ſehr ſie
auch die geſetzlichen Schranken durchbricht, iſt ein ſprechender Beweis
daß nicht bloß die ſogenannte gebildete Claſſe, daß auch die Maſſe und
der Kern des Volks ſich der Wiedergeburt des Vaterlandes beigeſellt.
Darum raſch aus Werk. Noch beſteht der Bundestag, aber nur dem
Namen nach. Seine Geſetzgebung ſeit dreiunddreißig Jahren hat der
Revolutionsſturm in alle Winde geweht, und wer noch zweifeln könnte
daß die Uhr von 1815 abgelaufen ſey, dem zeiget den Volksmann Karl
Welcker, vor dem ſich der Bundespalaſt öffnet und der in den Bundes-
archiven nach den vergrabenen Protokollen forſcht. Und wenn auch Lud-
wig Uhland in jene Hallen tritt, iſt es nicht als ob des Sängers Wort
in Erfüllung gehe daß endlich ein Geiſt herniedergeſtiegen? Das iſt
nicht der geringſte Unſegen der nun auch in Oeſterreich verurtheilten
Politik daß ſie dieſes Land dermaßen aus ſeinem natürlichen Zuſam-
menhang mit den volkswirthſchaftlichen Intereſſen des übrigen Deutſch-
lands herausriß, daß es jetzt, wo es die Conſtituirung der Nation auf
dieſen Grundlagen gilt, kaum im Stande ſeyn dürfte ſo bald in die ihm
ſonſt zukommende Vorderſtelle einzutreten. Oeſterreich, durch Geſin-
nung deutſch und vorgeſchobener Poſten des Deutſchthums gegen den
Orient, wird dem freigewordenen Zug ſeines Herzens folgen und ſich
dem Mutterland, wenn dasſelbe erſt wieder Geſtalt gewonnen hat, in-
niger einverleiben, aber die Frage wer ſofort an die Spitze der Nation
zu ſtellen ſey, müſſen wir uns ohne Vorliebe und Abneigung beantworten.
Die Wahl iſt nicht Geſchmackſache, ſie wird durch Nothwendigkeiten be-
ſtimmt. Die Deutſche Zeitung hat gemeldet daß in Stuttgart davon die
Rede geweſen ſey Preußen die Hegemonie anzutragen. Von anderer
Seite wurde ein wechſelndes Oberhaupt, von dritter ein Directorium,
zuſammengeſetzt aus zwei beſtändigen Mitgliedern der beiden deutſchen
Großmächte und einem wählbaren auf Zeit, vorgeſchlagen. Wenn man
vergeſſen kann daß hinter allen falſchen Löſungen die Republik ſteht, wenn
man nichts höheres im Auge hat als die auf Gleichheit eiferſüchtigen An-
ſprüche der Fürſten zu vermitteln, ſo ſind dieſe beiden letzten Vorſchläge
vortrefflich, und der erſte noch beſſer als der zweite, weil er allen
Ausſicht öffnet, und zwar Ausſicht auf die Hauptrolle. Will aber die
Nation in kräftiger, achtunggebietender Einheit ſich wieder aufbauen, ſo
verzichte man auf Subtilitäten und Künſteleien, appellire an den Pa-
triotismus der Dynaſtien und der Völker, und wähle einfach zwiſchen
Preußen oder Oeſterreich. Denn wenn man den Machtverhältniſſen
Rechnung trägt (und eine Politik welche dieß nicht thut, begeht eine
Sünde gegen die Natur), ſo kann nur zwiſchen dieſen beiden die Wahl
ſeyn. Das Kleinere muß ſich dem Größern beiordnen, nicht umgekehrt.
Oeſterreich und Preußen, die Dioskuren Deutſchlands, zwiſchen ihnen
ſchwankt die Wage. Alte glorreiche, wenn auch zum Theil ſchmerzliche
Erinnerungen und neue Anſprüche ſtehen einander gegenüber. Hier
das ehrwürdige Kaiſerthum, jetzt wieder in friſcher Jugendkraft erwacht
und den Entwicklungsproceß des lange gehemmten politiſchen Lebens nach-
holend, aber noch im Unklaren, und mit ſich ſelbſt, ſeinen beſondern Zuſtän-
den und Intereſſen, den Conflicten der in ſeinem Schooß gährenden man-
nichfaltigen Volksthümer vollauf, vielleicht auf viele Jahre hinaus
beſchäftigt. Dort das Königthum Friedrichs des Großen, ſchon an der
Spitze des Zollvereins, des Ausgangspunkts und der Grundlage unſerer
deutſchen Entwicklungen, ſichern Schrittes, wenn auch zu langſam für die
ungeduldigen Geiſter, von der bureaukratiſchen Tradition zur nationalen
Politik vorſchreitend, und auch in dieſen ſturmbewegten Zeiten in den Augen
Vieler die Burg an welche Fürſten und Völker ſich mit Vertrauen anlehnen
können. Wird es aber noch bei den Völkern dieſes Vertrauen bewahren
wenn es Petitionen mit Flintenſchüſſen beantwortet? Die Geſchicke Deutſch-
lands ſind dunkel. Wir entſcheiden nicht, aber wir erinnern an deutſche Ge-
ſchichte, deutſche Vaterlandsliebe und deutſche Politik. Vor Alters, in einer
großen Vaterlandsgefahr, als nach dem Ausſterben der Karolinger ſichs
darum handelte ob das von den Normannen, Slaven und Ungarn be-
drängte Deutſchland noch ein Reich und ein Volk ſeyn ſolle, ließen ſich
die Franken nicht durch den Glanz der Krone blenden auf die ſie die
erſte Anwartſchaft hatten, ſondern willigten ein ſie dem Würdigſten und
Mächtigſten zu übertragen. Dieſe hochherzige Selbſtverläugnung hat
Deutſchland die glänzende Reihe ſeiner ſächſiſchen Könige und Kaiſer ge-
geben. C. A. M.
Die neue Zeit in Deutſchland.
III. Die Gegenſätze.
Die Erſchütterungen welche Deutſchland in den letzten 14 Tagen
erfahren hat, müſſen nothwendig die ſchneidendſten Gegenſätze hervor-
rufen. Kein Zweifel daß an manchen Orten der Wunſch vorherrſcht
den alten Stand der Dinge zurückzuführen, und es iſt ganz unnöthig
dieſen Wunſch verläugnen zu wollen, denn zu ſchroff war der Uebergang,
zu ungewiß und ſturmverkündend iſt die Zukunft. Dennoch nehmen wir
keinen Anſtand dieſe Wünſche als durchaus thöricht zu bezeichnen, denn
es gibt einen Punkt an welchen ſie durchaus ſcheitern müſſen. Die Kraft
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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