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Allgemeine Zeitung, Nr. 80, 20. März 1848.

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[Spaltenumbruch] auch in allen Einzelnheiten durchgängige Gleichheit in der Wahl der
Unterhausmitglieder. Auch bei der Zugrundlegung des Verhältnisses
der Bevölkerung, die wir für das richtige halten, könnte es z. B. ange-
messen erscheinen in größern Staaten auf ein Mehrfaches der in kleinern
Staaten angenommenen Bevölkerung ein Wahlcollegium zu bilden das
sodann auch die mehrfache Zahl von Abgeordneten zu wählen hätte.

Daß bei der Bestellung des vorzugsweisen Organs der vollziehen-
den Gewalt die Analogie der amerikanischen Bundesverfassung verlassen
werden muß, dieß leuchtet ebensowohl ein als die Nothwendigkeit ein
solches Organ für einen Bundesstaat zu bestellen der in seine Regierung
zwei große berathende Körper aufnehmen soll, und der daher doppelte
Ursache hat die Umständlichkeit und Vielseitigkeit der Berathung durch
die Concentration und Raschheit der Vollziehung auszugleichen. Doch
wird auch hier noch die Frage eine Erörterung verdienen, ob das eben-
sowohl in unserer eigenen Geschichte als in der Verfassung von Nord-
amerika begründete Princip der Wahl ganz verlassen, ob nicht etwa,
wenn es als gerathen erschiene, eine Wahl zwischen den zwei deutschen
Großmächten dadurch zu umgehen daß die Vollziehungsgewalt einem
aus diesen beiden und einer dritten Macht zusammengesetzten, nach
Stimmenmehrheit sich entscheidenden Collegium übertragen würde,
wenigstens die Bestimmung dieser dritten Macht einer periodisch zu er-
neuernden Wahl, auf welche beiden Häusern ein gleicher Einfluß zuzuge-
stehen wäre, vorbehalten werden könnte.

Indem wir für jetzt auf diese Bemerkungen über die zunächst vor-
liegenden Fragen uns beschränken, behalten wir den weitern reichlichen
Stoff, welchen die Analogie der amerikanischen Verfassung darbietet,
spätern Erörterungen vor.



Die Erhebung von Wien.

Frankreich eine Republik, Oldenburg ein con-
stitutioneller Staat, Welcker Bundestagsgesandter, Römer Minister, in
Wien Volksaufstand, Metternich abgedankt, in der Kaiserstadt Wien Preß-
freiheit und Nationalgarde -- die Wunder fallen vom politischen Himmel
so dicht und zahlreich wie vom natürlichen die Sternschnuppen in einer
kalten Novembernacht. Metternichs Fall beweist daß sein System
ungenügender war als seine Vertheidiger oder Ankläger es ahnten,
und daß die Oesterreicher politisch weiter sind als irgend jemand
es wußte. Das ist indeß mehr die wissenschaftliche Seite der
Begebenheit: ihre politische liegt in der Zukunft, in den Folgen die sie
haben wird, besonders für die freiheitliche und die vaterländische Sache
in Deutschland. Darüber schon jetzt ein umfassendes und unumstößliches
Urtheil haben zu wollen, wäre ein Vorurtheil im schlimmsten Sinne des
Worts; aber gedankenlos ein solches Ereigniß in sich aufnehmen, ist
geradezu unmöglich.

Der Wiener Aufstand entsprang nicht aus Localverhältnissen
und war nicht bloß gegen eine Person gerichtet, es gingen ihm
Adressen vorher, die auf Preßfreiheit und Reformen weitester Art an-
trugen. Darum ist das bisherige politische System des Landes in
seinem Grundpfeiler gestürzt, und in die Politik des Staats eine neue
Macht eingeführt: das Volk Oesterreichs. Da dieses, bis jetzt eine fast
unberechenbare Größe, wie es sich auch für die Zukunft im Einzelnen beneh-
men möge, im Ganzen thatkräftig auf Seite der Reformbewegung steht, so
muß letztere nun wie eine Springfluth die von ihr noch unerreichten
Theile unseres Vaterlandes überschäumen. Preußen muß ein consti-
tutioneller Staat werden, in Hannover die Charte eine Wahrheit, in
Sachsen ist die militärische Umzingelung Leipzigs nur noch ein gemalter
Schrecken. Die Reaction, welche noch vor wenigen Tagen wie eine
dunkle Woge sich gefahrbringend gegen das südwestliche Deutschland
heranzuwälzen drohte, ist für letzteres, das wollen wir zu Gott hoffen,
jetzt nur noch ein lächerlicher Begriff. Für die Fürsten der Reform-
staaten ist dieser Umstand eine Wohlthat, die, wenn sie nicht leichtsinnig
die Gunst des Glücks verscherzen, zu großem Heil für sie ausschlagen
kann, denn dem Argwohn der Unterthanen gegen sie ist ein mächtiger
Stachel genommen, für die Reformminister ist die Vernichtung der Reac-
tion eine der größten Erleichterungen, für die Völker der Reformstaaten
ist sie eine Probe ihrer politischen Reife. Ihren Ueberzeugungen, ihren
etwaigen Gelüsten ist der Zügel der Furcht abgenommen; nur von ihnen
hängt es ab, ob die gegenwärtige Bewegung auf der schmalen sichern
Linie der Reform dahergehen oder in die breiten gefahrvollen Felder der
Revolution hinausschweifen soll. Zum Segen für sie wird der Um-
[Spaltenumbruch] schwung der Dinge in der fröhlichen Kaiserstadt nur wenn sie stark ge-
nug sind das Glück zu tragen. Bauen wir auf die innere Kraft, das
innere Maß unserer Völker: sie haben sich während der letzten Tage
in schwierigen Krisen auf merkwürdige Weise bewährt, und werden un s
darum wohl auch jetzt nicht verlassen, wo alle sechs Augen des Würfels
obenauf für uns liegen. Durch unsere ganze bisherige Geschichte zieht
sich wie ein dunkles Verhängniß daß nie eine politische, religiöse oder
litterarische Umwälzung alle Theile des Vaterlandes gleichzeitig erfaßte,
und daß daher der politische, religiöse oder litterarische Fortschritt irgend-
eines unserer Stämmeregelmäßig zwischen ihm und den übrigen den geisti-
gen Zwischenraum erweiterte, das Gefühl der gemeinsamen Nationalität
lockerte. Das Gleiche drohte auch dießmal einzutreten. Während sich bereits
in der zweiten Woche des März zeigte daß die Constituirung eines einigen
Deutschlands binnen längstens zwei Monaten geschehen seyn müsse, wenn
sie überhaupt zu Stande kommen solle, griff die Reformbewegung in
Norddeutschland nur zögernd, unsicher um sich, schien sie in Oesterreich
auf Jahrzehnte vertagt bleiben zu müssen. Diejenigen unter uns welche
überzeugt waren daß uns in Deutschland Einheit zu allen Dingen min-
destens ebenso nöthig sey als Freiheit, fürchteten die nationale Einheits-
bewegung werde an dem ungleichmäßigen Fortschreiten der Reform
scheitern; die Masse des Volks war entschieden gegen Oesterreich und
Preußen gestimmt, so lange nicht beide Staaten im neuen Geleise daher-
fuhren. Bei der Nachricht daß Oesterreicher als Besatzung nach Ulm
kommen würden, ging durch Süddeutschland eine Aufregung als rückten
Franzosen oder Russen ins Land. Das deutsche Parlament, nur mög-
lich bei gleicher politischer Constituirung unserer Einzelstaaten, und die
Grundlage, der Kitt unseres Vaterlandes, schien nicht ohne Ausschlie-
ßung Oesterreichs zu Stande kommen zu dürfen. Alles das ist jetzt --
anders geworden: das wäre vielleicht zu sanguinisch -- aber man steht:
es kann, es wird ohne Zweifel anders werden. Unsere deutschen Stämme
werden wahrscheinlich binnen kurzem auf politisch nicht allzusehr ver-
schiedenen Grundlagen constituirt seyn, Oesterreich wird das deutsche
Parlament beschicken können. Freudig dürfen wir alsdann singen: das
ganze Deutschland nenne dein, wir haben die Einheit, die Bedingung
unserer innern Freiheit, das Fußgestell unserer Bedeutung nach außen
gerettet, eine unabsehbare Zukunft liegt vor uns; dem Weltfrieden ist
durch die einfache Thatsache unserer Einheit eine nicht unbedeutende Ga-
rantie gegeben, und die Aussicht hierauf möge uns jetzt trösten wo wir
noch ängstlich und ungewiß fragen: wird der Aufstand in Wien der
einzige in der Monarchie bleiben? Werden die italienischen, böhmischen
und ungarischen Fragen sich auf eine für uns Deutsche befriedigende
Art lösen? Wir hoffen es, denn wir sehen die Söhne aller Nationen
des Kaiserstaats in Wien sich brüderlich die Hände bieten.



Die Nationalvertretung im Bund.
III.

. . Mit dem Sturz des Fürsten v. Metternich ist das Deutschland
des Wiener Congresses in einem seiner Schöpfer und seiner mächtigsten
Stützen zusammengebrochen. Er ist gefallen, wie Guizot vor einem
Straßenkampf, vor dem Widerspruch mit seiner Zeit, ein Doctrinär
noch hartnäckiger und gläubiger als der französische Staatsmann. Sein
Fall war nicht so plötzlich, aber er ist noch tiefer, welthistorischer, denn
er reißt die ganze aristokratische Diplomatie, die Dictatur der Fürsten-
congresse und Conferenzen mit sich. Der stolze Staatskanzler, der sich
einst rühmen konnte der Sieger über den Sieger der Revolution zu seyn,
der ein Menschenalter über ein großes Reich geherrscht, Deutschland und
Italien an seine Verträge gekettet, der Vertraute der alten Höfe und
der Rathgeber junger Dynastien, er ist dem Irrthum unterlegen daß er
die Cabinette für die Völker und die Beredsamkeit der Depeschen für die
öffentliche Meinung, wie Guizot die ihm ergebene Kammer für Frank-
reich nahm. Seit Wochen schon ging durch die englische und die fran-
zösische Presse die Sage der Fürst v. Metternich habe abgedankt. Dort
wo es Regel ist daß Minister deren Politik unglücklich ausschlägt ihr
Portefeuille niederlegen, hatte man keinen Begriff davon wie sich der,
wenn auch noch so geschickte und geistreiche Repräsentant eines Systems,
das seit den galizischen Geschichten in Italien, in der Schweiz, im eige-
nen Lande, besonders Ungarn, in immer unauflöslichere, gefährlichere,
kostspieligere Verwicklungen gerathen war, dennoch am Ruder behaup-
ten konnte. Furchtbare Nemesis! Dieser mächtige Wille, der sich ver-
messen dem Jahrhundert sein Veto zuzurufen, sollte die Gewalt noch in

[Spaltenumbruch] auch in allen Einzelnheiten durchgängige Gleichheit in der Wahl der
Unterhausmitglieder. Auch bei der Zugrundlegung des Verhältniſſes
der Bevölkerung, die wir für das richtige halten, könnte es z. B. ange-
meſſen erſcheinen in größern Staaten auf ein Mehrfaches der in kleinern
Staaten angenommenen Bevölkerung ein Wahlcollegium zu bilden das
ſodann auch die mehrfache Zahl von Abgeordneten zu wählen hätte.

Daß bei der Beſtellung des vorzugsweiſen Organs der vollziehen-
den Gewalt die Analogie der amerikaniſchen Bundesverfaſſung verlaſſen
werden muß, dieß leuchtet ebenſowohl ein als die Nothwendigkeit ein
ſolches Organ für einen Bundesſtaat zu beſtellen der in ſeine Regierung
zwei große berathende Körper aufnehmen ſoll, und der daher doppelte
Urſache hat die Umſtändlichkeit und Vielſeitigkeit der Berathung durch
die Concentration und Raſchheit der Vollziehung auszugleichen. Doch
wird auch hier noch die Frage eine Erörterung verdienen, ob das eben-
ſowohl in unſerer eigenen Geſchichte als in der Verfaſſung von Nord-
amerika begründete Princip der Wahl ganz verlaſſen, ob nicht etwa,
wenn es als gerathen erſchiene, eine Wahl zwiſchen den zwei deutſchen
Großmächten dadurch zu umgehen daß die Vollziehungsgewalt einem
aus dieſen beiden und einer dritten Macht zuſammengeſetzten, nach
Stimmenmehrheit ſich entſcheidenden Collegium übertragen würde,
wenigſtens die Beſtimmung dieſer dritten Macht einer periodiſch zu er-
neuernden Wahl, auf welche beiden Häuſern ein gleicher Einfluß zuzuge-
ſtehen wäre, vorbehalten werden könnte.

Indem wir für jetzt auf dieſe Bemerkungen über die zunächſt vor-
liegenden Fragen uns beſchränken, behalten wir den weitern reichlichen
Stoff, welchen die Analogie der amerikaniſchen Verfaſſung darbietet,
ſpätern Erörterungen vor.



Die Erhebung von Wien.

Frankreich eine Republik, Oldenburg ein con-
ſtitutioneller Staat, Welcker Bundestagsgeſandter, Römer Miniſter, in
Wien Volksaufſtand, Metternich abgedankt, in der Kaiſerſtadt Wien Preß-
freiheit und Nationalgarde — die Wunder fallen vom politiſchen Himmel
ſo dicht und zahlreich wie vom natürlichen die Sternſchnuppen in einer
kalten Novembernacht. Metternichs Fall beweist daß ſein Syſtem
ungenügender war als ſeine Vertheidiger oder Ankläger es ahnten,
und daß die Oeſterreicher politiſch weiter ſind als irgend jemand
es wußte. Das iſt indeß mehr die wiſſenſchaftliche Seite der
Begebenheit: ihre politiſche liegt in der Zukunft, in den Folgen die ſie
haben wird, beſonders für die freiheitliche und die vaterländiſche Sache
in Deutſchland. Darüber ſchon jetzt ein umfaſſendes und unumſtößliches
Urtheil haben zu wollen, wäre ein Vorurtheil im ſchlimmſten Sinne des
Worts; aber gedankenlos ein ſolches Ereigniß in ſich aufnehmen, iſt
geradezu unmöglich.

Der Wiener Aufſtand entſprang nicht aus Localverhältniſſen
und war nicht bloß gegen eine Perſon gerichtet, es gingen ihm
Adreſſen vorher, die auf Preßfreiheit und Reformen weiteſter Art an-
trugen. Darum iſt das bisherige politiſche Syſtem des Landes in
ſeinem Grundpfeiler geſtürzt, und in die Politik des Staats eine neue
Macht eingeführt: das Volk Oeſterreichs. Da dieſes, bis jetzt eine faſt
unberechenbare Größe, wie es ſich auch für die Zukunft im Einzelnen beneh-
men möge, im Ganzen thatkräftig auf Seite der Reformbewegung ſteht, ſo
muß letztere nun wie eine Springfluth die von ihr noch unerreichten
Theile unſeres Vaterlandes überſchäumen. Preußen muß ein conſti-
tutioneller Staat werden, in Hannover die Charte eine Wahrheit, in
Sachſen iſt die militäriſche Umzingelung Leipzigs nur noch ein gemalter
Schrecken. Die Reaction, welche noch vor wenigen Tagen wie eine
dunkle Woge ſich gefahrbringend gegen das ſüdweſtliche Deutſchland
heranzuwälzen drohte, iſt für letzteres, das wollen wir zu Gott hoffen,
jetzt nur noch ein lächerlicher Begriff. Für die Fürſten der Reform-
ſtaaten iſt dieſer Umſtand eine Wohlthat, die, wenn ſie nicht leichtſinnig
die Gunſt des Glücks verſcherzen, zu großem Heil für ſie ausſchlagen
kann, denn dem Argwohn der Unterthanen gegen ſie iſt ein mächtiger
Stachel genommen, für die Reformminiſter iſt die Vernichtung der Reac-
tion eine der größten Erleichterungen, für die Völker der Reformſtaaten
iſt ſie eine Probe ihrer politiſchen Reife. Ihren Ueberzeugungen, ihren
etwaigen Gelüſten iſt der Zügel der Furcht abgenommen; nur von ihnen
hängt es ab, ob die gegenwärtige Bewegung auf der ſchmalen ſichern
Linie der Reform dahergehen oder in die breiten gefahrvollen Felder der
Revolution hinausſchweifen ſoll. Zum Segen für ſie wird der Um-
[Spaltenumbruch] ſchwung der Dinge in der fröhlichen Kaiſerſtadt nur wenn ſie ſtark ge-
nug ſind das Glück zu tragen. Bauen wir auf die innere Kraft, das
innere Maß unſerer Völker: ſie haben ſich während der letzten Tage
in ſchwierigen Kriſen auf merkwürdige Weiſe bewährt, und werden un s
darum wohl auch jetzt nicht verlaſſen, wo alle ſechs Augen des Würfels
obenauf für uns liegen. Durch unſere ganze bisherige Geſchichte zieht
ſich wie ein dunkles Verhängniß daß nie eine politiſche, religiöſe oder
litterariſche Umwälzung alle Theile des Vaterlandes gleichzeitig erfaßte,
und daß daher der politiſche, religiöſe oder litterariſche Fortſchritt irgend-
eines unſerer Stämmeregelmäßig zwiſchen ihm und den übrigen den geiſti-
gen Zwiſchenraum erweiterte, das Gefühl der gemeinſamen Nationalität
lockerte. Das Gleiche drohte auch dießmal einzutreten. Während ſich bereits
in der zweiten Woche des März zeigte daß die Conſtituirung eines einigen
Deutſchlands binnen längſtens zwei Monaten geſchehen ſeyn müſſe, wenn
ſie überhaupt zu Stande kommen ſolle, griff die Reformbewegung in
Norddeutſchland nur zögernd, unſicher um ſich, ſchien ſie in Oeſterreich
auf Jahrzehnte vertagt bleiben zu müſſen. Diejenigen unter uns welche
überzeugt waren daß uns in Deutſchland Einheit zu allen Dingen min-
deſtens ebenſo nöthig ſey als Freiheit, fürchteten die nationale Einheits-
bewegung werde an dem ungleichmäßigen Fortſchreiten der Reform
ſcheitern; die Maſſe des Volks war entſchieden gegen Oeſterreich und
Preußen geſtimmt, ſo lange nicht beide Staaten im neuen Geleiſe daher-
fuhren. Bei der Nachricht daß Oeſterreicher als Beſatzung nach Ulm
kommen würden, ging durch Süddeutſchland eine Aufregung als rückten
Franzoſen oder Ruſſen ins Land. Das deutſche Parlament, nur mög-
lich bei gleicher politiſcher Conſtituirung unſerer Einzelſtaaten, und die
Grundlage, der Kitt unſeres Vaterlandes, ſchien nicht ohne Ausſchlie-
ßung Oeſterreichs zu Stande kommen zu dürfen. Alles das iſt jetzt —
anders geworden: das wäre vielleicht zu ſanguiniſch — aber man ſteht:
es kann, es wird ohne Zweifel anders werden. Unſere deutſchen Stämme
werden wahrſcheinlich binnen kurzem auf politiſch nicht allzuſehr ver-
ſchiedenen Grundlagen conſtituirt ſeyn, Oeſterreich wird das deutſche
Parlament beſchicken können. Freudig dürfen wir alsdann ſingen: das
ganze Deutſchland nenne dein, wir haben die Einheit, die Bedingung
unſerer innern Freiheit, das Fußgeſtell unſerer Bedeutung nach außen
gerettet, eine unabſehbare Zukunft liegt vor uns; dem Weltfrieden iſt
durch die einfache Thatſache unſerer Einheit eine nicht unbedeutende Ga-
rantie gegeben, und die Ausſicht hierauf möge uns jetzt tröſten wo wir
noch ängſtlich und ungewiß fragen: wird der Aufſtand in Wien der
einzige in der Monarchie bleiben? Werden die italieniſchen, böhmiſchen
und ungariſchen Fragen ſich auf eine für uns Deutſche befriedigende
Art löſen? Wir hoffen es, denn wir ſehen die Söhne aller Nationen
des Kaiſerſtaats in Wien ſich brüderlich die Hände bieten.



Die Nationalvertretung im Bund.
III.

. . Mit dem Sturz des Fürſten v. Metternich iſt das Deutſchland
des Wiener Congreſſes in einem ſeiner Schöpfer und ſeiner mächtigſten
Stützen zuſammengebrochen. Er iſt gefallen, wie Guizot vor einem
Straßenkampf, vor dem Widerſpruch mit ſeiner Zeit, ein Doctrinär
noch hartnäckiger und gläubiger als der franzöſiſche Staatsmann. Sein
Fall war nicht ſo plötzlich, aber er iſt noch tiefer, welthiſtoriſcher, denn
er reißt die ganze ariſtokratiſche Diplomatie, die Dictatur der Fürſten-
congreſſe und Conferenzen mit ſich. Der ſtolze Staatskanzler, der ſich
einſt rühmen konnte der Sieger über den Sieger der Revolution zu ſeyn,
der ein Menſchenalter über ein großes Reich geherrſcht, Deutſchland und
Italien an ſeine Verträge gekettet, der Vertraute der alten Höfe und
der Rathgeber junger Dynaſtien, er iſt dem Irrthum unterlegen daß er
die Cabinette für die Völker und die Beredſamkeit der Depeſchen für die
öffentliche Meinung, wie Guizot die ihm ergebene Kammer für Frank-
reich nahm. Seit Wochen ſchon ging durch die engliſche und die fran-
zöſiſche Preſſe die Sage der Fürſt v. Metternich habe abgedankt. Dort
wo es Regel iſt daß Miniſter deren Politik unglücklich ausſchlägt ihr
Portefeuille niederlegen, hatte man keinen Begriff davon wie ſich der,
wenn auch noch ſo geſchickte und geiſtreiche Repräſentant eines Syſtems,
das ſeit den galiziſchen Geſchichten in Italien, in der Schweiz, im eige-
nen Lande, beſonders Ungarn, in immer unauflöslichere, gefährlichere,
koſtſpieligere Verwicklungen gerathen war, dennoch am Ruder behaup-
ten konnte. Furchtbare Nemeſis! Dieſer mächtige Wille, der ſich ver-
meſſen dem Jahrhundert ſein Veto zuzurufen, ſollte die Gewalt noch in

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[0010] auch in allen Einzelnheiten durchgängige Gleichheit in der Wahl der Unterhausmitglieder. Auch bei der Zugrundlegung des Verhältniſſes der Bevölkerung, die wir für das richtige halten, könnte es z. B. ange- meſſen erſcheinen in größern Staaten auf ein Mehrfaches der in kleinern Staaten angenommenen Bevölkerung ein Wahlcollegium zu bilden das ſodann auch die mehrfache Zahl von Abgeordneten zu wählen hätte. Daß bei der Beſtellung des vorzugsweiſen Organs der vollziehen- den Gewalt die Analogie der amerikaniſchen Bundesverfaſſung verlaſſen werden muß, dieß leuchtet ebenſowohl ein als die Nothwendigkeit ein ſolches Organ für einen Bundesſtaat zu beſtellen der in ſeine Regierung zwei große berathende Körper aufnehmen ſoll, und der daher doppelte Urſache hat die Umſtändlichkeit und Vielſeitigkeit der Berathung durch die Concentration und Raſchheit der Vollziehung auszugleichen. Doch wird auch hier noch die Frage eine Erörterung verdienen, ob das eben- ſowohl in unſerer eigenen Geſchichte als in der Verfaſſung von Nord- amerika begründete Princip der Wahl ganz verlaſſen, ob nicht etwa, wenn es als gerathen erſchiene, eine Wahl zwiſchen den zwei deutſchen Großmächten dadurch zu umgehen daß die Vollziehungsgewalt einem aus dieſen beiden und einer dritten Macht zuſammengeſetzten, nach Stimmenmehrheit ſich entſcheidenden Collegium übertragen würde, wenigſtens die Beſtimmung dieſer dritten Macht einer periodiſch zu er- neuernden Wahl, auf welche beiden Häuſern ein gleicher Einfluß zuzuge- ſtehen wäre, vorbehalten werden könnte. Indem wir für jetzt auf dieſe Bemerkungen über die zunächſt vor- liegenden Fragen uns beſchränken, behalten wir den weitern reichlichen Stoff, welchen die Analogie der amerikaniſchen Verfaſſung darbietet, ſpätern Erörterungen vor. Die Erhebung von Wien. B Vom Lech. Frankreich eine Republik, Oldenburg ein con- ſtitutioneller Staat, Welcker Bundestagsgeſandter, Römer Miniſter, in Wien Volksaufſtand, Metternich abgedankt, in der Kaiſerſtadt Wien Preß- freiheit und Nationalgarde — die Wunder fallen vom politiſchen Himmel ſo dicht und zahlreich wie vom natürlichen die Sternſchnuppen in einer kalten Novembernacht. Metternichs Fall beweist daß ſein Syſtem ungenügender war als ſeine Vertheidiger oder Ankläger es ahnten, und daß die Oeſterreicher politiſch weiter ſind als irgend jemand es wußte. Das iſt indeß mehr die wiſſenſchaftliche Seite der Begebenheit: ihre politiſche liegt in der Zukunft, in den Folgen die ſie haben wird, beſonders für die freiheitliche und die vaterländiſche Sache in Deutſchland. Darüber ſchon jetzt ein umfaſſendes und unumſtößliches Urtheil haben zu wollen, wäre ein Vorurtheil im ſchlimmſten Sinne des Worts; aber gedankenlos ein ſolches Ereigniß in ſich aufnehmen, iſt geradezu unmöglich. Der Wiener Aufſtand entſprang nicht aus Localverhältniſſen und war nicht bloß gegen eine Perſon gerichtet, es gingen ihm Adreſſen vorher, die auf Preßfreiheit und Reformen weiteſter Art an- trugen. Darum iſt das bisherige politiſche Syſtem des Landes in ſeinem Grundpfeiler geſtürzt, und in die Politik des Staats eine neue Macht eingeführt: das Volk Oeſterreichs. Da dieſes, bis jetzt eine faſt unberechenbare Größe, wie es ſich auch für die Zukunft im Einzelnen beneh- men möge, im Ganzen thatkräftig auf Seite der Reformbewegung ſteht, ſo muß letztere nun wie eine Springfluth die von ihr noch unerreichten Theile unſeres Vaterlandes überſchäumen. Preußen muß ein conſti- tutioneller Staat werden, in Hannover die Charte eine Wahrheit, in Sachſen iſt die militäriſche Umzingelung Leipzigs nur noch ein gemalter Schrecken. Die Reaction, welche noch vor wenigen Tagen wie eine dunkle Woge ſich gefahrbringend gegen das ſüdweſtliche Deutſchland heranzuwälzen drohte, iſt für letzteres, das wollen wir zu Gott hoffen, jetzt nur noch ein lächerlicher Begriff. Für die Fürſten der Reform- ſtaaten iſt dieſer Umſtand eine Wohlthat, die, wenn ſie nicht leichtſinnig die Gunſt des Glücks verſcherzen, zu großem Heil für ſie ausſchlagen kann, denn dem Argwohn der Unterthanen gegen ſie iſt ein mächtiger Stachel genommen, für die Reformminiſter iſt die Vernichtung der Reac- tion eine der größten Erleichterungen, für die Völker der Reformſtaaten iſt ſie eine Probe ihrer politiſchen Reife. Ihren Ueberzeugungen, ihren etwaigen Gelüſten iſt der Zügel der Furcht abgenommen; nur von ihnen hängt es ab, ob die gegenwärtige Bewegung auf der ſchmalen ſichern Linie der Reform dahergehen oder in die breiten gefahrvollen Felder der Revolution hinausſchweifen ſoll. Zum Segen für ſie wird der Um- ſchwung der Dinge in der fröhlichen Kaiſerſtadt nur wenn ſie ſtark ge- nug ſind das Glück zu tragen. Bauen wir auf die innere Kraft, das innere Maß unſerer Völker: ſie haben ſich während der letzten Tage in ſchwierigen Kriſen auf merkwürdige Weiſe bewährt, und werden un s darum wohl auch jetzt nicht verlaſſen, wo alle ſechs Augen des Würfels obenauf für uns liegen. Durch unſere ganze bisherige Geſchichte zieht ſich wie ein dunkles Verhängniß daß nie eine politiſche, religiöſe oder litterariſche Umwälzung alle Theile des Vaterlandes gleichzeitig erfaßte, und daß daher der politiſche, religiöſe oder litterariſche Fortſchritt irgend- eines unſerer Stämmeregelmäßig zwiſchen ihm und den übrigen den geiſti- gen Zwiſchenraum erweiterte, das Gefühl der gemeinſamen Nationalität lockerte. Das Gleiche drohte auch dießmal einzutreten. Während ſich bereits in der zweiten Woche des März zeigte daß die Conſtituirung eines einigen Deutſchlands binnen längſtens zwei Monaten geſchehen ſeyn müſſe, wenn ſie überhaupt zu Stande kommen ſolle, griff die Reformbewegung in Norddeutſchland nur zögernd, unſicher um ſich, ſchien ſie in Oeſterreich auf Jahrzehnte vertagt bleiben zu müſſen. Diejenigen unter uns welche überzeugt waren daß uns in Deutſchland Einheit zu allen Dingen min- deſtens ebenſo nöthig ſey als Freiheit, fürchteten die nationale Einheits- bewegung werde an dem ungleichmäßigen Fortſchreiten der Reform ſcheitern; die Maſſe des Volks war entſchieden gegen Oeſterreich und Preußen geſtimmt, ſo lange nicht beide Staaten im neuen Geleiſe daher- fuhren. Bei der Nachricht daß Oeſterreicher als Beſatzung nach Ulm kommen würden, ging durch Süddeutſchland eine Aufregung als rückten Franzoſen oder Ruſſen ins Land. Das deutſche Parlament, nur mög- lich bei gleicher politiſcher Conſtituirung unſerer Einzelſtaaten, und die Grundlage, der Kitt unſeres Vaterlandes, ſchien nicht ohne Ausſchlie- ßung Oeſterreichs zu Stande kommen zu dürfen. Alles das iſt jetzt — anders geworden: das wäre vielleicht zu ſanguiniſch — aber man ſteht: es kann, es wird ohne Zweifel anders werden. Unſere deutſchen Stämme werden wahrſcheinlich binnen kurzem auf politiſch nicht allzuſehr ver- ſchiedenen Grundlagen conſtituirt ſeyn, Oeſterreich wird das deutſche Parlament beſchicken können. Freudig dürfen wir alsdann ſingen: das ganze Deutſchland nenne dein, wir haben die Einheit, die Bedingung unſerer innern Freiheit, das Fußgeſtell unſerer Bedeutung nach außen gerettet, eine unabſehbare Zukunft liegt vor uns; dem Weltfrieden iſt durch die einfache Thatſache unſerer Einheit eine nicht unbedeutende Ga- rantie gegeben, und die Ausſicht hierauf möge uns jetzt tröſten wo wir noch ängſtlich und ungewiß fragen: wird der Aufſtand in Wien der einzige in der Monarchie bleiben? Werden die italieniſchen, böhmiſchen und ungariſchen Fragen ſich auf eine für uns Deutſche befriedigende Art löſen? Wir hoffen es, denn wir ſehen die Söhne aller Nationen des Kaiſerſtaats in Wien ſich brüderlich die Hände bieten. Die Nationalvertretung im Bund. III. . . Mit dem Sturz des Fürſten v. Metternich iſt das Deutſchland des Wiener Congreſſes in einem ſeiner Schöpfer und ſeiner mächtigſten Stützen zuſammengebrochen. Er iſt gefallen, wie Guizot vor einem Straßenkampf, vor dem Widerſpruch mit ſeiner Zeit, ein Doctrinär noch hartnäckiger und gläubiger als der franzöſiſche Staatsmann. Sein Fall war nicht ſo plötzlich, aber er iſt noch tiefer, welthiſtoriſcher, denn er reißt die ganze ariſtokratiſche Diplomatie, die Dictatur der Fürſten- congreſſe und Conferenzen mit ſich. Der ſtolze Staatskanzler, der ſich einſt rühmen konnte der Sieger über den Sieger der Revolution zu ſeyn, der ein Menſchenalter über ein großes Reich geherrſcht, Deutſchland und Italien an ſeine Verträge gekettet, der Vertraute der alten Höfe und der Rathgeber junger Dynaſtien, er iſt dem Irrthum unterlegen daß er die Cabinette für die Völker und die Beredſamkeit der Depeſchen für die öffentliche Meinung, wie Guizot die ihm ergebene Kammer für Frank- reich nahm. Seit Wochen ſchon ging durch die engliſche und die fran- zöſiſche Preſſe die Sage der Fürſt v. Metternich habe abgedankt. Dort wo es Regel iſt daß Miniſter deren Politik unglücklich ausſchlägt ihr Portefeuille niederlegen, hatte man keinen Begriff davon wie ſich der, wenn auch noch ſo geſchickte und geiſtreiche Repräſentant eines Syſtems, das ſeit den galiziſchen Geſchichten in Italien, in der Schweiz, im eige- nen Lande, beſonders Ungarn, in immer unauflöslichere, gefährlichere, koſtſpieligere Verwicklungen gerathen war, dennoch am Ruder behaup- ten konnte. Furchtbare Nemeſis! Dieſer mächtige Wille, der ſich ver- meſſen dem Jahrhundert ſein Veto zuzurufen, ſollte die Gewalt noch in

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 80, 20. März 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine80_1848/10>, abgerufen am 22.11.2024.