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Allgemeine Zeitung, Nr. 79, 19. März 1848.

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[Spaltenumbruch] Nationalgarde und das Versprechen auf der Bahn des Fortschritts wei-
ter zu wandeln. Aus Grätz, Olmütz und andern Städten treffen Nach-
richten ein welche von gleichen Auftritten melden. Die Ligorianer ha-
ben ihr Kloster bei Maria Stiegen verlassen und campiren in den Ca-
sernen auf dem Salzgries.


Die Haltung der Einwohner der innern
Stadt während dieser drei Tage einer unbeschreiblichen Aufregung kann
mit Rücksicht auf die Zeitumstände unbedingt als eine musterhafte be-
zeichnet werden, denn die an einigen öffentlichen Gebäuden am ersten
Abend verübten Gewaltthätigkeiten waren das Werk einer geringen An-
zahl von Leuten aus dem Pöbel der zum Glück in der Stadt kaum zählt,
und der auch bald der Mäßigung welche die gebildeten Classen beseelte,
das Feld unbedingt räumen mußte, so daß schon nach der achten Stunde
des Abends die Sache ein ganz anderes Ansehen gewann, und von die-
sem Augenblick an auch nicht die geringste Ausschweifung mehr statt-
fand. Minder günstige Berichte gehen von den Vorstädten ein, wo an
den Barrieren einige Mauthhäuser zerstört, und in mehrern Fabriken die
Maschinen vernichtet worden find. Auch in Sechshaus und einigen an-
dern Dörfern in der Umgebung Wiens find Excesse vorgefallen, denen je-
doch durch die vereinten Bemühungen des Bürger- und Studentencorps,
sowie des Militärs einigermaßen gesteuert wurde. Zahlreiche Ver-
haftungen von Individuen aus dem tobenden Pöbel haben daselbst statt-
gefunden, ohne daß man daraus völlige Beruhigung für die nächsten
Tage geschöpft hat, da das Militär durch einen ununterbrochenen drei-
tägigen Dienst fast erschöpft ist, das Bürgercorps für die Erhaltung der
Ordnung auf einem ausgedehnten Flächenraum -- Stadt und alle Vor-
städte -- Sorge tragen muß, und das Corps der Studirenden, in wel-
chern man auch mehrere Bürger in Uniform bemerkte, durch die Conjunc-
turen der Zeit sich seit heute früh genöthigt glaubt seine Thätigkeit auf
die innere Stadt zu beschränken. In diesem Augenblick find die Studi-
renden auf der Universität und den nächsten Umgebungen derselben con-
centrirt, sie entsenden ihre Patrouillen nach mehrern Richtungen, ohne
jedoch das Bedürfniß des Concentrirtbleibens auch nur einen Augenblick
aus den Augen zu lassen. Sie scheinen überhaupt sich trefflich organi-
sirt zu haben, und zeigen in allen ihren Bewegungen eine fast militäri-
sche Zuversicht. Aufgefallen sind mir heute besonders einige Rotten an
der hiesigen Universität studirender Italiener durch ihre schöne Haltung
und durch die Männlichkeit ihrer Gesichtszüge, sowie durch das innige
Einvernehmen mit ihren deutschen Brüdern, an die sie sich mit Hinge-
bung anschließen, das deutsche Commandowort befolgend und sich selbst
desselben bedienend. Möge dieß ein günstiges Vorzeichen seyn einer künf-
tigen Einigung beider Nationen die bestimmt seyn dürften auf der Bahn
der Civilisation und der politischen Verbesserungen Hand in Hand zu
gehen. Und keine Nation unserer großen Monarchie ist in diesem Corps
unvertreten, Ungarn, Polen, Böhmen etc. stehen nebeneinander und
scheinen von einem Gedanken, von einem Gefühl beseelt zu seyn. -- Ich
habe Ihnen bereits berichtet daß noch gestern Abends die Preßsreiheit
verkündet wurde. Die Errichtung der Nationalgarde ward schon ge-
stern begonnen, heute wird sie in den vier Vierteln der Stadt und in
den Vorstädten fortgesetzt. Die Wahl der Officiere wird durch die Na-
tionalgarde selbst vorgenommen werden. Man hofft auf diese Art ein
imposantes Corps von 50--60,000 Mann in Wien zusammenzubringen.
Heute früh ward endlich das Gesetz wegen Einführung allgemeiner
Reichsstände (aller Provinzen mit Ausnahme Ungarns) promulgirt,
welche längstens bis zum 3 Jul. zusammenberufen werden sollen. Sie
werden aus Abgeordneten der Provinzialstände bestehen, und in allen
Zweigen der Gesetzgebung und Verwaltung ihren Beirath ertheilen.
Bald nach der Kundmachung dieser neuen Gesetze zeigte sich Se. Maj.
öffentlich seinem dankerfüllten Volk, und fuhr in Begleitung seines
Bruders und Thronfolgers Sr. kais. H. des Erzherzogs Franz Karl un-
ter dem begeisterten Jubel einer zahllosen Menschenmenge durch die be-
deutendsten Straßen der Stadt. -- Einen unangenehmen Eindruck auf
die Bevölkerung hatte die Anordnung hervorgebracht daß alle Civil-
behörden bis zur gänzlichen Herstellung der Ruhe dem Jnterimscomman-
direnden der Provinz, General Fürst Windischgrätz, untergeordnet wer-
den sollten, was man einer Erklärung der Stadt in Belagerungsstand
gleichsetzte. Diese Verordnung ist, soviel mir bekannt, nicht ausdrück-
lich zurückgenommen worden, obwohl Windischgrätz, der überhaupt keine
Popularität genießt, sich von dem genannten Posten zurückgezogen, und
den allgemein beliebten Fürsten Karl Liechtenstein zum Nachfolger er-
halten haben soll. Jch sage "soll," obwohl die Sache gewiß seyn mag,
[Spaltenumbruch] da die zahllosen Gerüchte die sich in diesen Tagen verbreiteten, sich meist
als ungegründet zeigten, und man schlechterdings nichts glauben kann
als was man mit eigenen Augen "gedruckt" steht. -- Das Militär ist
auf den meisten Wachtposten von Bürgern abgelöst, die eigentlich mili-
tärischen Positionen sind zum Theil -- wie die Stadtthore -- von Mili-
tär und Bürgern gemeinschaftlich besetzt. -- Die auf den Zeitraum vom
13 bis 18 d. verfallenden Zahlungen, Wechselacceptionen etc. sind auf die
nächsten Tage nach diesem Termin verschoben. Schließlich kann der
gegenwärtige Stand der Dinge mit wenigen Worten so bezeichnet wer-
den: die Majorttät der Bevölkerung ist mit dem Erhaltenen zufrieden
und betrachtet es mit dankerfülltem Herzen als eine große Errungen-
schaft; eine nicht unbedeutende Minorität steht jedoch in dem Gesetze über
Errichtung von Reichsständen dieselben Fehler und Mängel mit denen
das Institut der Provincialstände, aus denen jene hervorgehen, behaftet
ist. Diese Partei scheint eine wirkliche Volksvertretung nach der neuen
Art der Constitutionen zu verlangen, und solange dieses Zerwürfniß
nicht auf die eine oder die andere Art beigelegt ist, können Sie die Sa-
chen hier nicht als gänzlich beendigt ansehen. Zu der erwähnten Mino-
rität scheinen nebst dem Corps der Studirenden auch Theile des Bürger-
corps zu gehören.


Ich theile Ihnen fol-
gende gedruckte Rede, welche an vielen Orten vorgelesen wird, in Ab-
schrift mit, da ich für Geld kein Exemplar davon erobern konnte:
"Bürger von Wien! Das Volk hat gestern lang unterdrückte Wünsche
laut werden lassen, und ihr wißt wie darauf geantwortet wurde! Bür-
ger und Freunde! Von heute an haben wir eine solche Antwort nicht
mehr zu fürchten; umsomehr stehen unsere Wünsche an der Pforte der
Erfüllung! Lassen wir sie da nicht stehen! Welche Hindernisse uns auch
noch entgegentreten mögen, das Recht und die Zeit find für uns. Wir
dürfen nur wollen und wir werden haben! Aber wir müssen wissen
was wir wollen! Hört den Grund dafür! Man sagt vor allem muß
Ordnung und Sicherheit seyn; aber ich frage, wodurch wollt ihr diese
herstellen? Wieder durch Waffengewalt, wie gestern? Man hat die Wir-
kung gesehen! Also wodurch? Antwort: Nur durch Einigkeit. Aber
ich frage weiter: Wodurch wollt ihr die Einigkeit begründen? Antwort:
Nur dadurch daß alle in dem was sie wollen übereinstimmen. Soll
man aber darin übereinstimmen, so muß man wissen was man will!
Die Punkte in denen die Wünsche aller sich vereinigen, müssen auch alle
wahren Freunde des Volkes und des öffentlichen Wohls kennen,
und die Fahne seyn um die wir uns schaaren. Mitbürger! Es kann
über diesen Punkt kein Zweifel seyn! Wir haben so viele Jahre lang er-
fahren was uns fehlt und was uns drückt -- das genügt um zu wis-
sen was uns jetzt noth thut! Es thut uns aber noth vor allem Frei-
heit der Presse,
damit die guten Bürger ihre Beschwerden und Wün-
sche offen aussprechen können und keiner Aufstände bedürfen! Ihr
wißt daß bereits nicht nur dieser erste Punkt, sondern auch die so drin-
gende nöthige allgemeine Bewaffnung uns zugestanden ist durch Er-
richtung einer Nationalgarde unter dem so hochgeachteten Grafen
Hoyos. Indem wir dieß mit dem freudigsten Danke annehmen, kann es
uns doch nur eine Aufforderung seyn weiter zu gehen zu dem was nicht
minder noth
thut, und ebenso allgemeiner Wunsch ist -- das ist eine
billige und gleichmäßiger vertheilte Besteuerung; und die Hauptsache
hierbei: öffentliche Rechenschaft über Verwendung der Ab-
gaben, also Verantwortlichkeit auch der höchsten Staatsbe-
amten
. Eine solche Verantwortlichkeit der Beamten vor dem Volk
kann aber nicht stattfinden wenn nicht das Volk wirklich vertreten ist
durch erwählte Männer aus seiner Mitte, welche öffentlich die allgemei-
nen Interessen schützen und fördern! Also eine allgemeine wahre,
öffentliche Volksvertretung,
keine geheimen und aristokra-
tischen Stände!
Bürger! Damit find die Fundamente für Erfül-
lung aller anderen gerechten Wünsche des Volkes gelegt. Haben wir
wahrhaft volksthümliche Vertreter, so werden dieselben nicht ermangeln
sofort auf Verminderung des stehenden Heeres in Friedenszeiten, so-
wie auf Verminderung der übermäßigen Abgaben zu dringen! Diesel-
ben werden nachdrücklich wirken für Verbesserung des Gerichtswesens,
für Freiheit des Glaubens, Reorganisation des gesammten Schulwe-
sens, Hebung der Gewerbe und des Handels, sowie für alle zeitgemäßen
Bedürfnisse des Volkes. Bürger! Hüten wir uns daß wir nicht zu
viel
verlangen und nichts Unzeitiges! Aber lassen wir auch nicht
Tage der Erfüllung vorübergehen welche oft in einem halben Jahrhun-
dert nicht wiederkehren! Fordern wir nur was unsere deutschen Brüder

[Spaltenumbruch] Nationalgarde und das Verſprechen auf der Bahn des Fortſchritts wei-
ter zu wandeln. Aus Grätz, Olmütz und andern Städten treffen Nach-
richten ein welche von gleichen Auftritten melden. Die Ligorianer ha-
ben ihr Kloſter bei Maria Stiegen verlaſſen und campiren in den Ca-
ſernen auf dem Salzgries.


Die Haltung der Einwohner der innern
Stadt während dieſer drei Tage einer unbeſchreiblichen Aufregung kann
mit Rückſicht auf die Zeitumſtände unbedingt als eine muſterhafte be-
zeichnet werden, denn die an einigen öffentlichen Gebäuden am erſten
Abend verübten Gewaltthätigkeiten waren das Werk einer geringen An-
zahl von Leuten aus dem Pöbel der zum Glück in der Stadt kaum zählt,
und der auch bald der Mäßigung welche die gebildeten Claſſen beſeelte,
das Feld unbedingt räumen mußte, ſo daß ſchon nach der achten Stunde
des Abends die Sache ein ganz anderes Anſehen gewann, und von die-
ſem Augenblick an auch nicht die geringſte Ausſchweifung mehr ſtatt-
fand. Minder günſtige Berichte gehen von den Vorſtädten ein, wo an
den Barrieren einige Mauthhäuſer zerſtört, und in mehrern Fabriken die
Maſchinen vernichtet worden find. Auch in Sechshaus und einigen an-
dern Dörfern in der Umgebung Wiens find Exceſſe vorgefallen, denen je-
doch durch die vereinten Bemühungen des Bürger- und Studentencorps,
ſowie des Militärs einigermaßen geſteuert wurde. Zahlreiche Ver-
haftungen von Individuen aus dem tobenden Pöbel haben daſelbſt ſtatt-
gefunden, ohne daß man daraus völlige Beruhigung für die nächſten
Tage geſchöpft hat, da das Militär durch einen ununterbrochenen drei-
tägigen Dienſt faſt erſchöpft iſt, das Bürgercorps für die Erhaltung der
Ordnung auf einem ausgedehnten Flächenraum — Stadt und alle Vor-
ſtädte — Sorge tragen muß, und das Corps der Studirenden, in wel-
chern man auch mehrere Bürger in Uniform bemerkte, durch die Conjunc-
turen der Zeit ſich ſeit heute früh genöthigt glaubt ſeine Thätigkeit auf
die innere Stadt zu beſchränken. In dieſem Augenblick find die Studi-
renden auf der Univerſität und den nächſten Umgebungen derſelben con-
centrirt, ſie entſenden ihre Patrouillen nach mehrern Richtungen, ohne
jedoch das Bedürfniß des Concentrirtbleibens auch nur einen Augenblick
aus den Augen zu laſſen. Sie ſcheinen überhaupt ſich trefflich organi-
ſirt zu haben, und zeigen in allen ihren Bewegungen eine faſt militäri-
ſche Zuverſicht. Aufgefallen ſind mir heute beſonders einige Rotten an
der hieſigen Univerſität ſtudirender Italiener durch ihre ſchöne Haltung
und durch die Männlichkeit ihrer Geſichtszüge, ſowie durch das innige
Einvernehmen mit ihren deutſchen Brüdern, an die ſie ſich mit Hinge-
bung anſchließen, das deutſche Commandowort befolgend und ſich ſelbſt
desſelben bedienend. Möge dieß ein günſtiges Vorzeichen ſeyn einer künf-
tigen Einigung beider Nationen die beſtimmt ſeyn dürften auf der Bahn
der Civiliſation und der politiſchen Verbeſſerungen Hand in Hand zu
gehen. Und keine Nation unſerer großen Monarchie iſt in dieſem Corps
unvertreten, Ungarn, Polen, Böhmen ꝛc. ſtehen nebeneinander und
ſcheinen von einem Gedanken, von einem Gefühl beſeelt zu ſeyn. — Ich
habe Ihnen bereits berichtet daß noch geſtern Abends die Preßſreiheit
verkündet wurde. Die Errichtung der Nationalgarde ward ſchon ge-
ſtern begonnen, heute wird ſie in den vier Vierteln der Stadt und in
den Vorſtädten fortgeſetzt. Die Wahl der Officiere wird durch die Na-
tionalgarde ſelbſt vorgenommen werden. Man hofft auf dieſe Art ein
impoſantes Corps von 50—60,000 Mann in Wien zuſammenzubringen.
Heute früh ward endlich das Geſetz wegen Einführung allgemeiner
Reichsſtände (aller Provinzen mit Ausnahme Ungarns) promulgirt,
welche längſtens bis zum 3 Jul. zuſammenberufen werden ſollen. Sie
werden aus Abgeordneten der Provinzialſtände beſtehen, und in allen
Zweigen der Geſetzgebung und Verwaltung ihren Beirath ertheilen.
Bald nach der Kundmachung dieſer neuen Geſetze zeigte ſich Se. Maj.
öffentlich ſeinem dankerfüllten Volk, und fuhr in Begleitung ſeines
Bruders und Thronfolgers Sr. kaiſ. H. des Erzherzogs Franz Karl un-
ter dem begeiſterten Jubel einer zahlloſen Menſchenmenge durch die be-
deutendſten Straßen der Stadt. — Einen unangenehmen Eindruck auf
die Bevölkerung hatte die Anordnung hervorgebracht daß alle Civil-
behörden bis zur gänzlichen Herſtellung der Ruhe dem Jnterimscomman-
direnden der Provinz, General Fürſt Windiſchgrätz, untergeordnet wer-
den ſollten, was man einer Erklärung der Stadt in Belagerungsſtand
gleichſetzte. Dieſe Verordnung iſt, ſoviel mir bekannt, nicht ausdrück-
lich zurückgenommen worden, obwohl Windiſchgrätz, der überhaupt keine
Popularität genießt, ſich von dem genannten Poſten zurückgezogen, und
den allgemein beliebten Fürſten Karl Liechtenſtein zum Nachfolger er-
halten haben ſoll. Jch ſage „ſoll,“ obwohl die Sache gewiß ſeyn mag,
[Spaltenumbruch] da die zahlloſen Gerüchte die ſich in dieſen Tagen verbreiteten, ſich meiſt
als ungegründet zeigten, und man ſchlechterdings nichts glauben kann
als was man mit eigenen Augen „gedruckt“ ſteht. — Das Militär iſt
auf den meiſten Wachtpoſten von Bürgern abgelöst, die eigentlich mili-
täriſchen Poſitionen ſind zum Theil — wie die Stadtthore — von Mili-
tär und Bürgern gemeinſchaftlich beſetzt. — Die auf den Zeitraum vom
13 bis 18 d. verfallenden Zahlungen, Wechſelacceptionen ꝛc. ſind auf die
nächſten Tage nach dieſem Termin verſchoben. Schließlich kann der
gegenwärtige Stand der Dinge mit wenigen Worten ſo bezeichnet wer-
den: die Majorttät der Bevölkerung iſt mit dem Erhaltenen zufrieden
und betrachtet es mit dankerfülltem Herzen als eine große Errungen-
ſchaft; eine nicht unbedeutende Minorität ſteht jedoch in dem Geſetze über
Errichtung von Reichsſtänden dieſelben Fehler und Mängel mit denen
das Inſtitut der Provincialſtände, aus denen jene hervorgehen, behaftet
iſt. Dieſe Partei ſcheint eine wirkliche Volksvertretung nach der neuen
Art der Conſtitutionen zu verlangen, und ſolange dieſes Zerwürfniß
nicht auf die eine oder die andere Art beigelegt iſt, können Sie die Sa-
chen hier nicht als gänzlich beendigt anſehen. Zu der erwähnten Mino-
rität ſcheinen nebſt dem Corps der Studirenden auch Theile des Bürger-
corps zu gehören.


Ich theile Ihnen fol-
gende gedruckte Rede, welche an vielen Orten vorgeleſen wird, in Ab-
ſchrift mit, da ich für Geld kein Exemplar davon erobern konnte:
„Bürger von Wien! Das Volk hat geſtern lang unterdrückte Wünſche
laut werden laſſen, und ihr wißt wie darauf geantwortet wurde! Bür-
ger und Freunde! Von heute an haben wir eine ſolche Antwort nicht
mehr zu fürchten; umſomehr ſtehen unſere Wünſche an der Pforte der
Erfüllung! Laſſen wir ſie da nicht ſtehen! Welche Hinderniſſe uns auch
noch entgegentreten mögen, das Recht und die Zeit find für uns. Wir
dürfen nur wollen und wir werden haben! Aber wir müſſen wiſſen
was wir wollen! Hört den Grund dafür! Man ſagt vor allem muß
Ordnung und Sicherheit ſeyn; aber ich frage, wodurch wollt ihr dieſe
herſtellen? Wieder durch Waffengewalt, wie geſtern? Man hat die Wir-
kung geſehen! Alſo wodurch? Antwort: Nur durch Einigkeit. Aber
ich frage weiter: Wodurch wollt ihr die Einigkeit begründen? Antwort:
Nur dadurch daß alle in dem was ſie wollen übereinſtimmen. Soll
man aber darin übereinſtimmen, ſo muß man wiſſen was man will!
Die Punkte in denen die Wünſche aller ſich vereinigen, müſſen auch alle
wahren Freunde des Volkes und des öffentlichen Wohls kennen,
und die Fahne ſeyn um die wir uns ſchaaren. Mitbürger! Es kann
über dieſen Punkt kein Zweifel ſeyn! Wir haben ſo viele Jahre lang er-
fahren was uns fehlt und was uns drückt — das genügt um zu wiſ-
ſen was uns jetzt noth thut! Es thut uns aber noth vor allem Frei-
heit der Preſſe,
damit die guten Bürger ihre Beſchwerden und Wün-
ſche offen ausſprechen können und keiner Aufſtände bedürfen! Ihr
wißt daß bereits nicht nur dieſer erſte Punkt, ſondern auch die ſo drin-
gende nöthige allgemeine Bewaffnung uns zugeſtanden iſt durch Er-
richtung einer Nationalgarde unter dem ſo hochgeachteten Grafen
Hoyos. Indem wir dieß mit dem freudigſten Danke annehmen, kann es
uns doch nur eine Aufforderung ſeyn weiter zu gehen zu dem was nicht
minder noth
thut, und ebenſo allgemeiner Wunſch iſt — das iſt eine
billige und gleichmäßiger vertheilte Beſteuerung; und die Hauptſache
hierbei: öffentliche Rechenſchaft über Verwendung der Ab-
gaben, alſo Verantwortlichkeit auch der höchſten Staatsbe-
amten
. Eine ſolche Verantwortlichkeit der Beamten vor dem Volk
kann aber nicht ſtattfinden wenn nicht das Volk wirklich vertreten iſt
durch erwählte Männer aus ſeiner Mitte, welche öffentlich die allgemei-
nen Intereſſen ſchützen und fördern! Alſo eine allgemeine wahre,
öffentliche Volksvertretung,
keine geheimen und ariſtokra-
tiſchen Stände!
Bürger! Damit find die Fundamente für Erfül-
lung aller anderen gerechten Wünſche des Volkes gelegt. Haben wir
wahrhaft volksthümliche Vertreter, ſo werden dieſelben nicht ermangeln
ſofort auf Verminderung des ſtehenden Heeres in Friedenszeiten, ſo-
wie auf Verminderung der übermäßigen Abgaben zu dringen! Dieſel-
ben werden nachdrücklich wirken für Verbeſſerung des Gerichtsweſens,
für Freiheit des Glaubens, Reorganiſation des geſammten Schulwe-
ſens, Hebung der Gewerbe und des Handels, ſowie für alle zeitgemäßen
Bedürfniſſe des Volkes. Bürger! Hüten wir uns daß wir nicht zu
viel
verlangen und nichts Unzeitiges! Aber laſſen wir auch nicht
Tage der Erfüllung vorübergehen welche oft in einem halben Jahrhun-
dert nicht wiederkehren! Fordern wir nur was unſere deutſchen Brüder

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[0019] Nationalgarde und das Verſprechen auf der Bahn des Fortſchritts wei- ter zu wandeln. Aus Grätz, Olmütz und andern Städten treffen Nach- richten ein welche von gleichen Auftritten melden. Die Ligorianer ha- ben ihr Kloſter bei Maria Stiegen verlaſſen und campiren in den Ca- ſernen auf dem Salzgries. *† Wien, 15 März. Die Haltung der Einwohner der innern Stadt während dieſer drei Tage einer unbeſchreiblichen Aufregung kann mit Rückſicht auf die Zeitumſtände unbedingt als eine muſterhafte be- zeichnet werden, denn die an einigen öffentlichen Gebäuden am erſten Abend verübten Gewaltthätigkeiten waren das Werk einer geringen An- zahl von Leuten aus dem Pöbel der zum Glück in der Stadt kaum zählt, und der auch bald der Mäßigung welche die gebildeten Claſſen beſeelte, das Feld unbedingt räumen mußte, ſo daß ſchon nach der achten Stunde des Abends die Sache ein ganz anderes Anſehen gewann, und von die- ſem Augenblick an auch nicht die geringſte Ausſchweifung mehr ſtatt- fand. Minder günſtige Berichte gehen von den Vorſtädten ein, wo an den Barrieren einige Mauthhäuſer zerſtört, und in mehrern Fabriken die Maſchinen vernichtet worden find. Auch in Sechshaus und einigen an- dern Dörfern in der Umgebung Wiens find Exceſſe vorgefallen, denen je- doch durch die vereinten Bemühungen des Bürger- und Studentencorps, ſowie des Militärs einigermaßen geſteuert wurde. Zahlreiche Ver- haftungen von Individuen aus dem tobenden Pöbel haben daſelbſt ſtatt- gefunden, ohne daß man daraus völlige Beruhigung für die nächſten Tage geſchöpft hat, da das Militär durch einen ununterbrochenen drei- tägigen Dienſt faſt erſchöpft iſt, das Bürgercorps für die Erhaltung der Ordnung auf einem ausgedehnten Flächenraum — Stadt und alle Vor- ſtädte — Sorge tragen muß, und das Corps der Studirenden, in wel- chern man auch mehrere Bürger in Uniform bemerkte, durch die Conjunc- turen der Zeit ſich ſeit heute früh genöthigt glaubt ſeine Thätigkeit auf die innere Stadt zu beſchränken. In dieſem Augenblick find die Studi- renden auf der Univerſität und den nächſten Umgebungen derſelben con- centrirt, ſie entſenden ihre Patrouillen nach mehrern Richtungen, ohne jedoch das Bedürfniß des Concentrirtbleibens auch nur einen Augenblick aus den Augen zu laſſen. Sie ſcheinen überhaupt ſich trefflich organi- ſirt zu haben, und zeigen in allen ihren Bewegungen eine faſt militäri- ſche Zuverſicht. Aufgefallen ſind mir heute beſonders einige Rotten an der hieſigen Univerſität ſtudirender Italiener durch ihre ſchöne Haltung und durch die Männlichkeit ihrer Geſichtszüge, ſowie durch das innige Einvernehmen mit ihren deutſchen Brüdern, an die ſie ſich mit Hinge- bung anſchließen, das deutſche Commandowort befolgend und ſich ſelbſt desſelben bedienend. Möge dieß ein günſtiges Vorzeichen ſeyn einer künf- tigen Einigung beider Nationen die beſtimmt ſeyn dürften auf der Bahn der Civiliſation und der politiſchen Verbeſſerungen Hand in Hand zu gehen. Und keine Nation unſerer großen Monarchie iſt in dieſem Corps unvertreten, Ungarn, Polen, Böhmen ꝛc. ſtehen nebeneinander und ſcheinen von einem Gedanken, von einem Gefühl beſeelt zu ſeyn. — Ich habe Ihnen bereits berichtet daß noch geſtern Abends die Preßſreiheit verkündet wurde. Die Errichtung der Nationalgarde ward ſchon ge- ſtern begonnen, heute wird ſie in den vier Vierteln der Stadt und in den Vorſtädten fortgeſetzt. Die Wahl der Officiere wird durch die Na- tionalgarde ſelbſt vorgenommen werden. Man hofft auf dieſe Art ein impoſantes Corps von 50—60,000 Mann in Wien zuſammenzubringen. Heute früh ward endlich das Geſetz wegen Einführung allgemeiner Reichsſtände (aller Provinzen mit Ausnahme Ungarns) promulgirt, welche längſtens bis zum 3 Jul. zuſammenberufen werden ſollen. Sie werden aus Abgeordneten der Provinzialſtände beſtehen, und in allen Zweigen der Geſetzgebung und Verwaltung ihren Beirath ertheilen. Bald nach der Kundmachung dieſer neuen Geſetze zeigte ſich Se. Maj. öffentlich ſeinem dankerfüllten Volk, und fuhr in Begleitung ſeines Bruders und Thronfolgers Sr. kaiſ. H. des Erzherzogs Franz Karl un- ter dem begeiſterten Jubel einer zahlloſen Menſchenmenge durch die be- deutendſten Straßen der Stadt. — Einen unangenehmen Eindruck auf die Bevölkerung hatte die Anordnung hervorgebracht daß alle Civil- behörden bis zur gänzlichen Herſtellung der Ruhe dem Jnterimscomman- direnden der Provinz, General Fürſt Windiſchgrätz, untergeordnet wer- den ſollten, was man einer Erklärung der Stadt in Belagerungsſtand gleichſetzte. Dieſe Verordnung iſt, ſoviel mir bekannt, nicht ausdrück- lich zurückgenommen worden, obwohl Windiſchgrätz, der überhaupt keine Popularität genießt, ſich von dem genannten Poſten zurückgezogen, und den allgemein beliebten Fürſten Karl Liechtenſtein zum Nachfolger er- halten haben ſoll. Jch ſage „ſoll,“ obwohl die Sache gewiß ſeyn mag, da die zahlloſen Gerüchte die ſich in dieſen Tagen verbreiteten, ſich meiſt als ungegründet zeigten, und man ſchlechterdings nichts glauben kann als was man mit eigenen Augen „gedruckt“ ſteht. — Das Militär iſt auf den meiſten Wachtpoſten von Bürgern abgelöst, die eigentlich mili- täriſchen Poſitionen ſind zum Theil — wie die Stadtthore — von Mili- tär und Bürgern gemeinſchaftlich beſetzt. — Die auf den Zeitraum vom 13 bis 18 d. verfallenden Zahlungen, Wechſelacceptionen ꝛc. ſind auf die nächſten Tage nach dieſem Termin verſchoben. Schließlich kann der gegenwärtige Stand der Dinge mit wenigen Worten ſo bezeichnet wer- den: die Majorttät der Bevölkerung iſt mit dem Erhaltenen zufrieden und betrachtet es mit dankerfülltem Herzen als eine große Errungen- ſchaft; eine nicht unbedeutende Minorität ſteht jedoch in dem Geſetze über Errichtung von Reichsſtänden dieſelben Fehler und Mängel mit denen das Inſtitut der Provincialſtände, aus denen jene hervorgehen, behaftet iſt. Dieſe Partei ſcheint eine wirkliche Volksvertretung nach der neuen Art der Conſtitutionen zu verlangen, und ſolange dieſes Zerwürfniß nicht auf die eine oder die andere Art beigelegt iſt, können Sie die Sa- chen hier nicht als gänzlich beendigt anſehen. Zu der erwähnten Mino- rität ſcheinen nebſt dem Corps der Studirenden auch Theile des Bürger- corps zu gehören. ✡ Wien, 15 März 2 Uhr Nachmittags. Ich theile Ihnen fol- gende gedruckte Rede, welche an vielen Orten vorgeleſen wird, in Ab- ſchrift mit, da ich für Geld kein Exemplar davon erobern konnte: „Bürger von Wien! Das Volk hat geſtern lang unterdrückte Wünſche laut werden laſſen, und ihr wißt wie darauf geantwortet wurde! Bür- ger und Freunde! Von heute an haben wir eine ſolche Antwort nicht mehr zu fürchten; umſomehr ſtehen unſere Wünſche an der Pforte der Erfüllung! Laſſen wir ſie da nicht ſtehen! Welche Hinderniſſe uns auch noch entgegentreten mögen, das Recht und die Zeit find für uns. Wir dürfen nur wollen und wir werden haben! Aber wir müſſen wiſſen was wir wollen! Hört den Grund dafür! Man ſagt vor allem muß Ordnung und Sicherheit ſeyn; aber ich frage, wodurch wollt ihr dieſe herſtellen? Wieder durch Waffengewalt, wie geſtern? Man hat die Wir- kung geſehen! Alſo wodurch? Antwort: Nur durch Einigkeit. Aber ich frage weiter: Wodurch wollt ihr die Einigkeit begründen? Antwort: Nur dadurch daß alle in dem was ſie wollen übereinſtimmen. Soll man aber darin übereinſtimmen, ſo muß man wiſſen was man will! Die Punkte in denen die Wünſche aller ſich vereinigen, müſſen auch alle wahren Freunde des Volkes und des öffentlichen Wohls kennen, und die Fahne ſeyn um die wir uns ſchaaren. Mitbürger! Es kann über dieſen Punkt kein Zweifel ſeyn! Wir haben ſo viele Jahre lang er- fahren was uns fehlt und was uns drückt — das genügt um zu wiſ- ſen was uns jetzt noth thut! Es thut uns aber noth vor allem Frei- heit der Preſſe, damit die guten Bürger ihre Beſchwerden und Wün- ſche offen ausſprechen können und keiner Aufſtände bedürfen! Ihr wißt daß bereits nicht nur dieſer erſte Punkt, ſondern auch die ſo drin- gende nöthige allgemeine Bewaffnung uns zugeſtanden iſt durch Er- richtung einer Nationalgarde unter dem ſo hochgeachteten Grafen Hoyos. Indem wir dieß mit dem freudigſten Danke annehmen, kann es uns doch nur eine Aufforderung ſeyn weiter zu gehen zu dem was nicht minder noth thut, und ebenſo allgemeiner Wunſch iſt — das iſt eine billige und gleichmäßiger vertheilte Beſteuerung; und die Hauptſache hierbei: öffentliche Rechenſchaft über Verwendung der Ab- gaben, alſo Verantwortlichkeit auch der höchſten Staatsbe- amten. Eine ſolche Verantwortlichkeit der Beamten vor dem Volk kann aber nicht ſtattfinden wenn nicht das Volk wirklich vertreten iſt durch erwählte Männer aus ſeiner Mitte, welche öffentlich die allgemei- nen Intereſſen ſchützen und fördern! Alſo eine allgemeine wahre, öffentliche Volksvertretung, keine geheimen und ariſtokra- tiſchen Stände! Bürger! Damit find die Fundamente für Erfül- lung aller anderen gerechten Wünſche des Volkes gelegt. Haben wir wahrhaft volksthümliche Vertreter, ſo werden dieſelben nicht ermangeln ſofort auf Verminderung des ſtehenden Heeres in Friedenszeiten, ſo- wie auf Verminderung der übermäßigen Abgaben zu dringen! Dieſel- ben werden nachdrücklich wirken für Verbeſſerung des Gerichtsweſens, für Freiheit des Glaubens, Reorganiſation des geſammten Schulwe- ſens, Hebung der Gewerbe und des Handels, ſowie für alle zeitgemäßen Bedürfniſſe des Volkes. Bürger! Hüten wir uns daß wir nicht zu viel verlangen und nichts Unzeitiges! Aber laſſen wir auch nicht Tage der Erfüllung vorübergehen welche oft in einem halben Jahrhun- dert nicht wiederkehren! Fordern wir nur was unſere deutſchen Brüder

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 79, 19. März 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine79_1848/19>, abgerufen am 21.11.2024.