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Allgemeine Zeitung, Nr. 79, 19. März 1848.

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Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung
vom 19 März 1848.


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Die Ereignisse in Wien.|

Ich schreibe Ihnen aus einem Zimmer,
das die Aussicht auf ein Lager darbietet, und vor mir liegt das Extra-
Blatt der Wiener Zeitung, welches die Aufhebung der Censur, die
in nächster Aussicht stehende Veröffentlichung eines Preßgesetzes und
die Errichtung einer Nationalgarde für die Residenz proclamirt. Hier-
aus schließen Sie schon daß die letzten Tage für Wien und den Staat
dessen Mittelpunkt Wien bildet, ereignißvoll gewesen sind. Sie waren
es im höchsten Grade, und da die mir bekannten gewöhnlichen Cor-
respondenten Ihrer Zeitung, geborne Oesterreicher, bereits als National-
gardisten unter den Waffen stehen, und dadurch, wie mir einer derselben
eben sagte, verhindert find Ihnen zu schreiben,*) so ergreife ich, der
Ausländer oder vielmehr nur der Nicht-Oesterreicher, der durch gesetz-
liche Verfügung von dieser Ehre ausgeschlossen ist, statt ihrer die Feder.
Ich beschränke mich bei meiner Darstellung auf dasjenige was ich ver-
bürgen kann; andere Mittheilungen mögen und werden die meinigen
ergänzen. Auf Montag, den 13 d. M., waren die niederösterreichischen
Stände einberufen, von deren dießjähriger Wirksamkeit die Partei des
Fortschritts schon vor dem Sturz der Julius-Dynastie große Erwartun-
gen gehegt hatte, und nach demselben natürlich keine geringeren zu hegen
anfing. Vornehmlich war es die akademische Jugend die auf die Stände
ihre Hoffnung setzte; aber auch die Bürgerschaft glaubte den Moment
ihres Zusammentretens für das Aussprechen lange genährter Wünsche
ergreifen zu müssen, und eine an die Stände gerichtete Adresse worin
das geschah, wälzte sich wie eine Lawine von Haus zu Haus und fand
in kürzester Zeit Tausende und aber Tausende von Unterschriften. Diese
Wünsche gingen hier, wie überall wo man noch zu wünschen hat, auf
Erleichterung der Presse, auf öffentliche Gerichte und auf eine constitu-
tionelle Verfassung in angemessenen und die Garantie der Dauer in sich
schließenden Formen. Auch die Studenten wollten eine Adresse ähnli-
chen Jnhalts einreichen und versammelten sich am Sonntag im Univer-
sitätsgebäude, um die, wie ich glaube, bereits aufgesetzte zu unterzeich-
nen; sie unterließen es aber, wiewohl nicht ohne Zögern und Wider-
stand, auf die Versicherung eines von ihnen mit Recht hochverehrten
Lehrers daß die Professoren, statt ihrer, in corpore mit einer der ihrigen
entsprechenden Adresse hervortreten und sie unmittelbar an den Thron
richten und bringen würden. Da ich bei diesen Vorgängen nicht anwe-
send war, so kann ich sie nur kurz berühren. Am Montag, Morgens
um 10 Uhr, fand ich die Herrengasse, in der sich das Ständehaus be-
findet, schon zum Erdrücken voll von Menschen; ob die Studenten, ob die
Stände feierlich in geordneten Reihen aufgezogen find, weiß ich nicht
zu sagen, obgleich ich mich zeitig genug einfand; das kann ich aber ver-
sichern daß sich nicht das Proletariat, sondern die Bildung eingestellt
hatte. Jn dem sehr geräumigen Hof des Ständehauses, der bald von
der sich immer mehr vergrößernden Menge überfluthet wurde, concen-
trirte sich vornehmlich die akademische Jugend; aus dem Ständesaal
sieht man in diesen Hof hinab, was einen unmittelbaren Verkehr zwi-
schen den Petitionirend-Haranguirenden von unten und den Beschwich-
tigend-Versprechenden von oben möglich machte. Es ging dabei her, wie
es konnte; ein Brunnenhaus ward die Tribüne der Studenten, und
der Marschall der Stände sprach aus einem Fenster herab. Reden wur-
den gehalten und vorgelesen, die Schlagworte: Preßfreiheit, öffentliches
Gerichtsverfahren, constitutionelle Monarchie! erschollen und electrisir-
ten, aber die Vivats die man dem kaiserlichen Hause eben so zahlreich
ausbrachte, begeisterten nicht weniger. Aus der Mitte der Studiren-
den ward eine Deputation an die Stände geschickt, die Stände ihrerseits
schickten den Entwurf einer von ihnen an den Thron zu richtenden Adresse
herunter, dieser ward freilich nicht genehmigt, sogar zerrissen, aber
Ordnung und Ruhe wurden nicht gestört, wenn das unaufhörliche Ru-
fen nach Ordnung und Ruhe, das kaum nöthig war, nicht für eine
solche Störung gelten soll. Gegen Mittag wurde einer der Redner von den
ihn Umringenden im Triumph auf den Ballplatz vor die Staatskanzlei
getragen, wo er, in der Mitte eines Auditoriums das schnell zusam-
menfloß, und dennoch so groß war wie der Platz selbst, seine Rede wie-
[Spaltenumbruch] derholte; hier ging es schon etwas lebhafter zu, aber von Excessen, ver-
suchten oder ausgeführten, war nicht die Rede. Bald darauf kam es
zwar im Ständehaus zu einem bedauerlichen Auftritt, jedoch nur aus
Mißverständniß. Ein Portier schloß, wie mir erzählt ward, die Thüre
welche die Deputirten der Studenten von der auf den Treppen und in den
Galerien des Gebäudes vertheilten Menge, die ihnen nachgedrungen
war, trennte; man glaubte daß sie ihrer Freiheit beraubt worden seyen
und drang gewaltsam ein, wobei denn die Fenster eingeschlagen und die
Sitzbänke zertrümmert wurden. Das Werk der Zerstörung dauerte
aber nicht länger als der Irrthum, und hatte keine andere Folge als daß man
sich gegenseitig um so angelegentlicher zu Ordnung und Ruhe ermahnte.
Mittlerweile oder vorher schon -- ich weiß es nicht genau, denn ich war dem
Zug auf den Ballplatz gesolgt -- hatte sich eine Deputation der Stände
zu Sr. Maj. dem Kaiser begeben, deren Resultat die Studenten im Stän-
dehause abwarten wollten. Bis dahin war von Polizei nichts zu er-
blicken gewesen, was einen sehr günstigen Eindruck hervorgebracht und
als ein Zeichen des Vertrauens lebhafte Anerkennung gefunden hatte;
jetzt aber fing das Militär an sich auszubreiten. Es entstanden auf der
Straße zwischen dem Volk und den Truppen Reibungen, wie sie selbst
bei festlichen Gelegenheiten nur selten auszubleiben pflegen, sie steigerten
sich allmählich, erreichten aber, so weit ich, der ich fast immer ein sehr
naher Augenzeuge war, urtheilen konnte, keineswegs einen Grad, der
erwarten ließ was um 3 Uhr geschah. Um diese Zeit wurde nämlich,
als ich, das Ständehaus verlassend und noch die letzte Studenten-Ermah-
nung zur Ruhe in den Ohren, wieder heraustrat, eine Salve gegeben,
von der hart neben mir ein Mensch fiel. Nun gab es allerdings einen
wilden Tumult, man zerstreute sich durch die ganze Stadt, alle Straßen
füllten sich, es kam noch an mehreren Plätzen zu blutigen Auftritten, von
denen ich nicht weiß ob sie mehr durch die äußerste Noth herbeigeführt
wurden wie jener erste, das Militär erschien in Massen, Kanonen wur-
den aufgefahren, die Thore geschlossen. Da ich in einer Vorstadt wohne,
und ein Gerücht das sich rasch verbreitete, mich zu den Todten zählte, so
eilte ich auf einen Moment zu den meinigen, wurde aber, zurückkehrend,
nicht wieder in die Stadt gelassen. Ich fand draußen auch genug zu
thun, die Aufregung war hier fast noch größer als drinnen, und theilte
sich den alleruntersten Classen mit; Brandstifter, Räuber und Plünderer
tauchten auf mit Einbruch der Nacht, es gab besonders vor der Maria-
hilfer-Linie, in Gumpendorf und Fünfhaus schreckliche Scenen. Jn der
Stadt schien es dagegen heiter herzugehen; sie wurde illuminirt; ich
konnte nicht erfahren warum. Am nächsten Morgen hörte ich, es sey
geschehen weil, wie bekannt geworden war, der Fürst Metternich sein Amt
als Staatskanzler niedergelegt habe, welche Nachricht denn auch die
Wiener Zeitung officiell publicirte. Diesen Tag, den 14, nahm die
Volksbewegung noch mehr wie den Tag zuvor den Charakter einer all-
gemeinen an; mit ihr stieg auch die Bereitwilligkeit des Kaisers sie durch
Eingehen in die Wünsche so vieler Tausende zu beschwichtigen. Die Er-
richtung einer Nationalgarde, einstweilen freilich auf die Residenz be-
schränkt, unter Garantien wie sie "der Besitz und die Intelligenz" darbie-
ten, war schon vorgestern spät Abends auf den Antrag des Magistrats
gestattet worden; sie trat gleich am Morgen ins Leben. Die Aufhe-
bung der Censur wurde demnächst ausgesprochen und die alsbaldige Ver-
öffentlichung eines Preßgesetzes in Aussicht gestellt; die Zusammenbe-
rufung von berathenden Provinzialständen sämmtlicher Provinzen mit
Ausnahme Ungarns ist ebenfalls bereits auf den 3 Jul. festgesetzt. Das
sind Errungenschaften, denen gegenüber sich jede Aufregung legt und le-
gen muß. Wenn daher heute, am dritten dieser drei großen Wiener
Tage, der ausgetretene Strom noch nicht ganz in sein Bett zurückgekehrt
ist, so wird er es doch sicher morgen thun, und das Militär, das jetzt noch
auf dem Glacis vor meinen Fenstern campirt und bivouakirt, wird ohne
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das Standbild Kaiser Josephs bekränzte, hat man heute Mittag Kaiser
Ferdinand, als er sich öffentlich zeigte, jubelnd begrüßt.


Mein gestriger Bericht reichte bis gegen
die Morgenstunden des 14. Die Stadt und die Vorstädte waren, wie
ich Ihnen meldete, ziemlich ruhig; zahlreiche Studentenpatrouillen
durchstreiften sie in allen Richtungen, und das Universitätsgebäude glich
einem großen Lager. Gegen 7 Uhr schon war alles auf den Beinen;

*) Wir erhielten vorgestern 17, gestern 11, heute 13 Briefe aus Wien,
sind aber für den vorliegenden so dankbar wie für die übrigen.
Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung
vom 19 März 1848.


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Die Ereigniſſe in Wien.|

Ich ſchreibe Ihnen aus einem Zimmer,
das die Ausſicht auf ein Lager darbietet, und vor mir liegt das Extra-
Blatt der Wiener Zeitung, welches die Aufhebung der Cenſur, die
in nächſter Ausſicht ſtehende Veröffentlichung eines Preßgeſetzes und
die Errichtung einer Nationalgarde für die Reſidenz proclamirt. Hier-
aus ſchließen Sie ſchon daß die letzten Tage für Wien und den Staat
deſſen Mittelpunkt Wien bildet, ereignißvoll geweſen ſind. Sie waren
es im höchſten Grade, und da die mir bekannten gewöhnlichen Cor-
reſpondenten Ihrer Zeitung, geborne Oeſterreicher, bereits als National-
gardiſten unter den Waffen ſtehen, und dadurch, wie mir einer derſelben
eben ſagte, verhindert find Ihnen zu ſchreiben,*) ſo ergreife ich, der
Ausländer oder vielmehr nur der Nicht-Oeſterreicher, der durch geſetz-
liche Verfügung von dieſer Ehre ausgeſchloſſen iſt, ſtatt ihrer die Feder.
Ich beſchränke mich bei meiner Darſtellung auf dasjenige was ich ver-
bürgen kann; andere Mittheilungen mögen und werden die meinigen
ergänzen. Auf Montag, den 13 d. M., waren die niederöſterreichiſchen
Stände einberufen, von deren dießjähriger Wirkſamkeit die Partei des
Fortſchritts ſchon vor dem Sturz der Julius-Dynaſtie große Erwartun-
gen gehegt hatte, und nach demſelben natürlich keine geringeren zu hegen
anfing. Vornehmlich war es die akademiſche Jugend die auf die Stände
ihre Hoffnung ſetzte; aber auch die Bürgerſchaft glaubte den Moment
ihres Zuſammentretens für das Ausſprechen lange genährter Wünſche
ergreifen zu müſſen, und eine an die Stände gerichtete Adreſſe worin
das geſchah, wälzte ſich wie eine Lawine von Haus zu Haus und fand
in kürzeſter Zeit Tauſende und aber Tauſende von Unterſchriften. Dieſe
Wünſche gingen hier, wie überall wo man noch zu wünſchen hat, auf
Erleichterung der Preſſe, auf öffentliche Gerichte und auf eine conſtitu-
tionelle Verfaſſung in angemeſſenen und die Garantie der Dauer in ſich
ſchließenden Formen. Auch die Studenten wollten eine Adreſſe ähnli-
chen Jnhalts einreichen und verſammelten ſich am Sonntag im Univer-
ſitätsgebäude, um die, wie ich glaube, bereits aufgeſetzte zu unterzeich-
nen; ſie unterließen es aber, wiewohl nicht ohne Zögern und Wider-
ſtand, auf die Verſicherung eines von ihnen mit Recht hochverehrten
Lehrers daß die Profeſſoren, ſtatt ihrer, in corpore mit einer der ihrigen
entſprechenden Adreſſe hervortreten und ſie unmittelbar an den Thron
richten und bringen würden. Da ich bei dieſen Vorgängen nicht anwe-
ſend war, ſo kann ich ſie nur kurz berühren. Am Montag, Morgens
um 10 Uhr, fand ich die Herrengaſſe, in der ſich das Ständehaus be-
findet, ſchon zum Erdrücken voll von Menſchen; ob die Studenten, ob die
Stände feierlich in geordneten Reihen aufgezogen find, weiß ich nicht
zu ſagen, obgleich ich mich zeitig genug einfand; das kann ich aber ver-
ſichern daß ſich nicht das Proletariat, ſondern die Bildung eingeſtellt
hatte. Jn dem ſehr geräumigen Hof des Ständehauſes, der bald von
der ſich immer mehr vergrößernden Menge überfluthet wurde, concen-
trirte ſich vornehmlich die akademiſche Jugend; aus dem Ständeſaal
ſieht man in dieſen Hof hinab, was einen unmittelbaren Verkehr zwi-
ſchen den Petitionirend-Haranguirenden von unten und den Beſchwich-
tigend-Verſprechenden von oben möglich machte. Es ging dabei her, wie
es konnte; ein Brunnenhaus ward die Tribüne der Studenten, und
der Marſchall der Stände ſprach aus einem Fenſter herab. Reden wur-
den gehalten und vorgeleſen, die Schlagworte: Preßfreiheit, öffentliches
Gerichtsverfahren, conſtitutionelle Monarchie! erſchollen und electriſir-
ten, aber die Vivats die man dem kaiſerlichen Hauſe eben ſo zahlreich
ausbrachte, begeiſterten nicht weniger. Aus der Mitte der Studiren-
den ward eine Deputation an die Stände geſchickt, die Stände ihrerſeits
ſchickten den Entwurf einer von ihnen an den Thron zu richtenden Adreſſe
herunter, dieſer ward freilich nicht genehmigt, ſogar zerriſſen, aber
Ordnung und Ruhe wurden nicht geſtört, wenn das unaufhörliche Ru-
fen nach Ordnung und Ruhe, das kaum nöthig war, nicht für eine
ſolche Störung gelten ſoll. Gegen Mittag wurde einer der Redner von den
ihn Umringenden im Triumph auf den Ballplatz vor die Staatskanzlei
getragen, wo er, in der Mitte eines Auditoriums das ſchnell zuſam-
menfloß, und dennoch ſo groß war wie der Platz ſelbſt, ſeine Rede wie-
[Spaltenumbruch] derholte; hier ging es ſchon etwas lebhafter zu, aber von Exceſſen, ver-
ſuchten oder ausgeführten, war nicht die Rede. Bald darauf kam es
zwar im Ständehaus zu einem bedauerlichen Auftritt, jedoch nur aus
Mißverſtändniß. Ein Portier ſchloß, wie mir erzählt ward, die Thüre
welche die Deputirten der Studenten von der auf den Treppen und in den
Galerien des Gebäudes vertheilten Menge, die ihnen nachgedrungen
war, trennte; man glaubte daß ſie ihrer Freiheit beraubt worden ſeyen
und drang gewaltſam ein, wobei denn die Fenſter eingeſchlagen und die
Sitzbänke zertrümmert wurden. Das Werk der Zerſtörung dauerte
aber nicht länger als der Irrthum, und hatte keine andere Folge als daß man
ſich gegenſeitig um ſo angelegentlicher zu Ordnung und Ruhe ermahnte.
Mittlerweile oder vorher ſchon — ich weiß es nicht genau, denn ich war dem
Zug auf den Ballplatz geſolgt — hatte ſich eine Deputation der Stände
zu Sr. Maj. dem Kaiſer begeben, deren Reſultat die Studenten im Stän-
dehauſe abwarten wollten. Bis dahin war von Polizei nichts zu er-
blicken geweſen, was einen ſehr günſtigen Eindruck hervorgebracht und
als ein Zeichen des Vertrauens lebhafte Anerkennung gefunden hatte;
jetzt aber fing das Militär an ſich auszubreiten. Es entſtanden auf der
Straße zwiſchen dem Volk und den Truppen Reibungen, wie ſie ſelbſt
bei feſtlichen Gelegenheiten nur ſelten auszubleiben pflegen, ſie ſteigerten
ſich allmählich, erreichten aber, ſo weit ich, der ich faſt immer ein ſehr
naher Augenzeuge war, urtheilen konnte, keineswegs einen Grad, der
erwarten ließ was um 3 Uhr geſchah. Um dieſe Zeit wurde nämlich,
als ich, das Ständehaus verlaſſend und noch die letzte Studenten-Ermah-
nung zur Ruhe in den Ohren, wieder heraustrat, eine Salve gegeben,
von der hart neben mir ein Menſch fiel. Nun gab es allerdings einen
wilden Tumult, man zerſtreute ſich durch die ganze Stadt, alle Straßen
füllten ſich, es kam noch an mehreren Plätzen zu blutigen Auftritten, von
denen ich nicht weiß ob ſie mehr durch die äußerſte Noth herbeigeführt
wurden wie jener erſte, das Militär erſchien in Maſſen, Kanonen wur-
den aufgefahren, die Thore geſchloſſen. Da ich in einer Vorſtadt wohne,
und ein Gerücht das ſich raſch verbreitete, mich zu den Todten zählte, ſo
eilte ich auf einen Moment zu den meinigen, wurde aber, zurückkehrend,
nicht wieder in die Stadt gelaſſen. Ich fand draußen auch genug zu
thun, die Aufregung war hier faſt noch größer als drinnen, und theilte
ſich den allerunterſten Claſſen mit; Brandſtifter, Räuber und Plünderer
tauchten auf mit Einbruch der Nacht, es gab beſonders vor der Maria-
hilfer-Linie, in Gumpendorf und Fünfhaus ſchreckliche Scenen. Jn der
Stadt ſchien es dagegen heiter herzugehen; ſie wurde illuminirt; ich
konnte nicht erfahren warum. Am nächſten Morgen hörte ich, es ſey
geſchehen weil, wie bekannt geworden war, der Fürſt Metternich ſein Amt
als Staatskanzler niedergelegt habe, welche Nachricht denn auch die
Wiener Zeitung officiell publicirte. Dieſen Tag, den 14, nahm die
Volksbewegung noch mehr wie den Tag zuvor den Charakter einer all-
gemeinen an; mit ihr ſtieg auch die Bereitwilligkeit des Kaiſers ſie durch
Eingehen in die Wünſche ſo vieler Tauſende zu beſchwichtigen. Die Er-
richtung einer Nationalgarde, einſtweilen freilich auf die Reſidenz be-
ſchränkt, unter Garantien wie ſie „der Beſitz und die Intelligenz„ darbie-
ten, war ſchon vorgeſtern ſpät Abends auf den Antrag des Magiſtrats
geſtattet worden; ſie trat gleich am Morgen ins Leben. Die Aufhe-
bung der Cenſur wurde demnächſt ausgeſprochen und die alsbaldige Ver-
öffentlichung eines Preßgeſetzes in Ausſicht geſtellt; die Zuſammenbe-
rufung von berathenden Provinzialſtänden ſämmtlicher Provinzen mit
Ausnahme Ungarns iſt ebenfalls bereits auf den 3 Jul. feſtgeſetzt. Das
ſind Errungenſchaften, denen gegenüber ſich jede Aufregung legt und le-
gen muß. Wenn daher heute, am dritten dieſer drei großen Wiener
Tage, der ausgetretene Strom noch nicht ganz in ſein Bett zurückgekehrt
iſt, ſo wird er es doch ſicher morgen thun, und das Militär, das jetzt noch
auf dem Glacis vor meinen Fenſtern campirt und bivouakirt, wird ohne
Zweifel allernächſtens in ſeine Caſernen heimziehen. Wie man geſtern
das Standbild Kaiſer Joſephs bekränzte, hat man heute Mittag Kaiſer
Ferdinand, als er ſich öffentlich zeigte, jubelnd begrüßt.


Mein geſtriger Bericht reichte bis gegen
die Morgenſtunden des 14. Die Stadt und die Vorſtädte waren, wie
ich Ihnen meldete, ziemlich ruhig; zahlreiche Studentenpatrouillen
durchſtreiften ſie in allen Richtungen, und das Univerſitätsgebäude glich
einem großen Lager. Gegen 7 Uhr ſchon war alles auf den Beinen;

*) Wir erhielten vorgeſtern 17, geſtern 11, heute 13 Briefe aus Wien,
ſind aber für den vorliegenden ſo dankbar wie für die übrigen.
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[0017] Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitungvom 19 März 1848. Die Ereigniſſe in Wien.| H Wien, 15 März. Ich ſchreibe Ihnen aus einem Zimmer, das die Ausſicht auf ein Lager darbietet, und vor mir liegt das Extra- Blatt der Wiener Zeitung, welches die Aufhebung der Cenſur, die in nächſter Ausſicht ſtehende Veröffentlichung eines Preßgeſetzes und die Errichtung einer Nationalgarde für die Reſidenz proclamirt. Hier- aus ſchließen Sie ſchon daß die letzten Tage für Wien und den Staat deſſen Mittelpunkt Wien bildet, ereignißvoll geweſen ſind. Sie waren es im höchſten Grade, und da die mir bekannten gewöhnlichen Cor- reſpondenten Ihrer Zeitung, geborne Oeſterreicher, bereits als National- gardiſten unter den Waffen ſtehen, und dadurch, wie mir einer derſelben eben ſagte, verhindert find Ihnen zu ſchreiben, *) ſo ergreife ich, der Ausländer oder vielmehr nur der Nicht-Oeſterreicher, der durch geſetz- liche Verfügung von dieſer Ehre ausgeſchloſſen iſt, ſtatt ihrer die Feder. Ich beſchränke mich bei meiner Darſtellung auf dasjenige was ich ver- bürgen kann; andere Mittheilungen mögen und werden die meinigen ergänzen. Auf Montag, den 13 d. M., waren die niederöſterreichiſchen Stände einberufen, von deren dießjähriger Wirkſamkeit die Partei des Fortſchritts ſchon vor dem Sturz der Julius-Dynaſtie große Erwartun- gen gehegt hatte, und nach demſelben natürlich keine geringeren zu hegen anfing. Vornehmlich war es die akademiſche Jugend die auf die Stände ihre Hoffnung ſetzte; aber auch die Bürgerſchaft glaubte den Moment ihres Zuſammentretens für das Ausſprechen lange genährter Wünſche ergreifen zu müſſen, und eine an die Stände gerichtete Adreſſe worin das geſchah, wälzte ſich wie eine Lawine von Haus zu Haus und fand in kürzeſter Zeit Tauſende und aber Tauſende von Unterſchriften. Dieſe Wünſche gingen hier, wie überall wo man noch zu wünſchen hat, auf Erleichterung der Preſſe, auf öffentliche Gerichte und auf eine conſtitu- tionelle Verfaſſung in angemeſſenen und die Garantie der Dauer in ſich ſchließenden Formen. Auch die Studenten wollten eine Adreſſe ähnli- chen Jnhalts einreichen und verſammelten ſich am Sonntag im Univer- ſitätsgebäude, um die, wie ich glaube, bereits aufgeſetzte zu unterzeich- nen; ſie unterließen es aber, wiewohl nicht ohne Zögern und Wider- ſtand, auf die Verſicherung eines von ihnen mit Recht hochverehrten Lehrers daß die Profeſſoren, ſtatt ihrer, in corpore mit einer der ihrigen entſprechenden Adreſſe hervortreten und ſie unmittelbar an den Thron richten und bringen würden. Da ich bei dieſen Vorgängen nicht anwe- ſend war, ſo kann ich ſie nur kurz berühren. Am Montag, Morgens um 10 Uhr, fand ich die Herrengaſſe, in der ſich das Ständehaus be- findet, ſchon zum Erdrücken voll von Menſchen; ob die Studenten, ob die Stände feierlich in geordneten Reihen aufgezogen find, weiß ich nicht zu ſagen, obgleich ich mich zeitig genug einfand; das kann ich aber ver- ſichern daß ſich nicht das Proletariat, ſondern die Bildung eingeſtellt hatte. Jn dem ſehr geräumigen Hof des Ständehauſes, der bald von der ſich immer mehr vergrößernden Menge überfluthet wurde, concen- trirte ſich vornehmlich die akademiſche Jugend; aus dem Ständeſaal ſieht man in dieſen Hof hinab, was einen unmittelbaren Verkehr zwi- ſchen den Petitionirend-Haranguirenden von unten und den Beſchwich- tigend-Verſprechenden von oben möglich machte. Es ging dabei her, wie es konnte; ein Brunnenhaus ward die Tribüne der Studenten, und der Marſchall der Stände ſprach aus einem Fenſter herab. Reden wur- den gehalten und vorgeleſen, die Schlagworte: Preßfreiheit, öffentliches Gerichtsverfahren, conſtitutionelle Monarchie! erſchollen und electriſir- ten, aber die Vivats die man dem kaiſerlichen Hauſe eben ſo zahlreich ausbrachte, begeiſterten nicht weniger. Aus der Mitte der Studiren- den ward eine Deputation an die Stände geſchickt, die Stände ihrerſeits ſchickten den Entwurf einer von ihnen an den Thron zu richtenden Adreſſe herunter, dieſer ward freilich nicht genehmigt, ſogar zerriſſen, aber Ordnung und Ruhe wurden nicht geſtört, wenn das unaufhörliche Ru- fen nach Ordnung und Ruhe, das kaum nöthig war, nicht für eine ſolche Störung gelten ſoll. Gegen Mittag wurde einer der Redner von den ihn Umringenden im Triumph auf den Ballplatz vor die Staatskanzlei getragen, wo er, in der Mitte eines Auditoriums das ſchnell zuſam- menfloß, und dennoch ſo groß war wie der Platz ſelbſt, ſeine Rede wie- derholte; hier ging es ſchon etwas lebhafter zu, aber von Exceſſen, ver- ſuchten oder ausgeführten, war nicht die Rede. Bald darauf kam es zwar im Ständehaus zu einem bedauerlichen Auftritt, jedoch nur aus Mißverſtändniß. Ein Portier ſchloß, wie mir erzählt ward, die Thüre welche die Deputirten der Studenten von der auf den Treppen und in den Galerien des Gebäudes vertheilten Menge, die ihnen nachgedrungen war, trennte; man glaubte daß ſie ihrer Freiheit beraubt worden ſeyen und drang gewaltſam ein, wobei denn die Fenſter eingeſchlagen und die Sitzbänke zertrümmert wurden. Das Werk der Zerſtörung dauerte aber nicht länger als der Irrthum, und hatte keine andere Folge als daß man ſich gegenſeitig um ſo angelegentlicher zu Ordnung und Ruhe ermahnte. Mittlerweile oder vorher ſchon — ich weiß es nicht genau, denn ich war dem Zug auf den Ballplatz geſolgt — hatte ſich eine Deputation der Stände zu Sr. Maj. dem Kaiſer begeben, deren Reſultat die Studenten im Stän- dehauſe abwarten wollten. Bis dahin war von Polizei nichts zu er- blicken geweſen, was einen ſehr günſtigen Eindruck hervorgebracht und als ein Zeichen des Vertrauens lebhafte Anerkennung gefunden hatte; jetzt aber fing das Militär an ſich auszubreiten. Es entſtanden auf der Straße zwiſchen dem Volk und den Truppen Reibungen, wie ſie ſelbſt bei feſtlichen Gelegenheiten nur ſelten auszubleiben pflegen, ſie ſteigerten ſich allmählich, erreichten aber, ſo weit ich, der ich faſt immer ein ſehr naher Augenzeuge war, urtheilen konnte, keineswegs einen Grad, der erwarten ließ was um 3 Uhr geſchah. Um dieſe Zeit wurde nämlich, als ich, das Ständehaus verlaſſend und noch die letzte Studenten-Ermah- nung zur Ruhe in den Ohren, wieder heraustrat, eine Salve gegeben, von der hart neben mir ein Menſch fiel. Nun gab es allerdings einen wilden Tumult, man zerſtreute ſich durch die ganze Stadt, alle Straßen füllten ſich, es kam noch an mehreren Plätzen zu blutigen Auftritten, von denen ich nicht weiß ob ſie mehr durch die äußerſte Noth herbeigeführt wurden wie jener erſte, das Militär erſchien in Maſſen, Kanonen wur- den aufgefahren, die Thore geſchloſſen. Da ich in einer Vorſtadt wohne, und ein Gerücht das ſich raſch verbreitete, mich zu den Todten zählte, ſo eilte ich auf einen Moment zu den meinigen, wurde aber, zurückkehrend, nicht wieder in die Stadt gelaſſen. Ich fand draußen auch genug zu thun, die Aufregung war hier faſt noch größer als drinnen, und theilte ſich den allerunterſten Claſſen mit; Brandſtifter, Räuber und Plünderer tauchten auf mit Einbruch der Nacht, es gab beſonders vor der Maria- hilfer-Linie, in Gumpendorf und Fünfhaus ſchreckliche Scenen. Jn der Stadt ſchien es dagegen heiter herzugehen; ſie wurde illuminirt; ich konnte nicht erfahren warum. Am nächſten Morgen hörte ich, es ſey geſchehen weil, wie bekannt geworden war, der Fürſt Metternich ſein Amt als Staatskanzler niedergelegt habe, welche Nachricht denn auch die Wiener Zeitung officiell publicirte. Dieſen Tag, den 14, nahm die Volksbewegung noch mehr wie den Tag zuvor den Charakter einer all- gemeinen an; mit ihr ſtieg auch die Bereitwilligkeit des Kaiſers ſie durch Eingehen in die Wünſche ſo vieler Tauſende zu beſchwichtigen. Die Er- richtung einer Nationalgarde, einſtweilen freilich auf die Reſidenz be- ſchränkt, unter Garantien wie ſie „der Beſitz und die Intelligenz„ darbie- ten, war ſchon vorgeſtern ſpät Abends auf den Antrag des Magiſtrats geſtattet worden; ſie trat gleich am Morgen ins Leben. Die Aufhe- bung der Cenſur wurde demnächſt ausgeſprochen und die alsbaldige Ver- öffentlichung eines Preßgeſetzes in Ausſicht geſtellt; die Zuſammenbe- rufung von berathenden Provinzialſtänden ſämmtlicher Provinzen mit Ausnahme Ungarns iſt ebenfalls bereits auf den 3 Jul. feſtgeſetzt. Das ſind Errungenſchaften, denen gegenüber ſich jede Aufregung legt und le- gen muß. Wenn daher heute, am dritten dieſer drei großen Wiener Tage, der ausgetretene Strom noch nicht ganz in ſein Bett zurückgekehrt iſt, ſo wird er es doch ſicher morgen thun, und das Militär, das jetzt noch auf dem Glacis vor meinen Fenſtern campirt und bivouakirt, wird ohne Zweifel allernächſtens in ſeine Caſernen heimziehen. Wie man geſtern das Standbild Kaiſer Joſephs bekränzte, hat man heute Mittag Kaiſer Ferdinand, als er ſich öffentlich zeigte, jubelnd begrüßt. ✡ Wien, 15 März. Mein geſtriger Bericht reichte bis gegen die Morgenſtunden des 14. Die Stadt und die Vorſtädte waren, wie ich Ihnen meldete, ziemlich ruhig; zahlreiche Studentenpatrouillen durchſtreiften ſie in allen Richtungen, und das Univerſitätsgebäude glich einem großen Lager. Gegen 7 Uhr ſchon war alles auf den Beinen; *) Wir erhielten vorgeſtern 17, geſtern 11, heute 13 Briefe aus Wien, ſind aber für den vorliegenden ſo dankbar wie für die übrigen.

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 79, 19. März 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine79_1848/17>, abgerufen am 28.11.2024.