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Allgemeine Zeitung, Nr. 78, 18. März 1848.

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Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung
vom 18 März 1848.


[Spaltenumbruch]
Oesterreich.
Die Ereignisse in Wien.

Ich
schreibe Ihnen diese Worte von der Studentenhauptwache im Univerfi-
tätsgebäude, wo sich seit einer Stunde die verschiedenen Corps der Be-
waffneten sammeln. Das Unglaubliche, das Unerhörte ist heute hier
geschehen: Wien, das bürgerliche, kaisertreue Wien ist in vollstem Auf-
stand, der Revolutionsruf erschallt in allen Straßen der Stadt und
der bevölkerten Vorstädte. Ich will Ihnen, so weit es meine fieberhafte
Aufregung erlaubt, die Geschichte des heutigen Tags erzählen, der einzig
in der Geschichte des Kaiserreichs und glorreich in der Geschichte Deutsch-
lands dasteht. Schon seit vorgestern circulirten hier unter Studenten,
Professoren und unter den Bürgern energische Petitionen, in einer
Sprache abgefaßt wie sie nur der augenblickliche Zustand aller Gemüther
der civilifirten Völker Europa's reden kann. Tausende von Unterschrif-
ten decken fie; Preßfreiheit, repräsentative Verfafsung, basirt auf der
breiten Grundlage der Volksvertretung, neu zu organifirende Munlcipal-
Verfassung mit freier Wahl der städtischen Beamten und Vertreter, volle
Religionsgleichheit, ein einziges gemeinsames österreichisches
Parlament,
engerer Anschluß an Deutschland und Vertretung in
einem deutschen Parlament
-- dieß waren die wesentlichsten Forde-
rungen des Volkes, denen ich noch Umgestaltung des Militärwesens und
Schaffung einer Bürgergarde beifügen muß. Der heutige Tag, wo sich die
Landstände im Landhause versammeln sollten, wurde zur allgemeinen De-
monstration bestimmt. Schon früh morgens sammelten sich etwa 2--3000
Studenten im Universitätsgebäude um eine Deputation zu erwählen,
welche die Wünsche den Ständen schriftlich überreichen und mündlich
vortragen sollte. Einer der Professoren verwies vergebens auf das
Ungesetzliche solcher Demonstration; er sprach von organischer Entwick-
lung auf dem bestehenden Rechtsboden und wurde, wie sich von selbst
versteht, gänzlich abgewiesen. Gegen 9 Uhr sammelten sich schon Schaa
ren des Volkes um das Landhaus in der Herrengasse, und gegen 10 Uhr
erschienen die Studenten. Zahlreiche Redner bestiegen alles was eine
Erhöhung bot, und redeten zum Volke welches nach jedem Vorschlage
und vorgetragenen Wunsche in laute Hurrahs ausbrach. Endlich orga-
nifirten sich die Massen in dem inneren Hofe des Landhauses selbst. Zwei
Studenten -- Juristen, von denen der eine ein Pole war -- nahmen von
einer Altane aus das Wort, und verlasen zuerst die vortreffliche Rede
Kossuths worin alle Wünsche des Volkes mit Klarheit und Energie aus-
gesprochen waren. Dann folgte die Verlesung der Forderungen des
Volkes und eine beredte Auseinandersetzung der Nothwendigkeit diese
augenblicklich realisirt zu sehen. Vor allen zeichnete sich hier ein Stu-
dent Namens Barian aus, der zu wiederholtenmalen eine wirklich große
Volksberedsamkeit entwickelte. Unterdessen ging eine Deputation in den
Ständesaal, von wo aus wiederum ein Ständemitglied erschien und er-
klärte: die Stände selbst seyen mit den Wünschen des Polkes einverstan-
den. Es wurde bei dieser Gelegenheit der Entwurf der ständischen
Adreffe an den Kaiser verlesen, aber die Sprache zu gemäßigt, der Jnhalt
den dringenden Umständen der Zeit nicht mehr angemessen gefunden.
Sie wurde von dem Studentenredner unter ungeheurem Jubel des
Volkes vor den Augen der Stände zerrissen. Unterdessen steigerte sich
der Tumult, die Massen drangen in alle Säle des Landhauses ein; und
man verlangte immer lauter eine augenblickliche Erklärung der Stände,
und daß dieselben gleich in corpore zum Kaiser sich begeben sollten. Jn
dem innern Hofraum wurde eine zweite Deputation aus Volk und Stu-
denten gewählt, wozu auch Schreiber dieser Zeilen gehörte. Der Name
Metternich wurde immer lauter gerufen, und unter wildem Lärm gelang
es der Deputation bis an den Eingang des Ständesaales vorzudringen.
Vergebens bemühren sich einzelne Ständemitglieder ihren Eintritt in die
Versammlung zu verwehren und bei dieser Gelegenheit gab ein Mißver-
ständniß Veranlassung zu bedauernswerthen Scenen. Etwa 5 der De-
putirten waren in dem Vorzimmer des Ständesaales verschwunden und
man glaubte sie verhaftet; augenblicklich wurden die Thüren gestürmt
und mit Bänken eingerannt; alle Tische, Stühle, Uhren, Fenster der
Vorzimmer in tausend Trümmer zerschlagen und daraus Waffen ge-
macht. Die Stände zitterten für ihr Leben. Ein Deputirter (Schreiber
dieses) schlug als einzige Garantie für die Herstellung der Ruhe augen-
blickliche Absetzung des Fürsten Metternich und in Anklagestandsetzung
[Spaltenumbruch] desselben, wegen Hochverrath an Volk und Kaiser, vor. Unterdessen
wuchs der Tumult in den Höfen und Straßen. Der obengenannte Red-
ner wurde vom Volk im Triumph herumgetragen und alles schrie plötzlich,
als habe es sich elektrisch durch die Massen bewegt -- "nach dem Palais
Metternich". Der Redner wurde hingetragen, und hier gestützt auf vier
kräftige Schultern hielt er bald an das Volk, bald an die in Metternichs
Salon versammelten Hof- und Staatsbeamten sich wendend eine Rede
als wäre er Lamartine in Paris. Das Hurrah und Halloh des Volkes
war unbeschreiblich, unermeßlich. Darauf wälzte sich wieder der Zug ins
Ständehaus, wo unterdessen alles zertrümmert war. Die Stände wur-
den genöthigt augenblicklich sich in Gesammtheit zum Kaiser zu verfügen und
außer Anerkennung der aufgestellten und vielfach schriftlich überreichten
Forderungen auf alsbaldige Absetzung Metternichs anzutragen. Unter-
dessen wurden die Fenster am Burgtheater eingeschlagen, der Straßen-
tumult war allgemein. Endlich trat eine gewisse Pause ein; man erwar-
tete mit gespannter Hoffnung die Antwort des Kaisers. Aber statt der-
selben erschienen zahlreiche Militär-Abtheilungen welche die Burg besetz-
ten, alle Zugänge absperrten, wie auch das Palais Metternich in weitem
Kreise umringten. Der Ruf nach dem Erscheinen der Bürgergarden
und Bewaffnung der Studenten wurde immer lauter und lauter, im-
mer massenhafter entwickelten sich die Volkshaufen. Man sing schon
an das Militär eng zu umdrängen, und zwei Compagnien Grenadiere,
welche den Eingang des Landhauses besetzen sollten, wurden bald in
zwei Abtheilungen vom Volke getrennt, zusammengedrückt und nach
Niedertretung von zwei bis drei etwas barschigen Grenadieren ge-
zwungen ihre Bajonette abzunehmen und abzuziehen. Unterdessen
sammelten sich immer größere Massen -- besonders auf dem Judenplatz
und dem Hof; aber es erschienen auch imposante Militärmassen:
Linie, ungarische Garden, Husaren, Cuirassiere besetzten alle Haupt-
plätze und Straßen -- vom Bürgermilitär war noch nichts zu sehen.
Auf einmal erschallt tausendstimmiger Ruf: "das Volk zum Zeug-
haus", und mit Knütteln, Stöcken und Brettern bewaffnete Mas-
sen wälzen fich von der Gegend des Landhauses zum Hof und zur
Gegend des Zeughauses. Auf der Freiung geschah die erste brutale
Gewaltthat. Einiges Werfen mit Ziegelsteinen, wovon jedoch kein
Soldat ernstlich betroffen wurde, war wohl neben der auf dem voll-
glänzenden Gesicht eines übermüthigen Rittmeisters sichtbaren Erhitzung
gegen das Volk die Hauptursache des Angriffes. Plötzlich hört man in
der Nähe eine Infanteriesalve; Entsetzen und Wuth ergreift das Volk;
rathlos, ohne Waffen, ohne Führer stürzt es wuthheulend durch die Stra-
ßen; dann erfolgt ein zweiter, ein dritter Angriff des Militärs, mit
wohlgenährtem Pelotonfeuer und Bajonnetangriff. Etwa 13 bis 15
blieben todt auf dem Platz und einige 50 haben mehr und wenig bedeu-
tende Wunden, darunter friedliche, angesehene Bürger. Sprachlos zer-
streuen sich für einige Augenblicke die angewachsenen Volkshaufen, welche
auch trotz unmenschlicher Mühe die sie sich bei Erstürmung der Thüre
des Zeughauses gaben, diese nicht zu Stande brachten. Abermals trat
eine Pause ein; der Ruf nach Bürgerbewaffnung wurde lauter und lau-
ter, doch erschien noch keiner. Unterdessen wurden Todte, mit Blut be-
deckt, durch die Straßen getragen; einige Verwundete ritten mit blut-
geröthetem Gesicht und Binde zu Pferd durch alle Straßen der Stadt um
dem Volk das Entsetzliche zu zeigen. Unterdessen fingen die dichtbevöl-
kerten-Vorstädte an sich gegen die Stadt hin zu entleeren; der weite
Raum der Glacis deckte sich mit unzähligen Gruppen, worunter überall
die Redner die Ereignisse des Tages erzählten. Endlich erschienen einige
Bürgersoldaten: sie wurden mit Jubelruf begrüßt und unzählige Volks-
haufen umgaben sie. Auf den Glacis bildeten sich dann einige Batail-
lone und gegen 6 Uhr rückten sie in die Stadt ein. Unterdessen durch-
zogen lärmende Volkshaufen die Straßen; Schilderhäuser, Annoncen-
bretter, Baugerüste wurden zertrümmert und niedergerissen, am Polizei-
gebäude und an hundert andern die Fenster eingeworfen und Versuche
zu Barricaden gemacht. Die Studenten waren unter Leitung ihrer
Professoren und Führer abermals versammelt und verlangten Bewaff-
nung zum Schutze der Stadt und der Wehrlosen. Deputation folgt auf
Deputation; endlich heißt es: "zum bürgerlichen Zeughaus, wir bekom-
men Waffen!" Die Mediciner, Juristen, Philosophen und Polytechniker
wandten sich alsbald dahin und nach einigem Zögern thaten sich die Thore
auf. Im Hofe unter Fackelschein und Ueberwachung durch Bürgergar-

[Spaltenumbruch]
Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung
vom 18 März 1848.


[Spaltenumbruch]
Oeſterreich.
Die Ereigniſſe in Wien.

Ich
ſchreibe Ihnen dieſe Worte von der Studentenhauptwache im Univerfi-
tätsgebäude, wo ſich ſeit einer Stunde die verſchiedenen Corps der Be-
waffneten ſammeln. Das Unglaubliche, das Unerhörte iſt heute hier
geſchehen: Wien, das bürgerliche, kaiſertreue Wien iſt in vollſtem Auf-
ſtand, der Revolutionsruf erſchallt in allen Straßen der Stadt und
der bevölkerten Vorſtädte. Ich will Ihnen, ſo weit es meine fieberhafte
Aufregung erlaubt, die Geſchichte des heutigen Tags erzählen, der einzig
in der Geſchichte des Kaiſerreichs und glorreich in der Geſchichte Deutſch-
lands daſteht. Schon ſeit vorgeſtern circulirten hier unter Studenten,
Profeſſoren und unter den Bürgern energiſche Petitionen, in einer
Sprache abgefaßt wie ſie nur der augenblickliche Zuſtand aller Gemüther
der civilifirten Völker Europa’s reden kann. Tauſende von Unterſchrif-
ten decken fie; Preßfreiheit, repräſentative Verfafſung, baſirt auf der
breiten Grundlage der Volksvertretung, neu zu organifirende Munlcipal-
Verfaſſung mit freier Wahl der ſtädtiſchen Beamten und Vertreter, volle
Religionsgleichheit, ein einziges gemeinſames öſterreichiſches
Parlament,
engerer Anſchluß an Deutſchland und Vertretung in
einem deutſchen Parlament
— dieß waren die weſentlichſten Forde-
rungen des Volkes, denen ich noch Umgeſtaltung des Militärweſens und
Schaffung einer Bürgergarde beifügen muß. Der heutige Tag, wo ſich die
Landſtände im Landhauſe verſammeln ſollten, wurde zur allgemeinen De-
monſtration beſtimmt. Schon früh morgens ſammelten ſich etwa 2—3000
Studenten im Univerſitätsgebäude um eine Deputation zu erwählen,
welche die Wünſche den Ständen ſchriftlich überreichen und mündlich
vortragen ſollte. Einer der Profeſſoren verwies vergebens auf das
Ungeſetzliche ſolcher Demonſtration; er ſprach von organiſcher Entwick-
lung auf dem beſtehenden Rechtsboden und wurde, wie ſich von ſelbſt
verſteht, gänzlich abgewieſen. Gegen 9 Uhr ſammelten ſich ſchon Schaa
ren des Volkes um das Landhaus in der Herrengaſſe, und gegen 10 Uhr
erſchienen die Studenten. Zahlreiche Redner beſtiegen alles was eine
Erhöhung bot, und redeten zum Volke welches nach jedem Vorſchlage
und vorgetragenen Wunſche in laute Hurrahs ausbrach. Endlich orga-
nifirten ſich die Maſſen in dem inneren Hofe des Landhauſes ſelbſt. Zwei
Studenten — Juriſten, von denen der eine ein Pole war — nahmen von
einer Altane aus das Wort, und verlaſen zuerſt die vortreffliche Rede
Koſſuths worin alle Wünſche des Volkes mit Klarheit und Energie aus-
geſprochen waren. Dann folgte die Verleſung der Forderungen des
Volkes und eine beredte Auseinanderſetzung der Nothwendigkeit dieſe
augenblicklich realiſirt zu ſehen. Vor allen zeichnete ſich hier ein Stu-
dent Namens Barian aus, der zu wiederholtenmalen eine wirklich große
Volksberedſamkeit entwickelte. Unterdeſſen ging eine Deputation in den
Ständeſaal, von wo aus wiederum ein Ständemitglied erſchien und er-
klärte: die Stände ſelbſt ſeyen mit den Wünſchen des Polkes einverſtan-
den. Es wurde bei dieſer Gelegenheit der Entwurf der ſtändiſchen
Adreffe an den Kaiſer verleſen, aber die Sprache zu gemäßigt, der Jnhalt
den dringenden Umſtänden der Zeit nicht mehr angemeſſen gefunden.
Sie wurde von dem Studentenredner unter ungeheurem Jubel des
Volkes vor den Augen der Stände zerriſſen. Unterdeſſen ſteigerte ſich
der Tumult, die Maſſen drangen in alle Säle des Landhauſes ein; und
man verlangte immer lauter eine augenblickliche Erklärung der Stände,
und daß dieſelben gleich in corpore zum Kaiſer ſich begeben ſollten. Jn
dem innern Hofraum wurde eine zweite Deputation aus Volk und Stu-
denten gewählt, wozu auch Schreiber dieſer Zeilen gehörte. Der Name
Metternich wurde immer lauter gerufen, und unter wildem Lärm gelang
es der Deputation bis an den Eingang des Ständeſaales vorzudringen.
Vergebens bemühren ſich einzelne Ständemitglieder ihren Eintritt in die
Verſammlung zu verwehren und bei dieſer Gelegenheit gab ein Mißver-
ſtändniß Veranlaſſung zu bedauernswerthen Scenen. Etwa 5 der De-
putirten waren in dem Vorzimmer des Ständeſaales verſchwunden und
man glaubte ſie verhaftet; augenblicklich wurden die Thüren geſtürmt
und mit Bänken eingerannt; alle Tiſche, Stühle, Uhren, Fenſter der
Vorzimmer in tauſend Trümmer zerſchlagen und daraus Waffen ge-
macht. Die Stände zitterten für ihr Leben. Ein Deputirter (Schreiber
dieſes) ſchlug als einzige Garantie für die Herſtellung der Ruhe augen-
blickliche Abſetzung des Fürſten Metternich und in Anklageſtandſetzung
[Spaltenumbruch] desſelben, wegen Hochverrath an Volk und Kaiſer, vor. Unterdeſſen
wuchs der Tumult in den Höfen und Straßen. Der obengenannte Red-
ner wurde vom Volk im Triumph herumgetragen und alles ſchrie plötzlich,
als habe es ſich elektriſch durch die Maſſen bewegt — „nach dem Palais
Metternich“. Der Redner wurde hingetragen, und hier geſtützt auf vier
kräftige Schultern hielt er bald an das Volk, bald an die in Metternichs
Salon verſammelten Hof- und Staatsbeamten ſich wendend eine Rede
als wäre er Lamartine in Paris. Das Hurrah und Halloh des Volkes
war unbeſchreiblich, unermeßlich. Darauf wälzte ſich wieder der Zug ins
Ständehaus, wo unterdeſſen alles zertrümmert war. Die Stände wur-
den genöthigt augenblicklich ſich in Geſammtheit zum Kaiſer zu verfügen und
außer Anerkennung der aufgeſtellten und vielfach ſchriftlich überreichten
Forderungen auf alsbaldige Abſetzung Metternichs anzutragen. Unter-
deſſen wurden die Fenſter am Burgtheater eingeſchlagen, der Straßen-
tumult war allgemein. Endlich trat eine gewiſſe Pauſe ein; man erwar-
tete mit geſpannter Hoffnung die Antwort des Kaiſers. Aber ſtatt der-
ſelben erſchienen zahlreiche Militär-Abtheilungen welche die Burg beſetz-
ten, alle Zugänge abſperrten, wie auch das Palais Metternich in weitem
Kreiſe umringten. Der Ruf nach dem Erſcheinen der Bürgergarden
und Bewaffnung der Studenten wurde immer lauter und lauter, im-
mer maſſenhafter entwickelten ſich die Volkshaufen. Man ſing ſchon
an das Militär eng zu umdrängen, und zwei Compagnien Grenadiere,
welche den Eingang des Landhauſes beſetzen ſollten, wurden bald in
zwei Abtheilungen vom Volke getrennt, zuſammengedrückt und nach
Niedertretung von zwei bis drei etwas barſchigen Grenadieren ge-
zwungen ihre Bajonette abzunehmen und abzuziehen. Unterdeſſen
ſammelten ſich immer größere Maſſen — beſonders auf dem Judenplatz
und dem Hof; aber es erſchienen auch impoſante Militärmaſſen:
Linie, ungariſche Garden, Huſaren, Cuiraſſiere beſetzten alle Haupt-
plätze und Straßen — vom Bürgermilitär war noch nichts zu ſehen.
Auf einmal erſchallt tauſendſtimmiger Ruf: „das Volk zum Zeug-
haus“, und mit Knütteln, Stöcken und Brettern bewaffnete Maſ-
ſen wälzen fich von der Gegend des Landhauſes zum Hof und zur
Gegend des Zeughauſes. Auf der Freiung geſchah die erſte brutale
Gewaltthat. Einiges Werfen mit Ziegelſteinen, wovon jedoch kein
Soldat ernſtlich betroffen wurde, war wohl neben der auf dem voll-
glänzenden Geſicht eines übermüthigen Rittmeiſters ſichtbaren Erhitzung
gegen das Volk die Haupturſache des Angriffes. Plötzlich hört man in
der Nähe eine Infanterieſalve; Entſetzen und Wuth ergreift das Volk;
rathlos, ohne Waffen, ohne Führer ſtürzt es wuthheulend durch die Stra-
ßen; dann erfolgt ein zweiter, ein dritter Angriff des Militärs, mit
wohlgenährtem Pelotonfeuer und Bajonnetangriff. Etwa 13 bis 15
blieben todt auf dem Platz und einige 50 haben mehr und wenig bedeu-
tende Wunden, darunter friedliche, angeſehene Bürger. Sprachlos zer-
ſtreuen ſich für einige Augenblicke die angewachſenen Volkshaufen, welche
auch trotz unmenſchlicher Mühe die ſie ſich bei Erſtürmung der Thüre
des Zeughauſes gaben, dieſe nicht zu Stande brachten. Abermals trat
eine Pauſe ein; der Ruf nach Bürgerbewaffnung wurde lauter und lau-
ter, doch erſchien noch keiner. Unterdeſſen wurden Todte, mit Blut be-
deckt, durch die Straßen getragen; einige Verwundete ritten mit blut-
geröthetem Geſicht und Binde zu Pferd durch alle Straßen der Stadt um
dem Volk das Entſetzliche zu zeigen. Unterdeſſen fingen die dichtbevöl-
kerten-Vorſtädte an ſich gegen die Stadt hin zu entleeren; der weite
Raum der Glacis deckte ſich mit unzähligen Gruppen, worunter überall
die Redner die Ereigniſſe des Tages erzählten. Endlich erſchienen einige
Bürgerſoldaten: ſie wurden mit Jubelruf begrüßt und unzählige Volks-
haufen umgaben ſie. Auf den Glacis bildeten ſich dann einige Batail-
lone und gegen 6 Uhr rückten ſie in die Stadt ein. Unterdeſſen durch-
zogen lärmende Volkshaufen die Straßen; Schilderhäuſer, Annoncen-
bretter, Baugerüſte wurden zertrümmert und niedergeriſſen, am Polizei-
gebäude und an hundert andern die Fenſter eingeworfen und Verſuche
zu Barricaden gemacht. Die Studenten waren unter Leitung ihrer
Profeſſoren und Führer abermals verſammelt und verlangten Bewaff-
nung zum Schutze der Stadt und der Wehrloſen. Deputation folgt auf
Deputation; endlich heißt es: „zum bürgerlichen Zeughaus, wir bekom-
men Waffen!“ Die Mediciner, Juriſten, Philoſophen und Polytechniker
wandten ſich alsbald dahin und nach einigem Zögern thaten ſich die Thore
auf. Im Hofe unter Fackelſchein und Ueberwachung durch Bürgergar-

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[0017] Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitungvom 18 März 1848. Oeſterreich. Die Ereigniſſe in Wien. ☆ Wien, 13 März. 11½ Uhr Nachts. Ich ſchreibe Ihnen dieſe Worte von der Studentenhauptwache im Univerfi- tätsgebäude, wo ſich ſeit einer Stunde die verſchiedenen Corps der Be- waffneten ſammeln. Das Unglaubliche, das Unerhörte iſt heute hier geſchehen: Wien, das bürgerliche, kaiſertreue Wien iſt in vollſtem Auf- ſtand, der Revolutionsruf erſchallt in allen Straßen der Stadt und der bevölkerten Vorſtädte. Ich will Ihnen, ſo weit es meine fieberhafte Aufregung erlaubt, die Geſchichte des heutigen Tags erzählen, der einzig in der Geſchichte des Kaiſerreichs und glorreich in der Geſchichte Deutſch- lands daſteht. Schon ſeit vorgeſtern circulirten hier unter Studenten, Profeſſoren und unter den Bürgern energiſche Petitionen, in einer Sprache abgefaßt wie ſie nur der augenblickliche Zuſtand aller Gemüther der civilifirten Völker Europa’s reden kann. Tauſende von Unterſchrif- ten decken fie; Preßfreiheit, repräſentative Verfafſung, baſirt auf der breiten Grundlage der Volksvertretung, neu zu organifirende Munlcipal- Verfaſſung mit freier Wahl der ſtädtiſchen Beamten und Vertreter, volle Religionsgleichheit, ein einziges gemeinſames öſterreichiſches Parlament, engerer Anſchluß an Deutſchland und Vertretung in einem deutſchen Parlament — dieß waren die weſentlichſten Forde- rungen des Volkes, denen ich noch Umgeſtaltung des Militärweſens und Schaffung einer Bürgergarde beifügen muß. Der heutige Tag, wo ſich die Landſtände im Landhauſe verſammeln ſollten, wurde zur allgemeinen De- monſtration beſtimmt. Schon früh morgens ſammelten ſich etwa 2—3000 Studenten im Univerſitätsgebäude um eine Deputation zu erwählen, welche die Wünſche den Ständen ſchriftlich überreichen und mündlich vortragen ſollte. Einer der Profeſſoren verwies vergebens auf das Ungeſetzliche ſolcher Demonſtration; er ſprach von organiſcher Entwick- lung auf dem beſtehenden Rechtsboden und wurde, wie ſich von ſelbſt verſteht, gänzlich abgewieſen. Gegen 9 Uhr ſammelten ſich ſchon Schaa ren des Volkes um das Landhaus in der Herrengaſſe, und gegen 10 Uhr erſchienen die Studenten. Zahlreiche Redner beſtiegen alles was eine Erhöhung bot, und redeten zum Volke welches nach jedem Vorſchlage und vorgetragenen Wunſche in laute Hurrahs ausbrach. Endlich orga- nifirten ſich die Maſſen in dem inneren Hofe des Landhauſes ſelbſt. Zwei Studenten — Juriſten, von denen der eine ein Pole war — nahmen von einer Altane aus das Wort, und verlaſen zuerſt die vortreffliche Rede Koſſuths worin alle Wünſche des Volkes mit Klarheit und Energie aus- geſprochen waren. Dann folgte die Verleſung der Forderungen des Volkes und eine beredte Auseinanderſetzung der Nothwendigkeit dieſe augenblicklich realiſirt zu ſehen. Vor allen zeichnete ſich hier ein Stu- dent Namens Barian aus, der zu wiederholtenmalen eine wirklich große Volksberedſamkeit entwickelte. Unterdeſſen ging eine Deputation in den Ständeſaal, von wo aus wiederum ein Ständemitglied erſchien und er- klärte: die Stände ſelbſt ſeyen mit den Wünſchen des Polkes einverſtan- den. Es wurde bei dieſer Gelegenheit der Entwurf der ſtändiſchen Adreffe an den Kaiſer verleſen, aber die Sprache zu gemäßigt, der Jnhalt den dringenden Umſtänden der Zeit nicht mehr angemeſſen gefunden. Sie wurde von dem Studentenredner unter ungeheurem Jubel des Volkes vor den Augen der Stände zerriſſen. Unterdeſſen ſteigerte ſich der Tumult, die Maſſen drangen in alle Säle des Landhauſes ein; und man verlangte immer lauter eine augenblickliche Erklärung der Stände, und daß dieſelben gleich in corpore zum Kaiſer ſich begeben ſollten. Jn dem innern Hofraum wurde eine zweite Deputation aus Volk und Stu- denten gewählt, wozu auch Schreiber dieſer Zeilen gehörte. Der Name Metternich wurde immer lauter gerufen, und unter wildem Lärm gelang es der Deputation bis an den Eingang des Ständeſaales vorzudringen. Vergebens bemühren ſich einzelne Ständemitglieder ihren Eintritt in die Verſammlung zu verwehren und bei dieſer Gelegenheit gab ein Mißver- ſtändniß Veranlaſſung zu bedauernswerthen Scenen. Etwa 5 der De- putirten waren in dem Vorzimmer des Ständeſaales verſchwunden und man glaubte ſie verhaftet; augenblicklich wurden die Thüren geſtürmt und mit Bänken eingerannt; alle Tiſche, Stühle, Uhren, Fenſter der Vorzimmer in tauſend Trümmer zerſchlagen und daraus Waffen ge- macht. Die Stände zitterten für ihr Leben. Ein Deputirter (Schreiber dieſes) ſchlug als einzige Garantie für die Herſtellung der Ruhe augen- blickliche Abſetzung des Fürſten Metternich und in Anklageſtandſetzung desſelben, wegen Hochverrath an Volk und Kaiſer, vor. Unterdeſſen wuchs der Tumult in den Höfen und Straßen. Der obengenannte Red- ner wurde vom Volk im Triumph herumgetragen und alles ſchrie plötzlich, als habe es ſich elektriſch durch die Maſſen bewegt — „nach dem Palais Metternich“. Der Redner wurde hingetragen, und hier geſtützt auf vier kräftige Schultern hielt er bald an das Volk, bald an die in Metternichs Salon verſammelten Hof- und Staatsbeamten ſich wendend eine Rede als wäre er Lamartine in Paris. Das Hurrah und Halloh des Volkes war unbeſchreiblich, unermeßlich. Darauf wälzte ſich wieder der Zug ins Ständehaus, wo unterdeſſen alles zertrümmert war. Die Stände wur- den genöthigt augenblicklich ſich in Geſammtheit zum Kaiſer zu verfügen und außer Anerkennung der aufgeſtellten und vielfach ſchriftlich überreichten Forderungen auf alsbaldige Abſetzung Metternichs anzutragen. Unter- deſſen wurden die Fenſter am Burgtheater eingeſchlagen, der Straßen- tumult war allgemein. Endlich trat eine gewiſſe Pauſe ein; man erwar- tete mit geſpannter Hoffnung die Antwort des Kaiſers. Aber ſtatt der- ſelben erſchienen zahlreiche Militär-Abtheilungen welche die Burg beſetz- ten, alle Zugänge abſperrten, wie auch das Palais Metternich in weitem Kreiſe umringten. Der Ruf nach dem Erſcheinen der Bürgergarden und Bewaffnung der Studenten wurde immer lauter und lauter, im- mer maſſenhafter entwickelten ſich die Volkshaufen. Man ſing ſchon an das Militär eng zu umdrängen, und zwei Compagnien Grenadiere, welche den Eingang des Landhauſes beſetzen ſollten, wurden bald in zwei Abtheilungen vom Volke getrennt, zuſammengedrückt und nach Niedertretung von zwei bis drei etwas barſchigen Grenadieren ge- zwungen ihre Bajonette abzunehmen und abzuziehen. Unterdeſſen ſammelten ſich immer größere Maſſen — beſonders auf dem Judenplatz und dem Hof; aber es erſchienen auch impoſante Militärmaſſen: Linie, ungariſche Garden, Huſaren, Cuiraſſiere beſetzten alle Haupt- plätze und Straßen — vom Bürgermilitär war noch nichts zu ſehen. Auf einmal erſchallt tauſendſtimmiger Ruf: „das Volk zum Zeug- haus“, und mit Knütteln, Stöcken und Brettern bewaffnete Maſ- ſen wälzen fich von der Gegend des Landhauſes zum Hof und zur Gegend des Zeughauſes. Auf der Freiung geſchah die erſte brutale Gewaltthat. Einiges Werfen mit Ziegelſteinen, wovon jedoch kein Soldat ernſtlich betroffen wurde, war wohl neben der auf dem voll- glänzenden Geſicht eines übermüthigen Rittmeiſters ſichtbaren Erhitzung gegen das Volk die Haupturſache des Angriffes. Plötzlich hört man in der Nähe eine Infanterieſalve; Entſetzen und Wuth ergreift das Volk; rathlos, ohne Waffen, ohne Führer ſtürzt es wuthheulend durch die Stra- ßen; dann erfolgt ein zweiter, ein dritter Angriff des Militärs, mit wohlgenährtem Pelotonfeuer und Bajonnetangriff. Etwa 13 bis 15 blieben todt auf dem Platz und einige 50 haben mehr und wenig bedeu- tende Wunden, darunter friedliche, angeſehene Bürger. Sprachlos zer- ſtreuen ſich für einige Augenblicke die angewachſenen Volkshaufen, welche auch trotz unmenſchlicher Mühe die ſie ſich bei Erſtürmung der Thüre des Zeughauſes gaben, dieſe nicht zu Stande brachten. Abermals trat eine Pauſe ein; der Ruf nach Bürgerbewaffnung wurde lauter und lau- ter, doch erſchien noch keiner. Unterdeſſen wurden Todte, mit Blut be- deckt, durch die Straßen getragen; einige Verwundete ritten mit blut- geröthetem Geſicht und Binde zu Pferd durch alle Straßen der Stadt um dem Volk das Entſetzliche zu zeigen. Unterdeſſen fingen die dichtbevöl- kerten-Vorſtädte an ſich gegen die Stadt hin zu entleeren; der weite Raum der Glacis deckte ſich mit unzähligen Gruppen, worunter überall die Redner die Ereigniſſe des Tages erzählten. Endlich erſchienen einige Bürgerſoldaten: ſie wurden mit Jubelruf begrüßt und unzählige Volks- haufen umgaben ſie. Auf den Glacis bildeten ſich dann einige Batail- lone und gegen 6 Uhr rückten ſie in die Stadt ein. Unterdeſſen durch- zogen lärmende Volkshaufen die Straßen; Schilderhäuſer, Annoncen- bretter, Baugerüſte wurden zertrümmert und niedergeriſſen, am Polizei- gebäude und an hundert andern die Fenſter eingeworfen und Verſuche zu Barricaden gemacht. Die Studenten waren unter Leitung ihrer Profeſſoren und Führer abermals verſammelt und verlangten Bewaff- nung zum Schutze der Stadt und der Wehrloſen. Deputation folgt auf Deputation; endlich heißt es: „zum bürgerlichen Zeughaus, wir bekom- men Waffen!“ Die Mediciner, Juriſten, Philoſophen und Polytechniker wandten ſich alsbald dahin und nach einigem Zögern thaten ſich die Thore auf. Im Hofe unter Fackelſchein und Ueberwachung durch Bürgergar-

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 78, 18. März 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine78_1848/17>, abgerufen am 21.11.2024.