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Allgemeine Zeitung, Nr. 77, 17. März 1848.

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[Spaltenumbruch]
Beilage zur Allgemeinen Zeitung.
[Spaltenumbruch] 17 März 1848.


[Spaltenumbruch]
Die Entwickelung und Consolidirung des öfterreichi-
schen Kaiserstaates.

(Beschluß.)

Wie so oft gerade dasjenige was vom Ziel abzuführen scheint dahin
leitet, so kann auch das reger gewordene politische Leben in den Pro-
vinzen, das Hervorsuchen von Particularrechten und das Streben durch
geschichtliche Erinnerungen, Sprache und Sitte die sogenannten natio-
nalen Gesinnungen zu heben, statt zur Befestigung und Wiedererrich-
tung der Scheidelinien gerade zum Gegentheil, nämlich zu ihrer völligen
Hinwegräumung führen. Denn es wird sich in vielen Fällen heraus-
stellen daß die gewünschte Sonderung theils ohne wesentlichen Vortheil,
theils unausführbar sey, weil dasjenige was sich einmal naturgemäß
verbunden hat, nicht ohne gewaltsame Losreißung abzulösen ist. Nicht
minder wird eine allgemeine und nähere Kenntniß der mit den Neben-
ländern so vielsach verflochtenen Particular-Landesgeschichte am besten
geeignet seyn viele Vorurtheile und Jllustonen zu zerstören, und einem
vaterländischen Geiste Nahrung zu geben der über die Gränzen der Pro-
vinzen hinausreicht. Endlich läßt sich zwar nicht läugnen daß Sprache
und Litteratur überaus mächtige Hebel find die Traditionen früherer
Getrenntheit aufrechtzuerhalten; doch wenn solchen Strebnissen nicht
Hindernisse wie jetzt in Oesterreich in den Weg gelegt werden, so ent-
springt daraus das Gute daß die ungeheuren Schwierigkeiten sich in das
rechte Licht stellen, selbst nur äußerlich eine in ihrer Fortbildung zurück-
gebliebene Sprache nach Erforderniß zu erweitern und brauchbar zu
machen, geschweige denn etwas was einer Litteratur ähnlich steht zu
schaffen. Mit dieser Beleuchtung aber ist der Weg angebahnt zu einem
tieferen Eindringen und Erkennen der Gesetze und Bedingungen unter
welchen überhaupt Volksthümlichkeit und Nationalität sich entwickeln
und erhalten können, sowie jener durch welche sie verkümmern muß und
endlich abstirbt, oder aber in Verbindung mit andern eine neue erzeugen
hilft. Man wird einsehen lernen daß, um eine Seele zu bewahren, vor
allem andern der Körper vorhanden seyn müsse, welchen die Völker-
schaften nur durch ihre selbständige politische Constitui-
rung sowohl nach innen als nach außen
erlangen. Man wird
nicht minder bekennen müssen daß viele Völkerstämme zu einer solchen
Constituirung entweder gar nicht gelangten, oder den schwächlichen Bau
nicht zu erhalten im Stande waren, wie denn endlich daß auch unzäh-
lige von ihnen, ja die meisten erst nach Vermischung mit andern ein
Gesammtleben, eine Nationalität auszuprägen vermochten; daß da-
her nicht die Ueberbleibsel von Sprache und Sitte, nicht die Reminiscen-
zen früherer Unabhängigkeit und Größe allein hinreichen können um
den stets gewagten und schwierigen Versuch zu rechtfertigen einer Nation
wieder Leben einzuhauchen die nun einmal, gleichviel auf welche Art,
ihrer politischen Existenz verlustig wurde, oder auch nur ihr freiwillig
entsagte, weßhalb das vielfach mißbrauchte und gedeutete Wort Natio-
nalität
nur dann seinem Sinn entsprechen könne wenn hierunter die
Lebensäußerung eines selbständigen organischen Körpers,
dessen Unabhängigkeit und Macht die Jndividualisirung
und Selbstbestimmung eines Volkes gestatten,
verflanden
wird. Und dieß hinwieder muß klar machen daß alles andere in seinen
unzähligen Abstufungen nur das fortgesetzte Scheinleben der Völker
sey, wenngleich eine krankhafte Empfindsamkeit, eine verzeihliche Eitel-
keit dieß nicht anerkennen und noch weniger eingestehen will. Hiernach
aber wird man ficherlich zu dem Verständniß gelangen daß die Fort-
bildung von Sprache und Litteratur nicht allein auf den statistischen
Verhältnissen der Kopfzahl und Ländergröße beruhe, sondern vor allem
nur in dem Grade gedeihen könne als die Elemente jener wahrhaftigen
und ächten Nationalität, welche wir oben näher bezeichneten, wirklich
porhanden sind. Denn sowie der Mensch seiner freieigenen Persönlichkeit
bedarf geistige Producte hervorzubringen, bedarf ihrer auch der poten-
zirte Mensch: das Volk, oder besser: die Nation, d. i. ein zum Ganzen,
zur Persönlichkeit gewordenes Volk.

Jst die hier dargelegte Ansicht die richtige, so wird auch die sich in
den verschiedenen österreichischen Provinzen kundgebende Bewegung, die
in dem kräftigeren Auftreten ihrer Landstände am deutlichsten hervor-
tritt, trotz ihres bisherigen fast ausschließlich den provinziellen Sonder-
interessen zugewandten Strebens zu ganz entgegengesetzten Resultaten
[Spaltenumbruch] führen. Symptome die darauf hinweisen, mehren sich mit jedem Tag
und sprechen dafür. Oder sollten die in mehreren Ständekammern ge-
stellten Anträge auf Abschaffung der Lotterien, Verbesserung der Rechts-
pflege und des Grundbuchwesens, Milderung der Censurgesetze, Modi-
ficirung des Stempelpatents und der Verzehrungssteuer, sowie über-
haupt Umänderung des gesammten Steuerwesens durch Einführung
einer Einkommenstaxe keine Beweise seyn daß die Auffassung des
Gesammtstaates die provinzielle in den Hintergrund drängt? Sollte
ferner das überall auftauchende Bedürfniß gemeinsamer Verständigung
und eines kräftigeren Zusammenwirkens, zu dem selbst das stolze, sonst
gegen die übrigen Provinzen fast feindlich abgeschlossene Ungarn in
neuesten Zeiten die Hand bietet -- sollte der sich kundgebende Wieder-
hall den solche Tendenzen überall finden, und welcher insbesondere mit
Geist und Wärme in der kürzlich erschienenen Flugschrift: "Guter Rath
für Oesterreich mit Bezugnahme auf das Programm der liberalen Par-
tei in Ungarn", sowie fast gleichzeitig in einem Artikel der Grenzboten
"Ungarn und Oesterreich" überschrieben sich manifestirt -- sollte alles
dieß nicht Zeugniß geben von dem erweiterten Gesichtskreise der sich in
den Provinzen aufthut?

Sobald aber das Bedürfniß der Einigung erwacht ist und sich aus-
spricht, steht auch zu erwarten daß der Umschwung der öffentlichen
Meinung weit schneller in dieser als in einer gegentheiligen Richtung
eintreten wird. Denn sowie bei den Menschen, ist auch bei Völkern
der Hang sich zu vergesellschaften weit ausgesprochener und mächtiger
als der sich abzusondern. Dort aber wo wie hier nach den gleichen
höchsten und theuersten Gütern gestrebt und gerungen wird, fühlt jeder
Theil sich stärker und angeregter, wenn er in Gemeinschaft dem Ziele
zusteuert, wenn die Siege des Verbündeten auch ihm zu gut kommen.
Hierzu treten noch die unzähligen Berührungspunkte welche zwischen
den einzelnen Provinzen Oesterreichs seit Jahrhunderten bestehen, die
der täglich reger werdende Verkehr durch Presse, Eisenbahn und Tele-
graphen zauberähnlich steigert, dergestalt vermehrt daß es wohl nicht
Wunder nehmen darf wenn der stolze Gedanke eine große österreichische
Nation zu constituiren und aus den engen Gränzen herauszutreten welche
dem nationalen Schattenleben in der Provinz bisher gesetzt waren, ein-
stimmigen Anklang findet, und mit unwiderstehlicher Gewalt zur inni-
gen Verbrüderung der Völker Oesterreichs führt. Jndessen soll und
kann nicht begehrt werden daß irgendeine Provinz um der Einigung
willen bereits erworbene politische Rechte zum Opfer bringe; ja es ist
sogar vielleicht nicht möglich und nicht gut die eigenthümlichen Jnstitu-
tionen und Verhältnisse mit einemmal im ganzen weiten Reich in allen
ihren unzähligen Einzelheiten auszutilgen, geschweige denn an ihrer
Statt ein Ganzes aus einem Guß zu setzen. Frankreich hat es gethan,
doch um welchen Preis! Und noch ist es nicht consolidirt! Noch nach
einem halben Jahrhundert, befleckt mit einem Königsmord und allen
Gräueln der Revolution in ihrer scheußlichsten Gestalt, muß es täglich
fürchten neue Zuckungen zu erleben. Nein, so verstehen wir die Eini-
gung nicht, sondern die Einigung deren Morgenröthe seit mehr als
einem Jahrhundert tagt, ist vor allem die der Geister welche durch das
offene Anerkennen eines österreichischen Gesammtreihes, einer öster-
reichischen Gesammtnationalität sich selbst und der Welt klar werden
soll. Die Einigung die wir meinen besteht ferner in dem gleichen
politischen Grundprincip
das uns regieren soll, welches kein ande-
res seyn kann als das loyale Anerkennen daß Oesterreich nun einmal
keine absolute, sondern eine durch Verfassung und Grundgesetze be-
schränkte Monarchie sey, und auch als solche regiert werden müsse, weil
deren Bestandtheile mit wenigen Ausnahmen Constitutionen haben; daß
daher vorerst die bestehenden Landesverfassungen respectirt und die auf-
gehobenen wieder hergestellt werden müssen, wobei es natürlicherweise
vornehmlich darauf ankommen wird in Einklang mit den verfassungs-
mäßigen Landesvertretern dasjenige was der Fortschritt der Zeit oder
die Einheit Oesterreichs erfordern entsprechend auszuführen, vor allem
aber die Mittel hervorzusuchen, damit das Princip einer durchaus glei-
chen Besteuerung und gleicher Vortheile für alle Ländertheile ins Leben
treten könne. Dieß genügt fürs erste.

Wenn auch noch eine gleiche Rechtsgesetzgebung, gleiche oder ähn-
liche Principien in den Urbarialverhältnissen, in Behandlung der Ge-
schäfte und anderes mehr auch jetzt schon wünschenswerth erschiene,

Nr. 77.
[Spaltenumbruch]
Beilage zur Allgemeinen Zeitung.
[Spaltenumbruch] 17 März 1848.


[Spaltenumbruch]
Die Entwickelung und Conſolidirung des öfterreichi-
ſchen Kaiſerſtaates.

(Beſchluß.)

Wie ſo oft gerade dasjenige was vom Ziel abzuführen ſcheint dahin
leitet, ſo kann auch das reger gewordene politiſche Leben in den Pro-
vinzen, das Hervorſuchen von Particularrechten und das Streben durch
geſchichtliche Erinnerungen, Sprache und Sitte die ſogenannten natio-
nalen Geſinnungen zu heben, ſtatt zur Befeſtigung und Wiedererrich-
tung der Scheidelinien gerade zum Gegentheil, nämlich zu ihrer völligen
Hinwegräumung führen. Denn es wird ſich in vielen Fällen heraus-
ſtellen daß die gewünſchte Sonderung theils ohne weſentlichen Vortheil,
theils unausführbar ſey, weil dasjenige was ſich einmal naturgemäß
verbunden hat, nicht ohne gewaltſame Losreißung abzulöſen iſt. Nicht
minder wird eine allgemeine und nähere Kenntniß der mit den Neben-
ländern ſo vielſach verflochtenen Particular-Landesgeſchichte am beſten
geeignet ſeyn viele Vorurtheile und Jlluſtonen zu zerſtören, und einem
vaterländiſchen Geiſte Nahrung zu geben der über die Gränzen der Pro-
vinzen hinausreicht. Endlich läßt ſich zwar nicht läugnen daß Sprache
und Litteratur überaus mächtige Hebel find die Traditionen früherer
Getrenntheit aufrechtzuerhalten; doch wenn ſolchen Strebniſſen nicht
Hinderniſſe wie jetzt in Oeſterreich in den Weg gelegt werden, ſo ent-
ſpringt daraus das Gute daß die ungeheuren Schwierigkeiten ſich in das
rechte Licht ſtellen, ſelbſt nur äußerlich eine in ihrer Fortbildung zurück-
gebliebene Sprache nach Erforderniß zu erweitern und brauchbar zu
machen, geſchweige denn etwas was einer Litteratur ähnlich ſteht zu
ſchaffen. Mit dieſer Beleuchtung aber iſt der Weg angebahnt zu einem
tieferen Eindringen und Erkennen der Geſetze und Bedingungen unter
welchen überhaupt Volksthümlichkeit und Nationalität ſich entwickeln
und erhalten können, ſowie jener durch welche ſie verkümmern muß und
endlich abſtirbt, oder aber in Verbindung mit andern eine neue erzeugen
hilft. Man wird einſehen lernen daß, um eine Seele zu bewahren, vor
allem andern der Körper vorhanden ſeyn müſſe, welchen die Völker-
ſchaften nur durch ihre ſelbſtändige politiſche Conſtitui-
rung ſowohl nach innen als nach außen
erlangen. Man wird
nicht minder bekennen müſſen daß viele Völkerſtämme zu einer ſolchen
Conſtituirung entweder gar nicht gelangten, oder den ſchwächlichen Bau
nicht zu erhalten im Stande waren, wie denn endlich daß auch unzäh-
lige von ihnen, ja die meiſten erſt nach Vermiſchung mit andern ein
Geſammtleben, eine Nationalität auszuprägen vermochten; daß da-
her nicht die Ueberbleibſel von Sprache und Sitte, nicht die Reminiſcen-
zen früherer Unabhängigkeit und Größe allein hinreichen können um
den ſtets gewagten und ſchwierigen Verſuch zu rechtfertigen einer Nation
wieder Leben einzuhauchen die nun einmal, gleichviel auf welche Art,
ihrer politiſchen Exiſtenz verluſtig wurde, oder auch nur ihr freiwillig
entſagte, weßhalb das vielfach mißbrauchte und gedeutete Wort Natio-
nalität
nur dann ſeinem Sinn entſprechen könne wenn hierunter die
Lebensäußerung eines ſelbſtändigen organiſchen Körpers,
deſſen Unabhängigkeit und Macht die Jndividualiſirung
und Selbſtbeſtimmung eines Volkes geſtatten,
verflanden
wird. Und dieß hinwieder muß klar machen daß alles andere in ſeinen
unzähligen Abſtufungen nur das fortgeſetzte Scheinleben der Völker
ſey, wenngleich eine krankhafte Empfindſamkeit, eine verzeihliche Eitel-
keit dieß nicht anerkennen und noch weniger eingeſtehen will. Hiernach
aber wird man ficherlich zu dem Verſtändniß gelangen daß die Fort-
bildung von Sprache und Litteratur nicht allein auf den ſtatiſtiſchen
Verhältniſſen der Kopfzahl und Ländergröße beruhe, ſondern vor allem
nur in dem Grade gedeihen könne als die Elemente jener wahrhaftigen
und ächten Nationalität, welche wir oben näher bezeichneten, wirklich
porhanden ſind. Denn ſowie der Menſch ſeiner freieigenen Perſönlichkeit
bedarf geiſtige Producte hervorzubringen, bedarf ihrer auch der poten-
zirte Menſch: das Volk, oder beſſer: die Nation, d. i. ein zum Ganzen,
zur Perſönlichkeit gewordenes Volk.

Jſt die hier dargelegte Anſicht die richtige, ſo wird auch die ſich in
den verſchiedenen öſterreichiſchen Provinzen kundgebende Bewegung, die
in dem kräftigeren Auftreten ihrer Landſtände am deutlichſten hervor-
tritt, trotz ihres bisherigen faſt ausſchließlich den provinziellen Sonder-
intereſſen zugewandten Strebens zu ganz entgegengeſetzten Reſultaten
[Spaltenumbruch] führen. Symptome die darauf hinweiſen, mehren ſich mit jedem Tag
und ſprechen dafür. Oder ſollten die in mehreren Ständekammern ge-
ſtellten Anträge auf Abſchaffung der Lotterien, Verbeſſerung der Rechts-
pflege und des Grundbuchweſens, Milderung der Cenſurgeſetze, Modi-
ficirung des Stempelpatents und der Verzehrungsſteuer, ſowie über-
haupt Umänderung des geſammten Steuerweſens durch Einführung
einer Einkommenstaxe keine Beweiſe ſeyn daß die Auffaſſung des
Geſammtſtaates die provinzielle in den Hintergrund drängt? Sollte
ferner das überall auftauchende Bedürfniß gemeinſamer Verſtändigung
und eines kräftigeren Zuſammenwirkens, zu dem ſelbſt das ſtolze, ſonſt
gegen die übrigen Provinzen faſt feindlich abgeſchloſſene Ungarn in
neueſten Zeiten die Hand bietet — ſollte der ſich kundgebende Wieder-
hall den ſolche Tendenzen überall finden, und welcher insbeſondere mit
Geiſt und Wärme in der kürzlich erſchienenen Flugſchrift: „Guter Rath
für Oeſterreich mit Bezugnahme auf das Programm der liberalen Par-
tei in Ungarn“, ſowie faſt gleichzeitig in einem Artikel der Grenzboten
„Ungarn und Oeſterreich“ überſchrieben ſich manifeſtirt — ſollte alles
dieß nicht Zeugniß geben von dem erweiterten Geſichtskreiſe der ſich in
den Provinzen aufthut?

Sobald aber das Bedürfniß der Einigung erwacht iſt und ſich aus-
ſpricht, ſteht auch zu erwarten daß der Umſchwung der öffentlichen
Meinung weit ſchneller in dieſer als in einer gegentheiligen Richtung
eintreten wird. Denn ſowie bei den Menſchen, iſt auch bei Völkern
der Hang ſich zu vergeſellſchaften weit ausgeſprochener und mächtiger
als der ſich abzuſondern. Dort aber wo wie hier nach den gleichen
höchſten und theuerſten Gütern geſtrebt und gerungen wird, fühlt jeder
Theil ſich ſtärker und angeregter, wenn er in Gemeinſchaft dem Ziele
zuſteuert, wenn die Siege des Verbündeten auch ihm zu gut kommen.
Hierzu treten noch die unzähligen Berührungspunkte welche zwiſchen
den einzelnen Provinzen Oeſterreichs ſeit Jahrhunderten beſtehen, die
der täglich reger werdende Verkehr durch Preſſe, Eiſenbahn und Tele-
graphen zauberähnlich ſteigert, dergeſtalt vermehrt daß es wohl nicht
Wunder nehmen darf wenn der ſtolze Gedanke eine große öſterreichiſche
Nation zu conſtituiren und aus den engen Gränzen herauszutreten welche
dem nationalen Schattenleben in der Provinz bisher geſetzt waren, ein-
ſtimmigen Anklang findet, und mit unwiderſtehlicher Gewalt zur inni-
gen Verbrüderung der Völker Oeſterreichs führt. Jndeſſen ſoll und
kann nicht begehrt werden daß irgendeine Provinz um der Einigung
willen bereits erworbene politiſche Rechte zum Opfer bringe; ja es iſt
ſogar vielleicht nicht möglich und nicht gut die eigenthümlichen Jnſtitu-
tionen und Verhältniſſe mit einemmal im ganzen weiten Reich in allen
ihren unzähligen Einzelheiten auszutilgen, geſchweige denn an ihrer
Statt ein Ganzes aus einem Guß zu ſetzen. Frankreich hat es gethan,
doch um welchen Preis! Und noch iſt es nicht conſolidirt! Noch nach
einem halben Jahrhundert, befleckt mit einem Königsmord und allen
Gräueln der Revolution in ihrer ſcheußlichſten Geſtalt, muß es täglich
fürchten neue Zuckungen zu erleben. Nein, ſo verſtehen wir die Eini-
gung nicht, ſondern die Einigung deren Morgenröthe ſeit mehr als
einem Jahrhundert tagt, iſt vor allem die der Geiſter welche durch das
offene Anerkennen eines öſterreichiſchen Geſammtreihes, einer öſter-
reichiſchen Geſammtnationalität ſich ſelbſt und der Welt klar werden
ſoll. Die Einigung die wir meinen beſteht ferner in dem gleichen
politiſchen Grundprincip
das uns regieren ſoll, welches kein ande-
res ſeyn kann als das loyale Anerkennen daß Oeſterreich nun einmal
keine abſolute, ſondern eine durch Verfaſſung und Grundgeſetze be-
ſchränkte Monarchie ſey, und auch als ſolche regiert werden müſſe, weil
deren Beſtandtheile mit wenigen Ausnahmen Conſtitutionen haben; daß
daher vorerſt die beſtehenden Landesverfaſſungen reſpectirt und die auf-
gehobenen wieder hergeſtellt werden müſſen, wobei es natürlicherweiſe
vornehmlich darauf ankommen wird in Einklang mit den verfaſſungs-
mäßigen Landesvertretern dasjenige was der Fortſchritt der Zeit oder
die Einheit Oeſterreichs erfordern entſprechend auszuführen, vor allem
aber die Mittel hervorzuſuchen, damit das Princip einer durchaus glei-
chen Beſteuerung und gleicher Vortheile für alle Ländertheile ins Leben
treten könne. Dieß genügt fürs erſte.

Wenn auch noch eine gleiche Rechtsgeſetzgebung, gleiche oder ähn-
liche Principien in den Urbarialverhältniſſen, in Behandlung der Ge-
ſchäfte und anderes mehr auch jetzt ſchon wünſchenswerth erſchiene,

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[0009] Nr. 77. Beilage zur Allgemeinen Zeitung. 17 März 1848. Die Entwickelung und Conſolidirung des öfterreichi- ſchen Kaiſerſtaates. (Beſchluß.) Wie ſo oft gerade dasjenige was vom Ziel abzuführen ſcheint dahin leitet, ſo kann auch das reger gewordene politiſche Leben in den Pro- vinzen, das Hervorſuchen von Particularrechten und das Streben durch geſchichtliche Erinnerungen, Sprache und Sitte die ſogenannten natio- nalen Geſinnungen zu heben, ſtatt zur Befeſtigung und Wiedererrich- tung der Scheidelinien gerade zum Gegentheil, nämlich zu ihrer völligen Hinwegräumung führen. Denn es wird ſich in vielen Fällen heraus- ſtellen daß die gewünſchte Sonderung theils ohne weſentlichen Vortheil, theils unausführbar ſey, weil dasjenige was ſich einmal naturgemäß verbunden hat, nicht ohne gewaltſame Losreißung abzulöſen iſt. Nicht minder wird eine allgemeine und nähere Kenntniß der mit den Neben- ländern ſo vielſach verflochtenen Particular-Landesgeſchichte am beſten geeignet ſeyn viele Vorurtheile und Jlluſtonen zu zerſtören, und einem vaterländiſchen Geiſte Nahrung zu geben der über die Gränzen der Pro- vinzen hinausreicht. Endlich läßt ſich zwar nicht läugnen daß Sprache und Litteratur überaus mächtige Hebel find die Traditionen früherer Getrenntheit aufrechtzuerhalten; doch wenn ſolchen Strebniſſen nicht Hinderniſſe wie jetzt in Oeſterreich in den Weg gelegt werden, ſo ent- ſpringt daraus das Gute daß die ungeheuren Schwierigkeiten ſich in das rechte Licht ſtellen, ſelbſt nur äußerlich eine in ihrer Fortbildung zurück- gebliebene Sprache nach Erforderniß zu erweitern und brauchbar zu machen, geſchweige denn etwas was einer Litteratur ähnlich ſteht zu ſchaffen. Mit dieſer Beleuchtung aber iſt der Weg angebahnt zu einem tieferen Eindringen und Erkennen der Geſetze und Bedingungen unter welchen überhaupt Volksthümlichkeit und Nationalität ſich entwickeln und erhalten können, ſowie jener durch welche ſie verkümmern muß und endlich abſtirbt, oder aber in Verbindung mit andern eine neue erzeugen hilft. Man wird einſehen lernen daß, um eine Seele zu bewahren, vor allem andern der Körper vorhanden ſeyn müſſe, welchen die Völker- ſchaften nur durch ihre ſelbſtändige politiſche Conſtitui- rung ſowohl nach innen als nach außen erlangen. Man wird nicht minder bekennen müſſen daß viele Völkerſtämme zu einer ſolchen Conſtituirung entweder gar nicht gelangten, oder den ſchwächlichen Bau nicht zu erhalten im Stande waren, wie denn endlich daß auch unzäh- lige von ihnen, ja die meiſten erſt nach Vermiſchung mit andern ein Geſammtleben, eine Nationalität auszuprägen vermochten; daß da- her nicht die Ueberbleibſel von Sprache und Sitte, nicht die Reminiſcen- zen früherer Unabhängigkeit und Größe allein hinreichen können um den ſtets gewagten und ſchwierigen Verſuch zu rechtfertigen einer Nation wieder Leben einzuhauchen die nun einmal, gleichviel auf welche Art, ihrer politiſchen Exiſtenz verluſtig wurde, oder auch nur ihr freiwillig entſagte, weßhalb das vielfach mißbrauchte und gedeutete Wort Natio- nalität nur dann ſeinem Sinn entſprechen könne wenn hierunter die Lebensäußerung eines ſelbſtändigen organiſchen Körpers, deſſen Unabhängigkeit und Macht die Jndividualiſirung und Selbſtbeſtimmung eines Volkes geſtatten, verflanden wird. Und dieß hinwieder muß klar machen daß alles andere in ſeinen unzähligen Abſtufungen nur das fortgeſetzte Scheinleben der Völker ſey, wenngleich eine krankhafte Empfindſamkeit, eine verzeihliche Eitel- keit dieß nicht anerkennen und noch weniger eingeſtehen will. Hiernach aber wird man ficherlich zu dem Verſtändniß gelangen daß die Fort- bildung von Sprache und Litteratur nicht allein auf den ſtatiſtiſchen Verhältniſſen der Kopfzahl und Ländergröße beruhe, ſondern vor allem nur in dem Grade gedeihen könne als die Elemente jener wahrhaftigen und ächten Nationalität, welche wir oben näher bezeichneten, wirklich porhanden ſind. Denn ſowie der Menſch ſeiner freieigenen Perſönlichkeit bedarf geiſtige Producte hervorzubringen, bedarf ihrer auch der poten- zirte Menſch: das Volk, oder beſſer: die Nation, d. i. ein zum Ganzen, zur Perſönlichkeit gewordenes Volk. Jſt die hier dargelegte Anſicht die richtige, ſo wird auch die ſich in den verſchiedenen öſterreichiſchen Provinzen kundgebende Bewegung, die in dem kräftigeren Auftreten ihrer Landſtände am deutlichſten hervor- tritt, trotz ihres bisherigen faſt ausſchließlich den provinziellen Sonder- intereſſen zugewandten Strebens zu ganz entgegengeſetzten Reſultaten führen. Symptome die darauf hinweiſen, mehren ſich mit jedem Tag und ſprechen dafür. Oder ſollten die in mehreren Ständekammern ge- ſtellten Anträge auf Abſchaffung der Lotterien, Verbeſſerung der Rechts- pflege und des Grundbuchweſens, Milderung der Cenſurgeſetze, Modi- ficirung des Stempelpatents und der Verzehrungsſteuer, ſowie über- haupt Umänderung des geſammten Steuerweſens durch Einführung einer Einkommenstaxe keine Beweiſe ſeyn daß die Auffaſſung des Geſammtſtaates die provinzielle in den Hintergrund drängt? Sollte ferner das überall auftauchende Bedürfniß gemeinſamer Verſtändigung und eines kräftigeren Zuſammenwirkens, zu dem ſelbſt das ſtolze, ſonſt gegen die übrigen Provinzen faſt feindlich abgeſchloſſene Ungarn in neueſten Zeiten die Hand bietet — ſollte der ſich kundgebende Wieder- hall den ſolche Tendenzen überall finden, und welcher insbeſondere mit Geiſt und Wärme in der kürzlich erſchienenen Flugſchrift: „Guter Rath für Oeſterreich mit Bezugnahme auf das Programm der liberalen Par- tei in Ungarn“, ſowie faſt gleichzeitig in einem Artikel der Grenzboten „Ungarn und Oeſterreich“ überſchrieben ſich manifeſtirt — ſollte alles dieß nicht Zeugniß geben von dem erweiterten Geſichtskreiſe der ſich in den Provinzen aufthut? Sobald aber das Bedürfniß der Einigung erwacht iſt und ſich aus- ſpricht, ſteht auch zu erwarten daß der Umſchwung der öffentlichen Meinung weit ſchneller in dieſer als in einer gegentheiligen Richtung eintreten wird. Denn ſowie bei den Menſchen, iſt auch bei Völkern der Hang ſich zu vergeſellſchaften weit ausgeſprochener und mächtiger als der ſich abzuſondern. Dort aber wo wie hier nach den gleichen höchſten und theuerſten Gütern geſtrebt und gerungen wird, fühlt jeder Theil ſich ſtärker und angeregter, wenn er in Gemeinſchaft dem Ziele zuſteuert, wenn die Siege des Verbündeten auch ihm zu gut kommen. Hierzu treten noch die unzähligen Berührungspunkte welche zwiſchen den einzelnen Provinzen Oeſterreichs ſeit Jahrhunderten beſtehen, die der täglich reger werdende Verkehr durch Preſſe, Eiſenbahn und Tele- graphen zauberähnlich ſteigert, dergeſtalt vermehrt daß es wohl nicht Wunder nehmen darf wenn der ſtolze Gedanke eine große öſterreichiſche Nation zu conſtituiren und aus den engen Gränzen herauszutreten welche dem nationalen Schattenleben in der Provinz bisher geſetzt waren, ein- ſtimmigen Anklang findet, und mit unwiderſtehlicher Gewalt zur inni- gen Verbrüderung der Völker Oeſterreichs führt. Jndeſſen ſoll und kann nicht begehrt werden daß irgendeine Provinz um der Einigung willen bereits erworbene politiſche Rechte zum Opfer bringe; ja es iſt ſogar vielleicht nicht möglich und nicht gut die eigenthümlichen Jnſtitu- tionen und Verhältniſſe mit einemmal im ganzen weiten Reich in allen ihren unzähligen Einzelheiten auszutilgen, geſchweige denn an ihrer Statt ein Ganzes aus einem Guß zu ſetzen. Frankreich hat es gethan, doch um welchen Preis! Und noch iſt es nicht conſolidirt! Noch nach einem halben Jahrhundert, befleckt mit einem Königsmord und allen Gräueln der Revolution in ihrer ſcheußlichſten Geſtalt, muß es täglich fürchten neue Zuckungen zu erleben. Nein, ſo verſtehen wir die Eini- gung nicht, ſondern die Einigung deren Morgenröthe ſeit mehr als einem Jahrhundert tagt, iſt vor allem die der Geiſter welche durch das offene Anerkennen eines öſterreichiſchen Geſammtreihes, einer öſter- reichiſchen Geſammtnationalität ſich ſelbſt und der Welt klar werden ſoll. Die Einigung die wir meinen beſteht ferner in dem gleichen politiſchen Grundprincip das uns regieren ſoll, welches kein ande- res ſeyn kann als das loyale Anerkennen daß Oeſterreich nun einmal keine abſolute, ſondern eine durch Verfaſſung und Grundgeſetze be- ſchränkte Monarchie ſey, und auch als ſolche regiert werden müſſe, weil deren Beſtandtheile mit wenigen Ausnahmen Conſtitutionen haben; daß daher vorerſt die beſtehenden Landesverfaſſungen reſpectirt und die auf- gehobenen wieder hergeſtellt werden müſſen, wobei es natürlicherweiſe vornehmlich darauf ankommen wird in Einklang mit den verfaſſungs- mäßigen Landesvertretern dasjenige was der Fortſchritt der Zeit oder die Einheit Oeſterreichs erfordern entſprechend auszuführen, vor allem aber die Mittel hervorzuſuchen, damit das Princip einer durchaus glei- chen Beſteuerung und gleicher Vortheile für alle Ländertheile ins Leben treten könne. Dieß genügt fürs erſte. Wenn auch noch eine gleiche Rechtsgeſetzgebung, gleiche oder ähn- liche Principien in den Urbarialverhältniſſen, in Behandlung der Ge- ſchäfte und anderes mehr auch jetzt ſchon wünſchenswerth erſchiene,

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 77, 17. März 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine77_1848/9>, abgerufen am 24.11.2024.