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Allgemeine Zeitung, Nr. 77, 17. März 1848.

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[Spaltenumbruch] waren? Bis auf den Grund waren die Wellen aufgerührt: aber wie
wenig wurde die Gelegenheit benützt die von Tausenden erwartet seyn
sollte im Trüben zu fischen? Und wenn Einzelne ihren niedrigen Trie-
ben den Lauf ließen, wie streng war das Gericht das vom Volke geübt
wurde, und wie glänzend hat sich der öffentliche Geist bewährt! Jn der
That, der Verlauf der Krise hat das schlechte Vertrauen beschämt das
so viele in das franzöfische Volk, in unsere Zeit, in die menschliche
Natur gesetzt hatten. Wenn manche in der Revolution die fie erwar-
teten eine Erneuerung der Schreckenszeit fürchteten, wenn sie bereits
die blutigen Gestalten des Convents im Geiste vor sich aufleben sahen:
wie ganz anders stellt sich jetzt die Wirklichkeit dar! Nicht nur daß die
Leiter der jungen Republik durch die That bewiesen haben wie ferne
ihnen blutige Rachegendanken seyen, auch durch ein Gesetz soll die To-
desstrafe in Zukunft verpönt seyn. Und was find die bezeichnendsten
positiven Handlungen der provisorischen Regierung? Freiheit, Gleich-
heit und Brüderlichkeit find die Worte die zur Devise gewählt find;
und daß es nicht Worte bleiben sollen, daß die Männer die an der
Spitze stehen mit denselben Ernst zu machen entschlossen find, das be-
weist die Verkündigung des allgemeinen Wahlrechts, das beweist die
menschenfreundliche Sorge für das Wohl jenes vierten Standes, der
durch die Schuld der Verhältnisse und der Menschen in Rechten und
Genüssen so traurig verkürzt, ja vielfach so bitteren Entbehrungen und
Leiden preisgegeben ist. Gefahren freilich find nicht zu verkennen, und
die Schwierigkeit der Aufgabe ist groß. Allein wo der gute Wille der
Leitenden so klar ist, wo der Sinn für Ordnung und Recht von Seite
des Volkes schon so augenfällig sich bewährt hat, wer wollte verzwei-
feln daß dieses Volk für die neugebotenen Jnstitutionen reif sey, und
daß es der Humanität des 19ten Jahrhunderts gelingen werde die ed-
len Jdeen welche sie den Geistern und Gemüthern eingepflanzt hat,
auch in Leben und Wirklichkeit zu setzen? Mit dem Grundsatz der Brü-
derlichkeit zwischen den Genossen des eigenen Volkes geht aber die Ach-
tung der Rechte der Völkerindividuen und der Grundsatz der Unabhän-
gigkeit der Nationen Hand in Hand; und für die Aufrichtigkeit der
Verficherung des National: daß die Republik, wenn nicht angegriffen,
Frieden zu halten entschlossen sey, muß des gesinnungsvollen Lamartine
Erklärung an die Gesandten der Mächte, welche durch das Manifest an
Europa neubekräftigt werden wird, zur Bürgschaft dienen. Darum
Vertrauen zu der franzöfischen Nation, Vertrauen in die Zukunft Eu-
ropa's! Unsere Sorge sey den Anstoß zum Fortschritt im Jnnern und
zur Kräftigung unserer Nationalität zu benützen, und durch thatsäch-
liche Beweise daß wir fernerhin nicht bloß den Namen einer deutschen
Nation zu führen gesonnen seyen, am besten den Frieden zu sichern!"

"Sind Sie zu Ende, junger Freund", höre ich einen älteren Mann
mit kühlem Ton die Rede aufnehmen. "Ehre Jhren Motiven! Allein
wie lange wird Jhre Begeisterung dauern? Wie bald wird die Zeit er-
schienen seyn die Jhre gutmüthige Schwärmerei enttäuscht! Ueberlegen
Sie den Ursprung dieser glorreichen Revolution! Nachdem die Natio-
nalgarde, die mit der bestehenden Regierung den Befitz und die Ord-
nung, und in letzter Jnstanz die gesammten Jnteressen der Civilisation
gegen den Andrang der besitzlosen Massen zu schützen berufen war, in
beklagenswerther Verblendung mit dem niedern Volk gemeinsame Sache
gemacht hatte, so war es die wilde Leidenschaft eines von der Straße
in den Saal der Deputirtenkammer eingedrungenen Pöbelhaufens, der
die Ueberspanntheit und der Ehrgeiz der kleinen Schaar von Republi-
canern in der Kammer entgegenkam, um jene tobende Scene herbeizu-
führen durch welche die Republik zur Welt gefördert und zugleich ge-
weiht wurde. Den Dank für die Erhebung zur Macht durfte die im-
provistrte Regierung den Proletariern nicht schuldig bleiben. Sie hat
mit Versprechungen an die Arbeiter begonnen, wie der gestürzte König
mit Versprechungen an die Bürger. Werden dem vierten Stande die
Täuschungen erspart bleiben die der dritte erfahren hat? Die Antwort
auf diese Frage ist mit größerer Sicherheit zu geben als auf die ähn-
liche im Jahr 1830. Die Regierung hat den Arbeitern die Existenz
durch Arbeit verbürgt. Allein den guten Willen zur Arbeit vorausge-
setzt, womit soll sie die Arbeit bezahlen welche die Nachfrage und das
Bedürfniß übersteigt? Schon hat fie angefangen den Befitz des Staates
anzugreifen, und um diesen nicht zu erschöpfen, muß fie bald an den
Befitz der Reichen gehen. Durch Versprechungen und Geschenke begehr-
lich gemacht, und durch Gratisschauspiele methodisch zum Müßiggang
verleitet, wird das Volk seine Forderungen stets ungestümer stellen,
und sofern eine aus der Wahl durch sämmtliche Staatsbürger hervor-
[Spaltenumbruch] gegangene Nationalversammlung noch nicht geneigt wäre denselben
Rechnung zu tragen, so werden die Clubs, die vor dem Zusammentritt
der gesetzlichen Repräsentation bereits in Menge sich zu bilden beginnen,
dem Willen des souveränen Volkes den Nachdruck zu geben nicht ver-
säumen. Die Regierung, aus Männern von Ehre und Bildung zusam-
mengesetzt, wird der Gewalt und Barbarei zu widerstehen versuchen,
und wird ihr zum Opfer fallen. Worin liegt alsdann die Bürgschaft
daß dieselbe Großmuth welche die Personen der gestürzten Dynastie er-
fahren an der neuen Regierung geübt werde? Und wenn diese bereits
einen Antrag auf Abschaffung der Todesstrafe für politische Verbrechen
angekündigt hat, find wir unter den geschilderten Ausfichten nicht ver-
sucht in demselben eine anticipirte von unheimlichem Gefühl eingegebene
Bittschrift um Gnade zu sehen? Sollten aber die Elemente der Ord-
nung und der Mäßigung noch einige Zeit nachhalten, und sollte in
Folge der Beschaffenheit der neuen Verfassung, welche den sogenannten
gesetzlichen Wechsel der Regierung auf das äußerfte erleichtern wird,
die erste und vielleicht eine zweite und dritte Regierung noch ohne Ge-
walt vom Schauplatz abtreten, wird nicht die Schreckenszeit, wenn auch
später, desto sicherer eintreten? Die gezügelten Leidenschaften werden
einmal desto heftiger sich entladen; die tobenden Parteien werden fich
überstürzen, und das Ende der Anarchie wird ein militärischer Despo-
tismus seyn. Doch der letztere kann nur aus dem Kriege hervorgehen;
und daß Krieg das Loos von Europa seyn wird, welcher Tieferblickende
könnte daran zweifeln? Jn der provisorischen Regierung sitzen die
Männer des National, d. h. die Männer der Partei welche seit Jahren
als die Kriegspartei galt. Das Portefeuille des Krieges ist in den
Händen des Generals Subervie, d. h. eines Mannes der vor wenigen
Wochen im Saale der Deputirtenkammer die Theorie der Rheingränze
verkündigte, und jetzt, da die Möglichkeit gegeben ist die Theorie in
Prarxis umzusetzen, nicht geneigt seyn wird auf die eine und die andere
zu verzichten. Für den Augenblick freilich hat man dem schwärmeri-
schen Lamartine, dieser Dupe der Revolution, das Wort gelassen; al-
lein wie bald wird der blinde Thor, der seine 100,000 Fr. Einkünfte,
seinen Namen und seine Existenz in den Schlund der Proletarier-Re-
volution wirft, von den eigenen Genossen ausgebraucht und über Bord
geworfen seyn! Der Krieg also, und ein naher Krieg ist unser Schick-
sal. Doch die Schrecken desselben zu malen will ich unterlassen; denn
schrecklicher steht, wenn der äußere Feind unsere Kriegsmacht in An-
spruch nimmt, jene andere Gefahr vor meinen Augen womit der innere
Feind unser Vaterland bedroht. Sind unsere Proletarier weniger zahl-
reich? Jst die Noth die unsere kleinen Gewerbe drückt geringer? Sind
die Elemente der Bildung und der Sittlichkeit bei unserem niederen
Volke stärker? Wer den intellectuellen und moralischen Zustand dieses
Volkes kennt, der wird die Roheit die in beiderlei Hinsicht herrscht be-
klagen, und der Zeit da die Leidenschaften der Massen entfesselt seyn
werden, mit Bangen entgegensehen. Darum mögen wir über den Rhein
hinüberschauen, von wo der Anstoß der Ereignisse kommt, oder mögen
wir den Zustand des eigenen Vaterlandes betrachten -- wie geringen
Scharsblicks bedarf es die Lage zu erkennen! Der gefürchtete Krieg
wird das kleinste der Uebel seyn; denn ein Sturm der Barbarei droht
über Europa hereinzubrechen, der geistige wie materielle Besitz ist in
Frage gestellt, die gesammte Errungenschaft der Civilisatian steht auf
dem Spiel!"

Also der Mann des nüchternen Verstandes. Dürfen wir zwischen
ihm und dem Manne der Begeisterung in die Mitte treten, oder müssen
wir den kalten Argumenten uns beugen und den trostlosen Ausfichten
uns ergeben? Nach den Juliustagen von 1830 war es Barthold Georg
Niebuhr der für die nächste Zukunft den Sturm der Barbarei verkün-
digte, welcher nunmehr von neuem vorausgesagt wird. Der historische
Romantiker, aller Objectivität bar und ledig, kannte seine Zeit so wenig
als ein Romantiker. Wenn aber die Voraussagung für jene Tage die
Ausgeburt einer krankhaft gereizten Phantasie war, so haben sich nach
18 weiteren Friedensjahren die Elemente der Gesellschaft verwandelt,
und die Weltlage ist eine andere geworden. Die Gefahren welche heute
der Gesittung und Bildung wie dem materiellen Befitz drohen, sind an-
dere als in jenen Tagen. Und dennoch bewahre uns der Himmel daß
wir dem Unglückspropheten das letzte Wort zugestehen und an unserer
Zukunft verzweifeln!

Die Schalttagsrevolution von 1848 wird als eine Proletarier-
revolution und als ein Werk des tobenden Pöbels bezeichnet. Die
Oberfläche des Ereignisses angesehen, mit Recht: allein der Augenschein

[Spaltenumbruch] waren? Bis auf den Grund waren die Wellen aufgerührt: aber wie
wenig wurde die Gelegenheit benützt die von Tauſenden erwartet ſeyn
ſollte im Trüben zu fiſchen? Und wenn Einzelne ihren niedrigen Trie-
ben den Lauf ließen, wie ſtreng war das Gericht das vom Volke geübt
wurde, und wie glänzend hat ſich der öffentliche Geiſt bewährt! Jn der
That, der Verlauf der Kriſe hat das ſchlechte Vertrauen beſchämt das
ſo viele in das franzöfiſche Volk, in unſere Zeit, in die menſchliche
Natur geſetzt hatten. Wenn manche in der Revolution die fie erwar-
teten eine Erneuerung der Schreckenszeit fürchteten, wenn ſie bereits
die blutigen Geſtalten des Convents im Geiſte vor ſich aufleben ſahen:
wie ganz anders ſtellt ſich jetzt die Wirklichkeit dar! Nicht nur daß die
Leiter der jungen Republik durch die That bewieſen haben wie ferne
ihnen blutige Rachegendanken ſeyen, auch durch ein Geſetz ſoll die To-
desſtrafe in Zukunft verpönt ſeyn. Und was find die bezeichnendſten
poſitiven Handlungen der proviſoriſchen Regierung? Freiheit, Gleich-
heit und Brüderlichkeit find die Worte die zur Deviſe gewählt find;
und daß es nicht Worte bleiben ſollen, daß die Männer die an der
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weist die Verkündigung des allgemeinen Wahlrechts, das beweist die
menſchenfreundliche Sorge für das Wohl jenes vierten Standes, der
durch die Schuld der Verhältniſſe und der Menſchen in Rechten und
Genüſſen ſo traurig verkürzt, ja vielfach ſo bitteren Entbehrungen und
Leiden preisgegeben iſt. Gefahren freilich find nicht zu verkennen, und
die Schwierigkeit der Aufgabe iſt groß. Allein wo der gute Wille der
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des Volkes ſchon ſo augenfällig ſich bewährt hat, wer wollte verzwei-
feln daß dieſes Volk für die neugebotenen Jnſtitutionen reif ſey, und
daß es der Humanität des 19ten Jahrhunderts gelingen werde die ed-
len Jdeen welche ſie den Geiſtern und Gemüthern eingepflanzt hat,
auch in Leben und Wirklichkeit zu ſetzen? Mit dem Grundſatz der Brü-
derlichkeit zwiſchen den Genoſſen des eigenen Volkes geht aber die Ach-
tung der Rechte der Völkerindividuen und der Grundſatz der Unabhän-
gigkeit der Nationen Hand in Hand; und für die Aufrichtigkeit der
Verficherung des National: daß die Republik, wenn nicht angegriffen,
Frieden zu halten entſchloſſen ſey, muß des geſinnungsvollen Lamartine
Erklärung an die Geſandten der Mächte, welche durch das Manifeſt an
Europa neubekräftigt werden wird, zur Bürgſchaft dienen. Darum
Vertrauen zu der franzöfiſchen Nation, Vertrauen in die Zukunft Eu-
ropa’s! Unſere Sorge ſey den Anſtoß zum Fortſchritt im Jnnern und
zur Kräftigung unſerer Nationalität zu benützen, und durch thatſäch-
liche Beweiſe daß wir fernerhin nicht bloß den Namen einer deutſchen
Nation zu führen geſonnen ſeyen, am beſten den Frieden zu ſichern!“

„Sind Sie zu Ende, junger Freund“, höre ich einen älteren Mann
mit kühlem Ton die Rede aufnehmen. „Ehre Jhren Motiven! Allein
wie lange wird Jhre Begeiſterung dauern? Wie bald wird die Zeit er-
ſchienen ſeyn die Jhre gutmüthige Schwärmerei enttäuſcht! Ueberlegen
Sie den Urſprung dieſer glorreichen Revolution! Nachdem die Natio-
nalgarde, die mit der beſtehenden Regierung den Befitz und die Ord-
nung, und in letzter Jnſtanz die geſammten Jntereſſen der Civiliſation
gegen den Andrang der beſitzloſen Maſſen zu ſchützen berufen war, in
beklagenswerther Verblendung mit dem niedern Volk gemeinſame Sache
gemacht hatte, ſo war es die wilde Leidenſchaft eines von der Straße
in den Saal der Deputirtenkammer eingedrungenen Pöbelhaufens, der
die Ueberſpanntheit und der Ehrgeiz der kleinen Schaar von Republi-
canern in der Kammer entgegenkam, um jene tobende Scene herbeizu-
führen durch welche die Republik zur Welt gefördert und zugleich ge-
weiht wurde. Den Dank für die Erhebung zur Macht durfte die im-
proviſtrte Regierung den Proletariern nicht ſchuldig bleiben. Sie hat
mit Verſprechungen an die Arbeiter begonnen, wie der geſtürzte König
mit Verſprechungen an die Bürger. Werden dem vierten Stande die
Täuſchungen erſpart bleiben die der dritte erfahren hat? Die Antwort
auf dieſe Frage iſt mit größerer Sicherheit zu geben als auf die ähn-
liche im Jahr 1830. Die Regierung hat den Arbeitern die Exiſtenz
durch Arbeit verbürgt. Allein den guten Willen zur Arbeit vorausge-
ſetzt, womit ſoll ſie die Arbeit bezahlen welche die Nachfrage und das
Bedürfniß überſteigt? Schon hat fie angefangen den Befitz des Staates
anzugreifen, und um dieſen nicht zu erſchöpfen, muß fie bald an den
Befitz der Reichen gehen. Durch Verſprechungen und Geſchenke begehr-
lich gemacht, und durch Gratisſchauſpiele methodiſch zum Müßiggang
verleitet, wird das Volk ſeine Forderungen ſtets ungeſtümer ſtellen,
und ſofern eine aus der Wahl durch ſämmtliche Staatsbürger hervor-
[Spaltenumbruch] gegangene Nationalverſammlung noch nicht geneigt wäre denſelben
Rechnung zu tragen, ſo werden die Clubs, die vor dem Zuſammentritt
der geſetzlichen Repräſentation bereits in Menge ſich zu bilden beginnen,
dem Willen des ſouveränen Volkes den Nachdruck zu geben nicht ver-
ſäumen. Die Regierung, aus Männern von Ehre und Bildung zuſam-
mengeſetzt, wird der Gewalt und Barbarei zu widerſtehen verſuchen,
und wird ihr zum Opfer fallen. Worin liegt alsdann die Bürgſchaft
daß dieſelbe Großmuth welche die Perſonen der geſtürzten Dynaſtie er-
fahren an der neuen Regierung geübt werde? Und wenn dieſe bereits
einen Antrag auf Abſchaffung der Todesſtrafe für politiſche Verbrechen
angekündigt hat, find wir unter den geſchilderten Ausfichten nicht ver-
ſucht in demſelben eine anticipirte von unheimlichem Gefühl eingegebene
Bittſchrift um Gnade zu ſehen? Sollten aber die Elemente der Ord-
nung und der Mäßigung noch einige Zeit nachhalten, und ſollte in
Folge der Beſchaffenheit der neuen Verfaſſung, welche den ſogenannten
geſetzlichen Wechſel der Regierung auf das äußerfte erleichtern wird,
die erſte und vielleicht eine zweite und dritte Regierung noch ohne Ge-
walt vom Schauplatz abtreten, wird nicht die Schreckenszeit, wenn auch
ſpäter, deſto ſicherer eintreten? Die gezügelten Leidenſchaften werden
einmal deſto heftiger ſich entladen; die tobenden Parteien werden fich
überſtürzen, und das Ende der Anarchie wird ein militäriſcher Deſpo-
tismus ſeyn. Doch der letztere kann nur aus dem Kriege hervorgehen;
und daß Krieg das Loos von Europa ſeyn wird, welcher Tieferblickende
könnte daran zweifeln? Jn der proviſoriſchen Regierung ſitzen die
Männer des National, d. h. die Männer der Partei welche ſeit Jahren
als die Kriegspartei galt. Das Portefeuille des Krieges iſt in den
Händen des Generals Subervie, d. h. eines Mannes der vor wenigen
Wochen im Saale der Deputirtenkammer die Theorie der Rheingränze
verkündigte, und jetzt, da die Möglichkeit gegeben iſt die Theorie in
Prarxis umzuſetzen, nicht geneigt ſeyn wird auf die eine und die andere
zu verzichten. Für den Augenblick freilich hat man dem ſchwärmeri-
ſchen Lamartine, dieſer Dupe der Revolution, das Wort gelaſſen; al-
lein wie bald wird der blinde Thor, der ſeine 100,000 Fr. Einkünfte,
ſeinen Namen und ſeine Exiſtenz in den Schlund der Proletarier-Re-
volution wirft, von den eigenen Genoſſen ausgebraucht und über Bord
geworfen ſeyn! Der Krieg alſo, und ein naher Krieg iſt unſer Schick-
ſal. Doch die Schrecken desſelben zu malen will ich unterlaſſen; denn
ſchrecklicher ſteht, wenn der äußere Feind unſere Kriegsmacht in An-
ſpruch nimmt, jene andere Gefahr vor meinen Augen womit der innere
Feind unſer Vaterland bedroht. Sind unſere Proletarier weniger zahl-
reich? Jſt die Noth die unſere kleinen Gewerbe drückt geringer? Sind
die Elemente der Bildung und der Sittlichkeit bei unſerem niederen
Volke ſtärker? Wer den intellectuellen und moraliſchen Zuſtand dieſes
Volkes kennt, der wird die Roheit die in beiderlei Hinſicht herrſcht be-
klagen, und der Zeit da die Leidenſchaften der Maſſen entfeſſelt ſeyn
werden, mit Bangen entgegenſehen. Darum mögen wir über den Rhein
hinüberſchauen, von wo der Anſtoß der Ereigniſſe kommt, oder mögen
wir den Zuſtand des eigenen Vaterlandes betrachten — wie geringen
Scharſblicks bedarf es die Lage zu erkennen! Der gefürchtete Krieg
wird das kleinſte der Uebel ſeyn; denn ein Sturm der Barbarei droht
über Europa hereinzubrechen, der geiſtige wie materielle Beſitz iſt in
Frage geſtellt, die geſammte Errungenſchaft der Civiliſatian ſteht auf
dem Spiel!“

Alſo der Mann des nüchternen Verſtandes. Dürfen wir zwiſchen
ihm und dem Manne der Begeiſterung in die Mitte treten, oder müſſen
wir den kalten Argumenten uns beugen und den troſtloſen Ausfichten
uns ergeben? Nach den Juliustagen von 1830 war es Barthold Georg
Niebuhr der für die nächſte Zukunft den Sturm der Barbarei verkün-
digte, welcher nunmehr von neuem vorausgeſagt wird. Der hiſtoriſche
Romantiker, aller Objectivität bar und ledig, kannte ſeine Zeit ſo wenig
als ein Romantiker. Wenn aber die Vorausſagung für jene Tage die
Ausgeburt einer krankhaft gereizten Phantaſie war, ſo haben ſich nach
18 weiteren Friedensjahren die Elemente der Geſellſchaft verwandelt,
und die Weltlage iſt eine andere geworden. Die Gefahren welche heute
der Geſittung und Bildung wie dem materiellen Befitz drohen, ſind an-
dere als in jenen Tagen. Und dennoch bewahre uns der Himmel daß
wir dem Unglückspropheten das letzte Wort zugeſtehen und an unſerer
Zukunft verzweifeln!

Die Schalttagsrevolution von 1848 wird als eine Proletarier-
revolution und als ein Werk des tobenden Pöbels bezeichnet. Die
Oberfläche des Ereigniſſes angeſehen, mit Recht: allein der Augenſchein

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[0012] waren? Bis auf den Grund waren die Wellen aufgerührt: aber wie wenig wurde die Gelegenheit benützt die von Tauſenden erwartet ſeyn ſollte im Trüben zu fiſchen? Und wenn Einzelne ihren niedrigen Trie- ben den Lauf ließen, wie ſtreng war das Gericht das vom Volke geübt wurde, und wie glänzend hat ſich der öffentliche Geiſt bewährt! Jn der That, der Verlauf der Kriſe hat das ſchlechte Vertrauen beſchämt das ſo viele in das franzöfiſche Volk, in unſere Zeit, in die menſchliche Natur geſetzt hatten. Wenn manche in der Revolution die fie erwar- teten eine Erneuerung der Schreckenszeit fürchteten, wenn ſie bereits die blutigen Geſtalten des Convents im Geiſte vor ſich aufleben ſahen: wie ganz anders ſtellt ſich jetzt die Wirklichkeit dar! Nicht nur daß die Leiter der jungen Republik durch die That bewieſen haben wie ferne ihnen blutige Rachegendanken ſeyen, auch durch ein Geſetz ſoll die To- desſtrafe in Zukunft verpönt ſeyn. Und was find die bezeichnendſten poſitiven Handlungen der proviſoriſchen Regierung? Freiheit, Gleich- heit und Brüderlichkeit find die Worte die zur Deviſe gewählt find; und daß es nicht Worte bleiben ſollen, daß die Männer die an der Spitze ſtehen mit denſelben Ernſt zu machen entſchloſſen find, das be- weist die Verkündigung des allgemeinen Wahlrechts, das beweist die menſchenfreundliche Sorge für das Wohl jenes vierten Standes, der durch die Schuld der Verhältniſſe und der Menſchen in Rechten und Genüſſen ſo traurig verkürzt, ja vielfach ſo bitteren Entbehrungen und Leiden preisgegeben iſt. Gefahren freilich find nicht zu verkennen, und die Schwierigkeit der Aufgabe iſt groß. Allein wo der gute Wille der Leitenden ſo klar iſt, wo der Sinn für Ordnung und Recht von Seite des Volkes ſchon ſo augenfällig ſich bewährt hat, wer wollte verzwei- feln daß dieſes Volk für die neugebotenen Jnſtitutionen reif ſey, und daß es der Humanität des 19ten Jahrhunderts gelingen werde die ed- len Jdeen welche ſie den Geiſtern und Gemüthern eingepflanzt hat, auch in Leben und Wirklichkeit zu ſetzen? Mit dem Grundſatz der Brü- derlichkeit zwiſchen den Genoſſen des eigenen Volkes geht aber die Ach- tung der Rechte der Völkerindividuen und der Grundſatz der Unabhän- gigkeit der Nationen Hand in Hand; und für die Aufrichtigkeit der Verficherung des National: daß die Republik, wenn nicht angegriffen, Frieden zu halten entſchloſſen ſey, muß des geſinnungsvollen Lamartine Erklärung an die Geſandten der Mächte, welche durch das Manifeſt an Europa neubekräftigt werden wird, zur Bürgſchaft dienen. Darum Vertrauen zu der franzöfiſchen Nation, Vertrauen in die Zukunft Eu- ropa’s! Unſere Sorge ſey den Anſtoß zum Fortſchritt im Jnnern und zur Kräftigung unſerer Nationalität zu benützen, und durch thatſäch- liche Beweiſe daß wir fernerhin nicht bloß den Namen einer deutſchen Nation zu führen geſonnen ſeyen, am beſten den Frieden zu ſichern!“ „Sind Sie zu Ende, junger Freund“, höre ich einen älteren Mann mit kühlem Ton die Rede aufnehmen. „Ehre Jhren Motiven! Allein wie lange wird Jhre Begeiſterung dauern? Wie bald wird die Zeit er- ſchienen ſeyn die Jhre gutmüthige Schwärmerei enttäuſcht! Ueberlegen Sie den Urſprung dieſer glorreichen Revolution! Nachdem die Natio- nalgarde, die mit der beſtehenden Regierung den Befitz und die Ord- nung, und in letzter Jnſtanz die geſammten Jntereſſen der Civiliſation gegen den Andrang der beſitzloſen Maſſen zu ſchützen berufen war, in beklagenswerther Verblendung mit dem niedern Volk gemeinſame Sache gemacht hatte, ſo war es die wilde Leidenſchaft eines von der Straße in den Saal der Deputirtenkammer eingedrungenen Pöbelhaufens, der die Ueberſpanntheit und der Ehrgeiz der kleinen Schaar von Republi- canern in der Kammer entgegenkam, um jene tobende Scene herbeizu- führen durch welche die Republik zur Welt gefördert und zugleich ge- weiht wurde. Den Dank für die Erhebung zur Macht durfte die im- proviſtrte Regierung den Proletariern nicht ſchuldig bleiben. Sie hat mit Verſprechungen an die Arbeiter begonnen, wie der geſtürzte König mit Verſprechungen an die Bürger. Werden dem vierten Stande die Täuſchungen erſpart bleiben die der dritte erfahren hat? Die Antwort auf dieſe Frage iſt mit größerer Sicherheit zu geben als auf die ähn- liche im Jahr 1830. Die Regierung hat den Arbeitern die Exiſtenz durch Arbeit verbürgt. Allein den guten Willen zur Arbeit vorausge- ſetzt, womit ſoll ſie die Arbeit bezahlen welche die Nachfrage und das Bedürfniß überſteigt? Schon hat fie angefangen den Befitz des Staates anzugreifen, und um dieſen nicht zu erſchöpfen, muß fie bald an den Befitz der Reichen gehen. Durch Verſprechungen und Geſchenke begehr- lich gemacht, und durch Gratisſchauſpiele methodiſch zum Müßiggang verleitet, wird das Volk ſeine Forderungen ſtets ungeſtümer ſtellen, und ſofern eine aus der Wahl durch ſämmtliche Staatsbürger hervor- gegangene Nationalverſammlung noch nicht geneigt wäre denſelben Rechnung zu tragen, ſo werden die Clubs, die vor dem Zuſammentritt der geſetzlichen Repräſentation bereits in Menge ſich zu bilden beginnen, dem Willen des ſouveränen Volkes den Nachdruck zu geben nicht ver- ſäumen. Die Regierung, aus Männern von Ehre und Bildung zuſam- mengeſetzt, wird der Gewalt und Barbarei zu widerſtehen verſuchen, und wird ihr zum Opfer fallen. Worin liegt alsdann die Bürgſchaft daß dieſelbe Großmuth welche die Perſonen der geſtürzten Dynaſtie er- fahren an der neuen Regierung geübt werde? Und wenn dieſe bereits einen Antrag auf Abſchaffung der Todesſtrafe für politiſche Verbrechen angekündigt hat, find wir unter den geſchilderten Ausfichten nicht ver- ſucht in demſelben eine anticipirte von unheimlichem Gefühl eingegebene Bittſchrift um Gnade zu ſehen? Sollten aber die Elemente der Ord- nung und der Mäßigung noch einige Zeit nachhalten, und ſollte in Folge der Beſchaffenheit der neuen Verfaſſung, welche den ſogenannten geſetzlichen Wechſel der Regierung auf das äußerfte erleichtern wird, die erſte und vielleicht eine zweite und dritte Regierung noch ohne Ge- walt vom Schauplatz abtreten, wird nicht die Schreckenszeit, wenn auch ſpäter, deſto ſicherer eintreten? Die gezügelten Leidenſchaften werden einmal deſto heftiger ſich entladen; die tobenden Parteien werden fich überſtürzen, und das Ende der Anarchie wird ein militäriſcher Deſpo- tismus ſeyn. Doch der letztere kann nur aus dem Kriege hervorgehen; und daß Krieg das Loos von Europa ſeyn wird, welcher Tieferblickende könnte daran zweifeln? Jn der proviſoriſchen Regierung ſitzen die Männer des National, d. h. die Männer der Partei welche ſeit Jahren als die Kriegspartei galt. Das Portefeuille des Krieges iſt in den Händen des Generals Subervie, d. h. eines Mannes der vor wenigen Wochen im Saale der Deputirtenkammer die Theorie der Rheingränze verkündigte, und jetzt, da die Möglichkeit gegeben iſt die Theorie in Prarxis umzuſetzen, nicht geneigt ſeyn wird auf die eine und die andere zu verzichten. Für den Augenblick freilich hat man dem ſchwärmeri- ſchen Lamartine, dieſer Dupe der Revolution, das Wort gelaſſen; al- lein wie bald wird der blinde Thor, der ſeine 100,000 Fr. Einkünfte, ſeinen Namen und ſeine Exiſtenz in den Schlund der Proletarier-Re- volution wirft, von den eigenen Genoſſen ausgebraucht und über Bord geworfen ſeyn! Der Krieg alſo, und ein naher Krieg iſt unſer Schick- ſal. Doch die Schrecken desſelben zu malen will ich unterlaſſen; denn ſchrecklicher ſteht, wenn der äußere Feind unſere Kriegsmacht in An- ſpruch nimmt, jene andere Gefahr vor meinen Augen womit der innere Feind unſer Vaterland bedroht. Sind unſere Proletarier weniger zahl- reich? Jſt die Noth die unſere kleinen Gewerbe drückt geringer? Sind die Elemente der Bildung und der Sittlichkeit bei unſerem niederen Volke ſtärker? Wer den intellectuellen und moraliſchen Zuſtand dieſes Volkes kennt, der wird die Roheit die in beiderlei Hinſicht herrſcht be- klagen, und der Zeit da die Leidenſchaften der Maſſen entfeſſelt ſeyn werden, mit Bangen entgegenſehen. Darum mögen wir über den Rhein hinüberſchauen, von wo der Anſtoß der Ereigniſſe kommt, oder mögen wir den Zuſtand des eigenen Vaterlandes betrachten — wie geringen Scharſblicks bedarf es die Lage zu erkennen! Der gefürchtete Krieg wird das kleinſte der Uebel ſeyn; denn ein Sturm der Barbarei droht über Europa hereinzubrechen, der geiſtige wie materielle Beſitz iſt in Frage geſtellt, die geſammte Errungenſchaft der Civiliſatian ſteht auf dem Spiel!“ Alſo der Mann des nüchternen Verſtandes. Dürfen wir zwiſchen ihm und dem Manne der Begeiſterung in die Mitte treten, oder müſſen wir den kalten Argumenten uns beugen und den troſtloſen Ausfichten uns ergeben? Nach den Juliustagen von 1830 war es Barthold Georg Niebuhr der für die nächſte Zukunft den Sturm der Barbarei verkün- digte, welcher nunmehr von neuem vorausgeſagt wird. Der hiſtoriſche Romantiker, aller Objectivität bar und ledig, kannte ſeine Zeit ſo wenig als ein Romantiker. Wenn aber die Vorausſagung für jene Tage die Ausgeburt einer krankhaft gereizten Phantaſie war, ſo haben ſich nach 18 weiteren Friedensjahren die Elemente der Geſellſchaft verwandelt, und die Weltlage iſt eine andere geworden. Die Gefahren welche heute der Geſittung und Bildung wie dem materiellen Befitz drohen, ſind an- dere als in jenen Tagen. Und dennoch bewahre uns der Himmel daß wir dem Unglückspropheten das letzte Wort zugeſtehen und an unſerer Zukunft verzweifeln! Die Schalttagsrevolution von 1848 wird als eine Proletarier- revolution und als ein Werk des tobenden Pöbels bezeichnet. Die Oberfläche des Ereigniſſes angeſehen, mit Recht: allein der Augenſchein

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 77, 17. März 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine77_1848/12>, abgerufen am 04.07.2024.