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Allgemeine Zeitung, Nr. 76, 16. März 1848.

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Wenn aber dieß auch alles zugegeben wird, so kann mindestens
die staatsrechtliche Sonderung der Länder die wir gegenwärtig unter
der östereichen Kaiserkrone vereinigt finden, nicht in Abrede gestellt
werden, und es wird viele geben die sowohl hierin als in den mannich-
fachen divergirenden Richtungen, nach welchen sich das innere und
äußere Leben dieser Länder gestaltet, den thatsächlichen Beweis erblicken
daß Oesterreich nichts weniger als ein Gesammtstaat, ja nicht einmal
ein Bundesstaat, sondern bloß ein unter Einer Krone vereinigter
Staatencompler sey. Und dieß ist denn auch nicht wegzuläugnen,
wenn man auf die verschiedenen Landesverfassungen, Gesetze, Zoll-
gränzen, Besteuerungsverhältnisse und so vieles andere einen Blick
wirft. Ja sagar das Auseinanderfallen der Länder ist gedenkbar, in-
dem z. B. in Böhmen grundgesetzlich das Recht der Königswahl nach
Erlöschung des gegenwärtigen Regenten stammes besteht. Von diesem
Standpunkt aus betrachtet gibt es, so geläufig der Begriff auch jeder-
mann geworden -- keine österreichische Monarchie, gibt es
trotz des Kaisertitels keinen Kaiserstaat.

Sieht man jedoch von den formellen Verhältnissen und den daraus
hervorgehenden Zuständen ab, so stellen sich Thatsachen den Perga-
menten gegenüber, die schwerer wiegen als diese, und zwar nicht nur
solche welche auf den nachgewiesenen innern Gründen der Einigung
beruhen, sondern annoch eine Reihe von Begebenheiten aus welchen
der österreichische Gesammtstaat bereits factisch hervorgegangen ist, wenn-
gleich verabsäumt wurde dieß formell und urkundlich völlig festzustellen. Sie
beginnen, wie überall wo keine gewaltsame und den natürlichen Sym-
pathien widerstreitende Zusammenfügung stattfand, mit dem allmäh-
lichen Verwittern und Einfinken der Scheidewände und der in der na-
türlichen Tendenz jeder Centralgewalt liegenden möglichsten Verallge-
meinerung von Gesetz, Sitte und Gewohnheit. Wir sehen daher auch
schon in früher Zeit Gesetze und Verordnungen in Oesterreich ent-
stehen die nach Umständen in allen vereinigten Ländern, oder doch in
mehreren derselben Geltung erhielten. Vor allem aber war es die
pragmatische Sanction durch welche das erstemal sämmtliche österrei-
chische Länder unter dem Gesichtspunkt eines untrennbaren Ganzen
freiwillig einem gleichen wesentlichen Grundgesetz sich unterwarfen,
und zwar durchaus ohne Rücksicht auf ihre darauf Bezug nehmenden
Particularrechte, die hier mit vollem Selbstbewußtseyn aufgegeben
wurden. Nicht lange nachher haben es auch zahllose Opfer bewiesen
die das gesammte Oesterreich der hartbedrängten großen Kaiserin
brachte, daß die pragmatische Sanction nicht nur die Erbfolge, son-
dern die künftige Gestaltung eines Reichs geregelt hatte; denn Oester-
reichs Völkerschaften befiegelten durch gleiche Hingebung, gleiche Treue
mit ihrem Blute ihren Willen die Jntegrität eines gemeinsamen Va-
terlands, die Herrschaft ihrer gemeinsamen Regenton aufrechtzuer-
halten; oder mit andern Worten: "es constituirte sich damals schon
factisch aus Oesterreichs Völkern ein Volk." Um wie vielmehr aber
kann das ferner in der denkwürdigen Periode nachgewiesen werden
welche ganz Europa bis in seine innersten Grundfesten erschütterte,
die alle Bande lockerte welche Völker und Fürsten zusammenhielten,
Reiche untergehen und wie Pilze aufschießen sah; wo hundert Lockungen
und hundert Entschuldigungen zu finden waren den Herrn zu wech-
seln; oder gar als souveränes Volk selbst zu herrschen. Jn diesem
weltgeschichtlichen Zeitabschnitte, in dieser heißen Feuerprobe hat sich
Oeste rreich bewährt, gezeigt was nur Ein Volk kann durch Gesinnung
und That. Oder war vielleicht Tirols Erhebung, das Erstehen so
vieler freiwilligen Bataillone in allen Theilen des Reichs, die Begei-
sterung und Hingebung jedes Einzelnen, das Herbeiströmen von Silber
und Gold, von Kirchengefäßen und Pretiosen jeder Art die auf dem
Altar des Vaterlandes freudig niedergelegt wurden, war der brüder-
liche Geist einer Armee, die trotz der Stammverschiedenheit ihrer Glie-
der nur Eine Fahne, Eine Ehre und Ein Oesterreich kannte, war das
Vergessen aller Sonderinteressen, das selbst die sonst so hoch gehaltenen
Landesfreiheiten und Privilegien thatsächlich fast ganz erlöschen ließ
-- waren diese einstimmigen Manifestationen von 30 Millionen Men-
schen möglich und erklärlich wenn Oesterreich noch in ein Duzend Va-
terländer sich gespalten hätte, und nicht jeder sich durch und durch nur
als Oesterreicher, nur als Angehöriger Eines großen untrennbaren
Reichs gefühlt und angesehen haben würde? Es ergaben sich gegen-
über solchen Ereignissen nur noch Provinzen, deren früheres Eigen-
leben, wenn auch erkennbar durch Particular-Jnstitutionen, Sitten
[Spaltenumbruch] und Gebräuche, zusammengeschmolzen war zur Seele eines großen mäch-
tiges Reiches.

Leider hat man es verabsäumt den herrlichen Juwel zu fassen, wel-
cher aus den Gluthen die einen Welttheil in Flammen setzten, hervor-
gegangen war; niemand dachte daran den Staat zu eonstituiren für
dessen Vertheidigung Ströme von Blut geflossen waren. Ja nicht
einmal Anerkennung und Lohn fand die beispiellose Treue und Hinge-
bung mit der Oesterreich ausharrte und fest zusammenhielt in den Ta-
gen der höchsten Noth. Damals nach beendetem Kampfe hätte der
Kaiser vollenden sollen was er durch seine Verzichtleistung auf die rö-
mische Krone, wenn auch unfreiwillig, begonnen hatte. Statt zu lieb-
äugeln mit einem verbleichten Purpur, statt den Doppeladler in sein
Wappen aufzunehmen, und mit Gelb und Schwarz zu prunken, hätte
er ein neues kaiserliches Wappen, neue Farben für sein neues Reich
bestimmen sollen, welches österreichische Völkerschaften auf dem Felsen ihrer
Treue errichtet, und mit ihrem Herzblut, das im 25jährigen Kampfe
sloß, festgekittet hatten. Nicht bloß ein neuer Titel, sondern das
neue untrennbare Kaiserthum mußte förmlich constituirt und
ausgerufen werden, damit die Krone einen Gegenstand, der Thron ein
Fundament erhalte. Doch man wollte keine neue Krone, keine Krö-
nung in Wien, weil man noch immer den Blick nach Frankfurt ge-
richtet hielt, und noch weniger die Constituirung des neuen Reichs,
weil die Anerkennung hätte vorausgehen müssen daß der Kaiser seinen
Völkern die neue Krone und das neue Reich verdanke, wie denn nicht
minder weil weniger Freiheit als die Freiesten unter ihnen bereits
besessen dem Gesammtreich nicht angeboten werden konnte, daher
denn mit der Constituirung eines Kaiserreichs zugleich
eine Constitution hätte gegeben werden müssen die, wenn auch nach
den Bedürfnissen der Jetztzeit gemodelt, für Ungarn ein Fort-
schritt
und kein Rückschritt seyn durfte.

Es ist nicht geschehen! Man begnügte sich mit dem Kaisertitel
und den daran geknüpften Hoffnungen das Verlorene wieder zu gewin-
nen; man verschloß die Augen vor den möglichen Jnconvenienzen, die
bei dem Wiederaufleben eines deutschen Reichs unter welcher Gestalt
immer aus dessen durch einen formellen Act nicht völlig vernichteten
Oberherrlichkeitsansprüchen über einen Theil der öfterreichischen Lande
-- entspringen konnten, und fand es endlich viel bequemer Dank und
Neuernng zu sparen.

Vielleicht ist es gut daß es so gekommen; denn damals waren Volk
und Regierung weniger reif sich neu zu gebären als jetzt, und auch
viel zu sehr beschäftigt die Wunden des Krieges zu heilen um thatkräf-
tig an das Werk zu gehen. Jetzt aber, wenn nicht alles trügt, stehen
wir näher als wohl manche glauben an der Consolidirung der Zu-
stände welche im Schooße von Jahrhunderten allmählich herange-
reift sind.

Ein Ereigniß -- und so kann man wohl die denkwürdige kaiser-
liche Entschließung welche das System der Staatseisenbahnen auf groß-
artige Weise ins Leben rief nennen, gibt abermals Zeugniß von der
unwiderstehlichen Gewalt der Dinge die den Staat zur Einigung treibt.
Die Folgen dieses Ereignisses aber find nicht weniger Epoche machend
für des Gesammtstaats Consoldirung, als es die pragmatische Sanc-
tion und die letzten großen Kriege waren; denn durch die Bezeich-
nung der Hauptlinien des Eisenbahnnetzes schuf der kaiserliche Wille
aus dem festesten Stoffe -- dem der Jnteressen -- neue Bänder, welche
von nun an kreuzweise die Gesammtmonarchie umgürten sollen.

Unter der Leitung des Staatsmanns dem wir vorzugsweise diese
für die österreichische Regierung wahrhaft außerordentliche Maßregel
danken, hat auch bereits die Ausführung des großen Werkes Riesen-
schritte gemacht, und wenige Jahre reichten hin von Kärnthen bis
Böhmen die eiserne Bahn zu führen. Jn kurzem wird die Linie von
Triest bis an Sachsens Gränze vollendet seyn; die Monarchie ist dann
in ihrem gewerbreichsten und bevölkertsten Theil mittelst einer neuen
gewaltigen Verkehrslinie verbunden welche die Hauptstadt und die Do-
nau durchschneidend noch überdem vom adriatischen Meere bis an die
Nordsee sich ununterbrochen fortsetzt. Und wenn das ganze Netz voll-
endet seyn wird, wenn die Locomotive täglich hundert Tausende, die
ohne sie sich niemals nahe gekommen wären, zusammenbringt, jene
zu Nachbarn macht die sonst in entfernten Ländern wohnten, so wer-
den die Jnteressen nicht allein, sondern auch geistige Agentien die Fu-
ston der Völker vollenden helfen, die das wunderbare Netz umspannt.
Hier hat also die Regierung, obschon sie sich noch immer scheut das

[Spaltenumbruch]

Wenn aber dieß auch alles zugegeben wird, ſo kann mindeſtens
die ſtaatsrechtliche Sonderung der Länder die wir gegenwärtig unter
der öſtereichen Kaiſerkrone vereinigt finden, nicht in Abrede geſtellt
werden, und es wird viele geben die ſowohl hierin als in den mannich-
fachen divergirenden Richtungen, nach welchen ſich das innere und
äußere Leben dieſer Länder geſtaltet, den thatſächlichen Beweis erblicken
daß Oeſterreich nichts weniger als ein Geſammtſtaat, ja nicht einmal
ein Bundesſtaat, ſondern bloß ein unter Einer Krone vereinigter
Staatencompler ſey. Und dieß iſt denn auch nicht wegzuläugnen,
wenn man auf die verſchiedenen Landesverfaſſungen, Geſetze, Zoll-
gränzen, Beſteuerungsverhältniſſe und ſo vieles andere einen Blick
wirft. Ja ſagar das Auseinanderfallen der Länder iſt gedenkbar, in-
dem z. B. in Böhmen grundgeſetzlich das Recht der Königswahl nach
Erlöſchung des gegenwärtigen Regenten ſtammes beſteht. Von dieſem
Standpunkt aus betrachtet gibt es, ſo geläufig der Begriff auch jeder-
mann geworden — keine öſterreichiſche Monarchie, gibt es
trotz des Kaiſertitels keinen Kaiſerſtaat.

Sieht man jedoch von den formellen Verhältniſſen und den daraus
hervorgehenden Zuſtänden ab, ſo ſtellen ſich Thatſachen den Perga-
menten gegenüber, die ſchwerer wiegen als dieſe, und zwar nicht nur
ſolche welche auf den nachgewieſenen innern Gründen der Einigung
beruhen, ſondern annoch eine Reihe von Begebenheiten aus welchen
der öſterreichiſche Geſammtſtaat bereits factiſch hervorgegangen iſt, wenn-
gleich verabſäumt wurde dieß formell und urkundlich völlig feſtzuſtellen. Sie
beginnen, wie überall wo keine gewaltſame und den natürlichen Sym-
pathien widerſtreitende Zuſammenfügung ſtattfand, mit dem allmäh-
lichen Verwittern und Einfinken der Scheidewände und der in der na-
türlichen Tendenz jeder Centralgewalt liegenden möglichſten Verallge-
meinerung von Geſetz, Sitte und Gewohnheit. Wir ſehen daher auch
ſchon in früher Zeit Geſetze und Verordnungen in Oeſterreich ent-
ſtehen die nach Umſtänden in allen vereinigten Ländern, oder doch in
mehreren derſelben Geltung erhielten. Vor allem aber war es die
pragmatiſche Sanction durch welche das erſtemal ſämmtliche öſterrei-
chiſche Länder unter dem Geſichtspunkt eines untrennbaren Ganzen
freiwillig einem gleichen weſentlichen Grundgeſetz ſich unterwarfen,
und zwar durchaus ohne Rückſicht auf ihre darauf Bezug nehmenden
Particularrechte, die hier mit vollem Selbſtbewußtſeyn aufgegeben
wurden. Nicht lange nachher haben es auch zahlloſe Opfer bewieſen
die das geſammte Oeſterreich der hartbedrängten großen Kaiſerin
brachte, daß die pragmatiſche Sanction nicht nur die Erbfolge, ſon-
dern die künftige Geſtaltung eines Reichs geregelt hatte; denn Oeſter-
reichs Völkerſchaften befiegelten durch gleiche Hingebung, gleiche Treue
mit ihrem Blute ihren Willen die Jntegrität eines gemeinſamen Va-
terlands, die Herrſchaft ihrer gemeinſamen Regenton aufrechtzuer-
halten; oder mit andern Worten: „es conſtituirte ſich damals ſchon
factiſch aus Oeſterreichs Völkern ein Volk.“ Um wie vielmehr aber
kann das ferner in der denkwürdigen Periode nachgewieſen werden
welche ganz Europa bis in ſeine innerſten Grundfeſten erſchütterte,
die alle Bande lockerte welche Völker und Fürſten zuſammenhielten,
Reiche untergehen und wie Pilze aufſchießen ſah; wo hundert Lockungen
und hundert Entſchuldigungen zu finden waren den Herrn zu wech-
ſeln; oder gar als ſouveränes Volk ſelbſt zu herrſchen. Jn dieſem
weltgeſchichtlichen Zeitabſchnitte, in dieſer heißen Feuerprobe hat ſich
Oeſte rreich bewährt, gezeigt was nur Ein Volk kann durch Geſinnung
und That. Oder war vielleicht Tirols Erhebung, das Erſtehen ſo
vieler freiwilligen Bataillone in allen Theilen des Reichs, die Begei-
ſterung und Hingebung jedes Einzelnen, das Herbeiſtrömen von Silber
und Gold, von Kirchengefäßen und Pretioſen jeder Art die auf dem
Altar des Vaterlandes freudig niedergelegt wurden, war der brüder-
liche Geiſt einer Armee, die trotz der Stammverſchiedenheit ihrer Glie-
der nur Eine Fahne, Eine Ehre und Ein Oeſterreich kannte, war das
Vergeſſen aller Sonderintereſſen, das ſelbſt die ſonſt ſo hoch gehaltenen
Landesfreiheiten und Privilegien thatſächlich faſt ganz erlöſchen ließ
— waren dieſe einſtimmigen Manifeſtationen von 30 Millionen Men-
ſchen möglich und erklärlich wenn Oeſterreich noch in ein Duzend Va-
terländer ſich geſpalten hätte, und nicht jeder ſich durch und durch nur
als Oeſterreicher, nur als Angehöriger Eines großen untrennbaren
Reichs gefühlt und angeſehen haben würde? Es ergaben ſich gegen-
über ſolchen Ereigniſſen nur noch Provinzen, deren früheres Eigen-
leben, wenn auch erkennbar durch Particular-Jnſtitutionen, Sitten
[Spaltenumbruch] und Gebräuche, zuſammengeſchmolzen war zur Seele eines großen mäch-
tiges Reiches.

Leider hat man es verabſäumt den herrlichen Juwel zu faſſen, wel-
cher aus den Gluthen die einen Welttheil in Flammen ſetzten, hervor-
gegangen war; niemand dachte daran den Staat zu eonſtituiren für
deſſen Vertheidigung Ströme von Blut gefloſſen waren. Ja nicht
einmal Anerkennung und Lohn fand die beiſpielloſe Treue und Hinge-
bung mit der Oeſterreich ausharrte und feſt zuſammenhielt in den Ta-
gen der höchſten Noth. Damals nach beendetem Kampfe hätte der
Kaiſer vollenden ſollen was er durch ſeine Verzichtleiſtung auf die rö-
miſche Krone, wenn auch unfreiwillig, begonnen hatte. Statt zu lieb-
äugeln mit einem verbleichten Purpur, ſtatt den Doppeladler in ſein
Wappen aufzunehmen, und mit Gelb und Schwarz zu prunken, hätte
er ein neues kaiſerliches Wappen, neue Farben für ſein neues Reich
beſtimmen ſollen, welches öſterreichiſche Völkerſchaften auf dem Felſen ihrer
Treue errichtet, und mit ihrem Herzblut, das im 25jährigen Kampfe
ſloß, feſtgekittet hatten. Nicht bloß ein neuer Titel, ſondern das
neue untrennbare Kaiſerthum mußte förmlich conſtituirt und
ausgerufen werden, damit die Krone einen Gegenſtand, der Thron ein
Fundament erhalte. Doch man wollte keine neue Krone, keine Krö-
nung in Wien, weil man noch immer den Blick nach Frankfurt ge-
richtet hielt, und noch weniger die Conſtituirung des neuen Reichs,
weil die Anerkennung hätte vorausgehen müſſen daß der Kaiſer ſeinen
Völkern die neue Krone und das neue Reich verdanke, wie denn nicht
minder weil weniger Freiheit als die Freieſten unter ihnen bereits
beſeſſen dem Geſammtreich nicht angeboten werden konnte, daher
denn mit der Conſtituirung eines Kaiſerreichs zugleich
eine Conſtitution hätte gegeben werden müſſen die, wenn auch nach
den Bedürfniſſen der Jetztzeit gemodelt, für Ungarn ein Fort-
ſchritt
und kein Rückſchritt ſeyn durfte.

Es iſt nicht geſchehen! Man begnügte ſich mit dem Kaiſertitel
und den daran geknüpften Hoffnungen das Verlorene wieder zu gewin-
nen; man verſchloß die Augen vor den möglichen Jnconvenienzen, die
bei dem Wiederaufleben eines deutſchen Reichs unter welcher Geſtalt
immer aus deſſen durch einen formellen Act nicht völlig vernichteten
Oberherrlichkeitsanſprüchen über einen Theil der öfterreichiſchen Lande
— entſpringen konnten, und fand es endlich viel bequemer Dank und
Neuernng zu ſparen.

Vielleicht iſt es gut daß es ſo gekommen; denn damals waren Volk
und Regierung weniger reif ſich neu zu gebären als jetzt, und auch
viel zu ſehr beſchäftigt die Wunden des Krieges zu heilen um thatkräf-
tig an das Werk zu gehen. Jetzt aber, wenn nicht alles trügt, ſtehen
wir näher als wohl manche glauben an der Conſolidirung der Zu-
ſtände welche im Schooße von Jahrhunderten allmählich herange-
reift ſind.

Ein Ereigniß — und ſo kann man wohl die denkwürdige kaiſer-
liche Entſchließung welche das Syſtem der Staatseiſenbahnen auf groß-
artige Weiſe ins Leben rief nennen, gibt abermals Zeugniß von der
unwiderſtehlichen Gewalt der Dinge die den Staat zur Einigung treibt.
Die Folgen dieſes Ereigniſſes aber find nicht weniger Epoche machend
für des Geſammtſtaats Conſoldirung, als es die pragmatiſche Sanc-
tion und die letzten großen Kriege waren; denn durch die Bezeich-
nung der Hauptlinien des Eiſenbahnnetzes ſchuf der kaiſerliche Wille
aus dem feſteſten Stoffe — dem der Jntereſſen — neue Bänder, welche
von nun an kreuzweiſe die Geſammtmonarchie umgürten ſollen.

Unter der Leitung des Staatsmanns dem wir vorzugsweiſe dieſe
für die öſterreichiſche Regierung wahrhaft außerordentliche Maßregel
danken, hat auch bereits die Ausführung des großen Werkes Rieſen-
ſchritte gemacht, und wenige Jahre reichten hin von Kärnthen bis
Böhmen die eiſerne Bahn zu führen. Jn kurzem wird die Linie von
Trieſt bis an Sachſens Gränze vollendet ſeyn; die Monarchie iſt dann
in ihrem gewerbreichſten und bevölkertſten Theil mittelſt einer neuen
gewaltigen Verkehrslinie verbunden welche die Hauptſtadt und die Do-
nau durchſchneidend noch überdem vom adriatiſchen Meere bis an die
Nordſee ſich ununterbrochen fortſetzt. Und wenn das ganze Netz voll-
endet ſeyn wird, wenn die Locomotive täglich hundert Tauſende, die
ohne ſie ſich niemals nahe gekommen wären, zuſammenbringt, jene
zu Nachbarn macht die ſonſt in entfernten Ländern wohnten, ſo wer-
den die Jntereſſen nicht allein, ſondern auch geiſtige Agentien die Fu-
ſton der Völker vollenden helfen, die das wunderbare Netz umſpannt.
Hier hat alſo die Regierung, obſchon ſie ſich noch immer ſcheut das

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[1211/0011] Wenn aber dieß auch alles zugegeben wird, ſo kann mindeſtens die ſtaatsrechtliche Sonderung der Länder die wir gegenwärtig unter der öſtereichen Kaiſerkrone vereinigt finden, nicht in Abrede geſtellt werden, und es wird viele geben die ſowohl hierin als in den mannich- fachen divergirenden Richtungen, nach welchen ſich das innere und äußere Leben dieſer Länder geſtaltet, den thatſächlichen Beweis erblicken daß Oeſterreich nichts weniger als ein Geſammtſtaat, ja nicht einmal ein Bundesſtaat, ſondern bloß ein unter Einer Krone vereinigter Staatencompler ſey. Und dieß iſt denn auch nicht wegzuläugnen, wenn man auf die verſchiedenen Landesverfaſſungen, Geſetze, Zoll- gränzen, Beſteuerungsverhältniſſe und ſo vieles andere einen Blick wirft. Ja ſagar das Auseinanderfallen der Länder iſt gedenkbar, in- dem z. B. in Böhmen grundgeſetzlich das Recht der Königswahl nach Erlöſchung des gegenwärtigen Regenten ſtammes beſteht. Von dieſem Standpunkt aus betrachtet gibt es, ſo geläufig der Begriff auch jeder- mann geworden — keine öſterreichiſche Monarchie, gibt es trotz des Kaiſertitels keinen Kaiſerſtaat. Sieht man jedoch von den formellen Verhältniſſen und den daraus hervorgehenden Zuſtänden ab, ſo ſtellen ſich Thatſachen den Perga- menten gegenüber, die ſchwerer wiegen als dieſe, und zwar nicht nur ſolche welche auf den nachgewieſenen innern Gründen der Einigung beruhen, ſondern annoch eine Reihe von Begebenheiten aus welchen der öſterreichiſche Geſammtſtaat bereits factiſch hervorgegangen iſt, wenn- gleich verabſäumt wurde dieß formell und urkundlich völlig feſtzuſtellen. Sie beginnen, wie überall wo keine gewaltſame und den natürlichen Sym- pathien widerſtreitende Zuſammenfügung ſtattfand, mit dem allmäh- lichen Verwittern und Einfinken der Scheidewände und der in der na- türlichen Tendenz jeder Centralgewalt liegenden möglichſten Verallge- meinerung von Geſetz, Sitte und Gewohnheit. Wir ſehen daher auch ſchon in früher Zeit Geſetze und Verordnungen in Oeſterreich ent- ſtehen die nach Umſtänden in allen vereinigten Ländern, oder doch in mehreren derſelben Geltung erhielten. Vor allem aber war es die pragmatiſche Sanction durch welche das erſtemal ſämmtliche öſterrei- chiſche Länder unter dem Geſichtspunkt eines untrennbaren Ganzen freiwillig einem gleichen weſentlichen Grundgeſetz ſich unterwarfen, und zwar durchaus ohne Rückſicht auf ihre darauf Bezug nehmenden Particularrechte, die hier mit vollem Selbſtbewußtſeyn aufgegeben wurden. Nicht lange nachher haben es auch zahlloſe Opfer bewieſen die das geſammte Oeſterreich der hartbedrängten großen Kaiſerin brachte, daß die pragmatiſche Sanction nicht nur die Erbfolge, ſon- dern die künftige Geſtaltung eines Reichs geregelt hatte; denn Oeſter- reichs Völkerſchaften befiegelten durch gleiche Hingebung, gleiche Treue mit ihrem Blute ihren Willen die Jntegrität eines gemeinſamen Va- terlands, die Herrſchaft ihrer gemeinſamen Regenton aufrechtzuer- halten; oder mit andern Worten: „es conſtituirte ſich damals ſchon factiſch aus Oeſterreichs Völkern ein Volk.“ Um wie vielmehr aber kann das ferner in der denkwürdigen Periode nachgewieſen werden welche ganz Europa bis in ſeine innerſten Grundfeſten erſchütterte, die alle Bande lockerte welche Völker und Fürſten zuſammenhielten, Reiche untergehen und wie Pilze aufſchießen ſah; wo hundert Lockungen und hundert Entſchuldigungen zu finden waren den Herrn zu wech- ſeln; oder gar als ſouveränes Volk ſelbſt zu herrſchen. Jn dieſem weltgeſchichtlichen Zeitabſchnitte, in dieſer heißen Feuerprobe hat ſich Oeſte rreich bewährt, gezeigt was nur Ein Volk kann durch Geſinnung und That. Oder war vielleicht Tirols Erhebung, das Erſtehen ſo vieler freiwilligen Bataillone in allen Theilen des Reichs, die Begei- ſterung und Hingebung jedes Einzelnen, das Herbeiſtrömen von Silber und Gold, von Kirchengefäßen und Pretioſen jeder Art die auf dem Altar des Vaterlandes freudig niedergelegt wurden, war der brüder- liche Geiſt einer Armee, die trotz der Stammverſchiedenheit ihrer Glie- der nur Eine Fahne, Eine Ehre und Ein Oeſterreich kannte, war das Vergeſſen aller Sonderintereſſen, das ſelbſt die ſonſt ſo hoch gehaltenen Landesfreiheiten und Privilegien thatſächlich faſt ganz erlöſchen ließ — waren dieſe einſtimmigen Manifeſtationen von 30 Millionen Men- ſchen möglich und erklärlich wenn Oeſterreich noch in ein Duzend Va- terländer ſich geſpalten hätte, und nicht jeder ſich durch und durch nur als Oeſterreicher, nur als Angehöriger Eines großen untrennbaren Reichs gefühlt und angeſehen haben würde? Es ergaben ſich gegen- über ſolchen Ereigniſſen nur noch Provinzen, deren früheres Eigen- leben, wenn auch erkennbar durch Particular-Jnſtitutionen, Sitten und Gebräuche, zuſammengeſchmolzen war zur Seele eines großen mäch- tiges Reiches. Leider hat man es verabſäumt den herrlichen Juwel zu faſſen, wel- cher aus den Gluthen die einen Welttheil in Flammen ſetzten, hervor- gegangen war; niemand dachte daran den Staat zu eonſtituiren für deſſen Vertheidigung Ströme von Blut gefloſſen waren. Ja nicht einmal Anerkennung und Lohn fand die beiſpielloſe Treue und Hinge- bung mit der Oeſterreich ausharrte und feſt zuſammenhielt in den Ta- gen der höchſten Noth. Damals nach beendetem Kampfe hätte der Kaiſer vollenden ſollen was er durch ſeine Verzichtleiſtung auf die rö- miſche Krone, wenn auch unfreiwillig, begonnen hatte. Statt zu lieb- äugeln mit einem verbleichten Purpur, ſtatt den Doppeladler in ſein Wappen aufzunehmen, und mit Gelb und Schwarz zu prunken, hätte er ein neues kaiſerliches Wappen, neue Farben für ſein neues Reich beſtimmen ſollen, welches öſterreichiſche Völkerſchaften auf dem Felſen ihrer Treue errichtet, und mit ihrem Herzblut, das im 25jährigen Kampfe ſloß, feſtgekittet hatten. Nicht bloß ein neuer Titel, ſondern das neue untrennbare Kaiſerthum mußte förmlich conſtituirt und ausgerufen werden, damit die Krone einen Gegenſtand, der Thron ein Fundament erhalte. Doch man wollte keine neue Krone, keine Krö- nung in Wien, weil man noch immer den Blick nach Frankfurt ge- richtet hielt, und noch weniger die Conſtituirung des neuen Reichs, weil die Anerkennung hätte vorausgehen müſſen daß der Kaiſer ſeinen Völkern die neue Krone und das neue Reich verdanke, wie denn nicht minder weil weniger Freiheit als die Freieſten unter ihnen bereits beſeſſen dem Geſammtreich nicht angeboten werden konnte, daher denn mit der Conſtituirung eines Kaiſerreichs zugleich eine Conſtitution hätte gegeben werden müſſen die, wenn auch nach den Bedürfniſſen der Jetztzeit gemodelt, für Ungarn ein Fort- ſchritt und kein Rückſchritt ſeyn durfte. Es iſt nicht geſchehen! Man begnügte ſich mit dem Kaiſertitel und den daran geknüpften Hoffnungen das Verlorene wieder zu gewin- nen; man verſchloß die Augen vor den möglichen Jnconvenienzen, die bei dem Wiederaufleben eines deutſchen Reichs unter welcher Geſtalt immer aus deſſen durch einen formellen Act nicht völlig vernichteten Oberherrlichkeitsanſprüchen über einen Theil der öfterreichiſchen Lande — entſpringen konnten, und fand es endlich viel bequemer Dank und Neuernng zu ſparen. Vielleicht iſt es gut daß es ſo gekommen; denn damals waren Volk und Regierung weniger reif ſich neu zu gebären als jetzt, und auch viel zu ſehr beſchäftigt die Wunden des Krieges zu heilen um thatkräf- tig an das Werk zu gehen. Jetzt aber, wenn nicht alles trügt, ſtehen wir näher als wohl manche glauben an der Conſolidirung der Zu- ſtände welche im Schooße von Jahrhunderten allmählich herange- reift ſind. Ein Ereigniß — und ſo kann man wohl die denkwürdige kaiſer- liche Entſchließung welche das Syſtem der Staatseiſenbahnen auf groß- artige Weiſe ins Leben rief nennen, gibt abermals Zeugniß von der unwiderſtehlichen Gewalt der Dinge die den Staat zur Einigung treibt. Die Folgen dieſes Ereigniſſes aber find nicht weniger Epoche machend für des Geſammtſtaats Conſoldirung, als es die pragmatiſche Sanc- tion und die letzten großen Kriege waren; denn durch die Bezeich- nung der Hauptlinien des Eiſenbahnnetzes ſchuf der kaiſerliche Wille aus dem feſteſten Stoffe — dem der Jntereſſen — neue Bänder, welche von nun an kreuzweiſe die Geſammtmonarchie umgürten ſollen. Unter der Leitung des Staatsmanns dem wir vorzugsweiſe dieſe für die öſterreichiſche Regierung wahrhaft außerordentliche Maßregel danken, hat auch bereits die Ausführung des großen Werkes Rieſen- ſchritte gemacht, und wenige Jahre reichten hin von Kärnthen bis Böhmen die eiſerne Bahn zu führen. Jn kurzem wird die Linie von Trieſt bis an Sachſens Gränze vollendet ſeyn; die Monarchie iſt dann in ihrem gewerbreichſten und bevölkertſten Theil mittelſt einer neuen gewaltigen Verkehrslinie verbunden welche die Hauptſtadt und die Do- nau durchſchneidend noch überdem vom adriatiſchen Meere bis an die Nordſee ſich ununterbrochen fortſetzt. Und wenn das ganze Netz voll- endet ſeyn wird, wenn die Locomotive täglich hundert Tauſende, die ohne ſie ſich niemals nahe gekommen wären, zuſammenbringt, jene zu Nachbarn macht die ſonſt in entfernten Ländern wohnten, ſo wer- den die Jntereſſen nicht allein, ſondern auch geiſtige Agentien die Fu- ſton der Völker vollenden helfen, die das wunderbare Netz umſpannt. Hier hat alſo die Regierung, obſchon ſie ſich noch immer ſcheut das

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 76, 16. März 1848, S. 1211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine76_1848/11>, abgerufen am 17.09.2024.