Allgemeine Zeitung, Nr. 76, 16. März 1848.[Spaltenumbruch]
Wenn aber dieß auch alles zugegeben wird, so kann mindestens Sieht man jedoch von den formellen Verhältnissen und den daraus Leider hat man es verabsäumt den herrlichen Juwel zu fassen, wel- Es ist nicht geschehen! Man begnügte sich mit dem Kaisertitel Vielleicht ist es gut daß es so gekommen; denn damals waren Volk Ein Ereigniß -- und so kann man wohl die denkwürdige kaiser- Unter der Leitung des Staatsmanns dem wir vorzugsweise diese [Spaltenumbruch]
Wenn aber dieß auch alles zugegeben wird, ſo kann mindeſtens Sieht man jedoch von den formellen Verhältniſſen und den daraus Leider hat man es verabſäumt den herrlichen Juwel zu faſſen, wel- Es iſt nicht geſchehen! Man begnügte ſich mit dem Kaiſertitel Vielleicht iſt es gut daß es ſo gekommen; denn damals waren Volk Ein Ereigniß — und ſo kann man wohl die denkwürdige kaiſer- Unter der Leitung des Staatsmanns dem wir vorzugsweiſe dieſe <TEI> <text> <body> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div type="jComment" n="3"> <pb facs="#f0011" n="1211"/> <cb/> <p>Wenn aber dieß auch alles zugegeben wird, ſo kann mindeſtens<lb/> die ſtaatsrechtliche Sonderung der Länder die wir gegenwärtig unter<lb/> der öſtereichen Kaiſerkrone vereinigt finden, nicht in Abrede geſtellt<lb/> werden, und es wird viele geben die ſowohl hierin als in den mannich-<lb/> fachen divergirenden Richtungen, nach welchen ſich das innere und<lb/> äußere Leben dieſer Länder geſtaltet, den thatſächlichen Beweis erblicken<lb/> daß Oeſterreich nichts weniger als ein Geſammtſtaat, ja nicht einmal<lb/> ein Bundesſtaat, ſondern bloß ein unter Einer Krone vereinigter<lb/> Staatencompler ſey. Und dieß iſt denn auch nicht wegzuläugnen,<lb/> wenn man auf die verſchiedenen Landesverfaſſungen, Geſetze, Zoll-<lb/> gränzen, Beſteuerungsverhältniſſe und ſo vieles andere einen Blick<lb/> wirft. Ja ſagar das Auseinanderfallen der Länder iſt gedenkbar, in-<lb/> dem z. B. in Böhmen grundgeſetzlich das Recht der Königswahl nach<lb/> Erlöſchung des gegenwärtigen Regenten ſtammes beſteht. Von dieſem<lb/> Standpunkt aus betrachtet gibt es, ſo geläufig der Begriff auch jeder-<lb/> mann geworden — <hi rendition="#g">keine öſterreichiſche Monarchie</hi>, gibt es<lb/> trotz des Kaiſertitels <hi rendition="#g">keinen Kaiſerſtaat.</hi></p><lb/> <p>Sieht man jedoch von den formellen Verhältniſſen und den daraus<lb/> hervorgehenden Zuſtänden ab, ſo ſtellen ſich Thatſachen den Perga-<lb/> menten gegenüber, die ſchwerer wiegen als dieſe, und zwar nicht nur<lb/> ſolche welche auf den nachgewieſenen innern Gründen der Einigung<lb/> beruhen, ſondern annoch eine Reihe von Begebenheiten aus welchen<lb/> der öſterreichiſche Geſammtſtaat bereits factiſch hervorgegangen iſt, wenn-<lb/> gleich verabſäumt wurde dieß formell und urkundlich völlig feſtzuſtellen. Sie<lb/> beginnen, wie überall wo keine gewaltſame und den natürlichen Sym-<lb/> pathien widerſtreitende Zuſammenfügung ſtattfand, mit dem allmäh-<lb/> lichen Verwittern und Einfinken der Scheidewände und der in der na-<lb/> türlichen Tendenz jeder Centralgewalt liegenden möglichſten Verallge-<lb/> meinerung von Geſetz, Sitte und Gewohnheit. Wir ſehen daher auch<lb/> ſchon in früher Zeit Geſetze und Verordnungen in Oeſterreich ent-<lb/> ſtehen die nach Umſtänden in allen vereinigten Ländern, oder doch in<lb/> mehreren derſelben Geltung erhielten. Vor allem aber war es die<lb/> pragmatiſche Sanction durch welche das erſtemal ſämmtliche öſterrei-<lb/> chiſche Länder unter dem Geſichtspunkt eines untrennbaren Ganzen<lb/> freiwillig einem <hi rendition="#g">gleichen</hi> weſentlichen Grundgeſetz ſich unterwarfen,<lb/> und zwar durchaus ohne Rückſicht auf ihre darauf Bezug nehmenden<lb/> Particularrechte, die hier mit vollem Selbſtbewußtſeyn aufgegeben<lb/> wurden. Nicht lange nachher haben es auch zahlloſe Opfer bewieſen<lb/> die das geſammte Oeſterreich der hartbedrängten großen Kaiſerin<lb/> brachte, daß die pragmatiſche Sanction nicht nur die Erbfolge, ſon-<lb/> dern die künftige Geſtaltung eines Reichs geregelt hatte; denn Oeſter-<lb/> reichs Völkerſchaften befiegelten durch gleiche Hingebung, gleiche Treue<lb/> mit ihrem Blute ihren Willen die Jntegrität eines gemeinſamen Va-<lb/> terlands, die Herrſchaft ihrer gemeinſamen Regenton aufrechtzuer-<lb/> halten; oder mit andern Worten: „es conſtituirte ſich damals ſchon<lb/> factiſch aus Oeſterreichs Völkern ein Volk.“ Um wie vielmehr aber<lb/> kann das ferner in der denkwürdigen Periode nachgewieſen werden<lb/> welche ganz Europa bis in ſeine innerſten Grundfeſten erſchütterte,<lb/> die alle Bande lockerte welche Völker und Fürſten zuſammenhielten,<lb/> Reiche untergehen und wie Pilze aufſchießen ſah; wo hundert Lockungen<lb/> und hundert Entſchuldigungen zu finden waren den Herrn zu wech-<lb/> ſeln; oder gar als ſouveränes Volk ſelbſt zu herrſchen. Jn dieſem<lb/> weltgeſchichtlichen Zeitabſchnitte, in dieſer heißen Feuerprobe hat ſich<lb/> Oeſte rreich bewährt, gezeigt was nur Ein Volk kann durch Geſinnung<lb/> und That. Oder war vielleicht Tirols Erhebung, das Erſtehen ſo<lb/> vieler freiwilligen Bataillone in allen Theilen des Reichs, die Begei-<lb/> ſterung und Hingebung jedes Einzelnen, das Herbeiſtrömen von Silber<lb/> und Gold, von Kirchengefäßen und Pretioſen jeder Art die auf dem<lb/> Altar des Vaterlandes freudig niedergelegt wurden, war der brüder-<lb/> liche Geiſt einer Armee, die trotz der Stammverſchiedenheit ihrer Glie-<lb/> der nur Eine Fahne, Eine Ehre und Ein Oeſterreich kannte, war das<lb/> Vergeſſen aller Sonderintereſſen, das ſelbſt die ſonſt ſo hoch gehaltenen<lb/> Landesfreiheiten und Privilegien thatſächlich faſt ganz erlöſchen ließ<lb/> — waren dieſe einſtimmigen Manifeſtationen von 30 Millionen Men-<lb/> ſchen möglich und erklärlich wenn Oeſterreich noch in ein Duzend Va-<lb/> terländer ſich geſpalten hätte, und nicht jeder ſich durch und durch nur<lb/> als Oeſterreicher, nur als Angehöriger Eines großen untrennbaren<lb/> Reichs gefühlt und angeſehen haben würde? Es ergaben ſich gegen-<lb/> über ſolchen Ereigniſſen nur noch <hi rendition="#g">Provinzen</hi>, deren früheres Eigen-<lb/> leben, wenn auch erkennbar durch Particular-Jnſtitutionen, Sitten<lb/><cb/> und Gebräuche, zuſammengeſchmolzen war zur Seele eines großen mäch-<lb/> tiges Reiches.</p><lb/> <p>Leider hat man es verabſäumt den herrlichen Juwel zu faſſen, wel-<lb/> cher aus den Gluthen die einen Welttheil in Flammen ſetzten, hervor-<lb/> gegangen war; niemand dachte daran den Staat zu eonſtituiren für<lb/> deſſen Vertheidigung Ströme von Blut gefloſſen waren. Ja nicht<lb/> einmal Anerkennung und Lohn fand die beiſpielloſe Treue und Hinge-<lb/> bung mit der Oeſterreich ausharrte und feſt zuſammenhielt in den Ta-<lb/> gen der höchſten Noth. Damals nach beendetem Kampfe hätte der<lb/> Kaiſer vollenden ſollen was er durch ſeine Verzichtleiſtung auf die rö-<lb/> miſche Krone, wenn auch unfreiwillig, begonnen hatte. Statt zu lieb-<lb/> äugeln mit einem verbleichten Purpur, ſtatt den Doppeladler in ſein<lb/> Wappen aufzunehmen, und mit Gelb und Schwarz zu prunken, hätte<lb/> er ein neues kaiſerliches Wappen, neue Farben für ſein neues Reich<lb/> beſtimmen ſollen, welches öſterreichiſche Völkerſchaften auf dem Felſen ihrer<lb/> Treue errichtet, und mit ihrem Herzblut, das im 25jährigen Kampfe<lb/> ſloß, feſtgekittet hatten. Nicht bloß ein neuer Titel, ſondern das<lb/><hi rendition="#g">neue untrennbare</hi> Kaiſerthum mußte förmlich conſtituirt und<lb/> ausgerufen werden, damit die Krone einen Gegenſtand, der Thron ein<lb/> Fundament erhalte. Doch man wollte keine neue Krone, keine Krö-<lb/> nung in Wien, weil man noch immer den Blick nach Frankfurt ge-<lb/> richtet hielt, und noch weniger die Conſtituirung des neuen Reichs,<lb/> weil die Anerkennung hätte vorausgehen müſſen daß der Kaiſer ſeinen<lb/> Völkern die neue Krone und das neue Reich verdanke, wie denn nicht<lb/> minder weil weniger Freiheit als die Freieſten unter ihnen bereits<lb/> beſeſſen dem Geſammtreich nicht angeboten werden konnte, daher<lb/> denn <hi rendition="#g">mit der Conſtituirung eines Kaiſerreichs</hi> zugleich<lb/> eine <hi rendition="#g">Conſtitution</hi> hätte gegeben werden müſſen die, wenn auch nach<lb/> den Bedürfniſſen der Jetztzeit gemodelt, für Ungarn ein <hi rendition="#g">Fort-<lb/> ſchritt</hi> und kein Rückſchritt ſeyn durfte.</p><lb/> <p>Es iſt nicht geſchehen! Man begnügte ſich mit dem Kaiſertitel<lb/> und den daran geknüpften Hoffnungen das Verlorene wieder zu gewin-<lb/> nen; man verſchloß die Augen vor den möglichen Jnconvenienzen, die<lb/> bei dem Wiederaufleben eines deutſchen Reichs unter welcher Geſtalt<lb/> immer aus deſſen durch einen formellen Act nicht völlig vernichteten<lb/> Oberherrlichkeitsanſprüchen über einen Theil der öfterreichiſchen Lande<lb/> — entſpringen konnten, und fand es endlich viel bequemer Dank und<lb/> Neuernng zu ſparen.</p><lb/> <p>Vielleicht iſt es gut daß es ſo gekommen; denn damals waren Volk<lb/> und Regierung weniger reif ſich neu zu gebären als jetzt, und auch<lb/> viel zu ſehr beſchäftigt die Wunden des Krieges zu heilen um thatkräf-<lb/> tig an das Werk zu gehen. Jetzt aber, wenn nicht alles trügt, ſtehen<lb/> wir näher als wohl manche glauben an der Conſolidirung der Zu-<lb/> ſtände welche im Schooße von Jahrhunderten allmählich herange-<lb/> reift ſind.</p><lb/> <p>Ein Ereigniß — und ſo kann man wohl die denkwürdige kaiſer-<lb/> liche Entſchließung welche das Syſtem der Staatseiſenbahnen auf groß-<lb/> artige Weiſe ins Leben rief nennen, gibt abermals Zeugniß von der<lb/> unwiderſtehlichen Gewalt der Dinge die den Staat zur Einigung treibt.<lb/> Die Folgen dieſes Ereigniſſes aber find nicht weniger Epoche machend<lb/> für des Geſammtſtaats Conſoldirung, als es die pragmatiſche Sanc-<lb/> tion und die letzten großen Kriege waren; denn durch die Bezeich-<lb/> nung der Hauptlinien des Eiſenbahnnetzes ſchuf der kaiſerliche Wille<lb/> aus dem feſteſten Stoffe — dem der Jntereſſen — neue Bänder, welche<lb/> von nun an kreuzweiſe die Geſammtmonarchie umgürten ſollen.</p><lb/> <p>Unter der Leitung des Staatsmanns dem wir vorzugsweiſe dieſe<lb/> für die öſterreichiſche Regierung wahrhaft außerordentliche Maßregel<lb/> danken, hat auch bereits die Ausführung des großen Werkes Rieſen-<lb/> ſchritte gemacht, und wenige Jahre reichten hin von Kärnthen bis<lb/> Böhmen die eiſerne Bahn zu führen. Jn kurzem wird die Linie von<lb/> Trieſt bis an Sachſens Gränze vollendet ſeyn; die Monarchie iſt dann<lb/> in ihrem gewerbreichſten und bevölkertſten Theil mittelſt einer neuen<lb/> gewaltigen Verkehrslinie verbunden welche die Hauptſtadt und die Do-<lb/> nau durchſchneidend noch überdem vom adriatiſchen Meere bis an die<lb/> Nordſee ſich ununterbrochen fortſetzt. Und wenn das ganze Netz voll-<lb/> endet ſeyn wird, wenn die Locomotive täglich hundert Tauſende, die<lb/> ohne ſie ſich niemals nahe gekommen wären, zuſammenbringt, jene<lb/> zu Nachbarn macht die ſonſt in entfernten Ländern wohnten, ſo wer-<lb/> den die Jntereſſen nicht allein, ſondern auch geiſtige Agentien die Fu-<lb/> ſton der Völker vollenden helfen, die das wunderbare Netz umſpannt.<lb/> Hier hat alſo die Regierung, obſchon ſie ſich noch immer ſcheut das<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [1211/0011]
Wenn aber dieß auch alles zugegeben wird, ſo kann mindeſtens
die ſtaatsrechtliche Sonderung der Länder die wir gegenwärtig unter
der öſtereichen Kaiſerkrone vereinigt finden, nicht in Abrede geſtellt
werden, und es wird viele geben die ſowohl hierin als in den mannich-
fachen divergirenden Richtungen, nach welchen ſich das innere und
äußere Leben dieſer Länder geſtaltet, den thatſächlichen Beweis erblicken
daß Oeſterreich nichts weniger als ein Geſammtſtaat, ja nicht einmal
ein Bundesſtaat, ſondern bloß ein unter Einer Krone vereinigter
Staatencompler ſey. Und dieß iſt denn auch nicht wegzuläugnen,
wenn man auf die verſchiedenen Landesverfaſſungen, Geſetze, Zoll-
gränzen, Beſteuerungsverhältniſſe und ſo vieles andere einen Blick
wirft. Ja ſagar das Auseinanderfallen der Länder iſt gedenkbar, in-
dem z. B. in Böhmen grundgeſetzlich das Recht der Königswahl nach
Erlöſchung des gegenwärtigen Regenten ſtammes beſteht. Von dieſem
Standpunkt aus betrachtet gibt es, ſo geläufig der Begriff auch jeder-
mann geworden — keine öſterreichiſche Monarchie, gibt es
trotz des Kaiſertitels keinen Kaiſerſtaat.
Sieht man jedoch von den formellen Verhältniſſen und den daraus
hervorgehenden Zuſtänden ab, ſo ſtellen ſich Thatſachen den Perga-
menten gegenüber, die ſchwerer wiegen als dieſe, und zwar nicht nur
ſolche welche auf den nachgewieſenen innern Gründen der Einigung
beruhen, ſondern annoch eine Reihe von Begebenheiten aus welchen
der öſterreichiſche Geſammtſtaat bereits factiſch hervorgegangen iſt, wenn-
gleich verabſäumt wurde dieß formell und urkundlich völlig feſtzuſtellen. Sie
beginnen, wie überall wo keine gewaltſame und den natürlichen Sym-
pathien widerſtreitende Zuſammenfügung ſtattfand, mit dem allmäh-
lichen Verwittern und Einfinken der Scheidewände und der in der na-
türlichen Tendenz jeder Centralgewalt liegenden möglichſten Verallge-
meinerung von Geſetz, Sitte und Gewohnheit. Wir ſehen daher auch
ſchon in früher Zeit Geſetze und Verordnungen in Oeſterreich ent-
ſtehen die nach Umſtänden in allen vereinigten Ländern, oder doch in
mehreren derſelben Geltung erhielten. Vor allem aber war es die
pragmatiſche Sanction durch welche das erſtemal ſämmtliche öſterrei-
chiſche Länder unter dem Geſichtspunkt eines untrennbaren Ganzen
freiwillig einem gleichen weſentlichen Grundgeſetz ſich unterwarfen,
und zwar durchaus ohne Rückſicht auf ihre darauf Bezug nehmenden
Particularrechte, die hier mit vollem Selbſtbewußtſeyn aufgegeben
wurden. Nicht lange nachher haben es auch zahlloſe Opfer bewieſen
die das geſammte Oeſterreich der hartbedrängten großen Kaiſerin
brachte, daß die pragmatiſche Sanction nicht nur die Erbfolge, ſon-
dern die künftige Geſtaltung eines Reichs geregelt hatte; denn Oeſter-
reichs Völkerſchaften befiegelten durch gleiche Hingebung, gleiche Treue
mit ihrem Blute ihren Willen die Jntegrität eines gemeinſamen Va-
terlands, die Herrſchaft ihrer gemeinſamen Regenton aufrechtzuer-
halten; oder mit andern Worten: „es conſtituirte ſich damals ſchon
factiſch aus Oeſterreichs Völkern ein Volk.“ Um wie vielmehr aber
kann das ferner in der denkwürdigen Periode nachgewieſen werden
welche ganz Europa bis in ſeine innerſten Grundfeſten erſchütterte,
die alle Bande lockerte welche Völker und Fürſten zuſammenhielten,
Reiche untergehen und wie Pilze aufſchießen ſah; wo hundert Lockungen
und hundert Entſchuldigungen zu finden waren den Herrn zu wech-
ſeln; oder gar als ſouveränes Volk ſelbſt zu herrſchen. Jn dieſem
weltgeſchichtlichen Zeitabſchnitte, in dieſer heißen Feuerprobe hat ſich
Oeſte rreich bewährt, gezeigt was nur Ein Volk kann durch Geſinnung
und That. Oder war vielleicht Tirols Erhebung, das Erſtehen ſo
vieler freiwilligen Bataillone in allen Theilen des Reichs, die Begei-
ſterung und Hingebung jedes Einzelnen, das Herbeiſtrömen von Silber
und Gold, von Kirchengefäßen und Pretioſen jeder Art die auf dem
Altar des Vaterlandes freudig niedergelegt wurden, war der brüder-
liche Geiſt einer Armee, die trotz der Stammverſchiedenheit ihrer Glie-
der nur Eine Fahne, Eine Ehre und Ein Oeſterreich kannte, war das
Vergeſſen aller Sonderintereſſen, das ſelbſt die ſonſt ſo hoch gehaltenen
Landesfreiheiten und Privilegien thatſächlich faſt ganz erlöſchen ließ
— waren dieſe einſtimmigen Manifeſtationen von 30 Millionen Men-
ſchen möglich und erklärlich wenn Oeſterreich noch in ein Duzend Va-
terländer ſich geſpalten hätte, und nicht jeder ſich durch und durch nur
als Oeſterreicher, nur als Angehöriger Eines großen untrennbaren
Reichs gefühlt und angeſehen haben würde? Es ergaben ſich gegen-
über ſolchen Ereigniſſen nur noch Provinzen, deren früheres Eigen-
leben, wenn auch erkennbar durch Particular-Jnſtitutionen, Sitten
und Gebräuche, zuſammengeſchmolzen war zur Seele eines großen mäch-
tiges Reiches.
Leider hat man es verabſäumt den herrlichen Juwel zu faſſen, wel-
cher aus den Gluthen die einen Welttheil in Flammen ſetzten, hervor-
gegangen war; niemand dachte daran den Staat zu eonſtituiren für
deſſen Vertheidigung Ströme von Blut gefloſſen waren. Ja nicht
einmal Anerkennung und Lohn fand die beiſpielloſe Treue und Hinge-
bung mit der Oeſterreich ausharrte und feſt zuſammenhielt in den Ta-
gen der höchſten Noth. Damals nach beendetem Kampfe hätte der
Kaiſer vollenden ſollen was er durch ſeine Verzichtleiſtung auf die rö-
miſche Krone, wenn auch unfreiwillig, begonnen hatte. Statt zu lieb-
äugeln mit einem verbleichten Purpur, ſtatt den Doppeladler in ſein
Wappen aufzunehmen, und mit Gelb und Schwarz zu prunken, hätte
er ein neues kaiſerliches Wappen, neue Farben für ſein neues Reich
beſtimmen ſollen, welches öſterreichiſche Völkerſchaften auf dem Felſen ihrer
Treue errichtet, und mit ihrem Herzblut, das im 25jährigen Kampfe
ſloß, feſtgekittet hatten. Nicht bloß ein neuer Titel, ſondern das
neue untrennbare Kaiſerthum mußte förmlich conſtituirt und
ausgerufen werden, damit die Krone einen Gegenſtand, der Thron ein
Fundament erhalte. Doch man wollte keine neue Krone, keine Krö-
nung in Wien, weil man noch immer den Blick nach Frankfurt ge-
richtet hielt, und noch weniger die Conſtituirung des neuen Reichs,
weil die Anerkennung hätte vorausgehen müſſen daß der Kaiſer ſeinen
Völkern die neue Krone und das neue Reich verdanke, wie denn nicht
minder weil weniger Freiheit als die Freieſten unter ihnen bereits
beſeſſen dem Geſammtreich nicht angeboten werden konnte, daher
denn mit der Conſtituirung eines Kaiſerreichs zugleich
eine Conſtitution hätte gegeben werden müſſen die, wenn auch nach
den Bedürfniſſen der Jetztzeit gemodelt, für Ungarn ein Fort-
ſchritt und kein Rückſchritt ſeyn durfte.
Es iſt nicht geſchehen! Man begnügte ſich mit dem Kaiſertitel
und den daran geknüpften Hoffnungen das Verlorene wieder zu gewin-
nen; man verſchloß die Augen vor den möglichen Jnconvenienzen, die
bei dem Wiederaufleben eines deutſchen Reichs unter welcher Geſtalt
immer aus deſſen durch einen formellen Act nicht völlig vernichteten
Oberherrlichkeitsanſprüchen über einen Theil der öfterreichiſchen Lande
— entſpringen konnten, und fand es endlich viel bequemer Dank und
Neuernng zu ſparen.
Vielleicht iſt es gut daß es ſo gekommen; denn damals waren Volk
und Regierung weniger reif ſich neu zu gebären als jetzt, und auch
viel zu ſehr beſchäftigt die Wunden des Krieges zu heilen um thatkräf-
tig an das Werk zu gehen. Jetzt aber, wenn nicht alles trügt, ſtehen
wir näher als wohl manche glauben an der Conſolidirung der Zu-
ſtände welche im Schooße von Jahrhunderten allmählich herange-
reift ſind.
Ein Ereigniß — und ſo kann man wohl die denkwürdige kaiſer-
liche Entſchließung welche das Syſtem der Staatseiſenbahnen auf groß-
artige Weiſe ins Leben rief nennen, gibt abermals Zeugniß von der
unwiderſtehlichen Gewalt der Dinge die den Staat zur Einigung treibt.
Die Folgen dieſes Ereigniſſes aber find nicht weniger Epoche machend
für des Geſammtſtaats Conſoldirung, als es die pragmatiſche Sanc-
tion und die letzten großen Kriege waren; denn durch die Bezeich-
nung der Hauptlinien des Eiſenbahnnetzes ſchuf der kaiſerliche Wille
aus dem feſteſten Stoffe — dem der Jntereſſen — neue Bänder, welche
von nun an kreuzweiſe die Geſammtmonarchie umgürten ſollen.
Unter der Leitung des Staatsmanns dem wir vorzugsweiſe dieſe
für die öſterreichiſche Regierung wahrhaft außerordentliche Maßregel
danken, hat auch bereits die Ausführung des großen Werkes Rieſen-
ſchritte gemacht, und wenige Jahre reichten hin von Kärnthen bis
Böhmen die eiſerne Bahn zu führen. Jn kurzem wird die Linie von
Trieſt bis an Sachſens Gränze vollendet ſeyn; die Monarchie iſt dann
in ihrem gewerbreichſten und bevölkertſten Theil mittelſt einer neuen
gewaltigen Verkehrslinie verbunden welche die Hauptſtadt und die Do-
nau durchſchneidend noch überdem vom adriatiſchen Meere bis an die
Nordſee ſich ununterbrochen fortſetzt. Und wenn das ganze Netz voll-
endet ſeyn wird, wenn die Locomotive täglich hundert Tauſende, die
ohne ſie ſich niemals nahe gekommen wären, zuſammenbringt, jene
zu Nachbarn macht die ſonſt in entfernten Ländern wohnten, ſo wer-
den die Jntereſſen nicht allein, ſondern auch geiſtige Agentien die Fu-
ſton der Völker vollenden helfen, die das wunderbare Netz umſpannt.
Hier hat alſo die Regierung, obſchon ſie ſich noch immer ſcheut das
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |