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Allgemeine Zeitung, Nr. 74, 14. März 1848.

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Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung
vom 14 März 1848.


[Spaltenumbruch]
Deutschland.

Was lange Jahre nicht vermochten,
haben wenige Stunden bewirkt. Die Reform unserer Verfas-
sungist durch eine ebenso friedliche als glückliche Revolution
bewerkstelligt.
In diesem Augenblick schwimmt die ganze Stadt in
dem Lichtmeer einer improvisirten Illumination. Eine fröhliche Menge
durchzieht in schönster Ordnung die Straßen. Bürger und Bürger-
soldaten mit Frauen und Kindern freuen sich des unblutigen Sieges,
der ihnen und ihren Nachkommen ein neues politisches Leben, eine neue
Aera ihres Freistaats verheißt. Doch ich will ordentlich erzählen wie
es bei uns hergegangen ist. Die Schnelligkeit der Bewegung und ihres
Resultats ist für viele Leute überraschend. Für uns ist sie es nicht.
Die Frucht war reif, es bedurfte nur eines Windstoßes hier wie überall
in Deutschland um sie fallen zu machen. Die französische Februarrevo-
lution hat diesen äußern Anstoß gegeben. Schon am Fastnachtabend
den 6 d. M. zeigte sich eine unruhige Bewegung in der Stadt. Und wie
bei dergleichen immer die trüben Elemente der Gesellschafteinen Augenblick
als Blasen obenauf kommen, so bildete auch bei uns ein ganz gewöhnlicher
Straßenkrawall, durch trunkene Arbeiter, fremde Handwerksbursche
und obligate Gassenbuben veranlaßt, seine ziel- und zwecklose Thätigkeit
im Zerstören einiger Thorsperrbuden, Verjagung der Sperrgeld-
einnehmer, Zerschlagen der Laternen, Fenstereinwerfen in öffentlichen
Gebäuden und Privathäusern. Das Linienmilitär, hier als fremde ge-
worbene Truppe ohne Ansehen, mußte bald zurückgezogen und die Bür-
gerwehr aufgeboten werden, welche vereint mit der Cavallerie dem
nächtlichen Spektakel bald ein Ende machte. Am folgenden Tag (den
7 März) war die Empörung aller Bürger über diese Auftritte allge-
mein. Ider fühlte dieselben bei dem Ernste der Zeit als eine Schande
für die Stadt, und mit und ohne Verabredung verband sich alles der
Wiederholung solchen Unfugs energisch entgegenzutreten. Bürgerwehr,
Schützengesellschaften und andere Vereine, namentlich der von Dr. Karl
Andree gestiftete Arbeiterverein "Vorwärts" der Cigarrenmacher, übernah-
men es die Ordnung aufrecht zu erhalten. Die "Stumme von Portici"
war für den Abend des 7 angekündigt, und der Umstand daß der Senat
einige Tage zuvor die Aufführung dieser revolutionären Oper aus
Furcht vor Unruhen verboten hatte, veranlaßte eine Art Auflauf vor
dem Schauspielhause. Der Pöbel drang in das Haus und nahm ohne
Zahlung die ersten Logen ein. Allein alsbald erscheint eine Abtheilung
Bürgerwehr und mehrere hundert unbewaffnete Arbeiter, Mitglieder
des Vereins "Vorwärts" mit weißen Armbinden, welche sofort Ordnung
herstellten, die Eindringlinge ohne Mühe verjagten und die Ordnung
ohne Militär und Polizei, die sich nirgends zeigten, so vollkommen auf-
recht erhielten daß das Stück vollkommen ungestört bei vollem Hause
zu Ende gespielt werden konnte. Auch vor dem Hause verlief sich die
Masse bald. Ein gleicher Geist der Ordnung zeigte sich überall. Als
die Bewohner eines vor der Neustadt gelegenen Stadttheils in die Stadt
eindrangen, wurden sie von Arbeitern und Bürgern handgreiflich zu-
rückgewiesen, und wo Gassenjungen Geschrei erhoben, ward dasselbe
bald durch herbeieilende Bürger in Wehgeschrei verwandelt. Eben
weil die Bürgerschaft ernste Schritte beabsichtigte, ward es Ehren-
sache
aller Verständigen und Wohldenkenden die Bewegung würdig
und von jedem Excesse rein zu erhalten. Auch die Presse sprach
sich in der Bremer Zeitung mit aller Entschiedenheit in diesem Sinne
aus. Ein Artikel der letztern, "Volk und Pöbel," welcher alle Verstän-
digen zur Aufrechthaltung der Ordnung ermahnte, und jeden der in so
ernster Zeit die große deutsche Bewegung auch nur durch müssige Theil-
nahme gedankenloser Neugier an Excessen des Muthwillens trübe, zum
Pöbel rechnete, ward an die Mitglieder des Arbeitervereins vertheilt und
machte den besten Eindruck. Indessen waren bereits von der Bürgerschaft
Schritte geschehen um eine nachhaltige Verfassungsreform zu erwirken.
Ein im Januar gestifteter "Bürgerverein" zur Förderung ächten Bürger-
thums diente als Mittelpunkt. Eine Adresse an den Senat ward am
7 berathen und beschlossen. Man erinnerte in derselben daß seit 32 Jahren
vergeblich auf Erfüllung der Zusage einer Verfassungsreform geharrt wor-
den sey, welche den Freistaat zu einer Wahrheit mache. Man sprach es
aus daß der Zustand des hiesigen Gemeinwesens an politischen Rechten sei-
ner Mitglieder selbst hinter absoluten Staaten zurückgeblieben sey. Eine
[Spaltenumbruch] kleine Anzahl von Bürgern, vom Senate nach Gutdünken geladen, ver-
füge in Gemeinschaft mit dem nur aus ihr und durch sie gewählten Se-
nat in Gesetzgebung und Besteurung über Personen und Eigen-
thum der Mitbürger, und das nicht öffentlich, sondern geheim,
hinter verschlossenen Thüren. Nicht die Verhandlungen und Protokolle,
sondern nur die Resultate würden veröffentlicht. Man stellte dem-
gemäß drei Forderungen: 1) Vertretung aller Staatsbürger
mit gleicher Wahlfähigkeit und Wahlberechtigung aller
Bürger.
2) Oeffentlichkeit der Conventssitzungen und
vollständigen Druck der Verhandlungen mit Namens-
nennung der Redner.
3) Freiheit der Presse. Am Mor-
gen des 8 ward diese Adresse von einer Deputation aus zehn Männern
bestehend, dem Senate überbracht, der sich im alten Rathhause versam-
melt hatte. Auf den Rath eines alten Bürgers, des Tischlermeisters Wisch-
mann, schloß sich fast die ganze Bürgerschaft dem Zuge an, und harrte auf
dem Marktplatze vor dem Rathhause des Ausgangs. Ueber vier Stun-
den, von halb 12 bis 4 Uhr, dauerten die Verhandlungen, und wäh-
rend dieser ganzen Zeit bewährte die aus vielen Tausenden bestehende
Bürgerversammlung die ruhigste und ernsteste Haltung. Kein einziges
Geschrei, kein Lärm, nicht einmal überlautes Gespräch war während
des stundenlangen Harrens auf dem Platze zu vernehmen. Man sah,
hier waren Männer versammelt, welche wußten was sie woll-
ten,
Männer welche den Ernst des Augenblicks empfanden und be-
griffen. Alle ungenügenden und halben Concessionen welche der Senat
anbot wurden sofort von der Versammlung der Bürger, denen die
Abgeordneten dieselben mittheilten, verworfen. Im Gegentheil, es
wurden den drei Forderungen der Adresse Nachmittags um 2 Uhr
noch andere vier hinzugefügt, nämlich: 1) Oeffentlichkeit und
Mündlichkeit aller Gerichtsverhandlungen, namentlich
auch des Criminalgerichts.
2) Vollständige Trennung der
Justiz von der Verwaltung.
3) Geschwornengerichte bei
politischen, criminellen und Preßvergehen
(letzteres als
Ergänzung der vom Senat am Morgen desselben Tages freiwillig
gewährten Preßfreiheit). 4) Hinwirkung des Senats mit allen
Kräften auf Herstellung eines deutschen Parlaments. Durch
die letztere Forderung wurde die bisher mehr locale Reformbewegung
zu einer nationalen erhoben. Als nach Ablauf von vier Stunden
noch immer keine befriedigende Antwort an die versammelten Bürger
gelangte, ward es unter denselben unruhig, und die Stimmung so be-
denklich daß ein Mitglied der Deputation, der Lehrer Feldmann, dem
Senat vorzustellen sich erlaubte daß es Zeit sey endlich eine runde
Antwort zu geben, und entweder alles oder nichts zu bewilligen.
Auf die Bemerkung daß der Senat ohne den sogenannten Convent
nichts derartiges entscheiden könne, erfolgte die Erwiederung: der
Convent sey nur der bisherige ungenügende Vertreter der Bürgerschaft,
und seine Zustimmung sey überflüssig in einem Augenblicke wo fast
die gesammte Bürgerschaft in corpore versammelt sey. Da endlich
erfolgte Nachmittags um 4 Uhr die entscheidende Antwort: "der Senat
genehmigt seinerseits die ihm heute vorgetragenen Wün-
sche der Bürgerschaft alle, und wird zu ihrer sofortigen
Ausführung die nöthigen Einleitungen treffen.
"
Diese
Entscheidung, in demselben Augenblick durch die Presse veröffentlicht,
erregte allgemeine Freude. Aber auch diese Freude war würdig und
ohne alles Uebermaß des Jubels. Man sah daß nur Erwartetes geschehen,
daß nur Gerechtes erlangt war. Eine würdigere Haltung, eine männ-
lichere Durchführung der großen allgemeinen deutschen Reformbewegung
hat bis jetzt kein Staat in Deutschland aufzuweisen. Die Bremer
Bürger verdienen freie Männer zu seyn, weil sie sich als solche, als
Männer gezeigt haben. Die Kaufmannschaft und die höhern Stände
hatten sich in unbegreiflicher Indifferenz von dieser Bewegung zurück-
gehalten. Zu spät erkannten sie ihren Irrthum, und suchten den
Fehler wieder gut zu machen. Eine Adresse an den Senat ward ent-
worfen und auf dem Museum unterzeichnet, in welcher man aussprach:
man theile die Wünsche der Bürgerschaft, aber man fordere
den Senat auf nur in gesetzlichem Wege, d. h. mit Zuziehung des
Convents, vorzugehen. Es war zu spät, noch ehe die Adresse abge-
sendet werden konnte, war die Entscheidung bereits erfolgt, und die

Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung
vom 14 März 1848.


[Spaltenumbruch]
Deutſchland.

Was lange Jahre nicht vermochten,
haben wenige Stunden bewirkt. Die Reform unſerer Verfaſ-
ſungiſt durch eine ebenſo friedliche als glückliche Revolution
bewerkſtelligt.
In dieſem Augenblick ſchwimmt die ganze Stadt in
dem Lichtmeer einer improviſirten Illumination. Eine fröhliche Menge
durchzieht in ſchönſter Ordnung die Straßen. Bürger und Bürger-
ſoldaten mit Frauen und Kindern freuen ſich des unblutigen Sieges,
der ihnen und ihren Nachkommen ein neues politiſches Leben, eine neue
Aera ihres Freiſtaats verheißt. Doch ich will ordentlich erzählen wie
es bei uns hergegangen iſt. Die Schnelligkeit der Bewegung und ihres
Reſultats iſt für viele Leute überraſchend. Für uns iſt ſie es nicht.
Die Frucht war reif, es bedurfte nur eines Windſtoßes hier wie überall
in Deutſchland um ſie fallen zu machen. Die franzöſiſche Februarrevo-
lution hat dieſen äußern Anſtoß gegeben. Schon am Faſtnachtabend
den 6 d. M. zeigte ſich eine unruhige Bewegung in der Stadt. Und wie
bei dergleichen immer die trüben Elemente der Geſellſchafteinen Augenblick
als Blaſen obenauf kommen, ſo bildete auch bei uns ein ganz gewöhnlicher
Straßenkrawall, durch trunkene Arbeiter, fremde Handwerksburſche
und obligate Gaſſenbuben veranlaßt, ſeine ziel- und zweckloſe Thätigkeit
im Zerſtören einiger Thorſperrbuden, Verjagung der Sperrgeld-
einnehmer, Zerſchlagen der Laternen, Fenſtereinwerfen in öffentlichen
Gebäuden und Privathäuſern. Das Linienmilitär, hier als fremde ge-
worbene Truppe ohne Anſehen, mußte bald zurückgezogen und die Bür-
gerwehr aufgeboten werden, welche vereint mit der Cavallerie dem
nächtlichen Spektakel bald ein Ende machte. Am folgenden Tag (den
7 März) war die Empörung aller Bürger über dieſe Auftritte allge-
mein. Ider fühlte dieſelben bei dem Ernſte der Zeit als eine Schande
für die Stadt, und mit und ohne Verabredung verband ſich alles der
Wiederholung ſolchen Unfugs energiſch entgegenzutreten. Bürgerwehr,
Schützengeſellſchaften und andere Vereine, namentlich der von Dr. Karl
Andrée geſtiftete Arbeiterverein „Vorwärts“ der Cigarrenmacher, übernah-
men es die Ordnung aufrecht zu erhalten. Die „Stumme von Portici“
war für den Abend des 7 angekündigt, und der Umſtand daß der Senat
einige Tage zuvor die Aufführung dieſer revolutionären Oper aus
Furcht vor Unruhen verboten hatte, veranlaßte eine Art Auflauf vor
dem Schauſpielhauſe. Der Pöbel drang in das Haus und nahm ohne
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Bürgerwehr und mehrere hundert unbewaffnete Arbeiter, Mitglieder
des Vereins „Vorwärts“ mit weißen Armbinden, welche ſofort Ordnung
herſtellten, die Eindringlinge ohne Mühe verjagten und die Ordnung
ohne Militär und Polizei, die ſich nirgends zeigten, ſo vollkommen auf-
recht erhielten daß das Stück vollkommen ungeſtört bei vollem Hauſe
zu Ende geſpielt werden konnte. Auch vor dem Hauſe verlief ſich die
Maſſe bald. Ein gleicher Geiſt der Ordnung zeigte ſich überall. Als
die Bewohner eines vor der Neuſtadt gelegenen Stadttheils in die Stadt
eindrangen, wurden ſie von Arbeitern und Bürgern handgreiflich zu-
rückgewieſen, und wo Gaſſenjungen Geſchrei erhoben, ward dasſelbe
bald durch herbeieilende Bürger in Wehgeſchrei verwandelt. Eben
weil die Bürgerſchaft ernſte Schritte beabſichtigte, ward es Ehren-
ſache
aller Verſtändigen und Wohldenkenden die Bewegung würdig
und von jedem Exceſſe rein zu erhalten. Auch die Preſſe ſprach
ſich in der Bremer Zeitung mit aller Entſchiedenheit in dieſem Sinne
aus. Ein Artikel der letztern, „Volk und Pöbel,“ welcher alle Verſtän-
digen zur Aufrechthaltung der Ordnung ermahnte, und jeden der in ſo
ernſter Zeit die große deutſche Bewegung auch nur durch müſſige Theil-
nahme gedankenloſer Neugier an Exceſſen des Muthwillens trübe, zum
Pöbel rechnete, ward an die Mitglieder des Arbeitervereins vertheilt und
machte den beſten Eindruck. Indeſſen waren bereits von der Bürgerſchaft
Schritte geſchehen um eine nachhaltige Verfaſſungsreform zu erwirken.
Ein im Januar geſtifteter „Bürgerverein“ zur Förderung ächten Bürger-
thums diente als Mittelpunkt. Eine Adreſſe an den Senat ward am
7 berathen und beſchloſſen. Man erinnerte in derſelben daß ſeit 32 Jahren
vergeblich auf Erfüllung der Zuſage einer Verfaſſungsreform geharrt wor-
den ſey, welche den Freiſtaat zu einer Wahrheit mache. Man ſprach es
aus daß der Zuſtand des hieſigen Gemeinweſens an politiſchen Rechten ſei-
ner Mitglieder ſelbſt hinter abſoluten Staaten zurückgeblieben ſey. Eine
[Spaltenumbruch] kleine Anzahl von Bürgern, vom Senate nach Gutdünken geladen, ver-
füge in Gemeinſchaft mit dem nur aus ihr und durch ſie gewählten Se-
nat in Geſetzgebung und Beſteurung über Perſonen und Eigen-
thum der Mitbürger, und das nicht öffentlich, ſondern geheim,
hinter verſchloſſenen Thüren. Nicht die Verhandlungen und Protokolle,
ſondern nur die Reſultate würden veröffentlicht. Man ſtellte dem-
gemäß drei Forderungen: 1) Vertretung aller Staatsbürger
mit gleicher Wahlfähigkeit und Wahlberechtigung aller
Bürger.
2) Oeffentlichkeit der Conventsſitzungen und
vollſtändigen Druck der Verhandlungen mit Namens-
nennung der Redner.
3) Freiheit der Preſſe. Am Mor-
gen des 8 ward dieſe Adreſſe von einer Deputation aus zehn Männern
beſtehend, dem Senate überbracht, der ſich im alten Rathhauſe verſam-
melt hatte. Auf den Rath eines alten Bürgers, des Tiſchlermeiſters Wiſch-
mann, ſchloß ſich faſt die ganze Bürgerſchaft dem Zuge an, und harrte auf
dem Marktplatze vor dem Rathhauſe des Ausgangs. Ueber vier Stun-
den, von halb 12 bis 4 Uhr, dauerten die Verhandlungen, und wäh-
rend dieſer ganzen Zeit bewährte die aus vielen Tauſenden beſtehende
Bürgerverſammlung die ruhigſte und ernſteſte Haltung. Kein einziges
Geſchrei, kein Lärm, nicht einmal überlautes Geſpräch war während
des ſtundenlangen Harrens auf dem Platze zu vernehmen. Man ſah,
hier waren Männer verſammelt, welche wußten was ſie woll-
ten,
Männer welche den Ernſt des Augenblicks empfanden und be-
griffen. Alle ungenügenden und halben Conceſſionen welche der Senat
anbot wurden ſofort von der Verſammlung der Bürger, denen die
Abgeordneten dieſelben mittheilten, verworfen. Im Gegentheil, es
wurden den drei Forderungen der Adreſſe Nachmittags um 2 Uhr
noch andere vier hinzugefügt, nämlich: 1) Oeffentlichkeit und
Mündlichkeit aller Gerichtsverhandlungen, namentlich
auch des Criminalgerichts.
2) Vollſtändige Trennung der
Juſtiz von der Verwaltung.
3) Geſchwornengerichte bei
politiſchen, criminellen und Preßvergehen
(letzteres als
Ergänzung der vom Senat am Morgen desſelben Tages freiwillig
gewährten Preßfreiheit). 4) Hinwirkung des Senats mit allen
Kräften auf Herſtellung eines deutſchen Parlaments. Durch
die letztere Forderung wurde die bisher mehr locale Reformbewegung
zu einer nationalen erhoben. Als nach Ablauf von vier Stunden
noch immer keine befriedigende Antwort an die verſammelten Bürger
gelangte, ward es unter denſelben unruhig, und die Stimmung ſo be-
denklich daß ein Mitglied der Deputation, der Lehrer Feldmann, dem
Senat vorzuſtellen ſich erlaubte daß es Zeit ſey endlich eine runde
Antwort zu geben, und entweder alles oder nichts zu bewilligen.
Auf die Bemerkung daß der Senat ohne den ſogenannten Convent
nichts derartiges entſcheiden könne, erfolgte die Erwiederung: der
Convent ſey nur der bisherige ungenügende Vertreter der Bürgerſchaft,
und ſeine Zuſtimmung ſey überflüſſig in einem Augenblicke wo faſt
die geſammte Bürgerſchaft in corpore verſammelt ſey. Da endlich
erfolgte Nachmittags um 4 Uhr die entſcheidende Antwort: der Senat
genehmigt ſeinerſeits die ihm heute vorgetragenen Wün-
ſche der Bürgerſchaft alle, und wird zu ihrer ſofortigen
Ausführung die nöthigen Einleitungen treffen.
Dieſe
Entſcheidung, in demſelben Augenblick durch die Preſſe veröffentlicht,
erregte allgemeine Freude. Aber auch dieſe Freude war würdig und
ohne alles Uebermaß des Jubels. Man ſah daß nur Erwartetes geſchehen,
daß nur Gerechtes erlangt war. Eine würdigere Haltung, eine männ-
lichere Durchführung der großen allgemeinen deutſchen Reformbewegung
hat bis jetzt kein Staat in Deutſchland aufzuweiſen. Die Bremer
Bürger verdienen freie Männer zu ſeyn, weil ſie ſich als ſolche, als
Männer gezeigt haben. Die Kaufmannſchaft und die höhern Stände
hatten ſich in unbegreiflicher Indifferenz von dieſer Bewegung zurück-
gehalten. Zu ſpät erkannten ſie ihren Irrthum, und ſuchten den
Fehler wieder gut zu machen. Eine Adreſſe an den Senat ward ent-
worfen und auf dem Muſeum unterzeichnet, in welcher man ausſprach:
man theile die Wünſche der Bürgerſchaft, aber man fordere
den Senat auf nur in geſetzlichem Wege, d. h. mit Zuziehung des
Convents, vorzugehen. Es war zu ſpät, noch ehe die Adreſſe abge-
ſendet werden konnte, war die Entſcheidung bereits erfolgt, und die

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[0017] Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitungvom 14 März 1848. Deutſchland. * Bremen, 8 März.Was lange Jahre nicht vermochten, haben wenige Stunden bewirkt. Die Reform unſerer Verfaſ- ſungiſt durch eine ebenſo friedliche als glückliche Revolution bewerkſtelligt. In dieſem Augenblick ſchwimmt die ganze Stadt in dem Lichtmeer einer improviſirten Illumination. Eine fröhliche Menge durchzieht in ſchönſter Ordnung die Straßen. Bürger und Bürger- ſoldaten mit Frauen und Kindern freuen ſich des unblutigen Sieges, der ihnen und ihren Nachkommen ein neues politiſches Leben, eine neue Aera ihres Freiſtaats verheißt. Doch ich will ordentlich erzählen wie es bei uns hergegangen iſt. Die Schnelligkeit der Bewegung und ihres Reſultats iſt für viele Leute überraſchend. Für uns iſt ſie es nicht. Die Frucht war reif, es bedurfte nur eines Windſtoßes hier wie überall in Deutſchland um ſie fallen zu machen. Die franzöſiſche Februarrevo- lution hat dieſen äußern Anſtoß gegeben. Schon am Faſtnachtabend den 6 d. M. zeigte ſich eine unruhige Bewegung in der Stadt. Und wie bei dergleichen immer die trüben Elemente der Geſellſchafteinen Augenblick als Blaſen obenauf kommen, ſo bildete auch bei uns ein ganz gewöhnlicher Straßenkrawall, durch trunkene Arbeiter, fremde Handwerksburſche und obligate Gaſſenbuben veranlaßt, ſeine ziel- und zweckloſe Thätigkeit im Zerſtören einiger Thorſperrbuden, Verjagung der Sperrgeld- einnehmer, Zerſchlagen der Laternen, Fenſtereinwerfen in öffentlichen Gebäuden und Privathäuſern. Das Linienmilitär, hier als fremde ge- worbene Truppe ohne Anſehen, mußte bald zurückgezogen und die Bür- gerwehr aufgeboten werden, welche vereint mit der Cavallerie dem nächtlichen Spektakel bald ein Ende machte. Am folgenden Tag (den 7 März) war die Empörung aller Bürger über dieſe Auftritte allge- mein. Ider fühlte dieſelben bei dem Ernſte der Zeit als eine Schande für die Stadt, und mit und ohne Verabredung verband ſich alles der Wiederholung ſolchen Unfugs energiſch entgegenzutreten. Bürgerwehr, Schützengeſellſchaften und andere Vereine, namentlich der von Dr. Karl Andrée geſtiftete Arbeiterverein „Vorwärts“ der Cigarrenmacher, übernah- men es die Ordnung aufrecht zu erhalten. Die „Stumme von Portici“ war für den Abend des 7 angekündigt, und der Umſtand daß der Senat einige Tage zuvor die Aufführung dieſer revolutionären Oper aus Furcht vor Unruhen verboten hatte, veranlaßte eine Art Auflauf vor dem Schauſpielhauſe. Der Pöbel drang in das Haus und nahm ohne Zahlung die erſten Logen ein. Allein alsbald erſcheint eine Abtheilung Bürgerwehr und mehrere hundert unbewaffnete Arbeiter, Mitglieder des Vereins „Vorwärts“ mit weißen Armbinden, welche ſofort Ordnung herſtellten, die Eindringlinge ohne Mühe verjagten und die Ordnung ohne Militär und Polizei, die ſich nirgends zeigten, ſo vollkommen auf- recht erhielten daß das Stück vollkommen ungeſtört bei vollem Hauſe zu Ende geſpielt werden konnte. Auch vor dem Hauſe verlief ſich die Maſſe bald. Ein gleicher Geiſt der Ordnung zeigte ſich überall. Als die Bewohner eines vor der Neuſtadt gelegenen Stadttheils in die Stadt eindrangen, wurden ſie von Arbeitern und Bürgern handgreiflich zu- rückgewieſen, und wo Gaſſenjungen Geſchrei erhoben, ward dasſelbe bald durch herbeieilende Bürger in Wehgeſchrei verwandelt. Eben weil die Bürgerſchaft ernſte Schritte beabſichtigte, ward es Ehren- ſache aller Verſtändigen und Wohldenkenden die Bewegung würdig und von jedem Exceſſe rein zu erhalten. Auch die Preſſe ſprach ſich in der Bremer Zeitung mit aller Entſchiedenheit in dieſem Sinne aus. Ein Artikel der letztern, „Volk und Pöbel,“ welcher alle Verſtän- digen zur Aufrechthaltung der Ordnung ermahnte, und jeden der in ſo ernſter Zeit die große deutſche Bewegung auch nur durch müſſige Theil- nahme gedankenloſer Neugier an Exceſſen des Muthwillens trübe, zum Pöbel rechnete, ward an die Mitglieder des Arbeitervereins vertheilt und machte den beſten Eindruck. Indeſſen waren bereits von der Bürgerſchaft Schritte geſchehen um eine nachhaltige Verfaſſungsreform zu erwirken. Ein im Januar geſtifteter „Bürgerverein“ zur Förderung ächten Bürger- thums diente als Mittelpunkt. Eine Adreſſe an den Senat ward am 7 berathen und beſchloſſen. Man erinnerte in derſelben daß ſeit 32 Jahren vergeblich auf Erfüllung der Zuſage einer Verfaſſungsreform geharrt wor- den ſey, welche den Freiſtaat zu einer Wahrheit mache. Man ſprach es aus daß der Zuſtand des hieſigen Gemeinweſens an politiſchen Rechten ſei- ner Mitglieder ſelbſt hinter abſoluten Staaten zurückgeblieben ſey. Eine kleine Anzahl von Bürgern, vom Senate nach Gutdünken geladen, ver- füge in Gemeinſchaft mit dem nur aus ihr und durch ſie gewählten Se- nat in Geſetzgebung und Beſteurung über Perſonen und Eigen- thum der Mitbürger, und das nicht öffentlich, ſondern geheim, hinter verſchloſſenen Thüren. Nicht die Verhandlungen und Protokolle, ſondern nur die Reſultate würden veröffentlicht. Man ſtellte dem- gemäß drei Forderungen: 1) Vertretung aller Staatsbürger mit gleicher Wahlfähigkeit und Wahlberechtigung aller Bürger. 2) Oeffentlichkeit der Conventsſitzungen und vollſtändigen Druck der Verhandlungen mit Namens- nennung der Redner. 3) Freiheit der Preſſe. Am Mor- gen des 8 ward dieſe Adreſſe von einer Deputation aus zehn Männern beſtehend, dem Senate überbracht, der ſich im alten Rathhauſe verſam- melt hatte. Auf den Rath eines alten Bürgers, des Tiſchlermeiſters Wiſch- mann, ſchloß ſich faſt die ganze Bürgerſchaft dem Zuge an, und harrte auf dem Marktplatze vor dem Rathhauſe des Ausgangs. Ueber vier Stun- den, von halb 12 bis 4 Uhr, dauerten die Verhandlungen, und wäh- rend dieſer ganzen Zeit bewährte die aus vielen Tauſenden beſtehende Bürgerverſammlung die ruhigſte und ernſteſte Haltung. Kein einziges Geſchrei, kein Lärm, nicht einmal überlautes Geſpräch war während des ſtundenlangen Harrens auf dem Platze zu vernehmen. Man ſah, hier waren Männer verſammelt, welche wußten was ſie woll- ten, Männer welche den Ernſt des Augenblicks empfanden und be- griffen. Alle ungenügenden und halben Conceſſionen welche der Senat anbot wurden ſofort von der Verſammlung der Bürger, denen die Abgeordneten dieſelben mittheilten, verworfen. Im Gegentheil, es wurden den drei Forderungen der Adreſſe Nachmittags um 2 Uhr noch andere vier hinzugefügt, nämlich: 1) Oeffentlichkeit und Mündlichkeit aller Gerichtsverhandlungen, namentlich auch des Criminalgerichts. 2) Vollſtändige Trennung der Juſtiz von der Verwaltung. 3) Geſchwornengerichte bei politiſchen, criminellen und Preßvergehen (letzteres als Ergänzung der vom Senat am Morgen desſelben Tages freiwillig gewährten Preßfreiheit). 4) Hinwirkung des Senats mit allen Kräften auf Herſtellung eines deutſchen Parlaments. Durch die letztere Forderung wurde die bisher mehr locale Reformbewegung zu einer nationalen erhoben. Als nach Ablauf von vier Stunden noch immer keine befriedigende Antwort an die verſammelten Bürger gelangte, ward es unter denſelben unruhig, und die Stimmung ſo be- denklich daß ein Mitglied der Deputation, der Lehrer Feldmann, dem Senat vorzuſtellen ſich erlaubte daß es Zeit ſey endlich eine runde Antwort zu geben, und entweder alles oder nichts zu bewilligen. Auf die Bemerkung daß der Senat ohne den ſogenannten Convent nichts derartiges entſcheiden könne, erfolgte die Erwiederung: der Convent ſey nur der bisherige ungenügende Vertreter der Bürgerſchaft, und ſeine Zuſtimmung ſey überflüſſig in einem Augenblicke wo faſt die geſammte Bürgerſchaft in corpore verſammelt ſey. Da endlich erfolgte Nachmittags um 4 Uhr die entſcheidende Antwort: „der Senat genehmigt ſeinerſeits die ihm heute vorgetragenen Wün- ſche der Bürgerſchaft alle, und wird zu ihrer ſofortigen Ausführung die nöthigen Einleitungen treffen.“ Dieſe Entſcheidung, in demſelben Augenblick durch die Preſſe veröffentlicht, erregte allgemeine Freude. Aber auch dieſe Freude war würdig und ohne alles Uebermaß des Jubels. Man ſah daß nur Erwartetes geſchehen, daß nur Gerechtes erlangt war. Eine würdigere Haltung, eine männ- lichere Durchführung der großen allgemeinen deutſchen Reformbewegung hat bis jetzt kein Staat in Deutſchland aufzuweiſen. Die Bremer Bürger verdienen freie Männer zu ſeyn, weil ſie ſich als ſolche, als Männer gezeigt haben. Die Kaufmannſchaft und die höhern Stände hatten ſich in unbegreiflicher Indifferenz von dieſer Bewegung zurück- gehalten. Zu ſpät erkannten ſie ihren Irrthum, und ſuchten den Fehler wieder gut zu machen. Eine Adreſſe an den Senat ward ent- worfen und auf dem Muſeum unterzeichnet, in welcher man ausſprach: man theile die Wünſche der Bürgerſchaft, aber man fordere den Senat auf nur in geſetzlichem Wege, d. h. mit Zuziehung des Convents, vorzugehen. Es war zu ſpät, noch ehe die Adreſſe abge- ſendet werden konnte, war die Entſcheidung bereits erfolgt, und die

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 74, 14. März 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine74_1848/17>, abgerufen am 23.11.2024.