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Allgemeine Zeitung, Nr. 73, 13. März 1848.

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[Spaltenumbruch] Gründen das Ministerium ab; er hätte seinen Tod gestegelt. Thiers
und Odilon-Barrot wurden berufen und nahmen die Portefeuilles an.
Immer schwankender aber wurde die Majestät, die ganze Haltung des
Königs war vollkommen niedergeschlagen, fast erdrückt dankte er ab.
Alles was ihn umgab war entsetzt bei diesen plötzlichen Offenbarun-
gen so vollkommener Schwäche. Mehr als einmal schrieb er oder setzte
sich um zu schreiben, mehr als einmal sank er in sich selber zurück. Man
sah in den Augen und der Haltung der Königin die von ihr empfundene
tiefe Schmach über diese Herabstimmung ihres so oft um seiner
Festigkeit willen gerühmten Gemahls. Es war wie eine doppelte
Offenbarung der Autorität welche seine Schwester Adelheid zuerst und
später die Königin über ihn ausgeübt hatten, woran in früheren Zei-
ten immer viele nicht hatten glauben wollen. Thiers und Odilon-
Barrot gingen flink aus Werk; aber Thiers war kurz zuvor schon ge-
witzigt worden, denn als er sich mit einem seiner Collegen, einer
Barricade genährt hatte und erkannt worden war, rief das Volk:
vive Thiers!" und wollte ihn schon jauchzend umhertragen, als einige
Stimmen sich erhoben, schreiend er sey der Mann der detaschirten
Forts, worauf dieselben Arme, die schon bereit waren ihn in Triumph
zn erheben, alsbald sich bereit zeigten ihn mit einem: mort a Thiers
in die Seine zu werfen, wenn die Raschheit seines Collegen ihn nicht
aus dieser übeln Lage herausgerissen. Trotz dessen waren Thiers und
seine Freunde frei und froh; aber wie bald stürzten ihre sanguinischen
Hoffnungen wie Kartenhäuser über den Haufen! Indeß muß man es
Hrn. Odilon-Barrot zur Ehre nachsagen, er hat seinen Charakter nicht
herabgewürdigt. Die neue Lage der Dinge anerkennend und sich ihr
unterwerfend hat er keine Demonstrationen a la Dupin gemacht, wel-
cher fast über lauter "Vive la Republique!" in Gichter gefallen ist;
er der Freund und geheimste Berather des Hauses Orleans! Odilon-
Barrot im Gegentheil hat erklärt seine Ehre erlaube ihm keinen
Antheil an den jetzigen Vorgängen, er werde sich als Candidat in
den Wahlcollegien melden, und da erst werde man seine eigenste Ge-
sinnung erfahren. Thiers, obwohl in schwächer gehaltenen Ausdrücken,
hat ein ähnliches Bekenntniß abgelegt. Wie erbärmlich aber die per-
sönliche Haltung so mancher der vertrautesten Diener des gestürzten
Hauses war, läßt sich ganz besonders an dem Betragen des Hrn.
v. Liadieres, Tragödienschreibers, Deputirten und Adjutanten Ludwig
Philipps abnehmen. Schlechter Poet, mittelmäßiger Redner, war
ihm eine Gunst widerfahren die gar nichts rechtfertigt, es wäre denn
daß zur Zeit der alten Dynastie der entthronte König der heutigen in
seine Gunst alle Mißmuthigen aufnahm, unter andern auch die mit
Karl X oder der Theatercensur unzufriedenen Poeten. Derselbe Hr.
v. Liadieres also hat an die provisorische Regierung ein Schreiben
erlassen voll der groteskesten Aeußerungen seines Enthusiasmus über
die Republik; seit Jahren schon sey er ein glühender Republikaner.
Solcher Art Männer gibt es mehrere, und das muß ein nicht gerin-
ger Wurm seyn an dem Herzen der entthronten Dynaflie.

*

Wir erfahren jeden Tag neue Einzelheiten
über die Umwälzung der Februartage; alles an derselben trägt das
Gepräge des Plötzlichen, Unerwarteten, Bestürzenden. Während das
Volk bereits Meister des Palais-Royal, der Tuilerien und der Kam-
mer war, saßen Guizot, Hebert und Duch[a]tel ruhig in dem Cabinet
des Ministers des Innern beisammen; da kommt der Abgeordnete
Leon de Maleville, auch ein Verirrter, der den Führer seiner verirrten
Heerde aufsuchte: "Hr. Odilon-Barrot!" -- Hr. Odilon-Barrot ist
nicht hier. -- "Wie, Hr. Odilon-Barrot ist nicht hier? Er muß in
dem Cabinet des Ministers seyn, denn hier hat er ja sein Ministerium
(sein Ministerium einer Stunde) gebildet."
Mit diesen Worten öffnet
Maleville rasch die Thüre des Cabinets, und bleibt erstarrt vor der ge-
nannten Dreieinigkeit, die da Befehle erwartete ... von wem?! --
"So schnell Ihr könnt, macht euch aus dem Staube, auf meiner
Ferse folgt das Volk, und wahrlich ich stehe euch nicht für sein Er-
barmen."
Jetzt erst verschwanden die drei gefallenen Größen durch
den Garten nach den hintern Straßen, und suchten ihr Heil in der
Flucht. Gestört wurden sie darin von dem Volke auf keine Weise. --
Nach der Vorschrift des Ministers des öffentlichen Unterrichts soll ein
Handbuch, eine Art leicht faßlicher Katechismus der Rechte und Pflich-
ten des Bürgers gefertigt, und in den Primärschulen den Kindern ein-
geprägt werden, um diese zu verständigen Bürgern der Republik zu bil-
den. -- Um Paris herum ist alles ruhig, die Eisenbahnen zu ihrer ge-
[Spaltenumbruch] wöhnlichen Thätigkeit zurückgekehrt, und die Landgemeinden von allen
Ruhestörern gesäubert. Auch von Anzin sind heute befriedigende Nach-
richten eingelaufen.



Italien.

P. Ventura ist auf Einreden gestoßen
mit seinem Vorschlag das Cardinalcollegium in eine Pairskammer zu
verwandeln. Am kräftigsten macht dieselben ein Aufsatz der Speranza
geltend, welcher aus einer Feder geflossen ist die sich dem scharfsinnigen
Kanzelredner gewachsen zeigt. Der Verfasser dieses Aufsatzes, welcher
in zahlreichen Separatabzügen verbreitet worden ist, beginnt damit zu
erklären daß die durch den P. Ventura gestellte Frage keineswegs die
Lebensfrage der wahren Freiheit sey. In Frankreich und in England
sey man einer Pairskammer benöthigt gewesen um sich mit dem alten
Adel des Staats zu verständigen. In Italien sey eine solche Vermitt-
lung rein überflüssig. Hier sey der Adel kein Stand, sondern eine
Reihe von Individuen, von denen die Mehrzahl auf populäre und de-
mokratische Titel stolz sey. Weit wichtiger sey das Princip der Eman-
cipation des Laienstandes bei den Geschäften die ihn angehen, und die
allezeit von der päpstlichen Souveränetät geregelt und geleitet seyn
müßten. Jedes Grundgesetz welches sich nicht auf sorgliche und ein-
dringliche Weise mit den Gränzen der verschiedenen Jurisdietionen be-
schäftige, sey nicht bloß dem Zeitgeist und dem gegenwärtigen Bedürf-
niß zuwider, sondern könne auch nur dazu dienen den Zwiespalt weiter
hinauszuziehen, welcher beide Parteien schwächen und den Staat zu
Grunde richten müsse. Nun sey zwar die Gründung einer Pairie rein
überflüssig. Da indessen die drei andern constitutionellen Staaten Ita-
liens eine solche zugelassen hätten, und da alles darauf ankomme bei den
italienischen Staaten das Princip der Einheit jedem andern voranzu-
stellen, so wolle man gern sein Urtheil deßhalb aussetzen. Eine Con-
stitution aber wie sie der P. Ventura in Vorschlag bringe, weit ent-
fernt national zu seyn, könne nur dazu dienen einen veralteten Theo-
kratismus wieder aufzuwärmen. Es sey eine politische Einbildung,
wenn man glaube oder glauben machen wolle daß die hiesigen Civil-
verhältnisse von denen anderer Völker wesentlich verschieden seyen. Der
Umstand daß die Bewohner des Kirchenstaates die Völker der Kirche
und das Patrimonium der weltlichen Oberherrlichkeit der Päpste seyen,
mache sie eben nur zu Wächtern der kirchlichen Hierarchie. Deß sey
man stolz. Die bürgerliche politische und administrative Freiheit aber
sey durch kein Gesetz den Oberen des Priesterstandes verfallen. Nie-
mals sey man Feudalbesitz oder Vasall gewesen, und selbst wenn es
sich um Vasallen handle, so sey das Evangelium das Emancipations-
gesetz aller Menschen. Lächerlich sey was P. Ventura in Betreff der
constitutionellen Fremdennachahmung vorbringe. Die Constitutionen
Europa's gehörten keineswegs einem Lande allein an. Die Liberalen
welche Weltbürger seyen hatten sich gemeinsam bemüht den Monarchien
ein Temperanzgesetz aufzustellen, die Rechte der Völker zu ordnen und
alles dieß gewissen Formen anzuvertrauen welche die geeignetsten ge-
schienen es zu schützen. Für die Sicilier habe ja der P. Ventura auch
die Constitution von 1812 in Anspruch genommen, und diese sey ja
auch eine fremde, eine brittische. Eine cardinalizische Pairskammer
wird nicht bloß für schädlich, sondern auch für ungerecht erklärt. Die
hiesigen Institutionen müßten durchaus wahr und nicht ephemer seyn.
Alles was der P. Ventura von den Eigenschaften des Cardinalcolle-
giums schönes sage, lasse man dahingestellt seyn. So viel nur sey be-
kannt daß sich das Cardinalcollegium seit undenklicher Zeit nicht mehr
der öffentlichen Geschäfte wegen versammelt habe; daß die Consistorial-
zusammenkünfte meist nichts als eine leere Förmlichkeit seyen, und daß
wenn das Cardinalcollegium Pius IX gewählt habe, dieses in Folge
himmlischer Eingebung geschehen sey, auf die man bei der Verhand-
lung weltlicher Geschäfte doch wohl nicht rechnen dürfe. Aber nicht
bloß eine Cardinalskammer sey unpassend und ungerecht, sondern auch
eine Adelskammer. Nur das Verdienst und die Intelligenz könnten
eine Kammer zweiter Prüfung constituiren. Das Cardinalscollegium
sey eine wahre Autorität im Staat und in der Welt, nämlich eine
Kammer der Discussion und der Prüfung; als solche möge sie die Ini-
tiative und die Attribution aller Facta, aller Gesetze und aller Bericht-
erstattungen haben welche die geistliche Repräsentanz des Papstes angehen.
Die religiösen Nunciaturverhältnisse, die Präfectur der Bischöfe, die
geistlichen Güter, die Disciplinarfragen, die Ehen, die Sacramente,

[Spaltenumbruch] Gründen das Miniſterium ab; er hätte ſeinen Tod geſtegelt. Thiers
und Odilon-Barrot wurden berufen und nahmen die Portefeuilles an.
Immer ſchwankender aber wurde die Majeſtät, die ganze Haltung des
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Alles was ihn umgab war entſetzt bei dieſen plötzlichen Offenbarun-
gen ſo vollkommener Schwäche. Mehr als einmal ſchrieb er oder ſetzte
ſich um zu ſchreiben, mehr als einmal ſank er in ſich ſelber zurück. Man
ſah in den Augen und der Haltung der Königin die von ihr empfundene
tiefe Schmach über dieſe Herabſtimmung ihres ſo oft um ſeiner
Feſtigkeit willen gerühmten Gemahls. Es war wie eine doppelte
Offenbarung der Autorität welche ſeine Schweſter Adelheid zuerſt und
ſpäter die Königin über ihn ausgeübt hatten, woran in früheren Zei-
ten immer viele nicht hatten glauben wollen. Thiers und Odilon-
Barrot gingen flink aus Werk; aber Thiers war kurz zuvor ſchon ge-
witzigt worden, denn als er ſich mit einem ſeiner Collegen, einer
Barricade genährt hatte und erkannt worden war, rief das Volk:
vive Thiers!“ und wollte ihn ſchon jauchzend umhertragen, als einige
Stimmen ſich erhoben, ſchreiend er ſey der Mann der detaſchirten
Forts, worauf dieſelben Arme, die ſchon bereit waren ihn in Triumph
zn erheben, alsbald ſich bereit zeigten ihn mit einem: mort à Thiers
in die Seine zu werfen, wenn die Raſchheit ſeines Collegen ihn nicht
aus dieſer übeln Lage herausgeriſſen. Trotz deſſen waren Thiers und
ſeine Freunde frei und froh; aber wie bald ſtürzten ihre ſanguiniſchen
Hoffnungen wie Kartenhäuſer über den Haufen! Indeß muß man es
Hrn. Odilon-Barrot zur Ehre nachſagen, er hat ſeinen Charakter nicht
herabgewürdigt. Die neue Lage der Dinge anerkennend und ſich ihr
unterwerfend hat er keine Demonſtrationen à la Dupin gemacht, wel-
cher faſt über lauter Vive la République! in Gichter gefallen iſt;
er der Freund und geheimſte Berather des Hauſes Orleans! Odilon-
Barrot im Gegentheil hat erklärt ſeine Ehre erlaube ihm keinen
Antheil an den jetzigen Vorgängen, er werde ſich als Candidat in
den Wahlcollegien melden, und da erſt werde man ſeine eigenſte Ge-
ſinnung erfahren. Thiers, obwohl in ſchwächer gehaltenen Ausdrücken,
hat ein ähnliches Bekenntniß abgelegt. Wie erbärmlich aber die per-
ſönliche Haltung ſo mancher der vertrauteſten Diener des geſtürzten
Hauſes war, läßt ſich ganz beſonders an dem Betragen des Hrn.
v. Liadières, Tragödienſchreibers, Deputirten und Adjutanten Ludwig
Philipps abnehmen. Schlechter Poet, mittelmäßiger Redner, war
ihm eine Gunſt widerfahren die gar nichts rechtfertigt, es wäre denn
daß zur Zeit der alten Dynaſtie der entthronte König der heutigen in
ſeine Gunſt alle Mißmuthigen aufnahm, unter andern auch die mit
Karl X oder der Theatercenſur unzufriedenen Poeten. Derſelbe Hr.
v. Liadières alſo hat an die proviſoriſche Regierung ein Schreiben
erlaſſen voll der groteskeſten Aeußerungen ſeines Enthuſiasmus über
die Republik; ſeit Jahren ſchon ſey er ein glühender Republikaner.
Solcher Art Männer gibt es mehrere, und das muß ein nicht gerin-
ger Wurm ſeyn an dem Herzen der entthronten Dynaflie.

*

Wir erfahren jeden Tag neue Einzelheiten
über die Umwälzung der Februartage; alles an derſelben trägt das
Gepräge des Plötzlichen, Unerwarteten, Beſtürzenden. Während das
Volk bereits Meiſter des Palais-Royal, der Tuilerien und der Kam-
mer war, ſaßen Guizot, Hébert und Duch[â]tel ruhig in dem Cabinet
des Miniſters des Innern beiſammen; da kommt der Abgeordnete
Léon de Maleville, auch ein Verirrter, der den Führer ſeiner verirrten
Heerde aufſuchte: „Hr. Odilon-Barrot!“ — Hr. Odilon-Barrot iſt
nicht hier. — „Wie, Hr. Odilon-Barrot iſt nicht hier? Er muß in
dem Cabinet des Miniſters ſeyn, denn hier hat er ja ſein Miniſterium
(ſein Miniſterium einer Stunde) gebildet.“
Mit dieſen Worten öffnet
Maleville raſch die Thüre des Cabinets, und bleibt erſtarrt vor der ge-
nannten Dreieinigkeit, die da Befehle erwartete ... von wem?! —
„So ſchnell Ihr könnt, macht euch aus dem Staube, auf meiner
Ferſe folgt das Volk, und wahrlich ich ſtehe euch nicht für ſein Er-
barmen.“
Jetzt erſt verſchwanden die drei gefallenen Größen durch
den Garten nach den hintern Straßen, und ſuchten ihr Heil in der
Flucht. Geſtört wurden ſie darin von dem Volke auf keine Weiſe. —
Nach der Vorſchrift des Miniſters des öffentlichen Unterrichts ſoll ein
Handbuch, eine Art leicht faßlicher Katechismus der Rechte und Pflich-
ten des Bürgers gefertigt, und in den Primärſchulen den Kindern ein-
geprägt werden, um dieſe zu verſtändigen Bürgern der Republik zu bil-
den. — Um Paris herum iſt alles ruhig, die Eiſenbahnen zu ihrer ge-
[Spaltenumbruch] wöhnlichen Thätigkeit zurückgekehrt, und die Landgemeinden von allen
Ruheſtörern geſäubert. Auch von Anzin ſind heute befriedigende Nach-
richten eingelaufen.



Italien.

P. Ventura iſt auf Einreden geſtoßen
mit ſeinem Vorſchlag das Cardinalcollegium in eine Pairskammer zu
verwandeln. Am kräftigſten macht dieſelben ein Aufſatz der Speranza
geltend, welcher aus einer Feder gefloſſen iſt die ſich dem ſcharfſinnigen
Kanzelredner gewachſen zeigt. Der Verfaſſer dieſes Aufſatzes, welcher
in zahlreichen Separatabzügen verbreitet worden iſt, beginnt damit zu
erklären daß die durch den P. Ventura geſtellte Frage keineswegs die
Lebensfrage der wahren Freiheit ſey. In Frankreich und in England
ſey man einer Pairskammer benöthigt geweſen um ſich mit dem alten
Adel des Staats zu verſtändigen. In Italien ſey eine ſolche Vermitt-
lung rein überflüſſig. Hier ſey der Adel kein Stand, ſondern eine
Reihe von Individuen, von denen die Mehrzahl auf populäre und de-
mokratiſche Titel ſtolz ſey. Weit wichtiger ſey das Princip der Eman-
cipation des Laienſtandes bei den Geſchäften die ihn angehen, und die
allezeit von der päpſtlichen Souveränetät geregelt und geleitet ſeyn
müßten. Jedes Grundgeſetz welches ſich nicht auf ſorgliche und ein-
dringliche Weiſe mit den Gränzen der verſchiedenen Jurisdietionen be-
ſchäftige, ſey nicht bloß dem Zeitgeiſt und dem gegenwärtigen Bedürf-
niß zuwider, ſondern könne auch nur dazu dienen den Zwieſpalt weiter
hinauszuziehen, welcher beide Parteien ſchwächen und den Staat zu
Grunde richten müſſe. Nun ſey zwar die Gründung einer Pairie rein
überflüſſig. Da indeſſen die drei andern conſtitutionellen Staaten Ita-
liens eine ſolche zugelaſſen hätten, und da alles darauf ankomme bei den
italieniſchen Staaten das Princip der Einheit jedem andern voranzu-
ſtellen, ſo wolle man gern ſein Urtheil deßhalb ausſetzen. Eine Con-
ſtitution aber wie ſie der P. Ventura in Vorſchlag bringe, weit ent-
fernt national zu ſeyn, könne nur dazu dienen einen veralteten Theo-
kratismus wieder aufzuwärmen. Es ſey eine politiſche Einbildung,
wenn man glaube oder glauben machen wolle daß die hieſigen Civil-
verhältniſſe von denen anderer Völker weſentlich verſchieden ſeyen. Der
Umſtand daß die Bewohner des Kirchenſtaates die Völker der Kirche
und das Patrimonium der weltlichen Oberherrlichkeit der Päpſte ſeyen,
mache ſie eben nur zu Wächtern der kirchlichen Hierarchie. Deß ſey
man ſtolz. Die bürgerliche politiſche und adminiſtrative Freiheit aber
ſey durch kein Geſetz den Oberen des Prieſterſtandes verfallen. Nie-
mals ſey man Feudalbeſitz oder Vaſall geweſen, und ſelbſt wenn es
ſich um Vaſallen handle, ſo ſey das Evangelium das Emancipations-
geſetz aller Menſchen. Lächerlich ſey was P. Ventura in Betreff der
conſtitutionellen Fremdennachahmung vorbringe. Die Conſtitutionen
Europa’s gehörten keineswegs einem Lande allein an. Die Liberalen
welche Weltbürger ſeyen hatten ſich gemeinſam bemüht den Monarchien
ein Temperanzgeſetz aufzuſtellen, die Rechte der Völker zu ordnen und
alles dieß gewiſſen Formen anzuvertrauen welche die geeignetſten ge-
ſchienen es zu ſchützen. Für die Sicilier habe ja der P. Ventura auch
die Conſtitution von 1812 in Anſpruch genommen, und dieſe ſey ja
auch eine fremde, eine brittiſche. Eine cardinaliziſche Pairskammer
wird nicht bloß für ſchädlich, ſondern auch für ungerecht erklärt. Die
hieſigen Inſtitutionen müßten durchaus wahr und nicht ephemer ſeyn.
Alles was der P. Ventura von den Eigenſchaften des Cardinalcolle-
giums ſchönes ſage, laſſe man dahingeſtellt ſeyn. So viel nur ſey be-
kannt daß ſich das Cardinalcollegium ſeit undenklicher Zeit nicht mehr
der öffentlichen Geſchäfte wegen verſammelt habe; daß die Conſiſtorial-
zuſammenkünfte meiſt nichts als eine leere Förmlichkeit ſeyen, und daß
wenn das Cardinalcollegium Pius IX gewählt habe, dieſes in Folge
himmliſcher Eingebung geſchehen ſey, auf die man bei der Verhand-
lung weltlicher Geſchäfte doch wohl nicht rechnen dürfe. Aber nicht
bloß eine Cardinalskammer ſey unpaſſend und ungerecht, ſondern auch
eine Adelskammer. Nur das Verdienſt und die Intelligenz könnten
eine Kammer zweiter Prüfung conſtituiren. Das Cardinalscollegium
ſey eine wahre Autorität im Staat und in der Welt, nämlich eine
Kammer der Discuſſion und der Prüfung; als ſolche möge ſie die Ini-
tiative und die Attribution aller Facta, aller Geſetze und aller Bericht-
erſtattungen haben welche die geiſtliche Repräſentanz des Papſtes angehen.
Die religiöſen Nunciaturverhältniſſe, die Präfectur der Biſchöfe, die
geiſtlichen Güter, die Disciplinarfragen, die Ehen, die Sacramente,

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[1164/0012] Gründen das Miniſterium ab; er hätte ſeinen Tod geſtegelt. Thiers und Odilon-Barrot wurden berufen und nahmen die Portefeuilles an. Immer ſchwankender aber wurde die Majeſtät, die ganze Haltung des Königs war vollkommen niedergeſchlagen, faſt erdrückt dankte er ab. Alles was ihn umgab war entſetzt bei dieſen plötzlichen Offenbarun- gen ſo vollkommener Schwäche. Mehr als einmal ſchrieb er oder ſetzte ſich um zu ſchreiben, mehr als einmal ſank er in ſich ſelber zurück. Man ſah in den Augen und der Haltung der Königin die von ihr empfundene tiefe Schmach über dieſe Herabſtimmung ihres ſo oft um ſeiner Feſtigkeit willen gerühmten Gemahls. Es war wie eine doppelte Offenbarung der Autorität welche ſeine Schweſter Adelheid zuerſt und ſpäter die Königin über ihn ausgeübt hatten, woran in früheren Zei- ten immer viele nicht hatten glauben wollen. Thiers und Odilon- Barrot gingen flink aus Werk; aber Thiers war kurz zuvor ſchon ge- witzigt worden, denn als er ſich mit einem ſeiner Collegen, einer Barricade genährt hatte und erkannt worden war, rief das Volk: vive Thiers!“ und wollte ihn ſchon jauchzend umhertragen, als einige Stimmen ſich erhoben, ſchreiend er ſey der Mann der detaſchirten Forts, worauf dieſelben Arme, die ſchon bereit waren ihn in Triumph zn erheben, alsbald ſich bereit zeigten ihn mit einem: mort à Thiers in die Seine zu werfen, wenn die Raſchheit ſeines Collegen ihn nicht aus dieſer übeln Lage herausgeriſſen. Trotz deſſen waren Thiers und ſeine Freunde frei und froh; aber wie bald ſtürzten ihre ſanguiniſchen Hoffnungen wie Kartenhäuſer über den Haufen! Indeß muß man es Hrn. Odilon-Barrot zur Ehre nachſagen, er hat ſeinen Charakter nicht herabgewürdigt. Die neue Lage der Dinge anerkennend und ſich ihr unterwerfend hat er keine Demonſtrationen à la Dupin gemacht, wel- cher faſt über lauter „Vive la République!“ in Gichter gefallen iſt; er der Freund und geheimſte Berather des Hauſes Orleans! Odilon- Barrot im Gegentheil hat erklärt ſeine Ehre erlaube ihm keinen Antheil an den jetzigen Vorgängen, er werde ſich als Candidat in den Wahlcollegien melden, und da erſt werde man ſeine eigenſte Ge- ſinnung erfahren. Thiers, obwohl in ſchwächer gehaltenen Ausdrücken, hat ein ähnliches Bekenntniß abgelegt. Wie erbärmlich aber die per- ſönliche Haltung ſo mancher der vertrauteſten Diener des geſtürzten Hauſes war, läßt ſich ganz beſonders an dem Betragen des Hrn. v. Liadières, Tragödienſchreibers, Deputirten und Adjutanten Ludwig Philipps abnehmen. Schlechter Poet, mittelmäßiger Redner, war ihm eine Gunſt widerfahren die gar nichts rechtfertigt, es wäre denn daß zur Zeit der alten Dynaſtie der entthronte König der heutigen in ſeine Gunſt alle Mißmuthigen aufnahm, unter andern auch die mit Karl X oder der Theatercenſur unzufriedenen Poeten. Derſelbe Hr. v. Liadières alſo hat an die proviſoriſche Regierung ein Schreiben erlaſſen voll der groteskeſten Aeußerungen ſeines Enthuſiasmus über die Republik; ſeit Jahren ſchon ſey er ein glühender Republikaner. Solcher Art Männer gibt es mehrere, und das muß ein nicht gerin- ger Wurm ſeyn an dem Herzen der entthronten Dynaflie. * = Paris, 7 März.Wir erfahren jeden Tag neue Einzelheiten über die Umwälzung der Februartage; alles an derſelben trägt das Gepräge des Plötzlichen, Unerwarteten, Beſtürzenden. Während das Volk bereits Meiſter des Palais-Royal, der Tuilerien und der Kam- mer war, ſaßen Guizot, Hébert und Duchâtel ruhig in dem Cabinet des Miniſters des Innern beiſammen; da kommt der Abgeordnete Léon de Maleville, auch ein Verirrter, der den Führer ſeiner verirrten Heerde aufſuchte: „Hr. Odilon-Barrot!“ — Hr. Odilon-Barrot iſt nicht hier. — „Wie, Hr. Odilon-Barrot iſt nicht hier? Er muß in dem Cabinet des Miniſters ſeyn, denn hier hat er ja ſein Miniſterium (ſein Miniſterium einer Stunde) gebildet.“ Mit dieſen Worten öffnet Maleville raſch die Thüre des Cabinets, und bleibt erſtarrt vor der ge- nannten Dreieinigkeit, die da Befehle erwartete ... von wem?! — „So ſchnell Ihr könnt, macht euch aus dem Staube, auf meiner Ferſe folgt das Volk, und wahrlich ich ſtehe euch nicht für ſein Er- barmen.“ Jetzt erſt verſchwanden die drei gefallenen Größen durch den Garten nach den hintern Straßen, und ſuchten ihr Heil in der Flucht. Geſtört wurden ſie darin von dem Volke auf keine Weiſe. — Nach der Vorſchrift des Miniſters des öffentlichen Unterrichts ſoll ein Handbuch, eine Art leicht faßlicher Katechismus der Rechte und Pflich- ten des Bürgers gefertigt, und in den Primärſchulen den Kindern ein- geprägt werden, um dieſe zu verſtändigen Bürgern der Republik zu bil- den. — Um Paris herum iſt alles ruhig, die Eiſenbahnen zu ihrer ge- wöhnlichen Thätigkeit zurückgekehrt, und die Landgemeinden von allen Ruheſtörern geſäubert. Auch von Anzin ſind heute befriedigende Nach- richten eingelaufen. Italien. ♀ Rom, 3 März.P. Ventura iſt auf Einreden geſtoßen mit ſeinem Vorſchlag das Cardinalcollegium in eine Pairskammer zu verwandeln. Am kräftigſten macht dieſelben ein Aufſatz der Speranza geltend, welcher aus einer Feder gefloſſen iſt die ſich dem ſcharfſinnigen Kanzelredner gewachſen zeigt. Der Verfaſſer dieſes Aufſatzes, welcher in zahlreichen Separatabzügen verbreitet worden iſt, beginnt damit zu erklären daß die durch den P. Ventura geſtellte Frage keineswegs die Lebensfrage der wahren Freiheit ſey. In Frankreich und in England ſey man einer Pairskammer benöthigt geweſen um ſich mit dem alten Adel des Staats zu verſtändigen. In Italien ſey eine ſolche Vermitt- lung rein überflüſſig. Hier ſey der Adel kein Stand, ſondern eine Reihe von Individuen, von denen die Mehrzahl auf populäre und de- mokratiſche Titel ſtolz ſey. Weit wichtiger ſey das Princip der Eman- cipation des Laienſtandes bei den Geſchäften die ihn angehen, und die allezeit von der päpſtlichen Souveränetät geregelt und geleitet ſeyn müßten. Jedes Grundgeſetz welches ſich nicht auf ſorgliche und ein- dringliche Weiſe mit den Gränzen der verſchiedenen Jurisdietionen be- ſchäftige, ſey nicht bloß dem Zeitgeiſt und dem gegenwärtigen Bedürf- niß zuwider, ſondern könne auch nur dazu dienen den Zwieſpalt weiter hinauszuziehen, welcher beide Parteien ſchwächen und den Staat zu Grunde richten müſſe. Nun ſey zwar die Gründung einer Pairie rein überflüſſig. Da indeſſen die drei andern conſtitutionellen Staaten Ita- liens eine ſolche zugelaſſen hätten, und da alles darauf ankomme bei den italieniſchen Staaten das Princip der Einheit jedem andern voranzu- ſtellen, ſo wolle man gern ſein Urtheil deßhalb ausſetzen. Eine Con- ſtitution aber wie ſie der P. Ventura in Vorſchlag bringe, weit ent- fernt national zu ſeyn, könne nur dazu dienen einen veralteten Theo- kratismus wieder aufzuwärmen. Es ſey eine politiſche Einbildung, wenn man glaube oder glauben machen wolle daß die hieſigen Civil- verhältniſſe von denen anderer Völker weſentlich verſchieden ſeyen. Der Umſtand daß die Bewohner des Kirchenſtaates die Völker der Kirche und das Patrimonium der weltlichen Oberherrlichkeit der Päpſte ſeyen, mache ſie eben nur zu Wächtern der kirchlichen Hierarchie. Deß ſey man ſtolz. Die bürgerliche politiſche und adminiſtrative Freiheit aber ſey durch kein Geſetz den Oberen des Prieſterſtandes verfallen. Nie- mals ſey man Feudalbeſitz oder Vaſall geweſen, und ſelbſt wenn es ſich um Vaſallen handle, ſo ſey das Evangelium das Emancipations- geſetz aller Menſchen. Lächerlich ſey was P. Ventura in Betreff der conſtitutionellen Fremdennachahmung vorbringe. Die Conſtitutionen Europa’s gehörten keineswegs einem Lande allein an. Die Liberalen welche Weltbürger ſeyen hatten ſich gemeinſam bemüht den Monarchien ein Temperanzgeſetz aufzuſtellen, die Rechte der Völker zu ordnen und alles dieß gewiſſen Formen anzuvertrauen welche die geeignetſten ge- ſchienen es zu ſchützen. Für die Sicilier habe ja der P. Ventura auch die Conſtitution von 1812 in Anſpruch genommen, und dieſe ſey ja auch eine fremde, eine brittiſche. Eine cardinaliziſche Pairskammer wird nicht bloß für ſchädlich, ſondern auch für ungerecht erklärt. Die hieſigen Inſtitutionen müßten durchaus wahr und nicht ephemer ſeyn. Alles was der P. Ventura von den Eigenſchaften des Cardinalcolle- giums ſchönes ſage, laſſe man dahingeſtellt ſeyn. So viel nur ſey be- kannt daß ſich das Cardinalcollegium ſeit undenklicher Zeit nicht mehr der öffentlichen Geſchäfte wegen verſammelt habe; daß die Conſiſtorial- zuſammenkünfte meiſt nichts als eine leere Förmlichkeit ſeyen, und daß wenn das Cardinalcollegium Pius IX gewählt habe, dieſes in Folge himmliſcher Eingebung geſchehen ſey, auf die man bei der Verhand- lung weltlicher Geſchäfte doch wohl nicht rechnen dürfe. Aber nicht bloß eine Cardinalskammer ſey unpaſſend und ungerecht, ſondern auch eine Adelskammer. Nur das Verdienſt und die Intelligenz könnten eine Kammer zweiter Prüfung conſtituiren. Das Cardinalscollegium ſey eine wahre Autorität im Staat und in der Welt, nämlich eine Kammer der Discuſſion und der Prüfung; als ſolche möge ſie die Ini- tiative und die Attribution aller Facta, aller Geſetze und aller Bericht- erſtattungen haben welche die geiſtliche Repräſentanz des Papſtes angehen. Die religiöſen Nunciaturverhältniſſe, die Präfectur der Biſchöfe, die geiſtlichen Güter, die Disciplinarfragen, die Ehen, die Sacramente,

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2021-08-16T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 73, 13. März 1848, S. 1164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine73_1848/12>, abgerufen am 27.11.2024.