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Allgemeine Zeitung, Nr. 73, 13. März 1848.

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Man hat lange Zeit die Verfassung die England in einem vor-
schlagend aristokratischen Charakter ausgebildet hat, für die Form der
Republik gehalten, wie sie neuerer Zeit in größeren Staaten, die eine
active Rolle in dem europäischen Staatenwesen spielen wollen, möglich ist.
Noch zur Zeit der französischen Revolution war dieß die übliche Weise
der Anschauung; seit der damals gemachten Probe der Republik in
Frankreich, seit der nachfolgenden Militärdespotie und Verkümmerung
der constitutionellen Formen ist sie außer Brauch gekommen. Treten
diese in ihre natürliche Gestalt zurück, und füllen die Menschen sie mit
dem rechten Geist aus, so wird diese Betrachtungsweise wieder mehr
hervortreten. Die Erfahrung einer großen Republik ist seit Rom, zu
dessen Zeit das Königthum nur in orientalischer, und noch dazu verfal-
lener Form existirte, nicht gemacht worden. Die amerikanischen Frei-
staaten sind eine Föderation die, umgeben von amerikanischen Mon-
archien in der Kraft der englischen und russischen, ganz unmöglich Be-
stand haben könnte: nur eine gänzliche Unmündigkeit in geschichtlichen
Kenntnissen könnte diesen Satz bestreiten. Frankreichs erste Republik
ist, trotz ihrer furchtbaren Energie mit der sie anfänglich auftrat, nur
durch einen Dictator erhalten und umgestürzt worden. Die Erfahrung
steht zu machen: ob Frankreich jetzt in der zweiten Probe die Behaup-
tung seines Montesquieu auf längere Zeit widerlegen wird daß Repu-
bliken nur in kleineren Staaten möglich seyen. Ehe diese Erfahrung
gemacht ist, hüten wir uns, in Deutschland wenigstens, das Nicht-
erprobte nachahmen zu wollen. Eine föderirte Republik in Deutschland,
im Gedränge zwischen dem einheitlichen Frankreich und den kolossalen
Monarchien im Osten, ist ein Mißgedanke für einen praktischen Staats-
sinn, auf den niemand kommen wird der vor allem das erwachte Be-
streben theilt Deutschland zu einer Macht zu bilden, nicht aber es in dem
Moment wo es in diesem Streben begriffen ist in eine Unmacht auf-
zulösen.

Man kann für die Idee einer deutschen föderirten Republik schwär-
men, wenn man sich aus allen Bedingungen der wirklichen Verhältnisse
herausversetzt; man kann sie aber nicht praktisch wollen, weil zwar einen
Staat zu träumen die Sache des Einzelnen, das wirksame Handeln im
Staat aber nur unter Mitwirkung der Vielen möglich ist. Die Vie-
len aber hängen in den germanischen Landen an der Monarchie. Die
republicanischen Männer, die es aus politischer Einsicht und Grundsatz
sind, sind zu zählen; die es aus tiefgreifender Antipathie gegen Mon-
archie, Hof und Hofwesen, Aristokratismus des Adels und der Bureaux
sind, deren sind mehr, obwohl im Verhältniß immer nur sehr wenige.
Im Verhältniß nämlich zu den Andersgesinnten zu Hause, ganz beson-
ders aber auch im Verhältniß zu den Gleichgesinnten in Frankreich.
Frage man sich ehrlich und mit umsichtiger Erwägung der gegenwärtigen
und der vergangenen Zustände, woher in Frankreich die republicanischen
Ideen so weit im Volk ausgebreitet sind, und man wird überall auf die
zwei Antworten stoßen: weil die Beamtenwelt käuflich, und weil die
Dynastie moralisch und politisch faul war. Beide Gründe beruhen auf
einem tiefen, ebensosehr, vielleicht mehr moralischen als politischen
Gegensatz der romanischen gegen die germanischen Stämme. Von jenem
Ausbeuten des Amtes, von jenen raschen und durchgreifenden Amts-
wechseln die zur Nutznießung des kurzen Besitzes verlocken, von jenem
leichtfertigen Grundsatz daß ein Thor sey wer am Zoll sitze und nicht
reich werde, von jener Bestechlichkeit im Kleinen, von jenen systemati-
schen Defraudationen im Großen die in allen romanischen Staaten her-
kömmlich sind, weiß man in England und in allen reiner germanischen
Staaten nur ausnahmsweise: Religiosität, Erziehung, Schule, die
Ehrbarkeit im Hause, Familiensinn, tausend Züge unsers öffentlichen
und häuslichen Lebens und unserer Volksanlage und Natur geben unse-
rem Wesen in diesen Beziehungen eine andere Richtung; wir können
viel über kleine Amtstyranneien klagen, aber nicht über den materiellen
Mißbrauch der Aemter, von dem noch zuletzt in Frankreich so scandalöse
Thatsachen zu Tage kamen. Und was die Dynastien angeht, so ver-
gleiche man nur die Regentengeschichte Frankreichs mit Englands *) um
den Unterschied germanischer und romanischer Zucht kennen zu lernen,
und um plötzlich zu begreifen woher in dem einen Lande diese anhäng-
liche Pietät, in dem andern zuletzt diese frivole Verachtung der herr-
schenden Familie stammt. Welch eine Geschichte die der Häuser Bour-
[Spaltenumbruch] bon und Orleans! Wer sie nur halbwegs kennt, der wird sich nicht
wundern daß dieß zuletzt der Ausgang war, sondern daß er so lange
ausbleiben konnte. Aber wo wäre in Deutschland auch nur das entfernt
Aehnliche? Und dabei bedenke man daß wir nicht eine, sondern einige
dreißig -- ja vor nicht langer Zeit eine viel unermeßlichere Reihe von
Dynastien gehabt haben; in dieser Viel- und Ueberzahl wird man ver-
geblich nach einem solchen Beispiel suchen, wie es Frankreich in dem
Dualis seiner letzten Königsfamilien durch Jahrhunderte an der Spitze
des Staates sah. Kein Wunder denn daß in Deutschland die Ehe (wie
Dahlmann das Verhältniß gern versinnlicht) zwischen Königthum und
Volk häuslich und familiär zusammenwuchs, während sie sich in Frank-
reich gewaltsam schied. Kein Wunder daß sich dieses Verhältniß nicht
auf das erste leichtsinnige Vorbild im Auslande hin lockern oder lösen
mag. Der Instinct der Völker hält ein Maß zwischen Ursachen und
Wirkungen ein; und es wäre sehr unnatürlich wenn bei uns geschehen
sollte was in Frankreich seit 1789 geschah, ohne die Gründe die das in
Frankreich Geschehene hervorgerufen haben.

Als sich Amerika von England republicanisch lossagte, hielt in
England die Monarchie unerschüttert Stand, und nicht zu Englands
Schaden. Sorgen wir daß das bei uns dem republicanischen Frankreich
gegenüber auch so komme. Es sollte dem enthusiastischen Republicaner
in Deutschland einleuchten daß die Republik in Frankreich, wenn sie
ruhigen Bestand und Gedeihen haben kann, die Anhänger dieser Staats-
form in kurzer Zeit unendlich weit verbreiten wird. Es wird dann mit
jedem Jahr leichter werden Völker zu demokratisiren. Jene Erfahrung
abzuwarten sollte also auch dem Eifrigsten ein leichter Entschluß seyn.
Zeigt sich dagegen daß sich die Republik, der sich schon jetzt ihre Freunde
als die gefährlichsten Feinde zu zeigen, ihre Feinde als nur verstellte
Freunde zu verrathen anfangen, nicht halten kann, so hätte man uns
in Deutschland mit den ähnlichen Gelüsten nur eine neue Reaction vor-
bereitet. Wir brauchen nicht einmal von der förmlichen Absicht zu reden
die auf republicanische Ordnungen dringt: wir warnen selbst vor dem
ungestümen Vordrängen zu extremen Schritten innerhalb der monarchi-
schen Formen. Wie sich die Dinge durch die neuesten Bewegungen in
Baden, Darmstadt und Nassau begründet haben, rathen wir dringend
auf dieser Stufe zu weilen, und das vorläufig Zugestandene hier zu
festen Besitzungen auszubilden in dem Maße daß selbst ein unverhoffter
Sturz der französischen Republik, daß selbst eine österreichische Reaction,
wenn sie denkbar wäre, sie uns nicht mehr verkümmern könnte. Das
ist das Ein und Alles in Deutschland daß wir uns nur in Masse, nur
im Ganzen bewegen, weil nur im Ganzen Macht gelegen ist, und weil
es uns um Erwerb von Macht ebenso sehr zu thun seyn muß wie um
den Besitz der Freiheit. Die östlichen Deutschen aber sind in ihren in-
nern Institutionen und in politischer Bildung gegen den Westen zurück:
es ist nicht weise diese Distanz immer noch zu erweitern dadurch daß
man den Westen noch weiter vortreibt, sondern die wahre Politik ver-
langt daß man den Osten erst heranzieht. Wenn es gilt das Gros des
Volkes in einerlei Entwicklung zusammenzuhalten, so wird füglicher von
dem leichtfüßigen Vorangeeilten verlangt daß er warte, als von dem
schwerfälligen Zurückgebliebenen daß er den andern plötzlich fliegend
überhole. Das aber was hier jetzt im ersten Anlaufe für den Süd-
westen Deutschlands errungen ist, wird im Osten viele Zeit oder viel
gewaltsamere Stürme verlangen. Harren wir denn dabei aus bis daß
dasselbe Ziel erreicht ist; festigen wir uns im Besitz daß für den leidigen
Fall, wenn es dort nicht erreicht werden sollte, es uns nie wieder von
dort aus gefährdet werden kann.

Mittlerweile gibt es für unsere eifrigen Republicaner auch in dem
monarchischen Staat eine große Aufgabe zu erfüllen. Montesquieu hat
den ewig wahren Satz ausgesprochen daß eine Republik auch nicht seyn
kann ohne Bürgertugend, ohne die Nachsetzung des Menschen hinter den
Bürger. Unsere ganze humanistisch-christliche Bildung ist in dieser Be-
ziehung so antirepublicanisch wie nur möglich. Wir bestehen überall
zehnmal auf Menschenrechten, bis wir uns einmal bereit zeigen uns
einer Bürgerpflicht zu unterziehen. Einige der größten Forderungen
des Liberalismus, wie völlige Religionsfreiheit, Aufhebung des Mili-
tärs, Freiheit des Unterrichts und dergleichen, zielen, ohne daß man es
weiß oder einsehen will, mehr auf Lockerung als auf Anziehung der
Staats- und Bürgerbande ab. Man ist zu weit gegangen in diesem
Kosmopolitismus; die socialistische Bewegung zielte daher in andern
Beziehungen ganz inconsequent in sich selbst auf eine größere Uebermacht
des Staats- und Allgemeinwohls über den Individualismus ab. Gleiche

*) Aber Heinrich VIII, Karl II, und zuletzt noch Georg IV? -- Was auch
Ludwig Philipps politische Sünden waren, sein Familienleben ge-
hörte zu den reinsten die jemals an Höfen dagewesen, und England und
Deutschland haben nichts besseres aufzuweisen. A. d. Allg. Z.
[Spaltenumbruch]

Man hat lange Zeit die Verfaſſung die England in einem vor-
ſchlagend ariſtokratiſchen Charakter ausgebildet hat, für die Form der
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active Rolle in dem europäiſchen Staatenweſen ſpielen wollen, möglich iſt.
Noch zur Zeit der franzöſiſchen Revolution war dieß die übliche Weiſe
der Anſchauung; ſeit der damals gemachten Probe der Republik in
Frankreich, ſeit der nachfolgenden Militärdeſpotie und Verkümmerung
der conſtitutionellen Formen iſt ſie außer Brauch gekommen. Treten
dieſe in ihre natürliche Geſtalt zurück, und füllen die Menſchen ſie mit
dem rechten Geiſt aus, ſo wird dieſe Betrachtungsweiſe wieder mehr
hervortreten. Die Erfahrung einer großen Republik iſt ſeit Rom, zu
deſſen Zeit das Königthum nur in orientaliſcher, und noch dazu verfal-
lener Form exiſtirte, nicht gemacht worden. Die amerikaniſchen Frei-
ſtaaten ſind eine Föderation die, umgeben von amerikaniſchen Mon-
archien in der Kraft der engliſchen und ruſſiſchen, ganz unmöglich Be-
ſtand haben könnte: nur eine gänzliche Unmündigkeit in geſchichtlichen
Kenntniſſen könnte dieſen Satz beſtreiten. Frankreichs erſte Republik
iſt, trotz ihrer furchtbaren Energie mit der ſie anfänglich auftrat, nur
durch einen Dictator erhalten und umgeſtürzt worden. Die Erfahrung
ſteht zu machen: ob Frankreich jetzt in der zweiten Probe die Behaup-
tung ſeines Montesquieu auf längere Zeit widerlegen wird daß Repu-
bliken nur in kleineren Staaten möglich ſeyen. Ehe dieſe Erfahrung
gemacht iſt, hüten wir uns, in Deutſchland wenigſtens, das Nicht-
erprobte nachahmen zu wollen. Eine föderirte Republik in Deutſchland,
im Gedränge zwiſchen dem einheitlichen Frankreich und den koloſſalen
Monarchien im Oſten, iſt ein Mißgedanke für einen praktiſchen Staats-
ſinn, auf den niemand kommen wird der vor allem das erwachte Be-
ſtreben theilt Deutſchland zu einer Macht zu bilden, nicht aber es in dem
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zulöſen.

Man kann für die Idee einer deutſchen föderirten Republik ſchwär-
men, wenn man ſich aus allen Bedingungen der wirklichen Verhältniſſe
herausverſetzt; man kann ſie aber nicht praktiſch wollen, weil zwar einen
Staat zu träumen die Sache des Einzelnen, das wirkſame Handeln im
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len aber hängen in den germaniſchen Landen an der Monarchie. Die
republicaniſchen Männer, die es aus politiſcher Einſicht und Grundſatz
ſind, ſind zu zählen; die es aus tiefgreifender Antipathie gegen Mon-
archie, Hof und Hofweſen, Ariſtokratismus des Adels und der Bureaux
ſind, deren ſind mehr, obwohl im Verhältniß immer nur ſehr wenige.
Im Verhältniß nämlich zu den Andersgeſinnten zu Hauſe, ganz beſon-
ders aber auch im Verhältniß zu den Gleichgeſinnten in Frankreich.
Frage man ſich ehrlich und mit umſichtiger Erwägung der gegenwärtigen
und der vergangenen Zuſtände, woher in Frankreich die republicaniſchen
Ideen ſo weit im Volk ausgebreitet ſind, und man wird überall auf die
zwei Antworten ſtoßen: weil die Beamtenwelt käuflich, und weil die
Dynaſtie moraliſch und politiſch faul war. Beide Gründe beruhen auf
einem tiefen, ebenſoſehr, vielleicht mehr moraliſchen als politiſchen
Gegenſatz der romaniſchen gegen die germaniſchen Stämme. Von jenem
Ausbeuten des Amtes, von jenen raſchen und durchgreifenden Amts-
wechſeln die zur Nutznießung des kurzen Beſitzes verlocken, von jenem
leichtfertigen Grundſatz daß ein Thor ſey wer am Zoll ſitze und nicht
reich werde, von jener Beſtechlichkeit im Kleinen, von jenen ſyſtemati-
ſchen Defraudationen im Großen die in allen romaniſchen Staaten her-
kömmlich ſind, weiß man in England und in allen reiner germaniſchen
Staaten nur ausnahmsweiſe: Religioſität, Erziehung, Schule, die
Ehrbarkeit im Hauſe, Familienſinn, tauſend Züge unſers öffentlichen
und häuslichen Lebens und unſerer Volksanlage und Natur geben unſe-
rem Weſen in dieſen Beziehungen eine andere Richtung; wir können
viel über kleine Amtstyranneien klagen, aber nicht über den materiellen
Mißbrauch der Aemter, von dem noch zuletzt in Frankreich ſo ſcandalöſe
Thatſachen zu Tage kamen. Und was die Dynaſtien angeht, ſo ver-
gleiche man nur die Regentengeſchichte Frankreichs mit Englands *) um
den Unterſchied germaniſcher und romaniſcher Zucht kennen zu lernen,
und um plötzlich zu begreifen woher in dem einen Lande dieſe anhäng-
liche Pietät, in dem andern zuletzt dieſe frivole Verachtung der herr-
ſchenden Familie ſtammt. Welch eine Geſchichte die der Häuſer Bour-
[Spaltenumbruch] bon und Orleans! Wer ſie nur halbwegs kennt, der wird ſich nicht
wundern daß dieß zuletzt der Ausgang war, ſondern daß er ſo lange
ausbleiben konnte. Aber wo wäre in Deutſchland auch nur das entfernt
Aehnliche? Und dabei bedenke man daß wir nicht eine, ſondern einige
dreißig — ja vor nicht langer Zeit eine viel unermeßlichere Reihe von
Dynaſtien gehabt haben; in dieſer Viel- und Ueberzahl wird man ver-
geblich nach einem ſolchen Beiſpiel ſuchen, wie es Frankreich in dem
Dualis ſeiner letzten Königsfamilien durch Jahrhunderte an der Spitze
des Staates ſah. Kein Wunder denn daß in Deutſchland die Ehe (wie
Dahlmann das Verhältniß gern verſinnlicht) zwiſchen Königthum und
Volk häuslich und familiär zuſammenwuchs, während ſie ſich in Frank-
reich gewaltſam ſchied. Kein Wunder daß ſich dieſes Verhältniß nicht
auf das erſte leichtſinnige Vorbild im Auslande hin lockern oder löſen
mag. Der Inſtinct der Völker hält ein Maß zwiſchen Urſachen und
Wirkungen ein; und es wäre ſehr unnatürlich wenn bei uns geſchehen
ſollte was in Frankreich ſeit 1789 geſchah, ohne die Gründe die das in
Frankreich Geſchehene hervorgerufen haben.

Als ſich Amerika von England republicaniſch losſagte, hielt in
England die Monarchie unerſchüttert Stand, und nicht zu Englands
Schaden. Sorgen wir daß das bei uns dem republicaniſchen Frankreich
gegenüber auch ſo komme. Es ſollte dem enthuſiaſtiſchen Republicaner
in Deutſchland einleuchten daß die Republik in Frankreich, wenn ſie
ruhigen Beſtand und Gedeihen haben kann, die Anhänger dieſer Staats-
form in kurzer Zeit unendlich weit verbreiten wird. Es wird dann mit
jedem Jahr leichter werden Völker zu demokratiſiren. Jene Erfahrung
abzuwarten ſollte alſo auch dem Eifrigſten ein leichter Entſchluß ſeyn.
Zeigt ſich dagegen daß ſich die Republik, der ſich ſchon jetzt ihre Freunde
als die gefährlichſten Feinde zu zeigen, ihre Feinde als nur verſtellte
Freunde zu verrathen anfangen, nicht halten kann, ſo hätte man uns
in Deutſchland mit den ähnlichen Gelüſten nur eine neue Reaction vor-
bereitet. Wir brauchen nicht einmal von der förmlichen Abſicht zu reden
die auf republicaniſche Ordnungen dringt: wir warnen ſelbſt vor dem
ungeſtümen Vordrängen zu extremen Schritten innerhalb der monarchi-
ſchen Formen. Wie ſich die Dinge durch die neueſten Bewegungen in
Baden, Darmſtadt und Naſſau begründet haben, rathen wir dringend
auf dieſer Stufe zu weilen, und das vorläufig Zugeſtandene hier zu
feſten Beſitzungen auszubilden in dem Maße daß ſelbſt ein unverhoffter
Sturz der franzöſiſchen Republik, daß ſelbſt eine öſterreichiſche Reaction,
wenn ſie denkbar wäre, ſie uns nicht mehr verkümmern könnte. Das
iſt das Ein und Alles in Deutſchland daß wir uns nur in Maſſe, nur
im Ganzen bewegen, weil nur im Ganzen Macht gelegen iſt, und weil
es uns um Erwerb von Macht ebenſo ſehr zu thun ſeyn muß wie um
den Beſitz der Freiheit. Die öſtlichen Deutſchen aber ſind in ihren in-
nern Inſtitutionen und in politiſcher Bildung gegen den Weſten zurück:
es iſt nicht weiſe dieſe Diſtanz immer noch zu erweitern dadurch daß
man den Weſten noch weiter vortreibt, ſondern die wahre Politik ver-
langt daß man den Oſten erſt heranzieht. Wenn es gilt das Gros des
Volkes in einerlei Entwicklung zuſammenzuhalten, ſo wird füglicher von
dem leichtfüßigen Vorangeeilten verlangt daß er warte, als von dem
ſchwerfälligen Zurückgebliebenen daß er den andern plötzlich fliegend
überhole. Das aber was hier jetzt im erſten Anlaufe für den Süd-
weſten Deutſchlands errungen iſt, wird im Oſten viele Zeit oder viel
gewaltſamere Stürme verlangen. Harren wir denn dabei aus bis daß
dasſelbe Ziel erreicht iſt; feſtigen wir uns im Beſitz daß für den leidigen
Fall, wenn es dort nicht erreicht werden ſollte, es uns nie wieder von
dort aus gefährdet werden kann.

Mittlerweile gibt es für unſere eifrigen Republicaner auch in dem
monarchiſchen Staat eine große Aufgabe zu erfüllen. Montesquieu hat
den ewig wahren Satz ausgeſprochen daß eine Republik auch nicht ſeyn
kann ohne Bürgertugend, ohne die Nachſetzung des Menſchen hinter den
Bürger. Unſere ganze humaniſtiſch-chriſtliche Bildung iſt in dieſer Be-
ziehung ſo antirepublicaniſch wie nur möglich. Wir beſtehen überall
zehnmal auf Menſchenrechten, bis wir uns einmal bereit zeigen uns
einer Bürgerpflicht zu unterziehen. Einige der größten Forderungen
des Liberalismus, wie völlige Religionsfreiheit, Aufhebung des Mili-
tärs, Freiheit des Unterrichts und dergleichen, zielen, ohne daß man es
weiß oder einſehen will, mehr auf Lockerung als auf Anziehung der
Staats- und Bürgerbande ab. Man iſt zu weit gegangen in dieſem
Kosmopolitismus; die ſocialiſtiſche Bewegung zielte daher in andern
Beziehungen ganz inconſequent in ſich ſelbſt auf eine größere Uebermacht
des Staats- und Allgemeinwohls über den Individualismus ab. Gleiche

*) Aber Heinrich VIII, Karl II, und zuletzt noch Georg IV? — Was auch
Ludwig Philipps politiſche Sünden waren, ſein Familienleben ge-
hörte zu den reinſten die jemals an Höfen dageweſen, und England und
Deutſchland haben nichts beſſeres aufzuweiſen. A. d. Allg. Z.
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[1162/0010] Man hat lange Zeit die Verfaſſung die England in einem vor- ſchlagend ariſtokratiſchen Charakter ausgebildet hat, für die Form der Republik gehalten, wie ſie neuerer Zeit in größeren Staaten, die eine active Rolle in dem europäiſchen Staatenweſen ſpielen wollen, möglich iſt. Noch zur Zeit der franzöſiſchen Revolution war dieß die übliche Weiſe der Anſchauung; ſeit der damals gemachten Probe der Republik in Frankreich, ſeit der nachfolgenden Militärdeſpotie und Verkümmerung der conſtitutionellen Formen iſt ſie außer Brauch gekommen. Treten dieſe in ihre natürliche Geſtalt zurück, und füllen die Menſchen ſie mit dem rechten Geiſt aus, ſo wird dieſe Betrachtungsweiſe wieder mehr hervortreten. Die Erfahrung einer großen Republik iſt ſeit Rom, zu deſſen Zeit das Königthum nur in orientaliſcher, und noch dazu verfal- lener Form exiſtirte, nicht gemacht worden. Die amerikaniſchen Frei- ſtaaten ſind eine Föderation die, umgeben von amerikaniſchen Mon- archien in der Kraft der engliſchen und ruſſiſchen, ganz unmöglich Be- ſtand haben könnte: nur eine gänzliche Unmündigkeit in geſchichtlichen Kenntniſſen könnte dieſen Satz beſtreiten. Frankreichs erſte Republik iſt, trotz ihrer furchtbaren Energie mit der ſie anfänglich auftrat, nur durch einen Dictator erhalten und umgeſtürzt worden. Die Erfahrung ſteht zu machen: ob Frankreich jetzt in der zweiten Probe die Behaup- tung ſeines Montesquieu auf längere Zeit widerlegen wird daß Repu- bliken nur in kleineren Staaten möglich ſeyen. Ehe dieſe Erfahrung gemacht iſt, hüten wir uns, in Deutſchland wenigſtens, das Nicht- erprobte nachahmen zu wollen. Eine föderirte Republik in Deutſchland, im Gedränge zwiſchen dem einheitlichen Frankreich und den koloſſalen Monarchien im Oſten, iſt ein Mißgedanke für einen praktiſchen Staats- ſinn, auf den niemand kommen wird der vor allem das erwachte Be- ſtreben theilt Deutſchland zu einer Macht zu bilden, nicht aber es in dem Moment wo es in dieſem Streben begriffen iſt in eine Unmacht auf- zulöſen. Man kann für die Idee einer deutſchen föderirten Republik ſchwär- men, wenn man ſich aus allen Bedingungen der wirklichen Verhältniſſe herausverſetzt; man kann ſie aber nicht praktiſch wollen, weil zwar einen Staat zu träumen die Sache des Einzelnen, das wirkſame Handeln im Staat aber nur unter Mitwirkung der Vielen möglich iſt. Die Vie- len aber hängen in den germaniſchen Landen an der Monarchie. Die republicaniſchen Männer, die es aus politiſcher Einſicht und Grundſatz ſind, ſind zu zählen; die es aus tiefgreifender Antipathie gegen Mon- archie, Hof und Hofweſen, Ariſtokratismus des Adels und der Bureaux ſind, deren ſind mehr, obwohl im Verhältniß immer nur ſehr wenige. Im Verhältniß nämlich zu den Andersgeſinnten zu Hauſe, ganz beſon- ders aber auch im Verhältniß zu den Gleichgeſinnten in Frankreich. Frage man ſich ehrlich und mit umſichtiger Erwägung der gegenwärtigen und der vergangenen Zuſtände, woher in Frankreich die republicaniſchen Ideen ſo weit im Volk ausgebreitet ſind, und man wird überall auf die zwei Antworten ſtoßen: weil die Beamtenwelt käuflich, und weil die Dynaſtie moraliſch und politiſch faul war. Beide Gründe beruhen auf einem tiefen, ebenſoſehr, vielleicht mehr moraliſchen als politiſchen Gegenſatz der romaniſchen gegen die germaniſchen Stämme. Von jenem Ausbeuten des Amtes, von jenen raſchen und durchgreifenden Amts- wechſeln die zur Nutznießung des kurzen Beſitzes verlocken, von jenem leichtfertigen Grundſatz daß ein Thor ſey wer am Zoll ſitze und nicht reich werde, von jener Beſtechlichkeit im Kleinen, von jenen ſyſtemati- ſchen Defraudationen im Großen die in allen romaniſchen Staaten her- kömmlich ſind, weiß man in England und in allen reiner germaniſchen Staaten nur ausnahmsweiſe: Religioſität, Erziehung, Schule, die Ehrbarkeit im Hauſe, Familienſinn, tauſend Züge unſers öffentlichen und häuslichen Lebens und unſerer Volksanlage und Natur geben unſe- rem Weſen in dieſen Beziehungen eine andere Richtung; wir können viel über kleine Amtstyranneien klagen, aber nicht über den materiellen Mißbrauch der Aemter, von dem noch zuletzt in Frankreich ſo ſcandalöſe Thatſachen zu Tage kamen. Und was die Dynaſtien angeht, ſo ver- gleiche man nur die Regentengeſchichte Frankreichs mit Englands *) um den Unterſchied germaniſcher und romaniſcher Zucht kennen zu lernen, und um plötzlich zu begreifen woher in dem einen Lande dieſe anhäng- liche Pietät, in dem andern zuletzt dieſe frivole Verachtung der herr- ſchenden Familie ſtammt. Welch eine Geſchichte die der Häuſer Bour- bon und Orleans! Wer ſie nur halbwegs kennt, der wird ſich nicht wundern daß dieß zuletzt der Ausgang war, ſondern daß er ſo lange ausbleiben konnte. Aber wo wäre in Deutſchland auch nur das entfernt Aehnliche? Und dabei bedenke man daß wir nicht eine, ſondern einige dreißig — ja vor nicht langer Zeit eine viel unermeßlichere Reihe von Dynaſtien gehabt haben; in dieſer Viel- und Ueberzahl wird man ver- geblich nach einem ſolchen Beiſpiel ſuchen, wie es Frankreich in dem Dualis ſeiner letzten Königsfamilien durch Jahrhunderte an der Spitze des Staates ſah. Kein Wunder denn daß in Deutſchland die Ehe (wie Dahlmann das Verhältniß gern verſinnlicht) zwiſchen Königthum und Volk häuslich und familiär zuſammenwuchs, während ſie ſich in Frank- reich gewaltſam ſchied. Kein Wunder daß ſich dieſes Verhältniß nicht auf das erſte leichtſinnige Vorbild im Auslande hin lockern oder löſen mag. Der Inſtinct der Völker hält ein Maß zwiſchen Urſachen und Wirkungen ein; und es wäre ſehr unnatürlich wenn bei uns geſchehen ſollte was in Frankreich ſeit 1789 geſchah, ohne die Gründe die das in Frankreich Geſchehene hervorgerufen haben. Als ſich Amerika von England republicaniſch losſagte, hielt in England die Monarchie unerſchüttert Stand, und nicht zu Englands Schaden. Sorgen wir daß das bei uns dem republicaniſchen Frankreich gegenüber auch ſo komme. Es ſollte dem enthuſiaſtiſchen Republicaner in Deutſchland einleuchten daß die Republik in Frankreich, wenn ſie ruhigen Beſtand und Gedeihen haben kann, die Anhänger dieſer Staats- form in kurzer Zeit unendlich weit verbreiten wird. Es wird dann mit jedem Jahr leichter werden Völker zu demokratiſiren. Jene Erfahrung abzuwarten ſollte alſo auch dem Eifrigſten ein leichter Entſchluß ſeyn. Zeigt ſich dagegen daß ſich die Republik, der ſich ſchon jetzt ihre Freunde als die gefährlichſten Feinde zu zeigen, ihre Feinde als nur verſtellte Freunde zu verrathen anfangen, nicht halten kann, ſo hätte man uns in Deutſchland mit den ähnlichen Gelüſten nur eine neue Reaction vor- bereitet. Wir brauchen nicht einmal von der förmlichen Abſicht zu reden die auf republicaniſche Ordnungen dringt: wir warnen ſelbſt vor dem ungeſtümen Vordrängen zu extremen Schritten innerhalb der monarchi- ſchen Formen. Wie ſich die Dinge durch die neueſten Bewegungen in Baden, Darmſtadt und Naſſau begründet haben, rathen wir dringend auf dieſer Stufe zu weilen, und das vorläufig Zugeſtandene hier zu feſten Beſitzungen auszubilden in dem Maße daß ſelbſt ein unverhoffter Sturz der franzöſiſchen Republik, daß ſelbſt eine öſterreichiſche Reaction, wenn ſie denkbar wäre, ſie uns nicht mehr verkümmern könnte. Das iſt das Ein und Alles in Deutſchland daß wir uns nur in Maſſe, nur im Ganzen bewegen, weil nur im Ganzen Macht gelegen iſt, und weil es uns um Erwerb von Macht ebenſo ſehr zu thun ſeyn muß wie um den Beſitz der Freiheit. Die öſtlichen Deutſchen aber ſind in ihren in- nern Inſtitutionen und in politiſcher Bildung gegen den Weſten zurück: es iſt nicht weiſe dieſe Diſtanz immer noch zu erweitern dadurch daß man den Weſten noch weiter vortreibt, ſondern die wahre Politik ver- langt daß man den Oſten erſt heranzieht. Wenn es gilt das Gros des Volkes in einerlei Entwicklung zuſammenzuhalten, ſo wird füglicher von dem leichtfüßigen Vorangeeilten verlangt daß er warte, als von dem ſchwerfälligen Zurückgebliebenen daß er den andern plötzlich fliegend überhole. Das aber was hier jetzt im erſten Anlaufe für den Süd- weſten Deutſchlands errungen iſt, wird im Oſten viele Zeit oder viel gewaltſamere Stürme verlangen. Harren wir denn dabei aus bis daß dasſelbe Ziel erreicht iſt; feſtigen wir uns im Beſitz daß für den leidigen Fall, wenn es dort nicht erreicht werden ſollte, es uns nie wieder von dort aus gefährdet werden kann. Mittlerweile gibt es für unſere eifrigen Republicaner auch in dem monarchiſchen Staat eine große Aufgabe zu erfüllen. Montesquieu hat den ewig wahren Satz ausgeſprochen daß eine Republik auch nicht ſeyn kann ohne Bürgertugend, ohne die Nachſetzung des Menſchen hinter den Bürger. Unſere ganze humaniſtiſch-chriſtliche Bildung iſt in dieſer Be- ziehung ſo antirepublicaniſch wie nur möglich. Wir beſtehen überall zehnmal auf Menſchenrechten, bis wir uns einmal bereit zeigen uns einer Bürgerpflicht zu unterziehen. Einige der größten Forderungen des Liberalismus, wie völlige Religionsfreiheit, Aufhebung des Mili- tärs, Freiheit des Unterrichts und dergleichen, zielen, ohne daß man es weiß oder einſehen will, mehr auf Lockerung als auf Anziehung der Staats- und Bürgerbande ab. Man iſt zu weit gegangen in dieſem Kosmopolitismus; die ſocialiſtiſche Bewegung zielte daher in andern Beziehungen ganz inconſequent in ſich ſelbſt auf eine größere Uebermacht des Staats- und Allgemeinwohls über den Individualismus ab. Gleiche *) Aber Heinrich VIII, Karl II, und zuletzt noch Georg IV? — Was auch Ludwig Philipps politiſche Sünden waren, ſein Familienleben ge- hörte zu den reinſten die jemals an Höfen dageweſen, und England und Deutſchland haben nichts beſſeres aufzuweiſen. A. d. Allg. Z.

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 73, 13. März 1848, S. 1162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine73_1848/10>, abgerufen am 24.11.2024.