Allgemeine Zeitung, Nr. 45, 14. Februar 1871.[Spaltenumbruch]
reichische Richtmaß verloren. Diese beiden Fractionen gebärden sich als Man kann nicht läugnen daß das Ministerium Potozki ein sehr Allein wir sehen keine Ursache diesem Cabinet von vornherein unser Gleichwohl dürfte die Verfassungsreform voraussichtlich schon näch- Die englische Thronrede. London, 9 Febr. Das Parlament wurde heute Mittags von der Köni- "Mylords [Spaltenumbruch]
reichiſche Richtmaß verloren. Dieſe beiden Fractionen gebärden ſich als Man kann nicht läugnen daß das Miniſterium Potozki ein ſehr Allein wir ſehen keine Urſache dieſem Cabinet von vornherein unſer Gleichwohl dürfte die Verfaſſungsreform vorausſichtlich ſchon näch- Die engliſche Thronrede. London, 9 Febr. Das Parlament wurde heute Mittags von der Köni- „Mylords <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div type="jComment" n="2"> <p><pb facs="#f0003" n="743"/><cb/> reichiſche Richtmaß verloren. Dieſe beiden Fractionen gebärden ſich als<lb/> ob die Auflöſung Oefterreichs nur eine Zeitfrage wäre.</p><lb/> <p>Man kann nicht läugnen daß das Miniſterium Potozki ein ſehr<lb/> freundliches Andenken in den Herzen aller aufrichtigen öfterreichiſchen<lb/> Patrioten hinterlaſſen wird. Es war verſöhnend und liberal zugleich;<lb/> leider wurde ſeine Verſöhnlichkeit als Schwäche ausgelegt und der Genuß<lb/> der verfaſſungsrechtlichen Freiheit, die es ſorgſam aufrecht hielt, oft zu<lb/> ſtaatsfeindlichen Zwecken mißbraucht. Unter ſolchen Umſtänden bleibt ein<lb/> Miniſterium ſtreng-öſterreichiſcher, conſervirender Natur unbedingt ange-<lb/> zeigt. Jſt das neue Miniſterium Hohenwart im Stande dem von unver-<lb/> ſöhnlichen Parteien eingeleiteten Zerſetzungsproceſſe mit Kraft Einhalt zu<lb/> thun, und mit ſtaatsmänniſcher Weisheit die durch wühleriſche Einflüſſe<lb/> aufgeregten Volksgeiſter Oeſterreichs in patriotiſche Bahnen zurückzulenken,<lb/> ſo wird es den Dank aller aufrichtigen Vaterlandsfreunde verdienen. Jſt<lb/> Selbſterhaltung das höchſte Recht und die erſte Pflicht eines jeden Staates,<lb/> ſo kann es ſich um ein Markten und Feilſchen, um Nebenſächliches und bloße<lb/> Opportunitätsrückſichten nicht handeln. Jedenfalls glauben wir daß auch<lb/> das neue Miniſterium ſeiner Aufgabe gerecht werden kann, ohne an die<lb/> Freiheiten Oeſterreichs zu rühren; im Gegentheil ſind wir überzeugt daß<lb/> dieſe jetzt theilweiſe mißachteten, theilweiſe mißbrauchten Freiheiten bei<lb/> zurückgekehrter Beſinnung der äußerſten Parteien das geeignetſte vereini-<lb/> gende Band für alle gutgeſinnten Oeſterreicher bilden werden. Wir haben<lb/> über das Miniſterium und deſſen Beruf vorläufig mehr eine abſtracte als<lb/> eine poſitive Meinung; denn wir müſſen es erſt thätig im Geſchäfte ſehen um<lb/> beurtheilen zu können ob ſein Actionsplan den Bedürfniſſen der Lage<lb/> vollkommen entſpricht, und ob, ſelbſt wenn dieſem Plan die vollendetſte<lb/> Correctheit zugeſprochen werden müßte, in ſeinem Schooße die nöthigen<lb/> ſtaatsmänniſchen Kräfte vorhanden ſind, um ihn nicht bloß mit unbeug-<lb/> ſamer, ſondern auch mit glücklicher Hand durchzuführen.</p><lb/> <p>Allein wir ſehen keine Urſache dieſem Cabinet von vornherein unſer<lb/> Vertrauen zu verſagen. Der maßgebende Gedanke ein Miniſterium <hi rendition="#g">über</hi><lb/> die Parteien zu ſtellen, iſt unbedingt richtig, denn bei dem Umſtande daß<lb/> die Mehrheit des Abgeordnetenhauſes des Reichsraths im gegenwärtigen<lb/> Augenblick nichts repräſentirt als eine einzige, überdieß in ihren Elemen-<lb/> ten und Zielpunkten nur unvollkommen einige Partei, während zahlreiche<lb/> andere nicht minder gewichtige Parteien theils auf der Schwelle der Reichs-<lb/> rathspforten, theils ſogar außerhalb derſelben ſtehen, war die Bildung<lb/> eines parlamentariſchen Miniſteriums nicht möglich, weil ein ſolches eben<lb/> ein geordnetes, feſtes, reiches Parlamentsleben vorausſetzt. Die Gegner<lb/> des neuen Miniſteriums ſagen: daß es nicht über, ſondern unter und außer<lb/> den Parteien ſtehe. Dieß iſt ein Wortſpiel, und es kommt nur darauf an daß die<lb/> neuen Miniſter den durch das Treiben der Parteien verdunkelten und in den<lb/> Hintergrund gedrängten öſterreichiſchen Staatsgedanken zur Geltung brin-<lb/> gen, um bald thatſächlich eine über die Parteien erhabene Stellung einzu-<lb/> nehmen. Vorläuſig iſt es kein ungünſtiges Zeichen ihrer Geſinnung daß<lb/> ſie mit keiner der vorhandenen, in ihrer Zerſplitterung regierungsunfähi-<lb/> gen Parteien durch bindende Antecedentien verknüpft ſind. Conſervativ-<lb/> öſterreichiſch im guten Sinn des Wortes, ſomit nicht reactionär, ſtellt ſich<lb/> das Miniſterium als ein vorwiegend fachmänniſches dar, und wir geſtehen<lb/> daß dasſelbe, wenn es auf die Pflege ſeiner Reſſorts ſeine volle Sorge<lb/> richten, gedeihliche Reformen in der Adminiſtration, der Juſtiz, der Finan-<lb/> zen und der Volkswirthſchaft anbahnen wird, dem Staat weſentliche, ja<lb/> unſchätzbare Dienſte erweiſen kann. Seit Jahren wird in Oeſterreich nur<lb/> ſo zu ſagen nebenher verwaltet, und faſt gar nicht auf praktiſche Reformen<lb/> Bedacht genommen, während die ſtaatsrechtliche, nationale und politiſche<lb/> Discuſſion jedes Miniſterium nicht bloß aufzehrt, ſondern geradezu auf-<lb/> reibt. Dieſem Uebelſtande muß endlich ein Ziel geſetzt werden. Mit dem<lb/> bloßen Kannegießern und Nadotiren wird der öſterreichiſche Staatswagen<lb/> nie von der Stelle gebracht werden; wir ſind überzeugt daß, wenn einmal<lb/> in den verſchiedenen Verwaltungszweigen tüchtig reformirend zugegriffen<lb/> wird, die Völker ſich dafür dankbarer erweiſen werden als wenn ihre Mini-<lb/> ſter Zeit und Kraft bloß an die ſtaatsrechtlichen und nationalen Probleme<lb/> verſchwenden. Man regiere und adminiſtrire ſo prompt, ſo intelligent als<lb/> möglich, und ſteure namentlich dem Uebel der Corruption, wo immer das-<lb/> ſelbe auftaucht, und die Völker werden nicht bloß eine mäßige Verzögerung<lb/> der obgedachten Probleme leichter verſchmerzen, ſondern die Löſung ſelbſt<lb/> wird natürlicher vor ſich gehen und befriedigender wirken, wenn eine gün-<lb/> ſtige Stimmung ſo zu ſagen vorarbeitet.</p><lb/> <p>Gleichwohl dürfte die Verfaſſungsreform vorausſichtlich ſchon näch-<lb/> ſtens in den Vordergrund der öffentlichen Discuſſion treten. Angedeutet<lb/> iſt bereits daß das Miniſterium eine Erweiterung des Wahlcenſus und<lb/> directe Wahlen aus den betreffenden Gruppen anſtrebt. Da es ſich nach<lb/> dem ausgeſprochenen Wunſche des Monarchen, den alle aufrichtigen Pa-<lb/> trioten theilen, mehr als je darum handelt unabläſſig dahin zu wirken daß<lb/> alle Völker und achtungswerthen Parteien Oeſterreichs endlich unter dem<lb/><cb/> Banner einer gemeinſamen Verfaſſung ſich vereinigen, ſo kann die Verfaſ-<lb/> ſungsreform nur das Product eines dießbezüglichen, möglichſt allgemein ſich<lb/> kundgebenden Strebens ſein, welches plötzlich hervorzuzaubern nicht in der<lb/> Macht der Regierung liegt, ſo ſehr es ihrem Beruf entſpricht dasſelbe in<lb/> die rechten Bahnen zu lenken, wenn es einmal ſpontan ſich geltend macht.<lb/> Eins iſt gewiß, daß dem ſeparatiſtiſchen Föderalismus ebenſowenig nach-<lb/> gegeben werden darf, als unſchwer zu erkennen iſt daß eine ſtarre, jede<lb/> weiſe Reform ausſchließende Verfaſſungsorthodoxie dem öſterreichiſchen<lb/> Staatsgedanken zuwiderläuft. Möglich, erſprießlich, und daher wünſchens-<lb/> werth, erſcheint in dieſer Hinſicht nur ein Gleichgewicht der in freiſinniger<lb/> Richtung geſtärkten Centralgewalt, und der, ſoweit als ſupreme Jntereſſen<lb/> es geſtatten, ausgedehnten Autonomie der Länder und Municipien.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Die engliſche Thronrede.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline><hi rendition="#b">London,</hi> 9 Febr.</dateline><lb/> <p>Das Parlament wurde heute Mittags von der Köni-<lb/> gin in Perſon eröffnet. Folgendes iſt der Wortlaut der Thronrede:</p><lb/> <cit> <quote>„Mylords<lb/> und Meine Herren! In einem Zeitraume von ſo hoher Wichtigkeit für die<lb/> künftigen Schickſale Europa’s wie der gegenwärtige hege Jch ganz beſonders<lb/> den Wunſch Sie zu Rathe zu ziehen. Der Krieg der im Monat Juli zwiſchen<lb/> Deutſchland und Frankreich ausbrach, hat bis in die letzten Tage mit un-<lb/> unterbrochener und beiſpielloſer Heftigkeit gewüthet, und ſeine Verheerun-<lb/> gen müſſen ſich in wenigen Tagen wieder erneuern, wofern nicht Mäßi-<lb/> gung und Vorbedacht über alle Hinderniſſe den Sieg davontragen, und die<lb/> Rathſchläge beider Parteien beherrſchen, deren Wohlfahrt ſo ſchwer betrof-<lb/> fen iſt. Zur Zeit als Sie auseinander giengen, verſprach Jch dem Gegen-<lb/> ſtande der neutralen Pflichten Meine ſtete Aufmerkſamkeit zu widmen, und<lb/> Meine beſten Bemühungen anzuwenden um die Erweiterung des Krieges<lb/> zu verhindern, ſowie bei paſſender Gelegenheit zur Wiederherſtellung eines<lb/> baldigen und ehrenhaften Friedens beizutragen. Jn Uebereinſtimmung<lb/> mit der erſteren Erklärung habe Jch die Rechte der Neutralität gewahrt<lb/> und ſtreng ihre Pflichten erfüllt. Der Bereich des Krieges hat ſich nicht<lb/> über die urſprünglich verwickelten Mächte hinaus ausgedehnt. Jch habe<lb/> die Herzlichkeit Meiner Beziehungen mit jedem von beiden Kriegführenden<lb/> gepflegt, und Mich alles deſſen enthalten was als eine willkürliche und<lb/> ungerechtfertigte Einmiſchung zwiſchen die Parteien hätte ausgelegt wer-<lb/> den können, da keine von beiden Seiten Bereitwilligkeit zeigte Vorſchläge<lb/> zur Einigung zu machen welche Ausſicht auf Annahme bei dem Gegner<lb/> gehabt hätten. Jch war bei mehr als einer Gelegenheit im Stande dazu<lb/> beizutragen daß die Vertreter der ſtreitenden Länder mit einander in ver-<lb/> traulichen Verkehr gebracht wurden; bis jedoch die Hungersnoth die Ueber-<lb/> gabe von Paris erzwang, wurde kein weiteres Ergebniß erzielt. Der<lb/> Waffenſtillſtand, welcher gegenwärtig benutzt wird um eine Verſammlung<lb/> in Frankreich einzuberufen, hat in der unausgeſetzten Häufung von<lb/> menſchlichen Leiden auf beiden Seiten eine Pauſe zu Wege gebracht,<lb/> und hat der Hoffnung auf eine vollſtändige Ausgleichung aufs neue<lb/> Nahrung gegeben. Jch bete daß dieſe Waffenruhe in einen Frieden<lb/> auslaufen möge der für die beiden großen und tapfern Nationen<lb/> verträglich ſein wird mit Sicherheit und Ehre, und dadurch Ausſicht<lb/> auf die Billigung Europa’s und gegründete Hoffnung auf längere Dauer<lb/> gewährt. Es hat Mir Sorge (<hi rendition="#aq">concern</hi>) gemacht daß Jch Mich nicht in der<lb/> Lage befand Meinen Botſchafter in förmlicher Weiſe bei der National-<lb/> vertheidigungsregierung, die ſeit der Septemberrevolution in Frankreich<lb/> beſtand, zu beglaubigen, indeſſen iſt weder die Harmonie noch die Wirkſam-<lb/> keit der Correſpondenz der beiden Staaten im geringſten dadurch beein-<lb/> trächtigt worden. Der König von Preußen hat den Titel als Kaiſer von<lb/> Deutſchland auf Veranlaſſung der oberſten Behörden der Nation ange-<lb/> nommen. Jch habe ihm Meine Glückwünſche zu einem Ereigniß darge-<lb/> bracht welches Zeugniß ablegt von der innern Feſtigkeit und der Unab-<lb/> hängigkeit Deutſchlands, und welches, wie Jch hoffe, das ſeinige mit bei-<lb/> tragen wird zu der Stetigkeit des europäiſchen Syſtems. Jch habe Mich<lb/> bemüht im Einvernehmen mit anderen europäiſchen Mächten die Unver-<lb/> letzlichkeit von Verträgen aufrechtzuerhalten und etwaige Mißverſtändniſſe<lb/> über die bindende Kraft ihrer Beſtimmungen zu heben. Es wurde von<lb/> den Mächten welche bei dem Vertrage von 1856 betheiligt waren, verein-<lb/> bart daß eine Conferenz in London zuſammentreten ſollte. Dieſe Conferenz<lb/> iſt nun ſeit einiger Zeit mit ihren Arbeiten beſchäftigt, und Jch rechne zu-<lb/> verſichtlich darauf daß das Ergebniß ihrer Berathungen die Aufrechterhal-<lb/> tung der Grundſätze des Staatsrechts ſowohl als der allgemeinen Politik<lb/> des Vertrags ſein wird, und daß gleichzeitig in der Reviſion einzelner<lb/> Beſtimmungen des letzteren in billiger und verſöhnlicher Weiſe ein herz-<lb/> liches Zuſammenwirken unter den Mächten bezüglich der Levante an den<lb/> Tag treten wird. Jch bedaure ſehr daß Meine ernſten Bemühungen nicht<lb/> im Stande waren die Gegenwart eines franzöſiſchen Vertreters bei der<lb/> Conferenz zu erreichen, da Frankreich einer von den Haupttheilhabern bei<lb/> dem Vertrage von 1856 war und ſtets als ein unentbehrliches Hauptmit-<lb/> glied des großen Gemeinweſens von Europa angeſehen werden muß.<lb/> Zu verſchiedenen Zeiten ſind verſchiedene Fragen von Wichtigkeit aufgetre-<lb/> ten, welche noch unerledigt ſind und weſentlich die Beziehungen zwiſchen den<lb/> Vereinigten Staaten und den Gebieten wie der Bevölkerung von Brittiſch-<lb/> Nordamerika betreffen. Eine davon beſonders, welche die Fiſchereien an-<lb/> geht, erfordert eine baldige Erledigung, damit nicht möglicherweiſe die Un-<lb/> klugheit von Jndividuen das nachbarliche Einvernehmen, deſſen Pflege und<lb/></quote> </cit> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [743/0003]
reichiſche Richtmaß verloren. Dieſe beiden Fractionen gebärden ſich als
ob die Auflöſung Oefterreichs nur eine Zeitfrage wäre.
Man kann nicht läugnen daß das Miniſterium Potozki ein ſehr
freundliches Andenken in den Herzen aller aufrichtigen öfterreichiſchen
Patrioten hinterlaſſen wird. Es war verſöhnend und liberal zugleich;
leider wurde ſeine Verſöhnlichkeit als Schwäche ausgelegt und der Genuß
der verfaſſungsrechtlichen Freiheit, die es ſorgſam aufrecht hielt, oft zu
ſtaatsfeindlichen Zwecken mißbraucht. Unter ſolchen Umſtänden bleibt ein
Miniſterium ſtreng-öſterreichiſcher, conſervirender Natur unbedingt ange-
zeigt. Jſt das neue Miniſterium Hohenwart im Stande dem von unver-
ſöhnlichen Parteien eingeleiteten Zerſetzungsproceſſe mit Kraft Einhalt zu
thun, und mit ſtaatsmänniſcher Weisheit die durch wühleriſche Einflüſſe
aufgeregten Volksgeiſter Oeſterreichs in patriotiſche Bahnen zurückzulenken,
ſo wird es den Dank aller aufrichtigen Vaterlandsfreunde verdienen. Jſt
Selbſterhaltung das höchſte Recht und die erſte Pflicht eines jeden Staates,
ſo kann es ſich um ein Markten und Feilſchen, um Nebenſächliches und bloße
Opportunitätsrückſichten nicht handeln. Jedenfalls glauben wir daß auch
das neue Miniſterium ſeiner Aufgabe gerecht werden kann, ohne an die
Freiheiten Oeſterreichs zu rühren; im Gegentheil ſind wir überzeugt daß
dieſe jetzt theilweiſe mißachteten, theilweiſe mißbrauchten Freiheiten bei
zurückgekehrter Beſinnung der äußerſten Parteien das geeignetſte vereini-
gende Band für alle gutgeſinnten Oeſterreicher bilden werden. Wir haben
über das Miniſterium und deſſen Beruf vorläufig mehr eine abſtracte als
eine poſitive Meinung; denn wir müſſen es erſt thätig im Geſchäfte ſehen um
beurtheilen zu können ob ſein Actionsplan den Bedürfniſſen der Lage
vollkommen entſpricht, und ob, ſelbſt wenn dieſem Plan die vollendetſte
Correctheit zugeſprochen werden müßte, in ſeinem Schooße die nöthigen
ſtaatsmänniſchen Kräfte vorhanden ſind, um ihn nicht bloß mit unbeug-
ſamer, ſondern auch mit glücklicher Hand durchzuführen.
Allein wir ſehen keine Urſache dieſem Cabinet von vornherein unſer
Vertrauen zu verſagen. Der maßgebende Gedanke ein Miniſterium über
die Parteien zu ſtellen, iſt unbedingt richtig, denn bei dem Umſtande daß
die Mehrheit des Abgeordnetenhauſes des Reichsraths im gegenwärtigen
Augenblick nichts repräſentirt als eine einzige, überdieß in ihren Elemen-
ten und Zielpunkten nur unvollkommen einige Partei, während zahlreiche
andere nicht minder gewichtige Parteien theils auf der Schwelle der Reichs-
rathspforten, theils ſogar außerhalb derſelben ſtehen, war die Bildung
eines parlamentariſchen Miniſteriums nicht möglich, weil ein ſolches eben
ein geordnetes, feſtes, reiches Parlamentsleben vorausſetzt. Die Gegner
des neuen Miniſteriums ſagen: daß es nicht über, ſondern unter und außer
den Parteien ſtehe. Dieß iſt ein Wortſpiel, und es kommt nur darauf an daß die
neuen Miniſter den durch das Treiben der Parteien verdunkelten und in den
Hintergrund gedrängten öſterreichiſchen Staatsgedanken zur Geltung brin-
gen, um bald thatſächlich eine über die Parteien erhabene Stellung einzu-
nehmen. Vorläuſig iſt es kein ungünſtiges Zeichen ihrer Geſinnung daß
ſie mit keiner der vorhandenen, in ihrer Zerſplitterung regierungsunfähi-
gen Parteien durch bindende Antecedentien verknüpft ſind. Conſervativ-
öſterreichiſch im guten Sinn des Wortes, ſomit nicht reactionär, ſtellt ſich
das Miniſterium als ein vorwiegend fachmänniſches dar, und wir geſtehen
daß dasſelbe, wenn es auf die Pflege ſeiner Reſſorts ſeine volle Sorge
richten, gedeihliche Reformen in der Adminiſtration, der Juſtiz, der Finan-
zen und der Volkswirthſchaft anbahnen wird, dem Staat weſentliche, ja
unſchätzbare Dienſte erweiſen kann. Seit Jahren wird in Oeſterreich nur
ſo zu ſagen nebenher verwaltet, und faſt gar nicht auf praktiſche Reformen
Bedacht genommen, während die ſtaatsrechtliche, nationale und politiſche
Discuſſion jedes Miniſterium nicht bloß aufzehrt, ſondern geradezu auf-
reibt. Dieſem Uebelſtande muß endlich ein Ziel geſetzt werden. Mit dem
bloßen Kannegießern und Nadotiren wird der öſterreichiſche Staatswagen
nie von der Stelle gebracht werden; wir ſind überzeugt daß, wenn einmal
in den verſchiedenen Verwaltungszweigen tüchtig reformirend zugegriffen
wird, die Völker ſich dafür dankbarer erweiſen werden als wenn ihre Mini-
ſter Zeit und Kraft bloß an die ſtaatsrechtlichen und nationalen Probleme
verſchwenden. Man regiere und adminiſtrire ſo prompt, ſo intelligent als
möglich, und ſteure namentlich dem Uebel der Corruption, wo immer das-
ſelbe auftaucht, und die Völker werden nicht bloß eine mäßige Verzögerung
der obgedachten Probleme leichter verſchmerzen, ſondern die Löſung ſelbſt
wird natürlicher vor ſich gehen und befriedigender wirken, wenn eine gün-
ſtige Stimmung ſo zu ſagen vorarbeitet.
Gleichwohl dürfte die Verfaſſungsreform vorausſichtlich ſchon näch-
ſtens in den Vordergrund der öffentlichen Discuſſion treten. Angedeutet
iſt bereits daß das Miniſterium eine Erweiterung des Wahlcenſus und
directe Wahlen aus den betreffenden Gruppen anſtrebt. Da es ſich nach
dem ausgeſprochenen Wunſche des Monarchen, den alle aufrichtigen Pa-
trioten theilen, mehr als je darum handelt unabläſſig dahin zu wirken daß
alle Völker und achtungswerthen Parteien Oeſterreichs endlich unter dem
Banner einer gemeinſamen Verfaſſung ſich vereinigen, ſo kann die Verfaſ-
ſungsreform nur das Product eines dießbezüglichen, möglichſt allgemein ſich
kundgebenden Strebens ſein, welches plötzlich hervorzuzaubern nicht in der
Macht der Regierung liegt, ſo ſehr es ihrem Beruf entſpricht dasſelbe in
die rechten Bahnen zu lenken, wenn es einmal ſpontan ſich geltend macht.
Eins iſt gewiß, daß dem ſeparatiſtiſchen Föderalismus ebenſowenig nach-
gegeben werden darf, als unſchwer zu erkennen iſt daß eine ſtarre, jede
weiſe Reform ausſchließende Verfaſſungsorthodoxie dem öſterreichiſchen
Staatsgedanken zuwiderläuft. Möglich, erſprießlich, und daher wünſchens-
werth, erſcheint in dieſer Hinſicht nur ein Gleichgewicht der in freiſinniger
Richtung geſtärkten Centralgewalt, und der, ſoweit als ſupreme Jntereſſen
es geſtatten, ausgedehnten Autonomie der Länder und Municipien.
Die engliſche Thronrede.
London, 9 Febr.
Das Parlament wurde heute Mittags von der Köni-
gin in Perſon eröffnet. Folgendes iſt der Wortlaut der Thronrede:
„Mylords
und Meine Herren! In einem Zeitraume von ſo hoher Wichtigkeit für die
künftigen Schickſale Europa’s wie der gegenwärtige hege Jch ganz beſonders
den Wunſch Sie zu Rathe zu ziehen. Der Krieg der im Monat Juli zwiſchen
Deutſchland und Frankreich ausbrach, hat bis in die letzten Tage mit un-
unterbrochener und beiſpielloſer Heftigkeit gewüthet, und ſeine Verheerun-
gen müſſen ſich in wenigen Tagen wieder erneuern, wofern nicht Mäßi-
gung und Vorbedacht über alle Hinderniſſe den Sieg davontragen, und die
Rathſchläge beider Parteien beherrſchen, deren Wohlfahrt ſo ſchwer betrof-
fen iſt. Zur Zeit als Sie auseinander giengen, verſprach Jch dem Gegen-
ſtande der neutralen Pflichten Meine ſtete Aufmerkſamkeit zu widmen, und
Meine beſten Bemühungen anzuwenden um die Erweiterung des Krieges
zu verhindern, ſowie bei paſſender Gelegenheit zur Wiederherſtellung eines
baldigen und ehrenhaften Friedens beizutragen. Jn Uebereinſtimmung
mit der erſteren Erklärung habe Jch die Rechte der Neutralität gewahrt
und ſtreng ihre Pflichten erfüllt. Der Bereich des Krieges hat ſich nicht
über die urſprünglich verwickelten Mächte hinaus ausgedehnt. Jch habe
die Herzlichkeit Meiner Beziehungen mit jedem von beiden Kriegführenden
gepflegt, und Mich alles deſſen enthalten was als eine willkürliche und
ungerechtfertigte Einmiſchung zwiſchen die Parteien hätte ausgelegt wer-
den können, da keine von beiden Seiten Bereitwilligkeit zeigte Vorſchläge
zur Einigung zu machen welche Ausſicht auf Annahme bei dem Gegner
gehabt hätten. Jch war bei mehr als einer Gelegenheit im Stande dazu
beizutragen daß die Vertreter der ſtreitenden Länder mit einander in ver-
traulichen Verkehr gebracht wurden; bis jedoch die Hungersnoth die Ueber-
gabe von Paris erzwang, wurde kein weiteres Ergebniß erzielt. Der
Waffenſtillſtand, welcher gegenwärtig benutzt wird um eine Verſammlung
in Frankreich einzuberufen, hat in der unausgeſetzten Häufung von
menſchlichen Leiden auf beiden Seiten eine Pauſe zu Wege gebracht,
und hat der Hoffnung auf eine vollſtändige Ausgleichung aufs neue
Nahrung gegeben. Jch bete daß dieſe Waffenruhe in einen Frieden
auslaufen möge der für die beiden großen und tapfern Nationen
verträglich ſein wird mit Sicherheit und Ehre, und dadurch Ausſicht
auf die Billigung Europa’s und gegründete Hoffnung auf längere Dauer
gewährt. Es hat Mir Sorge (concern) gemacht daß Jch Mich nicht in der
Lage befand Meinen Botſchafter in förmlicher Weiſe bei der National-
vertheidigungsregierung, die ſeit der Septemberrevolution in Frankreich
beſtand, zu beglaubigen, indeſſen iſt weder die Harmonie noch die Wirkſam-
keit der Correſpondenz der beiden Staaten im geringſten dadurch beein-
trächtigt worden. Der König von Preußen hat den Titel als Kaiſer von
Deutſchland auf Veranlaſſung der oberſten Behörden der Nation ange-
nommen. Jch habe ihm Meine Glückwünſche zu einem Ereigniß darge-
bracht welches Zeugniß ablegt von der innern Feſtigkeit und der Unab-
hängigkeit Deutſchlands, und welches, wie Jch hoffe, das ſeinige mit bei-
tragen wird zu der Stetigkeit des europäiſchen Syſtems. Jch habe Mich
bemüht im Einvernehmen mit anderen europäiſchen Mächten die Unver-
letzlichkeit von Verträgen aufrechtzuerhalten und etwaige Mißverſtändniſſe
über die bindende Kraft ihrer Beſtimmungen zu heben. Es wurde von
den Mächten welche bei dem Vertrage von 1856 betheiligt waren, verein-
bart daß eine Conferenz in London zuſammentreten ſollte. Dieſe Conferenz
iſt nun ſeit einiger Zeit mit ihren Arbeiten beſchäftigt, und Jch rechne zu-
verſichtlich darauf daß das Ergebniß ihrer Berathungen die Aufrechterhal-
tung der Grundſätze des Staatsrechts ſowohl als der allgemeinen Politik
des Vertrags ſein wird, und daß gleichzeitig in der Reviſion einzelner
Beſtimmungen des letzteren in billiger und verſöhnlicher Weiſe ein herz-
liches Zuſammenwirken unter den Mächten bezüglich der Levante an den
Tag treten wird. Jch bedaure ſehr daß Meine ernſten Bemühungen nicht
im Stande waren die Gegenwart eines franzöſiſchen Vertreters bei der
Conferenz zu erreichen, da Frankreich einer von den Haupttheilhabern bei
dem Vertrage von 1856 war und ſtets als ein unentbehrliches Hauptmit-
glied des großen Gemeinweſens von Europa angeſehen werden muß.
Zu verſchiedenen Zeiten ſind verſchiedene Fragen von Wichtigkeit aufgetre-
ten, welche noch unerledigt ſind und weſentlich die Beziehungen zwiſchen den
Vereinigten Staaten und den Gebieten wie der Bevölkerung von Brittiſch-
Nordamerika betreffen. Eine davon beſonders, welche die Fiſchereien an-
geht, erfordert eine baldige Erledigung, damit nicht möglicherweiſe die Un-
klugheit von Jndividuen das nachbarliche Einvernehmen, deſſen Pflege und
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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