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Allgemeine Zeitung, Nr. 45, 14. Februar 1871.

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[Spaltenumbruch] und strecken behaglich die müden Glieder in den weichen Betten aus. Was ein gutes
Lager ist, lernt man ja erst dann kennen wenn man es entbehren muß. Und wie lang
hatten es die armen Leute entbehrt! Nach dem langen Transport machte sich die
Müdigkeit so geltend, daß der gewünschte Kaffee kaum mit offenen Augen mehr
geschlürft wurde, und der wohlthuende Schlaf fast über alle kam und den erschöpf-
ten Mann auf einige Stunden die schmerzende Wunde vergessen ließ. Der
helle Morgen erst weckte freilich nicht nur den gestärkten Körper, sondern leider
zugleich die volle Empfindung des Erlittenen. Der erste Wunsch der meisten
ist eine Schüssel frischen Waschwassers; Seife, Bürsten und Kämme begrüßen
sie als eine lang entbehrte Wohlthat. Solche Toilettengegenstände, die wir den
Soldaten als ihr Privateigenthum zubrachten, waren ihnen stets sehr willkom
mene Geschenke. Bald darauf begann der ärztliche Besuch, der zwar manches
Weh und Ach hervorrief, aber täglich von den Leidenden herbeigewünscht wurde.
Wir staunten zu sehen was der geschickte Arzt vermag; wie er es mit bewun-
derungswürdiger Geduld, mit Ausdauer versteht durch geschickte Lagerung der
kranken Glieder die Schmerzen zu lindern, wie er unverdrossen die Spreuerkissen
aller Dimensionen wieder und wieder aufbaut, bis der Kranke selbst erklärt:
"Nun ist es gut." Was der Arzt durch persönlichen Einfluß erlangt, wurde
uns täglich klar. War er zugegen, vergaßen viele ihre Schmerzen. Jn den
schweren Stunden wo der Verwundete zwischen wahrscheinlichem Tod und der
Trennung eines Gliedes schwankt, brachte freundliches und ernstes Zureden
unseres Arztes fast stets raschen Entschluß hervor. Mit dankbarer Verehrung
hieng und hängt noch unser ganzes Lazareth an ihm. Ein wahres Bedürfniß
ist jedem Krieger die ganze Geschichte seiner Verwundung mitzutheilen, wer im
Lazareth Zeit dazu findet ihm mit Jnteresse zuzuhören, gewinnt leicht sein Ver-
trauen und seine Zuneigung. Dieses Vertrauen drängt ihn von den Seinigen,
von der Heimath zu sprechen und dahin von sich zu berichten. Jst er der
Schreibkunst nicht mächtig oder hindert ihn seine Wunde es selbst zu thun, so
wird der unter seiner Leitung verfertigte Brief das erste Glied zu einer langen
Kette von Beziehungen die sich weit über die Zeit des Zusammenlebens er-
streckt. "Liebe Frau, ich ergreife die Feder um Dir etc.," so mußte ich den ersten
Brief mit fremder Unterschrift beginnen. Mußte ich auch wohl manchesmal
ein Lächeln unterdrücken, wenn ich so die fremde Feder führte, so erfüllte mich
noch öfter die Klarheit und die inhaltsreiche Ausdrucksweise dieser oft nur dürftig
gebildeten Leute aus dem Volke mit Bewunderung. Unter unsern verwundeten
Franzosen waren gar viele die nicht schreiben konnten, und für sie waren die
Briefe oft schwer abzufassen, da sie stets sagten: "Vous mettrez ce que vous
voudrez.
" Bei ihnen erweckte die freundliche Behandlung die ihnen zutheil
wurde stets neues Erstaunen, da sie sich von den "Prussiens" (für sie gibt es
keine Deutschen) eine ganz andere Vorstellung gemacht hatten. So fragte mich
ein junger Mann aus dem Finistere mit gedämpfter Stimme: "Mademoi-
selle, est-ce bien vrai que les Prussiens sont reellemeut plus betes
que nous?
" Das naive Vertrauen, das einem Feind erlaubte sich mit diesen
Worten an eine aufrichtige Deutsche zu wenden, war mir ein freudiger Beweis
für die gewissenhaft Befolgung der Genfer Convention, die im Verwundeten
Freund und Feind nicht unterscheidet. Ein anderer Franzose, den eine Kugel
der Stimme beraubt, schrieb mir unter einen langen dankerfüllten Zettel:
"R... n'a pas la parole, mais il a la pensee." Welche ergreifende Bered-
famkeit liegt nicht in den wenigen Worten! Durch brieflichen Verkehr für die
Verwundeten ließen uns oft ihre Angehörigen versichern daß sie reichlich das
was wir an den Jhrigen thaten an den Unsrigen vergelten die in ihre Hände ge-
fallen. Wer nicht im Lazareth gelebt hat, kann nicht glauben daß man
darin ein fast fröhliches Dasein führen kann. Leider war das für viele,
viele nicht möglich, die trotz der besten Pflege täglich schwächer und elen-
der wurden; aber, Gott sei Dank, es waren ihrer noch viel mehr die
täglich kräftiger und gesünder wurden, und die mit frohem Muth und
Freudigkeit das neu geschenkte Leben genossen. Wo Hunderte von jun-
gen Leuten beisammen sind, kann es nicht trübe werden, besonders wenn
jeder Tag von ihren Waffenbrüdern schwere, aber doch glücklich erfochtene Siege
bringt. Wie oft erschallten in den letzten Monaten in unsern Vretterhallen
laute Siegeshurrahs! Auch Vaterlandslieder klangen fröhlich darein und ließen
auf kurze Zeit manchen Schmerz vergessen. Aufsallend war uns der Wider-
wille welchen die Franzosen gegen das Hurrah zeigten; weniger, wie sie selbst
sagten, über die Freudenäußerung, als über den Ruf selbst, der sie so lebhast
an die Stunde erinnerte wo sie vom Feinde mit demselben Feldgeschrei an-
gegriffen und geschlagen wurden. Jede Veranlassung wurde von unsern Aerzten
und von unserer Lazarethcommission gern ergriffen um den Kranken einige ange-
nehme Stunden zu bereiten; so wurde z. B. das Erhalten des Eisernen Kreuzes
stets für den ganzen Saal in welchem sich der Decorirte befand ein kleines Fest.
Feierlich wurde das ersehnte Abzeichen überreicht, und dem neuen Ritter mit einem
Glas guten Weines, von allen die zugegen waren, ein donnerndes Hoch gebracht.
Sogar Geburtstage wurden nicht übergangen und schmückten manches Bett mit
frischen Blumen. Die Liebesgaben die wir fast täglich von Stadt und Land
erhielten, trugen nicht wenig dazu bei angenehme Abwechselung zu bringen.
Schade daß die Geber es nicht sehen konnten wie sich die bärtigen Männer oft
kindisch über den Kuchen oder über das schöne Obst freuten; der Kranke findet
an solchen kleinen Aufmerksamkeiten ein unerwartetes Wohlgefallen, das uns
stets mit neuer Dankbarkeit für diejenigen erfüllte die uns so halfen eine fröh-
liche Stimmung unter unsere Soldaten zu bringen. Sehnsüchtig wünschten die-
selben die Zeit der Entlassung aus dem Lazareth herbei, die Zeit die sie, wenn
nicht zu den ihrigen, so doch ihnen näher bringen sollte, und dennoch wurde
allen der Abschied schwer. Noch heute beweisen ihre Briefe daß sie die im
Mannheimer Lazareth verlebten Tage nicht bloß als eine Schmerzenszeit in der
[Spaltenumbruch] Erinnerung haben. Es möge dieß für alle welche auf die eine oder die andere
Weise beitrugen die armen Leute zu erquicken eine wahre Befriedigung sein,
und es mußte wohl auch den schweren Steinen welche von manchen gegen die
freiwilligen Pfleger und Pflegerinnen geschleudert worden sind ihr Gewicht
nehmen."

* Grabstellen auf dem Kriegsschauplatz.

Der königliche Com-
missär und Militär-Jnspector der freiwilligen Krankenpflege, Fürst Pleß, hat
an sämmtliche Delegirte auf dem Kriegsschauplatz folgendes Schreiben ge-
richtet: "Versailles, 11 Jan. 1871. Die Erfahrung daß den Grabstellen der
auf dem Kriegsschauplatz verstorbenen und begrabenen deutschen Militärs nicht
immer diejenige Aufmerksamkeit zugewendet wird welche erforderlich ist um in
der Folge dieselben leicht ermitteln und aufsuchen zu können, veranlaßt mich die
HH. Delegirten ergebenst zu ersuchen im Jnteresse der Angehörigen, und
in schuldiger Pietät gegen die Verstorbenen, selbst gefälligst ihrerseits, so viel
sich ihnen Gelegenheit bietet, den Grabstellen der Verstorbenen auf dem Kriegs-
schauplatz ihre Aufmerksamkeit in der Richtung zuzuwenden daß zur Vermei-
dung von Verdunkelungen eine genaue Kennzeichnung der einzelnen Grabstellen
in geeigneter Weise stattfindet. Zugleich ersuche ich über die beerdigten Mili-
tärs eine Liste und zwar in duplo zu führen, in welcher nicht nur der Name
des Verstorbenen, der Truppentheil bei dem er gestanden, der Ort und das
Lazareth in welchem er verstorben, zu verzeichnen, sondern auch die Grabstelle
desselben genau zu beschreiben ist. Das eine Exemplar einer solchen Liste ist
nach Beendigung des Feldzuges, beziehungsweise schon früher, sobald die Dele-
gation der freiwilligen Krankenpflege an dem betreffenden Ort ihr Ende erreicht
oder aufgelöst wird, an mich einzureichen, das andere Exemplar aber auf der
Mairie des Orts mit dem Ansuchen niederzulegen den Grabstellen den möglich-
sten Schutz angedeihen zu lassen und sie vor Zerstörung zu bewahren. Jch
darf erwarten daß es nur dieser wenigen Andeutungen bedarf um das volle
Jnteresse der HH. Delegirten auf diese für die Angehörigen der Verstorbenen
so wichtige Angelegenheit hinzulenken."

Wie uns aus Jena berichtet wird, brachte am 4 Febr.
Abends die dortige Studentenschaft zweien ihrer berühmtesten Lehrer einen
solennen Fackelzug. Kuno Fischer, der Geschichtschreiber der Philosophie,
und Ernst Häckel, der Zoologe, hatten nämlich beide fast gleichzeitig einen
Ruf an die Universität Wien bekommen, aber beide denselben abgelehnt, Dank
den rechtzeitigen Bemühungen der Landesregierung, die alles aufbot der Uni-
versität diese beiden vorzüglichen Stützen zu erhalten. Die Studentenschaft
fühlte sich daher gedrungen ihrer Freude über die günstige Entschließung der
Berufenen und ihrem Danke dafür einen öffentlichen und feierlichen Ausdruck
zu geben, denn sie weiß wohl was sie an diesen beiden Lehrern verloren hätte;
üben doch beide, wie verschieden immer ihre Standpunkte sein mögen, gerade
dadurch einen sehr fruchtbringenden und anregenden Einfluß auf die Bildung
der akademischen Jugend aus, daß in den Vorträgen des einen die Entwicklung
des geistigen, in den Vorträgen des andern die Entwicklung des organischen
Lebens das durchgängige Hauptthema bildet. Daher erstreckt sich der Einfluß
dieser beiden Lehrer weit über ihr specielles Fach hinaus und wird zum treiben-
den Ferment auch in andern Zweigen der Wissenschaft. Nicht bloß in den
Zeiten des Friedens und der Ruhe, sondern selbst in der für die Universität so
ungünstigen Zeit des laufenden Halbjahrs, hat sich dieser Einfluß, dessen äußeres
Merkmal die Zahl der Zuhörer ist, glänzend bewährt. Kuno Fischer ist bereits
seit 15 Jahren gewohnt in Jena das größte Auditorium zu haben. Auch im
letzten Semester war kaum eine Abnahme desselben zu bemerken. Um so mehr
gereicht es uns zur Befriedigung die Gefahr jene beiden Lehrer zu verlieren,
welche bei Fischer schon zu verschiedenenmalen der Universität gedroht hat, ab-
gewendet zu sehen; um so mehr wünschen wir von Herzen daß es auch fernerhin
gelingen möge beide in ihrem bisherigen Wirkungskreise festzuhalten, würde
doch ihr Fortgang von Jena ein ebenso großer Verlust für die dortige Univer-
sität sein als er für jede andere ein glänzender Gewinn wäre.



Jndustrie, Handel und Verkehr.

Ueber die finanziellen Verhältnisse in Paris bemerkt ein von dort
nach Berlin gelangtes Schreiben u. a. folgendes: "Vorläufig ist die finanzielle
Lage in Paris eine trostlos chaotische, und von einem eigentlichen finanziellen Ver-
kehr kann noch gar nicht die Rede sein. Es gibt in Paris große Baukhäuser die
über ihre Zahlungsfähigkeit vollkommen in Unkenntniß sind, denn es läßt sich auch
noch nicht im entserntesten berechnen welche Schuldner zahlen werden und können,
und welche nicht. Selbst Hypothekarschulden erscheinen nicht gesichert, denn Hun-
derte von Realitäten und Gebäuden welche als Pfand dienen sollen sind ruinirt;
die dem Hypothekargeschäft gewidmeten Gesellschaften sind sogar schlimmer daran
als die andern, weil ihr Capital meist ein sehr großes ist. Jhnen zonächst leiden
die Affecuranzgesellschaften am meisten, und denselben drohen unzählige Processe,
denn selbst die Clauseln die manche bezüglich der Eventualität eines Kriegs in
ihren Statuten haben, reichen in hundert Fällen nicht aus um die Gesellschaften
zu schützen. Der Credit ist im allgemeinen, und sogar jener der Bankgesellschaften,
erschüttert. Die Societe generale gilt als sehr gefährdet. Zweimal ist diese Ge-
sellschaft unter dem bonapartischen Regime auf Befehl des Kaisers gestützt worden.
Bon welcher Seite soll ihr jetzt Sucenrs kommen? Wie es um die Eisenbahnen
steht, die ein halbes Jahr keine Fracht hatten, deren Kunstbauten zerstört sind, und
die den größten Theil ihrer Betriebsmittel verloren haben, läßt sich denken. Bei
alledem mißt man den Gerüchten die über die Höhe der Kriegsentschädigung der-
breitet sind keinen Glauben bei, und doch wird sich der Reutencurs zunächst nach
dieser Ziffer zu richten haben. Alles in allem genommen bietet die Finanzlage
von und in Paris ein Bild namenlosen Jammers."

[Spaltenumbruch] und ſtrecken behaglich die müden Glieder in den weichen Betten aus. Was ein gutes
Lager iſt, lernt man ja erſt dann kennen wenn man es entbehren muß. Und wie lang
hatten es die armen Leute entbehrt! Nach dem langen Transport machte ſich die
Müdigkeit ſo geltend, daß der gewünſchte Kaffee kaum mit offenen Augen mehr
geſchlürft wurde, und der wohlthuende Schlaf faſt über alle kam und den erſchöpf-
ten Mann auf einige Stunden die ſchmerzende Wunde vergeſſen ließ. Der
helle Morgen erſt weckte freilich nicht nur den geſtärkten Körper, ſondern leider
zugleich die volle Empfindung des Erlittenen. Der erſte Wunſch der meiſten
iſt eine Schüſſel friſchen Waſchwaſſers; Seife, Bürſten und Kämme begrüßen
ſie als eine lang entbehrte Wohlthat. Solche Toilettengegenſtände, die wir den
Soldaten als ihr Privateigenthum zubrachten, waren ihnen ſtets ſehr willkom
mene Geſchenke. Bald darauf begann der ärztliche Beſuch, der zwar manches
Weh und Ach hervorrief, aber täglich von den Leidenden herbeigewünſcht wurde.
Wir ſtaunten zu ſehen was der geſchickte Arzt vermag; wie er es mit bewun-
derungswürdiger Geduld, mit Ausdauer verſteht durch geſchickte Lagerung der
kranken Glieder die Schmerzen zu lindern, wie er unverdroſſen die Spreuerkiſſen
aller Dimenſionen wieder und wieder aufbaut, bis der Kranke ſelbſt erklärt:
„Nun iſt es gut.“ Was der Arzt durch perſönlichen Einfluß erlangt, wurde
uns täglich klar. War er zugegen, vergaßen viele ihre Schmerzen. Jn den
ſchweren Stunden wo der Verwundete zwiſchen wahrſcheinlichem Tod und der
Trennung eines Gliedes ſchwankt, brachte freundliches und ernſtes Zureden
unſeres Arztes faſt ſtets raſchen Entſchluß hervor. Mit dankbarer Verehrung
hieng und hängt noch unſer ganzes Lazareth an ihm. Ein wahres Bedürfniß
iſt jedem Krieger die ganze Geſchichte ſeiner Verwundung mitzutheilen, wer im
Lazareth Zeit dazu findet ihm mit Jntereſſe zuzuhören, gewinnt leicht ſein Ver-
trauen und ſeine Zuneigung. Dieſes Vertrauen drängt ihn von den Seinigen,
von der Heimath zu ſprechen und dahin von ſich zu berichten. Jſt er der
Schreibkunſt nicht mächtig oder hindert ihn ſeine Wunde es ſelbſt zu thun, ſo
wird der unter ſeiner Leitung verfertigte Brief das erſte Glied zu einer langen
Kette von Beziehungen die ſich weit über die Zeit des Zuſammenlebens er-
ſtreckt. „Liebe Frau, ich ergreife die Feder um Dir ꝛc.,“ ſo mußte ich den erſten
Brief mit fremder Unterſchrift beginnen. Mußte ich auch wohl manchesmal
ein Lächeln unterdrücken, wenn ich ſo die fremde Feder führte, ſo erfüllte mich
noch öfter die Klarheit und die inhaltsreiche Ausdrucksweiſe dieſer oft nur dürftig
gebildeten Leute aus dem Volke mit Bewunderung. Unter unſern verwundeten
Franzoſen waren gar viele die nicht ſchreiben konnten, und für ſie waren die
Briefe oft ſchwer abzufaſſen, da ſie ſtets ſagten: „Vouſ mettrez ce que vouſ
voudrez.
“ Bei ihnen erweckte die freundliche Behandlung die ihnen zutheil
wurde ſtets neues Erſtaunen, da ſie ſich von den „Pruſſienſ“ (für ſie gibt es
keine Deutſchen) eine ganz andere Vorſtellung gemacht hatten. So fragte mich
ein junger Mann aus dem Finistère mit gedämpfter Stimme: „Mademoi-
ſelle, eſt-ce bien vrai que leſ Pruſſienſ ſont réellemeut pluſ bêteſ
que nouſ?
“ Das naive Vertrauen, das einem Feind erlaubte ſich mit dieſen
Worten an eine aufrichtige Deutſche zu wenden, war mir ein freudiger Beweis
für die gewiſſenhaft Befolgung der Genfer Convention, die im Verwundeten
Freund und Feind nicht unterſcheidet. Ein anderer Franzoſe, den eine Kugel
der Stimme beraubt, ſchrieb mir unter einen langen dankerfüllten Zettel:
R... n’a paſ la parole, maiſ il a la penſée.“ Welche ergreifende Bered-
famkeit liegt nicht in den wenigen Worten! Durch brieflichen Verkehr für die
Verwundeten ließen uns oft ihre Angehörigen verſichern daß ſie reichlich das
was wir an den Jhrigen thaten an den Unſrigen vergelten die in ihre Hände ge-
fallen. Wer nicht im Lazareth gelebt hat, kann nicht glauben daß man
darin ein faſt fröhliches Daſein führen kann. Leider war das für viele,
viele nicht möglich, die trotz der beſten Pflege täglich ſchwächer und elen-
der wurden; aber, Gott ſei Dank, es waren ihrer noch viel mehr die
täglich kräftiger und geſünder wurden, und die mit frohem Muth und
Freudigkeit das neu geſchenkte Leben genoſſen. Wo Hunderte von jun-
gen Leuten beiſammen ſind, kann es nicht trübe werden, beſonders wenn
jeder Tag von ihren Waffenbrüdern ſchwere, aber doch glücklich erfochtene Siege
bringt. Wie oft erſchallten in den letzten Monaten in unſern Vretterhallen
laute Siegeshurrahs! Auch Vaterlandslieder klangen fröhlich darein und ließen
auf kurze Zeit manchen Schmerz vergeſſen. Aufſallend war uns der Wider-
wille welchen die Franzoſen gegen das Hurrah zeigten; weniger, wie ſie ſelbſt
ſagten, über die Freudenäußerung, als über den Ruf ſelbſt, der ſie ſo lebhaſt
an die Stunde erinnerte wo ſie vom Feinde mit demſelben Feldgeſchrei an-
gegriffen und geſchlagen wurden. Jede Veranlaſſung wurde von unſern Aerzten
und von unſerer Lazarethcommiſſion gern ergriffen um den Kranken einige ange-
nehme Stunden zu bereiten; ſo wurde z. B. das Erhalten des Eiſernen Kreuzes
ſtets für den ganzen Saal in welchem ſich der Decorirte befand ein kleines Feſt.
Feierlich wurde das erſehnte Abzeichen überreicht, und dem neuen Ritter mit einem
Glas guten Weines, von allen die zugegen waren, ein donnerndes Hoch gebracht.
Sogar Geburtstage wurden nicht übergangen und ſchmückten manches Bett mit
friſchen Blumen. Die Liebesgaben die wir faſt täglich von Stadt und Land
erhielten, trugen nicht wenig dazu bei angenehme Abwechſelung zu bringen.
Schade daß die Geber es nicht ſehen konnten wie ſich die bärtigen Männer oft
kindiſch über den Kuchen oder über das ſchöne Obſt freuten; der Kranke findet
an ſolchen kleinen Aufmerkſamkeiten ein unerwartetes Wohlgefallen, das uns
ſtets mit neuer Dankbarkeit für diejenigen erfüllte die uns ſo halfen eine fröh-
liche Stimmung unter unſere Soldaten zu bringen. Sehnſüchtig wünſchten die-
ſelben die Zeit der Entlaſſung aus dem Lazareth herbei, die Zeit die ſie, wenn
nicht zu den ihrigen, ſo doch ihnen näher bringen ſollte, und dennoch wurde
allen der Abſchied ſchwer. Noch heute beweiſen ihre Briefe daß ſie die im
Mannheimer Lazareth verlebten Tage nicht bloß als eine Schmerzenszeit in der
[Spaltenumbruch] Erinnerung haben. Es möge dieß für alle welche auf die eine oder die andere
Weiſe beitrugen die armen Leute zu erquicken eine wahre Befriedigung ſein,
und es mußte wohl auch den ſchweren Steinen welche von manchen gegen die
freiwilligen Pfleger und Pflegerinnen geſchleudert worden ſind ihr Gewicht
nehmen.“

* Grabſtellen auf dem Kriegsſchauplatz.

Der königliche Com-
miſſär und Militär-Jnſpector der freiwilligen Krankenpflege, Fürſt Pleß, hat
an ſämmtliche Delegirte auf dem Kriegsſchauplatz folgendes Schreiben ge-
richtet: „Verſailles, 11 Jan. 1871. Die Erfahrung daß den Grabſtellen der
auf dem Kriegsſchauplatz verſtorbenen und begrabenen deutſchen Militärs nicht
immer diejenige Aufmerkſamkeit zugewendet wird welche erforderlich iſt um in
der Folge dieſelben leicht ermitteln und aufſuchen zu können, veranlaßt mich die
HH. Delegirten ergebenſt zu erſuchen im Jntereſſe der Angehörigen, und
in ſchuldiger Pietät gegen die Verſtorbenen, ſelbſt gefälligſt ihrerſeits, ſo viel
ſich ihnen Gelegenheit bietet, den Grabſtellen der Verſtorbenen auf dem Kriegs-
ſchauplatz ihre Aufmerkſamkeit in der Richtung zuzuwenden daß zur Vermei-
dung von Verdunkelungen eine genaue Kennzeichnung der einzelnen Grabſtellen
in geeigneter Weiſe ſtattfindet. Zugleich erſuche ich über die beerdigten Mili-
tärs eine Liſte und zwar in duplo zu führen, in welcher nicht nur der Name
des Verſtorbenen, der Truppentheil bei dem er geſtanden, der Ort und das
Lazareth in welchem er verſtorben, zu verzeichnen, ſondern auch die Grabſtelle
desſelben genau zu beſchreiben iſt. Das eine Exemplar einer ſolchen Liſte iſt
nach Beendigung des Feldzuges, beziehungsweiſe ſchon früher, ſobald die Dele-
gation der freiwilligen Krankenpflege an dem betreffenden Ort ihr Ende erreicht
oder aufgelöst wird, an mich einzureichen, das andere Exemplar aber auf der
Mairie des Orts mit dem Anſuchen niederzulegen den Grabſtellen den möglich-
ſten Schutz angedeihen zu laſſen und ſie vor Zerſtörung zu bewahren. Jch
darf erwarten daß es nur dieſer wenigen Andeutungen bedarf um das volle
Jntereſſe der HH. Delegirten auf dieſe für die Angehörigen der Verſtorbenen
ſo wichtige Angelegenheit hinzulenken.“

Wie uns aus Jena berichtet wird, brachte am 4 Febr.
Abends die dortige Studentenſchaft zweien ihrer berühmteſten Lehrer einen
ſolennen Fackelzug. Kuno Fiſcher, der Geſchichtſchreiber der Philoſophie,
und Ernſt Häckel, der Zoologe, hatten nämlich beide faſt gleichzeitig einen
Ruf an die Univerſität Wien bekommen, aber beide denſelben abgelehnt, Dank
den rechtzeitigen Bemühungen der Landesregierung, die alles aufbot der Uni-
verſität dieſe beiden vorzüglichen Stützen zu erhalten. Die Studentenſchaft
fühlte ſich daher gedrungen ihrer Freude über die günſtige Entſchließung der
Berufenen und ihrem Danke dafür einen öffentlichen und feierlichen Ausdruck
zu geben, denn ſie weiß wohl was ſie an dieſen beiden Lehrern verloren hätte;
üben doch beide, wie verſchieden immer ihre Standpunkte ſein mögen, gerade
dadurch einen ſehr fruchtbringenden und anregenden Einfluß auf die Bildung
der akademiſchen Jugend aus, daß in den Vorträgen des einen die Entwicklung
des geiſtigen, in den Vorträgen des andern die Entwicklung des organiſchen
Lebens das durchgängige Hauptthema bildet. Daher erſtreckt ſich der Einfluß
dieſer beiden Lehrer weit über ihr ſpecielles Fach hinaus und wird zum treiben-
den Ferment auch in andern Zweigen der Wiſſenſchaft. Nicht bloß in den
Zeiten des Friedens und der Ruhe, ſondern ſelbſt in der für die Univerſität ſo
ungünſtigen Zeit des laufenden Halbjahrs, hat ſich dieſer Einfluß, deſſen äußeres
Merkmal die Zahl der Zuhörer iſt, glänzend bewährt. Kuno Fiſcher iſt bereits
ſeit 15 Jahren gewohnt in Jena das größte Auditorium zu haben. Auch im
letzten Semeſter war kaum eine Abnahme desſelben zu bemerken. Um ſo mehr
gereicht es uns zur Befriedigung die Gefahr jene beiden Lehrer zu verlieren,
welche bei Fiſcher ſchon zu verſchiedenenmalen der Univerſität gedroht hat, ab-
gewendet zu ſehen; um ſo mehr wünſchen wir von Herzen daß es auch fernerhin
gelingen möge beide in ihrem bisherigen Wirkungskreiſe feſtzuhalten, würde
doch ihr Fortgang von Jena ein ebenſo großer Verluſt für die dortige Univer-
ſität ſein als er für jede andere ein glänzender Gewinn wäre.



Jnduſtrie, Handel und Verkehr.

Ueber die finanziellen Verhältniſſe in Paris bemerkt ein von dort
nach Berlin gelangtes Schreiben u. a. folgendes: „Vorläufig iſt die finanzielle
Lage in Paris eine troſtlos chaotiſche, und von einem eigentlichen finanziellen Ver-
kehr kann noch gar nicht die Rede ſein. Es gibt in Paris große Baukhäuſer die
über ihre Zahlungsfähigkeit vollkommen in Unkenntniß ſind, denn es läßt ſich auch
noch nicht im entſernteſten berechnen welche Schuldner zahlen werden und können,
und welche nicht. Selbſt Hypothekarſchulden erſcheinen nicht geſichert, denn Hun-
derte von Realitäten und Gebäuden welche als Pfand dienen ſollen ſind ruinirt;
die dem Hypothekargeſchäft gewidmeten Geſellſchaften ſind ſogar ſchlimmer daran
als die andern, weil ihr Capital meiſt ein ſehr großes iſt. Jhnen zonächſt leiden
die Affecuranzgeſellſchaften am meiſten, und denſelben drohen unzählige Proceſſe,
denn ſelbſt die Clauſeln die manche bezüglich der Eventualität eines Kriegs in
ihren Statuten haben, reichen in hundert Fällen nicht aus um die Geſellſchaften
zu ſchützen. Der Credit iſt im allgemeinen, und ſogar jener der Bankgeſellſchaften,
erſchüttert. Die Société générale gilt als ſehr gefährdet. Zweimal iſt dieſe Ge-
ſellſchaft unter dem bonapartiſchen Regime auf Befehl des Kaiſers geſtützt worden.
Bon welcher Seite ſoll ihr jetzt Sucenrs kommen? Wie es um die Eiſenbahnen
ſteht, die ein halbes Jahr keine Fracht hatten, deren Kunſtbauten zerſtört ſind, und
die den größten Theil ihrer Betriebsmittel verloren haben, läßt ſich denken. Bei
alledem mißt man den Gerüchten die über die Höhe der Kriegsentſchädigung der-
breitet ſind keinen Glauben bei, und doch wird ſich der Reutencurs zunächſt nach
dieſer Ziffer zu richten haben. Alles in allem genommen bietet die Finanzlage
von und in Paris ein Bild namenloſen Jammers.“

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[760/0020] und ſtrecken behaglich die müden Glieder in den weichen Betten aus. Was ein gutes Lager iſt, lernt man ja erſt dann kennen wenn man es entbehren muß. Und wie lang hatten es die armen Leute entbehrt! Nach dem langen Transport machte ſich die Müdigkeit ſo geltend, daß der gewünſchte Kaffee kaum mit offenen Augen mehr geſchlürft wurde, und der wohlthuende Schlaf faſt über alle kam und den erſchöpf- ten Mann auf einige Stunden die ſchmerzende Wunde vergeſſen ließ. Der helle Morgen erſt weckte freilich nicht nur den geſtärkten Körper, ſondern leider zugleich die volle Empfindung des Erlittenen. Der erſte Wunſch der meiſten iſt eine Schüſſel friſchen Waſchwaſſers; Seife, Bürſten und Kämme begrüßen ſie als eine lang entbehrte Wohlthat. Solche Toilettengegenſtände, die wir den Soldaten als ihr Privateigenthum zubrachten, waren ihnen ſtets ſehr willkom mene Geſchenke. Bald darauf begann der ärztliche Beſuch, der zwar manches Weh und Ach hervorrief, aber täglich von den Leidenden herbeigewünſcht wurde. Wir ſtaunten zu ſehen was der geſchickte Arzt vermag; wie er es mit bewun- derungswürdiger Geduld, mit Ausdauer verſteht durch geſchickte Lagerung der kranken Glieder die Schmerzen zu lindern, wie er unverdroſſen die Spreuerkiſſen aller Dimenſionen wieder und wieder aufbaut, bis der Kranke ſelbſt erklärt: „Nun iſt es gut.“ Was der Arzt durch perſönlichen Einfluß erlangt, wurde uns täglich klar. War er zugegen, vergaßen viele ihre Schmerzen. Jn den ſchweren Stunden wo der Verwundete zwiſchen wahrſcheinlichem Tod und der Trennung eines Gliedes ſchwankt, brachte freundliches und ernſtes Zureden unſeres Arztes faſt ſtets raſchen Entſchluß hervor. Mit dankbarer Verehrung hieng und hängt noch unſer ganzes Lazareth an ihm. Ein wahres Bedürfniß iſt jedem Krieger die ganze Geſchichte ſeiner Verwundung mitzutheilen, wer im Lazareth Zeit dazu findet ihm mit Jntereſſe zuzuhören, gewinnt leicht ſein Ver- trauen und ſeine Zuneigung. Dieſes Vertrauen drängt ihn von den Seinigen, von der Heimath zu ſprechen und dahin von ſich zu berichten. Jſt er der Schreibkunſt nicht mächtig oder hindert ihn ſeine Wunde es ſelbſt zu thun, ſo wird der unter ſeiner Leitung verfertigte Brief das erſte Glied zu einer langen Kette von Beziehungen die ſich weit über die Zeit des Zuſammenlebens er- ſtreckt. „Liebe Frau, ich ergreife die Feder um Dir ꝛc.,“ ſo mußte ich den erſten Brief mit fremder Unterſchrift beginnen. Mußte ich auch wohl manchesmal ein Lächeln unterdrücken, wenn ich ſo die fremde Feder führte, ſo erfüllte mich noch öfter die Klarheit und die inhaltsreiche Ausdrucksweiſe dieſer oft nur dürftig gebildeten Leute aus dem Volke mit Bewunderung. Unter unſern verwundeten Franzoſen waren gar viele die nicht ſchreiben konnten, und für ſie waren die Briefe oft ſchwer abzufaſſen, da ſie ſtets ſagten: „Vouſ mettrez ce que vouſ voudrez.“ Bei ihnen erweckte die freundliche Behandlung die ihnen zutheil wurde ſtets neues Erſtaunen, da ſie ſich von den „Pruſſienſ“ (für ſie gibt es keine Deutſchen) eine ganz andere Vorſtellung gemacht hatten. So fragte mich ein junger Mann aus dem Finistère mit gedämpfter Stimme: „Mademoi- ſelle, eſt-ce bien vrai que leſ Pruſſienſ ſont réellemeut pluſ bêteſ que nouſ?“ Das naive Vertrauen, das einem Feind erlaubte ſich mit dieſen Worten an eine aufrichtige Deutſche zu wenden, war mir ein freudiger Beweis für die gewiſſenhaft Befolgung der Genfer Convention, die im Verwundeten Freund und Feind nicht unterſcheidet. Ein anderer Franzoſe, den eine Kugel der Stimme beraubt, ſchrieb mir unter einen langen dankerfüllten Zettel: „R... n’a paſ la parole, maiſ il a la penſée.“ Welche ergreifende Bered- famkeit liegt nicht in den wenigen Worten! Durch brieflichen Verkehr für die Verwundeten ließen uns oft ihre Angehörigen verſichern daß ſie reichlich das was wir an den Jhrigen thaten an den Unſrigen vergelten die in ihre Hände ge- fallen. Wer nicht im Lazareth gelebt hat, kann nicht glauben daß man darin ein faſt fröhliches Daſein führen kann. Leider war das für viele, viele nicht möglich, die trotz der beſten Pflege täglich ſchwächer und elen- der wurden; aber, Gott ſei Dank, es waren ihrer noch viel mehr die täglich kräftiger und geſünder wurden, und die mit frohem Muth und Freudigkeit das neu geſchenkte Leben genoſſen. Wo Hunderte von jun- gen Leuten beiſammen ſind, kann es nicht trübe werden, beſonders wenn jeder Tag von ihren Waffenbrüdern ſchwere, aber doch glücklich erfochtene Siege bringt. Wie oft erſchallten in den letzten Monaten in unſern Vretterhallen laute Siegeshurrahs! Auch Vaterlandslieder klangen fröhlich darein und ließen auf kurze Zeit manchen Schmerz vergeſſen. Aufſallend war uns der Wider- wille welchen die Franzoſen gegen das Hurrah zeigten; weniger, wie ſie ſelbſt ſagten, über die Freudenäußerung, als über den Ruf ſelbſt, der ſie ſo lebhaſt an die Stunde erinnerte wo ſie vom Feinde mit demſelben Feldgeſchrei an- gegriffen und geſchlagen wurden. Jede Veranlaſſung wurde von unſern Aerzten und von unſerer Lazarethcommiſſion gern ergriffen um den Kranken einige ange- nehme Stunden zu bereiten; ſo wurde z. B. das Erhalten des Eiſernen Kreuzes ſtets für den ganzen Saal in welchem ſich der Decorirte befand ein kleines Feſt. Feierlich wurde das erſehnte Abzeichen überreicht, und dem neuen Ritter mit einem Glas guten Weines, von allen die zugegen waren, ein donnerndes Hoch gebracht. Sogar Geburtstage wurden nicht übergangen und ſchmückten manches Bett mit friſchen Blumen. Die Liebesgaben die wir faſt täglich von Stadt und Land erhielten, trugen nicht wenig dazu bei angenehme Abwechſelung zu bringen. Schade daß die Geber es nicht ſehen konnten wie ſich die bärtigen Männer oft kindiſch über den Kuchen oder über das ſchöne Obſt freuten; der Kranke findet an ſolchen kleinen Aufmerkſamkeiten ein unerwartetes Wohlgefallen, das uns ſtets mit neuer Dankbarkeit für diejenigen erfüllte die uns ſo halfen eine fröh- liche Stimmung unter unſere Soldaten zu bringen. Sehnſüchtig wünſchten die- ſelben die Zeit der Entlaſſung aus dem Lazareth herbei, die Zeit die ſie, wenn nicht zu den ihrigen, ſo doch ihnen näher bringen ſollte, und dennoch wurde allen der Abſchied ſchwer. Noch heute beweiſen ihre Briefe daß ſie die im Mannheimer Lazareth verlebten Tage nicht bloß als eine Schmerzenszeit in der Erinnerung haben. Es möge dieß für alle welche auf die eine oder die andere Weiſe beitrugen die armen Leute zu erquicken eine wahre Befriedigung ſein, und es mußte wohl auch den ſchweren Steinen welche von manchen gegen die freiwilligen Pfleger und Pflegerinnen geſchleudert worden ſind ihr Gewicht nehmen.“ * Grabſtellen auf dem Kriegsſchauplatz. Der königliche Com- miſſär und Militär-Jnſpector der freiwilligen Krankenpflege, Fürſt Pleß, hat an ſämmtliche Delegirte auf dem Kriegsſchauplatz folgendes Schreiben ge- richtet: „Verſailles, 11 Jan. 1871. Die Erfahrung daß den Grabſtellen der auf dem Kriegsſchauplatz verſtorbenen und begrabenen deutſchen Militärs nicht immer diejenige Aufmerkſamkeit zugewendet wird welche erforderlich iſt um in der Folge dieſelben leicht ermitteln und aufſuchen zu können, veranlaßt mich die HH. Delegirten ergebenſt zu erſuchen im Jntereſſe der Angehörigen, und in ſchuldiger Pietät gegen die Verſtorbenen, ſelbſt gefälligſt ihrerſeits, ſo viel ſich ihnen Gelegenheit bietet, den Grabſtellen der Verſtorbenen auf dem Kriegs- ſchauplatz ihre Aufmerkſamkeit in der Richtung zuzuwenden daß zur Vermei- dung von Verdunkelungen eine genaue Kennzeichnung der einzelnen Grabſtellen in geeigneter Weiſe ſtattfindet. Zugleich erſuche ich über die beerdigten Mili- tärs eine Liſte und zwar in duplo zu führen, in welcher nicht nur der Name des Verſtorbenen, der Truppentheil bei dem er geſtanden, der Ort und das Lazareth in welchem er verſtorben, zu verzeichnen, ſondern auch die Grabſtelle desſelben genau zu beſchreiben iſt. Das eine Exemplar einer ſolchen Liſte iſt nach Beendigung des Feldzuges, beziehungsweiſe ſchon früher, ſobald die Dele- gation der freiwilligen Krankenpflege an dem betreffenden Ort ihr Ende erreicht oder aufgelöst wird, an mich einzureichen, das andere Exemplar aber auf der Mairie des Orts mit dem Anſuchen niederzulegen den Grabſtellen den möglich- ſten Schutz angedeihen zu laſſen und ſie vor Zerſtörung zu bewahren. Jch darf erwarten daß es nur dieſer wenigen Andeutungen bedarf um das volle Jntereſſe der HH. Delegirten auf dieſe für die Angehörigen der Verſtorbenen ſo wichtige Angelegenheit hinzulenken.“ O Weimar. Wie uns aus Jena berichtet wird, brachte am 4 Febr. Abends die dortige Studentenſchaft zweien ihrer berühmteſten Lehrer einen ſolennen Fackelzug. Kuno Fiſcher, der Geſchichtſchreiber der Philoſophie, und Ernſt Häckel, der Zoologe, hatten nämlich beide faſt gleichzeitig einen Ruf an die Univerſität Wien bekommen, aber beide denſelben abgelehnt, Dank den rechtzeitigen Bemühungen der Landesregierung, die alles aufbot der Uni- verſität dieſe beiden vorzüglichen Stützen zu erhalten. Die Studentenſchaft fühlte ſich daher gedrungen ihrer Freude über die günſtige Entſchließung der Berufenen und ihrem Danke dafür einen öffentlichen und feierlichen Ausdruck zu geben, denn ſie weiß wohl was ſie an dieſen beiden Lehrern verloren hätte; üben doch beide, wie verſchieden immer ihre Standpunkte ſein mögen, gerade dadurch einen ſehr fruchtbringenden und anregenden Einfluß auf die Bildung der akademiſchen Jugend aus, daß in den Vorträgen des einen die Entwicklung des geiſtigen, in den Vorträgen des andern die Entwicklung des organiſchen Lebens das durchgängige Hauptthema bildet. Daher erſtreckt ſich der Einfluß dieſer beiden Lehrer weit über ihr ſpecielles Fach hinaus und wird zum treiben- den Ferment auch in andern Zweigen der Wiſſenſchaft. Nicht bloß in den Zeiten des Friedens und der Ruhe, ſondern ſelbſt in der für die Univerſität ſo ungünſtigen Zeit des laufenden Halbjahrs, hat ſich dieſer Einfluß, deſſen äußeres Merkmal die Zahl der Zuhörer iſt, glänzend bewährt. Kuno Fiſcher iſt bereits ſeit 15 Jahren gewohnt in Jena das größte Auditorium zu haben. Auch im letzten Semeſter war kaum eine Abnahme desſelben zu bemerken. Um ſo mehr gereicht es uns zur Befriedigung die Gefahr jene beiden Lehrer zu verlieren, welche bei Fiſcher ſchon zu verſchiedenenmalen der Univerſität gedroht hat, ab- gewendet zu ſehen; um ſo mehr wünſchen wir von Herzen daß es auch fernerhin gelingen möge beide in ihrem bisherigen Wirkungskreiſe feſtzuhalten, würde doch ihr Fortgang von Jena ein ebenſo großer Verluſt für die dortige Univer- ſität ſein als er für jede andere ein glänzender Gewinn wäre. Jnduſtrie, Handel und Verkehr. Ueber die finanziellen Verhältniſſe in Paris bemerkt ein von dort nach Berlin gelangtes Schreiben u. a. folgendes: „Vorläufig iſt die finanzielle Lage in Paris eine troſtlos chaotiſche, und von einem eigentlichen finanziellen Ver- kehr kann noch gar nicht die Rede ſein. Es gibt in Paris große Baukhäuſer die über ihre Zahlungsfähigkeit vollkommen in Unkenntniß ſind, denn es läßt ſich auch noch nicht im entſernteſten berechnen welche Schuldner zahlen werden und können, und welche nicht. Selbſt Hypothekarſchulden erſcheinen nicht geſichert, denn Hun- derte von Realitäten und Gebäuden welche als Pfand dienen ſollen ſind ruinirt; die dem Hypothekargeſchäft gewidmeten Geſellſchaften ſind ſogar ſchlimmer daran als die andern, weil ihr Capital meiſt ein ſehr großes iſt. Jhnen zonächſt leiden die Affecuranzgeſellſchaften am meiſten, und denſelben drohen unzählige Proceſſe, denn ſelbſt die Clauſeln die manche bezüglich der Eventualität eines Kriegs in ihren Statuten haben, reichen in hundert Fällen nicht aus um die Geſellſchaften zu ſchützen. Der Credit iſt im allgemeinen, und ſogar jener der Bankgeſellſchaften, erſchüttert. Die Société générale gilt als ſehr gefährdet. Zweimal iſt dieſe Ge- ſellſchaft unter dem bonapartiſchen Regime auf Befehl des Kaiſers geſtützt worden. Bon welcher Seite ſoll ihr jetzt Sucenrs kommen? Wie es um die Eiſenbahnen ſteht, die ein halbes Jahr keine Fracht hatten, deren Kunſtbauten zerſtört ſind, und die den größten Theil ihrer Betriebsmittel verloren haben, läßt ſich denken. Bei alledem mißt man den Gerüchten die über die Höhe der Kriegsentſchädigung der- breitet ſind keinen Glauben bei, und doch wird ſich der Reutencurs zunächſt nach dieſer Ziffer zu richten haben. Alles in allem genommen bietet die Finanzlage von und in Paris ein Bild namenloſen Jammers.“

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 45, 14. Februar 1871, S. 760. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine45_1871/20>, abgerufen am 23.11.2024.