Allgemeine Zeitung, Nr. 42, 17. Oktober 1914.
Ich will nun zunächst ein Thema behandeln, das Sie sicher Etwas geändert hat sich das, seitdem die drahtlose Telegraphie Lieber Freund! Wenn Sie irgendwelche Verbindungen in Eigentlich brauche ich Ihnen ja dies alles nicht zu schreiben, Uns beiden geht es noch soweit gut. Mittwoch, den 16., Ihnen wünsche ich recht baldige und dauernde Besserung, da-C. S.
Ich will nun zunächſt ein Thema behandeln, das Sie ſicher Etwas geändert hat ſich das, ſeitdem die drahtloſe Telegraphie Lieber Freund! Wenn Sie irgendwelche Verbindungen in Eigentlich brauche ich Ihnen ja dies alles nicht zu ſchreiben, Uns beiden geht es noch ſoweit gut. Mittwoch, den 16., Ihnen wünſche ich recht baldige und dauernde Beſſerung, da-C. S. <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <cit> <quote><pb facs="#f0010" n="614"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Allgemeine Zeitung</hi> 17. Oktober 1914.</fw><lb/><cb/> wohl noch keinem gelungen, Deutſchland zu erreichen. Ich habe<lb/> mich als Kriegsfreiwilliger auch gemeldet, aber es hat gar keinen<lb/> Zweck, zu fahren, denn ich kann weder Deutſchland noch mir ſelbſt<lb/> etwas dadurch nützen, daß ich mich von den Herren Engländern<lb/> gefangen nehmen laſſe. Die deutſchen Konſuln im Inlande hier<lb/> und in Süd- und Mittelamerika ſcheinen auch ihren Kopf verloren<lb/> zu haben, denn ſie ſchicken alle Leute nach hier. Die Menſchen<lb/> ſitzen nun hier in New-York herum, haben kein Geld und keine<lb/> Arbeit, denn die hieſigen Firmen, namentlich die deutſchen wie<lb/> Knauth, Nachod & Kühne, Bankgeſchäft, die große Importfirma<lb/> Borgfeld uſw. haben hunderte von Leuten entlaſſen, gleich in den<lb/> erſten Tagen. Die deutſchen Seefahrer auf den engliſchen Schiffen<lb/> ſind ebenfalls von den Geſellſchaften entlaſſen worden, ſo daß hier<lb/> unter allen dieſen ein ziemliches Elend herrſcht. Von allen Seiten<lb/> wird man angegangen, und man gibt natürlich gerne, ſoweit man<lb/> kann.</quote> </cit><lb/> <cit> <quote>Ich will nun zunächſt ein Thema behandeln, das Sie ſicher<lb/> intereſſieren wird: die engliſch-amerikaniſchen Zeitungen von<lb/> Amerika. Was von Zeitungen nur irgendwie an Gemeinheit und<lb/> Schurkigkeit geleiſtet werden kann, iſt hier in den anglo-amerikani-<lb/> ſchen Zeitungen gegenüber Deutſchland zu finden. In den erſten<lb/> Wochen las man in dieſen Zeitungen in 20 Zmtr. hohen Ueber-<lb/> ſchriften nur: <hi rendition="#aq">Kaiser defeated; Germans beaten; Germans<lb/> routed; French Victory.</hi> Und dann folgten lange Beſchrei-<lb/> bungen von deutſchen Grauſamkeiten gegenüber Frauen und Kin-<lb/> dern. Die Deutſchen ſchnitten Greiſen, Frauen und Kindern die<lb/> Füße ab, ſtachen ihnen die Augen aus, röſteten deren Körper über<lb/> dem Feuer uſw. Die Schuld an dieſem Kriege wurde ſelbſtver-<lb/> ſtändlich dem deutſchen Kaiſer zugeſchoben. Der Kronprinz iſt ſchon<lb/> dreimal ſchwer verwundet worden. General von Emmich hat Selbſt-<lb/> mord begangen, die deutſche Artillerie iſt durchaus minderwertig<lb/> und Lüttich war dieſen Zeitungen nach noch am 20. Auguſt nicht<lb/> gefallen. Und wenn die Deutſchen einen Sieg erfochten hatten, ſo<lb/> fand man die Meldung in einer Ecke verſteckt, im kleinſten Druck<lb/> wiedergegeben. Dann die rieſenhaften amerikaniſchen Kenntniſſe<lb/> in der Geographie: „Die Ruſſen wollen über die weſtfäliſche Grenze<lb/> (ausgerechnet meine ſchöne Heimat) in Deutſchland einfallen.<lb/> Oſterode im Harz iſt bereits von den Ruſſen genommen. Königs-<lb/> berg hat ſich den Ruſſen ergeben und die Koſacken ſtehen ſomit<lb/> vor Berlin, da Königsberg „<hi rendition="#aq">not fery far from Berlin</hi>“ iſt. Die<lb/> Tribune druckte vor einigen Tagen einen Artikel ab, den ſie irgend-<lb/> wo geleſen haben wollte und in dem es nach mehreren dicken ſetten<lb/> Ueberſchriften hieß, daß Kaiſer Wilhelm Anſtalten getroffen habe,<lb/> nach Amerika auszuwandern, da er überzeugt ſei, den Krieg nie<lb/> gewinnen zu können, und damit auch ſeinen „Poſten“ als deutſcher<lb/> Kaiſer als verloren betrachte. Er hat größere Beſitzungen in<lb/> Amerika gekauft und wird demnächſt an der Fiſth Avenue in New-<lb/> York wohnen. Lachen Sie darüber nicht: denn gerade Sie kennen<lb/> die Leichtgläubigkeit der Amerikaner in dieſer Beziehung, und Sie<lb/> wiſſen, daß nirgendwo in der Welt ein beſſerer Boden für derartige<lb/> Vergiftungsverſuche zu finden iſt, als gerade hier in Amerika. Den<lb/> höchſten Grad der Gemeinheiten aber erreichten die Zeitungen mit<lb/> Beſchreibungen von Greueltaten und Beläſtigungen gegenüber den<lb/> in Deutſchland hängen gebliebenen Amerikanern, wogegen die<lb/> Franzoſen und Engländer in ihrem Betragen gegenüber den Ameri-<lb/> kanern bis ans Ende der Welt gelobt wurden. Ihrem Schreiben<lb/> nach iſt glücklicherweiſe die Sache gerade umgekehrt. Mit geball-<lb/> ten Fäuſten mußte man all dieſen Unfug tatenlos über ſich er-<lb/> gehen laſſen, denn in der erſten Zeit brachten auch die hieſigen<lb/> deutſchen Zeitungen keine poſitiven Berichte über den Verlauf des<lb/> Krieges, denn das deutſche Kabel war zerſchnitten. Die Deutſchen<lb/> riefen eine Proteſtverſammlung nach dem Terrace-Garten ein, wo<lb/> auch Berichterſtatter der engliſch-amerikaniſchen Preſſe anweſend<lb/> waren, und als einer der Redner das Gebaren dieſer Preſſe brand-<lb/> markte und dabei mit dem Finger auf den Reporter der „Sun“<lb/> zeigte, da wurde der Kerl totenbleich und zitterte am ganzen Körper;<lb/> wahrſcheinlich befürchtete er, daß nun die Deutſchen eine der von<lb/> ſeiner Zeitung ſo ſchön beſchriebenen deutſchen Torturen an ihm<lb/> vollziehen würden.</quote> </cit><lb/> <cit> <quote>Etwas geändert hat ſich das, ſeitdem die drahtloſe Telegraphie<lb/> über Sayville in Tätigkeit treten konnte, inſofern wenigſtens, als<lb/> jetzt die deutſchen Zeitungen hier Nachrichten von deutſcher Seite<lb/> aus bekommen. Die engliſchen Zeitungen aber haben ihre bis-<lb/> herige Tätigkeit beibehalten und der Herald, das gelbrot gefärbte<lb/> Evening Telegram und noch einige andere dieſer Schundblätter<lb/> haben eine Erklärung abgegeben, daß ſie keine Nachrichten über<lb/><cb/> Sayville (deutſcher Funkenſpruch) bringen würden, da er doch aus-<lb/> ſchließlich Lügen ſeien, die daher kämen.</quote> </cit><lb/> <cit> <quote>Lieber Freund! Wenn Sie irgendwelche Verbindungen in<lb/> Berlin und anderen Orten Deutſchlands haben oder ſolche ſuchen<lb/> können, um meine Mitteilungen an die dortigen Amerikaner ge-<lb/> langen zu laſſen, dann tun Sie uns und den Amerikanern den<lb/> größten Gefallen damit. Den Standpunkt der Deutſchen will ich<lb/> Ihnen kurz dahin angeben: Wir machen einen Unterſchied zwiſchen<lb/> Amerikanern und der amerikaniſchen Preſſe, die hier nicht die<lb/> amerikaniſchen, ſondern die engliſchen Intereſſen vertritt. Wir<lb/> wiſſen, daß der Amerikaner ein anſtändiger Menſch iſt und eine<lb/> anſtändige Geſinnung hat, wir wiſſen auch, daß er „<hi rendition="#aq">fair play</hi>“<lb/> nicht allein für ſich in Anſpruch nimmt, ſondern es auch für andere<lb/> verlangt. Und weil wir das wiſſen, ſollten die Amerikaner ſich in<lb/> Berlin an ihren Botſchafter wenden und ihn veranlaſſen, dem<lb/> Präſidenten zu kabeln, Einſpruch dagegen zu erheben, wie die<lb/> amerikaniſche Preſſe fortgeſetzt und wiſſentlich die Deutſchen ver-<lb/> leumdet. Sie ſollen ſich nicht gegen die Kriegsberichterſtattung<lb/> wenden, — denn das iſt eine Sache, mit der ſich die Amerikaner<lb/> nicht beſchäftigen dürfen und ſollen —, aber ſie ſollen energiſch<lb/> proteſtieren gegen die Nachrichten, daß die Amerikaner in Deutſch-<lb/> land dieſen ſcheußlichen Behandlungen ausgeſetzt geweſen ſein<lb/> ſollen und noch ſeien. Sie ſollten auch dafür ſorgen, daß ein ſolcher<lb/> Proteſt in der amerikaniſchen Preſſe publiziert wird, damit das<lb/> amerikaniſche Volk auch die Wahrheit einmal in ſeiner eigenen<lb/> Preſſe zu leſen bekommt. Was die Kriegsberichterſtattung an ſich<lb/> anbelangt, ſo wiſſen wir ganz genau, daß ſich die Zeitungen auf<lb/> die Berichte ſtützen müſſen, die ſie von den Zenſoren über Paris<lb/> und London bekommen. Wir machen ihnen daraus keinen Vor-<lb/> wurf, daß ſie aus dieſen unwahren Berichten die 20 Zmtr. hohen<lb/> Ueberſchriften fabrizieren und die deutſchen Siegesnachrichten ver-<lb/> ſteckt in kleinſtem Druck bringen, wo ſie nicht geleſen werden. Das<lb/> iſt kein „<hi rendition="#aq">fair play,</hi>“ das iſt nicht anſtändig, ſondern iſt gemein,<lb/> unanſtändig und des amerikaniſchen Volkes unwürdig. Der Präſi-<lb/> dent hat eine Aufforderung an das amerikaniſche Volk erlaſſen, ſich<lb/> neutral zu verhalten, aber dieſe Neutralität verlangt man hier nur<lb/> von den Deutſchen. Die engliſch-amerikaniſche Preſſe beobachtet<lb/> jedenfalls die Neutralität nicht, ſondern bricht ſie jeden Tag mehr<lb/> als einmal. Die Times brachte vor wenigen Tagen einen Leit-<lb/> artikel, worin nichts weniger ſtand, als daß die Amerikaner den<lb/> Deutſchen auch noch den Krieg erklären ſollten. Und jeden Tag<lb/> bringen dieſe Zeitungen Leitartikel, worin dem Wunſche und der<lb/> Hoffnung Ausdruck gegeben wird, daß Deutſchland in dem Kampfe<lb/> unterliegen möge. Die Amerikaner erinnern ſich heute nicht mehr<lb/> der Tatſache, daß deutſches Blut in Strömen für die amerikaniſche<lb/> Freiheit gefloſſen iſt. Erinnern ſich auch nicht mehr der Gemein-<lb/> heiten, die ihnen die Engländer zugefügt haben</quote> </cit><lb/> <cit> <quote>Eigentlich brauche ich Ihnen ja dies alles nicht zu ſchreiben,<lb/> da gerade Sie die Amerikaner und beſonders ihr Preſſeweſen viel<lb/> beſſer kennen als die Mehrzahl von uns hier. In den letzten Tagen<lb/> lieſt man hier wieder nur Niederlagen der Deutſchen um Paris<lb/> herum. Des Kronprinzen Armee iſt von den amerikaniſchen Preſſe-<lb/> feldherren nunmehr ſchon dreimal vollſtändig vernichtet worden.<lb/> In den erſten drei Wochen des Krieges wurden hier von der Preſſe<lb/> nicht weniger als volle 1,200,000 Deutſche in den einzelnen Schlach-<lb/> ten getötet und von den Oeſterreichern pro Tag mindeſtens ein<lb/> Armeekorps getötet. Das geht abwechſelnd; den einen Tag wer-<lb/> den die Oeſterreicher von den Serben geſchlagen und gefangen ge-<lb/> nommen und den anderen Tag von den Ruſſen. Letztere haben<lb/> Krakau ohne Kampf genommen und ſtehen nunmehr dicht vor<lb/> Breslau.</quote> </cit><lb/> <cit> <quote>Uns beiden geht es noch ſoweit gut. Mittwoch, den 16.,<lb/> haben die kaufmänniſchen Vereine von New-York, d. h. die deut-<lb/> ſchen, einen Abend für das „Rote Kreuz“; der Deutſche Preſſe-Club<lb/> gibt am 28. September zwei Vorſtellungen für den gleichen Zweck.<lb/> Alles arbeitet, ſammelt, ſchreibt und ſpricht für’s deutſche Vater-<lb/> land. Aber wir tun es alle gerne, und auch nach dem Kriege<lb/> werden wir unſere Pflicht tun.</quote> </cit><lb/> <cit> <quote>Ihnen wünſche ich recht baldige und dauernde Beſſerung, da-<lb/> mit Sie auch mit verhauen helfen können, aber dann nicht zu<lb/> knapp, bitte! Ihr<lb/></quote> <bibl> <hi rendition="#aq">C. S.</hi> </bibl> </cit><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [614/0010]
Allgemeine Zeitung 17. Oktober 1914.
wohl noch keinem gelungen, Deutſchland zu erreichen. Ich habe
mich als Kriegsfreiwilliger auch gemeldet, aber es hat gar keinen
Zweck, zu fahren, denn ich kann weder Deutſchland noch mir ſelbſt
etwas dadurch nützen, daß ich mich von den Herren Engländern
gefangen nehmen laſſe. Die deutſchen Konſuln im Inlande hier
und in Süd- und Mittelamerika ſcheinen auch ihren Kopf verloren
zu haben, denn ſie ſchicken alle Leute nach hier. Die Menſchen
ſitzen nun hier in New-York herum, haben kein Geld und keine
Arbeit, denn die hieſigen Firmen, namentlich die deutſchen wie
Knauth, Nachod & Kühne, Bankgeſchäft, die große Importfirma
Borgfeld uſw. haben hunderte von Leuten entlaſſen, gleich in den
erſten Tagen. Die deutſchen Seefahrer auf den engliſchen Schiffen
ſind ebenfalls von den Geſellſchaften entlaſſen worden, ſo daß hier
unter allen dieſen ein ziemliches Elend herrſcht. Von allen Seiten
wird man angegangen, und man gibt natürlich gerne, ſoweit man
kann.
Ich will nun zunächſt ein Thema behandeln, das Sie ſicher
intereſſieren wird: die engliſch-amerikaniſchen Zeitungen von
Amerika. Was von Zeitungen nur irgendwie an Gemeinheit und
Schurkigkeit geleiſtet werden kann, iſt hier in den anglo-amerikani-
ſchen Zeitungen gegenüber Deutſchland zu finden. In den erſten
Wochen las man in dieſen Zeitungen in 20 Zmtr. hohen Ueber-
ſchriften nur: Kaiser defeated; Germans beaten; Germans
routed; French Victory. Und dann folgten lange Beſchrei-
bungen von deutſchen Grauſamkeiten gegenüber Frauen und Kin-
dern. Die Deutſchen ſchnitten Greiſen, Frauen und Kindern die
Füße ab, ſtachen ihnen die Augen aus, röſteten deren Körper über
dem Feuer uſw. Die Schuld an dieſem Kriege wurde ſelbſtver-
ſtändlich dem deutſchen Kaiſer zugeſchoben. Der Kronprinz iſt ſchon
dreimal ſchwer verwundet worden. General von Emmich hat Selbſt-
mord begangen, die deutſche Artillerie iſt durchaus minderwertig
und Lüttich war dieſen Zeitungen nach noch am 20. Auguſt nicht
gefallen. Und wenn die Deutſchen einen Sieg erfochten hatten, ſo
fand man die Meldung in einer Ecke verſteckt, im kleinſten Druck
wiedergegeben. Dann die rieſenhaften amerikaniſchen Kenntniſſe
in der Geographie: „Die Ruſſen wollen über die weſtfäliſche Grenze
(ausgerechnet meine ſchöne Heimat) in Deutſchland einfallen.
Oſterode im Harz iſt bereits von den Ruſſen genommen. Königs-
berg hat ſich den Ruſſen ergeben und die Koſacken ſtehen ſomit
vor Berlin, da Königsberg „not fery far from Berlin“ iſt. Die
Tribune druckte vor einigen Tagen einen Artikel ab, den ſie irgend-
wo geleſen haben wollte und in dem es nach mehreren dicken ſetten
Ueberſchriften hieß, daß Kaiſer Wilhelm Anſtalten getroffen habe,
nach Amerika auszuwandern, da er überzeugt ſei, den Krieg nie
gewinnen zu können, und damit auch ſeinen „Poſten“ als deutſcher
Kaiſer als verloren betrachte. Er hat größere Beſitzungen in
Amerika gekauft und wird demnächſt an der Fiſth Avenue in New-
York wohnen. Lachen Sie darüber nicht: denn gerade Sie kennen
die Leichtgläubigkeit der Amerikaner in dieſer Beziehung, und Sie
wiſſen, daß nirgendwo in der Welt ein beſſerer Boden für derartige
Vergiftungsverſuche zu finden iſt, als gerade hier in Amerika. Den
höchſten Grad der Gemeinheiten aber erreichten die Zeitungen mit
Beſchreibungen von Greueltaten und Beläſtigungen gegenüber den
in Deutſchland hängen gebliebenen Amerikanern, wogegen die
Franzoſen und Engländer in ihrem Betragen gegenüber den Ameri-
kanern bis ans Ende der Welt gelobt wurden. Ihrem Schreiben
nach iſt glücklicherweiſe die Sache gerade umgekehrt. Mit geball-
ten Fäuſten mußte man all dieſen Unfug tatenlos über ſich er-
gehen laſſen, denn in der erſten Zeit brachten auch die hieſigen
deutſchen Zeitungen keine poſitiven Berichte über den Verlauf des
Krieges, denn das deutſche Kabel war zerſchnitten. Die Deutſchen
riefen eine Proteſtverſammlung nach dem Terrace-Garten ein, wo
auch Berichterſtatter der engliſch-amerikaniſchen Preſſe anweſend
waren, und als einer der Redner das Gebaren dieſer Preſſe brand-
markte und dabei mit dem Finger auf den Reporter der „Sun“
zeigte, da wurde der Kerl totenbleich und zitterte am ganzen Körper;
wahrſcheinlich befürchtete er, daß nun die Deutſchen eine der von
ſeiner Zeitung ſo ſchön beſchriebenen deutſchen Torturen an ihm
vollziehen würden.
Etwas geändert hat ſich das, ſeitdem die drahtloſe Telegraphie
über Sayville in Tätigkeit treten konnte, inſofern wenigſtens, als
jetzt die deutſchen Zeitungen hier Nachrichten von deutſcher Seite
aus bekommen. Die engliſchen Zeitungen aber haben ihre bis-
herige Tätigkeit beibehalten und der Herald, das gelbrot gefärbte
Evening Telegram und noch einige andere dieſer Schundblätter
haben eine Erklärung abgegeben, daß ſie keine Nachrichten über
Sayville (deutſcher Funkenſpruch) bringen würden, da er doch aus-
ſchließlich Lügen ſeien, die daher kämen.
Lieber Freund! Wenn Sie irgendwelche Verbindungen in
Berlin und anderen Orten Deutſchlands haben oder ſolche ſuchen
können, um meine Mitteilungen an die dortigen Amerikaner ge-
langen zu laſſen, dann tun Sie uns und den Amerikanern den
größten Gefallen damit. Den Standpunkt der Deutſchen will ich
Ihnen kurz dahin angeben: Wir machen einen Unterſchied zwiſchen
Amerikanern und der amerikaniſchen Preſſe, die hier nicht die
amerikaniſchen, ſondern die engliſchen Intereſſen vertritt. Wir
wiſſen, daß der Amerikaner ein anſtändiger Menſch iſt und eine
anſtändige Geſinnung hat, wir wiſſen auch, daß er „fair play“
nicht allein für ſich in Anſpruch nimmt, ſondern es auch für andere
verlangt. Und weil wir das wiſſen, ſollten die Amerikaner ſich in
Berlin an ihren Botſchafter wenden und ihn veranlaſſen, dem
Präſidenten zu kabeln, Einſpruch dagegen zu erheben, wie die
amerikaniſche Preſſe fortgeſetzt und wiſſentlich die Deutſchen ver-
leumdet. Sie ſollen ſich nicht gegen die Kriegsberichterſtattung
wenden, — denn das iſt eine Sache, mit der ſich die Amerikaner
nicht beſchäftigen dürfen und ſollen —, aber ſie ſollen energiſch
proteſtieren gegen die Nachrichten, daß die Amerikaner in Deutſch-
land dieſen ſcheußlichen Behandlungen ausgeſetzt geweſen ſein
ſollen und noch ſeien. Sie ſollten auch dafür ſorgen, daß ein ſolcher
Proteſt in der amerikaniſchen Preſſe publiziert wird, damit das
amerikaniſche Volk auch die Wahrheit einmal in ſeiner eigenen
Preſſe zu leſen bekommt. Was die Kriegsberichterſtattung an ſich
anbelangt, ſo wiſſen wir ganz genau, daß ſich die Zeitungen auf
die Berichte ſtützen müſſen, die ſie von den Zenſoren über Paris
und London bekommen. Wir machen ihnen daraus keinen Vor-
wurf, daß ſie aus dieſen unwahren Berichten die 20 Zmtr. hohen
Ueberſchriften fabrizieren und die deutſchen Siegesnachrichten ver-
ſteckt in kleinſtem Druck bringen, wo ſie nicht geleſen werden. Das
iſt kein „fair play,“ das iſt nicht anſtändig, ſondern iſt gemein,
unanſtändig und des amerikaniſchen Volkes unwürdig. Der Präſi-
dent hat eine Aufforderung an das amerikaniſche Volk erlaſſen, ſich
neutral zu verhalten, aber dieſe Neutralität verlangt man hier nur
von den Deutſchen. Die engliſch-amerikaniſche Preſſe beobachtet
jedenfalls die Neutralität nicht, ſondern bricht ſie jeden Tag mehr
als einmal. Die Times brachte vor wenigen Tagen einen Leit-
artikel, worin nichts weniger ſtand, als daß die Amerikaner den
Deutſchen auch noch den Krieg erklären ſollten. Und jeden Tag
bringen dieſe Zeitungen Leitartikel, worin dem Wunſche und der
Hoffnung Ausdruck gegeben wird, daß Deutſchland in dem Kampfe
unterliegen möge. Die Amerikaner erinnern ſich heute nicht mehr
der Tatſache, daß deutſches Blut in Strömen für die amerikaniſche
Freiheit gefloſſen iſt. Erinnern ſich auch nicht mehr der Gemein-
heiten, die ihnen die Engländer zugefügt haben
Eigentlich brauche ich Ihnen ja dies alles nicht zu ſchreiben,
da gerade Sie die Amerikaner und beſonders ihr Preſſeweſen viel
beſſer kennen als die Mehrzahl von uns hier. In den letzten Tagen
lieſt man hier wieder nur Niederlagen der Deutſchen um Paris
herum. Des Kronprinzen Armee iſt von den amerikaniſchen Preſſe-
feldherren nunmehr ſchon dreimal vollſtändig vernichtet worden.
In den erſten drei Wochen des Krieges wurden hier von der Preſſe
nicht weniger als volle 1,200,000 Deutſche in den einzelnen Schlach-
ten getötet und von den Oeſterreichern pro Tag mindeſtens ein
Armeekorps getötet. Das geht abwechſelnd; den einen Tag wer-
den die Oeſterreicher von den Serben geſchlagen und gefangen ge-
nommen und den anderen Tag von den Ruſſen. Letztere haben
Krakau ohne Kampf genommen und ſtehen nunmehr dicht vor
Breslau.
Uns beiden geht es noch ſoweit gut. Mittwoch, den 16.,
haben die kaufmänniſchen Vereine von New-York, d. h. die deut-
ſchen, einen Abend für das „Rote Kreuz“; der Deutſche Preſſe-Club
gibt am 28. September zwei Vorſtellungen für den gleichen Zweck.
Alles arbeitet, ſammelt, ſchreibt und ſpricht für’s deutſche Vater-
land. Aber wir tun es alle gerne, und auch nach dem Kriege
werden wir unſere Pflicht tun.
Ihnen wünſche ich recht baldige und dauernde Beſſerung, da-
mit Sie auch mit verhauen helfen können, aber dann nicht zu
knapp, bitte! Ihr
C. S.
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(2023-04-27T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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