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Allgemeine Zeitung, Nr. 38, 19. September 1914.

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Allgemeine Zeitung 19. September 1914.
[Spaltenumbruch]
Die Kriegsgefangenen.

Dem Wolffſchen Bureau wird amtlich eine Ueberſicht über die
bis 11. d. M. in Deutſchland befindlichen Kriegsgefangenen zur
Veröffentlichung übergeben. Davon ſind:

Franzoſen 1680 Offiziere, 86,700 Mann,
Ruſſen 1830 Offiziere, 91,400 Mann,
Belgier 440 Offiziere, 30,200 Mann,
Engländer 160 Offiziere, 7,350 Mann.

Unter den Offizieren ſind zwei franzöſiſche Generäle, unter den
Ruſſen zwei kommandierende und 13 andere Generäle, unter den
Belgiern der Kommandant von Lüttich. Eine große Anzahl weiterer
Kriegsgefangener befindet ſich auf dem Transport zu den Ge-
fangenenlagern.

Rechnet man dazu noch die inzwiſchen bei Maubeuge gefangenen
40,000 Franzoſen und die in Oſtpreußen gefangenen Ruſſen, ſo
wird die Zahl 300,000 nicht zu hoch gegriffen ſein.


Der Feind im Weſten.

Ueber das Schlachtfeld bei Paris und die Vorgänge
auf demſelben, die ſich bis zum 11. d. M. abgeſpielt haben, ſchreibt
die Norddeutſche Allgemeine Zeitung:

Die neue große Schlacht ſpielt ſich auf einer Front von etwa
125 Kilometer ab. Als weſtlicher Punkt wird Nanteuil angegeben,
ein Ort nördlich von Meaux bei dem ſchon früher genannten Senlis,
wo der rechte deutſche Flügel angeſetzt hat und wo hauptſächlich
die Engländer ſtehen dürften, eine Vermutung, die ſchon pſycholo-
giſch ausreichend begründet ſein dürfte und die ſich noch auf die
bisherigen Erfahrungen ſtützt, denen zufolge die Truppen Frenchs
ſich immer auf dem linken Flügel, England zunächſt, hielten.

Die franzöſiſche Annahme, daß die deutſchen Truppen Paris
ganz rechts liegen ließen, iſt ſchon früher haltlos geworden als die
Pariſer die deutſchen Kanonen in der Nähe donnern hörten. Jetzt
weiß man, daß dabei nicht nur ein örtlicher Zuſammenſtoß nahe
der franzöſiſchen Hauptſtadt, ſondern eine Schlacht von großer Aus-
dehnung in Betracht kommt, auf einer Linie, die nordöſtlich von
Paris beginnt, dann zur Marne geht und weiter dem unterhalb
Meaur mündenden Flüßchen Grand Morin folgt, an welchem
Coulommiers und Sézanne liegen.

Oeſtlich von dieſen liegt Vitry le Français, das als öſtlicher
Punkt der Schlachtfront bezeichnet wird, ſüdöſtlich von Chalons an
der Marne, die hier ſüdnördlich verläuft, während die im allge-
meinen nördlicher verlaufende Marnelinie von unſeren Heeren
überſchritten iſt.



Inzwiſchen haben ſich dort neue Kämpfe abgeſpielt, über die
die Einzelheiten noch nicht veröffentlicht werden dürfen. Nur ſind
die von unſeren Feinden mit allen Mitteln verbreiteten ungünſti-
gen Nachrichten offiziell dementiert worden.

Die auf dem rechten Flügel des Weſtheeres ſeit zwei Tagen
ſtattfindenden Kämpfe haben ſich am 15. d. M. auf die nach Oſten
anſchließenden Armeen bis nach Verdun heran ausgedehnt. An
einigen Stellen des ausgedehnten Kampffeldes waren bisher Teil-
erfolge der deutſchen Waffen zu verzeichnen. Im übrigen ſteht
die Schlacht noch.



Im Weſten, wie im Oſten ſtehen wir vor der Entſcheidung.
Das letzt eingetroffene amtliche Telegramm aus dem Großen Haupt-
quartier im Weſten meldet:

In der Schlacht zwiſchen Oiſe und Maas iſt die endgültige
Entſcheidung immer noch nicht gefallen; aber gewiſſe Anzeichen
deuten darauf hin, daß die Widerſtandskraft des Gegners zu er-
lahmen beginnt. Ein mit großer Bravour unternommener franzö-
ſiſcher Durchbruchsverſuch auf dem äußerſten rechten deutſchen
Flügel brach ohne beſondere Anſtrengungen unſerer Truppen ſchließ-
lich in ſich ſelbſt zuſammen. Die Mitte der deutſchen Armee gewinnt
langſam, aber ſicher Boden. Auf dem rechten Maasufer verſuchte
Ausfälle aus Verdun wurden mit Leichtigkeit zurückgewieſen.



Auch ein von drei belgiſchen Diviſionen entnommener Ausfall
in Antwerpen iſt zurückgeworfen worden.

Für das von ihm zu verwaltende Belgien hat der General-
gouverneur Freiherr von der Goltz überall nachſtehenden An-
ſchlag verbreiten laſſen:

[Spaltenumbruch]

„S. M. dem Deutſchen Kaiſer hat es gefallen, mich nach der
Einnahme des größten Teiles des belgiſchen Bodens zum General-
gouverneur von Belgien zu ernennen. Ich habe den Sitz der allge-
meinen Regierung nach Brüſſel gelegt und zwar in das Miniſte-
rium für Kunſt und Wiſſenſchaft. Im Auftrage S. M. des Kaiſers
iſt eine bürgerliche Behörde hinzugefügt worden, die ihren Sitz im
Kriegsminiſterium hat und deren Vorſteher Exzellenz v. Sandt iſt.

Die deutſchen Truppen ſetzen ihren Siegeszug in Frankreich
fort. Meine Aufgabe iſt es, Ruhe und Ordnung in Belgien zu
handhaben. Jede feindliche Handlung von ſeiten der Einwohner,
jeder Plan, um Verbindungen mit Deutſchland zu zerſtören,
Bahnen, Telegraph und Telephon zu beſchädigen. werden auf das
ſtrengſte beſtraft. Jeder Verſuch eines Aufſtandes wird auf das
Rückſichtsloſeſte unterdrückt werden.

Es iſt die Härte des Krieges, daß bei Beſtrafung von feind-
lichen Handlungen außer den Schuldigen auch Unſchuldige ge-
troffen werden. Um ſo mehr iſt es Pflicht aller verſtändigen
Bürger, einen Druck auf alle übelwollenden Elemente der Be-
völkerung auszuüben, um dieſe niederzuhalten und von jeder
Handlung gegen die öffentliche Ordnung zurückzuhalten. Die
belgiſchen Bürger, die friedlich ihrem Geſchäfte nachgehen, werden
von ſeiten der deutſchen Truppen und der Regierungs nichts zu
fürchten haben.

Soviel als möglich muß der Handel wieder hergeſtellt werden,
müſſen die Fabriken wieder arbeiten und muß die Ernte herein-
geholt werden.

Bürger Belgiens! Ich verlange von niemanden, ſeine vater-
ländiſchen Gefühle abzuſchwören. Aber ich erwarte von allen eine
verſtändige Unterwerfung und einen vollkommenen Gehorſam
unter die Befehle des Generalgouverneurs. Ich rufe euch auf,
Vertrauen zur Regierung zu haben. Dieſen Aufruf richte ich be-
ſonders an die Staats- und Gemeindebehörden, die auf ihren
Poſten geblieben ſind. Je mehr der Aufruf befolgt wird, deſto
mehr dient ihr eurem Vaterlande.“



Die Wirkung der ſchweren Belagerungsgeſchütze.

Aus Beobachtungen eines bayeriſchen Offiziers teilt die
M.-Augsb. Abendzeitung mit:

Vorgeſtern war ich mit den Offizieren des Stabes im Fort
Manonviller.
Du kannſt dir gar keinen Begriff machen, wie
das ausſieht. Es war das ſtärkſte Sperrfort der Franzoſen. Zwei
Tage iſt es beſchoſſen worden, ohne auch nur die Möglichkeit, es
zu nehmen. Am dritten Tage hat man dann, 13,500 Meter ent-
fernt, eines unſerer 42-Zentimeter-Geſchütze aufgeſtellt. Von der
Exiſtenz dieſes Geſchützes hatten die Franzoſen, auch zum großen
Teil die Deutſchen, keine Ahnung. Wir haben keine ausgebildeten
Mannſchaften für dieſes Geſchütz, es wird daher von Ingenieuren
von Krupp bedtent. Es kann nur elektriſch entladen werden, da
der Luftdruck zu ſtark iſt. Das Geſchoß ſelbſt wiegt 19 Zentner.
Bei Abſchuß ſteigt es erſt Tauſende von Metern in die Höhe und
ſauſt dann bis zirka 20 Kilometer weit. Natürlich alles vernichtend.
Mit dieſem Geſchütz hat man nur wenige Schüſſe abgegeben. Der
erſte Schuß kam um 40 Meter zu kurz, bewarf aber den Panzer-
turm (den größten) derartig mit Steinen und Erde, daß der Turm
nicht mehr drehbar war. Der zweite Schuß ging mitten auf den
Turm und ſchlug die Decke von enormer Dicke mitten durch, wie eine
Streichholzſchachtel. Außerdem gingen hausdicke Zementwände
vollkommen in Trümmer. Nach dem dritten Schuß konnten die
Belagerten ſich nicht mehr halten, da die Luft derartig war, daß
man nicht mehr atmen konnte. Sie mußten alle hinunter in den
Keller; das Fort iſt faſt durchweg unterirdiſch. Es hatte rings-
herum enorme eiferne Paliſaden, außerdem den ganzen Hang
ringsherum mit Stacheldraht bezogen, ſo in 30 bis 40 Zentimeter
Höhe, der mit 1500 Volt elektriſch geladen war, ſo daß natürlich
jede Berührung tödlich geweſen wäre. Die Kerle haben gedacht,
wir würden das Fort ſtürmen! Es iſt einfach unmöglich, einen
Begriff von der Wirkung unſerer Geſchoſſe zu geben. Es war
eigentlich ein ganz grauenhafter Anblick. Dabei ein furchtbarer
Geruch von den unter den Trümmern begrabenen Franzoſen! Im
Fort ſelbſt war Proviant für Monate! Der kam den deutſchen
Truppen gerade recht. In den Kammern waren noch für zirka
tauſend Mann neue Anzüge aufgeſtapelt. Für unſere Truppen
haben die Anzüge natürlich keinen Zweck. Wohl aber war eine
ganze Menge Drillichanzüge vorhanden, die die Leute ſehr gut
brauchen können, zumal bei der enormen Hitze. Wir haben ja,

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 38, 19. September 1914, S. 564. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine38_1914/2>, abgerufen am 25.02.2025.